ADB:Nicolaus Bottenbach von Siegen

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Artikel „Nicolaus von Siegen“ von Franz Xaver von Wegele in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 23 (1886), S. 627–628, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Nicolaus_Bottenbach_von_Siegen&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 09:37 Uhr UTC)
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Nicolaus von Siegen, Geschichtschreiber. N. war wahrscheinlich nicht lange vor dem Jahre 1450 in Siegen in der Provinz Westfalen geboren und soll der Ueberlieferung zufolge sein Familienname „Hottenbach“ oder „Hortenbach“ gelautet haben. Im J. 1466 trat N. laut seiner eigenen Angabe in das altberühmte Benedictinerstift St. Peter zu Erfurt als Novize ein, legte das Jahr darauf in die Hände des von ihm hoch gefeierten Abtes Günther Profeß ab und wurde drei Jahre später zum Priester geweiht. Die beiden nächsten Jahrzehnte hat er in diesem Stifte zugebracht und in dieser Zeit das Amt des Custos und Vestiarius im Kloster bekleidet. In diese Epoche fallen die vom Kloster Bursfeld ausgegangenen Versuche der Reformation des Benedictinerordens in Deutschland und der damit verbundene Aufschwung des Stiftes St. Peter in Erfurt. N. hat sich dieser Erhebung mit warmer Begeisterung hingegeben, aber, als er zuletzt außerhalb Erfurts für dieselbe praktisch wirken sollte, zeigte und fühlte er sich dieser Aufgabe nicht gewachsen. Er wurde im J. 1492 zuerst als Prior für das Kloster Homburg bei Langensalza bestimmt, scheint aber dieses Amt gar nicht angetreten zu haben; weiterhin wurde er als Prior und Reformator in das Kloster Reinsdorf an der Unstrut – eine Stiftung des Grafen Wiprecht von Groitsch – entsandt, jedoch auch in dieser Stellung gefiel er sich den entgegentretenden Schwierigkeiten so wenig, daß er sich nach neun Monaten nach Erfurt zurückrufen ließ, wo er sich allein heimisch und in seinem Elemente fühlte. Indeß war sein Eifer für die Ordensreformation zu lauter und zu innig mit seiner ganzen Entwickelung und seinen Ueberzeugungen verwachsen, als daß die schlimmen Erfahrungen, die er in der praktischen Durchführung derselben auswärts gemacht hatte, denselben zu erkalten vermocht hätten. Er blieb vielmehr seinem Ideale nach wie vor treu und versuchte auf anderem Wege dafür zu wirken. Aus dieser seiner Stimmung und Gesinnung heraus erwuchs nämlich die Chronik – „Chronicon ecclesiasticum“, wie er es selbst nannte - an welche das Gedächtniß seines Namens geknüpft ist und die der ursprünglichen Anlage zufolge nichts anderes als eine Geschichte des Benedictinerordens vom Standpunkte der Bursfelder Reformation aus werden sollte. In ihr legte N. seinen Schmerz über den Verfall, seine Genugthuung über die Erhebung, seine Hoffnungen und Wünsche für die Zukunft seines Ordens nieder, und alles dieses mit einer Innigkeit, Offenheit und oft sogar einer Rücksichtslosigkeit, die uns für seinen Charakter die höchste Achtung einflößen. Die Vorarbeiten für dieses Werk haben ihn wohl bereits seit längerer Zeit beschäftigt; an die eigentliche Ausarbeitung der Redaction ist er aber schwerlich vor dem Jahre 1494 gegangen, so daß das umfangreiche Werk im Verlauf von kaum zwei Jahren seine gegenwärtige Gestalt erhalten haben muß, denn im J. 1495 ist N. zu Erfurt an der Pest gestorben. N. war zugleich ein beliebter Prediger; daß er auch an der Erfurter Universität irgendwie thätig war, erscheint mehr als zweifelhaft, wenn auch sein Name in den späteren Schriften über dieselbe mit aufgeführt zu werden pflegt. Seine Chronik ist eine echte Mönchschronik und es war sicher seine leitende Absicht nicht, für die thüringische Geschichte in erster Linie eine Quelle zu werden, obwohl das Neue und Selbständige, was sie enthält, überwiegend gerade dieser zu Gute kommt. Das Thüringerland ist freilich auch nicht der geringste der Schauplätze der Thätigkeit seines Ordens, bis herab zu der erwähnten Reformationsepoche desselben gewesen; aber auch davon abgesehen, der Boden und die landsmannschaftliche Umgebung, die Vergangenheit wie die Gegenwart seiner neuen Heimath übten auf den Geschichtschreiber eine so unwiderstehliche und zugleich [628] in der Natur der Dinge liegende Macht aus, daß er nicht nur der Wirksamkeit und dem Schicksale seines Ordens in Thüringen eine bevorzugte Berücksichtigung zugewendet, sondern im Verlaufe zugleich häufig seinem Plane untreu wird und zu unserer Genugthuung auch die Profangeschichte Thüringens zu Worte kommen läßt. Der wirkliche, materielle Werth der Chronik liegt in der That in den Mittheilungen über die Geschichte seines Ordens in Thüringen, namentlich des St. Peterstiftes in Erfurt, zumal seit der Mitte des 15. Jahrhunderts, wo er als Zeitgenosse berichtet. Aehnlich verhält es sich mit seinen Aufzeichnungen über die thüringische Geschichte in diesem Zeitraume, die mit den kostbarsten und ergiebigsten Theil des umfangreichen Buches bilden. Der Stil und die Composition der Chronik sind einfach gehalten und wollen keine höheren Ansprüche befriedigen, doch entschädigt uns der Verfasser durch eine der vornehmsten Eigenschaften eines Geschichtschreibers, nämlich durch augenfällige Unbefangenheit und Wahrheitsliebe. Sein Gesichtskreis ist allerdings beschränkt, wenn man so will, er betrachtet die Welt durch die Brille seines ehrlichen mönchischen Standpunktes, aber er hat zugleich auch ein Auge für anderes, was um ihn her vorgeht, und es bleibt lebhaft zu bedauern, daß der Faden seiner Erzählung so plötzlich abbricht. N. hatte in der That die Anlage, uns Denkwürdigkeiten aus jener Zeit nach seines Geistes Art zu überliefern. Ob auch noch andere historische Zusammenstellungen wie der sogenannte „Variloquus Erfurtensis“, was man wohl vermuthet hat, auf N. zurückzuführen sind, kann an dieser Stelle nicht weiter untersucht werden.

Vgl. Thüringische Geschichtsquellen, 2. Bd. (Jena 1855). – Ottokar Lorenz, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter, 2. Bd., S. 112 ff.