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Artikel „Nottebohm, Gustav“ von Carl Ferdinand Pohl in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 24 (1887), S. 41–44, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Nottebohm,_Gustav&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 13:28 Uhr UTC)
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Nottebohm: Gustav N. (eigentlich Martin Gustav), Tonkünstler, Componist und einer der verdienstvollsten Musikgelehrten der neueren Zeit, wurde am 12. Novbr. 1817 zu Lüdenscheid, Kreis Altena (Westfalen) als Sohn des geachteten, tüchtigen Fabrikanten Friedrich N. geboren. Ursprünglich für den Kaufmannsstand bestimmt hatte er, wenn auch mit wenig Neigung, die ersten Stadien desselben durchgemacht, gab sich aber gleichzeitig mit stets wachsender Vorliebe dem Studium der Musik hin. Im J. 1838 trat er, seine Militärpflicht erfüllend, in das Gardeschützenbataillon in Berlin und benutzte auch hier jeden freien Augenblick für sein Lieblingsstudium. Er nahm Unterricht [42] in Clavier bei Ludwig Berger, in Composition bei Siegfried W. Dehn und ließ auch den Umgang mit Marx fördernd auf sich einwirken. Beim Abschluß seines Militärjahres 1839 hatte ihn die Liebe zur Musik bereits derart gefesselt, daß er, nach Hause zurückgekehrt, nach schwerem Kampfe im Elternhause, den widerwillig eingeschlagenen Beruf nicht mehr aufnahm, sondern mit Entsagung seiner einstigen Erbrechte, der Musik ausschließlich sich widmete. Fröhlichen Muthes trat er die Fahrt nach Leipzig an, zunächst beabsichtigend, einen Cursus beim Hofcapellmeister Dr. F. Schneider in Dessau zu absolviren, der ihm aber davon abrieth, da die Einrichtungen seiner Anstalt seinem Bedürfnisse nicht nach Wunsch entsprechen würden. Mendelssohn, dem er sich mit fertigen Compositionen und als Clavierspieler vorstellte, munterte ihn zu weiteren Studien auf und schrieb sogar, zur Beschwichtigung des Vaters, einen, das Talent des jungen Mannes sehr eingehend würdigenden Brief an den evangelischen Pastor Schöneberg in die Heimath. Diese Aufmunterung und der einflußreiche Verkehr mit Schumann wirkten begreiflicherweise in hohem Maße anspornend auf den Kunstjünger, dem nur Eines im Wege stand: seine weitere Militärpflicht bei den Landwehrübungen. Hier griff Mendelssohn abermals in das Geschick des besorgten Mannes ein, indem er dessen Gesuch um Enthebung von denselben mit einem höchst auszeichnenden Attest unterstützte. Trotz dieser ungewöhnlichen Fürbitte wurde sein Ansuchen als unstatthaft zurückgewiesen. Der Oberpräsident von Westfalen, v. Vincke, rieth ihm aber zugleich, sich mit seinem Gesuch und Mendelssohns Zeugniß direct an des Königs Majestät zu wenden. Dieser, für die Verhältnisse geradezu unerhörte Schritt war dennoch von überraschender Wirkung, indem N., von allen weiteren Hemmungen befreit, zum letzten Aufgebot zurückgestellt wurde. Mendelssohn’s Zeilen lauteten: „Daß Herr Gustav Nottebohm, der mit seinem schönen Talent für musikalische Composition und für Clavierspiel auch zugleich den seltensten Fleiß und ein ernstes Streben verbindet, binnen der Zeit, die er sich hier in Leipzig aufgehalten hat, in seiner Kunst wesentlich fortgeschritten ist, daß ihm ein längerer Aufenthalt hierselbst für seine fernere Ausbildung gewiß von größtem Nutzen sein würde, und daß daher in seinem Interesse, wie in dem Interesse seiner Kunst zu wünschen ist, daß ihm noch eine mehrjährige Verlängerung seines hiesigen Aufenthaltes und seiner hiesigen Studien gestattet werden möge: das bezeuge ich nach bestem Wissen und Gewissen durch meine Namensunterschrift. Leipzig den 15. März 1843. Felix Mendelssohn Bartholdy.