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Artikel „Konrad von Marburg“ von Ernst Ranke in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 16 (1882), S. 642–648, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Konrad_von_Marburg&oldid=- (Version vom 25. April 2024, 07:52 Uhr UTC)
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Konrad von Marburg, der Ketzermeister, dessen Name mit den furchtbarsten Unthaten der Inquisition in Deutschland für immer verbunden ist, gehört, da der Beginn seiner Thätigkeit noch unter Innocenz III. (1198–1216) fällt, seiner Geburt nach einem der letzten Jahrzehnte des 12. Jahrhunderts an. Das „oppidum Marpurg“ wie Dietrich von Apolda seinen Geburtsort bezeichnet, war zu jener Zeit ein geringer, in der Nähe der Burg angelegter und mit seiner Kilianscapelle dem benachbarten Dorfe Oberweimar eingepfarrter Flecken. Da seine Eltern im Stand gewesen oder in den Stand gesetzt worden sind, ihm eine gelehrte Erziehung geben zu lassen, so liegt die Vermuthung nahe, daß sein Vater zu den Beamten gehörte, die der Landgraf von Thüringen in dieser Grenzburg seines Gebietes halten mußte. Hat ein noch im 14. Jahrhundert [643] nachweisbares Rittergeschlecht „derer von Marburg“, später „von Schenck“ genannt, ihn als Einen der Seinigen angesehen, so hat diese Familientradition durchaus nichts Unwahrscheinliches. Der im Marburger Archiv erhaltene Wachsabdruck seines Insiegels (1232) erweist, daß K. sich amtlich als Magister Conradus predicator verbi dei bezeichnet hat. Nach dem Sprachgebrauch schon jener wie der darauf folgenden Zeit (vgl. die zahlreichen Beispiele in der von Leibnitz herausgegebenen Chronica Alberici p. 528 etc.) bezieht sich das dem Namen vorausgeschickte Wort auf die wissenschaftliche Würde, das folgende auf die Berufsart, und so ist die Annahme, daß K. auf einer der damals blühenden Universitäten – bei seinem nahen Verhältniß zu Papst Gregor IX. wird am nächsten liegen, an Bologna zu denken – seine Bildung erlangt haben werde, nicht unbegründet, wogegen die noch neuerdings aufgestellte Erklärung des Wortes magister durch „mag. haereticorum“ oder besser „mag. haereseos exstirpandae“ nach der Stellung, die es auf jenem Amtssiegel einnimmt, ausgeschlossen erscheint. Noch in anderer Hinsicht ist die bemerkte Umschrift von Werth. Der alte Streit, ob K. Weltgeistlicher oder Mönch, und wenn Mönch, ob er Dominicaner oder Franciscaner gewesen, ist trotz der eingehenden und fesselnden Untersuchung Hausrath’s[WS 1], der ihn für einen Dominicaner hält, während Henke und Winkelmann ihn für einen Franciscaner und zwar Tertiarier halten, nicht ausgemacht, und, wie es scheint, mit den bisher bekannt gewordenen Mitteln nicht auszumachen. Jeder Behauptung läßt sich nach den Quellen eine gegentheilige entgegensetzen. Von großem Gewicht ist, daß, so hoch sowol dominicanische als franciscanische Geschichtschreiber K. schätzen und zu rühmen wissen, weder Jene noch diese ihn als Einen der Ihrigen in Anspruch zu nehmen wagen. Muß hiernach als das Wahrscheinlichste erscheinen, daß er weder jenem noch diesem Orden angehört habe und daß der Bezeichnung „Bruder“, die ihm hier und da beigelegt wird, entweder die leichte Verwechselung der Begriffe praedicator und praedicatorum ordini adscriptus zu Grunde liege, oder ihr, wo dies nicht angenommen werden kann, nicht eine technische, sondern eine allgemeine Bedeutung zukommen möge, so bewährt sich diese Auffassung an dem Zeugniß jener Unterschrift, welche an einen Mönchsstand Konrads schlechthin nicht erinnert und neben seiner gelehrten Würde nur seine kirchliche Beamtung hervorhebt. Und dieser Thatsache entspricht die den Hauptgegenstand des Siegels bildende Darstellung der Gestalt Konrads. In der Rechten eine Kreuzesfahne, in der Linken die heilige Schrift haltend, trägt er weder die Dominicaner- noch die Franciscanergewandung, deren jede die Kapuze erheischt, sondern einen Predigertalar, der Hals und Nacken vollkommen frei hervortreten läßt. Nach seinem amtlichen Siegel will K. nicht als Mönch, sondern als predigender Cleriker aufgefaßt werden.

