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Artikel „Hasse, Johann Adolf Peter“ von Robert Eitner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 10 (1879), S. 755–758, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Hasse,_Johann_Adolf&oldid=- (Version vom 29. März 2024, 08:08 Uhr UTC)
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Hasse: Johann Adolf Peter H. und seine Frau Faustina, geborene Bordoni. Alles, was die Welt an Ruhm, Ehre, Glück, Reichthum und körperlicher Schönheit besitzt, hat sich einst auf dieses Ehepaar vereinigt, und zwar nicht in vorübergehender Laune, sondern stetig, bis zur ihrem Lebensende. Johann Adolf H., wie er sich gewöhnlich schrieb, auch „il Sassone“ genannt, war am 25. März 1699 in Bergedorf bei Hamburg geboren und erhielt seine erste musikalische Ausbildung in Hamburg. Der bekannte Hamburger Libretto-Dichter, Joh. Ulrich König, wurde zuerst auf die musikalische Begabung des Jünglings aufmerksam und brachte ihn 1718 als Tenoristen auf die Hamburger Opernbühne. Gerber und die späteren Verfasser von Musik-Lexica sind der Meinung, daß H. hier unter Reinhard Keiser’s Direction dessen Opern einstudirte und sang und daß er Keiser noch bis ins späte Alter als denjenigen schildere, von dem er am meisten gelernt habe. Wenn man das Letztere auch nicht unbedingt in Abrede stellen kann, obgleich Keiser in deutscher und H. in italienischer Manier schrieben, so ist durch neuere Forschungen definitiv festgestellt, daß weder eine Oper Keiser’s während der Jahre 1718–21 in Hamburg gegeben wurde, noch Keiser selbst sich damals um das Hamburger Theater irgendwie bekümmert hat, da er in diesen Jahren meistentheils in Kopenhagen lebte. Schon vor 1721 (siehe Chrysander’s erstes Jahrb. f. musik. Wissenschaft, 1863, p. 271) war er als Hofopernsänger in Braunschweig angestellt und ebendort ist Seite 272 Nr. 157 seine erste Oper „Antioco. Drama per musica … Antiochus, in einer Oper vorgestellet auf dem großen Braunschweigischen Theatro in der Sommermesse Anno 1721“ angezeigt. Gerber’s und Fürstenau’s Angaben bedürfen hiernach der Verbesserung. In dem italienisch-deutschen Textbuche heißt es über den Componisten „La Musica è fatta dal Sign. A. F. (sic?) Hassen, Virtuoso di S. A. S. il Duca regnante di Braunsuiga-Luneburgo“. Aus dem Personenverzeichniß ist zu ersehen, daß H. den Antiochus sang. Schon vom J. 1722 [756] an fehlt der Name Hasse’s in dem Personenverzeichniß der Sänger und man wird daher annehmen müssen, daß er jetzt schon nach Italien wanderte, dem damals gelobten Lande der Musiker. Wir treffen ihn in Neapel als fleißigen Schüler Porpora’s[WS 1], dann Alessandro Scarlatti’s[WS 2], der im Clavierspielen und in Compositionen sich die Gunst der Kunstgenossen und des Publicums zu erwerben sucht und bereits im J. 1726 den Namen „il caro Sassone“ trägt. Eine Oper, für das königl. Theater in Neapel geschrieben, begründete vollends sein Glück. Im J. 1727 erhielt er am Conservatorio dell’ Incurabili in Venedig die Capellmeisterstelle und damit Gelegenheit Compositionen für die Kirche zu schreiben. Es wird besonders ein Miserere für 2 Soprane, 2 Alte, 2 Violinen, Viola und Baß erwähnt, welches lange Zeit hindurch in der Charwoche aufgeführt und noch vom Pater Martini[WS 3] eine „wundervolle Composition“ genannt wurde. 