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Artikel „Laube, Heinrich Rudolf Constanz“ von Heinrich Hubert Houben in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 51 (1906), S. 752–790, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Laube,_Heinrich&oldid=- (Version vom 19. März 2024, 08:02 Uhr UTC)
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Laube *): Heinrich Rudolf Constanz L., geboren am 18. September 1806. In der trägen Stille eines schlesischen Landstädtchens, Sprottau, erwachte seine Jugend, nur einmal, in den ersten Bewußtseinsphasen, heftig aufgeschreckt von den Händeln der großen Welt da draußen. Weiß bemäntelte Reiter waren nächtlings zum Glogauer Thore hinausgezogen: deutsche Soldaten in Napoleon’s Armee gegen Rußland; dann lagerte eine Kosakenbatterie vor dem Städtchen und von der anderen Seite nahten die Franzosen, die Sieger von Bautzen. Kaum gelang es dem Vater Laube, sich und seinen kleinen Buben aus dem beginnenden Scharmützel zu retten, da galt es schon Weib und Kinder vor der Plünderung der einrückenden Franzosen in ein sicheres Kellerverließ zu bergen. Sechs Wochen lag General Bertram mit seinem Corps in Sprottau, man munkelte sogar von einem Incognitoaufenthalt Napoleon’s; doch ist diese schemenhafte Erinnerung des späteren Verfassers der „Reisenovellen“ gewiß nur eine poetische Fiction. Mit dem Abrücken der Franzosen, der Flucht eines Spions, dem Durchzug der preußischen Landwehr und einem Verwundetentransport nach der Schlacht an der Katzbach schwindet das Kriegsgetümmel ganz aus dem Horizont des Städtchens; dem kleinen Laube, der früh auf praktische Resultate ein Auge hatte, hinterließ diese schreckensvolle Episode nur die bei der Plünderung gemachte Lebenserfahrung: „Nie Infanterist! Denn die Kavallerie kommt immer zuerst und nimmt alles weg!“ Die kleinliche Staffage des Alltags schaffte bald wieder die stillgewohnte Ordnung. Aber wie viel wechselnde Reize bot auch diese! [753] Im Nachbardorf das Bauerngut des Großvaters, sein Obstgarten in Sprottau und die Aecker der Eltern; Saat und Ernte, Dreschen und Mahlen, Holzschlag im Walde und nächtliche Hut der Feld- und Gartenernte, wie füllte das stets die Jahreszeiten. Stadtbaumeister war einst der Großvater gewesen und voll kleinstädtischen Stolzes war auch der Vater diesem Gewerbe nachgegangen; jetzt unter der erschöpfenden Last der Kriegszeiten schleppte sich zwar dies Handwerk nur kümmerlich durch, aber wie viel Regsamkeit ergab doch die weit über Land führende dürftige Arbeit für gern zugreifende Knabenhände. Die Familie der Mutter stand auf festerem Grunde; ihr Vater war „Fleischhauer-Aeltester“ gewesen und bei ihrem Schwager, dem Schlächter und „Onkel Gastwirth“ im „grünen Löwen“ gab es manchen guten Bissen; der älteste Vetter fuhr schon über Land zum Schlachtviehkauf, da durfte „Laube Heinrich“ natürlich auf dem Kutschbock nicht fehlen, und die ganze Wirthschaft dort, nicht zuletzt das Billardzimmer, vermittelte früh eine Masse praktischer Kenntnisse. Was der junge Heinrich – und bei der nachwachsenden Kinderschar recht bald – werden solle, darüber stritten früh der Bürgerstolz des Vaters und die praktische Sorge der Mutter; zum Baumeister schien alles rechnerische Talent dem Jungen zu fehlen. Wie der Bäcker da am Markt nach vollbrachter Morgenarbeit den Tag über auf der Ofenbank liegen und Romane „schmökern“ – das war im Grunde sein Ideal. Zwar drängte er sich schon als fünfjähriger Hosenknopf auf die Schulbank und dank seiner Hartnäckigkeit ließ man ihn gewähren. Dem ersten verständigen Lehrer folgte bald ein Schulpedant, der nur die Widerspenstigkeit des Zöglings reizte; aber ein angebornes Talent zu deklamatorischem Vortrag, mit dem er bei den Schulacten vor dem Bürgermeister und den Honoratioren Ehre einlegte, sicherte dem Schüler eine gewisse Ueberlegenheit. Wie aber im ganzen der Unterricht beschaffen war, zeigt der Umstand, daß L., solange er die heimathliche Schule besuchte, noch keine Ahnung hatte, daß „Schiller“ und „Wieland“ mehr bezeichneten als die zufälligen Namen zweier Sprottauer Rathskutscher.

Die Romantik, die ihn unwiderstehlich in die Leihbibliothek zog, mußte ihn natürlich doppelt heftig von der Bühne her packen. Im J. 1818 hatte die Butenop’sche Theatergesellschaft ihren Karren in einen Sprottauer Reitstall geschoben, just neben dem Garten des Großvaters, wo L. jeden Winkel kannte und nun unter dem Vorhang heimlich hindurch, vom lückenreichen Dach herunter oder als geschäftiger Handlanger für kleine Bedürfnisse der Mimen alltäglich den Zaungast abgab. Der romantische Schauer des Repertoirs, die ungewohnte Coulissensphäre und der Reiz des Verbotenen überwogen noch eine eigentliche Theaterpassion; aber eine „dramaturgische Reminiscenz“, die Wahrheit, daß auch auf dem Theater nichts ohne genügenden Grund vor sich gehen dürfe, wuchs mit seiner ersten theatralischen Anschauung empor. So regte sich schon damals der Realist in dem vorlauten Bürschchen, und die Sphäre der Kleinstadt mit ihrem Rathskämmerer, Postillon, Stadtpfeifer, mit ihrem Pfingstschießen, ihren Gastpredigten, die ein Stück nachträglicher Reformation hervorlockten, die Durchsichtigkeit des fast dörflichen Milieus beförderten eine etwas nüchtern anmuthende Unbefangenheit, von der L. später, Großstädter aus Neigung und Bedürfniß, dennoch liebenswürdige Bilder in den „Reisenovellen“, in den Romanen „Die Böhminger“ und „Der Schatten-Wilhelm“ gezeichnet hat.

Mit vierzehn Jahren war der Knabe der heimathlichen Schule entwachsen und wurde jetzt zur Erweiterung seiner Bildung auf das Gymnasium zu Glogau geschickt; der Ehrgeiz, den Jungen studiren zu lassen, hatte zuletzt [754] doch obgesiegt und „Cousin Fritz“ saß dort bereits auf Prima. Wie ein Handwerksbursche zog nun der junge Heinrich in die Fremde, um sich mit dem, was er daheim gelernt, das selbst zu verdienen, was er außer dem Säckchen Kartoffeln nebst der Scheibe Speck, die das nach dem Kriege verarmte Elternhaus ihm wöchentlich lieferte, noch brauchen würde. Aus der Freiheit ging es nun auf fünf Jahre in die Enge; dumpfe Straßen und dunkle Zimmer, wenig frische Luft und knappe Nahrung, das wie eine Klosterschule abgesperrte Gymnasium, nach den Schulstunden Unterricht fremder Kinder, um sich der täglich wechselnden Freitische würdig zu zeigen, das alles ließ in der spätern Erinnerung diese Zeit wie eine Festungshaft erscheinen, und zudem legte sich der pedantische Schulzwang, besonders drückend durch die pietistische Richtung des Rectors, wie ein Trauerschleier auf die freudigste Arbeitslust der Jugend. Nur die deutschen Aufsätze fanden einen gewandten Kritiker in dem auch als Dichter bekannten Lehrer Röller; ihm dankte noch der spätere Schriftsteller die feste Grundlage der Compositionslehre, und sein Beispiel lockte zu eignen Versübungen, die üppig aufschossen, als L. zuletzt in einer wohlhabenden Familie Sack durch Freundschaft mit dem Sohn des Hauses ein behagliches Heim fand. Hier las man im häuslichen Kreise die laufende Litteratur in Zeitschriften und Büchern, schwärmte für van der Velde und Tromlitz, Clauren und Müllner, Grillparzer und Houwald, und L. selbst machte den Vorleser von Schiller’s sämmtlichen Werken. Schon regte sich der Dramatiker und ließ sich durch den letzten Hohenstaufen Konradin zu jambischen Monologen begeistern. Auch die Reize des Studentenlebens erschlossen sich dem heranwachsenden Gymnasiasten; Vetter Fritz war bereits Burschenschafter geworden und die Festung Glogau sah manche alten Semester in Strafhaft; diese weihten schon die Secundaner in die Geheimnisse des Fechtbodens ein, ihr Märtyrerthum gewann schnell die jungen Herzen für die Hoffnungen und Grundsätze der Burschenschaft, und ungeduldig wurde der Augenblick herbeigesehnt, wo die Schulthore sich hinter dem angehenden Studenten schließen würden. Da brachte eine sommerliche Fußtour durchs Riesengebirge die Aussicht, schon jetzt die schweren Glogauer Fesseln abzustreifen; bei der Einkehr in Schweidnitz kam L. in die Kreise der dortigen Gymnasiasten, ihr freieres Leben überraschte, ein Gang zum Director Harbkurt eröffnete auch hier Aussichten auf Freitische und Privatstunden, eine Prüfung wurde glücklich bestanden und so war L. von Michaelis 1825 ab Primaner des Schweidnitzer Gymnasiums. Ostern 1826 wurde er von dort mit einem Zeugniß Nr. 2 zur Universität entlassen.

Als Brotstudium kam nur die Theologie in Betracht; sie lohnten Stipendien und Freitische, und dem examinirten Candidaten winkte die schnellste Versorgung, wenigstens in einer Hauslehrerstelle. Der Mangel jeder Anlage für Mathematik machte die Laufbahn eines Baumeisters völlig hoffnungslos, und mit der Aussicht, den Sohn einst auf der Sprottauer Kanzel zu sehen, duldeten die Eltern ruhig, daß der nun fast Zwanzigjährige vom wohlerworbenen Recht der Selbstbestimmung Gebrauch machte. Ausschweifende Pläne unterband ja seine völlige Mittellosigkeit, und die Litteratur kam als Beruf noch garnicht in Frage. Mit martialischen Sporen an den Stiefeln hatte L. seine Fußreise nach Schweidnitz angetreten; mit der Guitarre neben dem Ränzel auf dem Rücken führte ihn jetzt Schusters Rappen nach Halle. Zu Spiel und Gesang hatte er zwar auffallend wenig Talent; aber ohne diese Symbole der auf der Sprottauer Schmiere und bei späterem gelegentlichen Theaterbesuch aufgeschnappten Romantik that es L. nun einmal nicht, etwas poetische Pose wurde ihm unversehens zum Bedürfniß.

