ADB:Solms-Laubach, Friedrich Ludwig Christian Graf zu

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Artikel „Solms-Laubach, Friedrich Ludwig Christian Graf zu“ von Alfred Herrmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 54 (1908), S. 383–391, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Solms-Laubach,_Friedrich_Ludwig_Christian_Graf_zu&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 08:42 Uhr UTC)
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Solms-Laubach: Friedrich Ludwig Christian Graf zu S.-L. wurde geboren am 29. August 1769 zu Laubach in Oberhessen, † am 24. Februar 1822 zu Köln. Er entstammte der durch Johann Friedrich v. S.-Wildenfels (1625/96), letztem Sproß der Linie Alt-Laubach, 1676 gestifteten protestantischen Linie S.-L. (auch S.-Wildenfels-Laubach oder Neu-Laubach) des altberühmten, bis 1806 reichsunmittelbaren Grafen- und Fürstenhauses Solms in der Wetterau. Nach dem frühen Tode seines Vaters, des herzogl. braunschweigischen Gardeobersten und Generaladjutanten Georg August Wilhelm (geb. 1743), schon 1772 Erbgraf, folgte er 1784 dem Großvater Christian August (geb. 1714) in der Regierung, zunächst unter der Vormundschaft seiner Mutter Elisabeth Charlotte Ferdinande, einer geborenen Prinzessin v. Isenburg (1753–1829). Diese vortreffliche Frau ließ dem weit über das Durchschnittsmaß begabten Sohne eine sorgfältige häusliche Erziehung zu Theil werden, zu deren Vertiefung und Abschluß der Siebzehnjährige die Universität Gießen bezog, die damals im Kanzler Joh. Christoph Koch einen trefflichen Vertreter des Civil-, Kirchen- und Strafrechtes unter ihren Lehrkräften zählte, und auf der der junge Standesherr auch Gelegenheit fand, sich in den Irrgängen des Reichsrechtes unterweisen zu lassen. Daß ein dreijähriges Studium in Gießen für S. nicht vergeblich war, dafür zeugt vielleicht weniger seine praktische Thätigkeit am Reichskammergericht (1789) als die Thatsache, daß Rath und Gutachten sowie auch die thätige Wirksamkeit schon des Jugendlichen von seinen Standesgenossen oft in Anspruch genommen wurden. So finden wir ihn u. a. als Vertreter der Wetterau’schen Grafenbank im Winter 1789/90 auf dem Regensburger Reichstage, 1790 (Aug.–Oct.) bei der Wahl Kaiser Leopold’s in Frankfurt. Im Juli des folgenden Jahres erhielt er sodann vom Kaiser die Anwartschaft auf die nächste frei werdende Reichshofrathsstelle, und noch aus demselben Monat datirt das Decret, das ihm anstatt des Grafen zur Lippe eine protestantische Reichshofrathstelle übertrug. In dem Gutachten über seine Proberelation werden „unerwartete Rechtskenntniß und eine besondere Wißbegierde“ zum Justizfach ausdrücklich gerühmt. Bis November 1797 blieb S., der auch die Würde eines k. k. Kämmerers erlangt hatte, nun in Wien, um darauf, zunächst mit kaiserlichem Urlaub, die Vertretung der Wetterau’schen Grafenbank und des evangelischen Theiles des westfälischen Grafencollegiums auf dem Rastatter Congreß zu übernehmen. Als dieser sich unerwartet lange hinzog, erbat und erhielt S. im September 1798 seine Entlassung als Reichshofrath unter schmeichelhafter Anerkennung seines Eifers und seiner Geschäftskenntniß. Einen beherrschenden Einfluß vermochte S. in Rastatt begreiflicher Weise nicht zu erlangen, aber die Congreßprotokolle berichten doch von einer emsigen Thätigkeit, und sein Briefwechsel mit dem Grafen zur Lippe, dem Director der Westfälischen Grafenbank, ist darüber hinaus auch reich an interessanten culturhistorischen Details. Vor allem wendete sich S. in Rastatt gegen die Uebergriffe der französischen Militärs und ihre drückenden Requisitionen auf deutschem Boden, aber auch unter den Petenten für einen raschen Friedensschluß finden wir ihn mehrfach. Daß ihm auch in Rastatt seine gründlichen Kenntnisse des Reichs- wie des Territorialrechts vortrefflich zu Statten kamen, bedarf keiner Erwähnung. Der [384] Graf hielt bis zuletzt auf dem Congreß aus; in der schrecklichen Mordnacht hat er sich eifrig an der Aufsuchung Debry’s betheiligt, und sein Name findet sich auch unter dem über die Mordthat am 1. Mai 1799 zu Karlsruhe aufgenommenen Protokoll.