1730 componirte er für ein Theater in Venedig die Oper „Artaserse“ (im Textbuche dieser Oper nennt sich H. „Maestro sopranumerario della Real Capella di Napoli“, d. h. überzähliger Kapellmeister der königl. Kapelle in Neapel) und hier war es auch, wo er die Faustina Bordoni kennen lernte und er von ihr geheirathet wurde. Etwas älter als er, stand sie auf der Höhe ihres Ruhmes und die üppige Fülle ihrer Schönheit war wol im Stande, den sechs Jahre jüngeren Mann zu berücken. Ob er es später bereut hat? der Nachwelt ist davon nichts bekannt geworden, doch die Zeit in Dresden mag ihm manche schwere Stunde bereitet haben. Wieder andererseits könnte man bezweifeln, ob H. jemals zu der hervorragenden Stellung gelangt wäre, wenn er nicht in der Faustina eine so vorzügliche Darstellerin seiner Schöpfungen gefunden, die sich so eng an ihn gekettet hatte. Schon im nächsten Jahre wurden beide durch den Einfluß des Kronprinzen von Sachsen nach Dresden berufen. H. erhielt die Capellmeisterstelle und seine Frau war Primadonna. Die „Dresdner Merkwürdigkeiten“ vom Juli 1731 melden: „Den 7. Juli ist der Königl. Pohln. und Churf. Sächs. Capellmeister, Mons. H., mit seiner neuen Eheliebsten, der bekannten Sängerin Faustina, die ihres gleichen wenig haben soll, aus Venedig allhier angelanget, und hat Tags darauf bei Ihro Maj. dem Könige dieselbe die erste Probe ihrer Geschicklichkeit im Singen zu vollkommenen Contentement hören lassen“. Am 13. September wurde bereits die von dem „famomissimo Signor Giovanni Adolfo Hasse, detto il Sassone“ (so heißt es im Textbuche) componirte Oper „Cleofide“ gegeben. Ein Berichterstatter der „Curiosa Saxonica“ (1731, 34. u. 35. Probe) spricht sich über H. und seine Frau aus: „Dieses ungemeine Ehepaar kann wohl itziger Zeit vor die größeste Virtuosen in der Music vor gantz Europa passiren, indem der berühmte H. in der Composition, die unvergleichliche Madame Hassin aber im Singen und in der Action ihres gleichen nirgends haben.“ Die „Cleofide“, sagt Fürstenau, bezeichnet in musikalischer Beziehung im Allgemeinen den Standpunkt, welchen damals die italienische Oper, ja die italienische Schule überhaupt einnahm: Reichthum und Lieblichkeit in der Melodieerfindung, Einfachheit in der Form, Harmonie und Instrumentation, Streben nach dem richtigen Ausdrucke den Text musikalisch wiederzugeben und eine meisterhafte Behandlung der menschlichen Stimme. H. hat diese Grenzen in keiner seiner späteren Opern überschritten und daher vom geschichtlichen Standpunkte aus sich in keiner Weise vor denen seiner Fachgenossen ausgezeichnet, da er es aber verstand, dem Geschmacke seiner Zeit so ganz gerecht zu werden, so wurde er nicht nur der populärste, sondern auch der gesuchteste und gefeierteste Künstler seiner Zeit. In Folge der Gleichförmigkeit in Erfindung und Form, der Leere in der Harmonie, des Mangels an tiefer Empfindung und der geringen dramatischen Gestaltungskraft, die sich in seinen Opern kund gibt, haben sie das 18. Jahrhundert nicht überlebt; dennoch müssen [757] wir ihnen noch heute das Prädicat „anmuthig“ ertheilen und können uns wol vorstellen, daß unsere Voreltern ein halbes Jahrhundert lang und darüber dafür geschwärmt haben. Hasse’s und seiner Frau Einfluß in Dresden dauerte fast 30 Jahre. Der Hof, der Adel, das größere Publikum, welche Sinn für Kunst beseelte, huldigten den Talenten dieses Ehepaares. Dresden war damals nichts weniger als eine deutsche Stadt, sie erschien weit mehr als eine vorgeschobene Stätte für den Luxus, die Geselligkeit und die Künste