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Artikel „Schenk, Johann“ von Hans Michael Schletterer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 31 (1890), S. 52–56, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schenk,_Johann&oldid=- (Version vom 7. Oktober 2024, 17:42 Uhr UTC)
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Schenk: Johann S., ein sehr gründlicher, tüchtiger und fleißiger Componist, der seinen Namen wenigstens durch eines seiner zahlreichen Werke auf die Nachwelt gerettet hat und zwar durch die zweiactige Oper: „Der Dorfbarbier“, die durch ihren humoristisch-originellen Inhalt, ihre anmuthende und fließende Melodik, vorherrschend populäre Komik, richtige Färbung und treffliche Charakterzeichnung, als Muster ihrer Gattung hingestellt werden kann, bis zur Stunde unzählige Aufführungen erlebte und Gemeingut aller Bühnen wurde. S. wurde in sehr beschränkten Verhältnissen am 30. November 1761 in Wiener-Neustadt geboren und starb einsam, arm und vergessen, am 29. December 1836. Des Knaben sich bald überraschend kundgebende schöne Stimme veranlaßte den damaligen Domsänger Ant. Tomaselli ihm unentgeltlich den ersten Gesang- und Clavierunterricht zu ertheilen. Zehnjährig kam er dann als Chorknabe nach Baden b. W. zu dem Schullehrer und Chorregenten Joseph Stoll, einem tüchtigen mit Mozart späterhin sehr befreundeten Musiker (in seinem Hause componirte letzterer, 18. Juni 1791, sein himmlisch schönes Ave verum) und erhielt nun die erste Anweisung im Generalbasse, lernte Geige spielen und auch die gebräuchlichen Blasinstrumente wenigstens oberflächlich kennen und behandeln. Der liebenswürdige und bescheidene Knabe, von rastlosem Fleiße beseelt, gewann sich überall Gönner, die ihn nach Kräften förderten. So wurde hier der Stadtpfarrer, Ignaz v. Fröhlich, sein Mäcen, der ihm außer anderen Unterstützungen auch gute Bücher zuwendete, darunter die damals überaus hochgeschätzten und vielgelesenen „Oden und Lieder von Gellert“, die auch ihn zu seinen ersten Compositionsversuchen begeisterten. Nebenbei schrieb er Tanzpartien, Orchestermenuette und sogar, sich Dittersdorf und Haydn zum Muster nehmend, seine [53] ersten Sinfonien. Sein Protector fand Gelegenheit ihn an den Wiener Fürsterzbischof, Cardinal Grafen Magazzi, zu empfehlen und gleich nach seinem Eintreffen in der Kaiserstadt, die nun sein bleibender Aufenthalt wurde, gewann er sich auch die dauernde Gunst des Dompredigers Schneller, dessen Oberaufsicht er besonders anvertraut wurde, damals der berühmteste Kanzlerredner Wiens, zugleich ein begeisterter Musikfreund und vortrefflicher Violinspieler. Neben seiner wissenschaftlichen Bildung ward von demselben dem musikalischen Talente Schenk’s größte Sorgfalt zugewendet. Von seinem Mentor aufgemuntert, wagte sich der Knabe an die Composition einiger Quartette, die Schneller seinem Beichtkinde, dem k. k. Hofcompositor und Claviermeister der Kaiserin Maria Theresia, G. Chr. Wagenseil (geb. 1688), einem seinerzeitigen Schüler des berühmten Hofcapellmeisters Joh. Jos. Fux (1660–1741) zur Prüfung und Beurtheilung vorlegte. Des alten Meisters Urtheil fiel günstig aus; er versprach S. unter die Zahl seiner Schüler aufzunehmen, unter denen sich gleichzeitig auch Joh. Mederitsch, genannt Gallus, und die Brüder Anton und Franz Tayber, nachmals alle als fruchtbare Operncomponisten geschätzt, befanden. Anfangs 1774 begann der glückliche Scholar seinen neuen Lehrcurs nach Fux’s Gradus ad Parnassum; binnen Jahresfrist eignete sich der eifrig lernbegierige die Theorie des einfachen und doppelten Contrapunkts an und nachdem er zugleich alle ihm zugänglichen Tonwerke der alten