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Artikel „Arndt, Ernst Moritz“ von Gustav Freytag in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 1 (1875), S. 541–548, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Arndt,_Ernst_Moritz&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 11:26 Uhr UTC)
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Arndt: Ernst Moritz A., geb. am zweiten Weihnachtstage 1769 in Schoritz auf Rügen als zweitältester von acht Geschwistern, † 1860. Sein Urgroßvater war nach Familienüberlieferungen als Unterofficier aus Schweden gekommen, sein Vater war damals Inspector der sogenannten Schoritzer Güter, ursprünglich leibeigen, später vom Grafen Putbus freigelassen; seine Mutter war Friederike Wilhelmine Schuhmacher. Kaum sechsjährig, kam der Knabe nach Dunsewitz, wo sein Vater ein Bauerngut pachtete, dort unterrichtete die Mutter die Kinder selbst, Lehrer erhielten sie erst, als der Vater 1780 als Pachter in die Nähe von Stralsund übergesiedelt war. Die ersten großen Eindrücke des Knaben waren die Seelandschaft, die Hünengräber und Volkssagen, das ernste, harte, fromme und arbeitsame Leben in den Familien der kleinen Landwirthe. Unterstützt durch unbekannte Gönner bezog er 1787 die gelehrte Schule zu Stralsund, arbeitete emsig und härtete sich auf jede Weise ab. Trotzdem erfaßte ihn im Herbst 1789 ein heftiger innerer Kampf und die Furcht, Stralsund möchte ihn doch verweichlichen; er entlief der Stadt in der Absicht, bei einem Landwirth Schreiber zu werden, kehrte aber bald ins elterliche Haus zurück, wo er in eifrigem Lernen ohne Lehrer bis Ostern 1791 verblieb. In diesem Jahr begab er sich nach Greifswald Theologie zu studiren, von dort nach Jena. Aber die theologischen Vorlesungen ließen ihn kalt, dagegen imponirte ihm Fichte. October 1794 kehrte er in die Heimath zurück, repetirte, wurde nach zwei Jahren Candidat und predigte, darauf Hauslehrer bei Pastor Kosegarten in Altenkirchen auf Wittow. Dennoch entfremdete er sich immer mehr dem geistlichen Stande, er entsagte ihm, 28 Jahre alt, gänzlich. Hierauf unstetes Wanderleben 1½ Jahr lang, er besuchte Wien, Ungarn, Italien, Frankreich, Belgien, zog über Köln den Rhein hinauf und nach Hause zurück.

Auf dieser Reise lernte er sich fröhlich unter Fremden behaupten und erwarb das Geschick, mit jeder Art von Menschen zu verkehren. Sein warmes Naturgefühl und die Freude an den charakteristischen Lebensäußerungen jedes Volksthums gaben ihm überall eine Fülle von Beobachtungen, welche er genau und sauber in seinem Tagebuch fixirte. Er reiste als schwedischer Unterthan und galt unter den Fremden im Anfange gern für einen Schweden, „weil die deutsche Nationalität zu viel mißachtet war.“ Aber er bestand für sein deutsches Wesen schon damals manchen Strauß und bei unbefangener Anerkennung des Fremden festigte sich gerade auf dieser Fahrt sein deutscher Patriotismus. Ein Sommer in Paris machte ihn mit den französischen Zuständen unter dem Directorium unmittelbar vor Napoleons Rückkehr aus Aegypten genau bekannt.