des südlichen Europas, wie Fürstenau sagt. H., so wie besonders seine in Italien geborene Frau, fanden hier den Geschmack und die Musik Italiens wieder und wirkten wie dort in gleicher Weise fort. H. fand ausreichend Anregung und Gelegenheit an dem glänzenden Hofe Friedrich August II. das Theater mit seinen Prachtvorstellungen mit neuen Opern zu versorgen und das Glanz und Ruhm liebende Gemüth seiner Gattin durch immer neue Partien zu befriedigen. Außer der Verpflichtung, jährlich zwei neue Opern zu liefern, gaben die nie versiegenden Festlichkeiten am Hofe stets Gelegenheit, das Talent Beider in Anspruch zu nehmen, doch nicht genug, auch noch für auswärtige Theater lieferte er neue Opern. Metastasio, ein damals berühmter Librettodichter, hat 14 starke Octavbände Operntexte hinterlassen, H. componirte sie alle, außer dem „Themistocles“, manche sogar zwei Mal, außerdem aber noch viele von Zeno[WS 4], Lalli[WS 5], Pallavicini, Pasquini[WS 6] und Migliavacca[WS 7]. Fürstenau gibt im zweiten Bande seiner Geschichte der Musik am sächsischen Hofe (Dresden 1862, S. 376) ein Verzeichniß von 43 Opern, welche sich auf den Bibliotheken in Dresden befinden, Gerber fügt diesen 9 hinzu, Fétis verzeichnet 62, doch ist das immer nur ein Theil derselben, denn im J. 1760 verlor er seine ganze Habe, darunter auch seine Manuscripte, durch den Brand des Hauses, worin er wohnte. Nicht minder productiv war er in anderen Fächern der Musik; so verzeichnet Fétis 10 Oratorien, unzählbare und nur zum kleinsten Theile bekannte Compositionen für die Kirche, wie Messen, Magnificat, Psalmen, Litaneien, Miserere u. a., ferner weltliche Cantaten und Instrumentalwerke, wie Concerte, Sonaten, Sinfonien u. a. H. ging fast jährlich, sobald es die Abwesenheit des Hofes von Dresden gestattete, mit seiner Frau nach Italien und wurden dort immer von neuem Triumphe gefeiert; auch in München hielten sie sich im Jahre 1746 einige Zeit auf und wurden vom Kurfürst mit größter Aufmerksamkeit behandelt. Einen gleichen Empfang genossen sie im J. 1750 bei einem Besuche in Paris. Nach dem Tode Friedrich August II. wurde H. und seine Frau am 7. October 1763 ohne Pension entlassen, doch behielt H. den Titel eines kurfürstl. Obercapellmeisters. Er ging mit Faustina nach Wien und 1773 nach Venedig, wo er den 16. December 1783 starb. Burney schildert ihn als einen großen und sehr beleibten Mann. Bis zum J. 1755 besaß er eine schöne Tenorstimme, die er aber plötzlich durch eine Erkältung verlor und dermaßen an Heiserkeit litt, daß man ihn nur schwer verstand. Er schildert ihn ferner als einen Mann von feinem Anstande und vornehmen Manieren, rühmt seine Unterhaltung als lebendig und geistreich, frei von aller Pedanterie, Stolz und Vorurtheil. In Dresden nannte man ihn „den Musikvater“, ein Beweis seiner freundlichen und liebenswürdigen Umgangsform. Als Mozart’s Oper, „Ascanio in Alba“, 1771 in Mailand den Hasse’schen „Ruggiero“ schlug, soll H. ausgerufen haben: „Der Jüngling wird Alle vergessen machen!