[755] Seine erste Frage in Halle war nach der Adresse der Burschenschaft. Aber diese war seit Sand’s Attentat und dem Wartburgfest streng verboten, sechs Jahre Festungshaft und Unfähigkeit zu jedem Staatsamt waren ihren Theilnehmern angedroht, und diese wollten daher die Existenz einer Burschenschaft nicht wahrhaben; man sprach nur von burschenschaftlichen Kränzchen, deren weiter Vorhof erst zum Allerheiligsten führte. Man begnügte sich mit den Farben Schwarz-Roth, nur bei besonderm Anlaß, auf der Mensur, trat das Gold hinzu. Eine solche zweifarbige Mütze hatte sich denn auch L. zuallererst erstanden, und sie wurde seine Rettung aus schlimmster Bedrängniß. Das Reisegeld war bereits verzehrt, das von der Heimathstadt Sprottau verliehene Stipendium blieb aus; statt seiner meldete ein Brief des Vaters, daß die Familie der Summe unbedingt bedurft habe; übrigens würde es ihm jetzt, „in erhöhter Stellung“, nur leichter fallen, sich selbst zu helfen. Bedrückt schlich er durch die Straßen. Da rief ihn aus einem Fenster ein alter Burschenschafter an, der an der Mütze den Fuchs erkannte, und der sich entspinnenden Aussprache folgte das Angebot, die Stube des alten Semesters mitbeziehen zu wollen. Die anderthalb Jahre in Halle theilte nun L. mit diesem gutmüthigen Pommer und theologischen Collegen Namens Puchstein Wohnung, Brot und Tabak, und da der Sprottauer Idealist überhaupt die Anschauung mitgebracht hatte, daß die ganze Studentenschaft eine Art großer Familie sei, in der man sich um des Lebens Nothdurft weiter nicht zu kümmern brauche, so fand sich auch für die weitern Erfordernisse von Tag zu Tag irgend eine Aushülfe. Unterstützungen von heimathlichen Gönnern schufen gelegentliche Festtage, und in der höchsten Noth brachte das früherlernte Billardspiel willkommenen Gewinn. Die Collegien wurden natürlich gestundet; die Theologie war ja auch nur Mittel zum Zweck des Studententhums, und seit eine blonde Schülerliebe Laube’s in Glogau ihn warnend katechisirt, war schon die jugendliche Ehrfurcht und innere Theilnahme verflogen. Tholuck’s kleine Gemeinde wurde gemieden, Exegese und Kirchengeschichte bei den Realisten Wegscheider und Gesenius gehörten dem nur mit schlaffer Neugier betriebenen Brotstudium des Vormittags, trotz einschläferndster Wirkung plagte man sich auch mit Logik; dann aber flüchtete man schleunigst aus den dumpfen Hörsälen auf den Fechtboden und in die Kneipe, im Sommer jenseits der Saale in Passendorf, im Winter beim Wirth in der Stadt, wo sich die Hunderte junger und alter Semester in brausendem Jugendübermuth zusammenfanden. Der beste Schläger zu sein war der größte Ehrgeiz, auf dem Paukboden herrschte unerbittliche Zucht. L. errang vom „Schleppfuchs“ an alle Würden des akademischen Fechters. Die Umgegend lockte zu gemeinsamen Ausflügen; schon im ersten Sommer 1826 kam der Glogauer Schulfreund Sack mit wohlgefüllten Taschen an und L. durchwanderte mit ihm das Thüringer Land. Weimar aufzusuchen fiel Keinem ein, und doch sollte ein flüchtiger Zufall ihnen den Anblick der dortigen Großen bescheeren: in Wilhelmsthal retteten der Großherzog Karl August und sein Begleiter, der Geheime Rath Goethe, die fahrenden Schüler vor dem Ueberfall herzoglicher Hunde. Ueber Kassel, Wilhelmshöhe und Münden, über die Weser fort, ging es dann nach Göttingen, dessen aristokratischer Ton mit der formlosen Rauhheit Hallescher Studenten scharf contrastirte, und zurück durch den Harz, der den Kindern des Schlesierlandes wenig genügte. Die anstrengende körperliche Uebung des Fechtbodens ließ eine ausschweifende Liederlichkeit nicht aufkommen. Nicht minder aber wirkte das Bewußtsein heiliger Grundsätze, in deren Geiste man sich zusammenfand. Eine fest organisirte Burschenschaft bestand nach Laube’s Darstellung [756] nicht; man zersplitterte sich in burschenschaftliche Kränzchen, die sich aus freundschaftlichem Verkehr regellos bildeten und je nach dem vorwaltenden Interesse politische oder nur studentische Fragen debattirten. L., der sich zu den „Haupthähnen“ herandrängte und seines Eifers wegen, auch weil er am wenigsten zu verlieren hatte, gern gesehen wurde, nahm wol mit gleichem Eifer an beiderlei Zusammenkünften Theil. Und wie harmlos war im Grunde auch die Politik dieser Jugend! Wie völlig überfluthete sie der poetische Zauber studentischer Freiheit und studentischen Lebens. Von Tagesgeschichte und Zeitungslectüre wußte man nichts, und wenn jemals die Begeisterung für deutsche Heimath und deutsche Freiheit zum Wort verlangte, so rollte es einher auf den prachtvoll-allgemeinen Melodien der Freiheitsdichter. Wenn Arndt’s und Schenkendorf’s Lieder aus hunderten junger Kehlen über die Saale schallten, da ging wol ein Schauer durch jede empfindende Brust und ein hingebender Enthusiasmus für alles Große und Schöne flammte in aller Herzen. Nur ganz vereinzelte frühreife Köpfe sahen über die nächste Umgebung hinaus, über das Schmollis fideler Brüder, und das einige Deutschland war doch mehr ein Sonderstaat glückseliger Studenten. L. gehörte noch nicht zu den politischen Köpfen, er war noch brausender Most des Uebermuths, und bei einer lärmenden Schlittenfahrt der ganzen Kumpanei erreichte ihn, den Herausforderndsten, das Verhängniß: sechs Wochen gab man ihm im Carcer Zeit, sich zur Angeberei über die burschenschaftlichen Kreise zu entschließen. Er verrieth natürlich nichts und lachte schadenfroh, als die Universitätsbehörde ihn auf eigene Kosten die Zeit über unterhalten mußte. Aber der Märtyrer war doch gebrandmarkt; das Ereigniß hatte ihn aufgerüttelt, er sah ein, daß ein Wechsel heilsam sei, aber als er sich am Ende des Sommers 1827 die Exmatrikel geben ließ, enthielt sie den Vermerk: „Der Burschenschaft verdächtig“. Und der Delinquent wußte ja, wie gerecht im Grunde dieser Denkzettel war, denn wenn auch die strenge Form gefehlt haben mochte, wol keiner war unter diesen Genossen, der sich nicht später zu ungefährlicher Zeit als Burschenschafter in die Brust geworfen hätte, und von L. erzählten spottlustige Freunde stets mit besonderm Behagen, daß er keine Festrede halte und keine Tischrede in Kistner’s Hotel zu Leipzig, ohne den stereotypen Anfang: „Meine Herren! Ich war Burschenschafter!“

So mochte ihm die Heimath eng und bedrückend genug vorkommen, als er jetzt nach dem dritten Semester über Leipzig, wo er den jungen Emil Devrient auf der Bühne sah, nach Sprottau zurückkehrte und allenthalben als der angehende Theologe empfangen wurde, für den die Mutter bereits die Bäffchen genäht hatte und von dessen Kanzelberedsamkeit man schon jetzt eine Probe sehen wollte. Auf Betreiben der Eltern durfte L. in einem benachbarten Kirchdorf seine erste Predigt halten, der er mit vorsichtiger Umgehung des Dogmas einen allgemeinen Paulustext zu Grunde legte. Mit Ueberwindung that er diesen ersten Schritt zu einem Ziele, das er bisher nie fest ins Auge gefaßt hatte; die Handlung blieb auch nicht ohne Eindruck auf ihn selbst; die Kindheitserinnerungen und die Weihe des Ortes gewährten so viel religiöse Stimmung, daß er die Gefahr des Befangenseins und Steckenbleibens überwand. Denn darin bestand für ihn der eigentliche Conflict dieser Stunde: er durfte seinen Eltern und seiner Gemeinde keine Schande machen. Ihn selbst befriedigte dieses erste Auftreten gleichwol nicht, er hatte sich für einen besseren Vortragskünstler gehalten, und als er später in Salzbrunn noch mehrere Male die Kanzel bestieg, konnte er an sich selbst beobachten, daß er, um eine rhetorische Wirkung zu ertrotzen, schließlich in die Tonart des Eiferers verfiel.