Ostern 1800 habilitirte er sich als Privatdocent der Geschichte in Greifswald, heirathete Charlotte Marie, natürliche Tochter des Professor der Naturgeschichte Quistorp, die er im nächsten Jahre nach der Geburt seines ersten Sohnes durch den Tod verlor. Er wurde Adjunct in der philosophischen Facultät [542] und hielt zumeist geschichtliche Vorträge. Ins Jahr 1800 fällt sein erster schriftstellerischer Versuch: „Ueber die Freiheit der alten Republiken.“

Wohlwollende Aufnahme fand die Redaction seines Reisetagebuchs, welche unter dem Titel: „Reisen durch einen Theil Teutschlands, Ungarns, Italiens und Frankreichs in den Jahren 1798 und 1799“. (6 Th. 1802; II. Aufl. 4 Th. 1804) erschien. Im Jahre 1803 gewann er zuerst als politischer Schriftsteller Bedeutung. Auf die Schrift: „Germanien und Europa“ (Altona 1803), welche er selbst eine wilde und bruchstückige Aussprudelung seiner Ansicht von der Weltlage d. J. 1802 nennt, folgte eines seiner besten Bücher: „Versuch einer Geschichte der Leibeigenschaft in Pommern und Rügen,“ (Berl. 1803), welchem er (Berl. 1817) einen Anhang gab: „Geschichte der Veränderung der bäuerlichen und herrschaftlichen Verhältnisse in dem vormaligen schwedischen Pommern und Rügen von 1806 bis 1816.“ Die Darstellung der mittelalterlichen Zustände ist mangelhaft, aber die Entwickelung zum Schlimmern vom 16. Jahrhundert ab und vor Allem die Verhältnisse der Neuzeit sind vortrefflich geschildert. Das Buch machte in der Landschaft das größte Aufsehen und erregte gegen ihn Klagen mehrerer Edelleute bei König Gustav IV. Adolf. Aber A. wußte sich durch den Inhalt seiner Schrift zu vertheidigen, der König erfuhr daraus die unleidlichen Zustände und hob 1806 Leibeigenschaft und Patrimonialgerichte auf.

Im Herbst 1803 unternahm A. eine Reise nach Schweden, wo er ein ganzes Jahr weilte, den Winter in regem Verkehr mit Gesinnungsgenossen zu Stockholm, den Sommer auf einer Fahrt nach den nördlichen Provinzen. Sein tapferes Buch hatte ihm warmen Empfang bereitet, seine sorglose Heiterkeit und die Wißbegierde, womit er Menschen und Landschaft beobachtete, gewannen ihm überall Freunde. Das Werk, in welchem er seine Fahrten schilderte: „Reise nach Schweden im Jahre 1804.“ (4 Bde. Berlin 1806), ist ziemlich flüchtig in einer Zeit geschrieben, wo ihm die Seele bereits durch andere Sorgen in Anspruch genommen war. Schon vor der Reise hatte er seine Gedichte in Druck gegeben (1. Ausg. Rostock 1804) und ein Drama: „Der Storch und seine Familie, eine Tragödie in drei Aufzügen“, (Greifswald 1804, auf Kosten des Verfassers), worin er das Elend schildert, welches durch überspannte Romantiker und phantastische Philosophen (die Schlegel) in eine ehrliche Pachtersfamilie gebracht wird. Aber alle Handelnden sind wunderlich als Vögel dargestellt. – Nach seiner Rückkehr aus Schweden gab er heraus: „Ideen über die höchste historische Ansicht der Sprache“ (Rostock 1805) und mit größerem Erfolg: „Fragmente über Menschenbildung“ (2 Bde. Altona 1805): ein 3. Bd. erschien (Alt. 1819) mit dem Beititel: „Briefe an Psychidion oder über weibliche Erziehung.“ Beide Bücher sind aus Beobachtungen und Gedanken entstanden, welche in ihm das kurze Glück seiner Ehe, der kleine Sohn und die letzte Reise aufgeregt hatten. Aus dieser contemplativen Vertiefung in das Familienleben riß ihn die Sorge um die Schicksale Europas zu politischer Arbeit. Wie ein Komet war die Macht Napoleons aufgestiegen, sie brach den Widerstand Oesterreichs und bedrohte Preußen. Wenige Deutsche kannten damals die Zustände des französischen Volkes aus eigener Anschauung so wie A., und beurtheilten so richtig das Deutschfeindliche und Despotische in der Natur des Siegers. Jetzt wollte A. die