ADB:Maximilian III. Joseph
Karl Albert, seit 1742 röm. Kaiser, bestimmte zum Erzieher seines ältesten Sohnes den Jesuiten P. Daniel Stadler, ließ ihn aber auch den Unterricht des vormaligen Würzburger Professors Johann Adam Ickstatt genießen, und dieser gewann seinen Schüler für eine ethische Auffassung des Menschen- und Fürstenberufs, wie sie sich in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts Bahn brach. Ickstatt und Stadler wußten sich auch, als ihr Zögling zur Regierung gekommen war, Autorität und Einfluß zu wahren. Daraus läßt sich eine hie und da zu Tag tretende auffällige Wandelbarkeit der Regierungsprincipien erklären; es kam vor, daß unmittelbar an eine offenbar im Sinne der Aufklärung beabsichtigte Reform eine Anordnung, in welcher die Tendenz der Gegenreformation ausgeprägt war, sich anreihte. Nach dem Tode des Vaters übernahm M., erst achtzehn Jahre alt, die Regierung über ein durch vierjährigen Krieg gänzlich zerrüttetes und zum größeren Theil von den Feinden besetztes Land. Unmittelbar nach dem Begräbniß des Vaters war er gezwungen, vor den aufs Neue gegen München anrückenden Oesterreichern nach der neutralen Reichsstadt Augsburg zu entfliehen. Seine eigene Umgebung war förmlich in zwei feindliche Lager getheilt. Seine Mutter Maria Amalia, Kaiser Josephs I. Tochter, der kaiserliche Feldmarschall Graf Seckendorff und die meisten bairischen Minister und Räthe wünschten und forderten Aussöhnung des jungen Kurfürsten und Frieden mit Oesterreich. Dagegen wurde von dem unter Kaiser Karl einflußreichen Minister und Feldmarschall Grafen Törring und vom französischen Gesandten eingewendet, daß jetzt, nachdem Baiern einmal so große Opfer gebracht, der Krieg wenigstens noch so lange fortgesetzt werden müsse, bis wenigstens ein Theil der Ansprüche Karls VII. durchgesetzt wäre. Auch König Friedrich von Preußen ermahnte den jungen Kurfürsten dringlich, auszuharren, und stellte ihm seine Kurstimme und eifrige Betreibung der [28] Kaiserwahl zu Gunsten Baierns in Aussicht. Dessenungeachtet entschied sich M. für den Frieden. König Friedrich schrieb den überraschenden Entschluß dem Einfluß Seckendorff’s zu und glaubte sogar die Summen nennen zu können, womit dieser im Mittelpunkt der Parteien stehende Kriegs- und Staatsmann von der Königin von Ungarn bestochen worden wäre. Ein abschließendes Urtheil wird sich erst fällen lassen, wenn aus den Münchner und Wiener Archiven über die geheimen Verhandlungen, die dem Abschluß des Füssener Friedens (23. April 1745) vorausgingen, das authentische Material zu Tage gefördert sein wird. Ohne Zweifel war ein wichtiger Factor die Gemüthsart des Kurfürsten selbst, der nicht glanzliebend und ehrgeizig wie sein Vater und sein Großvater, in Erhöhung des Hauses und Vergrößerung des Landes die wichtigste Aufgabe und das höchste Ziel seines Lebens erblickte, der auch schon in jungen Jahren an sich selbst die bittere Erfahrung gemacht hatte, wie „nach Salz schmeckt das fremde Brot und wie so hart der Gang, die fremden Treppen auf- und wieder abzusteigen“. Im Frieden von Füssen gab der Kurfürst alle Ansprüche auf das Erbe Karls VI. auf und versprach dem Großherzog seine Kurstimme, während von österreichischer Seite nur die Räumung Baierns und eine unbeträchtliche Subsidienzahlung in Aussicht gestellt wurden. Der Erbfolgekrieg hatte auf Baiern eine Schuldenlast von 40 Millionen geladen; zeitlebens gab sich M. redliche Mühe, den Finanzstand zu heben, ohne die Steuerschraube allzu peinlich für die Unterthanen anzuspannen. Er gab allen Ernstes dem wunderlichen Gedanken Raum, selbst in