[757] Es war schon spät im Wintersemester 1827/28, als L. seine Collegienhefte und Bücher zusammenpackte und nach Breslau übersiedelte. Auch dort erwartete ihn wieder die Wohnung eines Commilitonen, aber die Burschenzeit sollte ja jetzt vorüber sein, und die schlesische Hauptstadt, wo man nur Landsleute und unsympathische Polen traf, erschien, Halle gegenüber, wie Provinz. Der Steckbrief von dort wurde ihm jetzt zum zweifachen Verhängniß. Dem Breslauer Universitätsrichter war er als verdächtiger Kumpan von vorn herein gezeichnet, und die neuen Collegen führten den also renommirten Matador im Halloh auf die Kneipe und den Fechtboden. Die burschenschaftlichen Kreise Breslaus waren im Kriegszustande, man organisirte neu, und da regnete es Contragen und p. p.-Suiten. Und damit kam ein Rückfall für L. Was man in Halle noch an den Landsmannschaften verachtet, das berufsmäßige Dreinschlagen, Saufen und liederliches Leben, dem verfiel nun diese burschenschaftliche Soldateska vollständig. Man lebte wie ein Landsknecht, der Würfelbecher oder die Karte waren ergiebiger als das Billardqueue; an gut bezahlten Fechtstunden fehlte es auch nicht. Dem langsam verbummelnden Theologen winkte sogar ein beneidetes Glück: die Stellung eines Universitätsfechtlehrers wurde ihm nach einer glänzenden Mensur mit einem französischen Fechtmeister angetragen. Das brachte den Umschwung, er besann sich auf sich selbst und lehnte ab. Als ob er geahnt hätte, daß sich mittlerweile ein Faden angesponnen hatte, der zum Lenkseil werden würde. Die Fachcollegien hatte L. in Breslau längst versäumt, aber in müssiger Neugier hatte er bei den Koryphäen der andern Facultät hospitirt, und war da an Steffens und den alten L. Wachler gerathen. Die kernige Natur des Letzteren und der unermüdliche Nachdruck seines Vortrags imponirten L. mächtig, und zu dieser Zeit gerieth er auch wieder einmal ins Theater, für das unterdeß der Student wenig Zeit übrig gehabt hatte. Kleist’s „Käthchen von Heilbronn“ zündete in der noch nicht unempfänglichen Brust, und nun ging eine Mine nach der andern hoch. Die Aussprache mit Kameraden brachte nähere Anknüpfung und einer derselben führte den naiven Neuling in einen Verein von jungen Dichtern, denen bei der Vorlesung ihrer Manuscripte ein unbefangener Zuhörer gerade recht kam. Aber bald entdeckte man, daß man sich einen Kritiker bestellt hatte, der mit nüchtern-verständigen Fragen in das träumerische Idyll dieser Märchen- und Romanzendichter einbrach und bei ihren handlungsarmen, Tieck und Shakespeare nachgeahmten Lustspielen sein Gähnen nicht unterdrückte. Das gab Debatten und diese erforderten Kenntnisse; so warf er sich mit der Vehemenz der Opposition auf das litterargeschichtliche Studium. Auch zur eigenen Production reizte dies Beispiel; zwar blieb es in der Lyrik bei dürftiger Nachahmung, dennoch schien L. alle Genossen überholen zu wollen, als er mit einer deutschthümelnden Romanze „Der Kampf“ in einem nicht nachgewiesenen Preisausschreiben der „Schlesischen Provinzialblätter“ als Sieger hervorging. Als Kritiker setzte er Shakespeare und Tieck, den Göttern jenes Dichterkränzchens, die dramatische Wucht Schiller’s gegenüber und als im Januar 1829 Wilhelm Wackernagel als Theaterreferent der „Breslauer Zeitung“ Karl Schall’s die „Braut von Messina“ arg zerzauste, dafür Holtei’s „Lenore“ maßlos verherrlichte, durfte er seiner temperamentvollen Entrüstung darüber in der Breslauer Zeitschrift „Freikugeln“ Ausdruck geben. Hier verdiente er sich als „Alethophilos“ die ersten kritischen Sporen. Der Theaterbesuch wurde nun zur Regel, auf Gastspiele wurde geachtet; Wilhelm Kunst machte im März 1829 als Karl Moor Furore; aber erst Seydelmann als Clavigo (11. Juli 1829) war ein Erlebniß, das in L. den Theaterkenner auf sichre Füße stellte. Unterdeß hatte sich jener litterarische [758] Verein zur Herausgabe einer Zeitschrift entschlossen, für die jetzt in L. der geeignete Redacteur gefunden schien, und eines Julimorgens 1829 erwachte L. als Herausgeber der neubegründeten „Aurora“. Nun galt es umsomehr, den Kreis des Wissens und Könnens zu erweitern, und so wurde im Verlauf eines kurzen Halbjahres „aus dem studentischen Saulus ein litterarischer Paulus ganz kleinen Styls“. Von den Mitgliedern jenes Poetenvereins hat sich nur L. einen Platz in der Litteraturgeschichte erobert, wenn auch etliche, wie Max v. Oer und Heinrich Wenzel, sich mit lyrischen Sammlungen, Novellen und Buchdramen hervorwagten. Die Lyrik war die eigentliche Domäne dieser Dichterlinge; nebenbei hielten sie in ihrer „blitzblauen Romantik“ die Pflege des Märchens für ein brennendes Bedürfniß. Richard Baron, L. Bornitz, A. E. v. Mühlbach, Max v. Oer, ein Freiherr v. d. Oelsnitz, Julius Gerlach, H. Wenzel, Otto Hanisch und der Herausgeber wetteiferten in Sonetten, Romanzen, Trink- und Studentenliedern, Liebesgedichten und Versräthseln; L. und Wenzel schrieben Xenien und Epigramme wie Goethe und Schiller und ein ganzer Xenienkampf entbrannte in den schlesischen Blättern, der „Breslauer Zeitung“, den „Freikugeln“, dem „Hausfreund“ u. s. w. für oder wider die „Aurora“. L. bestritt den Hauptinhalt des wöchentlich achtseitigen Blattes. Gleich in der zweiten Nummer der „Aurora“ trat er mit einem ganzen Codex von kritischen Grundsätzen hervor; mit Glück versuchte er sich an neuen Productionen, hatte für Immermann Anerkennung, für die Uebersetzungsfabrikanten kräftigen Tadel, ließ die französischen Lustspiele gelten, polemisirte gegen Holtei und spielte nunmehr Shakespeare gegen Schiller aus wegen seiner „größeren Natürlichkeit der Handlung und des Lebens“. Und den Maßstab ungefälschter Natur hatte er auch für die Leistungen der Schauspieler; die Macht des Wortes war es, die ihn völlig zu Seydelmann’s Kunst hinriß, und schon damals bestritt er seine Kritik mit der Formulirung und Verkündigung des bei ihm Gesehenen: klare Aussprache, Beherrschung des Wortsinns, Dialektfreiheit und mühelose Bewältigung der Jamben. Vom Juli bis December nur konnte sich die Zeitschrift behaupten. Zwar hatten etliche „alte Herren“, wie Karl Schall, Kannegießer, v. Biedenfeld, gelegentlich auch ein Scherflein gestiftet; Uhland hatte auf eine Einladung Laube’s (10. Aug.) natürlich geschwiegen. Aber das reichte nicht aus, die Theilnahme der Oeffentlichkeit wirksam zu gewinnen, und Ende 1829 hatten sich die Druckschulden, noch dazu auf Laube’s persönliches Conto geschrieben, so gehäuft, daß an eine Fortsetzung nicht zu denken war. Aber dies erste dreist zufassende Heraustreten Laube’s in den „Freikugeln“ schon hatte ihm einen einflußreichen Gönner und Freund erworben in Karl Schall, dem Redacteur der „Breslauer Zeitung“, die mit ihrem Feuilleton eine litterarische Macht in Schlesien darstellte. Der stets auf frischen Reiz für sein Blatt bedachte Schall freute sich, ein so streitlustiges Füllen für seinen buntscheckigen Marstall zu gewinnen, Laube’s Person, seine Aufrichtigkeit und wol auch ein etwas phantastisches Drauflosleben gefielen ihm zudem, und im Sommer 1829 wurde L. selbst der Nachfolger Wackernagel’s als Theaterkritiker der „Breslauer Zeitung“. Aus diesem Engagement wurde eine herzliche Freundschaft der Collegen Laube und Schall, die sich im Theater oder hinter den Coulissen, am Redactionspult oder am schlemmerhaft besetzten Mittagstisch trefflich zusammenfanden. L. lernte von diesem Lebemann, der in allen, auch den wenig saubern Winkeln der Litteratur zu Hause war, der selbst ein niedliches Lustspieltalent besaß, der ein geschickter Journalist war und dem Goethecultus huldigte; von Schall wurde er eingeführt in die lebende Litteratur, von der die Buchlitteratur des Poetenvereins nichts ahnte; Schall war als Schriftsteller und als Original eine öffentliche [759] Figur; ernste Kenntnisse und handwerksmäßige Routine, beides verdankte L. diesem Freunde, den er nach seinem frühen Tode so humorvoll in der typischen Silhouette des Eßkünstlers zeichnete und von dem er sich in dieser Breslauer Epoche nur einmal trennte, im Frühjahr 1830, zur „Schlesischen Zeitung“ übergehend, um aber bald wieder reuevoll von Capulet zu Montague zurückzukehren.

Diese enge Fühlung mit dem Theater, der Verkehr mit den Schauspielern und die positive Seite der kritischen Thätigkeit mußten bald auch den Dramatiker herausfordern; das Bedürfniß einer neuen Rolle für Wilhelm Kunst führte zur hastigen Vollendung eines historischen Trauerspiels „Gustav Adolf“, das auch am 14. März 1830 ohne Erfolg über die Breslauer Bühne ging. Und ebenso fix hatte H. Campo, dieses Pseudonyms bediente sich L., für den Schauspieler Just eine lustige Pantomime zurechtgezimmert, die am 17. October 1829 die gewünschte Wirkung that. „Nicolo Zaganini, der große Virtuos“ hieß diese Farce, die für den geschickten Parodisten des großen Geigenkünstlers, den „Paganini-Just“, auf lange Zeit die Grundlage einer durch ganz Deutschland vagabondirenden Existenz wurde. Doch besaß L. genug Selbstkritik, um in der „Aurora“ mit einer skeptischen Erwähnung über diesen Schmarren hinwegzugehen, und eine zweite Posse, die nach gleichem Recept den Feldherrn Diebitsch hinstellen sollte, ist wol, wie auch mehrere Lustspielversuche, nur Fragment geblieben. Auch mehrere Tragödienentwürfe kamen nicht zur Ausführung. Der geschickte Regisseur hatte sich aber bereits in jenem „Gustav Adolf“ bei Aufbau der Handlung und Benutzung scenarischer Hülfsmittel verrathen; der dramatische Conflict war klar und wirksam erfaßt: Gustav Adolf wird aus dem Gottesstreiter ein weltlicher Eroberer, dieses Abfalls sich bewußt, sucht und findet er in der Schlacht bei Lützen seinen Tod. Die ganze Gruppirung der Personen, der zuversichtliche tapfere Soldat gegenüber dem düster brütenden Wallenstein und die schließliche Uebernahme seines Erbes durch Bernhard von Weimar fügte sich hier schon so fest, daß sie vor dem spätern Verfasser des „Deutschen Krieges“ wieder auflebte. Für die Ausbreitung des Kriegs- und Schlachtenlebens boten die Shakespearestudien eine zuverlässige Handhabe; als sich L. aber beim Abschluß eines zweiten Dramas „Moritz von Sachsen“ auf die gleichen Hülfsmittel angewiesen sah, stutzte er und legte das Manuscript bei Seite. Eine weitere Tragödie „Zwei Edelleute oder die Freunde“ blieb im Entwurf stecken. Aus äußerem Anlaß zwar, aber auch auf inneren Erlebnissen hatten sich diese tragischen Versuche aufgebaut. Auch als Dichter von Festprologen, deren einige er zu Scenen und Acten gestaltete, versuchte sich „H. Campo“ auf der Breslauer Bühne.