Deutschen an die Tüchtigkeit ihrer eigenen Art mahnen, vor der Ueberschätzung des Fremden warnen, die Volkskraft zum Kampf gegen den übermächtigen Einfluß der Franzosen stählen. Im Herbst 1805 schrieb er: „Geist der Zeit“ (1. Theil, Altona 1806, 2. Th. London 1809, 2. und 3. Th. Berlin 1813, 4. Th. 1818.) Dies Werk wurde entscheidend für sein eigenes Leben, sein Urtheil über Napoleon und die französischen Ansprüche ward durch die furchtbaren Ereignisse der nächsten Jahre [543] vor aller Augen bestätigt. Das Buch machte großes Aufsehen und warf ihn selbst aus der Gelehrtenstube in die Gefahren eines wilden Völkerkampfes. Er hatte eben seinem König für die im J. 1805 erhaltene außerordentliche Professur gedankt und wurde in der Regierungskanzlei zu Stralsund für die schwedischen Angelegenheiten beschäftigt, da gerieth er zunächst mit einem schwedischen Officier beim Weine in Streit, weil dieser das deutsche Volk schmähte. Im Zweikampf erhielt A. einen Schuß durch den Leib. Der kräftige Mann sank zu Boden, stand aber wieder auf und ging nach der Stadt, wo er sich verbinden ließ und acht Wochen auf dem Streckbett lag. Als ihn im Herbst die Nachricht von der Schlacht bei Jena und dem Anzug der Franzosen erreichte, hatte er jeden Grund für sein Leben zu fürchten, und flüchtete nach Stockholm. Dort wurde er freundlich aufgenommen, auch von der Regierung angestellt, er arbeitete an einer Uebersetzung der schwedischen Gesetze für Pommern und in der Staatskanzlei als Publicist und Uebersetzer politischer Flugschriften. Drei Jahre lebte er daselbst friedlich und sicher unter Freunden und doch klagt er, daß diese Jahre auch für ihn sehr unglücklich waren. In der Fremde fühlte er einsam den Jammer des geliebten Vaterlandes, an den Schweden kränkte ihn die Vergötterung Napoleons und die herannahende Regierungskatastrophe, welche den franzosenfeindlichen König aus seinem Lande schleudern sollte. Denn Arndt’s deutscher monarchischer Sinn und persönliche Dankbarkeit fesselten ihn an den König. Als er die Intriguen bei der Thronentsetzung erlebt hatte, litt es ihn nicht länger im Lande. Heimlich schlug er sich im Herbst 1809 als Sprachmeister Allmann durch die Franzosen an die Küste Pommerns, bis nach Trantow zu seinen Geschwistern. Vater und Mutter waren während seiner Abwesenheit gestorben, er selbst war schon 1808 durch einen Befehl des Marschalls Soult seines Lehramtes entsetzt worden, und gerade jetzt wurde er geächtet. Denn in London war der 2. Theil seines „Geistes der Zeit“ erschienen, in welchem er die unsittlichen Grundlagen der Napoleonischen Herrschaft in hellem Zorn angriff und die Deutschen mit flammenden Worten zu den Waffen rief: ein einiges Volk zu sein, sei die Religion unserer Zeit, die höchste Religion sei das Vaterland lieber zu haben als Herren, Weiber und Kinder, die höchste Bestimmung des Mannes sei, für Gerechtigkeit und Wahrheit zu siegen oder zu sterben.

Er hielt sich in der Heimath mit Grund für gefährdet und ging Ende des Jahres nach Berlin, wo er bei seinem Jugendfreunde, dem Buchhändler Reimer wohnte. Das Haus seines Gastfreundes war ein Mittelpunkt für preußische Patrioten aus allen Städten, auch A. wurde dort zu einem warmen Preußen. Inzwischen hatte der Friede zwischen Frankreich und Schweden vom 6. Januar 1810 Greifswald an Schweden zurückgegeben, und A. wurde vom Generalstatthalter Grafen von Essen wieder in sein Lehramt eingesetzt. Noch einmal kehrte er in alte Verhältnisse zurück, die ihm jetzt sehr unerquicklich dünkten. Im Herbst 1811 bat er um seine Entlassung und begab sich über Trantow mit einem russischen Paß Anfang Januar 1812 heimlich nach Berlin, von da nach Breslau. Jetzt trat er in Verbindung mit mehreren