“ Der weitere Aufenthalt in Leipzig förderte Nottebohm’s Kenntnisse namentlich auch in musiklitterarischer Beziehung, die in späteren Jahren ihre guten Früchte tragen sollten. Somit reich ausgestattet an Wissen folgte er im J. 1846 einem inneren Drang, Wien zu besuchen, das ihm zur zweiten Heimath wurde. Er machte hier zunächst bei dem ausgezeichneten Theoretiker, Hoforganist Simon Sechter, einen Curs im Contrapunkt durch und wurde bald ein geachteter, nur der soliden, gediegenen Schule folgender Lehrer in Clavierspiel und Composition. Im Jahre 1858/59 sehen wir ihn als Directionsmitglied der Gesellschaft der Musikfreunde, im J. 1863 als Archivar des neugegründeten evangelischen Chorvereins zur Hebung und Veredelung des Kirchengesanges; im J. 1864 als Bibliothekar und Archivar der vorgenannten Gesellschaft der Musikfreunde, welche Stelle er aber schon im nächstfolgenden Jahre aufgab. Von der Firma Breitkopf & Härtel im Jahre 1861 aufgefordert, sich an der vollständig kritisch durchgesehenen Ausgabe der Werke Beethovens zu betheiligen, betrat er damit ein Feld, für das er sich ganz besonders berufen zeigte. Es folgte dann seine Mitbetheiligung an der Mendelssohn’schen und 1875 an der Mozart’schen Gesammtausgabe. Auch an der von der Bach-Gesellschaft im J. 1851 unternommenen Gesammtausgabe der Bach’schen Werke hatte N. regen Antheil genommen und wurde nach dem, durch [43] zunehmende Berufsgeschäfte veranlaßten Rücktritt des hochgeschätzten W. Rust zu Anfang 1882 aufgefordert, an dessen Stelle noch eingreifender zu wirken, wozu es aber leider nicht kommen sollte. Bis dahin hatte sich N. auch durch Herausgabe der thematischen Kataloge von Beethoven, Mendelssohn und Schubert und insbesondere durch seine kritischen Aufsätze und Studien über Beethoven’s Skizzenbücher unvergängliche Verdienste erworben. Mit letzteren, welche zu den überraschendsten Resultaten führten, gewährte er zum erstenmale den lehrreichsten Einblick in das Schaffen und allmähliche Entstehen von dessen Meisterwerken. – In seinen eigenen im Druck erschienenen Compositionen, die in die frühere Periode seiner Thätigkeit fallen, spiegelt sich seine Achtung vor den Altmeistern und deren Gesetzen. Hervorgehoben zu werden verdienen hier seine vierhändigen Variationen über ein Thema von Bach, op. 17. Als öffentlich ausübender Künstler wirkte N. nur dreimal (1864–69) in den Gesellschaftsconcerten, in denen er in der Bach’schen Matthäus- und Johannespassion den Clavierpart übernahm. Sein nimmer ruhendes Schaffen erfuhr mit dem Jahre 1882 ein unerbittliches Halt. Er fing zu kränkeln an, glaubte nach ärztlichem Rath in Salzburg Erholung zu finden und besuchte dann den Badeort Gleichenberg in Steiermark. Allein es war zu spät; ein Lungenleiden hatte schon zu große Fortschritte gemacht. Nach sechswöchentlichem Aufenthalt wollte er über Graz nach Wien zurück, mußte aber in Graz, wo er bereits ganz entkräftet ankam, liegen bleiben und verschied im allgemeinen Krankenhause kurz vor Mitternacht am 29. October. Der Leiche des unvergeßlichen Musikforschers folgten, der liebevollen Vorsorge des k. k. Professors Dr. Max v. Karajan nachkommend, Mitglieder aller musikalischen Vereine mit ihren Vorständen an der Spitze. Auch Freund Brahms, der auf Wunsch des Sterbenden von Wien herbeigeeilt war und ihn noch lebend antraf, befand sich unter den Trauernden. – Auf dem Friedhofe vor dem Paulusthore ruht er nun, fern von der Heimath, das Grab durch Vorsorge einer ehemaligen Schülerin mit einem Denkstein und durch weitere Fürsorge durch grünenden Blätterschmuck gekennzeichnet. N. war eine an sich eigenartige Natur, die für Manche etwas Schroffes hatte; umsomehr überraschte Näherstehende ein gemüthlicher, selbst kindlicher Zug, den die anscheinend rauhe Schale barg. Die Kunst, sich geltend zu machen, verstand er nicht. Von sich selbst, von seinen