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Artikel „Karl VII., Deutscher Kaiser, Kurfürst von Baiern“ von Karl Theodor von Heigel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 15 (1882), S. 219–226, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Karl_VII.&oldid=- (Version vom 14. Dezember 2024, 23:03 Uhr UTC)
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Karl VII., Deutscher Kaiser, Kurfürst von Baiern, geb. am 6. August 1697, † am 20. Januar 1745, war der erstgeborene Sohn des Kurfürsten Max Emanuel von Baiern aus zweiter Ehe mit Therese Kunigunde, der Tochter des Polenkönigs Johannes Sobiesky. In die Jugendzeit Karl Alberts fällt der Ausbruch des spanischen Erbfolgekriegs, an welchem Max Emanuel als Bundesgenosse Ludwigs XIV. hervorragenden Antheil nahm. Nach glücklichen Anfängen erfolgte ein völliger Umschwung durch die Niederlage bei Höchstädt, und der Kurfürst sah sich genöthigt, sein Land den kaiserlichen Truppen zu überlassen. Das Wiener Cabinet enthüllte bald seine Absicht, das mit den Waffen eroberte Gebiet in eine österreichische Provinz zu verwandeln. Die Kurfürstin selbst leistete diesem Plane Vorschub, indem sie, die sich nach ihres Gatten Willen so lang als möglich als Regentin in Baiern hätte behaupten sollen, nach Venedig übersiedelte; als sie in ihr Land zurückkehren wollte, wurde ihr der Einlaß verweigert, wozu eine angeblich entdeckte Verbindung mit den Aufständischen als Vorwand diente. Auf kaiserlichen Befehl wurden nun die vier ältesten Söhne des Kurfürsten nach Klagenfurt abgeführt, wo sie wie Kriegsgefangene behandelt und bewacht wurden. Nachdem über Max Emanuel die Reichsacht ausgesprochen war, blieb den Kindern nur noch gestattet, sich Grafen von Wittelsbach zu nennen. Erst nach dem Tode Josephs I., des unversöhnlichsten Feindes des bairischen Hauses, gestaltete sich die Lage der Prinzen etwas günstiger. Sie wurden nach Graz gebracht, wo ihnen in der kaiserlichen Burg Wohnung, ja sogar ein eigener Hofstaat angewiesen wurde. Max Emanuel, der an der Spitze französischer Truppen in den Niederlanden kämpfte, betrachtete diesen Umschwung nur mit Mißtrauen, denn er fürchtete, man wolle die unerfahrenen Knaben ihren Eltern entfremden und den Absichten und Wünschen des habsburgischen Hofes gefügig machen. Kaiser Karl verlieh sogar dem Kurprinzen den Orden vom goldenen Vließ, und die Ueberreichung der Insignien wurde am 17. Febr. 1715 mit demonstrativen Festlichkeiten gefeiert. Bald darauf konnten nach erfolgtem Friedensschluß die Prinzen in ihr Vaterland zurückkehren. Noch im nämlichen Jahre wurde K. großjährig erklärt, nachdem er im großen Saale des Lustschlosses Schleißheim aus zahlreichen wissenschaftlichen Fächern eine öffentliche Prüfung „mit ungetheiltem Beifall aller zugegen gewesenen Individuen“ bestanden hatte. Er hatte in Graz den gewöhnlichen Jesuitenunterricht genossen und insbesondere für Sprachen ungewöhnliche Befähigung gezeigt. Er soll in den Jahren der Gefangenschaft von tiefer Schwermuth befangen gewesen sein, wie sie ihn am Abend des Lebens wieder heimsuchte. Auf Reisen nach Frankreich und Italien kam aber das Behagen an sinnlichem Lebensgenuß zum Durchbruch, sodaß sein Oheim, der Kurfürst von Köln, über den „violenten jungen Tollhans, der viel [220] Inclination für Weiber und Wein habe“, bittere Klage führte. Die Herzogin von Orleans schreibt (29. Mai 1718): „Die Prinzen von Baiern sollen gar nicht hübsch sein, aber viel Verstand haben; vatert’s sich bei ihnen, so werden sie den Grisetten brav nachlaufen.