Führern der großen Bewegung: mit Blücher, Scharnhorst, Gneisenau, Gruner u. A. Von Breslau ging er zu Fuß durch Schlesien nach Prag, von dort durch Galizien nach Petersburg zum Freiherrn von Stein, der ihn zu sich geladen hatte, um ihn in Geschäften der deutschen Legion und in seinem Bureau zu beschäftigen. Schnell bildete sich zwischen beiden kräftigen Männern ein festes Verhältniß, der mächtige Einfluß Stein’s öffnete ihm Zutritt zu den höchsten Kreisen der Petersburger Gesellschaft und zu den Besten der patriotischen Deutschen, welche dort zusammen geströmt waren. In gehobener Stimmung, unter den mächtigsten Eindrücken, im Wirbel der ungeheuren Ereignisse des Jahres 1812 wurde [544] A. ein Theilnehmer und guter Beobachter der russischen und der deutschen Erhebung. Am 5. Januar 1813 verließ A. mit Stein Petersburg und kam auf der Rückzugsstraße des französischen Heeres am 21. Januar in Königsberg an. Auch er lebte jetzt, wo in Millionen Seelen der Sturm ausbrach, der er seit einem Jahrzehnt ersehnt und angefacht hatte, das größte Jahr seines Lebens. Sein Herz glühte in Begeisterung und Haß, eine ganze Reihe von Flugschriften warf er wie zündende Raketen über das deutsche Land: „Katechismus für den deutschen Kriegs- und Wehrmann,“ „Was bedeutet Landsturm und Landwehr,“ „Lieder für Teutsche“ – nicht alle der stärksten hat er in die spätere Sammlung seiner Gedichte aufgenommen, z. B. nicht das berühmte: „O Teutsche, nicht mehr Teutsche.“ – Mitte März ging A. über Breslau nach Dresden, um mit Stein zusammenzutreffen. Dort redigirte er neben Flugschriften den 3. Theil des „Geist der Zeit“ und forderte: „Ein Deutschland, Reichstag mit freiem Wort und Reichsverfassung, ein allgemeines deutsches Oberreichsgericht, Schwurgerichte, einerlei Münze, Maaß und Gewicht, Abschaffung aller Binnenzölle, eine große Lehr- und Erziehungsanstalt für Fürsten- und Herrensöhne.“ Schon wurde A. ein Jacobiner gescholten. – Von Dresden folgte er dem Freiherrn v. Stein nach Reichenbach ins Hauptquartier der verbündeten Monarchen und verlebte mehrere gute Wochen auf dem Gute des Grafen Geßler. Nach der Schlacht bei Leipzig weilte er in der befreiten Stadt, dort schrieb er: „Der Rhein Deutschlands Strom, aber nicht Deutschlands Grenze.“ Nach dieser Schrift versprach ihm Hardenberg eine Anstellung in Preußen. Den verbündeten Heeren folgte A. nach dem Rheine, traf Mitte Januar in Frankfurt a. M. ein und nahm seine alte Thätigkeit bei Stein wieder auf. Nach dem ersten Frieden begleitete er den Freiherrn auf sein Schloß in Nassau, wo er fröhliche Tage durchlebte. Im Herbst ergriff ihn seine alte Wanderlust: er reiste über Wien nach Berlin. Trotz dem Wechsel des Aufenthalts als Patriot beschäftigt, und den Gang der großen Politik argwöhnisch beobachtend schrieb er: „Die Glocke der Stunde in Zügen,“ „Das preußische Volk und Heer,“ „Noch ein Wort über die Franzosen und über uns,“ „Ueber Sitte, Mode und Kleidertracht,“ „Ueber künftige ständische Verfassungen in Deutschland.“ Und als die Verhandlungen des Wiener Congresses immer wirrer wurden: „Blicke aus der Zeit auf die Zeit,“ „Die Regenten und die Regierten.“ Als im März 1815 der Krieg aufs neue entbrannte, eilte A. nach Aachen, von da nach Köln. Dort weilte er ohne amtliche Beschäftigung, man bedurfte seiner nicht mehr. Er begründete die Zeitschrift „Der Wächter“ in zwanglosen Heften. Aber das Mißbehagen über Hoffnungen, welche nicht erfüllt waren, trieb ihn bald aufs neue in die Fremde; er zog durch seine Heimath nach Dänemark, in der Absicht auch dies germanische Volk in der Nähe zu betrachten, und kehrte erst im Herbst 1816 an den Rhein zurück, wieder ohne dort fest zu haften. Es waren für seine Feder zwei thatlose Jahre.

