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Artikel „Stephanie, Gottlob“ von Oskar Franz Walzel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 36 (1893), S. 97–100, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Stephanie,_Gottlieb&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 09:30 Uhr UTC)
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Stephanie: Gottlob St., der seinem Namen den Zusatz „der jüngere“ gab, um nicht mit seinem Bruder Christian Gottlob verwechselt zu werden, wurde am 19. Februar 1741 zu Breslau geboren. Als Künstler und als Mensch ist er weit weniger sympathisch, wie sein älterer Bruder; auf allen Gebieten seiner Thätigkeit diente er der Opportunität. Nach Beendigung seiner Gymnasialstudien sollte er der Jurisprudenz sich widmen. Der Ausbruch des siebenjährigen Krieges führte ihn in das Lager Friedrich’s d. Gr. Laudon’s Sieg bei Landshut brachte ihn am 23. Juni 1760 in österreichische Gefangenschaft. Rasch besonnen trat er neun Monate später als Cadett in österreichische Dienste; er bringt’s zum Feldwebel [98] und Rechnungsführer und erhält nach dem Frieden von Hubertusburg einen ehrenvollen Abschied. Einflußreiche Gönner, die dem geschmeidigen Manne unschwer zu theil wurden, verschafften ihm die Stelle eines Werbeofficiers. Als Lieutenant ging er nach Regensburg; doch schon ein Jahr später ist er stellenlos wieder in Wien. Eine Festvorstellung von Diderot’s „Hausvater“, in der er die Rolle des Comthurs spielte, brachte die Entscheidung. Er fand so außerordentlichen Beifall, daß der damalige Leiter des Wiener Nationaltheaters, der wohlhabende Gönner der „regelmäßigen“ Bühne, Bender, ihn sofort engagirte. Als College seines älteren Bruders debutirt er am 1. April 1769. Schneidige Officiere, hastige, komische Alte, alte Bedienten und Tyrannenrollen fielen ihm zu. Wo er poltern konnte, war er am Platze: mehr brachte er nicht zustande. Tragische Rollen lagen ihm nicht; an Vertiefung dachte er nicht; seine äußere Erscheinung war verwahrlost. In dem Theaterkampfe der Zeit stand er nach kurzem anfänglichen Schwanken treu auf der Seite des Bruders und opponirte mit ihm gegen Affligio und gegen dessen Günstling Kurz-Bernardon. Dennoch gewann er rasch einen unheilvollen Einfluß; neidisch, geizig, unruhig und ränkesüchtig, ein Trunkenbold und Zänker wurde er bald zum bösen Dämon der Wiener Hofbühne. Schröder hatte durch ihn zu leiden; St. veranlaßte ihn, als Lear mit dem fast unübertrefflichen Brockmann zu wetteifern, und war bitter enttäuscht, als Schröder sich der Aufgabe gewachsen zeigte. Auch gegen Kotzebue machte er den Einfluß geltend, den er seiner von vornehmen Kreisen gern unterstützten Tratschkunst dankte. Am stärksten bekam Sonnenfels Stephanie’s Charakterlosigkeit zu fühlen. Sonnenfels, der Stephanie’s Gönner gewesen war, zerstörte selbst durch überscharfe Theaterrecensionen sein Verhältniß zu den Wiener Schauspielern. Allein nicht Stephanie’s Sache wäre gewesen, in einem dramatischen Pamphlet ihn lächerlich zu machen. Er wollte freilich nachträglich in seinem „Tadler nach der Mode“ (1773), der Sonnenfels in der Gestalt Haders carikirt, nur einen Typus gezeichnet haben. Allerdings arbeitet Stephanie’s Satire mit so groben Strichen, daß nur unmögliche Zerrbilder entstehen. Völlig bar der satirischen Phantasie und des polemischen Witzes eines Tieck oder Wilhelm Schlegel macht sich St. in den steifen Formen seiner Lustspieltechnik nur selbst lächerlich. St. ist am 23. Januar 1800 gestorben. – Als Dichter schuf er von Anfang an von der Bühne herab für die Bühne. Wie Schröder und Iffland suchte er schon vor diesen sein Repertoire durch eigne Arbeit zu vergrößern. Rückhaltloser wie die beiden gestand er stets den ephemeren Zweck seiner Arbeiten ein; noch im J. 1780 bekannte er, daß nur zwei seiner bis dahin veröffentlichten 20 Stücke einer „gereinigten“ Bühne werth seien. Dennoch brüstete er sich gerne