Es ist wahrscheinlich, daß S. zu einer gewissen Hinneigung zu Frankreich besonders in Rastatt den Grund legte. Die Folgezeit hat ihn dann gründlich davon geheilt, nicht zuletzt der Umstand, daß er als Gesandter einiger Standesgenossen mehrfach (1801, 1805, 1807) Gelegenheit fand, in Paris hinter die Coulissen zu schauen; und wohl auch der Verlust seiner Souveränetät an Hessen-Darmstadt hat dazu beigetragen.

Sein Abschiedsgesuch als Reichshofrath hatte S. u. a. mit der Zerrüttung seiner häuslichen Verhältnisse begründet. Während seiner Abwesenheit von der Heimath hatte er zwar durch einen regelmäßigen Briefwechsel auf die Verwaltung seiner Grafschaft eingewirkt, doch hatte in diesen Jahren bereits eine Verschuldung seiner Besitzungen begonnen. Umbauten, umfängliche Landkäufe, eine hochherzige Wohlthätigkeit und zuweit gehende Nachsicht gegen seine Verwalter, vor allem aber auch die Leiden der Kriegszeiten wirkten dann weiter dahin, so daß S. in den Jahren bis 1813, wo wir ihn zum ersten Male wieder in öffentlichen Angelegenheiten in bedeutsamer Stellung hervortreten sehen, genugsam von den Pflichten gegen sein Erbe in Anspruch genommen war. Der Befreiungskampf hatte den zum feurigen Patrioten Gewandelten im November 1813 in das Hauptquartier der Verbündeten nach Frankfurt geführt, wo der Freiherr vom Stein, als Chef des „Centralverwaltungsdepartements“, ihn alsbald ausgiebig beschäftigte. Er unterstellte ihm nämlich die allgemeine Leitung des Creditwesens, die Centralhospitalverwaltung, zu der sechs Lazarethdirectionen gehörten, und die Verwaltung des Rheinschifffahrtsoctrois. Zugleich war S. in Gemeinschaft mit Oberstlieutenant v. Rühle diplomatischer Agent an den Höfen von Darmstadt und Nassau zur Ueberwachung der von diesen ehemaligen Rheinbundfürsten für die Kriegführung eingegangenen Verbindlichkeiten. Es war eine schwere und obendrein auch eine unangenehme, dem patriotischen Herzen oft schmerzliche Arbeit, die S. zu leisten hatte, da an allen Ecken und Enden der deutsche Particularismus traurige Blüthen trieb und S. Hemmnisse in den Weg legte. Das geschah z. B. bei den Verhandlungen mit den deutschen Fürsten wegen ihres Beitrages zu den Kriegskosten in Höhe des einjährigen Rohertrages ihrer Einkünfte. Seit Sommer 1814 löste sich die „Centralverwaltung“ allmählich auf, nur Solms’ Thätigkeit als interimistischer Verwalter des Rheinoctrois dauerte, so weit ich sehe, noch bis October 1817, da die auf dem Wiener Congreß zur Regelung der Rheinschifffahrtsangelegenheiten vorgesehene Centralcommission endgültig erst an diesem Termin zu Stande kam. S. wird in diesem Amte eine gewisse Centralisirungssucht nachgesagt, doch ist es im allgemeinen durch eine umsichtige und energische Verwaltung und auch durch einige bedeutsame Einzelmaßnahmen ausgezeichnet. So gestattete er z. B. im Mai 1814 die vorher untersagten directen Thalfahrten von Frankfurt nach dem Mittelrhein, was eine Umgehung des Mainzer Stapels bedeutete und bei den Wiener Verhandlungen über die Aufhebung des Kölner und Mainzer Stapels ins Gewicht fiel; auch die Diligence-Fahrten Mainz-Köln hat er zweckmäßig neu organisirt.

In Stein’s Auftrage unternahm er sodann Vorarbeiten für die Wiener Rheinschifffahrtscommission, und wenn er ihr auch schließlich nicht als Mitglied angehörte, wurde doch sein Rath gern in Anspruch genommen.

