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Artikel „Müller, Wenzel“ von Carl Ferdinand Pohl in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 22 (1885), S. 681–682, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:M%C3%BCller,_Wenzel&oldid=- (Version vom 3. Dezember 2024, 19:04 Uhr UTC)
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Müller: Wenzel M., neben Ferdinand Kauer (1751–1831) einer der beliebtesten österreichischen Componisten volksthümlicher Theatermusik, wurde als der Sohn eines herrschaftlichen Maierhofpächters, am 26. September 1767 im Markte Türnau in Mähren geboren. Er zeigte frühzeitig Talent für Musik, machte sich bei seinen Schulmeistern, dann im Benedictinerstift Rayzern bei Brünn mit dem Tonsatz und Gebrauch der verschiedenen Instrumente vertraut und schrieb damals mit Vorliebe Harmoniestücke und Kirchencompositionen. Als ihn der Prälat des Stiftes, Ottmar, nach Johannisberg in Schlesien mitnahm, lernte er die ausgezeichnete Musikkapelle des Fürstbischofs Schafgotsch kennen und wurde mit dem Dirigenten und Componisten Dittersdorf näher bekannt, der ihm Lehrer und Freund wurde und den er fortan zum Muster nahm auf seiner Bahn. Aufmerksam gemacht auf das Brünner Theater, damals unter Weitzhofer’s Direction (nach ihm Bergopzoom), gelang es ihm, im Orchester eine Stelle als Violinist und bald als Kapellmeister (1783) zu erlangen und seine erste Operette „Das verfehlte Rendezvous, oder: die weiblichen Jäger“ zur Aufführung zu bringen, die auch allgemein gefiel. Als das Theater abbrannte, ging M. mit Willmann, dem pensionirten Musikdirector des Grafen Johann Palffy, nach Wien, und fand dort seinen alten Freund und Rathgeber, den Sänger Anton Baumann, der gerade in dem seit 1781 bestehenden Leopoldstädter Theater in einer, eigens für ihn in Brünn von M. componirten Oper auftrat und ihn sofort an Director Marinelli empfahl, bei dem er 1786 als Kapellmeister eintrat und am 28. April, als seine erste Wiener Arbeit, die Operette „Je größer der Schelm, je größer das Glück“ aufführte, die guten Erfolg hatte. M. fand hier den richtigen Wirkungskreis für sein Talent und wurde rasch durch seine, echt österreichische Gemüthlichkeit athmende Musik zu den verschiedensten Bühnenstücken (Oper, Singspiel, Operette, Pantomime, Zauberposse) im wahren Sinne des Wortes populär. Von den nahezu 230 Stücken erlebten viele bis in die letzten Lebensjahre Müller’s weit über 150 Vorstellungen und fanden rasch auch ihren Weg nach Deutschland und selbst nach England. Einzelne Lieder daraus, wie z. B. „Wer niemals einen Rausch gehabt“, oder „So leb’ denn wohl du stilles Haus“, haben sich noch heute im Volke erhalten. Als seine Tochter, die seinerzeit berühmte dramatische Sängerin Therese Grünbaum (geb. in Wien am 24. Aug. 1791, † in Berlin den 30. Januar 1876) einen Ruf an das ständische Theater in Prag erhielt, folgte ihr auch der Vater im März 1807 als Kapellmeister. Allein es duldete ihn nicht lange in der neuen Stellung; er sehnte sich an die alte Stätte in der Wiener Vorstadt zurück, der er fortan von 1813 bis zu seinem Tode treu blieb. Er starb in Baden bei Wien am 3. Aug. 1835, als Künstler und Mensch geschätzt und geliebt. Sein Pastellporträt besitzt das Museum der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, eine Lithographie von F. Wolf, nach einer Zeichnung von Georg Decker (1835) erschien bei Diabelli in Wien. Aus beiden Porträts spricht die wahre Milde und Herzensgüte.

