ADB:Hamann, Johann Georg (Philosoph)
[1] den 21. Juni 1788. Sein Vater, Joh. Christoph H., war Wundarzt und Vorsteher der altstädtischen Badestube, als „der altstädtische Bader“ in seiner Vaterstadt von allen gekannt und geschätzt; seine Mutter Marie geb. Nuppenau stammte aus Lübeck. Sie war eine viel kränkelnde Frau von stillem duldsamen Wesen; der Vater, thätig und betriebsam, verehrte besonders gelehrte Kenntnisse, welche Vorliebe um so mehr den Charakter eines gewissen Fanatismus annehmen konnte, als er selbst in der Aneignung und dem Gebrauch solcher Schätze keine gründliche Erfahrung hatte. Durch diese Umstände war die Erziehung Hamann’s (und seines jüngeren Bruders) bestimmt. Den Kindern wurde wenig Raum zu kindlichem Lebensgenuß gegönnt, die kleinen Thorheiten des Kindesalters waren scharf geahndet; früh an ein strenges abgeschlossenes Leben gewöhnt und von dem heiteren und für die Welt bildenden Verkehr mit Altersgenossen abgehalten, konnten sie nicht genug lernen, und wurden mit allen Methoden des Unterrichts geplagt. Durch solche Isolirung und die Ueberhäufung und Planlosigkeit des ersten Unterrichts ward ganz natürlich der Grund gelegt zu jener Unbeholfenheit im Weltverkehr und den Weltverhältnissen und jener unordentlichen Polyhistorie, die H. später eigneten, und die er selbst häufig beklagte oder in heiterer Selbstverspottung persiflirte.
Hamann: Johann Georg H. ward geboren zu Königsberg in Ostpreußen den 27. August 1730 und starb daselbstNachdem H. also durch die Hände von drei verschiedenen und verschieden lehrenden Privatlehrern hindurchgegangen, danach auch die Gelehrtenschule absolvirt, bezog er 1746 die Universität seiner Vaterstadt. H. war im Grunde ein ideal und im großen Maßstab angelegter Charakter. Daher konnte er sich auch mit einem sogenannten Brotstudium nicht befreunden; ihm kam es vielmehr auf die Bildung seines ganzen Menschen an – vermuthlich eine Seltenheit in jener Zeit praktischer Nüchternheit. Er liebte das Studium seiner selbst wegen und in seinen menschlichen Beziehungen, – er schätzte es nicht ab wie ein Chinese, sondern wie ein Hellene. Noch später schrieb er seinen um ihn besorgten Eltern: „Mein Beruf zum Amt ist bei mir weniger als jemals; zu arbeiten, nützlich zu sein, mich selbst zu unterrichten, mich selbst zu bessern …, und komme ich hierin weiter und weit genug, so wird es mir an Gelegenheit nicht fehlen, mit diesem Fortgang andern zu dienen.“ Damit freilich kommt man in dieser materiellen Welt ohne große Gunst der Götter nur schlecht vorwärts, man muß sich einen Sonderling, einen Leichtsinnigen, wenn nicht gar Hochmüthigen schelten lassen, und so hat es denn auch H. in der That nicht weit gebracht. Er war auf der Universität anfangs als Theolog, dann als Jurist inscribirt, pflegte aber besonders die Philologie und die schönen Wissenschaften. Fünf Jahre brachte er so auf der Universität mit seiner Bildungsarbeit zu, dann nach formellem Abschluß seiner Studien, sehnte er sich schon ins [457] Weite, nach Thätigkeit und Erlebnissen. Er ergriff das Nächste und ging 1752 als Hofmeister zu einem Baron Budberg bei Riga. Allein die Rohheit der häuslichen Sitte und Erziehung machte ihm die Stellung bald zu einer unerträglichen, so daß er veranlaßt wurde, sich in das Haus eines Familienfreundes in Riga zurückzuziehen. Von da ward er ebenfalls als Hofmeister von dem General v. Witten nach Grünhof bei Mitau berufen. Ob ihm nun schon das Leben auf Grünhof wol zusagen durfte, bewog ihn doch überhand nehmende Hypochondrie und Kränklichkeit auch diese Stellung schon 1755 wieder aufzugeben, und bei seinem Freunde Joh. Christoph Behrens, Theilhaber der großen Handelsfirma gleichen Namens, den er bereits von Königsberg her kannte, und der, eben von Paris zurückkehrend, ihn durch seine Schilderung der Großartigkeit des Verkehrslebens einzunehmen wußte, seine Wohnung aufzuschlagen. Mit ihm machte er im Sommer eine Reise nach Pyrmont. Darauf war er noch kurze Zeit auf Grünhof, wo er auf Behrens’ Anregung eine handelspolitische Schrift von Dangueil übersetzte, der er einige höchst verständige Anmerkungen beigab. Aber schon im Herbst 1756 übernahm er von Behrens eine wichtige Commission nach London. Er reiste zunächst nach Königsberg, und durfte dort noch seiner sterbenden Mutter die Augen zudrücken, Zeuge ihrer letzten Augenblicke sein. Am 1. October verließ er seine Vaterstadt, ging zunächst nach Berlin, wo er die Bekanntschaft von Mendelssohn, Sulzer und Ramler machte, dann nach Lübeck zu Verwandten, und endlich den 24. Januar 1757 über Bremen nach Amsterdam, um sich von da nach London überführen zu lassen. Schon in Amsterdam begann er Reue wegen der übernommenen Mission zu fühlen, der er sich nicht gewachsen fand. In der That scheiterten auch an Ort und Stelle seine Bemühungen vollständig. Unterdessen verfiel er durch unregelmäßiges Leben, durch schlechten Umgang, in den er aus Unkenntniß der Welt gerathen, durch Geldmangel, das drückende Gefühl der Erfolglosigkeit und angeborene Hypochondrie in einen Zustand der Verzweiflung, aus dem er sich in Erinnerung der religiösen Traditionen seiner Kindheit zur Bibel flüchtete. Dies ward der Wendepunkt seines inneren, und mittelbar auch seines äußeren Lebens. Er fand hier ein inneres Licht, das sein Herz erfüllte und seinen Kräften eine bleibende Haltung und Richtung gab. Von seiner Andacht geben die Aufzeichnungen Zeugniß, die, bei der Lecture niedergeschrieben, im ersten Band seiner Werke unter dem Titel „Biblische Betrachtungen“ auswahlsweise mitgetheilt sind.