“ Als im Sommer 1717 eine kaiserliche Armee gegen die Türken zog, führte der Kurprinz eine bairische Division nach Ungarn und zeichnete sich, wie der große Schlachtenmeister Prinz Eugen dem Vater berichtete, bei der Eroberung Belgrads durch Unerschrockenheit und Umsicht rühmlich aus. Während seines kurzen Aufenthalts am Wiener Hofe gewann er durch bescheidenes und leutseliges Auftreten viele Freunde. Nach der Rückkehr an den Hof des Vaters lebte er sich jedoch nur allzu rasch in die hier herrschende Sitte ein; er huldigte mit Leidenschaft jeder Art höfischen Sports und war bald in eine „ernste“ Liaison mit einem Hoffräulein von Ingenheim verwickelt. Um die Ausführung des voreilig gegebenen Eheversprechens zu verhindern, beeilte sich der Vater, für seinen Sohn um die Hand der Erzherzogin Maria Amalia, der jüngeren Tochter Kaiser Josephs I., zu werben. Kaiser Karl willigte in die Verbindung, jedoch nur unter der Bedingung, daß der Kurfürst und sein Sohn die zu Gunsten der ältesten Kaisertochter errichtete pragmatische Sanction anerkennen und auf jeden Anspruch auf österreichische Erbstaaten Verzicht leisten müßten. Am 25. Septbr. 1722 wurde der Heirathsvertrag abgeschlossen und die Vermählung mit großen Festlichkeiten in der Favorite zu Wien gefeiert. Max Emanuel hatte sich aber auf jenen Vergleich erst eingelassen, nachdem ihn sein Kanzler Unertl durch ein Gutachten beruhigt hatte, daß jene Verträge „nur die weiblichen österreichischen Jura betreffen thun und man sich hierin der recht nit begeben hat, die dem Churhaus Bayern in casum zustehen, da Oesterreich sine masculo decidiren sollte.“ Welche Bedeutung man auf bairischer Seite diesem Vorbehalt beimaß, wurde dem Wiener Cabinet erst enthüllt, als das von Unertl erwähnte Ereigniß wirklich eintrat. Das scheue, ernste Wesen der Kaisertochter, die den sprudelnden Esprit der nach französischem Vorbild eingerichteten Höfe nicht kannte, den größten Theil des Tages Andachtsübungen widmete und nur für einsames Jagdvergnügen Interesse zeigte, war nicht geeignet, den Gatten von seiner lockeren Lebensweise abzuziehen. Als er vollends den glänzenden französischen Hof kennen gelernt und nach des Vaters Tod (26. Febr. 1726) selbst die Regierung übernommen hatte, wetteiferte das Hoflager zu Nymphenburg und Schleißheim mit dem Palais Royal nicht nur an Prunk, sondern an Zügellosigkeit der Sitten. Dessen ungeachtet ist es ebenso ungerecht wie unrichtig, wenn Schlosser, Gfrörer und andere Historiker den Fürsten nur als Libertin und Verschwender schildern. Nicht nur durch zahlreiche Aussprüche von Zeitgenossen ist erwiesen, daß er vieler trefflicher Eigenschaften halber geschätzt und beliebt war, sondern auch tausende von eigenhändigen Signaten bezeugen, daß er selbständig und zwar mit seltenem Eifer und Thatendrang in den Verwaltungsorganismus eingriff. Unmittelbar nach seinem Regierungsantritte zeigte er löblichen Willen, in die zerüttete Finanzlage Baierns Ordnung zu bringen, allein leider nicht mit der nöthigen Ausdauer, so daß bald wieder nur noch da gespart wurde, wo es sich unter den obwaltenden Verhältnissen am wenigsten empfahl: im Militärwesen. Gerade damals hätte in Baiern nicht minder wie in Preußen der Staatsklugheit erstes Gesetz geboten, eine möglichst zahlreiche und kriegstüchtige Armee heranzubilden. Dagegen war die bairische Armee bei Ausbruch des Kriegs in kläglichem Zustand; daraus erklären sich hauptsächlich die Hülflosigkeit und die demüthigende Abhängigkeit des Kriegsherrn von fremder Gunst und Hülfe. Wer wie der Kurfürst die