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Artikel „Sechter, Simon“ von Eusebius Mandyczewski in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 33 (1891), S. 511–512, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Sechter,_Simon&oldid=- (Version vom 29. März 2024, 06:30 Uhr UTC)
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Sechter: Simon S., geboren am 11. October 1788 zu Friedberg in Böhmen, † am 12. September 1867 zu Wien, war einer der berühmtesten Musiktheoretiker des 19. Jahrhunderts. Er entstammte einer zahlreichen Faßbinderfamilie, in welcher die Musik so gut wie unbekannt war. Lesen und Schreiben lernte er von seinem älteren Bruder Bartholomäus, und besuchte später die damals einclassige Pfarrschule seiner Vaterstadt, in welcher er der Schüler J. N. Maxandt’s war. Dieser Mann genoß in der Umgebung einen ausgedehnten Ruf als Musiklehrer, und zahlreiche Zöglinge, die sich später selbst dem Lehrfache widmeten, waren in der Musik seine Schüler. Bei ihm lernte S. die Anfangsgründe der musikalischen Theorie kennen, und erwarb sich einige Kenntnisse in der Behandlung der Stimme, der Geige, der Flöte und des Claviers. Da Maxandt sehr viele Schüler hatte, gab es keinen sehr ordentlichen Unterricht, und jeder der Lernenden war mehr auf seinen eigenen Fleiß angewiesen. S. studirte anfangs mit Widerwillen, nach und nach aber wuchs seine Lust zur Musik mächtig an. Noch in Friedberg entstanden seine ersten Compositionen; sie waren für die dortige Kirche bestimmt, an welcher Maxandt Regenschori war. Kaum herangewachsen mußte S. bald an einen Erwerb denken. In seinem 14. Lebensjahre wurde er Schulgehilfe zu Pfarrkirchen in Oberösterreich, wo er hauptsächlich Organistendienste zu leisten hatte. Hier fand er bei dem Schulmeister Stegmann einen ziemlich großen Vorrath an Musikalien, deren Studium er sich ergab. Nach einem abermaligen Aufenthalte im Elternhause, wo er sich ohne jede Anleitung auf dem Contrabaß einübte, kam er 1803 nach Linz, um sich durch den Besuch der Normalschule zur Präparandenprüfung, und dadurch zum Lehrstande vorzubereiten. In diesen trat er aber nicht mehr ein. 1804 machte er die Bekanntschaft des fürstl. Starhemberg’schen Güterdirectors Hofrath Kowarz, der ihn als Correpetitor für seine Kinder nach Wien nahm. Einige Ausflüge nach Linz und seiner Heimath abgerechnet, hat S. von dieser Zeit an beständig in Wien gelebt. In dem regen Musikleben dieser Stadt vervollständigte er seine litterarischen und theoretischen Kenntnisse meist durch eigenes Studium und erhielt durch Kozeluch die höhere Ausbildung im Clavierspiel. Um 1809 lernte er den berühmten Contrabassisten Dragonetti kennen, zu dessen Concerten er die Clavierbegleitung setzte. 1810 wurde er Clavier- und Gesanglehrer im Blindeninstitut; sein Honorar war hier eine tägliche Einladung zum Mittagessen. Für die Zöglinge dieser Anstalt componirte er zahlreiche ein- und zweistimmige Lieder und eine Messe. Nach drei Jahren hatte er seine Schüler so weit gebracht, daß er mit ihnen ein Concert geben konnte, in welchem er ein Septett und „Die Glocke“ von Schiller, beides von eigener Composition, zur Aufführung bringen konnte. [512] Ein ähnliches Concert fand im November 1815 statt, und die adelige Damengesellschaft übergab nun dem Lehrer ein Ehrengeschenk von 100 Gulden und wies ihm einen monatlichen Gehalt an. In demselben Institute lernte S. Katharina Heckmann kennen, die er 1816 heirathete. Mehrere seiner Messen wurden damals in der kaiserlichen Hofcapelle, andere Compositionen, darunter ein Requiem, in den Concerts spirituels zur Aufführung gebracht. Sein Ruf als Lehrer der musikalischen Theorie wuchs von Jahr zu Jahr. Er erreichte seinen Höhepunkt, als S. 1824 zum Hoforganisten ernannt wurde. In dieser Stellung fand S. die Muße, seine theoretischen Anschauungen in ein System zu bringen, welches in seinem Hauptwerke „Die Grundsätze der musikalischen Composition“ (Leipzig 1853–54) niedergelegt ist. 1850 erhielt er die Stelle eines Professors der Compositionslehre am Wiener Conservatorium, die er bis zu seinem Tode inne hatte. S. war ein ungemein fleißiger und bescheidener Mann. Eigentliches Compositionstalent hatte er nicht. Seine zahlreichen Werke entspringen alle der musikalischen Reflexion, nicht der Empfindung. Daher sind sie längst verschollen. Ihm war das Mechanische der Kunst die Hauptsache. In seinen letzten Jahren hatte er sich die Aufgabe gestellt, täglich eine Fuge zu schreiben. Die Themen dazu erfand er meist auf eine wunderliche, fast kindische Art, indem er irgend einen beliebigen Satz, einem Gespräche oder einer Lectüre entnommen, nothdürftig in Musik setzte. Daß diese Fugen noch steifer wurden, als ihre Themen, ist selbstverständlich. Unter Sechter’s kleineren Werken nehmen die Fugen und Präludien den größten Raum ein; sie zählen nach Tausenden. An größeren Werken schrieb er u. a. 13 Messen, zahlreiche Psalmen, mehrere Sonaten und Variationenwerke, 2 Oratorien: „Sodoma’s Untergang“ und „Die Offenbarung Johannis“ und die komische Oper „Ali Hitsch-Hatsch“, welche 1844 im Josephstädter Theater aufgeführt wurde. 91 seiner Werke wurden durch den Druck veröffentlicht; alle übrigen sind Manuscript geblieben und werden zum Theil in der kaiserlichen Hofbibliothek, zum Theil im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien aufbewahrt. Zu diesen zählen auch die theoretischen Abhandlungen „Ueber die musikalisch akustischen Tonverhältnisse“ und „Vom Canon“. Eine große Anzahl von Aphorismen und allerhand Gedanken über Kunst, Kunstlehre und Künstler erschienen zu Sechter’s Lebzeiten in der „Allg. Wiener Musikzeitung“. Einige Jahre vor seinem Tode ließ der schwache Greis seine Gutmüthigkeit mißbrauchen und gerieth in drückende Verhältnisse, so daß er in großer Armuth starb. Unter seinen Schülern werden genannt: Gottfried Preyer, die Fürsten Georg und Constantin Czartoryski, Fedrigotti, Theodor Döhler, Gustav Nottebohm, Anton Bruckner, C. F. Pohl, Otto Bach, Rufinatscha, Derffl, Karl Filtsch, Hoven, Selmar Bagge, Leopold und Rudolf Bibl, Julius Benoni, Eugenio Galli, Henri Vieuxtemps, Ernst Pauer, Sigmund Thalberg, Franz Grillparzer.

C. F. Pohl, Simon Sechter, im Jahresbericht des Wiener Conservatoriums 1868. – J. K. Markus, Simon Sechter, ein biographisches Denkmal. Wien 1888.