Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Wagener, Hermann“ von Hermann von Petersdorff in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 40 (1896), S. 471–476, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wagener,_Hermann&oldid=- (Version vom 18. April 2024, 19:22 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Wagemann, Ludwig
Band 40 (1896), S. 471–476 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Hermann Wagener (Politiker) in der Wikipedia
Hermann Wagener in Wikidata
GND-Nummer 118805894
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|40|471|476|Wagener, Hermann|Hermann von Petersdorff|ADB:Wagener, Hermann}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118805894}}    

Wagener: Hermann W., bedeutender Publicist und Parlamentarier, Begründer der conservativen Partei in Preußen, wurde am 8. März 1815 in Segelitz bei Neuruppin als Sohn eines Pfarrers geboren. Er studirte in Berlin Rechtswissenschaften und fand 1844–1847 als Assessor bei den Meliorationsanlagen in Westpreußen Verwendung. Hier trat er zu seinem Vorgesetzten, dem nachmaligen Oberpräsidenten von Pommern v. Senfft-Pilsach, und zu dem damaligen Haus- und Domänenminister Grafen Anton v. Stolberg-Wernigerode in eine Vertrauensstellung. Der junge Mann, der bereits als Student durch das Studium des Römerbriefes veranlaßt wurde, eine streng-religiöse Richtung einzuschlagen, schloß sich ganz den christlich-monarchischen Anschauungen seiner einflußreichen Vorgesetzten an. Durch Vermittlung des Appellationsgerichtspräsidenten Ludwig v. Gerlach wurde er 1847 als Consistorialassessor nach Magdeburg übernommen, in welcher Stellung er die Disciplinaruntersuchung gegen den freigemeindlichen Prediger Uhlich führte. Als der liberale Graf Schwerin-Putzar 1848 Cultusminister wurde, stellte er den ihm wegen seiner Parteistellung unbequemen W. sofort zur Disposition, was begreiflicher Weise den Anlaß zu einer schroffen Gegnerschaft Wagener’s gegen Schwerin für alle Zeiten gab. Für W. fand sich jedoch bald ein anderer Wirkungskreis. Durch einige Aufsätze über die ständische Verfassung und über die erste Generalsynode in dem Anfang 1848 eingegangenen „Rheinischen Beobachter“ hatte er journalistische Begabung verrathen. Als man daher im April 1848 an die Gründung eines Blattes ging, das die bedrohte Krone vertheidigen sollte, lenkten seine einflußreichen Freunde, [472] insbesondere Senfft-Pilsach und Ludwig v. Gerlach, das Augenmerk der adeligen Begründer auf W. W. nahm das Anerbieten, die Redaction zu übernehmen, an und bereiste im Frühjahr 1848 zur Gewinnung von Mitarbeitern für die „Neue Preußische (Kreuz-) Zeitung“ Deutschland und Oesterreich, wobei er nicht gerade sehr ermuthigende Erfahrungen machte. Er war jedoch nicht der Mann, der sich zurückschrecken ließ, sondern griff das Werk mit Zuversicht an. Gleich die ersten Nummern (vom 16. Juni ab) waren von gewaltiger Wirkung. Vermuthlich durch seinen Universitätsfreund Moritz v. Blanckenburg-Zimmerhausen, dem er bis zum Lebensende unzertrennlich verbunden blieb, lernte W. Herrn v. Bismarck-Schönhausen kennen und trat zu ihm gleichfalls in ein nahes Freundschaftsverhältniß. Bismarck wurde sein eifriger Mitarbeiter an der Kreuzzeitung. Desgleichen trat W. in nahe Beziehungen zum General Leopold v. Gerlach. In kurzer Zeit wußte er die Kreuzzeitung zu dem mächtigsten und bestunterrichteten Blatte Preußens zu machen, um das sich die neue conservative Partei zu scharen begann. Schon am Schluß des Jahres 1848 standen die Dinge, dank großentheils der umsichtigen Redaction Wagener’s, ungleich günstiger für den preußischen König. W. war es vor allem, der dem Ministerium Brandenburg die Stange gehalten hatte. In der Folge bekämpfte W. im Verein mit Bismarck hartnäckig die Radowitz’sche Politik, was ihm vom König sehr verdacht wurde, obwol Friedrich Wilhelm IV. wiederum große Stücke auf ihn hielt. Später kam er in die heftigsten Conflicte mit dem Willkürregiment des Polizeipräsidenten v. Hinckeldey und den bureaukratischen Maßnahmen Otto v. Manteuffel’s. Wie Bismarck kannte er keinen schlimmeren Feind als die „wurmstichige“ Bureaukratie. Im Herbst 1851 unternahm er eine Reise nach Paris, um sich über die dortigen Strömungen