H. kehrte also nach Riga zurück. Aber, wiewol er seinem Freunde große Unkosten vergeblich gemacht, er fand die alte wohlwollende Aufnahme und lebte nun im Behrens’schen Hause wie bisher als Lehrer der Kinder, als Gehülfe in den Geschäften. Allein bald ergaben sich Anlässe zu inneren Zerwürfnissen. Es war nicht mehr derselbe H., der heimkehrte, und das junge unruhige Feuer des neuen Lebens mochte ihn wol mitunter zu unzeitigem Bekenntnißeifer hinreißen. Behrens dagegen, der Verehrer der handelspolitischen Ideen der neuen Zeit, die aus dem Boden des Deismus gewachsen waren, war ebenso entschiedener Deist, nach ihm gehörte Gott der Himmel und dem Menschen die Erde. Die neue Façon Hamann’s wurde ihm daher bald fatal, und er ließ es nicht an Anspielungen auf Pharisäismus und dergleichen angenehmen Dingen fehlen. Dazu kam, daß die neuen Gesinnungen und Gesichtspunkte dem Handelsgeist seines Clienten Eintrag zu thun schienen. Endlich fiel es auch H. in seiner Naivität ein, seine Augen zu der Schwester des Behrens, Katharina, zu erheben, ja mit deren Bewilligung um ihre Hand förmlich anzuhalten. Sie wurde ihm unbedingt abgeschlagen. Man sieht, H. faßte das Verhältniß von vornherein ganz menschlich auf, er sah in Behrens seinen Freund, während Behrens ihn mehr aus dem Gesichtspunkte des Capitals betrachtete, und seine Geistesgaben, seinen weitsichtigen Blick eben [458] für seine Zwecke nur ausnutzen wollte. Aus dem, was sich später ergab, läßt sich mit Fug schließen, daß letztere für Behrens von nicht geringer Bedeutung gewesen sein müssen. Uebrigens, diese seine erste Liebe blieb H. unvergessen. Er widmete ihr das vierte Stück der „Kreuzzüge“ und nennt sie dort „seine Muse“, „seine einzige Freundin“, die „den Reiz einer Sevigné für seinen Geschmack und den Werth einer Maintenon für sein Herz habe“. Als er ihr dies Stück durch dritte Hand zuschickte, lehnte sie die Annahme ab. Vielleicht konnte sie es H. nicht verzeihen, daß er sie so rasch im Stich gelassen, und sich in anderen Beziehungen zu genügen schien; oder geschah es, um den Traditionen ihres Hauses treu zu bleiben? Nun, dies Alles mußte H. das fernere Zusammenleben unhaltbar erscheinen lassen. Er nahm an der Erkrankung seines Vaters einen Vorwand, und reiste im Frühjahr 1759 plötzlich nach Königsberg ab. Darüber ward Behrens nun hoch entrüstet und während H. im Hause seines Vaters in wünschenswerthester Muße theologischen, philosophischen und classischen Studien sich ergab, verfolgte Behrens ihn mit Mahnungen und Vorschlägen zur Rückkehr unablässig. Aber ebenso beharrlich lehnte H. sie ab. Da, als letzten Versuch begab sich Behrens selbst nach Königsberg, und nahm den Philosophen Kant zu H. mit, um mit vereinten Kräften dem Schwärmer Vernunft einzureden. H. antwortete mit der köstlichen Erstlingsschrift „Sokratische Denkwürdigkeiten“, denen die Anrede „An das Publicum, Niemand den Kundbaren“ und „An die Zween“ (Kant und Behrens) vorgegeben ist, 1759. Er persiflirt dort auf das Geistreichste die Beiden als Diener des Zeitgeistes, Anbeter des goldenen Kalbes, und stellt sich unter dem Bilde des Sokrates dar, der den klugen Rechnungen und dem Verstandesstolz seiner Zeit die zusammengesetzte Richtung seiner Ungewißheit und seiner Zuversicht, seiner Unwissenheit und seines Genies entgegengestellte. Sokrates war durch die Munificenz seiner Gönner in aller Weisheit seiner Zeit wol unterrichtet; aber durch den Proceß einer sittlich-intellectuellen Kritik und kritischen Zersetzung hatte sich dieses Wissen als ein hohles und Scheinwissen erwiesen und seine geblähte Wissenschaft in das Gefühl der Unwissenheit aufgelöst. Seinen eitlen Zeitgenossen zum steten Aergerniß trug er nun stets dies Capitel seiner Unwissenheit vor, aber hinter dieser (ironischen) Einkleidung versteckte sich ein besseres Wissen und Besserwissen, nicht auf künstliche Schlüsse, sondern auf innere Einsicht und Evidenz gegründet, das ihm durch göttlichen Hauch geworden, und durch das er sofern er Genie und Prophet war, zu der Wolke jener Zeugen gehörte, deren die Welt nicht werth war. Nun, Behrens, ob er wol nicht alles verstand, merkte doch die Absicht, er empfand, wie ihre Wege für immer auseinander gingen, und schied im Groll. Der Bruch war vollendet und sie sahen sich nicht wieder.
H. unterdessen war nun ins Fahrwasser des Autorenthums gekommen, und ließ seine Feder nicht lange feiern. 1760 erschienen von ihm drei Aufsätze in den Königsberger Nachrichten, die nachher an erster Stelle in den sogleich zu erwähnenden „Kreuzzügen eines Philologen“ wieder zum Abdruck kamen, unter ihnen besonders zu erwähnen „Die Magi aus dem Morgenlande“, veranlaßt durch die zur Beobachtung des Venusdurchgangs, andererseits zur wissenschaftlichen Exploration des heiligen Landes gemachten öffentlichen Anstalten. Hier werden besonders die landläufigen Kriterien der Moralität abgewiesen, und wird darauf hingedeutet, daß die wahre Quelle und Norm der Sittlichkeit nicht eine subjective, sondern eine subjectiv-objective, nicht die reflectirende Berechnung der Zwecke und Absichten, sondern der Glaube sei, d. h. der Mensch ist nur insoweit gerecht, als er mit und aus Gott, Gott aus ihm und durch ihn handelt, als der göttliche Hintergrund des Bewußtseins in sein Handeln einfließt und dieses bestimmt, mag dann auch im Licht der Reflexion die Moralität und Nützlichkeit der Handlung verdächtig erscheinen. [459] 1761 folgten die „Wolken“, eine Replik besonders auf eine Recension der „Denkwürdigkeiten“ in den Hamburger Nachrichten, von deren Tendenz und Geschmack die Aeußerung des Recensenten Zeugniß gibt, der Schreiber solchen Zeuges müsse von Rechtswegen in ein Spinn- und Raspelhaus gesetzt werden. Dann 1762 eben die „Kreuzzüge eines Philologen“, eine Sammlung von Vermischten, Altem und Neuem. Darin ist außer dem Angeführten zunächst auszuzeichnen: Abaelardi Virbii chimärische Einfälle – mit dem scherzhaften Motto: Citoyen! tatons notre pouls. Mendelssohn nämlich hatte sich in den Litteraturbriefen vom Standpunkt kühler Moralität und Verständigkeit höchst absprechend über Rousseau’s „Nouvelle Heloise“ ausgelassen. H. nimmt sich des also Abgefertigten an. Er zeigt die Superiorität, die dieser Franzose über die Berliner Kritik und Poetik dadurch habe, daß er aus dem Quell aller dichterischen und überhaupt schriftstellerischen Wirksamkeit, einem ursprünglichen Gefühl, schöpfe, daß er, ein Kenner menschlichen Herzens, sich von dessen Leidenschaften inspiriren lasse. Er tritt hier zuerst als maßgebender Herold einer Reaction auf, die sich zu jenen Zeiten geltend zu machen anfing, und über die auch Goethe im Anfang des 9. Buchs von „Wahrheit und Dichtung“ berichtet. „Man wies uns“, sagt Goethe, „auf die Betrachtung eines bewegten Lebens hin, das wir so gerne führten, und auf die Kenntniß der Leidenschaften, die wir in unserem Busen theils empfanden, theils ahnten, und die, wenn man sie sonst gescholten hatte, uns nun als etwas Wichtiges und Würdiges vorkommen mußten“. H. fragt in dem genannten Stück: „Wo ist der ästhetische Moses, der Bürgern eines freien Staates schwache und dürftige Satzungen vorschreiben darf?