Gehen wir nun zu einem Ueberblick über seine Lebensgeschichte über, so zeigt sich sofort, daß wir auch hier die Hülfe der Kritik in Anspruch nehmen müssen. Nach Trithemius (chron. Hirs. 1215) soll K. an der Verurtheilung der 80 Häretiker, die um jene Zeit in Straßburg verbrannt worden sind, betheiligt gewesen sein. Darnach würde, nachdem Winkelmann (Friedr. II., S. 433) erwiesen hat, daß jenes Ereigniß in das Jahr 1211 zu setzen ist, sich ergeben, daß K. schon früh in das sacrum officium eingetreten wäre. Indeß irrt der alte Berichterstatter. Zu einer Mitwirkung dieser Art würde eine päpstliche Vollmacht nöthig gewesen sein. Eine solche aber hat K. erst im J. 1227 erhalten. Nach Wadding’s Vermuthung (Ann. Min. II, 151) beruht der Irrthum auf einer Verwechselung Konrads von Marburg mit einem 1228 ermordeten Conradus Teutonicus, auf welche hier nicht weiter einzugehen ist. Dagegen schließe sich hieran sofort die kurze Erwähnung zweier anderer Ereignisse, die gleichfalls unbegründeter Weise mit K. in Verbindung gebracht worden sind. [644] Nach der Aussage des Nicolaus von Siegen unter dem J. 1223 (Ausg. von Wegele S. 350) und der Mittheilung anderer Chronisten soll der Abt des Nonnenklosters Neumark[1] bei Goslar, Heinrich Nuninkin, nach Andern Minnike, wegen einiger Irrlehren durch den Bischof von Hildesheim unter Mitwirkung Konrads verhört, mehrmals verwarnt und später dem weltlichen Gerichte zum Feuertode übergeben worden sein. Die Sache an sich ist richtig: nach den Parerga Gotting. I. IV. S. 31 ist Minnike am 29. März 1225 verbrannt worden: aber der Mitinquisitor des Bischofs ist nicht K., sondern der päpstliche Legat Konrad von Porto gewesen (ep. Portuensis S. 26). Viel wichtiger ist der von Schumacher in seinem gründlichen Buch über die Stedinger, Bremen 1865, S. 223–231 geführte Nachweis, daß jener an der Kreuzpredigt gegen den unglücklichen Volksstamm, der am 27. Mai 1234 durch die Schlacht von Altenesch seinen Untergang gefunden hat, nicht betheiligt gewesen ist. Das Verdienst, ihn erbracht zu haben, ist um so mehr hervorzuheben, je entschiedener populäre Geschichtserzähler das Zustandekommen des Kreuzzugs noch heute auf die Agitation Konrads zurückführen: dem Beweise näher nachzugehen und ihn mit einem kleinen Nachspiel auszustatten, wird, da hier der Ort dazu nicht ist, bei einer anderweitigen Gelegenheit versucht werden. Haben wir so für die kurze Besprechung der urkundlich sichern Ereignisse in Konrads Leben reine Bahn gewonnen, so ist nun als das älteste derselben anzuführen, daß er im J. 1214 durch Innocenz III. berufen wurde, für das Zustandekommen des von diesem angeplanten Kreuzzugs als Volksprediger in Deutschland thätig zu sein (Chron. Sampetr. bei Mencken, Scriptt. III. 241). Wer ihn dem Papste empfohlen oder wie er ihm bekannt geworden, wissen wir nicht, sind aber berechtigt, aus dem Auftrage zu entnehmen, daß er schon damals diesseits oder jenseits der Alpen den Namen eines mächtigen Predigers besaß. Ueber die Art, wie er die ihm gewordene Aufgabe erfüllt, haben wir keine eingehenden Berichte, geschweige daß sich Proben seiner Beredsamkeit wie von der des schwäbischen Bruders Berthold erhalten hätten. Nur der kurze Bericht, der Konrads ganze Thätigkeit umfaßt, daß er auf apostolischen Befehl Deutschland predigend durchzogen habe und Geistliche und unzählige Volkshaufen ihm nachgefolgt seien (Ann. Reinh. 