zu unterrichten und wohnte den letzten stürmischen Sitzungen der Nationalversammlung bei. Sie begründeten in ihm eine völlig antibonapartistische Haltung. Die unaufhörlichen Chikanirungen Hinckeldey’s veranlaßten ihn endlich von der Redaction zurückzutreten (1854). Kurz vor seinem Abgange sahen sich conservative Parteigenossen veranlaßt ihm (am 20. Januar 1854) in Anerkennung seiner hervorragenden Verdienste um die Schöpfung der Partei eine Ehrengabe zu überreichen, mit der ehrenden Widmung: amico nec pluribus impari. Das Geld legte er in dem Gute Dummerwitz im Kreise Neustettin an. Im J. 1853 war er für Kleist-Retzow vom Kreise Belgard-Schievelbein-Neustettin in das Abgeordnetenhaus gewählt worden. Nach seinem Rücktritt von der Kreuzzeitung begann er sich mit voller Kraft auf die parlamentarische Thätigkeit zu werfen. Daneben war er als Rechtsanwalt beim Obertribunal in Berlin thätig, als welcher er später den Titel Justizrath empfing. Er wurde sehr bald einer der ersten Redner der conservativen Partei, obwol er kein vortheilhaftes Organ besaß und nicht die Fähigkeit hatte zu erwärmen. Was ihm seine Bedeutung als Parlamentarier verschaffte, war Fluß der Diction, gesunder Witz, eine Fülle von Kenntnissen und staatsmännischer Blick. Nicht zum wenigsten zeichnete er sich durch seine Vertrautheit mit den socialen Fragen aus, die schon in der Kreuzzeitung hervorgetreten war. Mit dem Beginn der neuen Aera schied er für einige Zeit aus dem parlamentarischen Leben aus. Er fiel in seinem alten Wahlkreise durch und auch ein Versuch des Herrn v. Arnstedt-Gr. Kreuz, ihn in Brandenburg wählen zu lassen, mißlang. W. gewann nun Gelegenheit sich wieder mit ungeschwächter Kraft der publicistischen Thätigkeit hinzugeben. Deren Hauptfrucht war in dieser Zeit die Herausgabe eines neuen Conversationslexikons, das unter dem Titel „Staats- und Gesellschaftslexikon“ bei F. Heinicke in Berlin in den Jahren 1859 bis 1867 dreiundzwanzig starke Bände umfassend erschien. W. hat hierbei eine Anzahl Mitarbeiter gehabt, so insbesondere den Professor Pernice, desgleichen [473] Stahl und Ludwig v. Gerlach, ferner den Professor C. Glaser u. A. Der Löwenantheil an der bedeutsamen Publication fällt jedoch unstreitig ihm zu, so vor allem sind die politischen Artikel, die vielfach als besondere Monographien bezeichnet werden können, meist von ihm. Die Technik wird fast garnicht berücksichtigt und auch die litteraturgeschichtliche Seite ist spärlich bedacht, wie dies auch im Titel der Publication angedeutet liegt. Das Schwergewicht des Werkes liegt wesentlich in seinem politischen Theile. Im Gegensatz zu den meisten übrigen Conversationslexiken, deren Tendenz eine verhüllt liberale ist, betont W. offen seinen streng conservativen Standpunkt. Viele seiner großentheils scharf disponirten, freilich oft zu breiten Artikel haben noch heute Interesse, wenn auch vielfach ein nur geschichtliches, so das Vorwort, die Einleitung, das politische ABC, Adel, Armee, Autorität u. s. w. Mit Vorliebe wird die sociale Frage behandelt (vgl. die Artikel Ackerbau, Actie, Bank, Capital, Chartismus, Möser, Proudhon, St. Simon u. s. w.). Die verhältnißmäßig kurze Zeit, in der dies umfangreiche Werk vollendet wurde, legt beredtes Zeugniß von der gewaltigen Arbeitskraft Wagener’s ab. Es ist verständlich, wenn Bismarck diesen kenntnißreichen Mann sofort zu sich heranzog, als er das Ministerium übernahm, wie er denn überhaupt immer mit W. in freundschaftlicher Verbindung geblieben war. In der Conflictszeit organisirte W. mit Blanckenburg u. a. die preußischen Volksvereine, um gegen die liberale Opposition ein Gegengewicht zu schaffen. Ungefähr zu derselben Zeit trat er in Beziehungen zu Lassalle, der Gräfin Hatzfeld und anderen Führern der socialdemokratischen Partei, deren Umgang er äußerst lehrreich fand, während er bei den eigenen Parteigenossen nur zu häufig einem geringen Maß socialpolitischer Bildung begegnete. Um den nothleidenden Handwerkern praktisch zu Hülfe zu kommen, errichtete er die Gewerbehalle und die Gewerbebank. Bismarck suchte ihn bald dauernd in seine Nähe zu bringen, scheint jedoch beim König Wilhelm auf Widerspruch gestoßen zu sein, da dieser gegen die Männer der Kreuzzeitung wegen ihrer Haltung in der Stellvertretungszeit und gegen W. wegen eines bestimmten Vorfalles eine Abneigung hatte und doch war W. trotz seiner fortdauernden Beziehungen zur Kreuzzeitung derjenige, der während der Stellvertretung die Meinung ausgesprochen hatte, daß der, der es mit dem Lande gut meine, dem Prinzen rathen müsse zu regieren, als wenn der König schon längst todt wäre. Endlich jedoch wurde W., gleichsam als ein königliches Geburtstagsgeschenk für den Ministerpräsidenten zum 1. April, am 29. März 1866 zum Geh. vortragenden Rathe ernannt. 