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Artikel „Beethoven, Ludwig van“ von Arrey von Dommer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 2 (1875), S. 251–268, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Beethoven,_Ludwig_van&oldid=- (Version vom 23. November 2024, 10:23 Uhr UTC)
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Beethoven: Ludwig van B., der große Tondichter, geb. zu Bonn 17. (16.) Dec. 1770, gest. zu Wien 26. Mai[1] 1827. Seine Abstammung geht auf eine Familie van Beethoven zurück, welche anfangs des 17. Jahrhunderts in einem belgischen Dorfe bei Löwen sich aufhielt. Sein Großvater, Ludwig, geb. 1712 zu Antwerpen, kam 1732 nach Bonn, wo er Vocalist, Hofmusikus, endlich Hofcapellmeister wurde und 24. Dec. 1773 starb. Ein Sohn desselben, Johann, geb. zu. Bonn 1740, war daselbst Tenorist und Accessist bei der Hofmusik, verheirathete sich 12. Nov. 1767 mit der Wittwe Laym geb. Kewerich, und der zweite Sprößling aus dieser Ehe war unser Ludwig van B., getauft Bonn 17. Dec. 1770, also wahrscheinlich 16. Dec. geb., da in Bonn den Kindern am Tage nach der Geburt die Taufe gereicht zu werden pflegte. B. selbst hielt noch in späterer Zeit das J. 1772 fälschlich für sein Geburtsjahr. Nach ihm werden noch zwei Brüder geboren: Kaspar Anton Karl, 8. April 1774 und Nicolaus Johann, 2. Oct. 1776. Karl war anfangs Musiker und Musiklehrer, Johann wurde Apotheker.

Beethoven’s Kindheit verfloß ziemlich freudlos. Er war von Natur scheu und in sich gekehrt, und soll an den Spielen der Altersgenossen keinen Antheil genommen haben; die Familie lebte in Dürftigkeit, der geistig und sittlich auf niederer Stufe stehende Vater behandelte ihn hart. Von Schulkenntnissen wurde ihm nicht mehr zutheil als Lesen, Schreiben, Rechnen und etwas Latein, erst später erweiterte sich seine allgemeine Bildung. Zur Musik aber trieb ihn der [252] Vater mit größter Strenge, in der Absicht, das sehr früh offenbarende Genie des Knaben möglichst schnell für sich fruchtbar zu machen. Der ersten, wahrscheinlich sehr regellosen, Musikunterricht ertheilte er ihm selbst; Beethoven’s zweiter Lehrer war der Tenorist und gute Clavierspieler Tob. Friedr. Pfeiffer, zugleich unterwies ihn der alte Hoforganist van den Eeden auf der Orgel. Systematisch geordnete Studien in Generalbaß, Composition und Orgelspiel begannen aber erst unter Christ. Gottlob Neefe, einem gründlichen Musiker aus der Leipziger Schule, der 1779 nach Bonn kam um van den Eeden’s Nachfolger zu werden. B. mag über diesen strengen Meister und Kritiker seiner jugendlichen Leistungen oft genug sich beklagt haben, jedenfalls aber machte er unter ihm solche Fortschritte, daß er bereits 1782 sein Adjunct im Organistendienste und Cembalist in der kurfürstlichen Capelle wurde, im Frühjahre 1784 aber feste Anstellung als zweiter Hoforganist mit 150 Gulden Gehalt empfing. Daneben trieb er das Violinspiel bei dem wackern Musikdirector Franz Ries, dem Vater seines nachmaligen Schülers Ferdinand; auch traten bereits einige Compositionsversuche von ihm ans Licht: Verschiedenes in Boßler’s „Blumenlese“; 1782 „Variantionen über einen Marsch von Dreßler“; 1783 die drei dem Kurfürsten Maximilian Friedrich gewidmeten Sonaten. Mit 16 Jahren hatte er schon so sichere Proben außerordentlicher Begabung abgelegt, daß Neefe schreiben konnte: „dieses junge genie verdiente Unterstützung, um reifen zu können“. Letztere fand sich auch und B. konnte 1787, wahrscheinlich gleich nach Ostern, eine Reise nach Wien zu Mozart antreten. Doch weiß man von seinem dortigen Verhältniß zu diesem Meister nichts weiter als was Ferd. Ries erzählt, nämlich daß er „einigen Unterricht von Mozart erhalten, dieser ihm aber nie vorgespielt habe“. Die ganze Reise dauerte auch kaum ein Vierteljahr, denn 17. Juli 1787 starb Beethoven’s Mutter, die er sehr geliebt hatte, und noch vor ihrem Todestage war er wieder in Bonn.

Wiewol nun nach dem Tode der Mutter seine häuslichen Verhältnisse sich noch verschlimmerten und sein Vater immer tiefer sank, so daß der siebzehnjährige Jüngling als Familienhaupt aufzutreten Veranlassung hatte, begann doch im Uebrigen sein Leben freundlicher und reicher sich zu gestalten. Besonders unter dem Einflusse der vortrefflichen Familie von Breuning, bestehend aus der Wittwe des verstorbenen Hofrathes und vier Kindern, von denen namentlich der zweite Sohn, Stephan, Beethoven’s treuer und bis zu dessen Tode von ihm unzertrennlicher Freund wurde. In dieser Familie herrschte, wie Wegeler erzählt, bei allem jugendlichen Muthwillen, ein ungezwungener gebildeter Ton und eine Nützliches in angenehmer Form darbietende Unterhaltung. Alles wirkte zusammen um Beethoven, der aus einem Clavierlehrer bald ein Kind des Hauses geworden war, heiterer zu stimmen, und seinen Geist zu entwickeln. Hier machte er seine erste Bekanntschaft mit Litteratur und Dichtung, und während seine periodischen Ausbrüche munterer und übermüthiger Laune gerne gelitten wurden, besaß doch die Mutter von Breuning zugleich die größte Gewalt über den oft störrischen und unfreundlichen Jüngling. Auch an dem Deutsch-Ordensritter Grafen Waldstein gewann B. einen warmen Freund und einflußreichen Beschützer. Eine tüchtige Schule in der Musikpraxis wurde für ihn das anfangs 1789 eröffnete und gut ausgestattete Bonner Nationaltheater. Unter Künstlern wie Joseph und Anton Reicha, Neefe, Andreas und Bernhard Romberg, saß er bis zu seiner Uebersiedlung nach Wien in der Capelle als Bratschist, und hatte während dieser drei Jahre sonach die beste Gelegenheit, das Orchester genau kennen zu lernen, sowie durch das Studium der Opern von Mozart, Benda, Dittersdorf, Umlauf, Schuster, Salieri, Paisiello und anderen, seine Kenntnisse zu bereichern und seinen Geschmack zu bilden. Eine heitere Episode war die [253] Fahrt der ganzen Truppe zum Ordensfeste nach Mergentheim im Herbst 1791, gelegentlich welcher Beethoven in Aschaffenburg mit dem großen Clavierspieler Sterkel einen freundschaftlichen Zweikampf mit Glück bestand. Als Haydn 1792 aus England zurückkehrend Bonn berührte, ließ er auch B., der ihm eine Cantate vorzulegen Gelegenheit fand, Beachtung und Aufmunterung zutheil werden, und wahrscheinlich wurden auch jetzt schon weitere Verabredungen getroffen, denen entsprechend B. noch im November desselben Jahres 1792, vom Kurfürsten unterstützt, nach Wien zog und Haydn’s Schüler wurde. Seine Vaterstadt Bonn hat er nicht wiedergesehen.

Seine Studien bei Haydn begannen sehr bald, nachdem er in Wien eingetroffen war und dauerten bis Ende 1793. Ob er, seiner bekannten Aeußerung gemäß, durch Haydn’s Unterricht wirklich nie etwas gelernt hat, mag dahingestellt bleiben; viel aber wird es thatsächlich nicht gewesen sein, schon weil Haydn anderweitig zu sehr beschäftigt war, um seinem Schüler die nöthige Aufmerksamkeit zuzuwenden; Böswilligkeit hat ihn schwerlich veranlaßt, die Arbeiten desselben nachlässig zu corrigiren. Doch fand B., während er die Stunden bei Haydn weiter besuchte, zugleich einen pflichtgetreuen Corrector in Johann Schenk, dem nachmaligen Componisten des „Dorfbarbiers“, Januar 1794 aber kam er zu Albrechtsberger. Den auf einfachen und doppelten Contrapunkt, Nachahmung, Kanon und Fuge in strenger und freier Schreibart sich erstreckenden Unterricht dieses gediegenen und für den ersten damaligen Contrapunktlehrer von ganz Deutschland geltenden Mannes, mag er etwa anderthalb Jahre genossen haben. Daneben gab ihm Salieri Anweisungen für den dramatischen Gesang, auch nahm er später bei Wenzel Krumpholz sein Violinspiel weiter auf; doch hat er etwas Hervorragendes niemals darin geleistet, seine nachmalige Schwerhörigkeit nöthigte ihn auch bald die Violine ganz beiseite zu legen. Im Ganzen scheint er ein guter und eifriger Schüler gewesen zu sein, wiewol man dem Berichte, daß er oft eigensinnig und selbstwollend sich gezeigt habe, Glaube schenken darf. In dem 22jährigen Jünglinge wohnte ein Geist von außerordentlicher Selbständigkeit, und seine Individualität war bereits scharf und fest ausgeprägt. Dazu besaß er den dem Genie oft eigenen sicheren Glauben an sich selbst und seine eigenen geistigen Hülfsmittel; und wie er später wirklich seine Kunst auf bis dahin noch nicht betretenen Wegen weiterführte, so ist wol denkbar, daß er auch schon als Schüler mehr durch eigene Erfahrung hat prüfen, als auf guten Glauben hat hinnehmen wollen. Daß er nichtsdestoweniger von Anderen zu lernen begierig war und durch seinen Kunstinstikt zu den richtigen Quellen geführt wurde, beweist der Eifer mit welchem er vorzugsweise Händel, Bach, Mozart und Haydn studirte. Auch Cherubini schätzte er sehr hoch. Aus ihren Meisterwerken hat er mehr gelernt als er von irgend einem Lehrer hätte lernen können, und seine Unzufriedenheit mit Haydn’s Unterricht verhinderte ihn doch keineswegs, aus dessen Werken zu schöpfen was seinen Zwecken entsprach. Und das war so viel, daß man behaupten darf, er habe in der Instrumentalmusik weit unmittelbarer auf Haydn fortgebaut als auf Mozart. Daß Haydn, wenn B. von ihm sprach, selten ohne einige Seitenhiebe weggekommen sein soll, beweist nur, daß B. eine durch verschiedene Hergänge veranlaßte Gereiztheit gegen ihn nie ganz hat unterdrücken können, auch wenn sie äußerlich gute Freunde blieben.