193), wird auch für diese erste Zeit derselben herangezogen werden dürfen. Ueberdies wird ausdrücklich die nachhaltige Ausdauer dieses seines Wirkens bezeugt. Unter dem Jahr 1217 meldet das Chron. Ursperg., daß als nach dem Tod des Papstes Innocenz III. die Kreuzpredigten lau zu werden begannen, K. und zwei namhaft gemachte Bischöfe das Geschäft mit Nachdruck weiter betrieben haben. Während der folgenden Jahre schwindet er aus unserm Auge. Indeß ist in den Thüringer Geschichtsquellen (Ann. Reinh. l. c. unter dem J. 1226, Dicta quatuor ancillarum bei Mencken, Scriptt. u. a.) von seinem Aufenthalte am landgräflichen Hofe in einer Weise die Rede, daß wir daraus auf eine jahrelange frühere Thätigkeit Konrads innerhalb Thüringens zurückschließen können. Nur auf Grund langbewährter ausgezeichneter Dienste, in denen er kirchlichfromme Gesinnung, Reinheit des Wandels und pastorale Umsicht an den Tag gelegt hatte, konnte es dahin kommen, daß der Landgraf ihm für die Zeit seiner Abwesenheit behufs eines Kreuzzuges ins gelobte Land die volle Ausübung seiner Patronatsrechte übertrug. Vielleicht noch früher ließ er, was ein noch unbedingteres persönliches Vertrauen in sich schloß, es geschehen, daß seine Gemahlin Elisabeth ihn an Stelle des frommen Minoriten Rodinger, der einer anderweitigen Berufung gefolgt zu sein scheint, zum Beichtvater erwählte und, um von ihm auf dem Wege zur religiösen Vollendung erhalten und gefördert zu werden, ihm vollkommenen Gehorsam gelobte. Dazu kamen Aufträge wichtigster Art von Rom. Es wird nicht vielen Deutschen begegnet sein, was in den päpstlichen Regesten über K. [645] zu lesen ist (Potthast I, 686, 687), daß binnen eines Monates, Juni 1227, drei Breve’s an ihn ergangen sind: das erste, eine Bestätigung der Verfügung des Landgrafen Ludwig, wonach während des Kreuzzuges alle geistlichen Stellen durch ihn besetzt werden sollten; das zweite, eine Aufforderung, mit Andern in Verbindung zu treten, um die Häretiker in Deutschland aufzuspüren und seinem geistlichen Gericht zu unterziehen; das dritte, die Pfarrer und andere Geistliche in Deutschland, welche dem gregorianischen Verbot der Priesterehe entgegenhandelten, unter Bedrohung von Kirchenstrafen davon abzubringen – womit also auch die Berechtigung einer Visitation der Klöster in Aussicht gestellt war, welche ihm später thatsächlich aufgetragen worden sein muß, da er sich Visitator monasteriorum in Alemannia nennt (2. Aug. 1232) – Aufgaben von umfassendster und schwierigster Art, deren Erfüllung ein ungewöhnliches Maß von Kraft erforderte, und deren Uebertragung auf ihn die höchste Achtung des Papstes vor ihm voraussetzt. Zwar ist seine Thätigkeit auch nach einer andern Richtung in Anspruch genommen worden. Nach dem Ausbruch des Krieges zwischen Landgraf Konrad und Erzbischof Siegfried von Mainz ist er auch politisch thätig gewesen. Es zeugt für die Vielseitigkeit seines Geistes und für das hohe Ansehen, welches er in Deutschland genoß, daß er zur Vermittelung der zwischen ihnen schwebenden Streitpunkte erwählt worden ist, und gewiß hat er sich damit ein nicht geringes Verdienst erworben. Zeigt er sich hier als geschickten Diplomaten, so erkennen wir bei einer andern Gelegenheit den praktischen Juristen. Nicht nur widersteht er dem Verlangen Elisabeths, ihr Einkommen den Franciscanern zu übergeben, sondern nachdem sie das von ihr gegründete Hospital den Johannitern zugesagt hat und diesen gegenüber ihre Schwäger Heinrich und Konrad als die Besitzer des Grundes und Bodens erklären, daß sie dazu völlig unberechtigt gewesen, giebt er am 2. August 1232 den Rechtsausspruch ab, daß nach Lage der Sache die Johanniter keinen Theil