Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Feuerbach, Ludwig Andreas“ von Carl von Prantl in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 6 (1877), S. 747–753, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Feuerbach,_Ludwig&oldid=- (Version vom 24. November 2024, 05:12 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Feuerbach, Karl
Nächster>>>
Feuerborn, Justus
Band 6 (1877), S. 747–753 (Quelle).
Ludwig Feuerbach bei Wikisource
Ludwig Feuerbach in der Wikipedia
Ludwig Feuerbach in Wikidata
GND-Nummer 118532758
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|6|747|753|Feuerbach, Ludwig Andreas|Carl von Prantl|ADB:Feuerbach, Ludwig}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118532758}}    

Feuerbach: Ludwig Andreas F., geboren als vierter Sohn des Criminalisten Anselm F. am 28. Juli 1804 in Landshut, † am 13. Sept. 1872 in Rechenberg bei Nürnberg, hatte die Vorbereitungsstudien zunächst in seiner Geburtsstadt begonnen und hierauf in Ansbach, wohin sein Vater im J. 1816 als Präsident umgesiedelt war, im Herbste 1822, vollendet und beschäftigte sich hierauf während eines halben Jahres entsprechend seiner damals frommen Richtung mit einer Privatlectüre, welche ihn zum Berufe des Theologen vorbereiten sollte (neben Gibbon und Mosheim studirte er besonders Eichhorn’s Einleitung in das alte und neue Testament, sowie Herder’s, Luther’s und Hamann’s Schriften). So vorbereitet, bezog er zu Ostern 1823 als glaubensvoller Candidat die Universität Heidelberg, wo er sich von den Vorlesungen Daub’s in hohem Grade befriedigt fühlte, weniger durch dasjenige, was er bei Paulus hörte, am wenigsten aber durch den Vertreter der Philosophie Erhard. Daub war es auch, welcher ihm rieth, nach Berlin zu gehen, und hierin das Widerstreben des Vaters überwinden half. Vier Semester (Ostern 1824 bis Ostern 1826) verblieb F. in Berlin, hörte bei Schleiermacher und bei Neander und besuchte sämmtliche Vorlesungen Hegel’s mit Ausnahme der Aesthetik. Letzterer wirkte mächtigst auf ihn, und es ist beachtenswerth, daß auch Schleiermacher’s Auffassungsweise ihn nicht bei der Theologie festzuhalten vermochte. Schon im J. 1825 war die Wendung in ihm vollendet. „Die Theologie“, – schreibt er an seinen Vater am 22. März – „kann ich nicht mehr studiren, … sie ist für mich eine verwelkte schöne Blume, eine abgestreifte Puppenhülle, eine überstiegene Bildungsstufe; … mich wieder in die Theologie zurückweisen, hieße einen unsterblich gewordenen Geist in die einmal abgelegte sterbliche Hülle wieder zurückwerfen; … ich will die Natur an mein Herz drücken, vor deren Tiefe der feige Theolog zurückbebt, … den Menschen, aber den ganzen Menschen,“ – [748] Worte, welche sowol die herannahende Verabschiedung des vorerst mit Begeisterung ergriffenen Hegelianismus bereits verkünden, als auch die ganze weitere Entwicklung des Feuerbach’schen Denkens im Keime andeuten. Als baierischer Stipendiat (er bezog jährlich 800 Fl.) hatte F. die Obliegenheit, auch eine Landesuniversität zu besuchen und so begab er sich, nachdem er ein halbes Jahr in Ansbach verweilt hatte, 1827 nach Erlangen, wo er, um Botanik, Anatomie und Physiologie kennen zu lernen, hauptsächlich bei den Professoren Koch und Fleischmann hörte.