“ Nicht auf gemessene Regelmäßigkeit kommt es bei dichterischen Werken an, sondern auf das innere ursprüngliche Leben, das sich selbst bildet, sich selbst Gesetz ist. Die Anpassung abstracter Regeln bewirkt nur ohnmächtige dürftige Nachahmung, der innere Lebenstrieb und die Empfindung des individuellen Menschen, die allein das wahrhaft Schöpferische sind, wenn sie überhaupt wahr und von allgemein giltigem Belang sind, diese sind auch an sich souverän. Schon in den „Denkwürdigkeiten“ hatte H. gesagt: „Was ersetzt bei einem Homer die Unwissenheit der Kunstregeln, die ein Aristoteles nach ihm erdacht, und was bei einem Shakespeare die Unwissenheit oder Uebertretung jener kritischen Gesetzes ‚Das Genie‘ ist die einmüthige Antwort.“ Derselbe Gedanke wiederholt sich bei H. auch später öfters. So namentlich in den an seinen Freund J. G. Lindner gerichteten „Fünf Briefen, das Schuldrama betreffend“, 1763, die hier gleich erwähnt werden können. Er polemisirt dort u. A. auch gegen die bezeichneten drei Einheiten, von denen er sagt, sie seien „eine Schnur an drei seidenen Fäden, mit der man kaum in die Füße und Augen natürlicher Weise so viel Eindruck machen wird, daß ungezogene Zuschauer Genüge zu hüpfen und zu weinen dabei finden werden“. Indem er die biblische Erzählung vom Teich Bethesda zum Gleichniß benutzt, sagt er: „Das Genie muß sich herablassen, Regeln zu erschüttern, sonst bleiben sie Wasser.“ Auch protestirt er dort gegen den Purismus des Verstandes, der mit Diderot das Wunderbare und Burleske als Schlacken ausgeschieden haben will. „Wenn das geschieht“, sagt er, „verlieren göttliche und menschliche Dinge ihren wesentlichen Charakter. Brüste und Lenden der Dichtkunst verdorren. Das μωρόν der homerischen Götter ist das Wunderbare seiner Muse, das Salz ihrer Unsterblichkeit.“ „Das Burleske“, fügt er hinzu, „verhält sich zum Wunderbaren, das Gemeine zum Heiligen, wie oben und unten, hinten und vorn, die hohle zur gewölbten Hand“ – eine Bemerkung, die u. a. trefflich durch die sogenannten Gephyrismen, die Possen und Derbheiten bei der Feier der hochheiligen Eleusinischen Mysterien illustrirt wird. In „Abaelardi Virbii Einfällen“ findet sich übrigens noch jener tiefsinnige Ausspruch, ein [460] Seitenblick auf die rationalistische Geschichts- und Bibelkritik, der mit den Worten schließt: „Es möchte also freilich zum Urbaren einer Geschichte eine Art von Unwahrscheinlichkeit, und zur Schönheit eines Gedichts eine ästhetische Wahrscheinlichkeit gehören.“ Nämlich, die eigentlichen Urphenomene der Geschichte sind nicht gemacht, nicht durch subjective Absichten und Neigungen bestimmt, sondern sie machen sich selbst, sie gehen aus einem (göttlichen) Hintergrund hervor, der allen Berechnungen der Reflexion entzogen ist, und auch in seinen Handlungen und Processen auf ganz anderen Wegen vorgeht. Jene müssen daher den Charakter eines durchaus Unvermutheten und a priori Unberechenbaren haben, dessen innere Ordnung und Verbindung nur soweit allmählich aufgehen kann, als sich die Vernunft bequemt zu lernen, statt den Richter zu spielen. Wir sehen, wie oft mit Einem Federzuge H. Grundsätze hinwirft, die von der allgemeinsten entscheidendsten Bedeutung sind. Den „Einfällen“ folgt in den „Kreuzzügen“ das „Kleeblatt hellenistischer Briefe“, an einen befreundeten Königsberger Professor der Philologie gerichtet. Abgesehen, daß hier gelegentlich von den Alten auf deren Original, die Natur, verwiesen, und die Gelehrsamkeit gescholten wird, die in ihrer Anwendung auf die Alten die sich in ihnen wiederspiegelnde Schönheit der Natur verdunkelt, beschäftigen dieselben sich vorzüglich mit dem Dialekt und Stil der neutestamentlichen Schriftsteller, und ihre Tendenz wird wol hinreichend bezeichnet durch das mitgetheilte Fetwa über die Dichtungen des Misri Efendi: „Wer also redet und glaubt wie Misri Efendi, der soll verbrannt werden, Misri Efendi allein ausgenommen; denn über diejenigen, die mit der Begeisterung eingenommen sind, kann kein Fetwa gesprochen werden.“ Endlich ist in der Sammlung der „Kreuzzüge“ noch zu erwähnen die Schrift „Aesthetica in nuce. Eine Rhapsodie in kabbalistischer Prosa“, sicher eines der bedeutendsten, wenn nicht das bedeutendste Werk Hamann’schen Geistes. H. verweist hier die Dichtkunst und die Wissenschaft auf ihre wahren Quellen, die Natur und die Bibel, die natürliche und die menschliche Offenbarung Gottes, die Schöpfung und die göttliche Geschichte, wobei er nebenbei auf den poetischen Gehalt der biblischen Schriften aufmerksam macht. Der Geist Hamann’s war mit voller Energie auf das Concrete gerichtet. Weder die hochtrabenden, aber hohlen Abstractionen der Leibnitz-Wolf’schen Schule, noch die flache Schönrednerei der Popularphilosophen konnte ihm gefallen. Dieselbe Geistesrichtung verdarb auch nach seiner Anschauung die Dichtkunst. H. verfolgte sie aber bis in ihre letzte Wurzel. Diese fand er in einem ersten und unmittelbaren Act, gleichsam Sündenfall, in der Abstraction von allem Göttlichen, dem Quell jedes wahrhaft Großen und lebendig Wirksamen, und der Einschränkung auf das blos Subjective und sinnlich Scheinbare. Indem das Göttliche in der Natur und Geschichte verkannt wird, verlieren dieselben alle geniale und ideale Eigenthümlichkeit, und eine unfruchtbare, impotente Poesie und Wissenschaft ist die nothwendige Folge. Wie ihre Quellen, so werden auch diese in einen leeren Mechanismus verwandelt. Das Göttliche dagegen schließt die innere Wesenheit der Dinge, ihr inneres Leben, ihre innere Fülle ein, und daraus aus solcher Concretheit soll sich das Gemüth erfüllen und begeistern, der Wille zur Leidenschaft entzünden, um Großes, Unsterbliches zu leisten. Dies die Grundideen der Hamann’schen Aesthetik. Die folgenden Jahre bis 1769 haben größtentheils nur kleinere in den Königsberger Zeitungen veröffentlichte Aufsätze zu verzeichnen.