Das Triennium des Theologen war unterdeß längst abgelaufen, die ihm zudictirte Examensarbeit „Ueber die Erbsünde“ aber noch keineswegs gefördert. Das Brotstudium einfach an den Nagel zu hängen, dazu fühlte sich L. noch keineswegs stark genug, und wenn er die Kirchengeschichte mit den Augen des Dramatikers betrachtete, flößte sie ihm sogar Interesse ein. Wie er zudem selbst empfunden, daß der Verfasser des „Gustav Adolf“ noch keineswegs ein Dichter sei, mußte er auch bei dem schnell gewonnenen Ueberblick sich sagen, daß der Wille zum Lernen, Keckheit und einige Gewandheit des Stils nicht ausreichten, darauf eine Existenz zu bauen. Aus diesen Zukunftssorgen des Sommers 1830 riß ihn die Julirevolution empor; sie breitete vor den Augen des Litteraten wie einen unentdeckten Welttheil die Geschichte und Politik, und diesen zu erforschen, dazu war das Breslauer Journalistentreiben ungeeignet. Zeit zu gesammeltem Studium zu gewinnen, das war es, was ihm fehlte, und so that sich doch wieder die Stellung eines Hauslehrers auf als [760] passendstes Asyl. Im Juli 1830 schnürte L. sein Bündel und zog aufs Land nach Kottwitz, den Sohn und zwei Töchter eines Dr. Rupricht zu unterrichten, an den ihn ein Breslauer Freund empfohlen hatte. Er hatte das Glück, einen Principal zu finden, dem an einem stockernsthaften gelehrten Schulmeister wenig gelegen war, wenn sich sein Hauslehrer nur beim abendlichen Gespräch um so brauchbarer zeigte; auch politisch war er lebhaft interessirt und das wurde für L. von Bedeutung. Er hatte sich ganz in seine historischen Studien versenkt, die Feder ruhte, die Vergangenheit schien wie abgeschnitten; nur das Schillerfest lockte ihn im November 1830 flüchtig in die Stadt zurück. Da erhob sich jenseits der nahen polnischen Grenze der politische Sturm, die Alarmnachrichten überstürzten sich, die Zeitungen wurden mit Spannung erwartet, man debattirte, ergriff Partei, und Principal sowie Hauslehrer wurden beide von dem poetischen Element des sich entspinnenden Kampfes fortgerissen. Nicht der polnischen Nation, deren aristokratischer Uebermuth schon den Gymnasiasten und Studenten gereizt hatte, aber der Sache, die sie verfochten, dem Princip der Freiheit, schloß man sich mit dem ganzen Enthusiasmus dieses heißen Jahres an und der ursprüngliche deutsche Haß gegen die russische Knute übersah gerne die offenbaren Mängel der Warschauer Revolutionäre. So wurde polnische Geschichte der Hauptgegenstand der Laube’schen Studien, und unter dem Eindruck eines polenfreundlichen Manifestes Lord Brougham’s skizzirten sich wie von selbst die Grundzüge eines historischen Memoires. Ein persönliches Erlebniß brachte dann den Stein ins Rollen. Bei einem Frühjahrsaufenthalt der Rupricht’schen Familie in Breslau begegnete L. einem verwundeten polnischen Officier, und der Pole hatte auch nicht so bald das Interesse seines deutschen Bekannten durchschaut, als auch schon das gemeinsame Project eines solchen Memoires über die Polenfrage in Angriff genommen war. In der Frühjahrsstille des Badeortes Salzbrunn wurde so L. in alle Details des wogenden Kampfes eingeweiht, und wenn auch im persönlichen Verkehr der poetische Zauber von dem Fremden wich, das schriftstellerische Interesse stand in vollen Flammen und nach einigen Wochen war die Schrift so gut wie vollendet. Da rief die Unglücksschlacht bei Ostrolenka den kaum geheilten Soldaten wieder unter die Fahnen. Noch einige Zeit blieb L. in Salzbrunn, wo die Bewohner des gastfreien, töchterreichen Pfarrhauses den jungen Wildling wieder in das saubere Gehege einer ordnungsmäßigen theologischen Laufbahn zurückzuverpflanzen suchten. Mehrfach bestieg er auch hier in Vertretung des alten Pfarrers die Kanzel, und erfüllt von den besten Vorsätzen, das Examen unter allen Umständen durchzusetzen, reiste er, ein Halbbekehrter, wieder nach Breslau zurück. Doch über den mit dem Gelehrten Fürst aufgenommenen hebräischen Studien überraschte ihn die Nachricht des Verlags Hoffmann & Campe, dem er das Manuscript des polnischen Memoires gesandt hatte, daß seine Arbeit zum Druck angenommen sei, und nun stand der widerwillige Theologe mit einem Schlage wieder als der freie Schriftsteller da. Die nüchterne Ueberlegung aber sagte ihm, daß für die Ausführung eines solchen entscheidenden Entschlusses die Zeit noch nicht gekommen sei, daß er einer sorgsamen Vorbereitung bedürfe und vorerst nochmals Zeit gewinnen müsse. Dr. Rupricht war unterdeß weithin an die polnische Grenze übergesiedelt, wohin ihm L. nicht folgen mochte; aber in dem Kottwitz benachbarten vornehmen Herrenhaus des ehemaligen Lieutenants v. Nimptsch zu Jäschkowitz, wo der Hauslehrer des Dr. Rupricht schon früher gern gesehen wurde, war die Stelle eines Erziehers frei, und L. griff um so lieber danach, als die Hausfrau Leocadia geb. v. Gildenheim als eine litterarisch interessirte Frau galt, die zu den Breslauer Koryphäen Hoffmann von Fallersleben und Karl [761] Schall freundschaftliche Beziehungen hatte, und er zudem dort eine reiche Bibliothek beherbergt wußte, die dem Baron Eugen v. Vaerst, dem „Chevallier de Lelly“, dem Verfasser der „Cavaliersperspektive“ gehörte. Damit war im Juli 1831 der Lebensplan ins Reine gebracht, und da die neu übernommenen Lehrpflichten bei einem Knaben von 8 und einem Mädchen von 12 Jahren reichliche Zeit übrig ließen, entstanden im Laufe dieses Jäschkowitzer Jahres Laube’s erste selbständige Schriften, die unter dem Haupttitel „Das neue Jahrhundert“ gleich eine Serie von in der Tendenz einheitlichen Büchern eröffnen sollten. Zwar erst im Entwurf, wie ja auch jenes polnische Memoire durch die Hast der Ereignisse bald Fragment wurde, und vor allem in ihrer Gesinnung. Hauslehrer und Principal waren diesmal keineswegs so einig, wie einst in Kottwitz. Die Hausfrau zwar war liberal, der Vater aber war ein militärischer Landjunker, der für die Begeisterung und die Ideen des Sprottauer Maurersohns nur souveränen Spott hatte. Seine politische Ueberzeugung hinderte ihn zwar nicht, als Edelmann die nach der Warschauer Katastrophe über die preußische Grenze flüchtenden polnischen Edelleute gastlich aufzunehmen; aus deren Erzählungen schöpfte L. den Stoff für die Fortsetzung seiner Skizze der polnischen Revolution. Jarke’s „Politisches Wochenblatt“ gehörte zur Familienlectüre, und ein Verwandter des Hauses, das Wunderkind Professor Karl Witte, kam häufig von Breslau herüber, dies reactionäre Evangelium auszulegen. So entspannen sich politische Debatten und Kämpfe, in denen sich L. zwar vorsichtig zurückhielt, aber auch den moralischen Mittelpunkt seiner Studien und seiner damaligen politischen Weltanschauung gewann. Das religiöse Element herrschte noch vor, der Liberalismus war ihm die politisch gedeutete Bergpredigt Christi; der „herrschsüchtigen Aristokratie der Kirche“ stellte sich die „große liebevolle Demokratie der christlichen Lehre“ gegenüber; Staat und Christenthum setzten sich um in Liberalismus und neue Religion. Ein phantastisches Apostelthum winkte in unklaren Umrissen, und nun drang von jenseits des Rheines das neue Evangelium der St. Simonisten über die Stoppelfelder Schlesiens. Karl Schall schrieb seine Rosa-Billets mit den neuesten Notizen über die Proklamation des freien Weibes und der Baron v. Biedenfeld setzte selbst die freimüthige Hausfrau mit der zukünftigen Weibergemeinschaft in Schrecken. Nächst der religiösen Frage war es die Frauenfrage, die den Extheologen am tiefsten beschäftigte. Das Buch von Moritz Veit über den Simonismus wurde beschafft und das ganze Haus verfolgte mit Spannung die Entwicklung der Pariser Ereignisse, denen im Januar 1832 die polizeiliche Aufhebung ein Ziel setzte. Auf Père Enfantin’s Landgut hatten sich die Reste zusammengefunden, und diese klösterliche Gemeinschaft kennen zu lernen, drängte es jetzt Laube’s abenteuerlüsterne Phantasie. Seine Stellung war auch bald unerquicklich geworden; Herr v. Nimptsch durchschaute die Gedankenrichtung seines Hauslehrers und war natürlich entrüstet, wenn in Breslau bereits erzählt wurde, sein Sohn werde zum Revolutionär erzogen. Die Zurechtweisungen des Principals haben das Vorurtheil Laube’s besonders gegen den schlesischen Adel, das in seinen ersten Schriften schroff hervortritt, herausgefordert. Er hatte sich daher bei Zeiten umgesehen, seine nächste Zukunft praktisch zu begründen. Bereits im Sommer 1831 hatte er für Leipziger Zeitschriften, für Herloßsohn’s „Komet“ und das Concurrenzblatt „Planet“, correspondirt, im September knüpfte er die Verbindung mit F. A. Brockhaus an, für dessen „Blätter für literarische Unterhaltung“ er von Ende 1831 ab zahlreiche Bücherkritiken über theologische und historische, aber auch schon über litterarische Gegenstände lieferte. Gleichzeitig und noch einmal im März 1832 bewarb er sich um die Redaction [762] des politischen Theils der Blätter dieses Verlags, mit der Absicht, nach Leipzig überzusiedeln. Größere eigene Pläne wuchsen hervor; ein Brief an Cotta vom 1. Februar 1832 legt gleich ein ganzes Nest weitläufiger Projecte blos: er bietet zwei Tragödien, wol „Gustav Adolf“ und „Moritz von Sachsen“, zum Verlag an, ferner eine Bildungsgeschichte der Menschheit in Form einer Litteraturgeschichte und eine Sammlung historisch-politischer Aufsätze. Trotz Cotta’s freundlicher Aufmunterung blieb es bei dem dazu gesammelten Material. „Aufsätze über lebendig werdende Institute wie Simonismus, lebendig sich gebärdende illegitim legitime Bücher, histor. Skizzen über die Leiche Polens, Briefe über Liberalismus, liberale Theologie etc.“, also wesentliche Stücke des „Neuen Jahrhunderts“ dachte L. im März Brockhaus vorzulegen. Zwar hatte dieser ihm mehrfach von einem Wohnungswechsel abgerathen, aber allmählich brannte ihm der Jäschkowitzer Boden unter den Füßen, und im Juni 1832 löste sich auf beiderseitigen Wunsch Laube’s letztes Hauslehrerverhältniß. Am 29. Juni brachte Baron v. Biedenfeld in Breslau seinen jungen Freund auf die Schnellpost, die den noch als „Theologe“ reisenden Gesinnungsgenossen der Simonisten zunächst nach Leipzig bringen sollte.

