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Artikel „Berger, Ludwig“ von Arrey von Dommer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 2 (1875), S. 380–381, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Berger,_Ludwig&oldid=- (Version vom 11. Oktober 2024, 09:33 Uhr UTC)
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Berger: Ludwig B., ausgezeichneter Tonkünstler, Clavierspieler, Componist und Lehrer, geboren zu Berlin am 18. April 1777, † 16. Februar 1839. Seine erste Erziehung empfing er in dem kleinen Städtchen Templin in der Uckermark, wohin sein Vater, der Bauinspector war, aus dienstlichen Ursachen sich begab. Nachdem er darauf noch in Frankfurt a. d. O. gelebt hatte, kam er als Jüngling wieder nach Berlin, um seine inzwischen deutlich hervorgetretenen musikalischen Anlagen bei dem tüchtigen Componisten und Capellmeister Gürlich auszubilden. Im Jahre 1801 ging er nach Dresden, um seine Studien unter Joh. Gottl. Naumann fortzusetzen; dieser starb jedoch schon im October desselben Jahres, und B. kehrte nach Berlin zurück. Hier hörte ihn 1804 Clementi spielen, erkannte seine Fähigkeiten, nahm ihn zum Clavier- und Compositionsschüler an, und B. folgte ihm 1805 nach Petersburg; auch der damals zwanzigjährige August Alexander Klengel, nachher Hoforganist zu Dresden und namhafter Contrapunktist, machte die Reise mit. In Petersburg blieb B. bis 1812, worauf er über Stockholm nach London wieder zu Clementi (der seit 1810 dort lebte), sich begab, 1814 aber nach Berlin zurückging. Von da an hat er seine Vaterstadt nicht mehr verlassen. In Petersburg hatte er sich glücklich verheirathet, doch starb seine junge Gattin bereits im ersten Kindbette, und dieses Unglück war die Ursache der schwermüthigen und reizbaren Stimmung, von welcher B. in bedauerlichem und immer steigendem Grade beherrscht wurde. Hierzu gesellte sich in den letzten Jahrzehnten seines Lebens noch mannigfaches körperliches Leiden, welches ihn immer schwerer zugänglich machen und seine künstlerische Thätigkeit beeinträchtigen half, und nicht mehr von ihm wich, bis ihn unerwartet, mitten in einer Unterrichtsstunde, der Tod antrat (vgl. Nekrolog von J. P. Schmidt, Leipzig, Allgm. Mus. Ztg. 1839, S. 186). Am 26. Febr. hielt ihm die Singakademie, deren Mitglied er viele Jahre gewesen, eine Todtenfeier und am 21. März darauf veranstalteten seine Freunde ein öffentliches Concert, dessen Ertrag zu einem Denkmale Berger’s bestimmt war. Besonders als Clavierspieler und Lehrer stand B. zu seiner Zeit in hohem und allgemeinem Ansehen. Im Clavierspiele folgte er der strengen Richtung, welche von Sebastian Bach ausgehend und an dessen, durch Philipp Emanuel fortgepflanzte Traditionen anknüpfend, nach Mozart’s Tode in Clementi ihren Hauptvertreter hatte. Demgemäß soll auch Berger’s Vortrag durch stilgerechte Objectivität und Betonung des rein Musikalisch-Kunstmäßigen, bedeutende aber stets nur im Dienste höherer Absichten verwendete Technik, bei Abweisung aller durch blos virtuose Handfertigkeit erreichbaren Effecte, sich ausgezeichnet haben. Hiermit verband er, nach Urtheilen von Zeitgenossen, einen elastischen, gesangreichen Anschlag sowie Feuer und Großartigkeit bei sinnvoller Feinheit der Auffassung. [381] Auf die Entwickelung seines Anschlages und die Durchgeistigung seines Vortrages hat das Vorbild des John Field in Petersburg wesentlich fördernd eingewirkt, wie er auch dem Virtuosen Steibelt, den er ebenfalls dort antraf, in der Technik Einiges zu danken gehabt haben soll. Sowol in Rußland wie in London und nachher in Berlin hat B. mit seinen Concerten