Doch es wird Zeit, daß wir uns den persönlichen Erlebnissen Hamann’s wieder zuwenden. Sein jüngerer Bruder, ein Mensch von trägem, verdrossenem Temperament, ein Hypochondrist wie H. selbst, doch ohne die geistige Beweglichkeit desselben, hatte eine gute Schulstelle in Riga innegehabt. Er mußte schließlich dieselbe quittiren und kehrte 1760 nach Königsberg [461] zurück. Körperliche Unregelmäßigkeit lag wol zu Grunde und so stellten sich schon im folgenden Jahre bedrohliche Symptome physischer Erkrankung ein, durch die zuletzt der Zustand des Unglücklichen in completen Blödsinn überging. Aber auch des Vaters körperliche und ökonomische Verhältnisse verschlechterten sich, und so sah sich H. durch diese doppelte Sorge endlich genöthigt, einen Broterwerb zu suchen. 1762 war er noch auf einige Wochen bei Verwandten in Elbing gewesen, und hatte so den Aufenthaltsort Herder’s berührt, dessen bald hernach angeknüpfter Bekanntschaft wir einen reichen Briefwechsel und einige bedeutende Publicationen Hamann’s zu verdanken haben. Nun also fand er sich vor dem bitteren Ernst des realen Lebens, mit dem er bisher nur hatte spielen dürfen. Dieselbe Tendenz, durch die er sich schon gegen ein Brotstudium gewehrt hatte, verbot ihm auch, seinen Geist in das Joch des gemeinen Bedürfnisses zu spannen. Zudem fehlte ihm wol auch die nöthige Disciplin der Gedanken, um an der Universität oder in den Fächern der Jurisprudenz mit Erfolg thätig sein zu können. Er sah sich deshalb nach einer blos mechanischen Beschäftigung um, und trat, nachdem er sich einem dreiwöchentlichen Uebungscursus als Volontär in der Schreibstube des Kneiphof’schen Rathhauses unterzogen, 1763 als Copist in die Kriegs- und Domänenkammer ein.
Unterdessen hatte sich eine freundschaftliche Beziehung zu dem Geheimrath Fr. Karl v. Moser (Verfasser von „Der Herr und der Diener“ und „Reliquien“) entwickelt, und dieser wohlwollende und einflußreiche Mann stellte ihm zunächst eine fürstliche Erzieherstelle, wenn ihm diese nicht zusage, auch fernere Verwendung in Aussicht. Auf seinen Wunsch reiste H. nach Frankfurt, um sich persönlich vorzustellen. Leider hatte jedoch Moser gerade um diese Zeit eine Mission nach Holland übernehmen müssen, H. lernte nur seine Familie kennen, dehnte von da seine Reise bis Basel aus, und kehrte schließlich, nachdem er noch einige bedeutende Männer kennen gelernt, u. A. Zachariae und Pfeffel, unverrichteter Sache nach Königsberg zurück. Bald nach seiner Ankunft ward sein Vater von einem Schlagfluß gelähmt. Zum Theil auch durch dessen dadurch geforderte persönliche Pflege bestimmt, gab H. 1764 die ermüdende Beschäftigung in der Domänenkammer auf, und übernahm statt dessen die Redaction der vom Buchhändler Kanter herausgegebenen „Königsberger Zeitung“. Aber auch diese Stellung befriedigte ihn nicht – er war gewiß am wenigsten noch zum Journalisten angethan –, und nachdem er in dem Amt seines Vaters einen zuverlässigen Gehülfen und Stellvertreter angeworben, dem er auch wol die Wartung der Kranken anvertrauen durfte, sah er sich nach einer günstigen Gelegenheit um, Königsberg, wo er sich nicht mehr behaglich fühlte, verlassen zu können. Diese bot sich ihm durch einen Freund, den Advocaten Tottien in Mitau, der ihn zum Assistenten bei seinen Geschäften zu gewinnen wünschte. 1765 begab er sich zu ihm, machte in seiner Begleitung eine Reise nach Warschau, und empfing in Mitau den Besuch Herder’s aus Riga. Allein im September 1766 verstarb sein Vater, und die Erbschaftsangelegenheiten, vor allem aber die Sorge um den verlassenen gänzlich hülflosen Bruder nöthigten ihn, wieder nach Königsberg zurückzukehren. Durch Kant’s Vermittlung erhielt er 1767 einen Dienst als secretaire-traducteur bei der Acciseregie, eine höchst arbeitsvolle und nur sehr mäßig honorirte Stellung. Aus dieser ersten Zeit seines neuen Königsberger Aufenthaltes datirt die Anknüpfung eines Verhältnisses, das in seiner drückenden Unnatur sowol auf die Klärung und Hebung seines Geistes einen üblen Einfluß ausüben, als auch ihn für immer in die Knechtschaft des gemeinen Bedürfnisses spannen mußte, ohne für diese Sclaverei des Broderwerbs doch einen höheren Ersatz bieten zu können. Schon vor seiner Mitauer Reise hatte eine seltsame Grille oder seine hypochondrische Einbildungskraft ihm eine [462] heftige Leidenschaft für ein weder gebildetes noch sonst ungewöhnliches Mädchen vom Lande eingeprägt, Anna Regina Schuhmacher. Sie war die sorgsame und pflichttreue Pflegerin seines Vaters geworden, und es war wol der Anblick ihrer Samariterdienste gewesen, der zuerst sein Herz gerührt hatte. Er suchte dieser Leidenschaft durch seine Mitauer Reise zu entfliehen, aber heimgekehrt, empfingen ihn wieder dieselben Eindrücke, und das Mädchen dünkte ihm schließlich ihm und dem Hause unentbehrlich. Er machte also einen Vertrag mit ihr, wornach sie bis zu ihrem Tode wie Eheleute zusammenleben wollten, ohne jedoch den Bund kirchlich und bürgerlich weihen zu lassen; er meinte, daß es so für beide Theile am glücklichsten wäre, und sie war es zufrieden. Aus dieser „Gewissensehe“ gingen vier Kinder hervor, ein Sohn und drei Töchter, die auf Hamann’s Namen getauft wurden und alle später eine geachtete Stellung im bürgerlichen Leben einnahmen. Ein anderes Moment von großem Einfluß auf sein Leben wie auf seine schriftstellerische Thätigkeit ist hier noch in den öffentlichen Verhältnissen des preußischen Staates jener Zeit zu suchen. Die beständigen Kriege hatten die Finanzen des Staates erschöpft; Friedrich II. mußte sich nach neuen Hülfsquellen umsehen. Er vertraute sich dem Genie der Franzosen und gab das ganze Finanzwesen in die Hände dieser fremden Einwanderer. Die eigenen Landeskinder mußten sich demgemäß mit den subalternsten Stellen begnügen, und seufzten unter der Tyrannei der Fremden, die kein Herz für sie