Alles in allem hat jedenfalls S. seine mannigfachen Aufgaben innerhalb der „Centralcommission“ aufs beste erfüllt. Ehrengeschenke und Ordensauszeichnungen, [385] die er dafür erhielt, sind ein Beweis hierfür, nochmehr aber die warme Anerkennung, die ihm seine Frankfurter Mitarbeiter, u. a. E. M. Arndt, zollten. Vor allem aber würdigte Stein den so trefflich erprobten kenntnißreichen Mann auch weiterhin seines Vertrauens, ja seiner Freundschaft. Gemeinsam mit Hardenberg zog er ihn z. B. am 17. Juli 1814 zur Frankfurter Berathung über einen Hardenberg’schen Verfassungsentwurf hinzu, der dann auf Grund dieser Berathung neu redigirt und zu dem wunderlichen sogenannten Entwurf der 41 Artikel umgestaltet wurde, nach welchem (auf Stein’s Vorschlag) Oesterreich nur mit Salzburg, Tirol und den vorderösterreichischen Landen, Preußen nur mit seinen linkselbischen Besitzungen dem deutschen Bunde angehören, beide aber doch gemeinsam das Bundesdirectorium führen sollten. Ende August brachte S. diesen Entwurf nach Wien, wo er Metternich dafür gewinnen sollte, zunächst aber schon bei W. v. Humboldt, dem preußischen Gesandten in Wien, auf schwere Bedenken stieß, so daß es vorerst nur zu Vorconferenzen mit dem hannöverschen Gesandten Grafen Hardenberg kam (5., 8. u. 9. Sept.), bei denen begreiflicherweise S. die Unkosten hauptsächlich bestritt; namentlich suchte er durch eine Denkschrift vom 7. September die Bedenken gegen den Ausschluß der altpreußischen und des Gros’ der österreichischen Lande aus dem Bunde zu zerstreuen. Die Conferenzen waren noch nicht weit gediehen, als der preußische Staatskanzler in Wien eintraf und Metternich, mit dem S. bisher nur inofficielle Gespräche geführt hatte, den Verfassungsentwurf persönlich überreichte. Zusammen mit den Resultaten der Vorconferenzen den österreichisch-preußisch-hannöverschen Verhandlungen vom 7.–14.October zu Grunde gelegt, wurde der unbrauchbare, ganz ungenügend vorbereitete Entwurf der 41 Artikel alsbald verlassen und als Resultat der Verhandlungen der genannten drei Staaten wurde ein neuer Entwurf von 12 Artikeln festgestellt und dem zur Berathung der deutschen Angelegenheiten niedergesetzten Fünferausschuß überwiesen.

Wenn wir die eben berührte, etwas unklare Sendung (taktisches Manöver Hardenberg’s?) Solms’ nicht als solche ansehen wollen, hat S. eine officielle Stellung auf dem Wiener Congreß nicht gehabt, aber er blieb dort und wurde verschiedentlich zu bedeutsamen Meinungsäußerungen veranlaßt, namentlich von Stein, als dessen vertrauten Gesinnungsgenossen in Behandlung der deutschen Frage wir ihn auch weiterhin kennen lernen. Nachdem sich S. schon im September 1814 für die Herstellung der österreichischen Kaiserwürde ausgesprochen hatte, verfaßte er am 13. Februar 1815 ein Gutachten über die Ausstattung dieser Kaiserwürde, und am 20. suchte er Metternich in einer Unterredung zu einer klaren Aeußerung über die Annahme der Kaiserwürde durch Oesterreich zu bewegen. S. ging zu Gunsten Oesterreichs sogar noch weiter als Stein, indem erst dieser Preußen wenigstens eine einflußreiche Stellung im Militärausschuß des Reiches anwies. S. hat so seinen vollen Antheil an den Schwierigkeiten, die dem deutschen Verfassungswerk, als es seiner Vollendung entgegenzugehen schien, im Februar 1815 durch die Wiederaufnahme der Kaiseridee bereitet wurden, die in damaliger Lage ganz undurchführbar und obendrein auch in sich wenig geklärt war.

Ebenfalls auf Stein’s Veranlassung nahm S. auch zur württembergischen und badischen Verfassungsfrage Stellung. Als die Mediatisirten Württembergs gegen den höchst verdächtigen Verfassungseifer ihres Königs in Wien protestirten, führte S. in einer eingehenden Denkschrift den richtigen Nachweis, daß die vom Könige beabsichtigte Verfassung die Erhaltung des „Sultanismus“ bedeuten würde. Das Baden betreffende Gutachten bezog sich u. a. auf die Frage der Hochberg’schen Erbfolge, für deren Berechtigung und Zweckmäßigkeit [386] sich „der profunde Rechtsgelehrte“, wie Stein ihn bei dieser Gelegenheit nennt, ausspricht.