stattlichsten Reiche Europa’s zu gewinnen trachtete, hätte zu allen Stunden dieses Ziel des Ehrgeizes vor Augen behalten, den unumgänglich erforderlichen Vorbereitungen [221] alles Andere unterordnen müssen. Da war es am allerwenigsten am Platze, für Prunkbauten und Feste, Schauspiele und Wallfahrten sich einen Aufwand zu erlauben, der schon an und für sich zu den Einkünften in keinem Verhältniß stand. Mit geringerer Berechtigung dürfte gegen ihn der Vorwurf erhoben werden, er habe zweideutige Politik getrieben, denn es wurden ja überhaupt zu keiner Zeit mehr Verträge geschlossen und Verträge weniger beachtet, als im Jahrhundert der Cabinetskriege. So sieht man denn auch Kurfürst Karl Albert am 1. Septbr. 1726 mit dem Haus Oesterreich ein „unzertrennliches Freundschaftsbündniß“ schließen, am 12. Novbr. 1727 den Allianzvertrag mit Frankreich, das mit Baiern auch nach dem Utrechter Friedensschluß in Fühlung geblieben war, erneuern. Die Beziehungen zum kaiserlichen Hause blieben anscheinend freundschaftlich; häufig wurden zwischen den Mitgliedern der beiden Höfe Besuche und Geschenke gewechselt, für das Project einer Vermählung des ältesten Sohnes Karl Alberts mit Maria Theresia fanden sich in München und Wien viele Freunde. Als aber Kaiser Karl VI. im Herbst des J. 1731 vom Reich die Sanction seiner Erbfolgeordnung forderte, erhob Baiern plötzlich Protest, und jetzt ließ K. dem allmächtigen Gebieter Frankreichs, dem Kardinal Fleury, im tiefsten Geheimniß durch Graf Törring eröffnen, daß er als „gerader Descendent und Erbe Ferdinandi Primi und seiner Gemahlin Anna“ die Erbberechtigung der Erzherzogin Maria Theresia bestreite. Für den Fall des Aussterbens des männlichen Stammes der Habsburger sei durch das Testament Ferdinands I. die Nachfolge in den habsburgischen Landen dem bairischen Hause zugesichert. Dem Kardinal gereichte es zwar zu hoher Befriedigung, daß durch das Hülfegesuch Baierns das Schiedsrichteramt in der hochwichtigen Frage in seine Hände gelegt war, aber er trug Bedenken, positive Hülfeleistung in Aussicht zu stellen. Der Kurfürst möge warten, erwiderte er, „bis auf den Tag, da sich zwei Augen schließen“. Die Zauderpolitik Fleury’s hatte zur Folge, daß sich K. nochmals dem Kaiser näherte und zum Krieg mit der Pforte 1738 ein baierisches Hülfscorps zur Verfügung stellte, während er sich bei Ausbruch des polnischen Erbfolgekrieges unter allerlei Ausflüchten geweigert hatte, sein Reichscontingent gegen Frankreich marschiren zu lassen. Noch wurde zwischen den Höfen von München und Wien die Frage lebhaft erörtert, ob der Verzicht Karls und seiner Gemahlin nicht auch die älteren Rechte Baierns annullire, als – am 20. October 1740 – Kaiser Karl VI. starb. Nach einigem Sträuben verstand sich die österreichische Regierung zur Herausgabe des vielbesprochenen Testaments Ferdinands I. Es zeigte sich, daß nicht, wie man auf bairischer Seite vermuthet hatte, nach dem Aussterben der männlichen, sondern der ehelichen Leibeserben der Söhne Ferdinands den Nachkommen der Tochter, d. h. dem bairischen Haus die Nachfolge zustehen sollte, aber der gelehrte Kanzler des Kurfürsten. Unertl, erklärte, die Anwartschaft des bairischen Hauses sei auch nach obigem Wortlaut zu Recht bestehend. Zur Erläuterung und Ergänzung der Testamentsbestimmungen seien nothwendiger Weise auch die Ehepakten Herzog Albrechts V. und der Erzherzogin Anna heranzuziehen, und hier werde ausdrücklich nur von den „männlichen“ Leibeserben gesprochen. Die Ansicht der Juristen über die Rechtsfrage, ob unter den gegebenen