Jedenfalls war es ein Glück für B., aus Bonn heraus und nach Wien gekommen zu sein; denn die dortigen Verhältnisse wären seinem so groß gearteten und universell angelegten Geiste bald zu eng geworden. In Wien hingegen fand er sowol in künstlerischer wie in geselliger Beziehung ein unvergleichlich größeres und reicheres Leben vor und Raum genug für Ausbreitung und Wachsthum seines Genius. Es lebten daselbst eine Reihe ausgezeichnter und tüchtiger [254] Musiker, neben Haydn, Salieri, Albrechtsberger und Schenk unter Andern noch Weigl, Eybler, Förster, Umlauf, Süßmayr, Wranitzky, Gassmann, Eberl u. a.; auch war der musikalische Verkehr nach auswärts ziemlich lebhaft, und tüchtige Künstler kamen immer einmal nach Wien. Außerdem concentrirte sich die Kunstliebe der ganzen Kaiserstadt vorzugsweise auf Musik, und besonders erfreute sich die durch Haydn zu großem Glanze geförderte Instrumentalmusik einer weit verbreiteten Pflege. Die Kaiserfamilie, in welcher die Musikliebe erblich war, ging mit gutem Beispiele voran, ihr folgten der Adel und das reiche gebildete Bürgerthum. Viele Große hatten ihre Privatorchester oder Kammermusiken, kauften oder bestellten neue Compositionen bei den Musikern, denen sich zugleich in den zahlreichen Privatconcerten eine reichlich fließende Erwerbsquelle darbot. Durch ihre näheren oder ferneren Beziehungen zu Beethoven bekannt sind die Namen des Erzherzogs Rudolf, seines nachmaligen Schülers und stets treuen Verehrers; der Fürsten Karl Lichnowsky, Lobkowitz, Kinsky, Esterhazy, Liechtenstein, Schwarzenberg, Rasoumoffsky, Auersperg; der Grafen Moritz Lichnowsky, Brunswick, Appony, Browne, Batthyany, Erdödy, Haugwitz, Fries, Gräfinnen Guicciardi, Hatzfeld, Thun; der Barone von Swieten, Braun, von Kees, Gleichenstein, des Herrn Zmeskall von Domanowecz, Fräulein Martinez und anderer. In der ersten Zeit seines Wiener Aufenthaltes mußte B. sich spärlich behelfen, aber sein Talent blieb nicht lange verborgen; denn wiewol als Componist erst im Werden, war er doch bereits der große und namentlich in der freien Phantasie ausgezeichneter Clavierspieler. Alsbald stand er mitten im Leben des vornehmen Gesellschaft, die angesehensten Personen öffneten ihm ihre Häuser, und mit manchen knüpften sich dauernde Verhältnisse. Beim Fürsten Karl Lichnowsky, wo er auch den 35 Jahre lang in enger Freundschaft ihm verbunden gebliebenen Herrn von Zmeskall kennen lernte, wohnte er sogar mehrere Jahre. In diesen Häusern, besonders bei Lichnowsky, van Swieten, Lobkowitz etc. wurden seine neuen Compositionen ausgeführt und beurtheilt, er spielte in ihren Cirkeln und kam dort mit den besten Wiener und auswärtigen Künstlern zusammen. Verschiedene Privatorchester waren stets zu seiner Disposition, ebenso das berühmte Schuppanzigh’sche Quartett, bestehend aus Schuppanzigh, Sina (später Holz), Weiß (später Kaufmann) und Kraft (Vater und Sohn, abwechselnd mit Linke). Seine Beziehungen zu diesem Quartett wurden besonders nahe und die Einwirkungen gegenseitig: es wuchs unter seinem Einflusse und hat ihm vorzugsweise seine Vortrefflichkeit und Berühmtheit zu danken; aber unschätzbar waren wiederum für B. die Studien im Vortrage und in den Wirkungen der Kammermusik, welche er an so tüchtigen Quartettisten zu machen Gelegenheit hatte. Auch persönlich war er wohl gelitten; wiewol er in die Formen der feinen Gesellschaft eigentlich niemals sich hat hineinfinden können, sondern seiner heiteren oder mißmuthigen Laune ziemlich oft und schrankenlos freien Lauf ließ, erkannte man doch überall sehr bald seine edle, von hohem sittlichen Ernste und reinster Idealität durchdrungene Natur, übersah deshalb die Verstöße gegen den guten Umgangston, wozu augenblickliche Stimmung und leicht erregbare Heftigkeit ihn nicht selten hinrissen.

Oeffentlich trat B. als Clavierspieler und Componist in Wien zum ersten Male am 29. März 1795 auf, und zwar mit seinem (sechs Jahre später als op. 15 erschienenen) C-dur-Concert. Und am 19. Mai desselben Jahres (1795) schloß er über die drei als op. 1 gedruckten Trio’s mit Artaria einen Contract ab, die Subscription trug 250 Exemplare. Damit war auch, wiewol die allgemeine Anerkennung ihm nicht sogleich über Nacht zutheil wurde, sondern ganz naturgemäß erst von ihm errungen werden mußte, doch seine Bedeutung als Componist entschieden. „Das ist der Mann, der uns über den Verlust Mozart’s [255] trösten wird“, rief J. B. Cramer aus, als er jene Trio’s kennen lernte. Reisen nach Prag und Berlin (1796), wo er mit Beifall sich hören ließ, halfen seinen Ruf ausbreiten, Aufträge von Verlegern stellten sich ein, und infolge dessen besserte sich auch Beethoven’s pecuniäre Lage so schnell, daß er, ungeachtet seiner stets sehr mangelhaften Oekonomie, doch bald ausreichend zu leben hatte und sogar manchen Luxus treiben konnte. Im J. 1800 setzte Lichnowsky ihm noch einen Jahrgehalt von 600 Gulden aus für so lange, bis er eine ihn dauernd sichernde Stellung haben würde. Sein Unterricht war stark begehrt, doch er sein Leben lang nur selten bereitwillig zu regelmäßigem Stundengeben; zum Compositionsunterricht ließ er sich auch später gar nicht herbei, sondern gab höchstens Fingerzeige für den einzuschlagenden Lehrgang und empfahl andere Lehrer. Im Clavierspiele hat er zwar viele Schüler gehabt, doch nur zwei wirklich als solche anerkannt wissen wollen: Ferdinand Ries, der 1800 zu ihm nach Wien kam; und den Erzherzog Rudolf, nachmaligen Erzbischof von Olmütz. Ries erzählt, B. sei bei den ihm ertheilten Lectionen, so zu sagen gegen seine Natur, auffallend geduldig und nur dann aufgebracht gewesen, wenn Ries am Ausdruck oder Charakter des Stückes etwas habe fehlen lassen, weil dies Mangel an Kenntniß oder richtigem Gefühl verrathe; während er Verfehlen einzelner Noten oder Sprünge, als Sache des Zufalls, weniger beachtete. Letzteres soll B. selbst häufig passirt sein, sogar wenn er öffentlich sich hören ließ.

Aber es gab, seit Mozart dahingegangen, doch keinen größeren Clavierspieler. Beethoven’s Anschlag war zwar durch die Orgel etwas hart und schwer geworden, aber sobald er in Feuer gerieth, überwand er alle mechanischen Hindernisse, und war des zartesten Ausdrucks ebensowol fähig wie der größten Kraft. Wie leicht er sich dabei in die von der seinigen ganz abweichende Manier anderer Claviermeister hineinversetzen konnte, bezeugt die Begegnung mit Sterkel in Aschaffenburg, dessen höchst leichte, gefällige und damit etwas damenhafte Spielart sofort nachzuahmen, B. keine Schwierigkeit verursachte. Von allen lebenden Clavierspielern konnte sich keiner mit ihm messen, besonders wenn er zum Improvisiren kam; Joseph Wölffl hatte zu Wien zwar auch eine große Partei für sich, doch wie es scheint mehr die Freunde vollendeter Virtuosität. B. selbst soll nur Einen als wirklich vollkommenen Spieler anerkannt haben, den durch Fertigkeit und Geschmack gleich ausgezeichneten J. B. Cramer; aber auch diesem war er an Energie und Schwungkraft weit überlegen. Namentlich der hinreißenden Gestalt seiner Improvisation hat nicht leicht jemand widerstehen können, das bestätigen viele aus seinen Biographien bekannte Erzählungen; Cramer sagte, man hätte nicht frei Phantasieren gehört, wenn man Beethoven nicht gehört hätte. Eine unglaubliche Fülle der herrlichsten, neuesten und tiefsinnigsten Ideen soll ihm unaufhaltsam entströmt sein, und er konnte sein Spiel stundenlang fortsetzen ohne Spuren geistiger oder körperlicher Anstrengung zu verrathen, wobei er oft sich selbst und seine ganze Umgebung vergaß. Doch ließ er sich nicht gerne, und freiwillig nur selten, zum Vortrag fertiger Compositionen oder zur Improvisation vor Zuhörern herbei, sondern mußte oft erst durch allerhand Kunstgriffe dazu angestachelt werden; nie aber soll er besser gespielt haben als wenn er gereizt war. Später, als er sich immer mehr in die Composition vertiefte, zugleich auch seine Schwerhörigkeit zunahm, verlor er an Technik, und seine Abneigung gegen alles Vorspielen wuchs immer mehr, bis er sich gar nicht mehr darauf einließ.