Zu den Bühnenstücken, die durch Müller’s Musik den meisten Erfolg hatten, zählten: „Das Sonnenfest der Braminen“, heroisch-komisches Singspiel in 2 Acten von Carl Friedrich Hensler (1790); „Kasper der Fagottist oder: die Zauberzither“, Maschinen-Singspiel in 3 Aufzügen von Joachim Perinet (1793); „Das Neusonntagskind“, Oper in 2 Acten nach Haffner von Perinet (1793); „Die Schwestern [682] von Prag“, komische Oper in 2 Acten, nach Haffner von Perinet (1794); „Die zwölf schlafenden Jungfrauen“, Schauspiel mit Gesang in 4 Acten von Hensler (1797); „Die Teufelsmühle am Wienerberge“. Geistermärchen mit Gesang in 4 Acten von Hensler (1799); „Der Bettelstudent“. Singspiel in 3 Acten, nach dem Lustspiel von Leop. Huber (1800); „Der Schusterfeierabend“, komische Oper in 3 Acten (1801); „Die unruhige Nachbarschaft“, komische Oper in 2 Acten, nach Huber von Hensler (1803); „Die neue travestirte Alceste“, Caricaturoper in 3 Acten nach Pauersbach und Richter (1806); „Die Kosaken in Wien“, Singspiel in 3 Acten von Adolf Bäuerle (1814); „Der Fiaker als Marquis“, komisches Singspiel in 3 Acten von Bäuerle (1816); „Tancredi“, Parodie mit Gesang in 2 Acten von Bäuerle, mit Beibehaltung der beliebtesten Originalstücke (1817); „Die travestirte Zauberflöte“, Parodie mit Gesang und Tanz von Carl Meisl (1818); „Der Kirchtag in Petersdorf“, Posse mit Gesang in 2 Acten von Meisl (1819); „Aline, oder Wien in einem anderen Welttheile“, komische Zauberoper mit Tänzen in 3 Acten von Bäuerle (1822); „Der Barometermacher auf der Zauberinsel“, Zauberposse mit Gesang in 2 Acten von Ferdinand Raimund (1823); „Die musikalische Schneiderfamilie, oder: die Heirath durch Gesang“, komisches lokal. Liederspiel in 2 Acten von Bäuerle (1825); „Der erste Mai im Prater“, pantomimische Parodie der Zauber- und Ritterballete in 2 Acten von P. Rainoldi (1826); „Der Alpenkönig und der Menschenfeind“, romantisch-komisches Original-Zauberspiel mit Gesang in 2 Acten von Ferdinand Raimund (1828); „Bruder Lüstig, oder: Faschingsstreiche“, Posse mit Gesang in 2 Acten von Bäuerle (1832); „Asmodi, oder: das böse Weib und der Satan“, Zauberposse mit Gesang in 2 Acten nach einer Volkssage von Jos. Schickh, Müller’s letzte Arbeit (1834). Von den genannten Stücken hat bekanntlich „Der Fagottist“ ein besonderes Interesse dadurch, daß der Dichter damit Mozart’s „Zauberflöte“ kreuzte. Schikaneder glaubte nach dem glücklichen Erfolg der Oper „Oberon, König der Elfen“, Musik von Paul Wranitzky, sich eine ähnliche Wirkung zu sichern, indem er den Stoff zu einer neuen Oper dem Märchen „Lulu oder die Zauberflöte“ aus Wieland’s Dschinnistan entnahm. Mitten in der Arbeit aber erfuhr er, daß im Leopoldstädter Theater eine Oper nach demselben Märchen in Vorbereitung sei, die dann auch am 8. Juni unter dem oben erwähnten Titel (Kasper der Fagottist etc.) zur ersten Aufführung gelangte. Schikaneder war daher gezwungen, wesentliche Veränderungen in der Handlung vorzunehmen, zu der er sogar die Symbolik der Gebräuche des damals vielumworbenen Freimaurerordens benutzte. Der Schauspieler und Chorist seines Theaters, J. G. Carl Ludwig Giesecke, der auch den „Oberon“ bearbeitet hatte, war ihm bei der Grundlage dieser Arbeit behülflich, deren Autorschaft schließlich Schikaneder für sich allein in Anspruch nahm (vgl. O. Jahn’s „Mozart“, 2. Aufl. Bd. II., S. 486 ff.). „Zauberflöte“ und „Fagottist“ liefen sich nun eine geraume Zeit den Rang ab, denn Letzterer zählte trotz dem Zulauf zur Zauberflöte im Jahre seiner Entstehung 89 Aufführungen und erlebte im folgenden Jahre sogar einen zweiten Theil unter dem Titel „Pizzichi“.