ADB:Stephanie, Christian Gottlob

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Artikel „Stephanie, Christian Gottlob“ von Oskar Franz Walzel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 36 (1893), S. 96–97, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Stephanie,_Christian_Gottlob&oldid=- (Version vom 5. Oktober 2024, 19:07 Uhr UTC)
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Stephanie: Christian Gottlob St., der ältere, muß mit Fug und Recht zu den ehrlichen und aufrichtigen Förderern des deutschen Schauspielerstandes gezählt werden. Unwiderstehlicher Drang zog ihn zur Bühne; mit unentwegter Energie verfolgte er – wenn auch auf Irrpfaden – sein Ziel, die deutsche Bühne, vor allem die Wiener, über die Hanswurstphase hinauszuheben. Eine schwerfällige Begabung, ein langsamer, bedächtiger Arbeiter verfiel er früh in eine einseitige Manier, die ihn zuletzt zu einem lästigen Gliede der Wiener Hofbühne machte. Er kam im J. 1733 oder 1734 zu Breslau als Sohn des dortigen Spitaldirectors Stephan zur Welt. Trotz erfolgreicher Mittelschulstudien wurde er zum Kaufmann bestimmt. Zwar gelangte sein pflichttreues Naturell auch auf diesem Gebiete zu Erfolgen. Dennoch siegte schließlich der schöngeistige Trieb über alle Hindernisse. Im J. 1756 trat er mit erzwungener, doch nur leiser Namensänderung bei Schuch ein, dessen Gesellschaft damals in Breslau spielte; er debütirte als Gusman in Voltaire’s „Alzire“ mit vielem Erfolg. Ein dauerndes Verhältniß zu dem rohen und ungebildeten Principal, der auch für Ekhof und Kirchhof kein Verständniß hatte, war nicht möglich. Der Versuch, mit Kirchhof eine neue Gesellschaft zu gründen, schlug fehl. Endlich brachte im J. 1758 ein glänzender Spielerfolg in Mietau die Anstellung am Wiener Hoftheater, das auf Wunsch Maria Theresia’s unter der Leitung des allerdings völlig untauglichen Grafen Durazzo damals reformirt werden sollte. Sonnenfels hatte eben den Kampf gegen den Hanswurst aufgenommen und führte ihn mit wechselndem Glücke durch. Er fand an Stephanie eine treffliche Stütze. Allerdings blieben auch diesem trotz einer ausdrücklichen Vertragsbestimmung extemporirte Lustspielrollen nicht erspart. Als Bender 1769 Director der Hofbühne wurde, schien endlich der Sieg des ernsten Dramas gesichert. Wirklich richtete Affligio’s kurzlebige Direction, durch die selbst Kurz-Bernardon wieder nach Wien gelockt wurde, nichts gegen St. und gegen seinen Bruder aus. Die Kaiserin griff persönlich ein, zerstörte das Intriguengebäude Affligio’s und Kurz-Bernardon’s, und der Hanswurst war für ewig begraben. 1771 wurde St. Regisseur, konnte aber unter der Bevormundung [97] einer vierfachen Oberleitung nichts zu Stande bringen. Erst in späteren Jahren gewann er mit seinem Bruder einen nachhaltigen Einfluß, der nicht immer günstig wirkte. Als er am 10. April 1798 starb, athmete man erlöst auf; nur sein eigener Wille, nicht der Wunsch seiner Vorgesetzten, seiner Collegen und seines Publicums hatte ihn bis zuletzt der Bühne erhalten. Als Schauspieler glänzte er anfangs durch ein biegsames, kräftiges Organ und durch lebhafte Geberdensprache; bald indeß verfiel er dem Outriren. Man hatte ihn einmal mit Lecain verglichen; seitdem wurde er mehr und mehr zum rohen Coulissenreißer und legte sich eine abenteuerliche tragische Manier zurecht, die durch heulenden Vortrag wirken wollte. Heftige Bewegungen ließen seine ungefällige, breitschultrige Gestalt nur noch unerfreulicher erscheinen. Sehr charakteristisch ist Eva König’s Bericht an Lessing (Hempel 20, 2, 614 f.) über seine Darstellung des Odoardo; er entblödete sich nicht, am Schlusse Emilia’s Blut vom Dolche zu lecken. – Stephanie’s dichterische Thätigkeit bewegte sich in weit engeren Grenzen, als die seines schreibelustigen Bruders; meist begnügte er sich mit Bühnenbearbeitungen und mit Uebersetzungen. Als einer der ersten übertrug er Goldoni’s „Bourru bienfaisant“ ins Deutsche (1773); seine „Neueste Frauenschule“ geht auf Cibber zurück (1770). In seiner „Liebe in Corsica“ (1770) dramatisirte er H. E. Teubern’s Erzählung „Dubois und Gioconda“ (Goedeke 42, 211: 24, 1). Selbständiger ist die „Wahl oder nicht alle lieben Alles“ (1771); sie contrastirt Anglomanie, Gallomanie und Deutschthum und bricht für die deutsche Bühne eine Lanze. Der „Neue Weiberfeind“ (1773) der weniger an Fletcher’s Woman hater und an Lessing’s Misogyn, als an Brandes’ Hagestolz (1771) gemahnt, soll eine geistvolle Jüdin verherrlichen, die einem Cavalier eine herbe Lection gibt. Alle Stücke, Bearbeitungen, wie selbstständige Dichtungen zeugen für Stephanie’s ehrliches Kunststreben; er liebt ein schweres Caliber, er verkündet Sentenzen und legt Ideen zu Grunde, er hat bildende Ideale. Weil er aus Ueberzeugung alle Leichtfertigkeit von der Bühne fernhalten will, wird er oft schwerfällig; selten gelingt ein komischer Effect. Dem „regelmäßigen“ Drama dienen alle seine Versuche zur Förderung, ebenso wie eine Monatsschrift „Gesammelte Schriften zum Vergnügen und Unterricht“ (1766–68), die heute sehr selten geworden ist. Ihr Inhalt unterscheidet sie durch nichts von ihren zahlreichen Nebenbuhlerinnen: Erzählungen, kleine Theaterstücke, Gedichte, Uebersetzungen aus dem Englischen und Französischen füllen sie. Auch als Kritiker äußerte er sich in ihr; überhaupt entsprach es der vorwärtstreibenden Tendenz des Mannes, auch von dieser Seite für die Ideale einzutreten, die er auf der Bühne verfolgte.

Goedeke IV2, 76. – Wurzbach XXXVIII, 216–222. – F. L. W. Meyer, Fr. L. Schröder I, 362 f. – E. Devrient, Geschichte d. deutschen Schauspielkunst, Register. – E. V. Zenker, Geschichte der Wiener Journalistik bis zum Jahre 1848, Nr. 137 (die Monatsschrift fehlt den drei Wiener Bibliotheken).