spanische Dienste zu treten, damit sein Land die Kosten der Hofhaltung sparen könnte. Auch die Ueberlassung von bairischen Truppen an Holland und Oesterreich durch förmliche Kaufverträge (1745 u. 1749), sowie die 1756 dem französischen Hof gegen ein Jahrgeld gegebene Zusage, sein Verhalten in allen Reichsangelegenheiten nach dem Willen Frankreichs einzurichten, darf mit Rücksicht auf die damals herrschenden Anschauungen und auf den außerordentliche Hilfsmittel heischenden Nothstand schonender beurtheilt werden. Um den Staatscredit zu heben, schlug er nach berühmten Mustern neue Wege ein. Insbesondere Hebung der Industrie wurde angestrebt, die er jedoch, wie sein großer Zeitgenosse König Friedrich überwiegend im Licht der mercantilistischen Handelsbilanz auffaßte: durch Anlage von möglichst vielen Manufacturen sollte fremdes Geld ins Land gebracht und das eigene dem Lande erhalten werden. Für industrielle Unternehmungen, wie für Viehzucht und Ackerbau wurden ins Detail gehende Betriebsvorschriften erlassen, wobei nicht selten die durch die Beschaffenheit des Landes und der Bevölkerung gezogenen Schranken gewaltsam durchbrochen wurden. Auch viele andere Verordnungen bezweckten Förderung der Landescultur; der Gedanke: Das Volk muß durch den Staat erzogen werden, war oberstes Verwaltungsprincip. Eine neue Zoll- und Mautordnung (1765) wurde erlassen, ein eigenes Commerzcollegium zur Hebung des Handels errichtet. Eine Reihe von trefflichen legislatorischen Arbeiten verdankt Baiern dem Kanzler Freiherrn v. Kreittmayr. Der 1751 herausgegebene Criminalcodex bedeutete immerhin im Vergleich mit der Malefizordnung von 1616 einen Fortschritt; in der 1753 veröffentlichten Gerichtsordnung und im Landrecht von 1756 bewährte der Gesetzgeber eine unübertroffene Kenntniß der Eigenart des Volkes und der Bedürfnisse des Landes. Unheilvollen Einfluß übte der Vicehofkammerpräsident von Berchem aus; durch ihn wurde 1760 das genuesische Lotto eingeführt. Ein frischer volkswirthschaftlicher Aufschwung Baierns war überhaupt nicht möglich, so lange nicht gewisse, seit Jahrhunderten festgewurzelte Mißstände ausgerodet werden konnten. Die Steuerlast war fast ausschließlich dem Bürger und dem Bauer aufgebürdet; als die Regierung einen Versuch wagte, auch Klerus und Adel zu erheblicheren Leistungen heranzuziehen, verklagte der landständische Ausschuß, der nicht mehr auf Wahrung [29] der Volks-, sondern nur noch der Standesrechte bedacht war, den eigenen Landesherrn wegen Schädigung „wohlerworbener Rechte“ vor dem Kaiser. Von der lächerlichen Ueberfüllung des kleinen Staates mit Beamten und Stellenjägern sei als Beispiel nur erwähnt, daß allein bei den obersten Landescollegien in München mehr als tausend Beamte angestellt waren, was selbstverständlich erst recht einen schleppenden, schwerfälligen Geschäftsgang zur Folge hatte. Dazu kam, daß es dem Lande an Capacitäten, ja überhaupt an unternehmungslustigen und arbeitsfreudigen Elementen gebrach, und damit in engstem Zusammenhang stand die Thatsache, daß zum Schutze einer nicht auf das Göttliche, sondern auf das Sinnliche gerichteten Glaubensübung jeder freie Luftzug abgewehrt wurde, das wissenschaftliche Leben versumpft, das Landvolk in dumpfen Aberglauben versunken war. Die Verwilderung der geistigen Zustände Baierns wird in Westenrieder’s Schriften mit düsteren Farben geschildert. Ein rühmlicher Fortschritt ist zunächst einigen Gelehrten zu danken, die, mit edler Eifersucht das Fortschreiten von Wissenschaft und Kultur im Norden Deutschlands betrachtend, gleichsam als Heerd für Bildung und ernste