Es begreift sich, daß S. an der Gestaltung der deutschen Verfassungsfrage noch insoweit ein besonderes Interesse hatte, als diese das Schicksal der Mediatisirten regelte. S. war in Gemeinschaft mit einer großen Zahl ebenfalls mediatisirter Reichsstände in Wien durch den fürstlich Wiedschen Geheimrath Franz v. Gärtner vertreten. Er wird mit dessen mannigfachen Bemühungen um Wiederherstellung des Zustandes von 1805 und seinem Protest gegen die schließliche Gestaltung der Bundesacte übereingestimmt haben, doch hat ihn seine aufgeklärte, echt patriotisch-deutsche Gesinnung weit über die erbärmliche Kleinlichkeit so mancher seiner Standesgenossen erhoben.

Das beweist schon Solm’s Eintritt in die preußische Beamtenschaft, der doppelt bedeutsam ist bei dem Manne, der sich so eifrig für Oesterreichs Kaiserthum eingesetzt hatte; er zeigt uns doch wohl die hohe Schätzung des Reichsgrafen für den Staat Friedrich’s des Großen. Dazu kam, daß eine Reihe der besten Männer, u. a. Hardenberg, Humboldt, Gneisenau, und schlieslich auch der König selbst die denkbar größte Anerkennung und Hochachtung vor Solms’ Charakter und seinen Fähigkeiten bekundet hatten. Das gibt uns den Schlüssel für den schönen Brief, den S. am 18. März an den Staatskanzler richtete, wenige Tage nachdem die Nachricht von der Rückkehr Napoleons in Wien bekannt geworden war. Es heißt hier: „Der gegenwärtige Augenblick fordert alle und jeden zur Thätigkeit auf, die ihr Vaterland lieben und die Folgen ermessen können, welche der Sieg des bösen Princips hervorbringen würde. Fest entschlossen wie ich bin, der guten Sache, so lange der Kampf dauert und bis zum letzten Athemzuge zu dienen, biete ich Sr. Majestät dem Könige meine Dienste an.“ Am nächsten Tage ließ er eine bereits am 14. verfaßte Denkschrift folgen, in der er eine Erklärung der Mächte fordert: „Daß Deutschland ungesäumt eine Verfassung erhalten werde, welche 1. den Rechtsstand aller Deutschen, so wie er vor dem Rheinbunde war, insoweit wiederherstellen werde, als es die Organisation eines kräftigen Wehrstandes erlaubt; 2. daß jedes Land eine landständische Verfassung erhalten soll; 3. daß die Verfassung die Garantie durch den Bund und jeder Einzelne Sicherheit seiner Rechte durch ein höchstes Gericht erhalten werde.“

Aber der Mann, der hier aufs neue von seinen Kaiserträumen spricht, ist doch darum fortab ein nicht weniger tüchtiger preußischer Beamter gewesen. Von vornherein war bei Neueinrichtung der Provinzialbehörden (30. April 1815) die Eintheilung der Rheinlande in zwei Provinzen vorgesehen und S. ein Oberpräsidium zugedacht worden. Mit der mehrfach veränderten Abgrenzung dieser beiden Provinzen wurde auch Solms’ Stellung, nicht zu seiner Zufriedenheit, verändert. Anfangs für die Provinz Niederrhein bestimmt, erhielt er schließlich, als im März 1816 das „General-Gouvernement des Mittel- und Niederrheins“ unter Sack aufgelöst wurde, die Provinz Jülich-Cleve-Berg mit dem Amtssitze Köln, 7000 Thaler Gehalt und Dienstwohnung. Den anderen Theil der Rheinprovinz, unter dem jetzt, nach Abtrennung von Köln zu Gunsten von Solms, wenig zutreffenden Titel „Großherzogthum Niederrhein“, erhielt Ingersleben, ein altpreußischer Verwaltungsbeamter. Nach Solms’ Tode verschwand diese Zweitheilung der Rheinprovinz.

Es war eine folgenschwere Frage, wie sich das Amt des Oberpräsidenten in seiner neuen Gestalt, doppelt bedeutsam, wie es sich, und überhaupt die preußische Verwaltungsorganisation, am Rhein bewähren würde. Das Amt des Oberpräsidenten war damals dehnbarer als heute und gab darum der Persönlichkeit seines Trägers mehr Spielraum zur Bethätigung. Man darf [387] sagen, daß die preußische Regierung mit Ingersleben wie mit S. alles in allem einen guten Griff gethan hatte.

