ADB:Kuhn, Johannes Evangelist von

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Artikel „Kuhn, Johannes von“ von Friedrich Lauchert in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 51 (1906), S. 418–420, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Kuhn,_Johannes_Evangelist_von&oldid=- (Version vom 24. November 2024, 04:15 Uhr UTC)
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Kuhn: Johannes von K., katholischer Theologe, geboren am 19. Februar 1806 zu Wäschenbeuren (Oberamt Welzheim, Württemberg), † am 8. Mai 1887 zu Tübingen. Er machte seine Gymnasialstudien in Gmünd, Ellwangen und Rottweil, studirte dann 1825–1830 Philosophie und Theologie in Tübingen, wo er 1830 den Preis der philosophischen Facultät für Lösung der Preisfrage über die Jacobi’sche Philosophie erhielt, trat Herbst 1830 in das Priesterseminar zu Rottenburg und wurde am 14. September 1831 daselbst zum Priester geweiht. Hierauf machte er noch eine wissenschaftliche Reise und hielt sich inbesondere in München auf, um Schelling zu hören. Herbst 1832 wurde er als ordentlicher Professor der neutestamentlichen Exegese an die damalige katholisch-theologische Facultät in Gießen berufen, deren kurze Blüthezeit die wenigen Jahre bis 1837 bilden, in denen K. und Staudenmaier an derselben wirkten (vgl. Lauchert, F. A. Staudenmaier. Freiburg 1901, S. 111 ff.). Ostern 1837 folgte er einem Rufe nach Tübingen, zunächst ebenfalls als Professor der neutestamentlichen Exegese; 1839 übernahm er daselbst den Lehrstuhl der Dogmatik. 1848 wurde er vom Amt Ellwangen in den württembergischen Landtag gewählt, 1868 vom König als lebenslängliches Mitglied in die Kammer der Standesherren berufen. Im Studienjahr 1860–61 war er Rector der Universität. Herbst 1882 wurde er auf sein Ansuchen in Ruhestand versetzt. – Das erste größere Werk Kuhn’s war eine Frucht seiner Studien auf dem Gebiete der neueren Philosophie und griff auf die Tübinger Preisarbeit zurück: „Jacobi und die Philosophie seiner Zeit. Ein Versuch, das wissenschaftliche Fundament der Philosophie historisch zu erörtern“ (Mainz 1834). Seine übrige litterarische Thätigkeit während der Gießener Jahre bewegte sich auf dem Gebiete seines damaligen Lehrfaches, der neutestamentlichen Wissenschaft, und liegt in seinen Beiträgen zu den „Jahrbüchern für Theologie und christliche Philosophie“ vor, die er mit seinen Collegen an der Gießener Facultät, Locherer, Lüft und Staudenmaier, herausgab (7 Bände, Frankfurt a. M. 1834–36). Von seinen darin veröffentlichten Arbeiten sind, außer einer größeren Anzahl von zum Theil sehr umfangreichen Recensionen, zu nennen: „Ueber Apostelgeschichte 5, 36, 37“ (Bd. I, 1834, S. 3–34); „Ueber Matth. 23, 35“ (Bd. I, 1834, S. 339–372); „Die Brüder Jesu und Jacobus Alphäi“ (Bd. III, 1834, S. 3–119); „Die Bekehrung des Apostels Paulus nach ihrem inneren Zusammenhange mit seinem Lehrtypus“ (Bd. IV, 1835, S. 287–306); „Genetische Entwicklung des Paulinischen Lehrtypus“ (Bd. V, 1835, S. 3–39); „Von dem schriftstellerischen Charakter der Evangelien im Verhältniß zu der apostolischen Predigt und den apostolischen Briefen“ (Bd. VI, 1836, S. 33–91); „Hermeneutik und Kritik in ihrer Anwendung auf die evangelische Geschichte“ (Bd. VII, 1836, S. 1–50). Den Abschluß seiner Arbeiten auf diesem Gebiete bildet nach seiner Uebersiedelung nach Tübingen das unvollendet gebliebene, den destructiven Tendenzen von Strauß entgegentretende Werk: „Das Leben Jesu wissenschaftlich bearbeitet“ (nur Bd. I erschienen, Mainz 1838), wozu noch die Abhandlung kommt: „Ueber den Bildungsgang Jesu, besonders über den Einfluß der jüdischen Erziehung auf die Entwicklung seines Messiasbewußtseins“ (Theologische Quartalschrift 1838, S. 1–30). Mit der Uebernahme des Lehramtes der Dogmatik sah sich K. in denjenigen Wirkungskreis versetzt, zu