Er hatte nun den Boden gewonnen, auf welchem er in seiner durchaus contemplativen Geistesanlage fortbaute, indem er sich sowol in die Geschichte der Philosophie vertiefte, als auch in anderen Gebieten eine höchst ausgedehnte Belesenheit erwarb und dabei mit dem unbeugbarsten Triebe nach Wahrhaftigkeit, welcher ihn auch zum ausgesprochenen Hasse gegen jeglichen Schein veranlaßte, den innersten Kern seiner Anschauung weiter entwickelte. Es lag hierbei nicht in seiner Begabung, etwa ein allseitiges System der Philosophie in plastischer Ruhe zu gestalten, noch auch gestattete ihm sein stürmischer Drang den Anschluß an eines der vorhandenen Systeme, ja er stand diesen allen mit einer gewissen bohrenden Skepsis gegenüber und gelangte so zu seinem bekannten Ausspruche: „Keine Philosophie meine Philosophie". Jener innere Kern aber, auf welchen er hierbei stets wieder anknüpfend zurückkehrte, lag in dem erwähnten festen Bewußtsein der Unmöglichkeit, dem Gebiete der Theologie fürder folgen zu können. Dem Widerspruche zwischen Theologie und Philosophie will er bis in die letzten Tiefen nachspüren, und so wendet er sich von Hegel’s Neuplatonismus, welchen die Theologen immerhin für sich zurechtzulegen vermochten, gründlichst ab, um einen ausschließlichen und vollen Anthropologismus als Grundlage der Religion festzustellen und durchzuführen. Auf dieses Ziel blickte er unverrückt in seiner ganzen schriftstellerischen Thätigkeit und alles übrige, auch Geschichte der Philosophie und Naturwissenschaft, erhielt wesentlich die innerste Beziehung auf diesen Einen Punkt.

Feuerbach’s äußeres Leben, welches in schlichter Einfachheit, ja in stiller Zurückgezogenheit verfloß, tritt im Vergleiche mit den Entwicklungsstufen der inneren Productivität fast in den Hintergrund. Im J. 1828 promovirte und habilitirte er sich an der Universität Erlangen mit einer Dissertation „De ratione una universali infinita“, in welcher das Absolute, welches Hegel als den aus der Entäußerung des natürlichen Seins zurückkehrenden Geist gefaßt hatte, bereits die Correctur erfährt, daß bei der einen allgemeinen Vernunft das Wesen derselben von ihrem Dasein nicht unterschieden werden dürfe, und daß es eine abenteuerliche Vorstellung sei, wenn man meine, die „unbefleckte Jungfrau Logik“ könne aus sich selbst eine Natur hervorbringen oder entlassen. Die Vorlesungen, welche er einige Semester hindurch hielt, hatten theils Cartesius und Spinoza, theils Logik und Metaphysik zum Gegenstande (das wesentliche aus letzterem Collegienhefte ist jetzt in K. Grün’s unten anzuführendem Werke veröffentlicht). Doch sowie er selbst kein hervorragendes Lehrtalent besaß, so trat außerdem dem Erfolge seiner Vorlesungen alsbald auch theologische Anfeindung hindernd entgegen, und er verließ 1832 den Lehrstuhl. Er hatte nämlich 1830 anonym eine Schrift „Gedanken über Tod und Unsterblichkeit“ veröffentlicht, welche ihm, wie auch sofort sein Vater erkannte, nach den Anschauungen der maßgebenden Kreise eine heftige Gegnerschaft hervorrufen mußte. Er verneinte ja die persönliche Unsterblichkeit, und von dem Grundsatze ausgehend, daß die Schranke der Persönlichkeit eben die Natur in ihrer räumlichen und zeitlichen Bestimmtheit sei, forderte er, daß die Menschheit, in welcher der Geist sich ewig aus dem Schoße seiner Fülle in neuen vergänglichen Individuen entfalte, sich völlig auf diese ihre gegenwärtige Welt [749] mit ganzem Herzen concentrire und