Mit Ende des verflossenen Jahrhunderts hatte B. schon eine Reihe zum Theil namhafter Tonwerke verfaßt, von denen manche erst unter späteren Opuszahlen erschienen sind. Außer der genannten Trio’s Op. 1 gehören darunter zahlreiche Hefte Variationen, Lieder, Tänze etc.; dann die Sonaten Op. 2 [256] (1796), Op. 7 (1797), Op. 10 (1798), Op. 13 (Pathétique, 1799), Op. 14 (1799); ferner die Adelaide Op. 46 (comp. 1796), die Quintette Op. 4 und 16 (1797), die Scene und Arie Ah perfido Op. 65 (1796), die zwei Sonaten für Clavier und Violoncello Op. 5 (1796 am Berliner Hofe gespielt), die drei Sonaten für Clavier und Violine Op. 12 (1799), das B-dur-Concert Op. 19 (1798), das Sextett Op. 20 (am 2. April 1800 aufgeführt). Auch das Oratorium „Christus am Oelberge“ mag zum Theil schon 1799 entstanden sein. So war er auch als Componist in voller Fahrt begriffen. Schon aus seinen früheren Werken las Jedermann heraus, daß er auf eine bloße Nachahmung irgend eines seiner Vorgänger sich nicht beschränken werde, so viele Spuren eifrigen Studiums Haydn’s und Mozart’s darin (und auch in späteren Werken noch) immerhin sich vorfinden. Daß in dem jungen Genie ein eigener Geist walte, war nicht zu verkennen, ob er aber die Kunst fördern oder auf Abwege führen werde, getrauten sich bis dahin doch erst die Wenigsten zu entscheiden. Man konnte sich schwer darein finden, daß der Höhe, auf welcher nur Haydn und Mozart Platz zu haben schienen, noch ein Dritter zustrebe, und noch dazu auf bis dahin ganz unbetretenen Pfaden. Die Wiener Musikfreunde gelangten schneller als Entferntere zu einem richtigen Urtheil über ihn, da sie leichter ein Gesammtbild seiner künstlerischen Erscheinung gewinnen konnten. Er war daher in Wien schon hoch angesehen, als unter anderen das wichtigste Organ der damaligen Musikpresse, die Leipziger Allgem. Musik.-Ztg., in ihrem 1. Bande noch sehr bedenkliche Ansichten über seine Productionen äußerte. Aber auch diese berichtigten sich bald, schon im 2. Bande lauten die Beurtheilungen ganz anders, und sind von da an voll gerechter und oft bewundernder Anerkennung. Im 6. Bande erschien bereits ein Portrait Beethoven’s.

Seit 1795 war er auch wieder mit seinen beiden Brüdern, die ihm nach Wien gefolgt waren, vereinigt; Karl fand durch Musikunterricht sein Auskommen, trat aber später in den österreichischen Staatsdienst als Kassenbeamter; auch Johann brachte es bald zu einiger Wohlhabenheit. Ihr Verhältniß zu B., welches sogleich hier näher berührt werden möge, ist augenscheinlich meist mit zu dunkelen Farben gemalt worden. Es mag sein, daß sie, und besonders Johann, manchmal brutal gegen ihn sich betragen und ihn zu beherrschen versucht haben; immerhin aber war wenigstens Karl ihm nützlich als eine Art Geschäftsführer, auch wenn er eine lächerliche Eitelkeit dabei zur Schau trug. Eines solchen Gehülfen war B. in der That sehr benöthigt; da er kaum die Geldsorten gekannt haben soll und vor geschäftlichen Angelegenheiten eine ungemeine Scheu hatte (wiewol er unter Umständen seinen Vortheil ganz gut wahrzunehmen verstand), konnte es ihm nur willkommen sein, wenn sein Bruder Karl die Geschäftscorrespondenz und Honorarangelegenheiten mit den Musikhändlern ihm abnahm. Daß dabei auch Kleinigkeiten, welche B. niemals herauszugeben beabsichtigt, durch seine Brüder heimlich in die Welt gekommen seien, wie erzählt wird, ist wenigstens zum Theil falsch, zum Theil nicht erwiesen. Jedenfalls hat auch B. seine Brüder, wenngleich er oft und mit Recht über sie aufgebracht gewesen ist, doch niemals so tief gehaßt; in seinem Testamente von 1802 dankt er Karl offen für seine in letzter Zeit ihm bewiesene Anhänglichkeit, und als letzterer 1815 starb, nahm er sich des von ihm hinterlassenen Sohnes mit größter Opferbereitwilligkeit und Güte an, wiewol er durch die schlechte Mutter desselben in einen jahrelangen und ihn heftig aufregenden Proceß verwickelt wurde, auch an dem Neffen, trotz aller ihm gespendeten Liebe, weit mehr Kummer als Freude erlebte.

Das Jahrhundert aber sollte nicht scheiden, ohne in B., mitten in der glücklichen Periode frischester Thatkraft und noch hoffnungsreicheren Strebens, die [257] Vorahnung eines bedrohlichen Schicksals zu erwecken. Schon 1793 hatten sich bei ihm die esten Spuren von Gehörleiden gezeigt. Anfangs scheint er selbst der Gefahr noch nicht deutlich sich bewußt gesewen zu sein; aber schon in Briefen an Wegeler vom J. 1801 spricht er umständlich von den, Anderen zwar kaum erst merklichen, ihm selbst schon schmerzlich fühlbaren Störungen seines Gehörvermögens, und von den vergeblich dagegen angewendeten Mitteln. Diese stets wachsenden und endlich in völlige Taubheit übergehenden Störungen wurden ihm eine Quelle der tiefsten Seelenleiden. Schon von Natur mehr in sich gekehrt und zum Denken und Beobachten mehr als zur Mittheilung geneigt, wurde er durch sie allmählich immer verschlossener und mißtrauischer im Umgange, so daß er späterhin, als die Reihen seiner alten Freunde nach und nach sich lichteten, immer mehr vereinsamte. In sein Schicksal ruhig sich zu ergeben, war bei seinem leidenschaftlichen Charakter nicht gerade seine Sache, aber wahrhaft groß und heroisch ist sein Kampf dagegen. Unterlag er auch in Momenten schwerster Bekümmerniß, so streckte er doch nie die Waffen, welche sein Genius ihm dargereicht, sondern schwang sich in rastloser und immer steigender und sich vertiefender Production als glorreicher Sieger über alle Erdenleiden hinaus. Wie schwer aber jenes Ringen mit den Zufälligkeiten des Lebens schon zu Beginn unseres Jahrhunderts ihm wurde, sehen wir am besten aus dem bekannten Testamente an seine Brüder, datirt Heiligenstadt 6. Oct. 1802. Jede Zeile desselben athmet die düsterste Schwermuth, legt aber auch Zeugniß ab für seine Gefühlstiefe und ehrfurchtgebietende Seelengröße. Ueberhaupt geben, nächst seiner Musik, die von ihm hinterlassenen Schriftstücke die besten Aufschlüsse über viele seiner Charakterzüge. Sein reiches und tiefes Phantasieleben fand zwar nur selten anders einen vollen, erledigenden Ausdruck als durch Musik, wie auch das Vermögen, seinen Gedanken sprachlich gewandtere Formen zu geben, überhaupt stets unentwickelt bei ihm geblieben ist. Dennoch durchbrachen manchmal die Fülle und Stärke seiner Ideen und Gefühle die sprachlichen Schranken, und ergossen sich dann in einem oft zwar hastigen und verworrenen, doch hinreißenden Strome von Beredtsamkeit. Seine oft maßlose Heftigkeit verleitete ihn nicht selten zu ungerechtem Verfahren selbst gegen seine erprobtesten Freunde, wie auch sein starkes Selbstgefühl, wenn es sich verletzt glaubte, ihn manchmal die Grenzen des gesellschaftlichen Anstandes überschreiten ließ. Meist aber war er eben so leicht wieder versöhnt, sobald sein Zorn verraucht war, was gewöhnlich bald geschah, und dann suchte er begangenes Unrecht ebenso offen und freimüthig wieder gut zu machen. Manche seiner augenblicklichen Härten entsprangen aus seinem, im gerechtfertigten Bewußtsein des eigenen Werthes und in hoher sittlicher Kraft wurzelnden Drange nach persönlicher Freiheit und Selbstbestimmung. Während ehedem wackere Künstler von hohen Gönnern halb als Hausofficianten behandelt wurden, und stets auf dem Sprunge standen unterthänigst aufzuwarten, behauptete sich B. unter den Großen doch als der Größere, was er sie freilich manchmal nicht allzu zart empfinden ließ. Doch hob er durch sein Verhalten nicht nur das Bewußtsein der Menschenwürde in den Künstlern und ihre gesellschaftliche Stellung den Vornehmen gegenüber, sondern mittelbar dadurch auch das Ansehen der Kunst selbst. Mildernd und versöhnend wirkte dabei seine stark hervorstechende Neigung zu kräftigem naturwüchsigem Scherz und Humor, welcher er gerne freien Lauf ließ, und die ihm, auch als wackerer Kampfgenosse gegen die Dämonen der Schwermuth getreulich zur Seite blieb. Auch seine Freude an der schönen Natur gewährt einen Einblick in sein Gemüthsleben. Den Sommer verbrachte er meist in einer der um Wien gelegenen anmuthigen Ortschaften (Hetzendorf und Schönbrunn, Heiligenstadt, Döbling, Baden) und von seinen oft weiten Fußwanderungen durch Feld und Wald kam [258] er gewöhnlich mit reichem Stoffe für seine Werke nach Hause. Den Christus am Oelberge und den Fidelio hat er im Schönbrunner Park zwischen zwei Eichenstämmen sitzend geschrieben. Ueberhaupt braucht kaum noch wiederholt zu werden, daß sein edler menschlicher Gehalt und seine hohe sittliche Reinheit durch die rauhe Hülle seiner äußeren Erscheinung stark hindurchgeleuchtet haben müssen; denn sonst wären sowol seine zahlreichen und zum Theil vieljährigen und innigen Freundschaften, als auch seine Liebesverhältnisse mit Frauen von edelster Art, wovon seine Zeitgenossen uns so viel erzählen, unglaublich.