Verhältnissen dem Regredienterben oder der Erbtochter der Vorzug gebühre, war getheilt. In Wien selbst war man von der Unanfechtbarkeit des Erbrechts Maria Theresia’s nicht so fest überzeugt, als man sich in officiellen Deductionen den Anschein gab. Mehrere Minister waren der Ansicht, daß Kurbaiern gerechte Ansprüche erhebe, oder daß man doch den nächsten Verwandten und unbequemen Nachbar aus Opportunitätsgründen durch eine Gebietsabtretung befriedigen müsse. Allein die junge Königin trat diesem Ansinnen ebenso entschieden entgegen, wie den [222] Forderungen, zu welchen sich das Berliner Kabinet berechtigt glaubte. In Volkskreisen hatte K. A. zahlreiche Anhänger. „Die Bevölkerung Wiens und des Landes“, berichtete der preußische Gesandte an seinen Hof, „spricht sich so offen und unverhohlen für Baiern aus, daß ohne Zweifel, wenn der Kurfürst an der Spitze von nur zwei Bataillons hieher käme, Alles ihm zufallen würde.“ Jetzt trat aber auch in Baiern zu Tage, wie armselig man sich auf die sehnlichst erwartete Katastrophe vorbereitet hatte. Der preußische Gesandte Klinggräff, der eine Annäherung Baierns an Preußen am Münchener Hofe erwirken sollte, entwirft von den baierischen Militärverhältnissen ein trübes Bild, ebenso wenig waren die Minister des Kurfürsten so schwierigen Aufgaben gewachsen, auch K. selbst besaß nicht jene Spannkraft, jene Schlagfertigkeit, die den preußischen König Wunder wirken ließen. K. verließ sich allzusehr auf die Hülfe Frankreichs und gerieth dadurch in eine schimpfliche Abhängigkeit vom Versailler Hofe, die selbst in jenen Tagen, da die Selbstachtung der Deutschen so tief gesunken war, unerträglich schien. Fleury setzte auch nach Karls VI. Tod das alte Ränkespiel fort: er versicherte Maria Theresia unwandelbarer Freundschaft und eröffnete ihrem Gegner, dem Kurfürsten, auf thatkräftige Unterstützung verlockende Aussicht. Rascher wurden Karls Absichten gefördert durch den Angriff König Friedrichs auf Oesterreich. Der große König wollte vor Allem verhindern, daß dem Gemahl der Maria Theresia die Kaiserkrone zufalle und die neue lothringische Dynastie das volle Erbe des habsburgischen Hauses antrete. Da aber der protestantische König selbst nicht darauf zählen konnte, die Stimmen der katholischen Kurfürsten zu gewinnen, war für den bairischen Kurfürsten einige Aussicht eröffnet, die Bewerbung des Großherzogs von Lothringen zu vereiteln und die Kaiserkrone an das Wittelsbachische Haus zu bringen. Der Kurfürst von Köln, Clemens August, war sein Bruder, und mit dem stammverwandten Hause von Kurpfalz war am 15. Mai 1724 ein Allianz- und Erbvertrag geschlossen worden. Dagegen wollte freilich der Kurfürst von Sachsen selbst als Bewerber auftreten und suchte insgeheim an den außerdeutschen Höfen für dieses Project Freunde zu gewinnen. Auch Georg II., König von Großbritannien und Kurfürst von Hannover, konnte sein Interesse nur dadurch gewahrt glauben, daß kein mit Frankreich verbündetes Haus zur ersten Würde im deutschen Reiche gelange. Die Kurfürsten von Mainz und Trier hatten sich schon durch Verträge mit Karl VI. ausdrücklich verpflichtet, für den Gemahl der kaiserlichen Erbtochter zu stimmen. Unmittelbar nach Eröffnung des Wahltags zu Frankfurt hatte es also den Anschein, Großherzog Franz werde die Mehrheit der Wahlstimmen erlangen, aber diese Hoffnungen begannen sofort zu schwinden, als König Friedrich den glänzenden Sieg bei Mollwitz erfocht. Unter dem Eindruck dieser alle Welt überraschenden, betäubenden Nachricht gewannen auch am Hofe Ludwigs XV. die