Es mußte schon ein ganz winziges Fischlein sein, das unbeschadet durch das Leipziger Verlegernetz geschlüpft wäre, und L. widerstrebte denn auch nicht lange, sich einfangen zu lassen. Die Beziehung zu Brockhaus wurde aufrecht erhalten; die früheren Correspondenzen verschafften nun manch nützliche Bekanntschaft. Ausschlaggebend wurde die Anfreundung mit dem Schriftsteller Richard Otto Spazier, der, an einem großen Werk über die polnische Revolution arbeitend, der Mittelpunkt und Memoirenempfänger aller durch Leipzig eilenden polnischen Flüchtlinge war. Mit Hülfe seines reichen Materials brachte L. seine Skizze der polnischen Begebenheiten zum letzten Abschluß; daß Campe sich von dem Druck des durch die neuesten Ereignisse überholten Memoires durch ein kleines Honorar loskaufte, kam trefflich gelegen; denn der Buchhändler Philipp Reclam, der den Berathungen zwischen Spazier und L. im Schweizerhäuschen des Rosenthales öfters beiwohnte, interessirte sich für den temperamentvollen Fremdling und verschaffte ihm für den jetzt völlig umgestalteten ersten Band des „Neuen Jahrhunderts“ in der Fr. Korn’schen Buchhandlung zu Fürth einen Verleger, den zweiten Theil des Werkes, die „Politischen Briefe“, zu deren Herausgabe sich L., angestachelt durch solches Entgegenkommen und durch das ganze betriebsame Milieu Leipzigs und nicht zuletzt in der Hoffnung auf Reisegeld für Paris, kurzerhand entschloß, übernahm er auf seine eigene Firma, das „Literarische Museum“. So war L. mit einem Male mitten in litterarischer Production, und der Zeiger, der nach Paris rücken sollte, blieb einstweilen auf Leipzig stehen. Ein Dämpfer etwaigen Uebermuthes erfolgte jedoch bald. Nach wenigen Wochen fühlte L. seine Gesundheit bedrohlich erschüttert, eine schwarzseherische Hypochondrie befiel ihn, eine Badecur in Karlsbad war unerläßlich. So betrat er in der zweiten Hälfte des Juli 1832 zum ersten Mal österreichischen Boden. Die verzweifelnde Stimmung des im üppigen Badeleben auf schmale Rationen gesetzten Patienten beherrschte die nächsten Wochen. Kaum quälte er sich einige Briefe für den zweiten Theil des „Neuen Jahrhunderts“ ab; das Theater war ihm widerwärtig, der behagliche österreichische Materialismus reizte ihn nur, Umgang mit anderen Gästen vermied er meist; der joviale Ton der Oesterreicher vermittelte aber doch die Bekanntschaft mit zwei österreichischen Cavalieren, dem Fürsten Friedrich Schwarzenberg, dem bekannten „Lanzknecht“, und dem böhmischen Grafen Fritz Deym; ihr wohlthuender Eindruck hat Laube’s Vorliebe für Oesterreich und seinen Adel für alle Zeit begründet. [763] Nach fünf Wochen war aber seine Baarschaft erschöpft und am 27. August setzte ihn die Eilpost wieder in Leipzig ab. Wo sollte er anders hin? Die Reise nach Paris war jetzt zur Chimäre geworden. In Leipzig hatte er Freunde gefunden, dort wurden seine Bücher gedruckt, hier war seine einzige Zuflucht. So richtete er sich denn wieder auf der Nikolaigasse häuslich ein, um in einem verdrießlichen Fatalismus der heilenden Wirkung des Karlsbader Sprudels und dem Reifen seines Glücks entgegenzuharren.

Abendliche Gewohnheit führte ihn jetzt auch wieder ins Theater, dessen Leistungen unter dem neuen Leipziger Director Ringelhardt (seit dem 15. August 1832) in ihrem engen Kreise anerkennenswerth waren, aber doch den schäumenden Localpatriotismus der Eingeborenen keineswegs rechtfertigten. L. sah dem eine Weile zu, aber schließlich drückte das kritische und besonders antikritische Gelüst dem schon erfahrenen Theaterkenner eines Tages die Feder in die Hand, um gegen das allerorten wiederklingende Hausmannslob Front zu machen, nur „so zum Spaß“, wie er meinte. Bei dieser Thätigkeit überraschte ihn Freund Reclam, nahm das Manuscript an sich, und wenige Tage darauf (am 17. September 1832) stand der Anfang eines ersten Artikels „Theaterzustand“ im „Leipziger Tageblatt“. Der Artikel erregte Aufsehen, wie die Redaction, als sie am 22. October seinen Schluß brachte, erklärte; sie theilte aber die Ansicht des Verfassers so sehr, daß sie am 15. November einen zweiten Aufsatz von dem mit „H. L.“ zeichnenden Kritiker brachte. In beiden Artikeln trat L. als Urtheiler auf, dem die kleinstädtische Lobhudelei des Einheimischen gänzlich fernlag und der auch über das mit Liebe Gepflegte eine sachliche und objective Meinung hergestellt wissen wollte, selbst auf die Gefahr hin, das gemüthliche „Eldorado der Zufriedenheit“ grausam zu zerstören. Alles in allem habe das Leipziger Theater nur vier bessere Schauspieler, und was er über einen von diesen, Wilhelm Kunst, sagt, bezeichnet die Bedeutung dieses „Krafttalentes“ durchaus.

Auch das Repertoire gefiel ihm nicht. Die Aufführung von Stücken wie „Der alte Student“ von Maltitz oder „Ben David“ von Neustädt billigte er der Tendenz wegen. Aber die Pflege altmodischer Scharteken, überlebter Ritterschauspiele nannte er einen bedauerlichen Niedergang des Repertoires und wandte sich besonders gegen die Verzerrung eines so „kräftigen Narren“ wie Kunz von der Rosen in „Erzherzog Maximilians Brautfahrt“ von dem „Hofpoeten“ Deinhardstein. Selbst Molière’s „Tartuffe“ hielt er für nicht mehr zeitgemäß. Die Bühne müsse der „reine, wahre, richtige Ausdruck der Oeffentlichkeit“ sein, und diese sei heute mit anderen Dingen beschäftigt. So einseitig Laube’s Ansicht auch sein mochte, ihr scharfes Profil wurde bemerkt und der kecke Ton des Vortrags fesselte den Verleger der „Zeitung für die elegante Welt“, Leopold Voß. Er bat deshalb sofort den jungen forschen Kritiker um Beiträge für sein Blatt; aber dieser lehnte ab. L. fühlte sich noch ganz als Mann der Politik, der die litterarischen Blätter Leipzigs wenig beachtete; zwar war die Möglichkeit der Pariser Reise in aussichtslose Ferne gerückt, aber die Stimmung, die ihn wie einen frommen Moslem zum modernen Mekka lockte, beherrschte ihn noch bei Vollendung seiner „Politischen Briefe“ und der Correctur des Buches „Polen“, das gegen Weihnachten erschien. Der Antrag hatte ihm aber doch geschmeichelt, der zweite Theaterartikel entstand, und nun verstieg sich Voß zu dem Vorschlag, L. möge an der Redaction theilnehmen. Wieder lehnte dieser ab, schon nicht mehr aus Princip, sondern weil ihm die Gemeinschaft mit dem alten Redacteur Methusalem Müller unmöglich schien. Aber die Umwandlung des historischen Schriftstellers in den Belletristen setzte bereits ein. Ein bildungsbedürftiger Mann, der Wirth im „Hotel [764] de Bavière“, Julius Kistner, hatte sich den hypochondrisch-ernsten Gast seines Mittagstisches zum Mentor ausgesucht, der ihm bei manchem guten Trunk fehlende Kenntnisse vermitteln sollte. Aber zu dieser Wirthstafel, an der der ehemalige Theologe durch den wortreichen Enthusiasmus seines Schülers bald an Bekanntschaft und Ansehen stieg, fanden sich auch andere Männer ein, vor deren ausgedehntem und gediegenem Wissen Laube’s fragmentarische Kenntnisse sich immer kleinlauter zurückziehen mußten. Besonders war da ein dicker Schwabe, dessen Lachen ebenso hinriß wie die Fülle seines Wissens und der Reichthum an reformatorischen „Projecten“, Friedrich List, der berühmte Nationalökonom. Im Redekampf mit solchen Männern schrumpfte Laube’s Zuversicht auf seinen historischen Beruf immer winziger zusammen, die vermittelnde Thätigkeit eines Belletristen trat daher als die seinen Fähigkeiten gefügigere in den Vordergrund, der Theorienbau des „Neuen Jahrhunderts“ gerieth ins Stocken, und mit der heilenden Wirkung der sommerlichen Badecur begann auch die Lust zum poetischen Schaffen wieder aufzuleben, die journalistische Tagesarbeit lockte, und als gelegentlich einer Abendgesellschaft beim Professor Hänel – auch im Elternhause Richard Wagner’s verkehrte L. damals – der Verleger Voß sein Angebot soweit steigerte, daß L. vom Jahre 1833 ab die Redaction allein übernehmen sollte, schlug dieser ein, und unterm 10. December 1832 wurden die Prospecte für den neuen Jahrgang der „Eleganten Zeitung“ gedruckt.

Im Frühjahr 1833 erschienen die „Politischen Briefe“, von denen auch Exemplare mit dem eingeklebten Titel „Briefe eines Hofraths oder Bekenntnisse einer jungen bürgerlichen Seele“ vorliegen, eine Manipulation, die wol den Zweck hatte, Censurschwierigkeiten zu umgehen, und es mochte dem Verfasser und jetzigen Redacteur eines angesehenen belletristischen Journals willkommen sein, daß die Kritik sie als interessante „politische Unterhaltungslektüre“ lobend begrüßte. Sie stehen auf der Brücke vom zeitgenössischen Historiker zum Feuilletonisten, während das Buch „Polen“ sich völlig als ein geschichtliches Werk darstellt. Aus der stürmischen Gegenwart zieht es sich in die Vergangenheit zurück und gibt, von aller festen Disposition unbeirrt, eine Uebersicht der Geschichte Polens, die vor allem darthun soll, wie diese Nation im Laufe der Jahrhunderte immer gewaltsamer von ihren Nachbarn, besonders von Rußland, geknebelt wurde. Wo die humane Entrüstung dem Verfasser die Feder führt, vermag das warme Pathos seiner Sprache stellenweise fortzureißen. Aber das stillose Auf und Ab der Darstellung, der Mangel jeder einheitlichen Form, der unklare und dürftige novellistische Aufputz zerstören jeden ganzen Eindruck; in der Mitte nimmt das Buch sogar zu dürren historischen Regesten seine Zuflucht, Spuren der stückweisen und zufälligen Entstehung der Schrift. Erst die zweite Hälfte rundet sich zu einer temperamentvollen Darstellung der „Großen Woche“ und der ihr folgenden Kämpfe; die Unterhaltungen in Salzbrunn, Jäschkowitz und Leipzig verdichten sich wie zu Bildern eigener Erlebnisse und manche trefflichen Charakteristiken der polnischen Heerführer verrathen persönliche Bekanntschaft. Das poetische Element des polnischen Freiheitskampfes ist die Inspiration des Buches; aber seine Verherrlichung ist nicht so einseitig, um nicht auf den inneren Verfall der polnischen Nation, auf ihre Uneinigkeit und selbstische Zwistigkeit, als die Quelle des Unglücks hinzuweisen. Nicht weniger deutlich und scharf aber ist die Tendenz des ganzen Buches gegen Rußland, das kurzweg als die europäische Gefahr hingestellt wird. Ohne solch bestimmte Ziele sind die „Politischen Briefe“, die in zwei zusammenhanglose Theile zerfallen. Sie setzen ein mit dem Briefwechsel eines Juristen, aus dem bei systematischer Fortsetzung [765] vielleicht einmal der „Hofrath“ werden sollte, und eines natürlich liberalen Schriftstellers. Beide suchen in diesem Meinungsaustausch, abseits aller Parteien, ihre Berechtigung zur Schriftstellerei zu begründen und bekämpfen zu diesem Zweck ihre individuellen Meinungen über Zeitereignisse, über Liberalismus, besonders über Börne’s Werth und seine Stellung zu Goethe u. s. w. Der Briefwechsel reicht vom Herbst 1831 bis nach Goethe’s Tode und stammt daher auch wol aus Laube’s Jäschkowitzer Zeit. Der zweite Theil trägt wie ein Tagebuch die Aufschrift „1832“. Ihn eröffnet eine ganz selbständige Satire gegen Jarke’s „Politisches Wochenblatt“. Alles Uebrige besteht aus einseitigen Briefen des Verfassers, die durchaus das Echo gleichzeitiger Tagesereignisse vom Juli bis November 1832 sind, in Leipzig und auf Laube’s Reisen geschrieben wurden und zudem ein wichtiger Schlüssel für des Verfassers Biographie in diesem Halbjahre bilden. Dieser zweite Theil besonders darf daher als Ausdruck der damaligen politischen und socialen Ideen Laube’s gelten. Er bekennt sich keineswegs zu einem der damaligen demokratischen Dogmen; ihm wird das Ideal einer totalen Freiheit durch solche Sonderinteressen nur gefährdet. Völlige Anarchie des Staates und der Kirche ist ihm dieses Ideal, Anarchie aber im Sinne einer vollkommensten Ordnung, die aller Gesetze entrathen kann, als Idealzustand, dem alle menschliche Entwicklung nachstrebe. Den Symptomen dieser Entwicklung spürt der Verfasser in Staaten- und Kirchengeschichte nach und zeichnet die Linie in eine fern liegende, aber doch gewisse Zukunft, deren zuverlässige Entwicklung auch jeden gewaltsamen Umsturz unnöthig mache. So liegt keinerlei directe Aufreizung in dem Buche; mit größerem und so naheliegendem wissenschaftlichen Apparat wäre es vielleicht unbeachtet durchgeschlüpft; aber die unverblümte Deutlichkeit und unphilosophische Popularität, nach der Laube strebte, konnten nicht anders denn als Untergrabung aller Achtung vor dem Bestehenden ausgelegt werden.