hatten und nur auf ihren eigenen Vortheil bedacht waren. Dazu hatte sich der König noch das sogenannte droit de convenance beigelegt, wornach er zu Gunsten des Staatsschatzes das Gehalt dieser Subalternen alljährlich einer Revision, d. h. wenn möglich einer Reduction unterziehen ließ, so daß diese Armen denn wirklich übel daran und so gut wie vogelfrei waren. Mit den französischen Projectenmachern und Glücksrittern überschwemmte auch französische Libertinage das Land, und war, wie bekannt, bei dem König wohlgelitten. Es gehört zu den specifischen Charakterzügen Hamann’s ein glühender Haß gegen das französische Wesen, dem er in den stärksten Worten Ausdruck zu geben keinen Anstand nimmt. Vergebens versuchte er in Eingaben und Druckschriften („Au Salomon de Prusse“ – „Lettre perdue d’un Sauvage du Nord“ etc.) seinen eigenen und den allgemeinen Nothstand vor die Augen des Königs zu bringen. Auch Bitten um Erhöhung seines Gehaltes, die er bei seinen Vorgesetzten einbrachte, blieben erfolglos, vielmehr mußte er sich eine Kürzung seines Gehaltes gefallen lassen und er sah sich genöthigt, den Verkauf seiner Bibliothek in Aussicht zu nehmen. Endlich gelang es ihm 1777 die Stelle eines Packhofverwalters zu erhalten, mit der zwar kein größeres Einkommen, doch Emolumente und freie Wohnung, vor allem aber reichere Muße verbunden war. 1778 starb sein Bruder, und befreite ihn von der Bürde seiner hoffnungslosen und halbthierischen Existenz.
Hier können wir den Faden seiner litterarischen Geschichte wieder aufnehmen. Die Herder’sche preisgekrönte Schrift über den Ursprung der Sprache veranlaßte ihn 1772, abgesehen von zwei Recensionen, zu „Des Ritters von Rosenkreuz letzte Willensmeinung über den göttlichen und menschlichen Ursprung der Sprache“, sowie den „Philologischen Einfällen und Zweifeln über eine akademische Preisschrift“. Das Herder’sche confuse und flüchtige Wesen, sowie sein declamatorischer Stil wird hier auf angenehme und freundschaftliche Art persiflirt. H. konnte keineswegs mit der angeblichen Lösung zufrieden sein, die jenes große Problem bei Herder gefunden. Ihm mußte alles aus der eigensten Tiefe der Sachen hervorgehen und bis auf das Letzte durchdringen. Merkwürdigerweise hat selbst Schelling in seiner über dieses Problem handelnden Rede erklärt, über die eigene Ansicht Hamann’s aus dessen Andeutungen nicht klug werden zu können. Dieselbe ergibt sich aber sehr einfach. Nach der Bibel ist [463] Gottes Sprechen – sein Schaffen, sein Schaffen ein Sprechen, und der Mensch ist Gottes Ebenbild. Ist die Welt die Sprache Gottes, so ist sie eine Ansprache Gottes an den Menschen, und dasselbe Sprechen Gottes ferner, das sich dort in den lebendigen Worten der Creaturen realisirt, eben dasselbe ist auch im Menschen, in den geheimsten Tiefen und Abgründen seines Gemüths. Auf Grund desselben schreitet nun auch der Mensch seinerseits zum Schaffen fort, er führt dieses Ansprechen und Einsprechen Gottes menschlich aus, als Ebenbild Gottes bringt er die Sprache als seine, die menschliche Welt, das ideelle Nach- und Abbild der realen Welt hervor – nicht mittelst Berechnung oder äußerem Nachbilden, sondern durch einen unmittelbaren Naturact, dessen substantieller Antrieb Gott oder Gottes Sprechen, dessen ausführendes Mittel der Mensch vermöge seiner menschlichen Ebenbildlichkeit mit Gott ist. Einige erklären den Ursprung der Sprache aus einem Mechanismus der Angewöhnung; aber wie aus der Blindheit und Brutalität dieses Mechanismus gerade die allherrschende Klarheit des Denkens resultiren konnte, das bleibt unerklärlich. Dann soll die Sprache ein Product der Erfindung, also der Reflexion sein; ein Nachbilden, wie Einige annehmen, ist, da es ja doch zweckmäßig sein muß, nicht ohne Reflexion denkbar. Aber die Sprache bedingt ja erst die Reflexion, als Verstandesdenken; ohne Sprechen kein Denken, das ist eine Thatsache der einfachsten Selbsterfahrung – Denken ist nur ein stilles Monologisiren. Und hier ist der Punkt, wo die Sprache H. ein so wichtiges Moment in seinem Streit mit dem Rationalismus wurde. „Ihr macht“, sagt er, „den Verstand zum obersten Richter nicht nur in den Angelegenheiten des gemeinen Lebens, sondern in den höchsten Fragen und Interessen des menschlichen Geistes, und doch habt ihr es an der Sprache vor Augen, daß der Verstand nur etwas Abgeleitetes und Secundäres ist. Haltet euch an das Urbare; ein sichtbares Bild desselben habt ihr in der Sprache.“ Ihr Wesen ist ein subjectiv-objectives, ein ideales und reales zugleich, Sinnlichkeit und Verständigkeit sind in ihr zur Concretheit verknüpft, wie er nachher gegen Kant bemerkt, und sie weist auf ein Organ im Menschen, das gegenüber dem Formalismus und der Excentricität des Verstandes die Nieren der Sachen berührt und sondirt. Wir reproduciren hier natürlich nach dem Sinn. Nun eröffnet H. seinen Feldzug gegen die Seichtigkeit und Heuchelei der Aufklärung und des Rationalismus. Dies geschieht zunächst in der „Beilage zu den Denkwürdigkeiten des sel. Sokrates“, 1773, welche gegen Eberhard’s Apologie des Sokrates gerichtet war. Zum Nachtheil des specifischen höheren Inhalts des Christenthums suchte diese letztere dem Sokrates ohne Weiteres den completen Heiligenschein aufzusetzen. H. bemerkt mit Recht, es handle sich dort eigentlich nicht um die Seligkeit der Heiden, sondern um diejenige der Freidenker, welches denn weder ein Wunder noch ein Großes sei? Denn „sind sie nicht Engel des Lichts und besitzen die genaueste, richtigste, deutlichste und lebendigste Einsicht von den Elementen und Momenten, guten Handlungen? … Sind sie nicht von ihrer Werkheiligkeit bis in die innersten Tiefen ihres empfindseligen Herzens überzeugt und durchdrungen? Sind sie nicht Schriftsteller vom ersten Rang, von denen die Nationen Deutschlands ihre beste Bildung erwarten?