mit den Bühnen- und Bucherfolgen seiner dramatischen Versuche; endlos ziehen sich durch die Einleitungen seiner Bücher allerschärfste und allergröbste Antikritiken, und gerne stellt er abfälligen Beurtheilern die günstigen Worte eines „einzigen unparteiischen Mannes“ gegenüber. Gerne auch bricht er für das Wiener Publicum und für seinen geläuterten Geschmack eine Lanze; er rechtfertigte seine wärmsten Bewunderer dem Auslande gegenüber, um diesem durch die hohe Anerkennung zu imponiren, die er in Wien fand. Galt er doch den in Wien ansässigen Italienern als deutscher Goldoni! Trotz aller Wohldienerei versäumt er nicht, seine kritischen Grundsätze in den Vordergrund zu schieben. Er bekennt sich zu einem schrankenlosen Realismus: „Meine Leute,“ sagt er, „müssen mir reden, wie ich ehrliche Leute in unserer lieben Welt reden höre, der Jude wie ein Jude, der Reitknecht wie ein Reitknecht und nicht wie ein Professor auf dem Katheder, der die Wohlredenheit lehrt.“ In der That glücken ihm bisweilen Scenen von kräftigem, derbem Realismus, vor allem, wenn er Soldaten schildert. Gewöhnlich bindet indeß auch ihn die Convention. Seine Stücke, [99] die im J. 1769 einsetzen, und deren Anstoß sicherlich Lessing’s Minna von Barnhelm war, bewegen sich lange Zeit nur in den steifen Formen des Johann Elias Schlegel’schen Lustspiels. Aengstlich beobachtet er die Einheit der Zeit, nur selten gestattet er seinen Stücken die Dauer von zwei Tagen. Freier hält er’s mit der Einheit des Ortes. Freilich darf nicht übersehen werden, daß er zu einer Zeit in Wien schrieb, da Ayrenhoff seine hölzernen Alexandrinerdramen ebenda verfertigte. Erst allmählich ist er, offenbar durch Schröder’s Vorbild zu freierer Bewegung gelangt. Mit einem Soldatenstücke setzte er ein. Seine „Werber“ (1769), die er dem „Recruiting officer“ von Farquhar nachdichtete, konnte er nach eigenen Erlebnissen ausschmücken, sie gehören zum Gefolge der „Minna“. Noch klarer bethätigt sich die Abhängigkeit von Lessing in den „Abgedankten Officieren“ (1770), die mit Recht als plumpe Nachahmung der „Minna“ bezeichnet wurden. Die Gestalt Tellheim’s wird weidlich ausgenützt; ihr gegenüber treten einige Contrastfiguren. Minna selbst erscheint nur in stark abgeschwächter und verblaßter Copie. Fortab weilte St. mit Vorliebe beim Soldatenstande; die endlose Reihe der Soldatenstücke vermehrte er durch seine „Kriegsgefangenen“ (1771), durch den „Deserteur aus kindlicher Liebe“ (1773), eine Zeitungsgeschichte, die zu einem weinerlichen Drama zurechtgestutzt wird, durch die „Wölfe in der Herde“ (1777), die soldatische Brutalität geißeln, durch den „Oberamtmann und die Soldaten“ (1780). Obgleich possenhafte Elemente sich breit machen, will St. seine Stücke nicht immer als Lustspiele angesehen wissen, sondern nennt sie selbst gelegentlich Dramen und Schauspiele. Im Lustspiel wiederum macht sich der Hang geltend, durch criminalistische Motive über das Feld der Komik hinauszugehen, während selbst ernste Conflicte um jeden Preis zu einer guten Lösung gebracht werden. St. arbeitet neben Schröder und Iffland dem nassen Jammer und der rückgratlosen ethischen Verweichlichung Kotzebue’s vor. Am stärksten machen sich diese Mängel in Charakterlustspielen geltend, deren St. im Anschluß an die Bremer Beiträger eine Menge geliefert hat. Der „Tadler nach der Mode“, der „Spleen“ (1774), dessen Stoff dem Proverbe dramatique „Les deux Anglais“ entstammt, der nach Smollet’s „Humphrey Klinker“ gearbeitete „Allzu gefällige Ehemann“ (1775), zeigen schon durch den Titel die Gattung an, der sie angehören. Am rohesten bekundet sich die Kotzebue’sche Tendenz, alles und jedes auszugleichen und auch vor dem Aergsten die Augen zuzudrücken in dem „Mädchen in der Irre“ (1780) und im „Ostindienfahrer“ (1781); die Heldinnen sind reich mit gurlihaften Zügen ausgestattet. Spieler, Betrüger, Hochstapler, gewissenlose, kupplerische Weiber werden zwar entlarvt, finden