“ – Faustina H., geborene Bordoni, muß um 1693 in Venedig geboren sein, obgleich stets das J. 1700 verzeichnet wird, denn Burney sagt: sie ist 1783, neunzig Jahre alt, in Venedig gestorben. Chrysander macht noch in seinem „Händel“ (II. 142) darauf aufmerksam, daß sie in London von ihrer Rivalin, der Cuzzoni[WS 8], bei einem heftigen Auftritte zwischen ihnen, „alt und abgetakelt“ gescholten wurde. Das war im J. 1727 oder 28. Benedetto Marcello[WS 9][758] und besonders Francesco Gasparini[WS 10] waren ihre Lehrer im Gesange und in der Declamation. Von 1716 ab war sie eine der gefeiertesten Sängerinnen in Italien. In der Anzeige eines Concertes, welches der Violinspieler Pietro Castrucci[WS 11] aus Rom 1719 in London gab, wird ausdrücklich gesagt: „Auch werden darin verschiedene Gesänge vorgetragen, welche die berühmte Faustina in Venedig sang“ (Chrysander II. 142). Der alte Sangmeister Tosi[WS 12] sagt über sie: Faustina steht unvergleichbar da in ihrer Begabung zum Singen, in der unerhörten Leichtigkeit ihrer Ausführung, mit welcher sie die Welt in Erstaunen setzt, in ihrem brillanten Vortrage (man weiß nicht, ob durch Natur oder Kunst erlangt), der Alles hinreißt. Mit der deutlichsten Articulation, der markigsten, geläufigsten Aussprache verband Faustina große körperliche Reize mehr derber als zarter Art, und ausdrucksvollste Lebendigkeit in allen ihren Mienen und Bewegungen, so daß Jedermann sagte, sie sei zum Singen und Spielen geboren. Ein so schnelles Wiederholen desselben Tones hatte man bisher bei der Singstimme nie für möglich gehalten. Im Gegensatze dazu wußte sie einen einzelnen Ton unendlich auszuhalten. Aber wenn von Ohrenzeugen nun weiter berichtet wird (Chrysander II. 143), daß sie mehr des stürmischen und rauschenden, als des natürlich einfachen, tiefen und schmerzvollen Ausdruckes mächtig war; wenn ihr besonders Händel überall da, wo er auf den wahren Pfaden der Natur so kunstvoll in die Tiefen weiblicher Empfindung hinabsteigt, unfaßbar und lästig wurde: wer sieht da nicht, daß die Sirene mit ihrer erstaunlichen Begabung Sänger, Componisten und Publicum an eine gefährliche Küste lockte? 1724 war sie in Wien engagirt, 1726–28 in London unter Händel’s Leitung der Oper auf dem Haymarket. Von hier ging sie nach Venedig und lebte einige Jahre ohne Engagement, bis sie H. kennen lernte und sich mit ihm im J. 1730 verheirathete. Von hier ab fließen die beiden Lebensläufe in einen zusammen; es war, als wenn sie die Natur für einander geschaffen hätte und was dem Einen abging, ersetzte das Andere durch sein Talent. Fürstenau bemüht sich, und vielleicht mit Recht, ihr äußeres Leben in Betreff ihrer Frauentugend in ein gutes Licht zu setzen und erreicht wenigstens soviel, daß er den Nachweis führt: von keiner Seite aus irgend etwas Nachtheiliges über ihren Ruf ausgesprochen zu finden. Das gegenseitige Interesse an ihrer Stellung in Dresden mag Vieles dazu beigetragen haben, das eheliche Bündniß auch vom praktischen Standpunkte aus zu befestigen und daß H. ein schlauer und speculativer Kopf war, leuchtet aus manchen kleinen Begebenheiten, die sich am Hofe Dresdens vollzogen und von Fürstenau mitgetheilt werden, zu deutlich hervor. Gesegnet war ihr Thun und Treiben, gesegnet ihre Familie, und wer sein Alter in solcher Weise bis 90 Jahre bringt, kann wol mit Befriedigung darauf zurückschauen.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Nicola Antonio Porpora (1686–1768)
  2. Alessandro Scarlatti (1660–1725)
  3. Giovanni Battista Martini (1706–1784)
  4. Apostolo Zeno (1668–1759)
  5. Domenico Lalli (1679–1741)
  6. Giovanni Claudio Pasquini (1695–1763)
  7. Giovanni Ambrogio Migliavacca
  8. Francesca Cuzzoni (1698–1770)
  9. Benedetto Marcello (1686–1739)
  10. Francesco Gasparini (1661–1727)
  11. Pietro Castrucci (1679–1752)
  12. Pier Francesco Tosi (1653/54–1732)