somit ihre Sterblichkeit gerade als religiöse Angelegenheit des Herzens betrachte. Den gleichen Grundgedanken variirte er in den zur selben Zeit (1830) gleichfalls anonym erschienenen „Satirisch-theologischen Distichen“, deren einige jedoch vom Herausgeber (J. Ad. Stein in Nürnberg) verfaßt sind. Daß in Folge dieser Schriften die Fortsetzung der akademischen Laufbahn schwere Hindernisse fand, erfuhr F. deutlichst, indem er drei Mal vergeblich (zum letzten Male 1836) sich um eine außerordentliche Professur bewarb; auch seine Bemühungen, durch V. Cousin eine Stellung in Paris zu finden, sowie die Versuche, einen Lehrstuhl in Bern oder eine passende Thätigkeit in dem jung aufblühenden Griechenland zu erlangen, waren erfolglos; von Berlin aus kam ihm nur Ed. Gans dadurch entgegen, daß er ihm die Mitarbeiterschaft an den „Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik“, dem bekannten Organ des Hegelianismus, anbot. F. hielt sich in jenen Jahren abwechselnd in Frankfurt, in Ansbach und in Nürnberg auf, für das Wintersemester 1835–36 kehrte er noch ein Mal zur Lehrthätigkeit nach Erlangen zurück und las über Geschichte der neueren Philosophie (ein Auszug aus diesem Collegienhefte findet sich jetzt gleichfalls bei K. Grün). Bei einem seiner Ausflüge, welchen er 1833 von Ansbach aus nach Bruckberg (etwa drei Stunden entfernt in der Richtung gegen Nürnberg) machte, lernte er Bertha Löw kennen, welche als Tochter des verstorbenen Inspectors der dortigen Porcellanfabrik bei ihrem Schwager (Stadler), dem nunmehrigen Leiter der Fabrik, lebte. Nach zwei Jahren verlobte er sich mit diesem Mädchen und am 12. Nov. 1837 erfolgte die eheliche Verbindung unter ärmlichen Verhältnissen, indem zu den kleinen Einkünften, welche die Gattin noch aus der Fabrik bezog, nur 420 Gulden als jährliche Pension Feuerbach’s kamen: der geringe Ertrag schriftstellerischer Thätigkeit mußte vor drückendster Noth retten. F. lebte dort in völliger Zurückgezogenheit, streifte unter Tags vielfach in den benachbarten Wäldern umher und unterhielt sich Abends in der Schloßwirthschaft mit Handwerkern und Bauern. Doch seit 1841 machte er zuweilen Reisen, welche ihn in die Rheinpfalz, nach Heidelberg, Straßburg, Freiburg im Br. und in die Schweiz führten. Die stille Stätte aber in Bruckberg war der Entstehungsort zahlreicher Schriften.

Noch während des ersten Erlanger Aufenthaltes hatte er sich auf geschichtliche Studien geworfen, und als Frucht derselben war bereits 1833 der erste Band seiner „Geschichte der neueren Philosophie“ erschienen (derselbe betraf Baco, Hobbes, Gassendi, Böhme, Cartesius, Malebranche und Spinoza) und hatte verdientes Aufsehen erregt, indem in der That F. als Geschichtschreiber der Philosophie (mag man im Uebrigen über die Ansichten desselben denken, was man wolle) unleugbare Vorzüge einer lebensfrischen und wahrhaft geistreichen Darstellung aufweist – Vorzüge, welche auch dadurch nicht aufgewogen werden, daß er zuweilen allzu scharfe Pointen wählt. Der zweite Band des Werkes (1836), welcher die Leibniz’sche Philosophie zum Gegenstande hat, kann gradezu als meisterhaft bezeichnet werden; hier bot einerseits die theologisirende Richtung des Leibniz manchen Anlaß zu einschneidender Kritik, während andererseits der Individualismus der Monadenlehre für F. sympathische Anschauungen enthielt. In letzteren liegt ein Zusammenhang mit der etwas früheren Schrift „Abälard und Heloise oder der