“ Trefflich bemerkt er auch über die sogenannte „Toleranz“; dieselbe habe mehrentheils eine geheime Personalität zur Wurzel. Der „Beilage“ folgt in demselben Jahre die „Neue Apologie des Buchstabens H“ gegen den grammatischen Purismus eines gewissen C. T. Damm gerichtet. Wie H. überhaupt das Talent oder Genie hatte, das Kleine mit dem Großen, das Besondere mit dem Allgemeinen zu verbinden, und dieses in jenem wahrzunehmen, so sieht er auch in diesem seichten und hirnlosen Sprachpurismus den Purismus der Vernunft gegenüber der positiven Religion, dem übrigens auch der genannte Damm von ganzer Seele ergeben war, sich wiederspiegeln. Hier eifert er gegen den [464] Götzendienst der Vernunft, die ja doch nur künstliche Abstraction sei, und deren gesammter Apparat sich unschwer aus historischen Bedingungen ableiten lasse. Durchaus ein Geschöpf der Tradition, geberdet sie sich doch souverän. Sehr gut bemerkt er, daß wie ein Mensch nicht aus seinen äußerlichen Werken, so auch Gott in seiner Eigenart nicht aus der Natur erkannt werden könne; erst die Offenbarung, d. h. die geschichtlichen Handlungen Gottes zeigen, was Gott an sich, persönlich sei. 1774 erschien, durch Herder’s „Aelteste Urkunde“ angeregt, „Christiani Zacchaei Telonarchae Prolegomena über die neueste Auslegung der ältesten Urkunde des menschlichen Geschlechts“, – im folgenden Jahre, Hartknoch und seiner neuverehlichten Gattin gewidmet, der „Versuch einer Sibylle über die Ehe“. Letztere Schrift wandte sich gegen die heuchlerische Pruderie seiner Zeit, und sollte dieser ein Aergerniß geben. Die durch den Gebrauch eines Gleichnisses nur schlecht verhüllte Nacktheit ihrer Redeweise läßt sich besser vor dem Tribunal der Moral, als vor dem des Geschmacks rechtfertigen. Ebenfalls 1775 folgte: „Vettii Epagathi Regiomonticolae hierophantische Briefe“. Der Oberhofprediger Starck hatte den Nachweis führen wollen, daß sich aus dem Heidenthum beträchtliche Fermente und Bestandtheile in das Christenthum eingeschlichen hätten, wobei er ausschließlich auf den Katholicismus Bezug nahm, und das Werk der Reformation gänzlich ignorirte. Da es nun hier schließlich auf ein sogenanntes reines Christenthum nach dem Sinn und Geschmack des Deismus abgesehen war, so nahm H. das Christenthum und speciell auch das Lutherthum dagegen in Schutz. Mit einer kühnen Ironie fragt er, ob nicht das Christenthum doch älter sei als Heidenthum und Judenthum (nach den Worten: Ehe denn Abraham war, bin ich –) und ob ferner nicht ebenso das Papstthum älter sei als die Päpste, nämlich in der Frage der Kinder Zebedäi seinen Samen anzeige: wer der erste Minister im Himmelreich sein würde? Allein um den Geist des Christenthums zu beurtheilen, sei eine specielle Sympathie erforderlich, diese aber eine Gabe und Gnade Gottes. Das Christenthum bestände nicht in Dogmen und Gebräuchen, sondern es sei ein verborgenes Leben in Gott, und könne daher nicht nach dialektischem oder ethischem Augenschein geschätzt werden. Auch fragt er, ob nicht der Unglaube des Deismus und der Aberglaube des Papstthums im Grunde einerlei Meinung und Absicht und Erfolg haben, sich aus blos entgegengesetzt scheinenden, in der That aber correlaten Trieben dem Glauben der Christen widersetzen. Gegen desselben Starck „Apologie der Freimaurer“, die auf die hellenischen Mysterien recurrirte, ist auch eine andere Schrift Hamann’s gerichtet, die 1779 erschien: „Fragmente einer apokryphischen Sibylle über apokalyptische Mysterien“. Entschieden am bedeutendsten durch positiven Gedankengehalt sind die „Zweifel und Einfälle über eine vermischte Nachricht der allgemeinen deutschen Bibliothek“, 1776, eine Antwort auf die in dieser Zeitschrift erschienene Recension seiner letzten Publicationen. Gesunde Vernunft und Orthodoxie sind gleich nichtig; „unser aller Seligkeit“ hängt sowenig von den Stufen der Vernunftmäßigkeit wie der Orthodoxie ab, als Genie von Fleiß, Glück von Verdienst. Der Glaube gehört zu den Grundtrieben unserer Seele, und zu den natürlichen Bedingungen unserer Erkenntniß. Es ist nothwendig und von der Natur geboten, zuerst sich auf eine innere unmittelbare Weise mit den Sachen in Einheit und Concretheit zu setzen, so daß alle unsere vernünftigen Auslegungen nur Folgerungen dieser persönlichen Voraussetzungen sind. Alle Abstractionen sind daher willkürlich, und das Bild, das man sich, ohne der sachlichen Voraussetzungen mächtig zu sein, von dem Christenthum macht, beruht nur auf dem äußeren Ansehen und dem Schein, den dieses durch seine Spiegelung in den subjectiven Neigungen annimmt. „Daher kommt es, daß sie eine wirkliche, in jedem Verstand allgemeine, der geheimen Geschichte [465] und Natur des menschlichen Geschlechts völlig entsprechende Religion verwerfen, deren Geist und Wahrheit jene mannigfaltige Weisheit in sich schließt, welche von ihnen gesucht wird, ohne erkannt zu werden, und daß sie ein aus dem Schul- und Moderstaube ihres Wintertages neugebackenes Götzenbild aufzurichten suchen, das keine einzige Eigenschaft ihrer abergläubischen und schwärmerischen Einbildungskraft an sich hat – daß sie eine Bundesreligion, die aus einer der Rippen ihres eigenen Ideales und nach dem Ebenbilde desselben ausdrücklich scheint gemodelt zu sein, gegen antisokratische Galanterieschreine vertauschen, welche einen Schemen der Vernunft zwar auswendig, aber inwendig den Fluch ihrer Verwesung darstellen“. H. kommt dann auf den Ursprung und das Element oder Vehikel der Religion und sagt, daß den verschiedenen Religionen Eine selbständige Wahrheit zu Grunde liegen müsse, die gleich unserer Existenz älter als die Vernunft und durch eine innere Offenbarung erkannt worden sei. Während die Vernunft ihre Begriffe nur aus dem äußeren Ansehen der Dinge schöpfe, so läge der Grund der Religion in unserer Existenz und außerhalb der Sphäre unserer Erkenntnißkräfte. Daher auch jene mythische und poetische Ader aller Religionen, ihre Thorheit und ärgerliche Gestalt in den Augen einer heterogenen, incompetenten, eiskalten und hundemageren Philosophie. Von allen Offenbarungen aber habe keine eine so lebendige und fruchtbare Beziehung auf alle Bedürfnisse, Fähigkeiten und Leidenschaften unserer Natur – keine erkläre das Mysterion der Gottheit so angemessen der Natur wie der Gesellschaft, der Vernunft wie der Erfahrung, als eben das Christenthum. „Aller philosophische Widerspruch und das ganze historische Räthsel unserer Existenz, die undurchdringliche Nacht des Terminus a quo und des Terminus ad quem sind durch die Urkunde des Fleisch gewordenen Wortes aufgelöst.