ADB:Schnabel, Georg Norbert
Schnabel: Georg Norbert S, Professor der Statistik und des Strafrechts an der Universität in Prag, wurde am 31. März 1791 zu Weseritz in Böhmen geboren, absolvirte die Gymnasialstudien in Pilsen, die philosophischen und juridischen an der Universität in Prag und erwarb schließlich zu Ende des Studienjahres 1816 den juridischen Doctorgrad an der Universität in Wien. Sofort nach der Promotion gelang es ihm, als Assistent bei den Lehrkanzeln der Politik und Statistik der juridischen Facultät in Wien in die akademische Laufbahn einzutreten, und schon im nächsten Jahre (a. h. Entschließung vom 4. September 1817) konnte er als ordentlicher Professor der Statistik nach Prag zurückkehren.
Noch vor seiner Ernennung hatte S. einige kleinere Arbeiten in den Vaterländischen Blättern und an anderen Orten veröffentlicht. Nach seiner Ernennung trat er sehr bald mit einem größeren Werke hervor; es war dies „Die europäische Staatenwelt, ein Versuch, die Statistik in der vergleichend räsonnirenden Methode zu behandeln“ (Bd. I, Prag 1819; Bd. II, Prag 1820). Mit diesem Werke, welchem eine theoretische Einleitung in die Statistik vorausgeschickt war, trat S. muthig in die große Arena der statistischen Litteratur ein; er knüpfte ausdrücklich an die zu jener Zeit entbrannte Fehde (Lueder) in der statistischen Theorie an und wollte sowol in der Theorie als in der Anwendung der Statistik gegen deren Verächter zeigen, was das Wesen dieser Wissenschaft sei und wie hoch im Range sie stehe; Büsching und Normann waren die einzigen, welche er in der Anwendung der vergleichend räsonnirenden Methode als seine Vorläufer betrachtete. Ob Schnabel’s Versuch ohne äußere Hemmnisse die gewünschte Wirkung hervorgebracht hätte, läßt sich schwer entscheiden; der Möglichkeit einer Wirkung wurde jedenfalls durch das staatliche Verbot vorgegriffen, welches den zweiten Band traf. Es war die Zeit der Karlsbader Beschlüsse, in welcher Schnabel’s Werk erschien; sicherlich die ungünstigste Zeit, um, wie S. es versuchte, ein Lehrgebäude der Politik auf Grund der Statistik zu errichten.
Von da an tritt eine Pause einiger Jahre in Schnabel’s litterarischer Wirksamkeit ein. Im J. 1826 erschienen aber (in Prag) wieder zunächst drei kleinere Arbeiten, eine „Statistische Darstellung von Böhmen“, eine solche „Ueber Raum- und Bevölkerungsverhältnisse der österreichischen Länder“ und ein „Geographisch-statistisches Tableau der europäischen Staaten“, welch letzterem im nächsten Jahre ein „Geographisch-statistisches Tableau der Staaten und Länder aller Welttheile“ folgte. Diese Arbeiten waren die Brücke zu der „General-Statistik der europäischen Staaten mit vorzüglicher Berücksichtigung des Kaiserthums Oesterreich“ (Prag 1829, 2 Bände mit 2 Uebersichtskarten), jenem Werke, auf welchem in erster Linie Schnabel’s Stellung in der statistischen Litteratur beruht. Wenn man die „General-Statistik“ mit der „Europäischen Staatenwelt“ vergleicht, so begreift sich mancher Unterschied angesichts der erwähnten Erlebnisse sehr wohl; das politische Raisonnement ist verschwunden, nur die [74] Darstellung der Thatsachen ist geblieben. Die „General-Statistik“ wollte die Aufgabe lösen, die Statistik aller Staaten eines Welttheils nach der synkretistischen (vergleichenden) Methode zu bearbeiten und dabei doch den Vorzug der Bestimmtheit und Genauigkeit in den Angaben zu bewahren; ein ethnographisch geordnetes Sachregister sollte den von der vergleichenden Methode untrennbaren Mangel eines vollständigen Bildes der einzelnen Staaten ersetzen.