Im Herbst 1817 ließ A. sich in Bonn nieder, heirathete seine zweite Frau, Nanna Marie, Schwester Schleiermacher’s; im Herbst 1818 begann er sein Lehramt als Professor der Geschichte an der neuen Universität ohne litterarische Hülfsmittel, da seine Bücher und Sammlungen auf der Wasserreise von Stralsund verdorben waren. Dort in pecuniär günstiger Lage, glücklich an der Seite einer guten und festen Gattin, in lang entbehrter Häuslichkeit, redigirte er aufs neue seine Gedichte (Frankfurt 1818), gab „Mährchen und Jugenderinnerungen“ (Berl. 1818) heraus, „Erinnerungen aus Schweden“ (Berl. 1818), darauf „Ein Wort über die Pflegung und Erhaltung der Forsten und Bauern“ (Schleswig 1820), eine gute kleine Schrift, welche er später zum Theil den „Erinnerungen aus seinem äußern Leben“ einverleibte. Stein’s Aufforderung zur Mitarbeiterschaft [545] an den „Monumenta Germaniae“ lehnte er ab. Aber in seinem Privatglück barg er nicht den tapfern Zorn gegen die große Reaction der Cabinette. Der 4. Theil des „Geistes der Zeit“ erschien, worin er den Wehrstaat statt des Polizeistaats forderte und die „Dummheit, Feigheit, Faulheit“ an den Gegnern freier Entwickelung wacker abstrafte. Die starken Anklagen und der edle Freiheitssinn erregten großes Aufsehen und Aergerniß. Schon am 11. Febr. 1819 erging eine warnende Cabinetsordre gegen A., auf welche dieser dem Curator der Universität, Oberpräsidenten Grafen Solms-Laubach, muthig antwortete. Da kam am 23. März 1819 die Ermordung Kotzebue’s und deren Folgen. Am 18. Juni hatte sich A. der Geburt eines Sohnes gefreut, kurz nachher wurde Haussuchung bei ihm gehalten und die Untersuchung eröffnet. Vergebens reichte er Verwahrung gegen die Beschlagnahme seiner Papiere bei Hardenberg ein. In seiner Sache erging kein Bescheid, die Zeitungen verleumdeten ihn, wieder und wieder bat er den Minister um Recht. Da die preußische Commission trotz alles Suchens nichts Strafbares an ihm fand, leitete die Mainzer Central-Behörde die Criminaluntersuchung gegen ihn ein. Am 10. Februar 1820 wurde ihm seine Lehrthätigkeit untersagt. Als nach 1½ Jahr die Vertheidigungsschrift eingereicht werden konnte, forderte A. – Juni 1822 – in einer neuen Eingabe an Hardenberg die Rettung seiner Ehre und verlangte, daß seine Ankläger nicht zugleich seine Richter sein sollen. Aehnliche Bitte am 9. Juli an Altenstein. Alles vergeblich. Weder für „schuldig“ noch für „unschuldig“ wurde er erklärt. Sein Gehalt wurde ihm gelassen, aber im Amte blieb er „still gestellt.“ Vielen galt er damals für einen Staatsverbrecher, er zog sich auf den engen Kreis seiner Freunde zurück, das feste und treue Verhältniß zu Stein, der zürnend auf seinen Schlössern saß, war ihm bis zum Tode des großen Patrioten 1831 Anhalt und Trost. Seine litterarische Thätigkeit aber war für zehn Jahre gelähmt. Er veröffentlichte „Forschungen über die Geschichte der nordischen und germanischen Völker“ (Nebenstunden I. Leipzig 1826), schrieb gegen die Auffassung des Protestantismus in Friedrich Schlegel’s „Geschichte der alten und neuesten Litteratur“ (gedruckt im 3. Bd. der Schriften für und an seine Deutschen), „Christliches und Türkisches“ (Stuttgart 1828). Erst die Julirevolution hob wieder seine Production. In Sorge um die Rheingrenze schrieb er „Die Frage über die Niederlande und die Rheinlande“ (Leipzig 1831), der belgische Aufstand veranlaßte sein „Belgien und was daran hängt.“ (Leipzig 1834.) „Die Zeit der Reaction ist vorüber,“ ruft er froh, „der deutsche Mittelstand ist eine Macht geworden, ich glaube, bis mich die letzte Hoffnung verläßt, noch an Preußens große Bestimmung für unser Vaterland.“ – Am 2. Juni 1834 sah er seinen neunjährigen Sohn Willibald im Rhein ertrinken. Da brach ihm fast das Herz und nur langsam gewann er seinen Lebensmuth zurück. – Im Jahre 1839 erschien: „Schwedische Geschichten unter Gustav III., vorzüglich aber unter Gustav IV. Adolf“ (Leipzig.)