Die Jahre von 1800 bis etwa 1812/13, also bis zur A-dur- und F-dur-Symphonie enschließlich, bezeichnen in Beethoven’s Leben die Periode des rüstigsten Schaffens und, im Ganzen genommen, der höchsten Production und künstlerischen Vollkraft. Als Ries 1800 zu ihm nach Wien kam, fand er ihn mit Vollendung des Oratoriums „Christus am Oelberge“ beschäftigt, welches jedoch erst 5. April 1803 zur Aufführung gelangte und 1811 als Op. 85 gedruckt wurde. Es ist Beethoven’s einziges Oratorium, und man kann nicht behaupten, daß er seinen Stoff mit Glück behandelt habe; in seinem nach damaliger rationalistischer Religionsanschauung stark vermenschlichten Christus ist der Weltheiland und Religionsstifter des Evangeliums schwerlich wieder zu erkennen. B. soll späterhin auch selbst mit dem mehr opern- als oratorienmäßigen Stile dieser Arbeit unzufrieden sich geäußert haben. Inzwischen traten 1800/1 die ersten sechs Quartetten Op. 18 an das Licht, ferner unter anderem die Sonaten für Clavier allein: B-dur Op. 22 (1800); As-dur Op. 26, Es-dur und Cis-moll Op. 27., D-dur Op. 28 (1801); G-dur, D-moll, Es-dur Op. 31 (1802); C-dur Op. 53 (1804); mit Violine: Op. 23 und 24 (1801), A-dur, C-moll, G-dur Op. 30 (1802); mit Horn Op. 17 (1800); das C-moll-Concert Op. 37 (1800); C-dur-Quintett Op. 29 (1801); das Ballet: „Die geschöpfe des Prometheus“ Op. 43 (1800), verschiedene Hefte „Variationen“ etc. Auch betrat er mit Anfang des Jahrhunderts zuerst das Gebiet der großen symphonischen Orchestercomposition, seine erste Symphonie in C-dur Op. 21 wurde 2. April 1800 gegeben; die zweite D-dur Op. 36 schrieb er in Heiligenstadt 1802 und sie kam zugleich mit Christus am Oelberge 5. April 1803 zur Aufführung; die dritte Es-dur Op. 55, Eroica genannt, wurde componirt 1803/4 und im Jan. 1805 zuerst öffentlich gegeben.

Beethoven’s erste und zweite Symphonie werden heutzutage von Musikfreunden und Concertinstituten nur wenig noch beachtet, weil, wie man sagt, er darin noch nicht in seiner vollentwickelten Selbständigkeit erscheine. Das ist zwar ganz richtig, Haydn’s und Mozart’s Einflüsse sind darin nicht zu verkennen und liegen fast noch klarer zu Tage als in Beethoven’s gleichzeitigen Sonaten, worin er seiner Individualität freieren Spielraum ließ. Aber ebensowenig wie ein absichtlicher Revolutionär, ist B. jemals bloßer Nachahmer gewesen. Wiewol er in seinen ersten Werken und auch in diesen Symphonien auf ganz naturgemäße Weise an seine Vorgänger anknüpft, erscheint er doch zugleich schon in hohem Grade selbständig, indem er seinen eigenen Geist, der die Dinge anders und größer ansah, hineintrug. Leben und Kunst drängten zur Zeit als er zu blühen begann, unaufhaltsam auf Vertiefung und Erweiterung ihres Inhaltes hin; und ebenso natürlich wie die enge Verbindung mit dem Vorausgegangenen, erscheint daher auch bei einem Genius von solchem Umfange wie B., die schon in seinen frühesten Werken erkennbar angebahnte Bereicherung des Inhaltes und die entsprechende Erweiterung und Vermannigfaltigung der Form. So ist auch bei aller Abhängigkeit der ersten Symphonie von seinen beiden unmittelbaren Vorgängern doch deutlich, daß sie nicht dem Abschlusse einer Kunstperiode angehört, sondern den Beginn einer neuen Entwickelung bezeichnet, deren Elemente darin zum Theil schon sich nachweisen lassen; [259] denn in manchen Themen- und Rhythmenbildungen, in der Behandlung des Orchesters, im Periodenbau, besonders aber in der Art der Entwicklung der Tongedanken mittels der thematischen Arbeit etc., finden sich nicht wenige Züge, welche schon nicht blos die Eigenartigkeit der Kunstindividualität Beethoven’s widerspiegeln, sondern auch eine neue und weit größere Bildung der ganzen Kunstgestaltung verheißen. Dies gilt nicht nur von seinen ersten Symphonien, sondern auch von den Quartetten, Sonaten etc. Der Schritt, den er nun von der ersten Symphonie zur zweiten that, war allerdings groß, aber doch durch jene weit mehr vorbereitet, als durch irgend ein Werk seiner Vorgänger. Die Zeitgenossen, welche mehr in den Instrumentalwerken Haydn’s und Mozart’s lebten als wir, empfanden dies auch deutlicher. Noch unvergleichlich größer freilich war der Schritt von der zweiten Symphonie zur Eroica, indem dieses Werk ungefähr den Zeitpunkt bezeichnet, von wo an Beethoven von seinen großen Führern sich ablöste und selbständig seine Wege ging.