Am 12. April 1816 traf S. in Köln ein, jubelnd begrüßt, da ihm der Ruf eines trefflichen und gerechten Mannes voraufging. Daß er dem hohen Adel angehörte, wog wohl der Umstand auf, daß er kein Preuße war. Im übrigen war ja auch S. kein Fremdling mehr am Rhein. Abgesehen von seiner Thätigkeit im Dienste der Centralverwaltung, hatte er schon seit August 1815 an der Ueberführung des Herzogthums Jülich in die preußische Verwaltung mitgearbeitet, und die Organisation der Regierung in Köln war nach seinen Vorschlägen getroffen worden; namentlich hatte er an der Abgrenzung der landräthlichen Kreise erheblich mitgewirkt. Natürlich konnte der Landrath im Westen nicht völlig dasselbe werden wie im Osten; in den Acten finden sich interessante Einzelheiten über die Verpflanzung dieses altpreußischen Amtes an den Rhein. Am 22. April trat die neue Verwaltungsordnung in Kraft. Solms’ Provinz zerfiel danach in die drei Regierungsbezirke Köln, Düsseldorf, Cleve (1821 mit Düsseldorf vereinigt). Vergeblich hatte sich S., wie auch der westfälische Oberpräsident Vincke, dagegen gesträubt, daß er als Oberpräsident zugleich auch Präsident des Regierungscollegiums seines Amtssitzes wurde. Hardenberg wies Solms’ durch die Folge gerechtfertigtes Bedenken mit dem heute ganz besonders interessirenden Einwand zurück: „Sie werden bei der künftigen Verwaltung die Ueberzeugung erhalten, daß gerade in diesen Geschäften der Kreis Ihrer wahren Wirksamkeit und Gemeinnützigkeit liegt und die Funktion eines Oberpräsidenten Sie bei weitem nicht hinlänglich beschäftigen würde.“ S. gab sich damit nicht zufrieden. Wie schon bei Einrichtung des Amtes des Oberpräsidenten sein Gutachten öfter eingeholt worden war, ist er nicht müde geworden, auch für seine weitere Ausgestaltung zu sorgen, in Wort und Schrift, z. B. bei den sehr wichtigen ersten Staatsrathssitzungen des Jahres 1817, wie in häufigen Denkschriften, die er theils allein, theils mit Vincke und Ingersleben gemeinsam an den Staatskanzler ergehen ließ. Er verlangt eine genauere Competenz-Abgrenzung der Oberpräsidien gegenüber den Regierungen, deren erfreuliche Frucht z. B. die Instruktion vom October 1817 und das Ressort-Reglement von 1818 ist, er drängt vor allem selbstbewußt und energisch auf eine Competenz-Erweiterung der Oberpräsidenten gegenüber den Ministerien, deren Vielregiererei damals besonders lebhaft empfunden wurde; er verlangt auch die Möglichkeit unmittelbarer Berichterstattung an den König. Natürlich fehlt unter diesen Umständen Solms’ Name auch nicht unter der berühmten Denkschrift Schön’s vom 18. Juni 1817 gegen die Centralisirung. Wenn S. mitunter in seinen Vorschlägen für die Stellung der Oberpräsidenten dem Wirkungskreise der früheren Provinzialminister verdächtig nahe kommt, werden wir ihm freilich nicht zustimmen können, im übrigen zeugen aber seine Denkschriften auf diesem Gebiete meist von hohem praktischen Verständniß und gesundem Urtheil.

Der beste Maßstab für Solms’ Befähigung als Verwaltungsbeamter liegt in der Erkenntniß dessen, was er für die innere Verschmelzung der Rheinlande mit Preußen geleistet hat, über die wir bisher quellenmäßig leider nur höchst ungenügend unterrichtet sind. Unendlich groß waren schon die Schwierigkeiten, die der Lösung dieser Aufgabe in den staatlichen, socialen, wirthschaftlichen und culturellen Gegensätzen zwischen Ostelbien und dem Rheinlande im Wege standen und die dauernde Unterschiede begründeten. Die voraufgegangene französische Zeit hatte diese Schwierigkeiten eher vermehrt als vermindert. So war es nur eine Vernunftehe, die 1815 zwischen den Rheinlanden und Altpreußen [388] geschlossen wurde, bei der die ersteren sich obendrein eher als der gebende Theil fühlten.