Dieses Werk erfuhr vielfache Anerkennung, gelangte im J. 1833 zu einer zweiten Auflage und im J. 1835 sogar zu einer in Pavia erschienenen italienischen Uebersetzung (von C. Ravizza und G. Zuradelli); im J. 1841 noch konnte S. unter dem Titel „Europa um das Jahr 1840“ zu dem Werke eine ergänzende Uebersicht der neuesten Veränderungen im Gebiete der General-Statistik der europäischen Staaten herausgeben. Wie anerkannt Schnabel’s Name auf diesem Gebiete der Litteratur geworden war, beweist außerdem der Umstand, daß er berufen ward, nach dem Tode des ursprünglichen Verfassers von „Galetti’s allgemeiner Weltkunde“ als der Herausgeber der 7. Auflage dieses Werkes einzutreten; es kennzeichnet Schnabel’s Standpunkt, daß er dabei ausgesprochenermaßen das Ziel verfolgte, „die drei Schwesterwissenschaften, Geographie, Statistik und Geschichte, allgemein zugänglich und darum recht gemeinnützlich zu machen“.
Neben dieser eifrigen Wirksamkeit auf statistischem Gebiete fand aber S. auch noch Zeit zu litterarischer Bethätigung in ganz anderer Richtung.
Wenige Monate nach seiner Ernennung zum Professor hatte er auch das Amt eines Historiographen der juridischen Facultät in Prag übernommen und es gelang ihm, jenes Werk rasch durchzuführen, von welchem die designirten Vorgänger zurückgetreten waren. Im J. 1827 erschien die „Geschichte der juridischen Facultät der vereinigten Karl-Ferdinandeischen Hochschule zu Prag“ und neben diesem Hauptwerke gab eine Reihe von Arbeiten in den Schriften des böhmischen Museums Zeugniß von seiner historiographischen Thätigkeit.
Desgleichen hielt S. die Verbindung mit den politischen Wissenschaften, in welcher er als Assistent in Wien gestanden war, litterarisch aufrecht. Der „Entwurf einer Dienst-Instrukzion für die Wirthschaftsämter in den k. k. Staaten“ (1. Aufl. Prag 1819; 2. Aufl. Prag 1827), sowie die Abhandlung „Von einigen durch politische Gesetze begründeten besonderen Arten des Grundeigenthums in Böhmen“ in der Zeitschrift für österreichische Rechtsgelehrsamkeit (Wien 1827) gehören hierher.
Wie aus der zweiten Auflage der eben erwähnten „Instrukzion“ ersichtlich ist, war S. zur Zeit derselben auch Supplent der politischen Lehrkanzel in Prag. Bei der Verbindung des Polizeistrafrechts mit dieser Lehrkanzel in der vormärzlichen Studienordnung Oesterreichs mag S. daraus den Anstoß gewonnen haben, litterarisch auf das strafrechtliche Gebiet überzugreifen. In dieser Richtung erschienen nun zunächst einige Abhandlungen in der Zeitschrift für österr. Rechtsgelehrsamkeit („Ueber die Konkurrenz der Zivil- mit der politischen Gerichtsbarkeit bei schweren Polizei-Uebertretungen“ 1826; „Ueber das Verhältniß der österreichischen Staatsbürger zur Anzeige geschehener oder zu besorgender Verbrechen und schwerer Polizeiübertretungen“ 1830; „Ist jeder Diebstahl, der nicht ein Verbrechen ist, eine schwere Polizei-Uebertretung? Mit Beziehung auf das in Oesterreich geltende Strafgesetzbuch vom 3. September 1803“ 1832).