Endlich im Jahr 1840 setzte ihn Friedrich Wilhelm IV. wieder in sein Amt ein. Die Universität wählte ihn für das nächste Jahr zum Rector. Alsbald rührte sich kräftig die Feder des Alten. Er gab die „Erinnerungen aus dem äußeren Leben“ (1840) heraus, ein liebenswerthes Buch, Hauptquelle für seine Biographen; er schrieb für das Turnwesen (1842), formte den Inhalt seiner Vorlesungen „Ueber vergleichende Völkergeschichte“ (1843) zu einem Buche und sammelte die wichtigeren seiner Flugschriften unter dem Titel: „Schriften für und an seine lieben Deutschen“ (3 Bde. Leipzig 1845); der 4. Bd. (Berlin 1855) enthält meist Ungedrucktes. Seine Rechtfertigungsschrift erschien als „Nothgedrungener Bericht aus meinem Leben mit Urkunden der demagogischen und antidemagogischen Umtriebe“ (Leipzig 1847, 2 Bde.)

[546] Als der Sturm des Jahres 1848 über Deutschland hereinbrach, sah der 78jährige Greis mit einer wundervollen Frische und Zuversicht auf die Bewegung, und der alte Freiheitskämpfer stand keinen Augenblick an, sich dem Treiben einer jungen Demokratie entgegen zu stellen. Wieder schrieb er kleine Flugschriften: „Das verjüngte Deutschland,“ und „Polenlärm.“ Er wurde in das Frankfurter Parlament gewählt, dort saß er als Mitglied des rechten Centrums, hielt am 2. Juli seine einzige längere Rede und zwar im Einklange mit den Ueberzeugungen seines ganzen Lebens: „Zur Vertheidigung der geschichtlichen Ehren und Titel des Adels.“ Am 30. März 1849 wurde er Mitglied der Deputation, welche nach Berlin reiste, um Friedrich Wilhelm IV. die Kaiserkrone anzubieten; am 30. Mai schied er mit seinen Gesinnungsgenossen aus dem Parlament. Seine „Blätter der Erinnerung aus der Paulskirche“ (Leipzig 1849), waren aber Gedichte. Noch einmal trat er in dem Buch „Pro Populo germanico“ (Berlin 1854) als ernster Mahner vor seine Nation, er verglich darin, wie er gern that, die Zustände Deutschlands mit denen anderer Staaten. „Es geht doch vorwärts,“ rief er zuversichtlich, „wahrt Euch nur vor den Junkern und Pfaffen.“ Sein letztes Werk war ein Denkmal seiner Herzenstreue: „Wanderungen und Wandelungen mit dem Reichsfreiherrn von Stein“ (Berlin 1858). Noch dies brachte ihn wegen einiger Bemerkungen über den Fürsten von Wrede in einen Conflict mit bairischen Gerichten, der ihm aber in Bonn einen Fackelzug verursachte.

Im Jahre 1854 hatte er sein akademisches Lehramt niedergelegt, im Jahre 1859 wurde sein 91. Geburtstag an sehr vielen Orten festlich begangen. Am 29. Januar 1860 entschlummerte er, bis zum Tode gepflegt von seiner treuen Gattin.