Schriftsteller und der Mensch“ (1834), in welcher F. unter zahlreichen Kundgebungen des feinsten Humors wieder auf die Unsterblichkeitsfrage zurückkommt und, wie er selbst sagt, mit einer Art Polytheismus die Bejahung der Individualität, in welcher der Geist sich mit der Liebe verbindet, fordert. Seine Betheiligung an den „Berliner Jahrbüchern“ und den dieselben ablösenden „Halle’schen Jahrbüchern“, welche bekanntlich das Organ der Hegel’schen Linken waren und nach wenigen Jahren einem Verbote der preußischen und der [750] sächsischen Regierung erlagen, erstreckte sich noch in die Bruckberger Zeit hinein. Die von ihm veröffentlichten Recensionen (z. B. besonders über Kuhn’s Darstellung Jacobi’s, über Hegel’s Philosophie der Geschichte, über Bachmann’s Anti-Hegel, über Stahl’s Rechtsphilosophie, über Hock’s Cartesius, über K. Beyer’s Idee der Freiheit) sind beredte Zeugnisse seiner ausgedehnten Litteraturkenntniß und seiner kritischen Schärfe, sowie auch des eigenen Entwicklungsganges, in welchem er innerlichst den Hegelianismus überwand, welcher, wie er selbst sagte, für ihn bereits zum Objecte der Geschichte geworden war. Bekannte er doch auch bald nach der Ansiedlung in Bruckberg (1837) in einem Briefe, „er wasche sich hier den Sand, welchen ihm die Berliner Staatsphilosophie in die Augen gestreut, in der Natur aus“, und wenn er hieran den Ausspruch knüpft, daß alle abstracten Wissenschaften den Menschen verstümmeln, hingegen die Naturwissenschaft allein denselben restaurire, so drückt er den gleichen Sinn in der Recension der Bachmann’schen Schrift mit den Worten aus, er habe sich mit der gewaltigen Muskelkraft seines innerlichen Naturalismus den Fesseln der Begriffsphilosophie und der dialektischen Methode entwunden.

Mit der ersten in Bruckberg verfaßten größeren Schrift „Pierre Bayle,[WS 1] Beitrag zur Geschichte der Philosophie und der Menschheit“ (1838), treten wir in die Periode der Reife Feuerbach’s ein. Neben der geistreichen Behandlung des litterarischen Materiales, welches sich um P. Bayle gruppirt, liegt das Hauptthema in dem zwischen Glauben und Wissen bestehenden Widerspruche und mit besonderer Bezugnahme auf das Christenthum in dem Nachweise des unversöhnlichen Dualismus und des unlösbaren Zwiespaltes zwischen Gott und Welt, Himmel und Erde, Gnade und Natur, Geist und Fleisch, Glaube und Vernunft. Rasch folgte nach: „Zur Kritik der Hegel’schen Philosophie“ (1839), in welcher Schrift F. an die grundsätzlichen schwerwiegenden Bedenken, daß das „reine Sein“ überhaupt nicht mehr ein „Sein“ sei, daß es auch an der angeblichen Voraussetzungslosigkeit desselben gebreche, da ja die absolute Idee bereits als Voraussetzung zu Grunde liege, daß Hegel wol Platz für die Zeit, nicht aber für den Raum habe, daß er das einzig wahrhaft Voraussetzungslose, d. h. die Natur, nicht zu erklären vermöge, sondern höchstens indirect anerkennen könne u. s. f., die entschiedenste positive Forderung der Rückkehr zur Natur knüpft, da die Philosophie nichts anderes sein könne als die „Wissenschaft der Wirklichkeit in ihrer Wahrheit und Totalität“. Gleichzeitig erschien „Ueber Philosophie und Christenthum“ 1839), worin F. den religionsphilosophischen Standpunkt Hegel’s ablehnte, da die Verschiedenheit zwischen Religion und Denken nicht etwa blos in der Form, sondern im Wesen derselben selbst liege und außerdem es ungehörig sei, Religion, als identisch mit Theologie zu nehmen. Hier bereits