dem er nach seiner ganzen Veranlagung in hervorragender Weise berufen war. Als eine „tief speculativ [419] angelegte philosophische Natur mit scharfer Unterscheidungsgabe, unerbittlicher Logik und gewandter Dialektik“ (Schanz) betrachtete er von da an die Pflege der speculativen Dogmatik als seine Lebensaufgabe. In seinen Bestrebungen, die christlich-katholische Weltanschauung wissenschaftlich zu begründen und dadurch den Pantheismus der zeitgenössischen Philosophie wissenschaftlich zu überwinden, war er neben Staudenmaier der bedeutendste speculative Dogmatiker der von Drey und Möhler begründeten katholischen Tübinger Schule, seit dessen Tode der anerkannte Führer der neueren Richtung der katholischen Dogmatik. Schon seine erste gedruckte Arbeit war eine Abhandlung: „Ueber den Begriff und das Wesen der speculativen Theologie oder christlichen Philosophie“ (Theol. Quartalschrift 1832, S. 253–304, 411–444). Wieder gab er dann programmatische Ausführungen in der Abhandlung: „Ueber Princip und Methode der speculativen Theologie“ (als Tübinger Universitätsprogramm 1840, und in der Theol. Quartalschrift 1841, S. 1–80). Die vorher erschienene Schrift: „Ueber Glauben und Wissen, mit Rücksicht auf extreme Ansichten und Richtungen der Gegenwart“ (Tübingen 1839, und in der Theol. Quartalschrift 1839, S. 382–503) gab im ersten Theil positive Ausführungen über das „Verhältniß des Glaubens zum Wissen nach katholischer Ansicht“, im zweiten Theil polemische Auseinandersetzungen mit der Hegel’schen Religionsphilosophie, dem Hermesianismus und dem Traditionalismus Bautains. Gegen den Hermesianismus richtet sich weiter die Abhandlung: „Hermesische Obelisken“ (Theol. Quartalschrift 1840, S. 282–311). Auseinandersetzungen mit der das Christenthum auflösenden pantheistischen Speculation geben die Abhandlungen: „Die moderne Speculation auf dem Gebiet der christlichen Glaubenslehre“ (Theol. Quartalschrift 1842, S. 171–225; 1843, S. 3–75, 179–226, 405–467) und „Die Schelling’sche Philosophie und ihr Verhältniß zum Christenthum“ (Theol. Quartalschrift 1844, S. 57–88, 179–221; 1845, S. 3–39). Nach diesen Arbeiten begann das Erscheinen des großen Haupt- und Lebenswerkes Kuhn’s: „Katholische Dogmatik“ (Tübingen 1846 ff.); von diesem groß angelegten Werk, das leider ebenso wie die Dogmatik Staudenmaier’s unvollendet blieb, erschienen folgende Theile: Bd. I, 1. Abtheilung: „Einleitung in die katholische Dogmatik“ (1846; 2. Aufl. 1859, vollständig umgearbeitet); Bd. I, 2. Abtheilung: „Die dogmatische Lehre von der Erkenntnis, den Eigenschaften und der Einheit Gottes“ (1849; 2. Aufl. 1862); Bd. II: „Die christliche Lehre von der göttlichen Dreieinigkeit“ (1857); der Band der Lehre von der Gnade, den K. gewissermaßen als Fortsetzung betrachten wollte, ist später zu erwähnen. Von kleineren Arbeiten, die während der Arbeit an diesen Bänden der Dogmatik erschienen, sind die in der Theologischen Quartalschrift veröffentlichten Abhandlungen zu nennen: „Ehrenrettung des Dionysius Petavius und der katholischen Auffassung der Dogmengeschichte“ (1850, S. 249–293); „Die christliche Lehre von der göttlichen Gnade“ (1853, S. 68 ff., 197 ff.); „Der angebliche Pelagianismus der voraugustinischen Väter“ (1853, S. 433 ff.); „Zur Lehre von dem Worte Gottes und den Sacramenten“ (1855, S. 3 ff.); „Die theologischen Streitigkeiten in der römischen Kirche im 3. Jahrhundert“ (1855, S. 343 ff.); „Die formalen Principien des Katholicismus und Protestantismus“ (1858, S. 3 ff., 185 ff., 385 ff.). Das letzte Jahrzehnt der schriftstellerischen Thätigkeit Kuhn’s ist erfüllt von den Controversen mit den Vertretern der erneuerten Scholastik (Franz Jakob Clemens, Constantin v. Schäzler), zu denen zunächst die Ausführungen Kuhn’s über das Verhältniß von Glauben und Wissen in der 2. Aufl. des I. Bandes