ADB:Ludwig IV. (Landgraf von Thüringen)

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Artikel „Ludwig IV., Landgraf von Thüringen“ von Karl Robert Wenck in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 19 (1884), S. 594–597, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Ludwig_IV._(Landgraf_von_Th%C3%BCringen)&oldid=- (Version vom 6. Oktober 2024, 02:12 Uhr UTC)
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Ludwig IV., der Heilige, Landgraf von Thüringen, erstgeborener Sohn des Landgrafen Hermann und Sophias von Baiern, geb. (nach späterer Tradition) am 28. Octbr. 1200, † am 11. Septbr. 1227. – Während einer nur [595] zehnjährigen Regierungszeit in den Angelegenheiten des Reichs und seiner Lande vielfach mit Auszeichnung thätig, würde dieser jugendliche Fürst als einer der hervorragendsten Repräsentanten einer begabten, zu früh erloschenen Dynastie auch dann gefeiert worden sein, wenn er nicht der Gemahl der heiligen Elisabeth gewesen wäre. Die Verbindung mit der Heiligen bewirkte, daß aus seiner Persönlichkeit ein mönchisches Idealbild geschaffen wurde, dessen Zeichnung mit den sicher überlieferten Thatsachen, seiner rastlosen politischen Thätigkeit, verglichen, übertrieben erscheint, ohne daß wir im Stande wären, mit Sicherheit die Conturen auf ihr richtiges Maß zurückzuführen. Wohl besitzen wir eine treue einfache Darstellung seiner Thaten aus der Feder eines ihm nahestehenden Mannes, des Caplan Bertold, aber diese annalistischen Aufzeichnungen sind später in Reinhardsbrunn mit legendarischen Schilderungen (aus einer Reinhardsbrunner Bearbeitung des Lebens der heiligen Elisabeth von Dietrich von Apolda) und sagenhaften Ausschmückungen derartig vermischt worden, daß man das Ganze für ein einheitliches Werk, eine vita Ludovici, ansehen konnte. Natürlich ist bei der Verschmelzung der Aufzeichnungen Bertolds mit den fremden Bestandtheilen ihr Text nicht unversehrt geblieben und namentlich die Chronologie in Verwirrung gerathen. Ist nun in diesen Annalen, welche nur von glücklichen Thaten in Krieg und Frieden berichten, ein Bild seiner menschlichen Persönlichkeit überhaupt nicht gegeben, tritt daher auch der entschieden kirchliche Charakter, welchen die spätere Ueberlieferung dem Landgrafen beilegt, nicht hervor, so lassen sich doch gewisse zweifellose Thatsachen für die relative Richtigkeit der Tradition anführen, nämlich einmal die Verbindung mit Elisabeth, deren asketische Frömmigkeit ja nicht plötzlich entstanden sein kann, sondern sich schon während ihrer Erziehung auf der Wartburg geäußert haben muß, und sodann die Ueberlassung einer wichtigen Vertrauensstellung an Konrad von Marburg, dessen Gesinnung dem Landgrafen bekannt sein mußte. L. gestattete ihm die Leitung seiner jugendlichen Gattin als ihr Beichtvater und für die Zeit seiner Abwesenheit die Verleihung der kirchlichen Pfründen, die er selbst zu vergeben hatte. So wird es der Wahrheit entsprechen, wenn in den Aussagen der vier Dienerinnen der heiligen Elisabeth der Landgraf als durchaus einverstanden erscheint mit dem asketischen Wesen seiner Gemahlin. Ist er doch auch weder der Erste noch der Letzte seines Geschlechts, bei welchem eine streng kirchliche Frömmigkeit, eine religiöse Gemüthsrichtung hervortritt. – Bereits 1211 soll die Verlobung Ludwigs mit Elisabeth (geb. 1207) erfolgt sein, die Vermählung 1221. Erst ein Jahr nach dem Tode Landgraf Hermanns († am 25. April 1217) am 6. Juli 1218 fand die Schwertleite des jungen Fürsten zu Eisenach statt, schon im folgenden Jahre sollte er die Waffen führen wider den alten Gegner der Landgrafen, den Erzbischof von Mainz. L. kämpfte von Hessen aus gegen die Vasallen Siegfrieds II. und zwar in der ersten Hälfte des Jahres 1219 – noch im December 1218 war er mit dem Erzbischof am Hofe des Königs zu Fulda zusammengetroffen – eben in Fulda erfolgte dann am 20. Juli 1219 die Versöhnung der beiden Gegner, die wenige Tage später an einem Erfurter Hoftag des Königs theilnahmen. Aber bei