Zu diesen principiellen Gegensätzen kam, die Aufgabe der Beamtenschaft in den Rheinlanden noch erschwerend, eine lange Reihe von Mißgriffen der Centralregierung, die dann wieder die notwendigen Härten jeder Einverleibung um so schärfer hervortreten ließen. Zu der Reglementirungssucht der Ministerien, namentlich des „Erzphilisters“ Schuckmann (Inneres), die manches Gute hinderte, kamen Maßnahmen wie die Unterdrückung des Rheinischen Merkur, die persönliche Behandlung von Joseph Görres, die Nichtverwendung des sehr beliebten Sack als Oberpräsident am Rhein, die Verdächtigungen gegen den ebenfalls überaus beliebten Gneisenau, die diesen zur Niederlegung seines Generalcommandos veranlaßten, u. a. m. Waren dieses schon deutliche Anzeichen der Reaction, so mußte dann das Einlenken der inneren Politik in den vollen Strom der Reaction nach den Tagen von Aachen und Karlsbad gerade die hochgespannten Erwartungen der Rheinländer ganz besonders empfindlich treffen, als das Verfassungsversprechen trotz alles Drängens (Coblenzer u. a. Adressen) unerfüllt blieb, als Männer wie E. M. Arndt der Demagogenhetze zum Opfer fielen u. a. m. Dazu kamen noch die Lasten, welche die Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht und die bei der finanziellen Schwäche Preußens ziemlich beträchtlichen Steuern den Rheinländern auferlegten, obwohl noch keineswegs erwiesen ist, ob in diesen Beziehungen die Verhältnisse in der französischen Zeit für die Rheinlande günstiger waren. Dazu kamen ferner die Furcht der Rheinländer vor dem Verlust ihrer Gerichts- und Gemeindeverfassung und endlich die Bedrückungen, die die technisch überaus schwierige Umwandlung der Verwaltung, namentlich im Rechnungswesen, mit sich brachte. Und dies alles in einer Zeit, in der, namentlich infolge der Aufhebung der Continentalsperre, auch eine starke wirthschaftliche Depression herrschte.

So trug mancherlei dazu bei, die preußischen Anfänge am Rhein nicht gerade sehr erfreulich zu gestalten, und wenn sich auch manche andere Stimme nachweisen läßt (z. B. Clausewitz), so weit ich sehe, hat das Wort des allerdings stark verbitterten Görres doch eine gewisse Berechtigung, daß Preußen schon 1817 „moralisch tiefer stand in der öffentlichen Meinung am Rhein und in Süddeutschland als die österreichischen Papiere im Credit je gestanden haben“.

S. hat, unterstützt von einem Stab tüchtiger Beamten, die keineswegs so ausschließlich, als man oft meint, altpreußischer Herkunft waren, nach Kräften dahin gewirkt, die Eindrücke, die die geschilderten Verhältnisse und die Maßnahmen der Regierung im Lande machten, möglichst abzuschwächen. Es ist ihm auch bis zu einem gewissen Grade gelungen, wie ja die Rheinländer überhaupt zweifellos weit mehr antiberlinerisch als antipreußisch waren. Erleichtert wurde S. sein Bemühen auch dadurch, daß zu seiner Provinz die altpreußischen Besitzungen am Niederrhein gehörten. Vor allem war S. kein starrer Bureaukrat, was schon seine knappen und markanten Randbemerkungen in den Acten beweisen, und sodann paßte er auch nach seiner politischen Grundstimmung in die Rheinlande. S. war – den Ausdruck den damaligen Verhältnissen angepast – zweifellos liberal, und dabei mehr Stein’s als Hardenberg’s Gesinnungsgenosse.

Aus Solms’ Verwaltungsthätigkeit vermag ich hier nur noch einige Beziehungen aufzuzeigen. Den damaligen Oberpräsidenten unterstanden außer den Schul- und Medicinalcollegien auch die Consistorien. Diese Behörden haben sich bei Solms’ Ableben besonders dankbar seiner erinnert, obwohl man [389] nicht ohne Reibungen ausgekommen war. Die Einführung der Union und der Agende stieß nämlich gerade am Niederrhein auf erhebliche Schwierigkeiten. Und wie die Protestanten verehrten ihn auch die Katholiken, obwohl S., als echter Josephiner, was das Verhältniß von Staat und Kirche betraf, höchst mißtrauisch gegen die katholische Kirche war und er mit dem Aachener Generalvicar manchen Strauß ausgefochten hat. Vielleicht hat man überhaupt das Hinderniß, das in dem protestantischen Charakter Preußens für die Verschmelzung mit den Rheinlanden lag, mitunter überschätzt. Dank der Aufklärungszeit und der französischen Toleranz waren die confessionellen Gegensätze in den ersten zwei Jahrzehnten der preußischen Herrschaft bei weitem nicht so schroff wie später.