Studien in Baiern 1759 die Akademie der Wissenschaften gründeten. Aber auch M. J. selbst war ein aufrichtiger Freund des neuen Unternehmens und schützte dasselbe in schweren Zeiten gegen gefährliche Feinde. Auch auf der Hochschule des Landes suchte Ickstatt die Freiheit der Wissenschaft einzubürgern, ohne daß es jedoch gelang, das in der deutschen Nation neue erwachte Geistesleben ganz und voll in das noch in mittelalterlichen Formen steckende höhere Unterrichtswesen einzuleiten. Glücklicher war die Reform der Elementar- und Mittelschulen; eine neue Aera des Schulwesens in Baiern beginnt 1771 mit der Einführung der allgemeinen Schulpflicht und der Unterordnung der Volksschulen unter staatliche Aufsicht. M. J. war ein ergebener Sohn der katholischen Kirche und durchaus nicht Willens, das Princip der Glaubenseinheit in Baiern anzutasten. Im Hausvertrag von 1771 ist ausdrücklich ausbedungen, daß künftig auch Fürsten der pfälzischen Linie für das rechtsrheinische Baiern die kirchenpolitischen Bestimmungen Herzog Albrechts V. aufrecht halten, insbesondere niemals protestantische Räthe und Beamte dorthin versetzen sollten. Auch das Verbot der Ansässigmachung von Protestanten in Baiern und andere Beschränkungen der Freizügigkeit im Interesse der Glaubenseinheit wurden keineswegs aufgehoben, theilweise sogar verschärft. Dagegen unterschied M. J. überraschend streng zwischen religiösen und klerikalen Interessen und suchte den Staat von allen kirchlichen Einflüssen zu emancipiren. Mit Handhabung des landesherrlichen Placet wurde erst unter Maximilian Josefs Regierung Ernst gemacht. Als 1770 der Bischof von Freising eine mit Zustimmung des Kurfürsten erschienene Schrift des geistlichen Raths Osterwald über die Immunität des Klerus in weltlichen Dingen zu unterdrücken suchte und das Verbot an den Thüren aller Kirchen seines Sprengels anheften ließ, befahl M. J., die Placate abzureißen, und erließ ein Mandat, daß künftig keine bischöflichen Verordnungen ohne landesherrliche Bewilligung veröffentlicht, im Falle der Nichtbeachtung des Verbots aber die Temporalien gesperrt werden sollten. Das Buch Osterwald’s ging er, ehe es in neuer Auflage erschien, selbst mit der Feder durch; er milderte zwar hie und da den Ausdruck, ließ aber die dem Bischof anstößigen Stellen unverändert stehen. Mehrere Verordnungen bezweckten Regelung der weltlichen Stellung des Klerus und Abwehr von Uebergriffen in staatliches Gebiet. Obwohl kein Gegner der geistlichen Orden, suchte M. J. doch übermäßige Ausbreitung des Klosterwesens zu verhindern. Umfassende Bestimmungen über klösterliche Disciplin und Ordnung wurden erlassen, die Klosterjustiz aufgehoben, die Erbfähigkeit der todten Hand beschränkt, die Aufnahme von Ausländern in die bairischen Klöster erschwert. Auch die Aufstellung [30] eines eigenen Censurcollegiums 1769 sollte, wie die Besetzung mit Beamten und Klerikern von freisinniger oder doch gemäßigter Richtung beweist, nicht so fast eine Bevormundung der Presse bedeuten, sondern vielmehr allzu weitgehende Prohibitivmaßregeln der geistlichen Gewalt verhindern. Die Censur wurde denn auch von Männern wie Osterwald, Oefele, Kennedy, Edlweck, Vacchiery u. A. durchaus nicht mit übertriebener Strenge gehandhabt, erst später zeigen sich Spuren einer engherzigeren Beschränkung der geistigen Mittheilung. Ueberhaupt tritt in den letzten Regierungsjahren Maximilian Josefs, zumal seit Ickstatt’s Tod (1776), ein Wiedereinlenken in die Kirchenpolitik der Vorfahren da und dort zu Tage. Zwar wurde 1774 die Bulle Dominus ac redemptor noster in Baiern sofort