Gelegenheit des berühmten Frankfurter Reichstags im April 1220 brach der alte Hader mit solcher Schärfe aufs Neue aus, daß eine ernstliche Bedrohung des Reichsfriedens davon befürchtet wurde und die Fürsten sich die größte Mühe gaben den Zwiespalt beizulegen. Die Wahl Heinrichs (VII.) soll durch die Gefahr eines mainzisch-thüringischen Krieges beschleunigt worden sein. Jedenfalls wurden im nächsten Jahre die Interessen Ludwigs nach einer andern Seite gelenkt. Markgraf Dietrich von Meißen, der Gemahl seiner Stiefschwester Jutta war am 17. Febr. 1221 gestorben, nachdem er L. zum Vormund seines etwa vierjährigen Sohnes [596] (Heinrich des Erlauchten) bestellt hatte. L. übernahm die Regentschaft in den beiden Marken, welche Dietrich besessen hatte, mit kräftiger Hand und ließ sich, in der Absicht seinem Hause den Besitz dieser Lande zu sichern, falls der junge Markgraf vor erlangter Volljährigkeit sterben sollte, die Eventualhuldigung gewähren. Unermüdlich war er für Wahrung des Friedens in dem weiten Ländergebiet, das nun seiner Waltung unterlag, Hessen, Thüringen, Meißen und der Ostmark, thätig, in Thüringen hatte er gleich seinem Vater und Oheim (1222) den Grafen (Hermann) von Orlamünde zu bekämpfen, in den Marken setzte ihm Jutta, die Mutter seines Mündels, welche im Januar 1223 mit Boppo von Henneberg einen neuen Ehebund einging, offenen Widerstand entgegen und nöthigte ihn, sich mehrerer Burgen mit Gewalt zu bemächtigen. Die Beilegung dieser Streitigkeiten, welche in die erste Hälfte des Jahres 1223 fielen, wurde durch Herzog Otto von Meran, einen Verwandten Boppo’s und Elisabeth vermittelt. Während der nächsten Jahre widmete sich L. in steigendem Maße den Angelegenheiten des Reichs als ein treuer und thätiger Freund des staufischen Kaisers und seines Sohnes Heinrich (VII.). So finden wir ihn auf den Hoftagen Heinrichs zu Nordhausen im September 1223, zu Frankfurt im Mai 1224, zu Nürnberg im Juli, zu Bardewiek im September und zu Blekede im October desselben Jahres. 1225 unternahm L. einen Feldzug nach dem fernen Osten – mit einem Heere von mehreren tausend Mann zog er im Juli vor Lebus, das sich damals in den Händen des Herzogs von Großpolen Wladyslaw Laskonogi befand. L. wollte die Burg den Händen der Polen entwinden, wie sie schon einmal 1209 durch Markgraf Konrad von der Ostmark erobert worden war, vielleicht im Einverständniß mit dem Erzbischof von Magdeburg, der sich Lebus im folgenden Jahre im Beisein Ludwigs vom Kaiser schenken ließ. Denn die Eroberung war gelungen. Man hat vermuthet, daß dem Landgrafen, dem Schwiegersohne des ungarischen Königs Andreas, weitaussehende Pläne auf den Osten vorgeschwebt hätten – Kaiser Friedrich schenkte ihm (nach der Angabe Bertolds) 1226 terram Ruscie (so corrigirt Caro das Pruscie oder Plissie der Handschriften) quantum expugnare valeret et sue subicere potestati, d.h. das südwestliche Rußland, in welches damals die ungarische Herrschaft erobernd vordrang. Völlige Klarheit ist weder über die Unternehmung gegen Lebus, über welche die polnischen Quellen nur eine Notiz von drei Worten zu dem falschen Jahre 1224 bringen, noch über jene Schenkung zu erlangen. - Es bezeichnet die nahe Stellung des Landgrafenhauses zu den Staufern, wenn im November 1225 zu Nürnberg gleichzeitig die Vermählung des jungen Königs Heinrich mit einer österreichischen Herzogstochter und einer Schwester des Landgrafen, Agnes, mit Herzog Heinrich von Oesterreich gefeiert wurde. Durch die Verbindung des Königs Heinrich mit der Oesterreicherin wurde der König von Böhmen, welcher Schwiegervater Heinrichs VII. zu werden gehofft hatte, enttäuscht, Landgraf L. leistete allen Parteien einen Dienst, wenn er sich im September 1226 zu Znaim bemühte die entstandenen Mißhelligkeiten zwischen Oesterreich und Böhmen zu beseitigen. L. war damals nicht lange erst aus Italien zurückgekehrt, wohin ihn der Ruf des Kaisers im Frühjahr 1226 gezogen hatte. Am 22. April war er an den Hof Friedrichs II. nach Ravenna gekommen, am 