guten Erfolg gehabt, und auch als in späterer Zeit unter dem Einflusse nervöser und rheumatischer Leiden seine Fertigkeit von ihrer ehemaligen Vollkommenheit verlor, verblieben seinem Spiele doch die großen geistigen Eigenschaften, wodurch er von jeher vorzugsweise sich hervorgethan hatte. Seiner ernsten Richtung blieb er stets treu, auch als das Wohlgefallen an der glanzvolleren modernen Virtuosität um ihn herum immer mehr zunahm. Als Clavierlehrer nahm B., nachdem er als solcher schon zu London sich Ruf erworben hatte, auch in Berlin sehr bald die erste Stelle ein; seinen zahlreichen Schülern reihen unter anderen Mendelssohn und W. Taubert sich an. In der Composition aber hatte er mehr Verdienst als Erfolg; von den Sachverständigen sind seine Producte stets nach ihrem Werthe anerkannt worden, im Publicum aber haben sie, mit nicht vielen Ausnahmen, niemals große Verbreitung gefunden. Allerdings wenden sie sich ihrer Beschaffenheit nach viel unmittelbarer an den Kenner und Musiker selbst, als an den blos Genießenden: sie sind vorwaltend gehaltreich, gediegen, geistvoll und tüchtig gearbeitet, Zeugnisse eines ernsten und stets auf Höheres gerichteten Sinnes. Auf Selbständigkeit aber haben sie wenig Anspruch, sondern lehnen oft merklich an Mozart, Beethoven, Haydn, Clementi sich an, zwar ohne directe Copien oder blos äußerliche Nachahmungen zu sein, doch auch ohne ihren Vorbildern an Reichthum und Stärke der Erfindung allemal gleich zu kommen. Auch ließ er selbst von seinen Werken beiweitem nicht Alles drucken, was der Veröffentlichung werth gewesen wäre; denn schon an sich war er der Oeffentlichkeit gegenüber bescheiden und zurückhaltend, und bei der vielfachen Trübung seiner Gemüthsstimmung wird er Zweifeln an sich selbst oft mehr als dienlich Raum gegeben haben, daher war auch ein Theil der in seinem Nachlasse noch vorgefundenen Arbeiten unvollendet geblieben. Die bedeutendsten seiner Werke sind: vier Claviersonaten, von denen namentlich die erste, „Sonate pathétique, C-moll“ (Leipzig, Peters) geschätzt war und neben Beethoven’s gleichnamigem Vorbilde durch eigenen Werth sich behauptete. Ihr zunächst steht die in Es op. 10 (Berlin, Schlesinger); – 12 Etüden (op. 12, Berlin, Christiani) und 15 Etüden (op. 22, Leipzig, Hofmeister) zum Besten innerhalb ihrer Gattung gehörend, den Cramer’schen verwandt, gleich ihnen musikalisch werthvoll und vortrefflich instructiv; – eine vierhändige Sonate op. 15; desgleichen eine Reihe anderer Clavierstücke: Variationen, worin B. eine außerordentlich große Geschicklichkeit besaß; tüchtig gearbeitete Fugen mit Präludium; eine Toccata; Rondos, Märsche zu zwei und vier Händen etc.; – ferner für Gesang: eine Anzahl Lieder mit Clavier, unter denen der Cyclus „Die schöne Müllerin“ von Wilhelm Müller sehr beliebt war; Lieder für vierstimmigen Männerchor, componirt für die von B. selbst und Bernhard Klein gegründete jüngere Berliner Liedertafel; Colma, Ossianische Scene mit Clavier (Offenbach, André); Eine Symphonie „im Stile von J. Haydn und Mozart fleißig gearbeitet“ führte Mendelssohn am 31. December 1832 in Berlin auf. Im Nachlasse fanden sich noch zwei Symphonien, ein Clavier-Concert, verschiedene Streichquartette, die achtzehn Variationen in F-dur über „Ah vous dirai je maman“, von ihm selbst in eigenhändiger Inschrift für sein bestes Werk erklärt; ein Kyrie und Gloria alla cappella für vier Solo- und acht Chorstimmen; ferner viele kleine Clavierstücke, Kanons, Fugen, Märsche, auch Lieder etc. Eine Auswahl aus seinen Clavierwerken in zehn Heften erschien bald nach seinem Tode zu Leipzig bei Hofmeister.