an dem Hospitale haben, eine Sentenz, mit welcher sich die Schiedsrichter einverstanden erklären und welche für das Verhältniß des Hospitals zum Deutschherrnorden für alle spätere Zeit entscheidend geworden ist (siehe die Urkunde bei Wyß, Hessisches Urkundenbuch I, S. 24). Aber diese weltliche Wirksamkeit tritt doch gegen jene auf geistlichem Gebiet in den Hintergrund. Konrads geschichtliche Bedeutung liegt vor allem in der geistlichen Führung der Landgräfin Elisabeth und in der Bekämpfung der Ketzer. Was ist von jener und was von dieser zu halten? Ueber die Persönlichkeit Elisabeths ist in einem früheren Band dieses Werkes gehandelt (VI, 40–45). Hier beschränken wir uns darauf, kurz anzudeuten und zu würdigen, was K. an ihr gethan. In einem ungedruckten Werke des Superintendenten Rebhan zu Eisenach über die Geschichte dieser Stadt, welches gegen Ende des 16. Jahrhunderts verfaßt ist, findet sich eine Zwölfzahl von Sinnsprüchen mitgetheilt, welche K. seinem Beichtkind zur Nachachtung gegeben hat: „Die mit der freiwilligen Armuth verbundene Verachtung trage geduldig“. „Demuth laß deinem Herzen angelegen sein“. „Laß allen menschlichen Trost und alle Fleischeslust dahin fahren“ etc. Sind sie echt, woran trotz ihrer späten Provenienz nach Lage der Sache nicht wohl zu zweifeln ist, so haben wir darin ein Zeichen von verständiger Behandlung der seiner Pflege Befohlenen. Vorausgesetzt, daß diese an K. ein Vorbild ihrer Befolgung fand, konnten sie der jungen, im J. 1226 erst neunzehnjährigen Fürstin nur zur Befestigung im christlichen Wandel dienen. Sonst aber liegt weder in dem, was er selbst in einem Briefe an den Papst Gregor IX. vom Nachsommer 1232 über seine Behandlung Elisabeths erzählt, noch in den ziemlich reichen Mittheilungen der Ancillen darüber auch nur das geringste Empfehlende, im Gegentheil sind die Proben seiner Erziehung fast Stück für Stück Beweise der radicalsten Untauglichkeit des steinernen [646] Mannes für das ihm zu theil gewordene Vertrauensamt der geistlichen Leitung eines mit kindlichem Glauben und glühender Nächstenliebe ausgestatteten weiblichen Wesens. Man mag ihm Recht geben, wenn er’s ernst nimmt, daß Elisabeth in Folge der unerwarteten Ankunft ihrer Schwägerin, der Markgräfin von Meißen[WS 2], seine Predigt versäumt hat und würde ein hartes Wort des Vorhalts darüber in der Ordnung finden. Wenn er ihr aber um dieser Versäumniß willen, nicht allein sofort das Beichtvateramt kündigt, sondern, als sie um Verzeihung bittend vor ihm erscheint, ihr die Bitte nicht eher gewährt, als bis sie ihm zu Füßen fällt, ist dies selbst nach dem Maßstab jener Zeit, welche die feinen Umgangsformen der unsrigen allerdings nicht kannte, aber um so bestimmter wußte, was es mit fürstlicher Hoheit auf sich habe, eine illoyale Unverschämtheit erster Größe. Wenn sie ihm die Geißel in die Hand gab, welche die Gläubigen nach der Sitte jener Zeit an Bußtagen und andern Gelegenheiten theils selbst wider sich schwangen, theils von Andern auf sich schwingen ließen, so mochte er dieser schweren Zumuthung mit rechtem Mitgefühl in Gehorsam nachkommen. Aber wenn er auf die Frage der Klosterschwestern in Altenberge, ob Elisabeth zu ihnen kommen dürfe, ihnen die Antwort gab, sie möge kommen, wenn sie wolle, und nachdem sie in das Kloster eingetreten, zur Strafe ihr befahl, sich auf den Boden niederzulegen, um von einem seiner Genossen Ruthenstreiche zu erhalten, während dessen er das Miserere sang, oder wenn er sich einfallen ließ, die Vorsehung zu spielen und im Hinblick