Italiener, besonders Palestrina’s, dann die Fugensammlungen Bach’s und die Oratorien Händel’s und Hasse’s ernste und Galuppi’s komische Opern, vor allen aber Gluck’s damals zumeist bewunderten Schöpfungen eingehendstem Studium unterzogen hatte, begann er die bisher geübten abstracten Regeln seiner Kunst nun auch praktisch zu verwerthen, indem er besonders Kirchenstücke aller Art, a cappella und mit Begleitung, componirte, so die beste und gründlichste Schule für einen angehenden Componisten durchmachend. Was die Freude dieser schönsten Jahre Schenk’s störte, war das lange dauernde Siechthum seines theuren Lehrers, dem die Gicht drei Finger der linken Hand und krankhaftes Zusammenziehen der Sehnen die ganze rechte Seite gelähmt hatte. Nur von seinem Schmerzenslager aus vermochte er seine mit großer Liebe zu ihm erfüllten, dankbaren Schüler zu unterrichten. Sein Tod (1. März 1777) endete für unsern S. drei fruchtbringend durchlebte Jahre. Lange wollte die tiefe Wunde, welche dieses Ereigniß seinem und dem Herzen seiner Mitschüler geschlagen, nicht vernarben. Gallus raffte sich zuerst aus seiner Niedergeschlagenheit auf, indem er eine Messe componirte, die er mit vielem Erfolg zur Aufführung brachte. Das stachelte Schenk’s Ehrgeiz zur Nacheiferung an. In einem weihevollen Moment fühlte auch er sich zur Composition einer solennen Messe angeregt, die der 16jährige, von Begeisterung durchglühte Jüngling, in einem Zuge vollendete. Zu dieser Zeit war sein liebevoller Gönner, Schneller, zum Beneficiaten an der Magdalena-Capelle ernannt worden. Das neue Werk, in welchem durch Veranstaltung eines hochherzigen Kunstfreundes, des Viceappellationspräsideuten von Kees, die hervorragendsten Gesang- und Instrumentalvirtuosen Wiens mitwirkten und dessen Direction der Domcapellmeister Leopold Hofmann persönlich übernommen hatte, fand gelegentlich der Installation Schneller’s, am 8. Januar 1778, eine glänzende Wiedergabe. Der vollständige Erfolg, den dadurch S. gewann, brach seinen folgenden Werken Bahn und machte seinen Namen weithin ehrenvoll bekannt. Höher noch mußte er den Beifall J. Haydn’s und des Baron van Swieten schätzen, die ihm fortan stets mit Wohlwollen geneigt blieben. Bald nach dieser Messe schrieb er auf Anregung des H. v. Kees eine lauretanische Litanei, für den Chorregenten C. Friberth an der oberen und unteren Jesuitenkirche ein Stabat mater, ferner für andere Besteller einige Gelegenheitscantaten und 1779 eine zweite feierliche Messe. Nun fand er auch [54] Gelegenheit für die Bühne zu arbeiten und damit erwachte große Lust in ihm, in diesem Fache sich auszuzeichnen. Zur Vorübung componirte er alle Singspieltexte von Weiße, Michaelis, Bretzner, Goethe u. a., deren er habhaft werden konnte. Mit der Musik zu dem Trauerspiel „Erwina von Steinheim“ von Alois Blumauer (31. Juli 1781) trat er zum ersten Male vor die Oeffentlichkeit, jedoch dafür, wie für seine nächstfolgenden Opern strengste Anonymität wahrend. S. arbeitete nicht flüchtig; die Zahl seiner Werke ist daher im Vergleich zu anderen zeitgenössischen Tonsetzern keine sehr bedeutende. Man kennt nur 16 Opern und Operetten von ihm und zwar ist die letzte derselben, ein ernstes dramatisches Gedicht, in welchem er sich Gluck zum Vorbilde genommen, unvollendet geblieben. Sein Geist erlag während dieser Arbeit der Last, die er sich aufgebürdet hatte und er vermochte sein Ideal nicht zu verwirklichen. Trübsinn und Schwermuth erfaßten ihn darob, ein lebensgefährliches Nervenleiden warf ihn auf ein langes Krankenlager. Als die entschwundenen Kräfte wiederkehrten, war sein Selbstvertrauen gewichen. Das Problem, das zu lösen er sich vorgenommen, dünkte seinen