finden wir den Ausspruch Feuerbach’s, daß Religion egoistische Beziehung auf das Subject sei, während Philosophie Beziehung auf das Object sein müsse, und in solchem Sinne entwickelte F. bezüglich der Religion seinen naturalistischen Anthropologismus ausführlicher in der Schrift „Das Wesen des Christenthums“ (1841), deren erster Theil dem Nachweise gilt, daß alle Erkenntniß Gottes nur Selbsterkenntniß des Menschen ist, indem zwischen den Prädicaten des göttlichen und des menschlichen Wesens kein Unterschied besteht und somit auch Gott als metaphysisches Wesen nur die in sich selbst befriedigte Intelligenz des Menschen ist, worauf im zweiten Theile eben dieser Standpunkt, welcher sich in den Spruch „Homo homini deus“ zusammenfassen läßt, mehr eine polemische Verwendung findet, um aus der Verneinung jenes Scheines, welcher das Wesen des Menschen vom Menschen scheidet, zur Bejahung des wirklichen Menschen-Wesens zu gelangen und zu zeigen, daß, sowie das Wunder nur realisirter Wunsch des Menschen ist, alle Mysterien der Religion eben Mysterien der menschlichen Natur [751] sind. So konnte F. allerdings in dem Organe der äußersten Hegel’schen Linken (1842) seinen eigenen Unterschied von Hegel dahin präcisiren, daß, was bei jenem subjectiv formell, bei ihm objectiv wesentlich sei, und daß, während Hegel die Religion im dialektischen Gedanken und in speculativer Dogmatik betrachte, er selbst dieselbe in ihrem wirklichen Wesen und in jenem einfachen Acte des Gebets fasse, in welchem sich die Liebe des Menschen zu seinem eigensten innersten Wesen ausspricht. Und wenn er zur gleichen Zeit in den „Vorläufigen Thesen zur Reform der Philosophie“ (1842) den absoluten Geist als den abgeschiedenen Geist der Theologie bezeichnet, welcher eben noch als Gespenst in Hegel’s Philosophie umgehe, und hieran die Forderung einer wahren Philosophie knüpfte, welche nichts anderes sein könne als die wahre Empirie, so gab er über letzteres alsbald in den „Grundsätzen der Philosophie der Zukunft“ (1843) einige nähere Andeutung, wobei abermals der Gegensatz gegen Hegel zum scharfen Ausdrucke gelangt. Wenn F. hier das gelungene Wort ausspricht, daß Hegel nicht etwa der deutsche Aristoteles, sondern nur der deutsche Proklus[WS 2] sei, oder wenn er sagt, das Geheimniß Hegel’s liege darin, daß er die Theologie durch Philosophie und dafür wieder die Philosophie durch Theologie negire, sowie er das Sinnliche als das Unvernünftige in der Vernunft construire, so ist solches gewiß ebenso richtig wie die Bemerkung, daß sämmtliche Kategorien Hegel’s eben nur Beziehungsbegriffe seien, oder daß es vernünftiger wäre, die sinnliche Natur auf directe, selbst sinnliche Weise anzuerkennen, – aber wie sich die von F. geforderte Existential-Philosophie im einzelnen gestalten, geschweige denn systematisch abrunden solle, bleibt im Unklaren; denn es ist doch eine etwas dürftige Auskunft, daß nur die Fleisch und Blut, d. h. Mensch, gewordene Philosophie die wahre Philosophie sei, welche „das Dasein zu enthüllen“ vermöge, oder daß nur dasjenige wahr und göttlich sein könne, was, ohne eines Beweises zu bedürfen, unmittelbar durch sich gewiß ist, nämlich das „Wirkliche“. Und wenn dann nur das Sinnliche, d. h. das Individuum, als das Wirkliche, hingegen das Allgemeine als „Illusion“ des Individuums bezeichnet wird, so dürften wir bei einer Verneinung der Philosophie überhaupt angekommen sein und sonach mancherlei materialistische