22. Juni nahm er in Borgo San Donino seinen Abschied vom Kaiser. Caplan Bertold, der ihn nach Italien begleitet hatte, berichtet manchen anmuthigen Zug aus dem Verkehr beider Fürsten. Der Kaiser gewann auch damals den Landgrafen für den längst beabsichtigten Kreuzzug gegen das Versprechen, ihm die Mark Meißen zu gewähren, falls Heinrich unter seiner Vormundschaft stürbe. Gleichzeitig beauftragte ihn der Kaiser mit einer wichtigen Botschaft an die deutschen Fürsten. Er sollte den Herzog Ludwig von Baiern [597] zur Uebernahme der Pflegschaft seines Sohnes, des jungen Königs, bestimmen. Zu Augsburg im Juli 1226 entledigte sich L. dieses Auftrags. Wieder erschien er im November 1226 zu Würzburg und im März 1227 zu Aachen unter den Fürsten des Reichs. Wie mußte der Ruf seines Namens durch die Lande schallen, wenn im Frühjahr 1227 die Erfurter, die geborenen Gegner des Landgrafen, ihn zu einem Besuche ihrer Stadt aufforderten. Bald darauf im Juni 1227 schied er aus der Heimath, um nicht zurückzukehren, sondern gleich seinem Oheim im Dienst des Kreuzes sein Leben zu lassen. Schon mehrmals seit 1223 hatten ihn Kaiser und Papst zur Kreuzfahrt gemahnt, der Kaiser hatte ihm eine bestimmte Summe für die Kosten derselben bewilligt und endlich noch jene Eventualbelehnung gewährt, so verliert allerdings die Kreuzfahrt des Landgrafen von ihrem romantischen Schimmer. Am 24. Juni zog L. von Schmalkalden aus, am 3. August traf er mit dem Kaiser in Apulien zusammen. Obwohl bereits unter den versammelten Kreuzfahrern eine Seuche ausgebrochen war, schifften sich doch der Kaiser und der Landgraf am 8. September in Brindisi ein. Aber alsbald erkrankten beide heftig und als sie in Folge dessen in Otranto am 10. September landeten, starb schon am folgenden Tage der jugendliche Fürst Thüringens. Seine Gebeine wurden nach Reinhardsbrunn gebracht und haben 1292 nach einem Brande des Klosters beigetragen, demselben wieder zu Wohlstand zu verhelfen. Sie wurden als wunderthätig ausgegeben, canonisirt ist aber L. nie. In Anerkennung seiner dem Reich geleisteten Dienste gewährte Friedrich II. alsbald nach Ludwigs Tode auch seinem Sohne Hermann die Eventualbelehnung mit Meißen, aber schon nach zwanzig Jahren waren vielmehr die Wettiner in der Lage, das Geschlecht der Ludwige zu beerben, Thüringen fiel an Meißen und wurde für immer der selbständigen politischen Rolle beraubt, welche es im 12. und der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts unter einer Reihe trefflicher Fürsten gespielt hatte. Unzweifelhaft einer der Begabtesten aus der Reihe dieser Landgrafen ist L. der Heilige. Thüringen besitzt an den Sagen von dem Leben und Wesen dieses Fürsten und seiner Gemahlin Elisabeth einen unvergänglichen Schatz, der nur hier nicht gehoben werden konnte. Quelle für die Geschichte Ludwigs sind allein die Annalen Bertolds, welche einen Bestandtheil der Reinhardsbrunner Historien bildeten und aus den verschiedenen Ableitungen derselben, namentlich den Annales Reinhardsbr. ed. Wegele zu reconstruiren sind. Dem deutschen „Leben Ludwigs“ (herausg. von H. Rückert 1851) des Reinhardsbrunner Schulmeisters Friedrich Köditz entspricht kein lateinisches Original, sondern die Biographie ist aus den Historien herausgelöst und übersetzt worden. In wieweit für die Schilderung der Persönlichkeit Ludwigs die legendarischen Quellen der Geschichte der heiligen Elisabeth etwa benützt werden dürfen, ist durch eine kritische Behandlung derselben erst noch festzustellen.

Knochenhauer, Geschichte Thüringens (in dieser Partie veraltet). C. Wenck, Entstehung der Reinhardsbrunner Geschichtsbücher, 1878, cap. II und IV. E. Bernecker, Beiträge zur Chronologie der Regierung Ludwigs des Heiligen, Landgrafen von Thüringen, Königsb. Diss. 1880. Böhmer’s Regesten Friedrichs II. und Heinrichs (VII). Neue Ausgabe von J. Ficker 1881 und 1882. – Bezüglich des Zugs gegen Lebus s. Smolka in der Zeitschrift f. schles. Gesch. XII, 116. Caro in den Forschungen z. D. Gesch. XXIII, 329.