“ Schließlich macht H. darauf aufmerksam, wie die „Freigeisterei“ bald mit derselben Frechheit, mit der sie die Religion schon meine aufgelöst zu haben, auch die Regierungsart der Fürsten zu zergliedern und zu verleumden anfangen werde; denn Gottesdienst und weltliches Regiment sind Ordnungen Eines und desselben höchsten Willens. „Der Gehorsam gesunder Vernunft, den man aufzurichten sucht, ist eine Predigt offenbarer Rebellion, wodurch das Band aller Subordination aufgelöst wird, welche ohne Verleugnung und Unterwerfung der Vernunft unmöglich ist.“ Wie man auch sonst darüber denken mag, man wird H. hier den weltgeschichtlichen prophetischen Blick nicht absprechen können. Durch die Vernunft, sagt H. anderswo, kommt nichts als die Erkenntniß unserer Unwissenheit. Die Vernunft oder, wie wir sagen würden, der Verstand ist nämlich als blos formales Vermögen für sich ganz impotent und unproductiv; er spielt, die Sache auf eigne Hand versuchend, nur mit Einbildungen und vor allem mit Bildwörtern, d. h. mit ihm in der Sprache gegebenen, überlieferten Elementen, denen er eine künstliche Selbständigkeit andichtet, wie das mit der „Substanz“ Spinoza’s z. B. der Fall sei. Dagegen müsse alles Erkennen und Handeln aus der Concretheit der Sachen und aus unsrer persönlichen Concretheit mit den Sachen (= Glauben) hervorgehen. Ebendahin will es auch, wenn H. sich den Grundsatz: nil in intellectu quod non antea in sensu aneignet, und auf die Natur und die Offenbarung (Geschichte, Tradition) als die wahren Quellen aller Wissenschaft hinweist. Diese Axiome konnte H. in Anwendung bringen, als er 1781 sich mit der „Kritik der reinen Vernunft“ beschäftigte. Begreiflicher Weise war ihm das Ganze derselben heterogen, und was er davon zu verstehen im Stande war, mußte ihn zum Widerspruch reizen. Keine größeren Antipoden als H. und Kant! H. schrieb in diesem Anlaß nun zunächst eine „Recension en gros“, dann die „Metakritik über den Purismus der Vernunft“; beide aber blieben liegen aus persönlicher Rücksicht gegen Kant [466] und cursirten nur in Freundeskreisen, so daß sich Herder des Plagiats an der letztgenannten Schrift verdächtig machen konnte. In Bezug auf die Trennung von Sinnlichkeit und Verstand, auf der das Kant’sche System basirt, recurrirt H. auf die Sprache als die ursprüngliche Concretheit beider. Er klagt, daß die Philosophen schieden, was Gott vereinigt habe. Der abstracte Verstand, dem inneren Wesen und Leben der Sachen fremd, und nur von außen sie berührend, kann eben deshalb nur scheiden, auflösen, analysiren; er setzt Gegensätze und Widersprüche, wo im Innern der Sache Einheit und nothwendige Beziehung ist. In dieser Hinsicht und dagegen ist es ein Leibaxiom Hamann’s, die coincidentia oppositorum des Giord. Bruno (oder vielmehr des Nic. v. Cusa).
1782 waren die sogenannten Fooigelder, Nebeneinkünfte der Zollbeamten, für den Fiscus eingezogen worden, in demselben Jahre war den subalternen Zollbeamten eine königl. Cabinetsordre zur Unterzeichnung vorgelegt worden, in der sie als Schelme und Betrüger bezeichnet wurden, die sämmtlich verdienten, in die Karre gespannt zu werden. Mußte aber nicht Mancher versucht werden, gegen seine Neigung zum Schelm zu werden, wenn er sich mit den Seinen den größten Entbehrungen, der Gefahr des Verkommens ausgesetzt sah, indeß fremde Eindringlinge sich am Fett des Landes mästeten? Zu gleicher Zeit endlich erschien Moses Mendelssohn’s „Jerusalem“, dessen versteckter Judaismus und Antichristenthum durch den der Regierung des großen Friedrichs und ihrer Toleranz gespendeten Lobpreis gekrönt wurde. In der That sah es mit dieser gerühmten Toleranz nicht so glänzend aus, sie war eben ziemlich einseitig, wenn wir Lessing, dessen Unparteilichkeit nicht bezweifelt werden kann, in seinem Schreiben an Nicolai vom J. 1769 glauben dürfen. Doch das beiseite, so fühlte sich H. durch alle diese Ereignisse zu einer Kundgebung veranlaßt, seiner letzten bei seinem Leben veröffentlichten Schrift „Golgatha und Scheblemini“, 1784, welche, wie er selbst anmerkt, „aus lauter locis communibus, Argumentationen, Speculationen, Kamelhaaren, Haderlumpen und Fetzen des Mendelssohn’schen Buchs mit abergläubischer Einfalt, pedantischer Schwärmerei zusammengeflickt ist“. Er bemerkt gegen Mendelssohn, die Seele, das Wesentlichste im Alten Bunde sei das Prophetische; „das Geheimniß der christlichen Gottseligkeit bestehe in Verheißungen, Erfüllungen und Aufopferungen, die Gott zum Besten der Menschen geleistet“; die Mosaische Gesetzgebung sei nur „das sinnliche Vehikel, ein bloßer Schleier und Vorhang der alten Bundesreligion“. Von seinem rücksichtslosen Freimuth mag folgende Stelle Zeugniß geben: „Ein Herr, der zu Lügen Lust hat, deß Diener sind alle gottlos. Alle seine Ansprüche auf ein königliches Monopol der Ungerechtigkeit, alle seine Versuche und Einfälle, die Eingriffe der Nachahmung, seine Unterthanen durch Galgen und Schmachedicte zu verzäumen und zu versalzen, haben keine andere Wirkung als die Sophisterei seiner Herrschaft in den Augen der Nachwelt desto verächtlicher und lächerlicher zu machen“. Das Letzte, was H. für die