darauf, daß Elisabeth eine ihr innig ergebene Dienerin hatte, dieses Band muthwillig zerriß, die freundliche Magd vertrieb und eine widerwillige und unfreundliche an ihre Stelle setzte, nur damit Elisabeth den Trost der Liebe entbehren müsse, so steht dies dem Teuflischen sehr nahe, und konnte nichts anderes, als weitere sittliche Schädigungen für ihn selbst zu Wege zu bringen, die bei schwereren Versuchungen schwerere Versündigungen zur Folge haben mußten. – Konrads öffentliches Wirken galt dem Kampf wider die Gegner der Kirchenlehre. Bei der Mangelhaftigkeit der auf uns gekommenen Berichte ist es schwierig über die Behauptungen derselben ins Klare zu kommen. Die erwähnten Straßburger gehören der Waldensischen Richtung an und sind zumeist als Märtyrer der Wahrheit gestorben. Ueber die Lehre und Gemeinschaftsverfassung der Katharer ist man noch getheilter Ansicht. Die ältere Theologie, hierin der Aussage der Chronisten folgend, glaubte in ihnen Nachkommen der Manichäer zu erkennen. Soeben ist der Versuch gemacht worden, ihren Zusammenhang mit dem alten Gnosticismus zu erweisen. Charles Schmidt[WS 3] hält dafür, daß ihr Zusammentreffen mit den alten Häretikern kein auf Tradition vom Alterthum her beruhendes, sondern aus selbständiger, innerhalb griechisch-slavischer Klöster entstandener Conception hervorgegangenes sei. Der Historiker der Aufklärung im Mittelalter bringt in den bemerkenswerthen Andeutungen, die er hierüber giebt, das positive Moment zur Geltung, daß sich in Lehre und Verfassung dieser Häretiker ein gegnerisches Abbild der kirchlichen erkennen lasse. Ein einleuchtender Wink! wie denn die äußere Thatsache feststeht, daß dem römischen Papst gegenüber ein gleichnamiger Ketzerpapst in Mailand bestand, und dieser die innere entspricht, daß wenn die Ehelosigkeit von der Kirche als unvergleichliches Ideal hingestellt wurde, der gemeine Menschenverstand sehr leicht darauf geleitet werden konnte, die Ehe als etwas Fleischliches, Materielles, Ungöttliches anzusehen, wovon es dann nur ein leichter Schritt war, die Zeugung und damit die Welt des Gezeugten dem Dunkel des Ahrimanreiches zuzurechnen. Ein näheres Eingehen auf die einzelnen Lehren der Katharer bedarf es hier aus dem Grunde nicht, weil K. selbst darauf nicht eingegangen ist, wie sich klar aus dem päpstlichen Erlaß vom 13. Juni 1233 ergiebt, welcher über die Häresie handelt und lediglich als eine Reproduction dessen, was er in Gemeinschaft mit seinen Freunden nach Rom [647] gemeldet hatte, anzusehen ist. Hier wird ein Bericht über die Weihe der Häretiker gegeben, welcher von ekelhaften Teufelserscheinungen und noch ekelhafteren Ceremonien der Verehrung des Teufels zu reden weiß, und daran eine Andeutung der Unwürdigkeiten geschlossen, welche die Aufgenommenen mit den älteren Mitgliedern zu vollziehen hatten – aller Glaublichkeit spottende Aussagen, welche nur an den Beschuldigungen eine Gleiche finden, die das alte Heidenthum gegen die Christen erfunden und ausgestreut hat, und deren Vorkommen im Munde des übelberichteten K. man nur unter der Voraussetzung einigermaßen begreiflich finden kann, daß nach seiner Ueberzeugung Alles, was die Kirche besaß und übte, rein, erhaben, geistig und göttlich, alles der Kirche nicht Angehörige aber schlechthin unrein, niedrig, fleischlich und teuflisch sein müsse. Nur so läßt sich, wenigstens von fern erklären, daß er und mit ihm Gregor IX. Vorstellungen von den Häretikern in sich aufnahm, welche ein unbefangen denkender Mensch ohne weiteres von sich gewiesen haben