Fähigkeiten zu groß, Furcht vor ungewissem Erfolg und Scheu seinen Namen zu schädigen, ließen ihn den unwiderruflichen Entschluß fassen, der Bühne für immer zu entsagen. Nur zwei für den großen Musikverein 1819 geschriebene Cantaten, „Die Huldigung“ von L. K. H. Hölty und „Der Mai“ (letztere als ganz werthlos bezeichnet) brachte er noch zur Aufführung. Zur Zeit, als S. das Theater fast alljährlich mit einem neuen Werke bereicherte, war dasselbe für Dichter und Componisten noch keine Goldgrube. Auch später, bis zu Lortzing herab, war es keine solche. Heute macht eine, dem frivolen Geschmack und der begehrlichen Sinnlichkeit schmeichelnde Operette, mag ihr Inhalt noch so widersinnig sein, ihre Musik das äußerste an Banalität leisten, ihre Verfasser unfehlbar zu reichen Leuten, denen die Tausende nur so zuströmen und die in prächtigen Häusern und herrlichen Landsitzen ein sorgenlos genußreiches Leben führen können. Armer Mozart, und du schriebst doch neben anderen Kleinigkeiten, 23 Bühnenwerke! Armer Wenzel Müller, an Fruchtbarkeit ein musikalischer Lopez de Vega, dessen Operetten zuletzt gar nicht mehr zu zählen waren, jedenfalls waren es deren mehr als 200, es hielt schwer, eure Begräbnißkosten aufzubringen! Schenk’s „Dorfbarbier“ hat sich bis zur Stunde auf dem Reportoire erhalten und wird stets gerne gesehen. Aber leider ist von dem ursprünglichen Texte nur wenig übrig geblieben. Keine andere Oper ist so zum Tummelplatz aller schlechten Theaterwitze, elender Lazzis und monströser Lächerlichkeiten geworden, wie er. Was die üppigste Komikerphantasie ersinnen konnte, um das Publicum durch ausgesuchte Dummheiten zu amüsiren, hier kann man es bewundern. Es mag hier übrigens bemerkt sein, daß im allgemeinen Schenk’s Opern mit Ausnahme des „Dorfbarbier“ und einiger anderen, keinen besonderen Erfolg hatten. Darin mag auch der Grund liegen, daß er sich so früh schon vom Theater völlig abwendete. Er nahm es mit seiner Kunst doch zu ernst. Gluck, dann Mozart, später Beethoven wurden seine Götter, denen er neidlose Bewunderung und treueste Verehrung darbrachte. Als Mozart seine Zauberflöte, Freitag, 30. September 1791, zuerst im Theater auf der Wieden zur Aufführung brachte und selbst dirigirte, hatte sich S. einen Platz im Orchester zu verschaffen gewußt. Die Ouverture, dieses unvergleichliche und unerreichte, herrlichste aller Instrumentalstücke setzte ihn in solches Entzücken, daß er bis an den Dirigentenstuhl kroch, Mozart’s linke Hand ergriff und küßte. Der Meister schlug mit der Rechten den Takt weiter, sah ihn freundlich an und streichelte ihm, von dieser Huldigung gerührt, liebevoll die Wange. In begeisterten Worten sprach S. von Beethoven’s Clavierspiel und Compositionen. Durch das intime Verhältniß, das den wackeren Meister mit Beethoven verband, ist, so zu sagen, auch [55] sein Name unsterblich geworden, denn auf jeden, der dem Göttlichen nahe treten kann, fällt ein Strahl unvergänglichen Glanzes. Der junge Beethoven war 1792 nach Wien gekommen. Der Abbé Gelinek, der bekannte Variationencomponist, der ihn spielen hörte, erzählte S. einst von dessen außerordentlichen Leistungen. Später bat er den als Meister des Contrapunktes hochangesehenen, er möge sich doch des jungen Mannes annehmen, der ohne sonderliche Fortschritte zu machen, bei J. Haydn theoretischen Unterricht habe. S. und Beethoven trafen sich nun in Gelinek’s Wohnung. Beethoven setzte sich ans Clavier und phantasirte eine halbe Stunde derart, daß noch nach 40 Jahren der alte S. in Bewegung gerieth, wenn er dieses Spiels gedachte. Anderen Tags besuchte S. den seltenen Pianisten. Auf einem Pulte lagen einige contrapunktische Studien, in