A. war von kleinem Leibe, ausgeturnten Gliedern, die stahlharten Muskeln auch ungewöhnlichen Anstrengungen gewachsen, sein Antlitz offen und freundlich, seine hellen Augen von scharfem Blick und herzlichem Ausdruck, sein Wesen vor Jedermann unbefangen und sicher. Er hatte ein sehr heftiges Naturell, brauste leicht auf und wurde schnell wieder versöhnt. Eine echt deutsche Natur auch in seiner geistigen Arbeit, in ruhiger Zeit ein Grübler und Träumer, der gern dahinschlenderte und in sich hinein summte, wenn ihm aber etwas das Herz ergriff, dann kehrte er sich schnell und behend nach Außen voll Feuer und Unternehmungslust, dann war er von einer großen Fülle und Energie der Rede und dabei von schnellem und klarem Urtheil, sein heißes Fühlen durch einen sehr gesunden, massiven Menschenverstand gebändigt. Er wurde kein Gelehrter; obgleich er viel gelesen und für sich gearbeitet hatte, fehlte ihm doch zu sehr die Schule; er war auch kein kunstvoller Dichter, wo er Größeres frei schuf, bedrängten ihn die Fülle der Worte und die schnellen Einfälle und hinderten ihn der Mangel an schönem Formensinn. Seine lyrischen Gedichte gleichen in der Mehrzahl Improvisationen. Es wurde ihm nicht leicht, eine Idee in lyrischer Kürze abzuschließen, die Energie des Ausdrucks war ihm auch hier wichtiger als der musikalische Wohllaut. Die Gedichte sind deshalb von sehr ungleichem Werth. In den früheren wiederholte er mit großer Unbefangenheit die Ideen fremder Lieder, zumal Goethe’scher, seine Phantasie spielt mit Blumen, Vögeln, Gestirnen, dem Meer, mit dem Wandel in der Natur und im Menschenleben, das Behagen ist größer als der Reichthum und die Originalität; immer aber erfreut eine innige und gesunde Frömmigkeit, zumal in den geistlichen Gedichten. Dennoch gehört er zu den stärksten Lyrikern unserer Nation. Das Bedürfniß des lyrischen Ausdrucks blieb ihm von der Jugend bis in das höchste Greisenalter, und neben Unvollkommenen gelang ihm auch einmal das Beste, wenn das leidenschaftliche Wesen seiner feurigen Natur zur Geltung kommen konnte. In den [547] Jahren der Freiheitskriege, wo seine Seele sich am gewaltigsten erhob, wurden seine Gedichte ein großartiger Ausdruck der poetischen Erhebung, in welcher das deutsche Volk den Krieg begann. Darum erreichte er, was nur wenigen Glücklichen vergönnt wird, daß wol mehr als ein Dutzend seiner Lieder in die volksthümliche Litteratur überging, durch poetischen und historischen Werth ein bildendes Moment für die späteren Geschlechter. Dazu gehören: „Was ist des Deutschen Vaterland,“ „Der Gott der Eisen wachsen ließ,“ „Es zog aus Berlin ein tapferer Held,“ „Was blasen die Trompeten,“ „Sind wir vereint zur guten Stunde,“ „Aus Feuer ist der Geist geschaffen,“ „Bringt mir Blut der edeln Reben,“ „Deutsches Herz verzage nicht,“ „Wer ist ein Mann, der beten kann,“ „O lieber heil’ger frommer Christ.“

Doch ein Liebling der Nation wurde er vorzugsweise durch seine Prosa. Auch seine prosaischen Schriften sind fast sämmtlich Improvisationen, selbst breit angelegte Bücher, sogar die geschichtlichen. Der Plan ist selten fest gehalten, gern ergeht er sich in Abschweifungen, dicht neben dem Tiefsinnigen und Durchdachten steht wol einmal der flüchtige Einfall. Aber den Leser fesselt sogleich die starke treibende Kraft des Schreibenden, die hohe Wahrhaftigkeit und die rücksichtslose Tapferkeit und neben dem trotzigen Zorn gegen die Bösen, die warme, wohlthuende Liebe zum Vaterlande, zu allem Guten und Großen. Immer erkennt man einen Mann von völliger Selbstlosigkeit, dem es nur um die Wahrheit zu thun ist; und fast überall erfreut in seinen Angriffen innere Freiheit und heitere Sicherheit. Wie kräftig seine Worte, wie scharf seine Hiebe fallen, stets leitet ihn ein heiliger Ernst für die Sache und die Treue einer festen Ueberzeugung. In dem aber, was er fordert, ist der feurige Mahner höchst maßvoll und besonnen. Denn ihn controllirt sein massiver Verstand, ein klares und reines Gemüth; die Bilder, welche die Außenwelt in seine Seele sendet, sind ohne Verzerrung. Darum muß der Leser ihn selbst ehren, oft gewinnt er ihn recht von Herzen lieb; und darin liegt wol das letzte Geheimniß seiner großen und dauernden Wirkung auf die Nation. Nicht nur die Worte des Mannes, sondern auch sein eigener Charakter wirken kräftigend auf den Leser. Seine politischen Forderungen galten einst Vielen für revolutionär, wir haben die Erfüllung fast Aller erlebt. Was sein Eifer damals nicht durchsetzte, ist in der nächsten Generation lebendig geworden, und viele seiner Worte klingen uns jetzt wie die Mahnung eines Sehers.