Oeffentlichkeit schrieb, war ein Resumé seiner Autorschaft, – der „fliegende Brief an Niemand der Kundbaren“. Er fand nicht mehr Zeit, diese Schrift selbst zu ediren. Wie er überall seine Schriften keineswegs flüchtig hinwarf, sondern auf das sorgfältigste bis in scheinbare Kleinigkeiten eines Wortes herab redigirte, so hat er auch von diesem letzten Thema mehrere Entwürfe und Ausarbeitungen gemacht, ohne sich ganz genügen zu können. Während dessen lebte er in regem ungezwungenem Verkehr mit Kant, Hippel, seinem Universitätsfreund J. G. Lindner, in lebhaftem Briefwechsel mit Herder, seinem Verleger Hartknoch, Reichardt, Lavater, Häfeli, Claudius, Kleucker u. A., seit August 1782 auch mit F. H. Jacobi. Während die Sorgen namentlich für die Zukunft seiner heranwachsenden Kinder ihm immer mehr zu schaffen machten, überraschte ihn 1784 ein Brief von Franz Kaspar Buchholtz, Herrn von Wellbergen, in [467] Münster, der durch seine Schriften von der größten Verehrung für ihn erfüllt, dieser in der kindlichsten Weise Ausdruck gab, und bald darauf von demselben, dem Worte die That folgen lassend, die großmüthige Schenkung von je 1000 Thalern oder mehr für jedes seiner vier Kinder. Durch diesen begeisterten Jünger wurde auch die Fürstin Gallitzin auf seine Schriften aufmerksam und in dieselben eingeführt. Schon mehrfach hatte er seiner geschwächten Gesundheit wegen um Urlaub für eine Reise nachgesucht, doch immer vergebens. Endlich ward ihm statt eines Urlaubs die Entlassung 1787 mit einer anfangs geringen, dann durch die eifrige Bemühung seiner alten und neuen Freunde nicht unbeträchtlich erhöhten Pension. Den 21. Juni 1787 konnte er in Begleitung seines Sohnes die Reise antreten, und langte den 15. Juli in Münster an. Nach abwechselndem Aufenthalt in Münster, Pempelfort, Angelmödde (Gut der Fürstin Gallitzin) und Wellbergen, starb er nach kurzem Krankenlager zu Wellbergen heiter und schmerzlos den 21. Juni 1788. Die edle Fürstin Gallitzin ließ seine Leiche in ihrem Garten bestatten, und gab dem Stein die Worte 1. Kor. 1, 23–25 zur Inschrift. Er war – sei es seinem Biographen gestattet zu sagen – Einer „der Zeugen, deren die Welt nicht werth war“.
H. war Christ und wollte es sein, im positivsten Sinne des Worts, aber weder orthodox noch Pietist. Selbst die empfindsamen Seelen, von denen Goethe in dem Fräulein v. Klettenberg eine typische Gestalt uns vorführt, konnten sich mit ihm nicht befreunden; er nahm ihnen sich zu viele Freiheiten und Rücksichtslosigkeiten heraus. Er lebte nämlich in der Sache, hatte sich diese nicht anempfunden, angedacht, animaginirt, und durfte sich deshalb mit der Ungezwungenheit eines Virtuosen bewegen. Er hatte seine innige Lust an Lessing’s „Nathan“, versagte der „Kritik der reinen Vernunft“ doch nicht seine Hochachtung, und fand in Goethe’s „Götz“ die Morgenröthe einer neuen höheren Dramatik. In Pempelfort las er Herder’s „Gott“; „das ist ein Schuhu“, sagte er, „der mag sich verkriechen“. Dagegen Goethe’s „Vögel“ behagten ihm ausnehmend. „Das ist ein Blitzkerl“, sagte er zu Jacobi, „das ist ein Tausendkünstler. Es ist als wenn mir aus dem Leibe tausend Funken sprängen“. Je mehr er das welsche Wesen haßte, um so mehr war er glühender Patriot. Daher konnte er sich mit der Schrift „Sur la literature allemande“ durchaus nicht befreunden; er fand darin ein „wahres Original französischer Ignoranz und Unverschämtheit“. Ob er wol Mendelssohn und seinen Freunden die derbsten Sachen sagte, blieb er doch mit ihnen in freundlichem persönlichen Verkehr und sie selbst versagten ihm nicht ihre Achtung. Welche rücksichtslose Dinge sagte er nicht selbst seinen intimen Freunden, wie Herder und Jacobi. Ein geordnetes Gespräch, eine methodische Disputation war nicht seine Stärke; überhaupt alles Methodische und Schematische widerstand ihm; seine Reden gefielen sich in Gedankensprüngen, in Genieblitzen, die oft von treffender Wirkung waren. In seinen Schriften arbeitete er aus dem ungetheilten Ganzen der Empfindung, ohne seine inneren Gesichte der verdeutlichenden Objectivation und Analyse des Verstandes zu unterziehen. Daher erklärt sich die Eigenthümlichkeit seines Stils, in dem die Gedanken gleichsam in einander eingewickelt sind, andererseits auch alle sichtbaren Uebergänge und Verbindungen fehlen. Er hatte unendlich viel gelesen, er möchte, wenn man von der mangelnden Methodik absehen dürfte, für ein Wunder von Gelehrsamkeit angesehen werden können; in einem vorzüglichen Gedächtniß bewahrte er sowohl die wesentlichsten Momente der Lectüre wie eine Unmenge gelehrter Kleinigkeiten, und seine geniale Phantasie fand überall Gelegenheit, Beziehungen anzuknüpfen. Daraus entsprang sein Witz, der ein ebenso wuchtiger wirkungskräftiger, wie auch durchaus tiefsinnig und gedankenreich war. Seine allgemeine Bedeutung für seine Zeit, wie vielleicht für alle Zeiten kann aus den [468] im Verlauf dieser Blätter gegebenen Anführungen und Analysen leicht entnommen werden. Er hat mit Pindar etwas durchaus Verwandtes; wie sehr dieser alte Dichter die Abhängigkeit aller Meisterschaft vom göttlichen Anhauch betont, ist bekannt. So ist auch H. ein Prophet, insofern, als seine ganze Tendenz und Thätigkeit darin zusammengefaßt werden kann, daß er suchte, das Göttliche in den Dingen und im Menschen zur Geltung zu bringen und zu enthüllen. Mit Einem Worte, er war ein Mann, der sowol nach Naturanlagen, wie nach Charakter, Denkart und Kenntnissen mit Recht außerordentlich genannt werden darf, und seine Werke werden noch lange die Fundgrube nicht nur wichtiger Einsichten, sondern ganzer Tendenzen bleiben, oder doch bleiben oder sein können.
- C. H. Gildemeister, J. G. Hamann’s des Magus in Norden Leben und Schriften, Gotha 1857 fg., Bd. I–III.
[Zusätze und Berichtigungen]
- ↑ S. 456. Z. 16 v. o. statt daselbst l.: in Wellbergen. [Bd. 45, S. 667]