Auf diese Weise war jener Schritt innerlich vorbereitet, zu welchem sonst die ausreichende Erklärung fehlen würde, der Uebertritt Schnabel’s zu der Lehrkanzel des Natur- und Criminalrechts im J. 1835. Wol ist der Uebertritt von der statistischen Lehrkanzel zu anderen juridischen Professuren in Oesterreich mehrfach vorgekommen, weil die Dotation und Stellung der statistischen Lehrkanzel [75] nach der vormärzlichen Studienordnung eine untergeordnete war; es mag ferner, wenn wir die überlieferten Berichte richtig auslegen, S. auch noch nach 1820 in jene Collisionen gerathen sein, welche zwischen den Professoren der Statistik einerseits und der Büchercensur, sowie den politischen Behörden andererseits häufig eingetreten sein sollen. Alle diese Gründe könnten aber die Trennung von der statistischen Lehrkanzel hier nur schwer begreiflich machen, da S. durch eine, wie wir gesehen, fruchtbare und erfolgreiche litterarische Wirksamkeit mit seinem Lehrfache verbunden war. Nur der Umstand, daß die criminalistischen Studien Schnabel’s mit seinen statistischen Arbeiten sichtlich schon von Jugend her parallel gegangen waren und ihn von Anfang an neben der Bethätigung auf statistischem Gebiete zu litterarischen Veröffentlichungen auf dem Felde des Strafrechtes drängten, erklärt den Entschluß Schnabel’s in einer mit demselben versöhnenden Weise.
Es stimmt hiermit überein, daß Schnabel’s schriftstellerische Thätigkeit auch von da an, ihrem früheren Charakter treu, eine dem Strafrechte wie der Statistik zugewandte Seite zeigte. In der Zeitschrift für österr. Rechtsgelehrsamkeit erschienen zunächst noch folgende Abhandlungen strafrechtlichen Inhalts: „Ueber Selbstverletzungen und deren Verhältniß zur österreichischen Strafgesetzgebung“ (1837) und „Ueber die generelle Verschiedenheit zwischen Abtreibung der Leibesfrucht und Mord eines Kindes, mit Berücksichtigung der Frage der Perforazion“ (1838). Gleichzeitig erschien als 22. Band von Braumüller’s Juristischer Handbibliothek (Wien 1837) eine Erörterung über „Das Strafgesetz über Gefällsübertretungen in seinen Beziehungen auf die allgemeinen österreichischen Strafgesetze“, welchem noch nach einem Decennium die vordem der General-Statistik widerfahrene Ehre der Uebersetzung in das Italienische zu theil wurde (von Prof. Dr. J. B. Fava, Venedig 1846).
Was die Statistik betrifft, so bot S., wie er selbst sagt, schon seine Stellung als Mitglied der Provinzialhandelscommission und mancher gemeinnütziger Vereine vielfache Veranlassung, mit seinen früheren wissenschaftlichen Bestrebungen in freundliche Berührung zu kommen. „Durch seine Berufs- und Geschäftsverhältnisse häufig zu Vorschlägen neuer nützlicher Einrichtungen im geselligen Leben verpflichtet, war er nicht nur zur Benützung seiner früher gemachten statistischen Sammlungen, sondern auch zu neuen Forschungen und Erhebungen bestimmt worden, so daß unter seinen Händen eine Reihe statistischer Tabellen erwuchs.“ Infolge dessen brachte er zunächst, offenbar an eine im J. 1834 in der steiermärkischen Zeitschrift enthaltene „Uebersicht der gewerblichen Industrie Böhmens“ sowie an zwei in den Schriften des böhmischen Museums von 1829 und 1830 publicirte Arbeiten „Ueber die neuere Vervollkommnung der öffentlichen Kommunikazionswege in Böhmen“ und „Ueber die Leinenwaaren-Produkzion in Böhmen“ anknüpfend, eine umfassende „Statistik der landwirthschaftlichen Industrie Böhmens“ (Prag 1846) zur Veröffentlichung. An diese Arbeit schlossen sich bald (Prag 1848) „Tafeln zur Statistik von Böhmen“ im allgemeinen an. Amtliche Förderung ist sichtlich beiden Schriften zu theil geworden; es sind daher auch beide dem Landeschef (Erzherzog Stephan) zugeeignet.