der Dogmatik, die sich zum Theil gegen Clemens richteten, Veranlassung gaben. Zu der Controverse mit Clemens, der zunächst [420] aponyme Kritiken im Katholik, später eine größere Streitschrift gegen K. veröffentlichte, gehören die Arbeiten Kuhn’s: „Glauben und Wissen nach St. Thomas“ (Theol. Quartalschrift 1860, S. 273–340); „Philosophie und Theologie. Eine Streitschrift“ (Tübingen 1860); „Das Verhältniß der Philosophie zur Theologie nach modern-scholastischer Lehre“ (Theol. Quartalschrift 1862, S. 541 ff.; 1863, S. 3–83). (Vgl. über diese Controverse zwischen K. und Clemens das Buch von Aloys Schmid, Wissenschaftliche Richtungen auf dem Gebiete des Katholicismus in neuester und in gegenwärtiger Zeit, München 1862; zur Bibliographie vgl. Gla, Repertorium der katholisch-theologischen Litteratur, Bd. I, 2, Paderborn 1904, S. 336–338). Mit Schäzler (anonyme Aufsätze in den Histor.-polit. Blättern) setzte sich K. seit 1863 auseinander, zunächst über die Frage einer freien katholischen Universität, dann auf dogmatischem Gebiete über das Verhältniß von Natur und Gnade, Natur und Uebernatur in den Abhandlungen: „Die historisch-politischen Blätter über eine freie katholische Universität Deutschlands und die Freiheit der Wissenschaft“ (zuerst Theol. Quartalschrift 1863, S. 569–668, dann separat, Tübingen 1863); „Das Natürliche und das Uebernatürliche“ (Theol. Quartalschrift 1864, S. 175–329, und separat, Tübingen 1864); „Die Wissenschaft und der Glaube mit besonderer Beziehung auf die Universitätsfrage. Schlußwort an die Histor.-polit. Blätter“ (Theol. Quartalschrift 1864, 583–645). Auf diese Streitschriften Kuhn’s ließ Schäzler das größere Buch erscheinen: Natur und Uebernatur. Das Dogma von der Gnade und die theologische Frage der Gegenwart. Eine Kritik der Kuhn’schen Theologie. (Mainz 1865.) (Zur Bibliographie dieser Controverse vgl. Gla, a. a. O. S. 338 f.) Auf das eben genannte Buch und das weitere Werk Schäzler’s: Neue Untersuchungen über das Dogma von der Gnade (Mainz 1867) antwortete K. mit seinem letzten größeren Werke: „Die christliche Lehre von der göttlichen Gnade. Erster und allgemeiner Theil: Die ursprüngliche Gnade und die damit zusammenhängenden Untersuchungen über den Begriff und das Wesen der Gnade überhaupt, mit besonderer Beziehung auf die Scholastik und deren neueste Umdeutung“ (Tübingen 1868); in diesem Bande ist die Form der Darstellung durch die durchgehende Polemik gegen Schäzler bestimmt; der zweite Band, der nach Erledigung der allgemeinen und zwischen den Schulen controversen Fragen die Lehre von der Gnade des Erlösers nach der in der Trinitätslehre angewandten Methode positiv und specu1ativ darstellen sollte, ist nicht erschienen. Nach diesem Buche veröffentlichte K. nur noch die größere Abhandlung: „Die justitia originalis“ (Theol. Quartalschrift 1869, S. 179 bis 286), mit welcher seine schriftstellerische Thätigkeit abschließt. An den bei Gelegenheit des Vaticanischen Concils sich erhebenden Kämpfen nahm K. litterarisch keinen Antheil; er theilte während des Concils den Standpunkt seines alten Freundes Hefele, betrachtete aber nach der erfolgten Entscheidung des Concils und nach der Unterwerfung der Minoritätsbischöfe jede weitere Opposition für unerlaubt. Daß die litterarischen Fehden, in die er während des vorausgehenden Jahrzehntes verwickelt war, die Fortsetzung und Vollendung seines dogmatischen Hauptwerkes verhinderten und daß er darüber überhaupt die Lust zu weiterer positiver Production verloren hatte, kann nicht genug bedauert werden.

Schanz, Zur Erinnerung an Johannes Evangelist v. Kuhn; Theol. Quartalschrift 1887, S. 531–598. – Ders., Gedächtnißrede auf Joh. Ev. v. Kuhn, gehalten bei dessen Beerdigung am 10. Mai 1887. Rottenburg. a. N. 1887. – Ders. im Kirchen-Lexikon, 2. Aufl., Bd. VII (1891), Sp. 1238–1242.