würde. Hatte er sie aber sich angeeignet, dann wüthete sein Herz wider das Entsetzliche in vermeintlich christlichem Eifer und kam nicht eher zur Ruhe, als bei dem Aufqualmen der Scheiterhaufen, für welche das durch die Predigten aufgeregte Volk Stroh und Scheite herbeigetragen hatte. Besonders hervorgehoben wird es in den Ann. Reinh., daß am 2. Mai 1231 vier Ketzer zu Erfurt in Konrads Gegenwart verbrannt worden seien; die Zahl der am Rhein und anderwärts durch ihn inquirirten und von ihm der weltlichen Obrigkeit zum Feuertod Uebergebenen kann aber nicht angegeben werden: es sind ihrer „Unzählige“. So entsetzlich das Geschäft ist, das K. betrieb, in seiner Art vermochte er es mit unverletztem Gewissen zu vollziehen. Waren es doch die Inhaber der höchsten geistlichen Macht, welche den Aufruf dazu erlassen hatten, war die Ausrottung der Ketzer doch auf dem Lateranconcil von 1215 beschlossen und unter die zur Wiederherstellung der Reinheit der Kirche nöthigen Vornahmen aufgenommen worden, hatte doch selbst Friedrich II. durch das Gesetz von 1220 die Ketzerei als todeswürdiges Verbrechen hingestellt. Ja, wie die vorliegenden Briefe zeigen, ließ der Papst Gregor IX. nach dem Empfang der Nachrichten von Konrads Thätigkeit es sich nicht nehmen, an K. zu schreiben, daß Ruhmvolles (gloriosa) von ihm gehört werde, und rüstete ihn gegenüber den Ketzern mit immer größeren geschäftlichen Erleichterungen und Vorrechten aus. Aber in dem Vollzug des Handwerkes traten ihm Versuchungen besonderer Art entgegen, denen er erlag. Er traf auf seinen Wegen mit zwei Menschen zusammen, welche Deutschland in gleichen Zwecken wie er durchzogen: dem Dominicaner Tors und Johannes dem Einäugigen und Einhändigen. Diese waren früher selbst Ketzer gewesen und kämpften wider ihre ehemaligen Genossen. Sie behaupteten an den bloßen Bewegungen eines Menschen zu erkennen, ob er ein Ketzer sei. Ihr Grundsatz war, es sei besser, daß hundert Unschuldige verbrannt würden, als daß ein Schuldiger ungestraft bleibe. Durch die Zuversichtlichkeit ihres Handelns zogen sie das urtheilslose Volk an, durch das Wort von der Vertheilung der herrenlos gewordenen Güter an die Bischöfe und die weltlichen Richter suchten sie niedere Gelüste auch in Hochgestellten zu entzünden. K. entzog sich ihnen nicht; er arbeitete mit ihnen in Gemeinschaft. Damit trat die böseste Zeit seiner Wirksamkeit ein. Es schien für unschuldig Angeklagte jetzt leichter, sich schuldig und reuig zu bekennen, als die Schuld zu leugnen, denn der Leugner wurde verbrannt, der Bekennende und Reuige nur durch das Abscheeren des Haupthaars gekennzeichnet. Von dieser Zeit gelten die Worte der Sponheimer Chronik unter dem J. 1232, sobald ihm Jemand als Ketzer hinterbracht worden, habe er ohne angestellte Prüfung und ohne Rücksicht auf das Verdienst des Hinterbringers mit lauter Stimme gerufen: „hinweg, hinweg mit dem gottlosen Ketzer, hinweg [648] zum Feuertode!“ und der noch schrecklichere Bericht des Chronisten unter dem J. 1233: „Die Menge der Verurtheilten machte ihm größeres Vergnügen als die der Unschuldigen!