Ausdrucksweise erklärlich finden, wenn auch hinwiederum bezüglich der Selbsterhaltung des Menschen dem sittlichen Gebote der Liebe gegenüber dem wesentlich bösen Egoismus der Charakter einer Idealität zugesprochen wird. Es zeigt sich eben, daß aus der Einsicht in die Abstrusität der Hegel’schen Philosophie und aus sachlich tiefen Blicken in den menschlichen Religionstrieb noch lange nicht eine Philosophie der Zukunft positiv aufgebaut werden kann. Im gleichen Jahre (1843) verfaßte F. auch die kleinere Schrift „Wider den Dualismus von Leib und Seele“, so wie ungefähr um dieselbe Zeit ein (jetzt durch K. Grün veröffentlichtes) Manuscript „Grundsätze der Philosophie, Nothwendigkeit einer Veränderung“ und im J. 1844 folgte „Das Wesen des Glaubens im Sinne Luther’s“, wo er in gesteigerter Form die Forderung wiederholte, das abstracte Vernunftwesen als ein vom Sinnlichen verschiedenes endlich ganz abzuschütteln und den „Philosophen“ im „Menschen“ aufgehen zu lassen. Der gleiche Standpunkt erhält in der Schrift „Das Wesen der Religion“ (1845) und den im nämlichen Jahre folgenden „Ergänzungen und Erweiterungen zum Wesen der Religion“ die stärkere Wendung dahin, daß die Abhängigkeit von der Natur die Quelle der Religion sei, indem der Mensch in Folge seiner Wünsche sich außer sich setze und zur Abhängigkeit von einem Gotte gelange; in diesem Sinne sei die Religion ein Gespräch des Menschen mit sich selbst, und in der Religion liebe sich der Mensch in Gottes Namen, außerhalb der Religion in seinem eigenen Namen. Auch auf seine Erstlingsschrift kam er nun zurück („Ueber meine Gedanken über Tod und Unsterblichkeit“, 1846) und lenkte dieselbe durch Zusätze [752] in die Auffassung hinüber, daß Gott nichts anderes als die Natur selbst ist. In der Vorrede zur Gesammtausgabe seiner Schriften, welche er im J. 1846 nicht ohne Widerstreben begann, blickte er auf seine bisherige Entwicklung zurück und bezeichnete als den entscheidenden Wendepunkt die im J. 1841 gewonnene Einsicht, daß das Wesen, welches man der Sinnlichkeit entgegenzusetzen pflegt, eben nur das abstracte idealisirte Wesen der Sinnlichkeit selbst ist („keine sinnliche Existenz ist keine Existenz“).

Das J. 1848 fand ihn lediglich als zuschauenden Beobachter der Bewegung und vergeblich erwarteten die Radicalsten von ihm eine schriftstellerische Unterstützung ihrer Pläne. Aber zu einer vorübergehenden öffentlichen Lehrthätigkeit ließ er sich veranlassen, indem er einer begeisterten Einladung folgte, welche von Heidelberger Studenten an ihn erging, und vom December 1848 bis März 1849 im Rathhause zu Heidelberg Vorlesungen über das Wesen der Religion hielt (dieselben wurden 1851 gedruckt). In der Zeit der hereinbrechenden Reaction widerstand er den Lockungen, nach Amerika umzusiedeln, und beschenkte dafür die Litteratur mit dem vortrefflichen Werke über seinen Vater: „Anselm Ritter v. Feuerbach’s Leben und Wirken“ (1852, 2 Bde.). Durch das Zusammentreffen vieler mißlicher Umstände erfolgte 1854 der Bankrott der oben erwähnten Fabrik zu Bruckberg und es begann für F. eine Zeit des Druckes äußerer Verhältnisse, während deren er seine Schrift „Theogonie nach den Quellen des classischen, hebräischen und christlichen Alterthums“ (1857) veröffentlichte. In derselben führte er mit Lebhaftigkeit seinen Standpunkt, daß die Götter personificirte menschliche Wünsche sind, an einem reichen Materiale durch, welches allerdings mehr zu scharf und