Chauvinisten, die Fleury’s Zauderpolitik als schmachvoll für die französische Nationalehre verlästerten, die Oberhand; jetzt konnten Graf Belleisle und seine Freunde vor dem schwankenden König die Macht Oesterreichs als so geschwächt darstellen, daß Frankreich sich nur in Waffen zu erheben brauche, um dem alten Widersacher der Bourbons den Gnadenstoß zu geben. Dagegen drohe Gefahr, daß der Großherzog von Lothringen, sobald er zu Macht und Ansehen gelange, erneuten Anspruch auf seine Stammlande erheben werde; um der Integrität Frankreichs willen sei demnach geboten, daß die Kaiserkrone einem andern, am besten wol dem bairischen Hause zugewendet werde. Mit feurigem Eifer war Belleisle thätig, dieses Programm zu verwirklichen. Seinen Geschenken, Drohungen und Versprechungen gelang es auch rasch, die Freunde des Großherzogs in Anhänger des bairischen Candidaten zu verwandeln. Im Mai 1741 begab sich Belleisle an das Hoflager Karls nach [223] Nymphenburg, um mit dem Kurfürsten und seinen Räthen die von Frankreich und Baiern gemeinsam zu eröffnenden Kriegsoperationen zu berathen; der angebliche Nymphenburger Vertrag vom 18. Mai 1741 aber, wonach sich K. zu den schimpflichsten Zugeständnissen an die Krone Frankreich verpflichtet hätte, ist nur ein Machwerk seiner Gegner. Aus den zwischen dem französischen Cabinet, Belleisle und dem Kurfürsten gewechselten Briefen erhellt, daß noch im Mai, ja im Juni 1741 Fleury keineswegs gesonnen war, zur Unterstützung des Kurfürsten in einen Krieg mit Oesterreich einzutreten; erst im Juli erfolgte ein factischer Umschwung dieser dilatorischen Politik, und es wurden nun allerdings Verträge mit Baiern abgeschlossen, die jedoch jene in dem gefälschten Tractat ausgeführten Bedingungen nicht enthalten. Inzwischen war auch zwischen Preußen und Baiern ein Bündniß zu Stande gekommen. König Friedrich mahnte unablässig den Kurfürsten, er möge in die wehrlos preisgegebenen österreichischen Lande einmarschiren. Am 31. Juli 1741 wurde endlich mit der Wegnahme Passau’s der Feldzug eröffnet. Nach dem Eintreffen der französischen Hülfstruppen zog K. stromabwärts an der Donau weiter. Die Franzosen trugen zwar baierische Kokarden an den Hüten, allein ihre Generale waren keineswegs gesonnen oder angewiesen, sich dem Commando des zum französischen Generallieutenant ernannten deutschen Fürsten unbedingt zu fügen. Schon schwärmten die leichten Reiter des bairisch-französischen Heeres um die Wälle der Hauptstadt, als plötzlich die Richtung gegen Wien aufgegeben und die Straße nach Böhmen eingeschlagen wurde. König Friedrich spricht in seiner Geschichte der schlesischen Kriege über diesen Streich seines Bundesgenossen, der alles spätere Unheil verschuldet habe, den schärfsten Tadel aus, allein aus der Correspondenz Belleisle’s mit K. läßt sich ersehen, daß das französische Cabinet den Vormarsch gegen Wien geradezu verbot und die französischen Offiziere angewiesen waren, dem Kurfürsten nur nach Böhmen zu folgen, andernfalls den Rückweg anzutreten. K. selbst äußert später: „Die Franzosen wollten es immer mit der Gais halten und dem Kohl nicht wehe thun lassen, sie wollten selbst nicht, daß ich Herr von Wien werde, ihr Prinzip war, den Einen durch den Andern zu schwächen, um schließlich die Theilung des Löwen vornehmen zu lassen.“ Am 25. Novbr. 1741 wurde Prag durch einen nächtlichen Sturm eingenommen, am 29. Dec. huldigten vierhundert Reichsstände dem „rechtmäßigen Erben Karls VI.