früheren Erlebnissen sprach er nie. In seinen Lebensbedürfnissen höchst anspruchslos, lebte er nur in seiner Kunst. Seine einzige Erholung suchte er auf Reisen; und wie er in jüngeren Jahren die Thüringer Lande durchstreifte, besuchte er später im Sommer abwechselnd Steiermark, Tirol, die Schweiz, Italien, Ungarn (mit seinem Freunde Volkmann), am häufigsten aber Salzburg, die Wiege seines Mozart, den er nebst Beethoven und Bach am meisten zu verehren schien. Seine Unermüdlichkeit und philologische Gewissenhaftigkeit im Nachspüren von Quellen und Daten war erstaunlich und sein reiches Wissen kam auch so manchem Forscher auf gleichem Gebiet zugute. In allen Fragen über die Altmeister galt er als Autorität, die noch oft schwer vermißt werden wird. – Im Druck sind von N. folgende Werke erschienen: „Thematisches Verzeichniß der im Druck erschienenen Werke von L. v. Beethoven“, 2. vermehrte Auflage, zusammengestellt und mit chronologisch bibliographischen Anmerkungen versehen, Leipzig, Breitkopf & Härtel 1868; „Thematisches Verzeichniß der im Druck erschienenen Werke von Franz Schubert“, Wien, Fr. Schreiber (Spina, jetzt Cranz) 1874; „Ein Skizzenbuch von L. v. Beethoven. Beschrieben und in Auszügen dargestellt“, Leipzig, Breitkopf & Härtel 1865; „Ein Skizzenbuch Beethoven’s aus dem Jahre 1803“, Leipzig, Breitkopf & Härtel 1880; „Beethoven’s Studien. Erster Band. Beethoven’s Unterricht bei J. Haydn, Albrechtsberger und Salieri. Nach den Originalmanuscripten dargestellt“, Leipzig und Winterthur, Rieter-Biedermann 1873; „Mozartiana. [44] Von Mozart herrührende und ihn betreffende, zum großen Theil noch nicht veröffentlichte Schriftstücke. Nach aufgefundenen Handschriften herausgegeben“, Leipzig, Breitkopf & Härtel 1880; „Beethoveniana. Aufsätze und Mittheilungen“, Leipzig und Winterthur, Rieter-Biedermann 1872; „Beethoveniana. Kritische Aufsätze über Beethoven’s Werke“, Leipzig. Musikalisches Wochenblatt, Jahrgänge 1875–1879; „Ueber die Suite“, Monatsschrift für Theater und Musik, Wien, Herausgeber Klemm, 1855 und 1857; „Bach’s letzte Fuge“, Musik-Welt, herausg. von Max Goldstein, Berlin 1881. Nr. 20 und 21; „Die Bach-Gesellschaft in Leipzig“, Aufsatz in Oesterreich. Blätter für Litteratur und Kunst (Beilage zur Oester. Kais. Wiener Zeitung), 1857, Nr. 12; „Zwei unter Mozart’s Namen herausgekommene Clavierconzerte“ (Köchel’s Verzeichniß, Anhang Nr. 204 und 136), Recensionen und Mittheilungen über Theater und Musik, Wien 1865, Nr. 24; „Eine fragliche Stelle über Mozart’s Don Giovanni. Ein Wort Beethoven’s über Mozart“, Berlin, Musik-Welt 1881, Nr. 59; Vorrede zu Ambros’ Geschichte der Musik. Bd. IV (von Ambros als Fragment hinterlassen). Instrumentalwerke: „Quatuor pour le Pianoforte, Violon, Viole et Violoncello“, op. 1, Leipzig, C. F. Peters; „6 Romanesques pour Piano“, op. 2, Leipzig, Peters; „Rondeau in A pour Piano“, op. 3, dito; „Premier Trio pour Piano, Violon et Vclle dedié à Mons. J. W. Kalliwoda“, op. 4, dito; „6 Charakter- und Phantasiestücke für Clavier“, op. 6, Wien, Haslinger; „Fliegende Blätter, 6 Tonstücke für Clavier“, op. 10, Wien, Spina; „Trois caprices pour Piano“, op. 11, dito; „Zwei lyrische Tonstücke für Clavier“, op. 13, dito; „La Séréna, Impromptu“, op. 14, dito; „La contemplative, pour Piano“, dito; „Ballade, pour Piano“, op. 16, Leipzig, Peters; „Variationen über ein Thema von J. S. Bach, zu vier Händen“, op. 17, Leipzig, Breitkopf & Härtel. – Ungedruckt sind geblieben: Ein vierstimmiges „Salve Regina“ (aufgeführt 1875 von der Wiener Singakademie); zwei Streichquartette (aufgeführt 1858 und 1859 vom Quartett Hellmesberger); „Andante und Rondo capriccioso für Clavier mit Orchesterbegleitung“, Partitur (circa 1842); „Clavierconcert mit Orchesterbegleitung“, Partitur (1842).