ADB:Pourtalès, Albert Graf von

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Artikel „Pourtalès, Graf Albert von“ von Felix Bamberg in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 26 (1888), S. 492–494, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Pourtal%C3%A8s,_Albert_Graf_von&oldid=- (Version vom 15. November 2024, 00:23 Uhr UTC)
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Pourtalès: Graf Albert v. P., preußischer Diplomat, geb. am 10. September 1812, † am 18. December 1861, stammt aus einer ursprünglich bürgerlichen, protestantischen, im südlichen Frankreich und, nach Aufhebung des Edictes von Nantes, in der Schweiz ansässig gewesenen Familie. Sein Vorfahr, der Kaufmann Jeremias P. wurde am 9. Februar 1750 von Friedrich dem Großen geadelt und dessen Sohn Jacob Ludwig, der sich zu Neuenburg niederließ, ward der Schöpfer des bedeutenden, die Familie P. heute noch auszeichnenden Vermögens. Friedrich Wilhelm III. erhob die drei Söhne Jacob Ludwigs in den Grafenstand. Der dritte Sohn, Graf Friedrich v. P., preußischer Wirklicher Geheimrath und Oberceremonienmeister, war der Vater Albrechts und ließ seinem Sohne eine ausgezeichnete Erziehung zu Theil werden. Graf Albert trat frühzeitig in die diplomatische Laufbahn und war theils bei auswärtigen Missionen, theils im preußischen Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten thätig.

1850 war er Gesandter in Constantinopel. Er stand dort in lebhaftem Briefwechsel mit Bunsen und schrieb ihm unter anderem am 24. Februar den nachstehenden, für ihn und die damaligen Zustände höchst charakteristischen Brief: „Ich studire den deutschen Charakter, diesen tiefen, oft unbegreiflichen Geist, der für mich alles Menschliche und alles Höhere auf dieser unserer modernen Welt vereinigt, und so viele Keime der Zukunft, der großartigsten Entfaltung in sich trägt. Das ist meine Hoffnung für Deutschland, und der Glaube an unsere Zukunft verläßt mich nie, wenn ich mich auf diesen Standpunkt zu stellen vermag. Freilich ist es nicht immer leicht, über die erbärmliche Gegenwart hinwegzublicken und hinabzuschauen in die Tiefe unseres Nationalcharakters, vorwärts zu streben nach der Zukunft. Welchem Volke ist aber so viel gegeben, welchem eine so hohe Aufgabe gestellt, und wäre es nicht kleinmüthig, an der Möglichkeit der Lösung derselben zu zweifeln? Kommt sie, wie ich glaube, von Gott, nun, so wird er auch die Kräfte geben. – Die Franzosen rühmen sich bisweilen, daß ihre Revolution seit 1789 dauert, die unserige fängt an mit Luther, und, so Gott will, werden wir sie durchkämpfen, bis Gott und der Menschheit ihre Rechte geworden sind … Darum wollen wir nicht verzagen, sondern Hand anlegen an dem Bau der deutschen Einheit, die erst dann möglich wird, wenn sie wahrhaft deutsch ist, d. h. aus unserem inneren Gefühl, aus unserer Erfahrung hervorgeht. Man lacht uns darüber oft aus, weil wir so bedächtig zu Werke gehen (und trotz dieser Bedächtigkeit begehen wir manche [493] tolle Streiche); aber wir müssen in der Wahrheit bleiben, sie ganz in uns aufnehmen, sie erleben … und dann steht sie festgegründet da. Luther reformirte sich selbst, und indem er es that, dadurch, daß er es that, gab er Deutschland und der Welt das Dogma der Rechtfertigung durch den Glauben, diese Verantwortlichkeit des einzelnen Menschen Gott gegenüber, die den Mann macht und wahrlich ein edles Grundrecht ist … so edel, daß das deutsche Volk sich drei Jahrhunderte lang mit dem Genuß desselben über so Manches trösten konnte, was man ihm vorenthielt, und doch geistlich und sittlich frisch und tüchtig blieb.“