1868 wurde er zum Geheimen Oberregierungsrath befördert, nachdem König Wilhelm seine Ernennung zum ersten vortragenden Rath trotz Bismarck’s Verwendung nicht genehmigt hatte. 1867 nahm W. auch seine parlamentarische Thätigkeit wieder auf, indem er sich von Neustettin in den Reichstag wählen ließ, dem er bis zum Jahre 1873 angehörte. Er hat in dieser Stellung und als Geheimer Rath dem Fürsten Bismarck lange Jahre treu zur Seite gestanden. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat Wagener’s Rath bestimmend dazu gewirkt, daß Bismarck sich entschloß, das allgemeine Wahlrecht einzuführen. Bismarck ließ ihn seinerzeit auch ins Versailler Hauptquartier kommen, wo er Zeuge der Vorgänge bei Paris bis zum Ausgange des Krieges war. Durch den Aufstand der Commune unter den Augen der deutschen Truppen fühlte er sich tief erschüttert. Er beurtheilte diese Vorgänge mit Seheraugen und fürchtete, daß sich in Deutschland noch Schlimmeres ereignen würde, falls man nicht die richtige Politik dem 4. Stande gegenüber ergriffe. An manchen Gesetzesarbeiten hat W. einen bedeutsamen Antheil gehabt und seine Reichstagsreden gehören zu den wichtigsten jener Zeit. Die Schwierigkeit unter Bismarck zu arbeiten, wurde durch das beiderseitige Freundschaftsverhältniß erleichtert. Noch am 27. Februar 1872 schrieb ihm der Fürst: „Sie sind der einzige in meiner Umgebung, [474] mit dem ich rückhaltlos offen mich ausspreche“. Eben war er Anfang 1873 auf Bismarck’s dringenden Wunsch trotz des Widerstrebens des Königs zum ersten vortragenden Rath im Staatsministerium ernannt worden, da erfolgte sein jäher Sturz, veranlaßt durch die Reden Lasker’s am 14. Januar und 7. Februar 1873. Höchstwahrscheinlich ist er einer Intrigue des Ministers des Innern Grafen Fritz Eulenburg, mit dem W. über die Novelle zur Kreisordnung und auch sonst nicht harmonirte, zum Opfer gefallen. Man benutzte den Umstand, daß W. sich unbesonnener Weise an der 1870 erfolgten Gründung der pommerschen Centralbahn (Konitz-Wangerin) betheiligt hatte, bei der Gesetzesvorschriften verletzt worden waren, um ihn politisch zu discreditiren. Es muß aber im Interesse der Wahrheit betont werden, daß W. höchstens aus Unerfahrenheit Mißgriffe gemacht und keineswegs von schnöder Gewinnsucht getrieben gehandelt hat. Die festgesetzte Gewinnsumme von 40 000 Thalern, die er als Aufsichtsrath mit dem persönlich haftenden Gesellschafter und einem anderen Aufsichtsrath zu theilen hatte, war bei einem solchen Unternehmen mehr als gering. Es war die reinste Heuchelei seiner Gegner, wenn sie sich über seine Handlungsweise nicht genug entrüsten zu können vorgaben. W. erhielt von Roon, der damals die Ministerpräsidentschaft führte, infolge dessen auch nur einen Verweis. Wenn W. trotzdem um seinen Abschied einkam, so geschah dies unter dem ungeheuren Eindruck, den Lasker’s Aufbauschung der Dinge und der Höllenlärm gerade der Gründerkreise in der Oeffentlichkeit machten. Es war offenbar eine Uebereilung Wagener’s, die er später sehr bereut hat. Während die conservative Partei ihn feige wie einen Pestkranken mied, hat Bismarck mit ihm stets die Verbindung aufrecht erhalten und ihn namentlich als seinen socialpolitischen Rathgeber gebraucht. Durch die ungeheure Discreditirung der pommerschen Centralbahn brach die Gründung, an sich wol schon falsch berechnet, zusammen und W. wurde im Civilproceß zur Zahlung von 1 600 000 Mark verurtheilt, d. h. pecuniär völlig ruinirt. Der begabte thatkräftige Mann hat es aber in den 16 Jahren, die ihm noch zu leben vergönnt waren, vermocht, sich wieder emporzuarbeiten. In seinen Lebenserinnerungen, die er 1884 herausgab, konnte er sagen, daß er jene Zeit überwunden hätte.