Die Veranlassung der Eroica ist oft erzählt worden; B. schrieb sie zur Verherrlichung Napoleon’s (auf einer im Besitze J. Dessauer’s zu Wien befindlichen revidirten Abschrift stehen die Worte „Geschrieben auf Bonaparte“), gab sie aber später, als er in seinen Erwartungen von ihm sich getäuscht sah und Napoleon’s Annahme der Kaiserkrone erfuhr, unter ihrem gegenwärtigen Titel heraus: per desteggiare il sovvenire di un gran Uomo. Offenbar liegt einer Anzahl von Beethoven’s Instrumentalwerken ein besonderer dichterischer Plan, welcher auf die Gestaltung derselben bestimmenden Einfluß geübt hat, zu Grunde, wie der Eroica, C-moll-, Pastoral-, A-dur- und neunten Symphonie. Bei den meisten Werken kennt man diesen poetischen Grundgedanken zwar nicht und B. sprach sich auch nicht darüber aus; doch hat man den deutlichen Eindruck, daß es darin nicht um ein nur bedeutsames Tonbilden und den musikalischen Ausdruck bloßer Stimmungen sich handele, sondern daß durch bestimmte Veranlassungen erweckte Gefühle und Vorstellungen, welche in ihrer Gesammtheit einen in sich zusammenhängenden inneren Hergang ausmachen, unserem Kunstgefühle verständlich gemacht werden sollen. Dadurch wurde die cyclische oder mehrsätzige Instrumentalform (Symphonie, Quartett, Sonate etc.) zu einer allseitigen Erweiterung und Entwickelung hingedrängt. In den allgemeinen Umrissen und Grundzügen fand B. sie fertig vor, aber er hat sie seinen größeren Zwecken entsprechend ausgebaut. Während unter anderem in den älteren cyclischen Werken in der Regel der erste Satz auch der gehaltvollste, am breitesten angelegte und am meisten durchgearbeitete ist, erscheint das Finale meist nur als ein heiter und lebhaft sich verlaufender Ausgang, mehr nur bestimmt und geeignet die Stimmung des Zuhörers bis ans Ende frisch zu erhalten, oder nach ernsteren Hergängen wieder zu erheitern, als die Entwickelung noch zu steigern. Bei B. hingegen kommt das Finale nicht selten dem ersten Satze an Wucht und Breite gleich oder überragt ihn noch, groß angelegt und manchmal in mächtigen Bildungen sich aufthürmend, als Gipfel der Bewegung und Entwickelung des ganzen Werkes. Zwar haben auch Haydn und Mozart schon diesen groß ausgebauten Schlußsatz, doch gewinnt er niemals die ideelle Bedeutung etwa des Finale in der C-moll- oder Neunten Symphonie, da ihre Instrumentalwerke überhaupt den großen Inhalt und breiten Gedankengang der Beethoven’schen noch nicht haben. Ferner eröffnet uns sein Adagio Regionen des Gefühlslebens, in welche zu dringen seinen Vorgängern noch nicht beschieden war. Das Scherzo, wie es in seinen cyclischen Tonwerken erscheint, ist auch seine Erfindung und ein großer Gewinn. Denn der Menuett, dessen Stelle es häufig vertritt, blieb, unbeschadet oftmals großer Schönheit, doch immer durch seine kleinere Form und typischen Charaktereigenschaften bedingt, während im [260] Scherzo Phantasie und Laune viel breiter sich ergießen und ihr die Seele erfrischendes Spiel viel ungehinderter treiben können. Wie die muntere Neckerei Haydn’s und der sinnige Scherz Mozart’s bei B. zum gefühlswarmen Humor sich vertieften, so erweiterte sich auch die einfache und zu eng begrenzte Tanzform zu dem von allen jenen vorausbestimmenden Bedingungen weit unabhängigeren Scherzo. Dann wurde in Beethoven’s cyclischen Tonwerken, indem die dichterische Grundidee bedingend auf den Entwicklungsgang des Ganzen einwirkte, die Beziehung der einzelnen Sätze zu einander eine noch weit nähere als sie früher gewesen war; sie wurden, äußerlich nach Form und Bewegung zwar verschieden und getrennt, doch innerlich fest zusammenhängende Theile eines organischen Ganzen, deren Zusammengehörigkeit, wenn auch mit Worten nicht immer nachweisbar, doch für unser Kunstgefühl anschaulich und begreiflich ist. Und beziehentlich der inneren Ausgestaltung jedes einzelnen Satzes ergab sich, bei dem dichterisch und musikalisch so reichen Genie Beethoven’s, eine ungemeine Mannigfaltigkeit, während die Wahrheit und Stärke seines Gefühles eine große Schärfe des Ausdruckes, außerordentliche Plastik und dramatische Lebendigkeit der Tongebilde nach sich zog. Kein Componist hat jemals einer größeren Deutlichkeit der Tonsprache sich rühmen können als B., der uns deshalb auch so unmittelbar und tief ergreift und zum Nachempfinden zwingt. Doch wurden Ausdruck und Form ihm nicht immer leicht; bei aller Meisterschaft und Herrschaft über beide, hatte er doch oft heftig genug mit ihnen zu ringen und seine ersten Gedanken waren auch nicht allemal sogleich die besten. Man weiß aber, welchen redlichen Arbeitsfleiß er besaß, welche strenge Selbstkritik er übte und wie er nicht eher abließ, als bis er das Treffende gefunden hatte. Besonders an seinen Hauptthemen änderte und besserte er unverdrossen, bis sie seiner Absicht entsprachen, was nicht Wunder nehmen kann, da für ihn im Keime schon das Ganze eingehüllt lag. Mit Feststellung der Themen war dann das Schwierigste beinahe gethan; denn so groß wie seine Erfindungskraft, so scharf war die Logik und Consequenz seines musikalischen Denkens; bei seiner Fertigkeit in der thematischen Entwickelung eines Tongedankens und bei der Folgerichtigkeit seines Kunstgefühls, ergab sich nun eine Gestaltung aus der andern gleichsam wie von selbst, bei aller ihrer Verschiedenartigkeit blieb aber doch immer ihr Ursprung aus einem gemeinsamen Grundgedanken erkennbar. Die Kunst einen Tongedanken vermittelst der thematischen Arbeit nach allen Seiten hin auszugestalten, erhob insbesondere B. innerhalb des freien Satzes zu einem solchen Grade von Vollkommenheit und ideeller Bedeutung, wie etwa nur Bach auf Seiten des strengen Stiles. Die insbesondere dieser thematischen Ausgestaltung der Hauptgedanken zugewiesenen Theile der cyclischen Tonformen nahmen nun bei B. auch in der Regel eine weit größere Breite an, als sie früher gehabt hatten, wie z. B. der Mittelsatz des ersten Allegros in der Eroica. Und ein Beispiel von derartig grandioser Entwickelung eines ganzen Satzes von breitesten Dimensionen aus einer kleinen Themafigur, wie der erste Satz der C-moll-Symphonie, findet sich in der freien Instrumentalmusik vor B. noch nicht vor. Auch sein Periodenbau wurde dem Inhalte entsprechend größer und in der Gliederung kunstreicher, zugleich aber erkannte B. ganz richtig, daß besonders die Instrumentalmusik, wenn sie überall klar und verständlich bleiben soll, einer um so selteneren und übersichtlicheren Ordnung aller einzelnen Theile bedarf; und so zeigt sein Periodenbau auch stets die bewundernswürdigste Eurhythmie und Klarheit, mit welcher jedoch zugleich eine Freiheit und ein Fluß sich verbinden, wie kein Instrumentalcomponist in gleicher Vollkommenheit sie wieder erreicht hat.

Mit der Eroica hatte B. das Gebiet der höheren Tondichtung betreten. Ungefähr zu derselben Zeit schrieb er ferner die berühmte Kreutzer-Sonate, [261] 1805 als Op. 47 gedruckt; doch war das letzte Allegro schon 1802 fertig und ursprünglich für die A-dur-Sonate aus Op. 30 bestimmt gewesen. B. spielte sie selbst zuerst am 17. Mai 1803 mit dem tüchtigen englischen Violinisten Bridgetower, dedicirte sie aber späterhin Kreutzer. Die große Sonate F-moll Op. 57 entstand zu Döbling 1804. Inzwischen hatte er auch bereits 1803 die Arbeit an der Oper Leonore (nach dem Französischen des Bouilly von J. Sonnleithner) begonnen und sie kam unter dem Titel: „Fidelio, oder die eheliche Liebe“, am 20. November 1805 im Theater an der Wien zum ersten Male zur Aufführung. Der Erfolg war sehr gering; theils war die Zeit ungünstig, Wien von den Franzosen besetzt aber von vielen Musikfreunden verlassen; theils hatten Text und Musik zu große Längen, bei aller Begabung auch für das Dramatische, mangelte B. anfangs dich noch die Bühnenkenntniß. Er ließ sich zwar zu einigen Kürzungen herbei, mit welchen das Werk 29. März 1806 wieder auf der Bühne erschien, aber auch diesmal nicht viel Glück machte. Erst im März 1814 begann B. eine dritte, über einen größeren Theil der Oper sich erstreckende Bearbeitung, in welcher sie 23. Mai desselben Jahres auf dem Kärnthnerthortheater in Scene ging und mehrere Male mit steigendem Beifalle wiederholt wurde. Von da an ist sie ein überall gepriesenes Gemeingut des deutschen Volkes geworden und geblieben (die Ouvertüren Nr. I Op. 138 und II stammen aus dem Jahre 1805, Nr. III wurde 1806 componirt und Nr. IV E-dur gehört zu der Bearbeitung von 1814). Es hatte diesmal einen langen Kampf gekostet, bis B. seinem Werke die erwünschte Abrundung zu geben vermocht hatte. Er hat das Gebiet der Oper auch nicht wieder beschritten, wenngleich andere Bühnenmusiken geliefert: neben dem Ballet „Die Geschöpfe des Prometheus“ vom Jahre 1800 noch die Festspiele: „Die Ruinen von Athen“ und „König Stephan“; die gleich dem Fidelio unvergängliche Musik zu Goethe’s Egmont, 1810; unter seinen dramatischen Ouvertüren wird immer die zu Coriolan ein Muster treffender Charakteristik in knapper und präciser Form bleiben. Zwar hat er noch mit anderweitigen Opern-Ideen und Plänen sich getragen und wollte unter andern noch 1823 Grillparzer’s Melusine componiren, es ist jedoch beim Fidelio geblieben, der nun als eine vereinzelte Erscheinung dasteht. Aber er bezeichnet in der Selbständigkeit seiner ganzen Bildung nicht nur eine neue Entwickelung der Oper seit Mozart, sondern B. hat damit auch unserem vaterländischen Musikdrama die Wege gewiesen, auf welchen es einen mächtig vertiefenden und veredelnden Einfluß zugleich auf den Kunstsinn und die Sittlichkeit des deutschen Volkes hätte gewinnen können.

Beethoven’s Verstimmung über die Niederlage des Fidelio 1805/6 war zwar groß, doch vermochte sie nicht seine Production zu beeinflussen; vielmehr waren die nächsten Jahre außerordentlich ergiebig und eine Reihe von Werken, welche zu seinen vollendetsten gezählt werden müssen, folgte ununterbrochen. Noch im Jahre 1806 schrieb er die dem Fürsten Rasoumoffsky gewidmeten drei Quartette Op. 59, ebenso ausgezeichnet durch Gedankentiefe und Originalität, wie durch einen meisterhaften Quartettstyl. Dann die vierte Symphonie B-dur Op. 60, überquellend von Lebenskraft, von reizvoller Frische und ungemeiner Schönheit der Verhältnisse. Auch die im Charakter ihr sich anschließenden Concerte für Violine D-dur Op. 61 und für Clavier G-dur Op. 58 gehören diesem Jahre sowie dem Vortrefflichsten ihrer Gattung an, musikalisch ebenso gehaltvoll wie auch zugleich der Entfaltung virtuoser Technik hinlänglich Raum gebend. Das G-dur-Concert spielte B. noch selbst 22. Dcbr. 1808, und zwar, wie Reichardt erzählt, trotz seiner „ungeheuren Schwierigkeit zum Erstaunen brav und in den allerschnellsten Tempi“. In das Jahr 1807 fallen unter anderem die Ouvertüre zu Collin’s Trauerspiel „Coriolan“ Op. 62 und die C-dur-Messe Op. 86, [262] ursprünglich für den Fürsten Esterhazy bestimmt und 8. September in Eisenstadt aufgeführt, nachher aber dem Fürsten Kinsky dedicirt. Auch erschienen die 32 Variationen C-moll Nr. 36, wol in der zweiten Hälfte von 1806 componirt.