Die Gegenwart, meint L. an einer Stelle dieses Buches, sei der Kunst nicht günstig; erst wenn der stürmische Kampf sich gelegt, dann „dichten die Völker“. Und dennoch zog es ihn schon vor dem Abschluß dieses Werkes zu dichterischer Gestaltung. In diesem Winter, besonders im beginnenden Frühjahr 1833, begann sich das, was ihn an Stimmungen und Ideen erfüllte, in dichterische Gestalten umzusetzen, die sowol äußere Umrisse als innere Lebenskraft aus ihres Schöpfers jüngster Vergangenheit entnahmen, aus dem, was er in seinen Hauslehrerjahren an Erfahrungen und Anschauungen aufgenommen und auf die vorangegangene Breslauer Epoche aufgebaut hatte. Jenen poetischen Freundeskreis hatte L. gleichsam mit sich geführt, als er nach Kottwitz auswanderte, die Verbindung mit Breslau war die engste geblieben, und dieser ideale Bund fand seine Hochburg in dem stattlichen Herrenhause zu Jäschkowitz, wo ein buntes Stück der großen Welt durchpassirte, die mannichfachsten Charaktere sich beobachten ließen, die Contraste einander jagten, und zudem noch eine geistvolle Hausfrau waltete, deren überlegene Milde am meisten zur poetischen Ausschmückung eines phantastischen Buenretiro junger Gesellen verlockte. So wurde „Grünschloß“ zum Sammelpunkt jener Breslauer Freunde, deren Charaktere sich zu Trägern der verschiedenen Zeitrichtungen, theilweise recht glücklich, ausbildeten, und die nun mit ihrem ganzen phantastischen Marketendertroß von revoltirenden Lebensanschauungen, waghalsigen Unternehmungen und romantischen Liebesabenteuern auf Grünschloß ein- und auszogen. „Die Poeten“ nannte sich dieser Roman, der erste Theil der Trilogie „Das junge Europa“. Er ist völlig der breiten Entwicklung der einzelnen Charaktere gewidmet, die Briefform des Ganzen muß als primitives [766] Hülfsmittel dienen, die Erlebnisse der Einzelnen werden dürftig mit einander verflochten, die Einheit wird nur erzielt durch den Mittelpunkt jenes Schlosses, dem sie Alle zustreben; eine sicher arbeitende Hand bewies L. bereits in der Skizzirung der Charaktere, bei denen unter der Perspective einer Trilogie die Möglichkeit einer Entwicklung sorgsam vorgesehen ist, und der Roman schließt einheitlich damit, daß gewissermaßen jeder einzelne Charakter ad absurdum geführt wird, einen völligen Wandel durchmacht und ganz neue Sphären sich öffnen müssen.

Dieser erste Theil des „Jungen Europa“ erschien im Juli 1833 bei Otto Wiegand in Leipzig, zu einer Zeit also, wo L. bereits seit einem halben Jahre das redactionelle Scepter schwang, der frische Luftzug, der aus den Blättern der „Eleganten“ wehte, bereits allenthalben verspürt wurde, und der nun schon zu Geld und Ansehn, auch von Leipzig aus in Jena durch O. L. B. Wolff’s Hülfe zum Doctor philosophiae gelangte Redacteur sich zu einer Reise nach Italien rüstete, zu der er am 4. August 1833 Karl Gutzkow in München abholte. Die beiden energischsten Naturen des Jungen Deutschlands begegneten sich hier zum ersten Male und fuhren gemeinsam über die Alpen zum Gardasee und durch die Städte Oberitaliens, um über Triest und Wien Ende September heimzukehren. Der Eindruck der österreichischen Hauptstadt war kein reicher, die Beziehung zu Grillparzer und den dortigen Litteraten nur eine flüchtige; den Mittelpunkt des Aufenthalts hier bildete das Studium des Burgtheaters. Wiener Leben wurde nur soweit gekostet, als das bängliche Gefühl der Unsicherheit vor etwaigen Launen der Polizei den beiden ihrer liberalen Sünden sich bewußten Autoren Spielraum gab, und dieses Gefühl wurde auf der Rückreise so stark, daß sie in Prag ihre Pässe im Stich ließen, um nur schleunigst über Dresden jeder in seine Heimath zu kommen. Der litterarische Niederschlag dieser gemeinsamen Reise wurden Gutzkow’s „Sommerreise durch Oesterreich“ und Laube’s „Reisenovellen“, die im folgenden Herbst und Winter 1833/34 geschrieben wurden; sie zeichnen die Profile der beiden Wanderer mit scharfen Conturen. Der fünf Jahre ältere Laube besaß weit jugendleichteres Blut, als der blonde, ebenfalls kurzsichtige, schmalbrüstige Berliner, der die Freiheit des Burschenlebens nur in flüchtiger Probe und gewiß mit innerlicher Skepsis gekostet hatte, während L. noch jetzt die Allüren des altbemoosten Hauptes zu zeigen liebte. Gutzkow wandelt mit der ganzen Würde humanistischer Bildung auf den Spuren der Geschichte, Lauben lockt die naivste Freude am Leben und Erleben in die sonnige Ferne, er gefällt sich in der Rolle des fahrenden Schülers, und der Taumel romantisch-lyrischer Empfindung läßt ihn nicht los, wenn reizvolle Gegenden sich seinem genußfrohen Auge eröffnen, das Posthorn durch die Straßen kleiner Städte schmettert, und fremde Menschen ihm begegnen, die ihm durchweg romantisch vermummt erscheinen und sich flugs zu Helden und besonders Heldinnen bunter Abenteuer und improvisirter Novellen wandeln. Weitaus nicht so rein und köstlich naiv wie Eichendorff’s Taugenichts, aber auch ohne die tragische Geste des Dichters der „jungen Leiden“, ist er im Coulissenapparat der Schüler beider; ihm selbst gehören der übermüthige Studententon, der oft in gekünsteltes Kraftmeierthum ausartet, die Verschwendung novellistischer Motive, die er, culturgeschichtlich tastend, aus Oertlichkeit, Landessitte und Menschenschlag zu entwickeln sucht, und ein flüssiger, lebhafter Stil, der Heine’s Grazie durch Derbheit ersetzt, dabei aber im Streben nach Plastik, nach drastischen Bildern und Beiwörtern oft recht glücklich ist. Die aller Traditionen spottende Unbefangenheit in der Würdigung des Gesehenen tritt mit dreister Absichtlichkeit heraus; der spielende Witz mit actuellen Bezügen, pikanten Personalien [767] und charakteristischen Anekdoten kommt auf das gemeinsame Conto der jungdeutschen Schule. Diese erste italienische Reise hatte aber für beide Theilnehmer noch eine entscheidende Wirkung; sie pflanzte in beide, so wenig auch ihre verschiedenartigen Naturen sich nahekamen, das Gefühl gegenseitiger Anlehnung der Jugend gegenüber dem Alter; sie bereitete in Gutzkow, besonders als dieser im Frühjahr 1834 in Leipzig zu Gaste war, den verhängnißvollen Bruch mit Wolfgang Menzel vor, und die Aussprache mit dem gelehrten Verfasser des „Maha Guru“ festigte in L. die Sicherheit seiner litterarischen Wirksamkeit durch die mit enthusiastischem Eifer betriebene Redaction der „Eleganten Zeitung“. Junge Kräfte für sie zu gewinnen war ja sein wichtigstes Bestreben; in diesem Sinne hatte er gleich im Anfange die Garde, die sich einst um den Herausgeber der „Aurora“ geschart hatte, aufgerufen, und auch in Leipzig war er nicht ohne Unterstützung geblieben. Während jener Reise hatte ein junger Dresdener Privatgelehrter, der sich auf eine akademische Carriere vorbereitete, Gustav Schlesier, die Redaction verwaltet, ein scharfsinniger und geschulter Kopf, der mit seinen lehrhaften Zurechtweisungen Laube’s Fähigkeiten zur äußersten Leistung reizte und eine werthvolle Controle für jeden Fehlhieb des Rauflustigen abgab. L. hat die besten für sein Blatt geschriebenen Aufsätze 1835 unter dem von Gutzkow geprägten Titel „Moderne Charakteristiken“ gesammelt herausgegeben, historische Skizzen und vor allem litterarische Essays, deren prickelnder, schlagkräftiger Stil und mühelose Erfassung moderner Probleme diese zwei Bände zu einem der wichtigsten Manifeste des „Jungen Deutschlands“ stempeln. Man muß aber von der spätern nicht unbefangenen Redaction auf die erste journalistische Fassung zurückgreifen, um ganz die Wirkung dieser leichtbeschwingten kritischen Pfeile zu verstehen. Der Geist des „Jungen Europa“ tritt hier zudem noch in „Modernen Briefen“ und manchem später Unterdrückten reformirend auf; rücksichtsloses Absprechen, doch auch warmer Enthusiasmus für Junges und Neues sind die hervorstechendsten, oft schreienden Farben, aber mit Pietät hat sich noch nie eine energische litterarische Aeußerung angekündigt. L. und mit ihm Schlesier bestritten den ganzen Inhalt des wöchentlichen Litteraturblattes, und als im Sommer noch der tapfere Kämpe der „Aesthetischen Feldzüge“, Ludolf Wienbarg, zu dem Leipziger Fähnlein stieß, schien die „Zeitung für die elegante Welt“ das Hauptorgan der jungen litterarischen Bewegung werden zu wollen. Was die „Poeten“ noch in brünstigen Phantasien verkündeten, das Recht schöner Sinnlichkeit in Leben und Kunst, die Redacteure prägten es in sociale Formeln, und wenn schon ein Mann wie Fürst Pückler „eine Ahnung der Zukunft“ in jenem Roman entdeckte, so gestattet auch diese redactionelle Episode Laube’s die Deutung mancher schöpferischen Ahnungen.