Im Schulwesen harrte der preußischen Behörden eine ganz besonders dankbare Aufgabe, da dieses in der französischen Zeit arg vernachlässigt worden war. Männer wie Johannes Schulze, Gerd Eilers, Kohlrausch, Diesterweg, die damals am Rhein wirkten, waren der Förderung und Mitarbeit der beiden ersten rheinischen Oberpräsidenten gewiß. S. hat sein Interesse für Kunst und Wissenschaft auch sonst noch eifrigst bethätigt: in Sachen des Dombaues, durch seine Theilnahme an den Verhandlungen mit den Gebrüdern Boisserée über den Ankauf ihrer Gemäldegallerie, durch seinen Beitritt zu der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde, für deren Monumenta-Fonds er einen seine keineswegs glänzenden Verhältnisse weit übersteigenden Beitrag spendete. Unter Solms’ Regiment wurde auch die verfallene Düsseldorfer Akademie reorganisirt (Berufung von Cornelius) und vor allem: S. war auch der erste Curator der Bonner Universität, an deren Gründung und Organisation er schon seit Ende 1815 erheblichen Antheil nahm. In den langen Streit über den Charakter und vor allem den Sitz der Universität hat er mit sehr umfänglichen, stets einen hohen Standpunkt und umfassende Bildung verrathenden Denkschriften eingegriffen. Er trat für eine paritätische Universität und anfangs für Köln als Sitz derselben ein wegen der Vergangenheit und der historischen und künstlerischen Schätze dieser Stadt. Als dann die Entscheidung für Bonn gefallen, war er eifrig thätig für die Festsetzung des Etats und für die Localitäten der neuen Alma Mater und deren Ausstattung. Solms’ Amt als officiell bestellter Curator hat freilich nur etwa ein halbes Jahr gedauert; schon Ende 1818 ersetzte ihn der geistreiche Schwabe Ph. Jos. Rehfues, der S. bereits vorher als Localcommissar zur Seite gestanden hatte. Der Cultusminister Altenstein dankte bei dieser Gelegenheit S. sehr warm für seine Berichte, seinen Eifer und seine einsichtige Geschäftsführung.

In der Kleinarbeit der Verwaltung hat S., der die Rheinländer zu behandeln verstand, sehr Ersprießliches geleistet. Gleich Vincke, mit welchem den Grafen überhaupt mancherlei verband, hat er sich bemüht, auf Reisen die Bedürfnisse seiner Provinz kennen zu lernen. Oft fand er dabei auch Gelegenheit, in den schweren Nöthen, die damals die Rheinprovinz trafen (z. B. Hungerjahre, Ueberschwemmungen), sein warmes Herz zu bethätigen. Manche Provinzangelegenheit wurde gemeinsam mit Vincke und Ingersleben berathen. Auch an den großen, Gericht, Gemeinde, Steuern, Heer und Wirthschaft betreffenden Organisationsfragen, die unter Solms’ Amtsthätigkeit alle zum mindesten zu einer ersten Lösung geführt wurden, hat er mit unermüdlichem Eifer theilgenommen, nicht immer allerdings im Sinne der dann wirklich erfolgten Entscheidung. So gehörte S. im Princip zu den Gegnern des französischen Rechtes, aber er trug der Stimmung der Rheinländer doch in soweit Rechnung, daß vornehmlich auf seine Berichte hin, im Juni 1816 die Immediat-Justizcommission unter Christ. Sethe eingesetzt wurde, deren Arbeiten den [390] einstweiligen Fortbestand der französischen Gerichtsverfassung am Rhein zur Folge hatten.

In der höchst verwickelten Steuerfrage befürwortete S. in einer Denkschrift vom Januar 1817 die Quotisirung der Steuern, so zwar, daß in jeder Provinz die Stände ihren Steuerantheil nach eigenem Ermessen aufbringen und vertheilen sollten. Dieser Vorschlag, der die Staatseinheit stark gefährdete, wurde glücklicherweise abgelehnt; wir erkennen in ihm Solms’ Bestreben wieder, die Provinzen gegenüber der Centralgewalt möglichst zu stärken. Geklagt wurde auch von den Militärbehörden am Rhein über Solms’ Stellungnahme zum Aushebungsgeschäft; vor allem mit Gneisenau’s Nachfolger Hake, einem pflichteifrigen, aber etwas subalternen und pedantischen Manne, wußte sich S. lange nicht zu stellen. S. gehörte zu den Vielen, die sich damals mit der strikten Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht und mit dem Einjährigenjahr noch nicht befreunden konnten. Noch im September 1818 richtete er eine Denkschrift an Hardenberg, in welcher er die seltsame Ansicht vertrat, daß die akademische Jugend von Bonn das Kriegshandwerk an den Sommernachmittagen einiger Wochen mühelos erlernen werde.