verkündet und das gesammte Vermögen der aufgehobenen Jesuitencollegien zur Ausstattung von Schulen und wissenschaftlichen Anstalten bestimmt, aber die Exjesuiten blieben nach wie vor in einflußreichen Stellen, und die Organisation des Schulwesens, die unter den Auspicien von Heinrich Braun, Bucher u. A. freisinnigen Anlauf genommen hatte, wurde von der Tagesordnung wieder abgesetzt. Kein wirklicher oder vermeintlicher Mißgriff der Regierung war jedoch im Stande, die seltene Popularität des Fürsten zu erschüttern; daß er selbst bei allem Thun und Lassen nur von reinsten Absichten geleitet war, wurde von Niemand in Zweifel gezogen. Als 1770 eine entsetzliche Hungersnoth, durch Mißwachs, Kornwucher und mißverstandenen Merkantilismus heraufbeschworen, Baiern heimsuchte, zeigte sich die Herzensgüte des Fürsten in hellstem Licht. Um zu helfen, legte er überall selbst Hand an; einige Kornwucherer verurtheilte er mit ungewohnter Strenge zum Tode; in seinen Thiergärten ließ er alles Wild schießen; um in Holland sofort Getreide kaufen zu können, verpfändete er seine Pretiosen. Auf volksfreundliche Absichten lassen sich auch seine Bemühungen um Regelung der Erbfolge zurückführen. Seine Ehe mit Maria Anna von Sachsen war kinderlos geblieben. Um nun jeder fremden Einmischung, insbesondere von Seite Kaiser Josefs II., zu dessen Lieblingsplänen Abrundung der deutsch-österreichischen Lande durch Baiern gehörte, vorzubeugen und den bairischen Stamm vor Octroyirung unpopulärer Neuerungen zu schützen, schloß M. J. mit dem nächsten Agnaten, Karl Theodor, Kurfürsten von der Pfalz, 1766 einen Erbfolgevertrag, worin u. A. ausbedungen war, daß München als die ältere Residenz der Wittelsbacher auch nach Vereinigung von Pfalz und Baiern der gewöhnliche Wohnsitz der Nachfolger im Kurfürstenthum bleiben müsse. 1771 und 1774 wurde der Vertrag erneuert. Dessenungeachtet blieb M. J. die Wahrnehmung nicht erspart, daß sein präsumtiver Erbe durchaus nicht Willens, jene Einung in ihrem vollen Umfang zu respectiren, ja daß schon zwischen den Höfen von Wien und Mannheim wegen Abtretung bairischen Gebiets an Oesterreich insgeheim verhandelt werde. Eben wollte M. J. zur Vereitlung dieses Handels die erforderliche Einleitung treffen, insbesondere für genauen Vollzug der Hausverträge mächtige Garanten suchen, die im Stande wären Oesterreichs Ansprüchen entgegenzutreten, da erkrankte er plötzlich am 8. December 1777. Der unwissende Leibarzt Dr. Sänftl, der die Behandlung des Kranken ausschließlich für sich in Anspruch nahm, glaubte, es seien nur unbedeutende Masern im Anzug, während es, wie die übrigen Aerzte bald constatiren konnten, die Pocken waren. Nach entsetzlichen Leiden verschied M. J. am 30. December 1777. Wohl selten ist der Tod eines Fürsten so aufrichtig betrauert worden, und nicht höfischer Panegyrismus, sondern die Stimme des Volks gab dem Letzten des jüngeren wittelsbachischen Stammes den Beinamen des „Vielgeliebten“.
Maximilian III. Josef, Kurfürst von Baiern, geb. 28. März 1727. Der Vater Kurfürst- Rothammer, Maximilian III. v. B. (1785). – Westenrieder, Gesch. d. b. Akademie d. W. (1807). – Lipowsky, Leben u. Thaten Maximilian Josefs III. (1833). – (Häusser,) Pfalzbaiern gegen Ende des 18. Jahrh.; [31] Raumer’s Hist. Taschenbuch, Jahrg. 1865, S. 486. – Kluckhohn, Der Freiherr v. Ickstatt und das Unterrichtswesen in Baiern unter Kurf. M. J. III. (1869). – Seb. Brunner, Der Humor in der Diplomatie und Regierungskunde des 18. Jahrhunderts. (1872). – Erhard, Drei bairische Gedenktage; Beilage z. Allg. Ztg., Jahrg. 1877, Nr. 364 u. 1878, Nr. 37.