denen S. sofort einige stehen gebliebene Fehler entdeckte. Beethoven wurde gereizt und mißmuthig und bat nun selbst, der neue Freund möge ihn unterweisen. J. Fux’ bewährter Gradus ad Parnassum wurde nun durchgenommen. Der Lehrer, richtig des Schülers geniale Begabung erkennend, hatte höchsten Respect vor ihm, betrachtete sich nur als Werkzeug und war froh und glücklich, zu dessen theoretischer Ausbildung sein Scherflein beitragen zu können. Doch machte er die Doppelbedingung, daß er ohne Vergütung und unterm Siegel strengster Verschwiegenheit seine Dienste leisten wolle. Der Unterricht begann August 1792 und dauerte bis Ende Mai 1793. Da Haydn nicht gekränkt werden durfte, unterbreitete Beethoven nur die von S. corrigirten Aufgaben seiner Durchsicht. Der eitle Gelinek, mit dem sich S. überwarf, plauderte zu dessen größtem Verdruß das Geheimniß aus. Im Juni folgte B. mit Haydn einer Einladung des Fürsten Esterhazy nach Eisenstadt. Da bald darauf Haydn seine Londoner Reise antrat, übergab er seinen Pflegebefohlenen an J. G. Albrechtsberger, Capellmeister an St. Stephan, der nun sein ernster und strenger Lehrer in der Harmonie wurde, während der k. k. Hofcapellmeister A. Salieri seine Ausbildung im freien Stile übernahm. Schenk’s Thätigkeit war dadurch beendet; doch hörte darum das freundschaftlich herzliche Verhältniß zwischen ihm und Beethoven nicht auf. Er erlebte es noch, daß die von ihm einst sorglich gehegte Pflanze zum bewunderten Riesenbaum emporwuchs. Erst Beethoven’s Tod löste die treu unterhaltenen Beziehungen zwischen beiden. – S., ein großer stattlicher Mann, blieb unvermählt; er bewarb sich nie um eine seinen Talenten entsprechende fixe Anstellung; ob er wirklich die Hauscapelle des Fürsten Carl von Auersperg (um 1796) dirigirte, vermögen wir nicht mit Bestimmtheit anzugeben. In den Sommermonaten war er längere Zeit auf dessen Gütern sein Gast. Um leben zu können, gab er Musikunterricht; dabei kommt nicht viel heraus. Er erstrebte aber auch nur ein schlichtes, geräuschloses, durch den Umgang mit einigen gleichgesinnten Kunstgenossen verschöntes, friedliches Privatleben. Obwol er in dürftigen Verhältnissen seine Tage beschloß, blieb er stets heiter, gesellig, offen, zuverlässig, ein treuer Freund. Außer seinen Opern und den bereits aufgeführten Compositionen Schenk’s nennen wir hier noch 3 Harfenconcerte, für die k. k. Harfenmeisterin und Kammervirtuosin Josepha Müllner-Gollenhofer und 6 Sinfonien für seinen Gönner H. v. Kees componirt, der s. Z. als der erste Musikfreund Wiens anerkannt, in seinem Hause wöchentlich viermal Gesellschaftsconcerte veranstaltete, zu welchen sich alle musikalischen Berühmtheiten, Haydn, Mozart, Dittersdorf, Hofmeister, Albrechtsberger u. A. oft und gern einzufinden pflegten. Schenk’s Bühnenwerke sind: „Die Weinlese“ 1785; „Weihnacht auf dem Lande“ 1786, beides Lieblingsopern des Kaisers Joseph II., der in Gesellschaft der Glieder des Erzhauses ihren Aufführungen häufig beiwohnte; „Im Finstern ist nicht gut tappen“, 1787; „Das unvermuthete Seefest“ 1788; „Das Singspiel ohne Titel“ [56] 1789; „Der Erntekranz“, von Chr. F. Weiße, 1790; zwei kleine Singspiele für den Fürsten Auersperg, 1794; „Achmet und Almanzine“ 1795; „Der Bettelstudent“; „Der Dorfbarbier“ 1796, zu beiden der Text von J. Weidmann; Gesänge zu dem Schauspiel: „Sultan Achmet“ von Iffland, 1797; „Die Jagd“ von Weiße, 1798; „Der Faßbinder“ nach dem Französischen von J. G. Faber. Noch wurde eine Operette zur Namensfeier der Kaiserin Theresia in Laxenburg um diese Zeit aufgeführt. Schenk’s Autobiographie, einst im Besitze des bekannten glücklichen Sammlers Al. Fuchs in Wien, ist leider verschollen.