“ als König von Böhmen. Diese glücklichen Erfolge und König Friedrichs mächtiger Einfluß ebneten auch den Boden in Frankfurt. Am 24. Januar 1742 wurde K. von den Vertretern sämmtlicher Kurfürsten – das für diesmal ausgeschlossene Böhmen ausgenommen – einstimmig gewählt, nicht ohne sich neue Beschränkungen der kaiserlichen Machtbefugnisse gefallen lassen zu müssen. „In der Wahlstadt kündeten bei Tag Glockengeläute und Kanonendonner und Nachts emporrauschende Lustfeuer, daß ein neuer Kaiser erkoren sei, berufen, wie der Titel prahlte, das weltliche Schwert der ganzen Christenheit zu führen, aber nicht befugt, den Geringsten aus deutschen Landen außer seinem eigenen Gebiet zu Schutz und Rettung aufzurufen, ein Oberhaupt, das von der ganzen glänzenden Versammlung um ihn her die „allerunterthänigsten“ Complimente erwarten, aber auf Niemands Treue zählen durfte“. Am 12. Febr. 1742 wurde K. in Frankfurt gekrönt – am nämlichen Tage hielt der ungarische Reitergeneral Menzel mit seinen gefürchteten Schaaren Einzug in der bairischen Hauptstadt. Denn mit überraschender Schnelligkeit war auf die glänzende Krönungsfeier in Prag, die als Peripetie im Drama des österreichischen Erbfolgekriegs gelten kann, ein fast von Niemand erwarteter Aufschwung Oesterreichs erfolgt. Khevenhiller spielte den Krieg nach Baiern, und bald war das ganze Land eine Beute der schonungslos sengenden und brennenden Panduren. Kurz vorher schien Oesterreich die wehrlose Beute der ringsum [224] gelagerten Feinde zu sein; jetzt konnte Maria Theresia mit den englischen Diplomaten darüber verhandeln, ob man nicht Elsaß und Lothringen dem sogenannten Kaiser als Ersatz für sein Baiern geben sollte. Die Lage des Kaisers, der sich, da ihm der Weg in die Erblande abgeschnitten war, in Frankfurt aufhalten mußte, war eine verzweifelte. „Meine Krönung ist gestern vor sich gegangen“, so schildert er in einem Briefe an Graf Törring seine Stimmung, „mit einer Pracht und einem Jubel ohne Gleichen, aber ich sah mich zu gleicher Zeit von Stein- und Gichtschmerzen angefallen, – krank, ohne Land, ohne Geld, kann ich mich wahrlich mit Iob, dem Mann der Schmerzen, vergleichen, und kann nur auf Gott meine Hoffnung bauen, auf ihn, der dieses Unheil zuließ, auf ihn, der uns auch wieder Rettung senden kann.“ Um die zur Rettung nöthigen Vorkehrungen zu treffen, fehlte es K. an Selbstvertrauen und Schlagfertigkeit. Die scharfblickende Schwester Friedrichs, Markgräfin Wilhelmine von Baireuth, urtheilt über ihn: „Er hätte ein besseres Schicksal verdient. Er war sanft, menschlich, leutselig und besaß die Gabe, die Herzen zu gewinnen; von ihm konnte man sagen: auf einer zweiten Rangstufe würde er geglänzt haben, während er auf der ersten im Dunkel blieb. Sein Ehrgeiz war kühner als sein Genius. Wol war er ein Mann von hohem Geist, aber Geist allein macht den Mann nicht groß; seine Lage reichte über seine Sphäre und unglücklicher Weise hatte er Niemand um sich, der seine fehlenden Talente ersetzt hätte.“ Frankreich hatte den Gefügigen auf den Thron erhoben, aber ihm zu wirklicher kaiserlicher Macht zu verhelfen, lag nicht im französischen Interesse, also auch nicht in der Absicht des Cabinets Fleury. Es stellte an Geld und Truppen nur immer soviel zur Verfügung, als gerade nöthig war, um den Widerstand gegen Oesterreich zu nähren, aber nicht genug, um zum Sieg zu verhelfen. Auch die Erwartung, daß ihm nach Erhebung zur Kaiserwürde von Seite der Reichsfürsten namhafte Subsidien zugewendet würden, verwirklichte sich nicht. Zwar schien sich eine Besserung seiner Lage anzubahnen, als sein Bundesgenosse Friedrich den glänzenden Sieg bei Czaslau (17. März 