witzig pointirter Polemik, als zu historisch-kritischer Construction verarbeitet ist. Im J. 1860 kam es dazu, daß F. Bruckberg verlassen mußte; er siedelte nach Rechenberg bei Nürnberg um, wo Mangel und Noth auf ihn einstürmten und der Aufenthalt in unheizbaren Räumen seine Gesundheit erschütterte. Zu Hülfe aber kam theils gegen Ende des J. 1862 die Schillerstiftung, theils 1863 ein Unbekannter, welcher auf 6 Jahre eine kleine Leibrente anwies; und F., welcher nun auch die neueste naturwissenschaftliche Litteratur zu studiren begann (worüber ihm ein Mal bei Besprechung Moleschott’s die bekannte Pointe entschlüpft war „Der Mensch ist, was er ißt“), kehrte zur schriftstellerischen Thätigkeit zurück. Es fällt in das J. 1865 ein (jetzt gleichfalls veröffentlichtes) Manuscript über Zinzendorf und die Herrenhuter, und 1866 erschien „Gottheit, Freiheit und Unsterblichkeit vom Standpunkte der Anthropologie“. In dieser seiner letzten Druckschrift legt er die ihm festgewurzelten Grundsätze als Maßstab an die allbekannten drei Postulate Kant’s und sucht namentlich, indem er den Willen als identisch mit dem Glückseligkeitstriebe nimmt, grade aus dem Determinismus einen eigenthümlichen Begriff der Freiheit zu gewinnen, welcher auch zur Widerlegung des Schopenhauer’schen Pessimismus dient. Die hiermit zusammenhängende Auffassung der Ethik legte er gleichzeitig in einem Manuscripte nieder, welches im J. 1868 seinen Abschluß fand (desgleichen jetzt publicirt); dort betrachtet er die Sittlichkeit als die Vereinbarung des fremden Glückseligkeitstriebes mit dem eigenen und kann sich so am Abende seines Lebens nicht mit Unrecht in gewissem Sinne als einen Idealisten im Gebiete der praktischen Philosophie bezeichnen. Schon im J. 1867 hatte ihn ein allgemeines Unwohlsein ergriffen und ein gelinder Schlagfluß eine vorübergehende Lähmung verursacht; doch erholte er sich im Herbste dieses Jahres durch einen Aufenthalt in Goisern bei Ischl, wo ihn sein edler Freund Konr. Deubler pflegte. Im Juli 1870 trat ein zweiter Schlaganfall ein und F. ging in jeder Beziehung einem schlimmen Winter entgegen. Die Anregung einer öffentlichen Sammlung für ihn hatte (1871) den günstigen Erfolg, daß sie die Geldsorge von ihm nahm. [753] Schon im folgenden Frühjahre aber wurde er wieder bettlägerig und in Folge einer Erkältung starb er am 13. Sept. 1872 an Lungenlähmung. Er wurde auf dem Johanniskirchhofe zu Nürnberg beerdigt, woselbst ihm H. v. Cramer-Klett ein Denkmal aus Sandstein errichten ließ.

Feuerbach’s persönlicher Charakter war geziert durch makellose sittliche Gesinnung, anspruchslose Bescheidenheit, gewinnende Herzensgüte und opferwillige Mildthätigkeit; der Stil seiner Schriften, welche er möglichst von Fremdwörtern rein hielt, ist äußerst gewandt, zumal in scharf gespitzten Gleichnissen und Bildern, aber ohne Schönrednerei, klar, markig und eindringlich.

C. Beyer, Leben und Geist Ludwig Feuerbach’s, 4. Aufl. Leipzig 1873. Hauptsächlich aber: Karl Grün, Ludwig F. in seinem Briefwechsel und Nachlaß, sowie in seiner philosophischen Charakterentwicklung, Leipzig u. Heidelberg 1874, 2 Bde. Hierzu kam ergänzend: Briefwechsel zwischen Ludwig F. und Christian Kapp, 1832–48. Herausgegeben und eingeleitet von August Kapp, Leipzig 1876.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Pierre Bayle (1647–1706), französischer Schriftsteller und Philosoph.
  2. Proklus, der letzte namhafte Neuplatoniker (412–485)