Uebrigens waren die Widerstände gegen die allgemeine Wehrpflicht, mit denen sich der Oberpräsident in etwas identificirte, am Rhein, wo man eben die drückende französische Conscription überwunden hatte, keineswegs größer als in den altpreußischen Provinzen.

Es war S. nicht beschieden, die Früchte aller seiner Bemühungen um die ihm anvertraute Provinz, für deren Wohl er buchstäblich bis zur letzten Stunde seines Lebens angestrengt thätig war, zu schauen. Schon seit 1820 quälte ihn die Brustwassersucht, deren tödtlichen Ausgang ärztliche Kunst und ein kräftiger Körper noch zwei Jahre zu verzögern vermochten. Um ihn trauerten seine Gattin Henriette von Degenfeld-Schönberg (1776–1847; vermählt am 27. November 1797), vier Söhne und eine Tochter.

Manche anerkennende Stimme ertönte am Grabe dieses überaus sympathischen mediatisirten Grafen und preußischen Beamten. Nicht die überschwänglichste ist die des Frhrn. vom Stein, der am 2. März so warmherzig an Graf Spiegel schrieb: „Ich verliere an ihm einen wahren Freund, der Staat einen geistvollen, thätigen, freudig wirkenden, allgemein beliebten Beamten, seine Familie einen liebevollen treuen Vater – wir alle, von denen er nun getrennt, werden den Guten, Treuen lange betrauern.“

S. stellt sich nicht unwürdig neben die Verwaltungstalente eines Schön, Vincke, Sack, Merckel, Zerboni, Bassewitz u. A., wie sie in den preußischen Provinzen nach 1815 wirkten, einer, wie ich glaube, mitunter doch unterschätzten Zeit. Es ist lebhaft zu wünschen, daß zu ihrer Aufhellung auch beigetragen würde durch eine umfassende Darstellung der treuen und überaus mühsamen Arbeit der Männer, die den Grundstein legten zur Verschmelzung der Rheinlande mit dem alten Preußen, die doch eine der wichtigsten Vorbedingungen war für die Erfüllung von Preußens Aufgabe in Deutschland.

Leider war im gegenwärtigen Augenblick das Solms’sche Familienarchiv zu Laubach nicht zugänglich. – Benutzt wurden: Personalacten des R. H. R. zu Wien. – Acten der O. P. Cleve-Jülich-Berg im Staatsarchiv zu Coblenz. – Acten des Bonner Univers.-Curatoriums. – Köln. Zeitung 1816–1822. – Rudolf Graf zu Solms Laubach, Geschichte des Grafen u. Fürstenhauses Solms. – Protokolle der Reichsfriedensdeputation zu Rastatt. – Hüffer, Rastatter Congreß II. – Klüber, Uebersicht der diplomatischen Verhandlungen des Wiener Congresses. – Pertz, Leben. Steins III/V. – Lehmann, Stein III. – Eichhorn, Centralverwaltung [391] der Verbündeten. – E. M. Arndt, Wanderungen und Wandlungen. – Stein, Lebenserinnerungen. – Ders., Tagebücher, hrsgeg. von Lehmann, H. Z. 60. – Schmidt, Gesch. der dtsch. Verfassungsfrage; – W. v. Humboldt, Ges. Schriften XI. – Baumgarten, Im neuen Reich II, 549 ff. – Ranke, Hardenberg. – Neigebauer, Darstellg. der provis. Verwaltungen am Rhein. – Ders., Die angewandte Cameralwissenschaft. – Koser, Westdeutsche Zeitschr. XI, 187 ff. – Levy, ebenda Corresp.-Blatt S. 187 ff. – Eckert, Rheinschifffahrt im 19. Jahrhundert. – Gothein, Geschichtl. Entwicklung der Rheinschifffahrt im 19. Jahrhundert. – Matthieu Schwann, Geschichte der Kölner Handelskammer I. – Hansemann, Preußen und Frankreich. – Treitschke, Deutsche Geschichte II/III. – Stern, Geschichte Europas I. – F. Perthes, Leben von C. Th. Perthes II. – Pertz, Gneisenau V. – Meinecke, Boyen II. – Hansen, Mevissen u. v. A. für einzelne Notizen.