1742) erfocht, aber der Friedensschluß von Breslau belehrte, daß der König von Preußen nur reale Politik im eigenen Interesse zu treiben gedenke. Friedrich bot nur noch seinen Beistand zur Vermittelung mit dem Wiener Hofe an, rieth aber ohne Umschweife, alle antipragmatischen Ansprüche fallen zu lassen. Die Aussicht, Böhmen behaupten zu können, war ja fast gänzlich geschwunden, seit die Franzosen auf den Besitz von Prag beschränkt waren und auch die Behauptung dieses Platzes immer schwieriger wurde. Belleisle selbst hatte schon hinter dem Rücken des Kaisers Verbindung mit dem Wiener Hofe angeknüpft, die übrigen französischen Befehlshaber waren weder Befehlen noch Bitten des Kaisers zugänglich. K. war deßhalb gar nicht abgeneigt, sein Bündniß mit Frankreich zu lösen, glaubte jedoch noch entsprechenden Ersatz für die Herausgabe Böhmens fordern zu dürfen, damit er die kaiserliche Würde auch würdig behaupten könne. Es war aber gerade dem allzeit lärmenden Cabinet von St. James in Wahrheit gar nicht darum zu thun, einen billigen Friedensschluß zwischen K. und Maria Theresia zu vermitteln; der Kaiser sollte nur mit Frankreich entzweit werden, damit diese Macht gänzlich isolirt wäre. Deßhalb verlangte man im Haag, wo die Mediationsverhandlungen geführt wurden, nicht blos Verzicht auf Böhmen, ohne die Herausgabe Baierns garantiren zu wollen, sondern K. sollte seine eigenen Truppen zur pragmatischen Armee stoßen lassen, um seine bisherigen Verbündeten, die Franzosen, zurückzutreiben. Solchen Vorschlag konnte K. nur mit Entrüstung von sich weisen. Da in Folge des lächerlichen Zwistes der Marschälle Maillebois und Broglie auch die letzten Anstrengungen, Prag zu entsetzen, scheiterten, sah sich Belleisle gezwungen, die Stadt aufzugeben, und zog [225] sich noch rechtzeitig und glücklich aus dem gefährlichen Netz. K. wollte jetzt auch auf die ungünstigsten Bedingungen eingehen und nur auf der Forderung der Räumung Baierns bestehen, „um doch nicht ganz wie ein Bettler auf fremde Unterstützung angewiesen zu sein“. Auch dieses Angebot wurde abgelehnt. Aus so verzweifelter Lage sah sich aber K. plötzlich durch glückliche militärische Erfolge befreit. An Stelle Törring’s war Graf Friedrich von Seckendorff mit dem Oberbefehl über die kaiserlichen Truppen betraut worden; er wußte seine Operationen mit dem Kriegsplan des Marschall Moritz von Sachsen geschickt in Einklang zu bringen und es gelang, Baiern zu räumen. Am 19. April 1743 konnte K. in München einziehen. Es war aber nur ein kurzes Aufflackern des Kriegsglückes. Schon nach wenigen Wochen mußte K. die Residenz verlassen, mußte wieder in Frankfurt das Brot der Verbannung essen. Der Herzog von Noailles prahlt in seinen Memoiren, er allein habe K. mit Geld unterstützt, weil er Mitleid mit einem deutschen Kaiser fühlte, der ohne ihn hätte Hungers sterben müssen. Am 7. Mai 1743 wurde Seckendorff bei Simbach aufs Haupt geschlagen. Er mußte im Kloster Niederschönfeld einen Vertrag mit Khevenhiller eingehen, der wieder ganz Baiern an die Oesterreicher auslieferte, und, auf neutralen Boden festgebannt, mit dem letzten Rest der kaiserlichen Truppen unthätiger Zeuge einer unbarmherzigen Ausplünderung Baierns bleiben. Am 27. Juni 1743 erlitten auch die Franzosen unter Noailles bei Dettingen eine entscheidende Niederlage, die Lage des Kaisers war mißlicher denn je, die Zügel des Reichs entglitten völlig seinen Händen. Schon wurde in den noch immer fortdauernden Verhandlungen betont, daß K. auch die letzte, ohnehin so bedeutungslose Errungenschaft