Bis hierher ist der Zusammenhang mit Schnabel’s litterarischer Vergangenheit ein vollkommener. Die lehramtliche Verknüpfung von Strafrecht und Rechtsphilosophie bestimmte S. aber, auch auf letzterem Gebiete productiv hervorzutreten, und hier ward ihm ein Mißerfolg nicht erspart. Er selbst glaubte seine Schrift „Das natürliche Privatrecht“ (Wien 1842) als eine „consequente Durchführung des den gegenwärtigen Stand der Wissenschaft bezeichnenden, in der relativ moralischen Rechtsdeduction gegründeten Rechtsprincipes“ charakterisiren [76] zu können, er stieß aber auf lebhaften Widerspruch. In der Zeitschrift für österr. Rechtsgelehrsamkeit selbst (1843), deren eifriger Mitarbeiter S., wie wir gesehen, gewesen war, übte Heyßler an dem Werke eine eingehende, schneidige Kritik, welche dem Verfasser nach der philosophischen wie nach der juridischen Seite die Voraussetzungen zu einer solchen Arbeit absprach, und in der zweiten Wiener juridischen Zeitschrift („Der Jurist“, 1843) schloß sich Wildner v. Maithstein diesem Urtheile an.
S. selbst ließ sich, und dieß ist für seine Beharrlichkeit kennzeichnend, durch die abfälligen Urtheile nicht entwaffnen. Die Prager Zeitschrift „Themis“ öffnete ihm die Spalten (1843) zur Abwehr der Wiener Kritik und nach Jahren noch griff er zur Feder, um in Haimerl’s Magazin (Bd. III) seine Ansichten „über das Verhältniß des Staates zum Rechte“ niederzulegen. Nur insoweit scheint dieser Zwischenfall für Schnabel’s litterarische Wirksamkeit bedeutsam gewesen zu sein, als er ihm die weitere Mitarbeiterschaft an der Zeitschrift für österr. Rechtsgelehrsamkeit verleidet haben mochte; in dieser Weise erklärt sich eine bemerkbare Pause in Schnabel’s Veröffentlichungen während der vierziger Jahre.
Schnabel’s akademische Laufbahn ist durch ihre innige Verknüpfung mit einer Hochschule charakterisirt; von der kurzen Wirksamkeit als Assistent in Wien abgesehen, gehörte er nur der heimathlichen Universität an und an dieser ist er als Professor volle 40 Jahre bis zu seinem Tode (am 22. October 1857) thätig gewesen. Es konnte daher wol nicht fehlen, daß ihm die akademischen Aemter und Würden mehrfach zu theil wurden (er war wiederholt Decan und 1852/53 Rector) und daß er in dem nach 1848 geschaffenen staatlichen Prüfungswesen eine leitende Stellung einnahm.
Seine über das akademische Leben hinausgreifende Thätigkeit hatte aber auch andere Auszeichnungen zur Folge. So war er schon im Vormärz (1846) zum k. k. Gubernialrathe ernannt worden und einige Jahre nach dem Thronwechsel von 1848 ward ihm die kaiserl. Anerkennung durch die Verleihung der goldenen Medaille für Wissenschaft und Kunst (1852) und des Franz-Josef-Ordens (1855) zu theil.
- Vgl. Wurzbach, Biogr. Lexikon und die dort citirten Schriften. – Ficker, Der Unterricht in der Statistik an den österreichischen Universitäten und Lyceen (Statistische Monatsschrift 1876, S. 66 u. 67). – Vorlesungsverzeichnisse der Wiener und Prager Universität.