Die Socialpolitik wurde jetzt fast das ausschließliche Feld seiner Thätigkeit. Er zog den conservativen Socialpolitiker Rudolf Meyer an sich heran. Desgleichen befreundete er sich mit Rodbertus. Mit besonderem Interesse hatte er schon den Verlauf des ersten Congresses des Vereins für Socialpolitik im Octbr. 1872 zu Eisenach verfolgt. 1874 entsandte ihn Bismarck als Regierungscommissar zum 3. Congreß der „Kathedersocialisten“. Der meisterhafte Bericht, den W. über den Verlauf der Verhandlungen an Bismarck erstattete, hatte die Berufung der Professoren v. Scheel und Jannasch ins Ministerium zur Folge. Besonders gelang es ihm, die manchesterliche Richtung Gneist’s zu discreditiren. Während des Congresses von 1875 beeinflußte er von Varzin aus den Gang der Verhandlungen, denen sein Secretär Meyer beiwohnte. Als Eugen Richter am 23. Mai 1878 diese Verwendung Wagener’s als Regierungscommissars gegen die Bismarck’sche Politik als besondern Trumpf ausgespielt hatte und Bebel am 17. September darauf zurückkam, erwiderte Fürst Bismarck: „Es war einfach meine Pflicht und Schuldigkeit, daß ich irgend jemand hinschickte und der Geheimerath W. war für diese Sachen ein durchaus sachkundiger Mann, ein Mann von Geist“. Und auch rein menschlich wurde das Band zwischen Bismarck und W. nicht gelöst. So schrieb der Fürst an W. unter dem 8. September 1876, als er gewahrte, daß die beiderseitigen politischen Richtungen zum Theil auseinandergingen: „Die etwaige Verschiedenheit unserer Wege wird für mich nicht [475] das Band zerreißen können, welches 30 Jahre freundschaftlicher Beziehungen und gemeinschaftlicher Kämpfe geschaffen haben“. W. wußte diese ehrenvolle Freundschaft wohl zu schätzen, und seine Anhänglichkeit an Bismarck hat seiner Bewunderung für ihn nie nachgestanden, obwol die Politik seit 1873 sehr wenig nach seinem Herzen war und erst 1881 sich wieder etwas seinen Anschauungen näherte. Man hat behauptet, daß W. sich den Socialdemokraten sehr genähert hätte. Er hat aber nie seine conservative Grundanschauung verleugnet. Im Gegensatz zu der das producirende Capital befehdenden Socialdemokratie wollte er lediglich das speculirende Capital bekämpft wissen. Allmählich gewann W. auch wieder mit den Parteigenossen engere Fühlung. Das Programm der deutschen conservativen Partei von 1876 hat er verfaßt. Er gründete eine aus Katholiken und Evangelischen gemischte socialconservative Vereinigung. In deren Versammlungen Ende 1880 zu Frankfurt a. M. und im Mai 1881 in Berlin war W. zweifellos die treibende Kraft. Seine socialpolitischen Ideen brachte er in sehr vielen Zeitschriften und Tagesblättern zum Ausdruck, so in der „Deutschen Landeszeitung“, dem späteren „Deutschen Tageblatt“, – die Mitarbeit an der Kreuzzeitung hatte er seit 1872 eingestellt, – in den politischen Gesellschaftsblättern, im Deutschen Adelsblatt, im Kulturkämpfer, in der Deutschen Revue. Man geht sicher nicht fehl, wenn man die socialreformerische Wendung nicht nur der conservativen Parteipolitik auf Wagener’s rührige Thätigkeit in dieser Zeit zurückführt. In den letzten Jahren hat er auch sehr discrete, aber immerhin recht interessante Memoiren und Aufzeichnungen veröffentlicht. Dies letztere geschah insbesondere (ohne Namen) in der Deutschen Revue. Eine pietätvolle Schrift war sein Buch: „Die Politik Friedrich Wilhelm’s IV.“, das im Sommer 1883 erschien. Hier und in den Memoiren (Erlebtes) behandelt er mit besonderer Vorliebe u. a. seinen Freund und Gönner Senfft-Pilsach. Am 22. April 1889 ist er, 74jährig, in Friedenau bei Berlin gestorben. Er hinterließ seine Gattin, geb. Müller, und zwei Söhne, von denen der eine Officier, der andere Geistlicher ist.