Am 5. August schrieb er ebenfalls an Bunsen: „Ich bin tief bekümmert, hochgeehrtester Freund, über unsere vaterländischen Zustände, aus denen noch immer nichts werden will und überhaupt nichts werden kann, so lange man demüthig um Erlaubniß bettelt, die eigenen deutschen Angelegenheiten ordnen zu dürfen. Wir sind jetzt so tief gesunken, daß wir auf irgend einen neuen, glücklichen unvorhergesehenen Zufall angewiesen sind, von dem wir erwarten, daß ein deus ex machina die Aufgabe löse, an die wir uns nicht wagten. Es ist uns unendlich viel gegeben, und was haben wir selbst geleistet? In Frankfurt kannegießerte man, in Berlin schwankte man hin und her, in Wien richtete man sich nach der Petersburger Losung, und im übrigen Deutschland opponirte man kräftigst, damit aus der Glockenspeise kein Guß entstehen möchte. Italien hat wenigstens für die Sache der Nation geblutet, Deutschland aber hat nur Tintenströme fließen lassen. Am meisten empört mich das fade heuchlerische Geschwätz von deutscher Einheit, von Festhalten an Oesterreich, von Groß- und Kleindeutschland, wobei nichts geschieht und nichts geschehen kann, so lange man mit Hausmittelchen zu Werke geht. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie tief gedrückt ich mich fühle, seitdem ich sehe, daß aus den bescheidensten Hoffnungen nichts wird. O, wüßte man in der Heimath, wie man von uns denkt! Begriffe man, daß das todkranke Frankreich doch noch eine eigene Politik hat, und wir, wir allein aus lauter Vielwisserei nichts wollen und nichts können. Das nennt man conservative Grundsätze, um der Erbärmlichkeit doch einen Namen zu geben, und man merkt nicht dabei, daß, weil wir nichts haben, auch das uns genommen wird, was wir hatten …“

Als drei Jahre später die kriegerischen Verwicklungen zwischen Rußland und den Westmächten Preußen in Mitleidenschaft zu ziehen drohten, erhielt P. eine Mission nach London, über welche Bunsen, der damals dort Gesandter war, am 29. December 1853 schrieb: „Es ist jedenfalls der Hauptzweck erreicht worden, ein Verständniß einzuleiten mit dem hiesigen Cabinet, aus dem Standpunkt der vollkommenen Freiheit des Handelns der preußischen Regierung, und aus dem Gefühle, daß Preußen, wenn es in diesem Augenblicke großartig, d. h. seiner selbst würdig handeln und große Opfer für einen großen Zweck zu bringen fest entschlossen ist, das entscheidende Gewicht in die Wagschale Europas legt und die ihm zum Heile Deutschlands und Europas gebührende Stellung wieder gewinnt. Die vom Könige genehmigte Denkschrift des Grafen P. ist ein Beweis, daß jener Standpunkt mit klarer Erkenntniß der Weltlage von der Regierung genommen ist und daß dieses Gefühl sie wie die Nation beseelt.“ Diese Auffassung sollte sich nur zu bald als illusorisch erweisen, denn die ganze Mission Pourtalés’ litt an den Schwankungen der damaligen auswärtigen Politik Preußens. In Betreff des deutschen Programms des letzteren hat P. aber schon 1853 ganz feste Grundsätze aufgestellt, nämlich: militärische Einheit durch Uebertragung des Oberbefehls an Preußen im Falle eines Krieges, permanenten Ministerialcongreß der verschiedenen deutschen Staaten und Bewilligung der Heer- und Kriegskosten durch einen aus den Kammern aller Bundesmitglieder [494] gebildeten ständigen Ausschuß. Es war dies wie ein Keim des späteren Bundesrathes und des deutschen Parlamentes, deren Verwirklichung dieser begabte und freisinnige Diplomat nicht erleben sollte. Nachdem er sich während des Ministeriums Manteuffel bei dem liberalen Wochenblatte betheiligt hatte, wurde er 1859 unter dem Ministerium der neuen Aera Gesandter in Paris, wo er Preußen während des denkwürdigen Besuches, welchen König Wilhelm I. dem Kaiser Napoleon in Compiégne abstattete, mit Umsicht und feinem diplomatischen Tacte vertrat. Er starb daselbst plötzlich am 18. December 1861. Graf Albert v. P. war Mitglied des Herrenhauses, Wirklicher Geheimer Rath und mit einer Tochter des bekannten Gelehrten und Staatsministers v. Bethmann-Hollweg vermählt, von der er jedoch keine männlichen Erben hatte.

Christian Carl Josias Freiherr von Bunsen, deutsch von F. Nippold, Leipzig 1871.