Jenes Concert vom 22. Decbr. 1808 brachte auch die ersten Aufführungen der (schon früher begonnenen) C-moll- und der Pastoral-Symphonie, welche beide wahrscheinlich nicht lange vorher fertig geworden sind. An Form und Inhalt gibt es kaum zwei verschiedene Werke. Die C-moll-Symphonie, kaum von B. selbst noch, geschweige denn von irgend einem andern Componisten jemals übertroffen, läßt ihrer Grundidee nach schon die Neunte vorausahnen: Der Kampf mit dem Schicksal und der endliche Sieg des Geistes über das Verhängniß ist hier mit einer Größe und erschütternden Kunstwahrheit dargestellt, wie nur ein mit solcher dichterischer und dramatischer Kraft ausgerüsteter Geist, wie B., zur Zeit voller Reife es vermochte. In der Pastoral-Symphonie hingegen werden bekanntlich durch den Verkehr mit der Natur in uns geweckte Stimmungen geschildert. Doch thut man dem Werke Unrecht, wenn man es schlechtweg in die Kategorie der Naturmalerei oder Programmmusik verweist, wiewol B. selbst den einzelnen Sätzen erklärende Ueberschriften beigegeben hat. Aber seine Tondichtung knüpft sich zwar an äußere Erscheinungen an, entwickelt daraus aber eine Fülle von Gefühlen und Stimmungen, welche um so entschiedener unseres Innern sich bemächtigen, als sie in musikalisch kunstmäßigem Zusammenhange sich entwickeln und in selbständiger musikalischer, nicht von der Naturerscheinung allein geborgter Form auftreten. Aus der durch Natureindrücke erregten Grundstimmung erblüht hier bei B. ein absolut selbständiges Musikproduct, welches selbst auch da, wo es das Naturbild unmittelbar in Form und Art der Tonbewegung widerspiegelt, doch niemals die Gesetze und Grenzen der Kunst und ihrer Darstellungsfähigkeit überschreitet. Die träumerische Tonpoesie der Scene am Bach vertieft und verinnerlicht den bloßen Natureindruck um ebensoviel, wie sie über alle auch noch so vollendete Wortschilderung hinausreicht; aus dem Gewitter und Sturm spricht nicht blos die Stimme der Natur, sondern auch die Wahrheit der Kunst mit solcher Eindringlichkeit und Stärke, wie nur Einer, der nicht blos warmer Naturfreund sondern auch großer Musiker war, sie sprechen zu lassen vermochte. Was er dem Außenleben entlehnt hat, ist nur erster Impuls und unter seinen Händen weit über das Urbild hinausgewachsen, organische kunstfreie Tonschöpfung geworden. Das vielbelächelte Trio von Nachtigall, Wachtel und Kuckuk ist doch nur ein ebenso harmloser wie anmuthiger Scherz, und wer möchte gerade bei einem so ernst auf das Ideale gerichteten und in die Tiefen des Seelenlebens sich versenkenden Künstler wie B. die Unbefangenheit nicht lieben, mit welcher er auch einmal vertraute Naturstimmen, denen er bei seinem „Spazierenarbeiten“ so oft gelauscht, in einem Werke nachklingen ließ. Daß übrigens selbst die blos nachahmende und Aeußerliches schildernde Musik auch für einen großen Künstler wol einmal etwas Verlockendes haben kann, beweist unter anderen Beethoven’s „Schlacht bei Vittoria“ aus dem Jahre 1813.

Unter die Erzeugnisse der nächsten Jahre gehören: die Phantasie für Clavier, Orchester und Chor Op. 80 (aufgeführt 22. Decbr. 1808); das Clavier-Concert in Es Op. 73 (compon. 1809), das großartigste der Beethoven’schen und die Krone aller neueren Werke dieser Gattung; die Quartette in Es-dur Op. 74 (comp. 1809) und F-moll Op. 95 (compon. 1810); das Sextett mit 2 Hörnern Op. 81 (erschien 1810); das herrliche B-dur-Trio Op. 97 (compon. 1811); die Sonaten für Clavier allein Es-dur Op. 81 und Fis-dur Op. 78 (beide 1809) mit Violoncell A-dur Op. 69 (erschien 1809), mit Violine G-dur Op. 96 (vollendet Ende 1812); ferner die Egmont-Musik (compon. 1809/10), „Die Ruinen [263] von Athen“ und „König Stephan“ (beide bei Eröffnung des Pesther Theaters 9. Febr. 1812 aufgeführt).

Im Verhältnisse zu dieser reichen Production wuchsen sowol sein Ruhm als auch sein Erwerb; die Honorare stiegen und waren beträchtlich genug, ihm auch ohne festen Gehalt eine sorgenfreie Stellung zu bereiten. In Amt und Würden ist B. seit dem Bonner Hoforganistendienst nie wieder gewesen; und wenngleich er eine seine Existenz sichernde Anstellung nicht verschmäht haben würde, so hat er doch niemals große Sehnsucht darnach verrathen, sondern schätzte vielmehr seine persönliche Freiheit höher. Dargeboten hat sich ihm eine Gelegenheit zu fester Anstellung nur noch einmal: 1809 berief ihn der König von Westfalen zum Capellmeister mit 600 Ducaten Gehalt. Aber man hielt es in Wien nicht für ehrenvoll ihn fortzulassen, daher verbanden sich der Erzherzog Rudolf und die Fürsten Lobkowitz und Kinsky und setzten ihm ein Jahrgehalt von 4000 Gulden aus, mit der einzigen Bedingung, daß er Oesterreich nicht verlassen möge, worauf B. einging. Zwar verringerte sich diese Summe im Laufe der Zeit bedeutend (durch das Finanzpatent 1811 wurden die Gulden entwerthet, 1815 machte Lobkowitz Bankerott und bald darauf starb Kinsky), so daß B. nur etwa 900 Gulden übrig blieben; doch hat er nie wieder daran gedacht von Wien wegzuziehen. Mangel zu leiden hat er darum niemals gebraucht; denn selbst in den Jahren 1820/21, wo er wenig einnahm und die Erziehung seines Neffen ihm noch Kosten verursachte, war er doch im Besitze eines kleinen Capitals, welches er nur nicht angreifen wollte, sondern mit edelster Selbstentäußerung für seinen Neffen aufsparte. Waren sonst seine häuslichen Angelegenheiten nicht immer in der besten Ordnung, so trug doch nur er selbst die Schuld daran; denn er blieb sein Leben lang ein schlechter Wirth, obwol er keineswegs verschwenderisch war, sondern für seine Person sogar nur wenige Bedürfnisse hatte und selbst diese manchmal vergaß. Aber in seiner Zerstreuung kam es unter anderem mehr als einmal vor, daß er bereits eine neue Wohnung bezogen hatte, ohne die frühere zu kündigen, und dann auch jene plötzlich wieder verließ, weil die eine oder andere Kleinigkeit darin ihm nicht zusagte. Ein schönes Domicil beim Baron von Pronay in Hetzendorf verließ er alsbald, weil der Herr Baron immer zu tiefe Complimente vor ihm machte. Die Werthgeschenke, deren er zu Zeiten nicht wenig erhielt, verschwanden ihm unter den Händen; ob gerade durch offene Veruntreuung seiner Brüder, ist doch wol nicht so sicher ausgemacht. Jedenfalls bekümmerte er sich nicht darum und ließ sie überall herumliegen, gerade wie seine Handschriften schon gedruckter Werke, von denen, wie Ries erzählt, fast ein Jeder so viel hätte nehmen können wie er wollte. Auf Geschenke hoher Personen gab er ohnehin nicht viel mehr als auf Orden oder Complimente, wenn es auch seinem Selbstgefühle wohlthat, daß die von Friedrich Wilhelm II. 1796 ihm verehrte goldene Dose „keine gewöhnliche war, sondern eine von der Art, wie sie den Gesandten wohl gegeben werde“. Mit gutem Rathe war ihm nicht leicht beizukommen, vielmehr wuchsen mit der Verstimmung seines Gehörs auch sein Mißtrauen und seine Menschenscheu, und die in Rede stehende Periode glücklichen Schaffens war bereits eine Zeit mannigfacher und schwerer Gemüthsleiden.

Das Jahr 1812 ist bezeichnet durch die Schöpfung der (im Frühjahr componirten) A-dur-Symphonie, zuerst aufgeführt 8. Decbr. 1813, als Op. 92 im Druck erschienen December 1816. Noch im Herbst 1812 schrieb er die achte Symphonie F-dur, aufgeführt 27. Debruar 1814, als Op. 93 gedruckt im Jahre 1816. Die A-dur-Symphonie hat den Auslegern Beethoven’s mehr Kopfbrechen als irgend ein anderes seiner Werke verursacht, und sie zu den wunderlichsten und widersprechendsten Erklärungsversuchen veranlaßt. Daß ein bestimmter poetischer [264] Plan unterliegt, ist allerdings augenscheinlich, doch weiß man nichts Näheres davon. Aber hiervon abgesehen, steht das Werk an Form und Kunstgehalt mit der C-moll-Symphonie auf gleich hoher Stufe, und ebenso verräth die F-dur-Symphonie in jedem Zuge die Meisterhand und die jugendkräftigste Frische. In der Blüthe seiner künstlerischen Vollkraft stand B. jedenfalls während der Periode von der Eroica bis zur A-dur- und F-dur-Symphonie. Auch später hat er von seinem edlen künstlerischen Drange und seiner Idealität nichts eingebüßt, sondern sie vielmehr noch auf unvergängliche Weise bethätigt und Werke hingestellt, welche frühere in mancher Hinsicht noch überragen; doch war seine Schöpferkraft nicht mehr überall die gleiche, die Form fügte sich ihm nicht immer mehr so willig und im heftigen Ringen mit ihr zersprengte er sie nicht selten und überschritt die Grenzen der Schönheit und Anschaulichkeit. Indem er mehr und mehr von der Außenwelt und dem Verkehre mit Menschen sich zurückzog und hauptsächlich auf sich allein angewiesen war, vertiefte er sich manchmal in ein Ideenreich, dessen Dunkel zu durchdringen wir heute noch vergeblich uns bemühen. Während seine Werke aus der vorhin bezeichneten zweiten Periode, den späteren an Gehalt und Schwungkraft des Gedankenfluges durchschnittlich nicht nachstehen, muß man ihnen doch meist eine größere Klarheit und Allgemeinverständlichkeit, zusammt einer vollendeteren kunstmäßigen Abrundung zuerkennen.