W. ist eine der bemerkenswerthesten Persönlichkeiten aus der Zeit Bismarck’s. Sein Charakter war gemischt aus Sprödigkeit und Weichheit. Er hat zu den verhaßtesten Männern seiner Zeit gehört, was er großentheils selbst durch sein schroffes, oft erbitterndes Wesen verschuldet hat. Doch pflegte er später über seine Feinde mit großer Milde zu sprechen und schon am 1. Febr. 1856 bekannte er im Abgeordnetenhause freimüthig, daß er als Christ es bedauere öfter in der Hitze des Gefechts persönlich geworden zu sein: „Ich werde mich fortan vor ähnlichen Verstößen um so sorgfältiger hüten“. Im Beginn der fünfziger Jahre schloß er sich als einer der ersten der apostolischen Gemeinde (Irvingianer) an. Von großem Ehrgeiz und Selbstbewußtsein und außerordentlicher Reizbarkeit schuf er sich immer neue Conflicte. Wenn man aber sein Leben in der Gesammtheit überblickt, so ergibt es sich, daß er, als Politiker betrachtet, fast immer richtige Bahnen gewandelt ist und daß er außerordentliche Verdienste um die Stärkung des Königthums und als Mitarbeiter Bismarck’s aufzuweisen hat. Der jähe Sturz von seiner Höhe, der ihm unendlich viel Bitterniß verursachte und ihn mehr oder minder zu sechzehnjähriger Thätigkeit in der Abgeschiedenheit verurtheilte, ist geradezu tragisch zu nennen. Seine Bedeutung als Publicist und Parlamentarier ist groß. Seine Bedeutung als Socialpolitiker ganz zu ermessen ist jetzt noch nicht möglich. Vielleicht beruht aber gerade in diesem Zweige seiner Thätigkeit die Hauptwirksamkeit seiner Persönlichkeit.

Herm. Wagener, Erlebtes. 2. Aufl. Berlin 1884. – Deutsche Revue 1888. Aus den Aufzeichnungen e. alten Staatsmannes. – Dieselbe 1889. [476] Fürst Bismarck und der Aufbau des Deutschen Reiches. – Stenographische Berichte des Hauses der Abgeordneten. Berlin 1853–1858. – Stenogr. Berichte des Deutschen Reichstages. Berlin 1867–1873. 1878. – Staats– u. Gesellschaftslexikon Wagener’s. Berlin 1859–1867. – Neue Preußische (Kreuz-) Zeitung 1848–1854. – Die sonst angeführten Zeitungen u. Zeitschriften. Viele socialpolitische Arbeiten ohne Nennung des Namens. – Ein Mitarbeiter Bismarck’s. Deutsche Revue, hsg. v. Rich. Fleischer. 15. Jahrg. (1890), I. Bd., S. 173–183. (Nachruf von nahestehender Seite, vielleicht von Rudolf Meyer.) – Denkwürdigkeiten aus dem Leben des Grafen Roon (besonders der Brief Bismarck’s v. 26. Oct. 1868). – Denkwürdigkeiten aus dem Leben Leopold v. Gerlachs. Berlin 1891/92. (Sehr zahlreiche Stellen Wagener betreffend). – Briefwechsel des Generals L. v. Gerlach mit dem Bundestagsgesandten Otto v. Bismarck. Berlin 1893. – Zukunft, Berlin 1895, 31. August. Bericht (Wagener’s) über den Congreß des Vereins für Socialpolitik im Jahre 1874.