Aber nicht nur Männer der Litteratur wie Pückler und Varnhagen waren auf dieses erfrischende Treiben aufmerksam geworden; seit dem December 1832 schon hatte die preußische Censurbehörde, inspirirt von Tzschoppe, ein wachsames Auge auf diese sich im nahen Leipzig ausbreitende litterarische Großmacht. Zunächst versuchte man den unbequemen Redacteur durch Erinnerung an seine Militärpflicht zu beseitigen; aber er war schon seit 1826 wegen Kurzsichtigkeit dem Landsturm überwiesen. Die beiden Theile des „Neuen Jahrhunderts“, ebenso die „Poeten“ hatte man schleunigst verboten; die Einfuhr der „Eleganten Zeitung“, die selbst vor preußisch-bureaukratischer Intelligenz keinen Respect bezeugte, konnte man nicht so schnell durchsetzen. Tzschoppe sah daher kein besseres Mittel, als seinen schlesischen Landsmann auf den „Schub“ zu bringen; auf preußische Reclamation wurde L. zunächst aus Leipzig ausgewiesen. Der ihn bedrohenden Vogelfreiheit wollte sich dieser [768] aber nicht ohne weiteres aussetzen, und ehe er zu einer nothwendigen Wassercur nach Gräfenberg reiste, fuhr er geradeswegs nach Berlin, zu hören, was man mit ihm vorhabe. Am 10. Mai erhielt er seinen Reisepaß und etwa am 12. Mai stand er vor dem nicht wenig erstaunten Varnhagen, mit dem sich bereits durch eine von Schlesier angeknüpfte Correspondenz ein enges Freundschaftsverhältniß vorbereitet hatte. Noch waren aber im Polizeibureau die nöthigen Verfügungen nicht ordnungsmäßig erledigt; noch ließ man ihn ungestört mit Adolf Glaßbrenner die preußische Hauptstadt durchstreifen, die er nur als Glogauer Gymnasiast einmal mit seinem Vater, Obst feilbietend, durchfahren hatte, ließ man ihn, allerdings unter polizeilicher Beaufsichtigung, über die Stationen seiner Vergangenheit Sprottau, Glogau und Breslau nach Gräfenberg reisen; aber schon vor Beendigung der Cur riß ihn die Nachricht von einem gegen ihn erlassenen Haftbefehl aus der unsichern Stimmung, die zwischen edlem Selbstbewußtsein des von Varnhagen so verheißungsvoll begrüßten Schriftstellers und verzweifelnder Zerknirschtheit des Patienten unbehaglich hin- und herwogte. Er eilte mit Vermeidung des Grenzstädtchens Patschkau flüchtig durchs Gebirge über Salzbrunn nach Dresden, überhörte hier den diplomatischen Sinn des ihm vom Minister v. Carlowitz ertheilten Rathes, einstweilen dort zu bleiben, in Leipzig gewährte man ihm nur vierzehn Tage Aufenthaltsfrist, und nach deren Ablauf flüchtete er, halb schon ermüdet, halb einer tollkühnen Zuversicht vertrauend, in die Hände seiner Gegner. Am 10. Juli trat er wieder in Varnhagen’s Zimmer, der, über diesen Wagemuth empört, das Schlimmste voraussagte; aber ehe jetzt L. noch zu einem festen Entschluß sich aufgerafft hatte, ehe er von dem in Paris weilenden Fürsten Pückler, dem er sich auf Varnhagen’s Rath eiligst als Reisebegleiter angeboten hatte, Antwort haben konnte, wurde er am 26. Juli vom Polizeirath Dunker unter Beschlagnahme seiner Papiere verhaftet. Als unter der Wirkung dieser Nachricht Freund Schlesier in Leipzig nichts Eiligeres zu thun hatte, als die Redaction aufzugeben und sich so unsichtbar wie möglich zu machen, stand nun L. mit Einem Schlage da, wo Tzschoppe ihn haben wollte: vor dem vollendeten Nichts.

Die ersten sechs „Honigwochen“ der Gefangenschaft in der milderen Stadtvogtei ließen sich mit leidlicher Fassung ertragen, obgleich seine Gesundheit bereits wieder ärztliche Behandlung erforderte; aber er durfte lesen und arbeiten, und die Lust am Fabuliren kürzte die langen Tage des schönen Sommers, von dem ihn nur dürftige Lichtstrahlen erreichten; der zweite Theil des „Jungen Europa“, „Die Krieger“, wurde hier mit voller Sammlung und in der L. noch ungewohnten Form der einfachen Erzählung begonnen; sogar eine Spur von Romantik brachte diese ungewohnte Situation mit sich, Romantik, die aber schreckhaft wurde, als L. eines Tags einen früheren Commilitonen, dem er einst in Breslau auf der Mensur übel mitgespielt hatte, augenscheinlich als Irrsinnigen unter den Mitgefangenen entdeckte. Die Physiognomie der ersten Untersuchung zeigte sich höchst harmlos, er schien sich wegen der allgemeinen Immoralität seiner Schriften rechtfertigen zu sollen, besonders auch wegen des Inhalts der „Zeitung für die elegante Welt“, der den Rechtsgrund für seine Verhaftung hergegeben hatte. Am 13. August erfolgte ein erstes Verhör wegen der „Briefe eines Hofraths“, die L. jetzt und auch später als eine unüberlegte Anfängerarbeit preisgab. Nur nebenher war er acht Tage nach seiner Verhaftung befragt worden, ob er in Halle oder Breslau einer Burschenschaft angehört habe; er hatte geleugnet, ahnungslos, daß ihn schon am 4. Januar ein cand. theol. Schramm als Mitglied einer Burschenschaft genannt und sein Nachfolger im Schlosse zu Jäschkowitz, der Hauslehrer [769] Karl Robert Pabst, am 27. Februar über seines Vorgängers liberale Gesinnung hatte aussagen müssen. Erst Anfang September waren die Untersuchungsacten über diese Hauptvergehen geschlossen, und ohne Rücksicht auf den etwaigen, in Wirklichkeit ausgebliebenen Erfolg eines an den Kronprinzen gerichteten Entlassungsgesuchs (4. September) beschloß das Kammergericht am 12. September, den Verfasser der „Briefe eines Hofraths“ wegen frecher Kritik an Staatsinstitutionen, Tadels des Königs und Erregung von Mißvergnügen gegen den deutschen Bund in Anklage zu versetzen, zugleich aber das Verfahren wegen Theilnahme an der Burschenschaft einzuleiten. Damit war L. als schwerer Verbrecher gebrandmarkt, aus den Händen des innerlich überlegenen Polizeiraths Dunker kam er in die des berüchtigten Inquisitors Dambach, der von Tzschoppe influirten Seele der Demagogenverfolgungen; aus der Stadtvogtei wurde er in die schwerste Haft der Hausvogtei gebracht, wo er zwei Monate ohne Buch und ohne die Möglichkeit einer Beschäftigung, in dem aufs äußerste überreizten Zustand seiner Hypochondrie, dem Wahnsinn nahe, durchkämpfte. Vorerst hielt sich Dambach noch an den zweiten Theil des „Neuen Jahrhunderts“, und die revolutionäre Gesinnung des Delinquenten wurde weiterhin durch Verhör der ganzen Familie v. Nimptsch mit Einschluß der Kinder in Breslau (16. Oct.) festzustellen gesucht; beides ohne wirksames Ergebniß. Am 8. October aber begann die qualvolle Inquisition über die Burschenschaft, deren Existenz L. bestritt und nur für unorganisirte „Kränzchen“ zugeben wollte. Die Hoffnung des Untersuchungsrichters, weitere Geständnisse von ihm erpressen zu können, schien seine Haft ins Endlose verlängern zu wollen. Zwar wurde er im November aus dem dunklen Verließ in ein helleres Zimmer umquartirt, man lieh ihm dürftige Bücher, der durch die Zimmerwand mühsam bewerkstelligte Verkehr mit einem Nachbarn, eben jenem Hauslehrer Pabst, bot willkommene Abwechslung; sogar einen Stubengenossen erhielt er, zufällig wieder einen Breslauer Bekannten Namens Kriebel. Aber bis zum Februar 1835 dauerte es, bis ihm wieder in einer Stube ohne Lichtblende schriftstellerische Beschäftigung gestattet wurde. Durch mancherlei Listen, wie L. sie in den „Bürgern“ geschildert, hatte er sich Aufzeichnungen machen können, die einen Theil des furchtbaren Drucks, der auf ihm lastete, fortnahmen; jetzt schrieb er sich diese Qualen ausführlich von der Seele herunter, aber bei der ersten wieder aufglimmenden Hoffnung warf er sich mit der ganzen mittlerweile angesammelten Kraft auf die rein poetische Gestaltung der „Krieger“, des zweiten Theils des „Jungen Europa“, den er schon in der Stadtvogtei begonnen hatte. Er schilderte hierin die polnische Revolution selbst, wie sie ihm aus seinen Studien, aus den gesammelten Nachrichten und aus seiner Bekanntschaft mit mehreren ihrer Heerführer gegenwärtig war, in packenden Kriegsbildern und Volksscenen, die zu seinen besten prosaischen Leistungen gehören. Die „Poeten“ treten hier wieder auf, Valer als ernster Mitkämpfer, der aber von dem Zustande der polnischen Nation immer widerwärtiger berührt sich nothwendig seinen einstigen Idealen entfremden muß; William als böser Dämon, Leopold als der alte übermüthige Weltenbummler. Warschaus blutiger Fall ist der erschütternde Höhepunkt des Völkerdramas, und Valer’s Flucht aus russischer Gefangenschaft in Begleitung eines Juden Joel schränkt die gewaltigen Dimensionen des leben- und gestaltenreichen Bildes wieder in das persönliche Abenteuer des Haupthelden ein, der nun im dritten Theil der Trilogie eine langwierige Haft in preußischen Gefängnissen durchmacht.

Am 14. Februar 1835 wurde L. endlich wieder zum Verhör geführt, und zwar zum letzten, und dann am 20. März auf Grund seines Gesuchs [770] entlassen. Er mußte die juratorische Kaution stellen, sich dem Urtheilsspruche nicht zu entziehen und seinen Aufenthalt nach den Vorschriften des Polizeipräsidenten zu richten. Gegen die zunächst bestimmte Rückkehr nach Sprottau wehrte er sich aufs äußerste; eine homöopathische Cur ermöglichte zunächst einen mehrwöchentlichen Aufenthalt in Berlin, und in zwei Audienzen beim Polizeiminister v. Rochow erreichte er es, daß ihm am 9. April der Aufenthalt in Naumburg verstattet wurde, in der Erwartung, so hieß es in der Antwort auf sein Gesuch, „daß Sie von Ihren ebenso verderblichen wie verwerflichen Ansichten zurückgekommen sind und in ernstlicher Reue über das Vergangene nicht nur durch Ihr Benehmen und durch Ihren Umgang, sondern auch durch Ihre schriftstellerischen Arbeiten den ernstlichen Willen bethätigen werden, sich nun so zu benehmen, wie es einem loyalen Unterthan Seiner Majestät geziemt“.