Auf dem Gipfel seines Ruhmes und der Bewunderung seiner Zeitgenossen stand B. 1813/14. Kein Fremder wollte Wien verlassen ohne ihn wenigstens einmal gesehen zu haben, und wo er öffentlich sich blicken ließ, begegnete man ihm mit Ehrerbietung. Am 8. und 12. December 1813 wurden die A-dur-Symphonie und die Schlacht bei Vittoria zum Besten der bei Hanau invalid gewordenen Oesterreicher und Baiern gegeben; B. dirigirte selbst, auch an den untergeordnetsten Plätzen im Orchester standen bedeutende Künstler, die Aufführung soll vortrefflich gewesen sein und ebenso groß der Beifall. Im folgenden Jahre 1814 wurde der Fürstencongreß zu Wien auch durch eine große Aufführung Beethoven’scher Werke am 29. November gefeiert, für welche unser Meister auf Ansuchen des Magistrates auch die Cantate „Der glorreiche Augenblick“ componirt hatte, welche zugleich mit der A-dur-Symphonie und Schlacht bei Vittoria vor den fremden Herrschaften gegeben wurde. Von allen in Wien anwesenden hohe Personen empfing B. zahlreiche Achtungsbeweise und Ehrenbezeugungen, die ihn doch rührten und erfreuten. So lange die Taubheit ihn noch nicht daran verhinderte, dirigirte er seine Werke bei ihren ersten Aufführungen gewöhnlich selbst; doch ist er niemals ein guter Dirigent gewesen. Eine praktische Schule in der Orchesterleitung hatte er nicht durchgemacht, außerdem brachte ihn seine Leidenschaftlichkeit bald in den größten Eifer, und statt den Ausübenden durch eigene Ruhe und Selbstbeherrschung Sicherheit zu verleihen, verwirrte er sie oft durch seine seltsamen dramatischen Gesticulationen, wodurch er ihnen den Ausdruck verdeutlichen wollte. Als sein Gehör abnahm, so daß er kein Piano mehr hören konnte und auf die Eintritte der Instrumente horchen mußte, beobachtete er den Bogenstreich der Geiger, um sich wieder zurecht zu finden, wenn er herausgekommen war. Da gab es manchmal böse Collisionen zwischen ihm und den Musikern, die sich für die von ihm selbst begangenen Fehler nicht wollten zurechtweisen lassen. Für die Folge mußte er daher das Dirigiren ganz aufgeben.

Mit dem Jahre 1815 brach für B. eine lange trübe Zeit herein. Sein Bruder Karl starb im Herbste, und im nächsten Jahre begann jener traurige Proceß mit der Wittwe desselben, welcher während seiner vierjährigen Dauer unserm Meister das Leben schwer verbitterte. Dazu kamen die Sorgen für die [265] Erziehung des Neffen, dessen er mit väterlicher, ihm aber schlecht vergoltener Liebe sich annahm. Dadurch steigerten sich die Lebensbedürfnisse, während seine Production unter solchen Störungen ins Stocken gerathen mußte. Von größeren Werken haben deshalb die Jahre 1815–18 nur wenige aufzuweisen. Neben den von 1810–23 sich erstreckenden Bearbeitungen irischer, schottischer, wallisischer und anderer Lieder sind nur zu nennen: „Meeresstille und glückliche Fahrt“ Op. 112 (1815), die Sonaten für Clavier A-dur Op. 101 (gespielt 18. Febr. 1816), B-dur Op. 106 (druckfertig März 1819), mit Violoncell C-dur und D-dur Op. 102 (1815); der herrliche Liederkreis: „An die ferne Geliebte“, Op. 98 (1816). Da kam ihm im Winter 1818/19 die Idee zur D-dur-Messe wie eine Erlösung aus den ihn bedrängenden Plagen und gab seinem Geiste einen neuen Schwung. Er bestimmte diese Messe zur Feier der Installation des Erzherzogs Rudolf zum Erzbischof von Olmütz, welche 9. März 1820 stattfand, wurde aber erst 1823 damit fertig. Jedenfalls trat er jetzt mit ganz anderen Vorstellungen an den Text heran, als gelegentlich seiner C-dur-Messe im Jahre 1810, wo er noch in Haydn und Mozart die besten Vorbilder für die Behandlung desselben zu finden glaubte. Schindler erzählt, er habe B. niemals in einem ähnlichen Zustande absoluter Erdentrücktheit gesehen, als während der Arbeit an der D-dur-Messe; namentlich bei Composition des Credo mit der großen Fuge (Herbst 1819) sei er vollends der „tobende himmelstürmende Gigant“ gewesen. Und man kann sich wohl denken wie B. mit einem Stoffe, zu dem er nur in so entfernter Beziehung stand, gerungen haben mag, um sein Werk zu einem, wenigstens für ihn selbst, einigermaßen befriedigenden Abschlusse zu bringen. Den Spuren des Ringens seines mächtigen Geistes begegnen wir darin nun zwar auf Schritt und Tritt, sicheren Merkmalen innerer Befriedigung aber nur selten, und die „schließliche Bitte um inneren und äußeren Frieden“ ist unerfüllt geblieben. Ist doch sogar der letzte Schluß des Chores im Agnus Dei kein Ganzschluß sondern ein Trugschluß. B. befand sich in offenbarem Zwiespalte mit der kirchlichen Bedeutung des Textes und mit der Vocalmusik. Die dogmatische Geltung der Messe ließ er, obwol er sein Werk für den kirchlichen Gebrauch verfaßte, so gut wie ganz beiseite. Er gehörte zwar der katholischen Kirche an, fand aber weder in ihren noch in den Satzungen einer anderen Kirche volle innere Befriedigung, sondern suchte in eigenem Sinnen und Denken der Gottheit sich zu nähern. Man kennt die Sprüche, welche er, von seiner Hand geschrieben, über seinem Schreibtische hängen hatte. Indem er sonach einen jeden confessionellen Zusammenhang mit der Messe entbehren mußte, ließ er seine in moderner Religionsanschauung wurzelnde Subjectivität frei walten: der Meßtext wurde ihm nur eine Form für seine individuellen, oft tief andachtsvollen, nicht selten aber auch von Zweifeln erschütterten, von gewaltsamen Kämpfen durschstürmten und bis zu stärkster Leidenschaftlichkeit aufgeregten Empfindungen; und auch da, wo er die Sprache der Ueberzeugung führt, ist diese doch mehr nur eine gewaltsam errungene als unmittelbare. Von Einheit des Kunststiles kann daher in der D-dur-Messe nicht wohl die Rede sein, von kirchlichem Stil noch viel weniger; denn selbst als den so tiefsinnigen, edlen und für alles Erhabene in reinster Begeisterung glühenden Künstler, der er war, erkennen wir ihn hier nur zu oft kaum wieder, sondern stoßen auf zu viele Aeußerungen einer zwar gewaltigen, doch im Zwiespalte mit sich und seiner Aufgabe stehenden Natur, denen wir in der kirchlichen Kunst doch am wenigsten begegnen sollten. Auch ist die rein musikalische Erfindung in diesem Werke von merklich ungleichem Werth. Ferner blieb auch die Chormusik ein von unserem größten Instrumental-Tondichter nur selten betretenes Gebiet; sie zog seiner Tonphantasie zu enge Grenzen, der Text erweckte in ihm Bilder, welche ihn, der ohnehin nicht gerne Fesseln sich [266] anlegen ließ, über die Darstellungsfähigkeit der menschlichen Stimme hinaus und zur Gewaltthätigkeit gegen sie verleitete. B., der die Instrumente zu Organen der feinsten und innerlichsten Seelenbewegungen erhob und die menschlichen Freuden und Schmerzen ihrem ganzen Umfange nach durch sie zum Ausdrucke zu bringen vermochte, war doch nicht im Stande, in die Natur und die Schranken der menschlichen Stimme sich zu fügen. In der Instrumenten-Technik nahm er gerne Belehrung an, Sänger soll er hingegen niemals um Rath gefragt haben und forderte unerbittlich von ihnen selbst das Unmögliche. Beispiele dafür enthalten diese Messe und das Finale der neunten Symphonie in großer Anzahl; sowol solche, in denen B. den Stimmenumfang bis dahin ausgedehnt, wo auch gute Sänger und Stimmen die Zuverlässigkeit und Klangschönheit verlieren; als auch solche, wo die Stimmführung an sich unsangbar ist, außerdem die beabsichtigte vocale Wirkung theils durch Deckung der Stimmen unter sich, theils durch das Orchester verloren geht. Das Orchester, durchaus symphonisch behandelt, findet sich nur schwer in seine Aufgabe, die Singstimmen zu unterstützen und zu tragen, sondern ringt vielmehr mit ihnen, und zwar oft erfolgreich, um die Herrschaft. Manchmal möchte man in der Messe und im Finale der neunten Symphonie geradezu bezweifeln, daß B. von seinen Wirkungen überall eine klare Vorstellung gehabt habe, und auch an sich enthält die begleitende Orchesterpartie Vieles, worin man den großen Instrumentalmeister kaum noch begreift.