“ Wie ist dieser tiefe Fall eines Mannes zu erklären, der wenige Jahre zuvor von einem frommen deutschen Fürsten zum geistlichen Führer seiner Gemahlin auserkoren werden konnte und der gewürdigt worden ist, am Sterbebette der selig Dahinscheidenden zu sitzen? Wir werden nicht anstehen können, zu der uns unbekannten Zahl von Momenten seines Herabsinkens auch dieses zu rechnen, daß er durch die unverantwortliche Härte gegen die geduldige, sich wider ihn nie auflehnende heilige Elisabeth dahin gekommen ist, die Würde der Menschennatur zu verkennen, und damit eine Schuld auf sich zu laden, die keine spätere That, auch nicht das Bemühen, die Entschlafene heilig sprechen zu lassen, aufheben konnte. Nachdem er eine Elisabeth zum Opfer seiner rohen Rücksichtslosigkeit gemacht, konnte es nach den Gesetzen der ethischen Anlage der Menschen nicht fehlen, daß er auf der Höhe seiner Macht wie die Gesta Trevirorum p. 318 erzählen, „gestützt auf das Ansehen des Papstes Niemand fürchtete und ihm ein König oder ein Bischof soviel galt als ein armer Laie“. – Es bedarf nur einer kurzen Erinnerung an seine letzte That und sein letztes Geschick. Auf einer von König Heinrich berufenen Versammlung von Fürsten, Bischöfen und Aebten zu Mainz am 25. Juni 1233 erschien Graf Heinrich von Sayn, ein Mann, der sich durch Sittenstrenge auszeichnete und seinen Glauben durch die Theilnahme am jüngsten Kreuzzug ins gelobte Land bewährt hatte, um sich zu beklagen, daß auch er von K. der Ketzerei angeklagt und bereits mit einem Kreuzzug des Volkes gegen seine Burgen bedroht worden sei. Einstimmig gaben die anwesenden Bischöfe seiner Katholicität Zeugniß. Aber sein Ankläger, der sich auf eingelaufene Zeugnisse wider den Grafen berief, war damit nicht zufrieden, und erlangte, daß die Entscheidung noch ausgesetzt wurde. Indeß beschloß der Graf, an den Papst zu appelliren und der Bischof von Trier rief aus, daß der Graf von Sayn ein katholischer Mann sei und unüberwiesen hinweggehe: „wäre er überwiesen“, murrte K., „so wäre es anders“. Unruhig verließ er Mainz, um nach seiner Heimath Marburg zu reisen. Der Bann der Einschüchterung, der von ihm ausging, war durch die Versammlung gebrochen. Er erreichte den Löhnberg. Hier lauerten bewaffnete Ritter auf ihn, namentlich Herren von Dernbach, und der Erbarmungslose fand vor ihnen, obwol er um Gnade bat, kein Erbarmen (30. Juli 1233).

Die Litteratur findet sich bei Henke, Konrad von Marburg etc., Marburg 1861. Kurz nach dieser Schrift erschien Hausraths Dissertation: Der Ketzermeister Konrad von Marburg, 1862. Für den vorstehenden Abriß sind mir außer den alten Quellen der genannten Abhandlungen die bekannten Werke Winkelmann’s und Schirrmacher’s über Friedrich II., und namentlich Schumacher’s Schrift über den Stedingerkrieg förderlich gewesen. Vgl. auch den Vortrag Winkelmann’s in der Rundschau, 1881. Werden die Quellenschriften über die Geschichte der h. Elisabeth in die Monumenta Germaniae aufgenommen, so wird auch der Briefwechsel Konrads zum ersten Male gesammelt und mit herausgegeben werden müssen.[2][WS 4]

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. Minneke, Heinrich XVI 644 Z. 2 u. 3 v. o. (unter „Konrad von Marburg“) war Propst zu Neuwerk (statt „Abt zu Neumark“). [Bd. 56, S. 398]
  2. S. 648. Z. 9 v. u.: Nach Abfassung des Artikels über Konrad von Marburg erschien: Balth. Kaltner, K. v. M. u. die Inquisition in Deutschland. Prag 1882. [Bd. 17, S. 796]

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Adolf Hausrath (* 13. Januar 1837 in Karlsruhe; † 2. August 1909 in Heidelberg), protestantischer Theologe und Schriftsteller.
  2. Ludwigs Schwester Jutta, Gemahlin von Dietrich von Meißen.
  3. Charles Guillaume Adolphe Schmidt (* 20. Juni 1812 und † 10. März 1895 in Straßburg), elsässischer Theologe, Historiker und Religionswissenschaftler.
  4. Balthasar Kaltner (* 12. April 1844 in Goldegg; † 6. Juli 1918 in Salzburg), Bischof von Gurk und Erzbischof von Salzburg.