indeß sofort mitleidige Seelen, die ihnen eine Thräne widmen. Das stofflich einem Lustspiele Antonio Ferreira’s, der Comedia do Bristo, entnommene Charakterbild „So muß man Füchse fangen“ (1786) ist dem Problem gewidmet, ob ein Kuppler auch zu etwas gut sein kann! Die schablonenhafte Charakteristik, die gleiche Typen immer mit gleichen Farben ausmalt, läßt die moralische Verlotterung des ganzen Komödiantenkrams noch schärfer hervortreten. Neue Typen wurden durch St. nicht geschaffen; natürlich darf nach Lessing’s Vorbilde der Jude nicht fehlen, der im bösesten Augenblicke rettend eingreift und sich als Muster von Edelmuth und Selbstentäußerung darstellt. Wie schon die Soldatenstücke Officiere und Gemeine nicht allein von ihrer besten Seite nehmen, so hält das Lustspiel „Die Art eine Bedienung zu erhalten“ (1777) den Bureaukraten der Zeit und ihren Mißbräuchen einen wenig wohlwollenden Spiegel vor; ähnliches thut die, dem Roman Sophie Francourt entnommene „Gräfin Freyenhoff“ (1771), in den schärfsten Zügen freilich wohl unabsichtlich. Advocaten und Quacksalber werden gerne abfällig charakterisirt; die kecken Soubretten haben fast immer einen Stich ins Kupplerwesen. Ernste [100] historische Dramen waren natürlich Stephanie’s Sache nicht. Einmal behandelt er in der „Liebe für den König“ (1776) mit viel äußerlichem Edelmuth die Flucht Karl Stuart’s II. nach der Schlacht von Worcester. Butler’s Hudibras steuerte glückliche Motive zur Charakteristik bei. Als Bearbeiter hat sich St. an zwei Dramen der Weltlitteratur gewagt, an „Macbeth“ und an den „Richter von Zalamea“. Die Macbethbearbeitung nennt er selbst ein „Trauerspiel, das mir entglitscht“ ist, bemüht sich aber doch, sie nach den Regeln von Aristoteles, Mendelssohn, Lessing und Marmontel kritisch zu rechtfertigen. Stephanie’s „Macbeth“ sollte den seit Jahren in Wien gegebenen „Steinernen Gast“ des Tirso de Molina als spukhaftes Schaustück ersetzen. Sichtlich hat dieser Zweck der Bearbeitung ihren Tenor gegeben. Thatsächlich dehnt St. den fünften Act Shakespeare’s zu einer im französischen Geiste gedachten Haupt- und Staatsaction aus; Reminiscenzen aus Shakespearischen Dramen erfüllen das ganze Stück, das mit Hülfe von Buchanan’s „Rerum scoticarum historiae“ der historischen Treue gerechter werden will, als Shakespeare. Trotz ihren Mängeln hat diese erste deutsche Bühnenbearbeitung des Macbeth Schule gemacht. Noch freier verfährt St. mit Calderon. Schröder hatte schon 1778 den „Richter von Zalamea“ in seinem „Amtmann Graumann“, vermuthlich nach Linguet’s französischer Bearbeitung von 1770 „Le viol puni“ in ein modernes Rührstück verwandelt. St., der auf Collot’s d’Herbois Bearbeitung von 1778 fußen will, hat trotz seinem Widerspruche im J. 1780 nur Schröder’s Stück weidlich ausgenützt; nicht nur weil beide das Stück nach Deutschland verlegen, stehen sich die Schauspiele nahe. Seinen größten Bühnenerfolg fand St. mit dem einem französischen Muster nachgebildeten, frisch und lebendig geführten Singspiele „Der Apotheker und der Doctor“, dessen Musik Dittersdorf lieferte. Stephanie’s Libretto „Der Schauspieldirector“ wurde von Mozart in Musik gesetzt. Auch ins tiefste Genre stieg er hinab und errang 1773 mit einer Maschinenkomödie „Mariandel“ den Beifall seiner Zuhörer. – Bei aller Verschiedenheit erinnert der jüngere St. durch die Leichtigkeit und die gelegentliche Seichtigkeit seines Talents an seinen jüngeren Landsmann Holtei. Vielleicht wäre auch seine Bühnenbegabung bei strammerer Zucht und auf anderem Boden zu erfreulicheren Leistungen von dauernderem Werthe gelangt.

Goedeke IV2, 76. – Wurzbach XXXVIII, 222–225. – F. L. W. Meyer, Fr. L. Schröder I, 363 f. – E. Devrient, Geschichte der deutschen Schauspielkunst, Register. – A. Köster, Schiller als Dramaturg. S. 56 ff., 63, 66, 68 (Macbeth). – E. Günthner, Calderon und seine Werke II, 295 ff. (Richter von Zalamea). – Herrig’s Archiv LXXII, 306 f.