Für das Talent Arndt’s wäre in den Jahren nach den Pariser Frieden auch ohne die eintretende Reaction eine segensreiche friedliche Thätigkeit nicht leicht geworden, denn zum akademischen Lehramt war er trotz der Kraft seines mündlichen Vortrags doch nicht ganz geeignet. Aber die Art, wie dem bejahrten Kämpfer für seine patriotische Arbeit gelohnt wurde, machte sein Schicksal tragisch. Es gab wol in Deutschland keinen namhaften Bürger, der weniger die Eigenschaften eines Verschwörers hatte, als dieser ehrliche, offenherzige, fest monarchisch gesinnte Mann, der treueste Anhänger Stein’s, der sich aus einem Schweden durch freie Wahl und Liebe zum Preußen gemacht hatte. Und doch wurde er von Preußen aus als politischer Verschwörer behandelt. Den Schaden, der ihm dadurch zugefügt wurde, hat er selbst ergreifend ausgesprochen: „Zwar schien ich während dieser Untersuchung und während der Folgen und Nachfolgen derselben mich nach dem Urtheile meiner Freunde mit leidlicher Gleichmüthigkeit und Besonnenheit zu benehmen; aber doch habe ich die langsame Zerreibung und Zermürbung meiner besten Kräfte bis ins Mark hinein nur zu tief gefühlt. Man sieht dem Thurm, so lange er steht, nicht an, wie Sturm, Schnee und Regen seine Fugen und Bänder allmählich gelockert und gelöst haben. Das Schlimmste aber ist gewesen, daß ich schöne Jahre, welche ich tapferer und besser [548] hätte anwenden können und sollen, in einer Art von nebelndem und spielendem Traum unter Kindern, Bäumen und Blumen verloren habe. Ich erkenne und bereue es jetzt wol, aber es ist zu spät; diese Zeit und überhaupt meine Zeit, ist vergangen und verloren.“ – Als Friedrich Wilhelm IV. ihn wieder in seine Ehren einsetzte, war A. 71 Jahre alt und ein jüngeres Geschlecht tummelte sich um ihn in neuem Kampfe. Aber gerade in der Zeit des Drucks bewährte sich der Adel seiner Gesinnung und die Reinheit seines Patriotismus, er wurde nicht verbittert, und das heitere Vertrauen, mit welchem er in die deutsche Zukunft sah, seine Loyalität und Anhänglichkeit an Preußen wurden nicht vermindert. Er war der Nation vorher sehr werth geworden, jetzt kam zu der herzlichen Achtung die Rührung und Ehrfurcht. So wuchs sein Bild dem jüngern Geschlecht in das Herz, und selbst die erbitterten Parteikämpfe von 1848 und sein Auftreten in Frankfurt vermochten ihm diese Popularität nicht auf die Dauer zu schädigen. Zwanzig Jahre seines Lebens waren ihm durch die Reaction verdorben worden, wie zur Entschädigung legte ein gnadenvolles Schicksal ihm noch zwanzig Jahre über ein vollgemessenes Maaß der Lebensjahre zu; der kräftige Schlag des Herzens, der Frohsinn und ein gesunder Leib blieben ihm bewahrt. Als er starb, gerade während der Vorbereitung zu einer neuen Zeit großer Siege und politischer Erfolge, wo fast Alles erfüllt werden sollte, wofür dieser gute Herold des deutschen Volkes gerufen und gesungen, gekämpft und gelitten hatte, da fühlten die Zeitgenossen, daß ein Held geschieden war, welcher in einer Periode harten Preßzwangs, unter den größten persönlichen Gefahren, so laut, tapfer und dauerhaft wie kein Anderer für die Ehre und Größe seines Volkes gesprochen und geschrieben hatte, ein lauterer Charakter, in welchem die Eigenheiten der deutschen Natur sich zu einem fast typischen Bilde unserer Volksart vereinigt erwiesen.

Eher als seinem großen Freunde Stein errichtete ihm das deutsche Volk die Statue. Der Erzguß nach Afinger’s Modell wurde 1865 zu Bonn enthüllt, in der Bibliothek daselbst steht seine Marmorbüste.

Biographien und Charakteristiken Arndt’s im 5. Bd. der Preuß. Jahrbücher (1860), von Eugen Labes (1860), von H. Rehbein und R. Keil (1861), von Daniel Schenkel (1866). Ein Verzeichniß seiner Schriften in: K. Goedeke, Grundriß zur Geschichte der deutschen Dichtung 3. Bd. S. 226.