glücklicherer Tage, den Kaisertitel, aufgeben müsse: da brachte gerade diese Ueberhebung der Sieger dem Besiegten noch einmal Rettung. König Friedrich konnte sich nicht verhehlen, daß er, wenn erst einmal dem mit Frankreich verbündeten Kaiser das Schwert völlig aus der Hand entrungen wäre, vom schwer beleidigten Stolz und vom persönlichen Haß der Königin von Ungarn für sich selbst das Schlimmste zu befürchten habe. Für den Eroberer Schlesiens war es ein Gebot der Nothwehr, daß ein gewisses Gleichgewicht zwischen dem Kaiser und seiner siegreichen Gegnerin hergestellt werde. Auf Betreiben Friedrichs wurde demnach zwischen dem Kaiser, Preußen, Frankreich, Kurpfalz und Hessen am 22. Mai 1744 ein Unionstractat abgeschlossen, der Aufrechthaltung der bisherigen Verfassung des römischen Reichs, Vertheidigung der kaiserlichen Stellung Karls und Befreiung Baierns bezweckte. Ueberdies verbürgten sich die vereinigten Mächte gegenseitig ihren Besitzstand und luden alle anderen deutschen Fürsten ein, dem Bündniß beizutreten. Hiermit trat auch der Krieg in eine neue Phase. Sowohl Ludwig XV. als Friedrich II. traten selbst an die Spitze ihrer Heeres, jener rückte in die Niederlande, dieser in Böhmen ein. Die günstigen Erfolge, die hier Dank dem Genie des Königs und der Disciplin seines Heeres errungen wurden, boten auch dem combinirten bairisch-französischen Heer wirksamste Unterstützung, sodaß überraschend schnell die Räumung Baierns durchgeführt werden konnte. Am 23. Oct. 1744 kehrte der Kaiser unter dem Geläut aller Glocken und dem Jubelruf des Volks in seine Hauptstadt zurück, aber nur um darin zu sterben. Schon die nächsten Wochen brachten glückliche Scharmützel der Oesterreicher an den Landesgrenzen; bald nach Neujahr 1745 beherrschten sie schon wieder die Oberpfalz und das ganze Donaugebiet. Nur noch Amberg vertheidigte sich hartnäckig gegen feindliche Uebermacht, auf eine Aufforderung zur Uebergabe wurde erwidert, die Stadt werde dem Kaiser treu bleiben bis zum Untergang – da traf die erschütternde Kunde vom Tode des Kaisers ein. K. hatte schon seit längerer Zeit in Folge eines Geschwürs am Herzen unsäglich gelitten, – die Nachrichten [226] über die letzten Unfälle beschleunigten das Ende. – „Er wäre eines bessern Schicksals werth gewesen“. Diesem Urtheil der Markgräfin Wilhelmine darf sich auch der unbefangene Historiker anschließen. K. hatte sich um der Erhöhung seines Hauses willen auf falsche Bahnen verirrt. Die schweren Schicksalsschläge, die in Folge seiner blinden Vertrauensseligkeit in guten, seiner Verzagtheit in schlimmen Tagen sein gesalbtes Haupt trafen, waren eine verdiente Strafe. Frankreich wollte ja nur – der Herzog von Noailles macht daraus kein Hehl – das „Phantom“ eines Kaisers auf den Thron setzen; der dahin Berufene selbst besaß nicht, wie sein größerer Zeitgenosse die Kraft, das einmal Errungene im Sturm der Gefahren zu behaupten. Allein man wird auch nicht ausschließlich der „hohlen Ehrsucht des Wittelsbachers“ alle Schuld aufbürden dürfen; die Verbündeten und Gegner, die durch unbillige Forderungen immer wieder Versöhnung und Vergleich hinderten, haben nicht minder das schwere Ungemach, das der Erbfolgekrieg über die deutschen Lande brachte, zu verantworten.

J. J. Moser, Staatshistorie Teutschlands unter Karl VII., 1748. – Lipowsky, Lebens- und Regierungsgeschichte des Churfürsten von Bayern. Karl Albert, nachmaligen Kaisers Karl VII., 1830. – Arneth, Geschichte Maria Theresia’s, 1863. – Heigel, Der österreichische Erbfolgestreit und die Kaiserwahl Karls VII., 1877.