Noch vor Vollendung der Messe arbeitete B. schon an der neunten Symphonie in D-moll mit dem Schlußchore „Freude schöner Götterfunke“; sie war im Februar 1823 fertig und wurde 7. Mai 1824 zum ersten Male aufgeführt. Die Idee lag ihm schon lange (schon seit 1817 oder noch früher) im Sinne, bevor er an die eigentliche Arbeit ging, und daß er hier seine dichterischen Absichten nicht mehr nur geahnt und gefühlt, sondern verstanden wissen wollte, zeigt schon die schließliche Herbeirufung der menschlichen Stimme und Sprache: mechanische Klangwerkzeuge reichten ihm nicht mehr hin, um das auszudrücken, was seinen Geist bewegte. Das Finale mit dem Chor erscheint als der Höhepunkt des Ideenganges und durch die voraufgehenden Instrumentalsätze vorbereitet, indem diese eine allmähliche Befreiung aus anfänglich düstern und öden Seelenzuständen zu jener, in der Ode ausgedrückten höchsten und edelsten, die ganze Menschheit liebevoll umfassenden Freude schildern. Schon daß B., nach so vielen trüben Erlebnissen und inmitten seines eigenen leidensvollen Zustandes, diese Idee zu erfassen vermochte, stellt ihn als Menschen so groß und verehrungswürdig dar, wie die grandiose Anlage und Entwickelung, größtentheils auch die Ausführung des Werkes, dem Künstler die Bewunderung aller Zeiten sichern. Die drei Instrumentalsätze gehören zum Großartigsten, womit er die Tonkunst bereichert hat. Insbesondere der erste, gehaltvoll und tief an Gedanken, ein Meisterwerk thematischer Kunst, in den mächtigsten Formen sich aufbauend; demnächst das unter die schönsten und sinnvollsten derartigen Sätze Beethoven’s gehörende Adagio. Das Finale enthält Theile, in denen nicht nur Bedeutsames kunstschön dargestellt ist, sondern auch unser Gefühl auf das tiefste ergriffen wird; aber freilich auch Momente, in denen B. der Kunstgrenzen nicht mehr klar sich bewußt geblieben ist, und im Ringen nach Fixirung der in ihm auf- und abwogenden Phantasiegebilde, den Boden kunstwahrer Realität unter sich verloren hat. Aber auch diese Momente, in denen er von der Schönheitslinie abweicht, lassen doch stets den großen Genius durchblicken und bleiben weit entfernt von Extravaganzen originalitätssüchtiger Mittelmäßigkeit oder Verirrungen bewußtloser Schwäche, denen sie also niemals zur Rechtfertigung dienen können.

Inzwischen war B. mehr und mehr vereinsamt und vom Wiener Publicum, welches den lockenden Klängen der italienischen Oper folgte, halb vergessen, [267] als im Februar 1824 seine Freunde eine in verehrungsvollstem Tone abgefaßte und mit zahlreichen Unterschriften versehene Aufforderung, seine neuesten Werke der Oeffentlichkeit vorzuführen, an ihn ergehen ließen. Die Folge davon war jenes Concert vom 7. Mai, in welchem die neunte Symphonie und das Kyrie, Credo und Agnus Dei aus der Messe aufgeführt wurden. Umlauf dirigirte, die Damen Sonntag und Unger sangen die Sopran- und Altsoli. B. stand im Orchester, hörte aber weder etwas von der Musik, noch von dem nach der Symphonie losbrechenden Beifallssturm im Publicum. Fräul. Unger mußte ihn, wie Schindler erzählt, durch Umwenden und Hinzeigen aufmerksam machen, damit er wenigstens sähe, was im Saale vorging.

Bezeichnend für Beethoven’s letzte Periode sind neben diesen beiden Werken zum Theil noch die fünf Sonaten nach Op. 100 (A-dur Op. 101; B-dur Op. 106; E-dur Op. 109, zum Theil um 1820 componirt; As-dur Op. 110, 1821 componirt; C-moll Op. 111, 1822 componirt), desgleichen die 33 Veränderungen über den Diabelli’schen Walzer, Op. 120 (compon. 1823). Besonders aber die durch einen Auftrag des Fürsten Galitzin veranlaßten und 1824 begonnenen fünf Quartette (Es-dur Op. 127, comp. 1824; B-dur Op. 130, comp. 1825/26; Cis-moll Op. 131, druckfertig im October 1826; A-moll Op. 132, comp. 1825; F-dur Op. 135, comp. 1826). Daß diese Werke, allgemein genommen, manchen früheren des Meisters an Fluß und Abrundung der Form, Klarheit der Tongestaltung und Continuität der Gedankenentwickelung, nicht selten aber auch an Bedeutung des Inhaltes nachstünden, wird von Vielen behauptet, von anderen bestritten. Gewiß ist, daß sie in der Arbeit die volle Meisterschaft verrathen, und Tongebilde von hoher Schönheit entfalten: sogar von jener echten und edlen Popularität, welche als Ausdruck des allgemein Wahren und Menschlichen eine so hervorstechende Eigenschaft namentlich früherer Werke Beethoven’s ausmacht, tauchen auch in ihnen noch so manche Züge auf. Kaum minder zweifelhaft ist aber auch, daß besonders in den Quartetten die Grenzen der Faßlichkeit und des Wohlklanges manchmal wenigstens haarscharf berührt und manchmal überschritten sind. Desgleichen will es nicht Jedem gelingen, die Entwickelung der Sätze immer durchaus zu begreifen, oder die leitende Idee des Ganzen klar aufzufassen. Ob wir jedoch in der Nachempfindung und im Verständnisse nicht immer auf gleicher Höhe uns zu erhalten vermögen, oder ob B. wirklich von seiner Phantasie über die Grenzen des Faßbaren in das Reich des Gestaltenlosen manchmal sich führen ließ, mögen Andere entscheiden. Ein werthvoller Gegenstand des Studiums, wenn auch nicht überall des ungetheilten Genusses, werden auch diese Quartette uns Allen bleiben.

Im Frühlinge 1824 war noch ein ehrenvoller und von günstigen Anerbietungen begleiteter Ruf nach England zu kommen an B. ergangen; er war auch bereit Folge zu leisten, aber die Reise unterblieb. Auch verschiedene Compositionspläne (zu einer zehnten Symphonie; einem Oratorium: der Sieg des Kreuzes, von Bernard; zu Goethe’s Faust) sind nicht mehr zur Ausführung gelangt. Im Herbst 1825 bezog er seine letzte Wohnung im Schwarzspanierhause, wo er am Abende des 26. März 1827 im Alter von 56 Jahren gestorben ist. Das Wiener Publicum, welches schon seinen späteren Werken leichter eingängliche Genüsse vorgezogen und ihn in seiner freiwilligen Einsamkeit nicht mehr gestört hatte, erinnerte sich seiner fast erst wieder bei Verbreitung seiner Todesnachricht, und es gab ihm in unabsehbarem Zuge das Geleite.

In den meisten Compositionsgattungen und Formen hat B. Denkmale seines Genius hinterlassen. Vorzugsweise aber war und blieb die Instrumentalmusik das ihm ureigene und angeborene Organ, für den Ausdruck der in ihm und in seiner Zeit lebenden höchsten Ideen und Gefühle, in ihr fand er die [268] stärkste, eindringlichste und formenreichste Sprache für alles Sinnvolle, Edle und Erhabene, was Gefühl und Phantasie der Menschheit in Bewegung setzt. Durch ihn ist die Instrumentalmusik nach ihrer ideellen und formellen Seite hin so erfüllt und abgeschlossen, daß seine Werke der Maßstab für die Beurtheilung dieser ganzen Musikgattung bis auf heutigen Tag geblieben sind. Zwar sind nach ihm mancherlei Pfade seitwärts und in anderer Richtung aufgesucht und betreten, aber Keiner ist auf seine Höhe gelangt, und alle Werke seiner Nachfolger bekunden eine mehr oder weniger deutliche Abhängigkeit von ihrem unvergänglichen Vorbildern.

Die Litteratur über B. ist bereits sehr reichhaltig, doch fehlt noch immer eine Biographie, welche bei klarer Sichtung seiner Lebensumstände, auch dem Künstler in verständnißvoller Weise und dem ihm zukommenden Maße gerecht wird. Allen neueren Arbeiten gegenüber behalten daher die nicht lange nach seinem Tode erschienen Schriften von Personen, die ihn noch gekannt und ihm nahe gestanden haben, immer noch ihren Werth als Zeugnisse Mitlebender; auch wenn sie im Einzelnen sachliche Unrichtigkeiten enthalten, wird man aus diesen Schriften sein Charakterbild doch am deutlichsten sich zusammensetzen können. Dahin gehören: G. F. Wegeler und Ferd. Ries, Biogr. Skizzen über L. v. B., Coblenz 1838; A. Schindler, Biographie von L. v. B., Münster 1840, 3. Auflage 1860; auch J. v. Seyfried’s L. v. Beethoven’s Studien im Genrealb. etc., Wien o. J., enthält im Anhange manche biogr. Notizen, seine übrige Werthlosigkeit kennt man längst, insbesondere durch Nottebohm’s fleißige Untersuchung, Allgemeine Mus. Ztg, 163.64. Die neueste, noch unvollendete Biographie: Alex. Wheelok Thayer, L. v. Beethoven’s Leben, Berlin I. 1866, II. 1872, beschäftigt sich weniger mit Beethoven’s Kunst, als mit arbeitsamer Darstellung seiner Lebensumstände, leidet aber an Ueberhäufung mit Notizen und Nebensächlichem. Noch ferner sind zu nennen, wenn auch nicht zu empfehlen: A. B. Marx, L. v. Beethoven’s Leben und Schaffen, Berlin 1859, 2. Auflage 1863; Lenz, B., eine Kunststudie, Hamburg 1860; A. Ulibischeff, B., ses critiques et ses glossateurs, Leipzig 1857, deutsch von L. Bischoff, ebd. 1859. – Themat. Verzeichnisse seiner Werke: G. Nottebohm, Them. Verz. der im Druck erschienenen Werke, Leipzig 1868; A. W. Thayer, Chronol. Verzeichn. der Werke, Berlin 1865.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 251. Z. 20 v. u. l.: 26. März (st. Mai). [Bd. 5, S. 794]