Der beginnende Sommer versöhnte bald mit dem erzwungenen Aufenthalt in dem freundlichen Landstädtchen „an der Pforte Thüringens“; zwar ängstigten noch eine Weile die Folgen der überstandenen Haft, Mattigkeit und fast krankhafte Schlafsucht, aber es kamen doch bald Tage, wo dem Verbannten die anfängliche „Einsamkeit seines Thals“ lieb zu werden begann und er auf seinem Zimmer „singend und befriedigt“ seine Studien wieder aufnahm, die Lectüre Hegel’s, Goethe’s, Rahel’s in erster Reihe. Schnell entspann sich auch ein anregender Verkehr mit den Juristen des Naumburger Oberlandesgerichts, zu denen unter anderen Schulze-Delitzsch gehörte; auf der Kegelbahn wurde lebhaft und liberal genug politisirt, in bald geschaffenen litterarischen Cirkeln bildete L. als Vorleser den Mittelpunkt, und die reizvolle Umgegend gestattete erfrischende Fußpartien. Der Landrath Lepsius, dem L. unterstellt war, führte eine sehr nachsichtige Controle; bereits im Juni badete L. regelmäßig im benachbarten Kösen, verkehrte viel mit dem dortigen Regierungsrath du Bois und blieb auch häufig dort über Nacht; für die unartige Leber wurde in Ermangelung Karlsbads sogar ein Pferd beschafft, und nun dehnten sich die Ausflüge immer weiter, nach Freiburg, Weißenfels, Jena, Weimar, wo er im September das Goethehaus besuchte, bis in die „Goldene Aue“ hinein. Unter der zwingenden Sorge für die Existenz raffte sich auch die litterarische Unternehmungslust wieder auf. Schon die ersten freien Wochen in Berlin hatten den Abschluß einer Novelle gebracht, deren erster Entwurf auf das Leipziger Frühjahr 1833 zurückging; am 8. April trug L. die Widmung dieser „Liebesbriefe“ dem Fürsten Pückler an; sie erschienen im Juni. Die Sammlung der Aufsätze aus der „Eleganten Zeitung“, vermehrt um manche jetzt niedergeschriebenen neuen Eindrücke aus dem Theater- und Litteraturleben Berlins, war schon Ende Juli vollendet; der Verleger der „Deutschen Revue“, Gutzkow’s Freund Karl Löwenthal in Mannheim, brachte sie im November unter dem Titel „Moderne Charakteristiken“ heraus. Mit ihm war im Juni auch die Herausgabe eines „Almanachs der Schönheit“ verabredet worden, für den neben jüngeren Freunden wie Gutzkow bald Pückler, Varnhagen, Ed. Gans, O. L. B. Wolff u. A. als Mitarbeiter gewonnen waren; er sollte in ungewöhnlich glänzender Ausstattung geboten werden; die Schwierigkeit in der Beschaffung von Porträts, besonders aber schönen Frauenbildern, hinderte aber zuletzt die Ausführung. Für diesen Almanach schrieb L. selbst in den ersten Augustwochen die Novelle „Die Schauspielerin“, die mit einer Widmung an Varnhagen im März 1836 erschien. Wie die „Liebesbriefe“ ist auch diese Novelle nur aus der Lust an rein künstlerischer, plastischer Gestaltung entsprungen; die ernsteren Probleme ruhen „tief unter der Oberfläche“, und der lebensvolle, farbige Stil, gegen dessen Vernachlässigung in [771] der modernen Problemlitteratur die etwa im November 1835 verfaßte Widmung an Varnhagen Front macht, ist der in der That wohlthuend hervortretende Mittelpunkt dieser Productionen, in denen ein allgemeiner Enthusiasmus für sinnenfällige Schönheit aber auch den Autor des „Jungen Europa“ nicht verleugnet. Auch für die deutsche Ausgabe der Werke Victor Hugo’s (Frankfurt 1835) steuerte er eine Uebersetzung des „Bug Jargal“ zum siebenten Bande bei. Für jene beiden Novellen hatte sich Heinrich Hoff in Mannheim als Verleger gefunden; dieser badische Buchhändler war sogar so kühn, die Fortsetzung des „Jungen Europa“ und der „Reisenovellen“ durch reichliche Vorschüsse in diesem und im nächsten Jahre zu ermöglichen, auch die ersten Bände beider Werke käuflich zu übernehmen und allen preußischen und Bundestagsverboten zum Trotz, mit seiner Firma versehen, neu herauszubringen. Sogar eine redactionelle Wirksamkeit für L. winkte wieder. Der Verleger der „Mitternachtzeitung“, Chr. Horneyer, wünschte bereits im August den temperamentvollen Redacteur der „Eleganten“ für sein Blatt zu gewinnen, und von Anfang November an versandte L. bereits Aufforderungen zur Mitarbeit an Varnhagen, Max v. Oer, Julius Mosen, v. Biedenfeld u. s. w. Daß die preußische Regierung dieses Engagement billigen würde, war kaum zu erwarten, gleichwol wandte sich der Verleger mit der Anfrage, ob man bei Nennung der neuen Redaction die Zeitung in Preußen dulden würde, etwa Ende October nach Berlin, zu einer Zeit also, als aus diesem Wetterwinkel sich die schwärzesten Wolken über das Junge Deutschland zusammenzogen. Nachdem zwei Monate hindurch Gutzkow’s „Wally“ und die zu gründende „Deutsche Revue“ die Oeffentlichkeit beschäftigt hatten, ging am 14. November Preußen mit der allgemeinen Achterklärung der jungdeutschen Schriften voran und am 10. December folgte der Bundestag mit seinem wie ein Verbot wirkenden Hinweis auf die bestehenden Gesetze, deren Durchführung in dem bunten Gewirr der deutschen Bundesstaaten schon genugsam persönlicher Willkür ausgesetzt war. Jener Bannstrahl Tzschoppe’s erreichte Lauben in Leipzig, wohin eine freundliche Erinnerung ihn gelockt hatte; fast anderthalb Jahre war es her, daß er auf der letzten Station vor der Hausvogtei, eben in Leipzig, die Wittwe des ihm 1832 bekannten Professors Hänel im Theater kennen gelernt hatte; sie wiederzusehen, schlug er auf Zureden des alten Freundes Julius Kistner und mit seiner Hülfe die Vorschriften der Naumburger Internirung und die Ausweisung aus Sachsen in den Wind und gelangte auf romantischer Fahrt glücklich in die Pleißestadt, wo er im gastlichen Hause Brockhaus das Ziel seiner Sehnsucht vor sich sah. Zwei Tage später aber trieb ihn Theodor Mundt, der damals auch in Leipzig weilte, mit der Nachricht von der radicalen preußischen Maßregel des 14. Novembers früh morgens aus den Federn. L. hatte aber nicht die Absicht, sich widerstandslos litterarisch hinrichten zu lassen; genau so keck, wie im Mai und Juli 1834, machte er sich, unbekümmert um seine polizeiwidrigen Nebenwege, auf nach Berlin, den verblüfften Tzschoppe mit einer geharnischten Philippika und einem energischen Appell an die protestantische Denkfreiheit erfolgreich überraschend. So stellen sich wenigstens diese Ereignisse in Laube’s detaillirter Schilderung dar, gegen deren Zutreffen jedoch ein offenbarer Irrthum spricht: Laube blieb nicht, von Tzschoppe ohne weiteres geduldet, in einer neugemietheten Wohnung auf der Kronenstraße, sondern kehrte mindestens ebenso plötzlich, wie er nach Berlin gefahren, nach Naumburg zurück, wo seine Anwesenheit in der ersten Hälfte des Decembers 1835 durch mehrere Briefe nachweisbar ist. Ein günstiger Bericht des Landraths Lepsius erwirkte ihm dann unter dem 21. December 1835 die polizeiliche Erlaubniß, nach Berlin [772] zu reisen, und etwa in den Weihnachtstagen wird er hier angekommen sein, wo er, nach einem brieflichen Zeugniß vom 15. Januar 1836, zunächst in der Mohrenstraße Wohnung nahm. Aaron Bernstein und Joel Jacoby gehörten hier zu seinem Verkehr.

„Ohnmächtiger Zorn ist immer Schwäche. Die Welt hat tausend Zugänge“, hatte L. kurz vor dieser letzten Abreise von Naumburg an eine Freundin geschrieben, und unverzagt sah er sich jetzt nach solchen Zugängen um, die ihm, nachdem das Junge Deutschland durch eine vulkanische Gesetzeseruption verschüttet war, noch einen Durchschlupf gewährten. Ohne Biegen und Beugen und manche Schramme ging das natürlich nicht ab. In erster Reihe galt es, als Grundlage der Existenz die Redaction der „Mitternachtszeitung“ zu behaupten. Am 11. December bereits hatte der Verleger Horneyer dem Minister des Innern eine mit Stolz auftretende Beichte seines neuen Redacteurs einreichen können, in der L. sich von allen auflösenden Tendenzen lossagte, sein persönliches modernes Element auf das formell Aesthetische einschränkte, seine Vorliebe für die Monarchie gegenüber der Republik schon aus poetischen Gründen betheuerte und diese seine geistige Verfassung als das Resultat einer natürlichen Entwicklung darstellte, deren Spuren in seinen Schriften immer deutlicher sichtbar seien, wobei nothwendig manche Verirrung habe mitunterlaufen müssen. Am 13. December hatte er auch eine Erklärung an die „Allgemeine Zeitung“ gesandt, in der er, wie die Mehrzahl der angekündigten Mitarbeiter der „Deutschen Revue“ Gutzkow’s und Wienbarg’s, jede jungdeutsche Gesinnungsgemeinschaft verleugnete, und auch die erste Nummer der „Mitternachtszeitung“ 1836 leitete er mit einer nochmaligen Erklärung und einem Programm ein, das den ganzen jungdeutschen Sturm und Drang, den L. noch am ungezügeltsten hatte austoben lassen, als das harmlose Tasten nach einer neuen „romantischen Schule“ demaskirte. In der That lagen jene Spuren einer conservativer werdenden Weltanschauung vor; schon der ironisirende, Heine nachahmende Ton der „Reisenovellen“ hatte sie angekündigt, die Redaction der „Modernen Charakteristiken“ und die Schriften der letzten Jahre verriethen deutlich den allmählichen Wandel; die lange Gefangenschaft hatte diesen nur begünstigt; zudem war mittlerweile aus dem draufloslebenden Studenten ein Mann von fast dreißig Jahren geworden, der bereits den wohlthuenden Reiz einer öffentlichen Wirksamkeit gekostet hatte, der in vier litterarischen Lehrjahren an Bildung und Weltkenntniß nicht hatte stehen bleiben können und nach einem ordentlichen Stück Lebensarbeit die Arme reckte, nachdem er der Qual der Unthätigkeit im Kerker fast erlegen war. Letztere drohte ihm immer noch, er lebte ja unter dem Damoklesschwert des zu erwartenden Urtheils, Polizeiaufsicht bewachte jeden seiner Schritte, und eine Unvorsichtigkeit konnte ihn sofort wieder auf unabsehbare Zeit in die Stadtvogtei zurückbringen; Männerstolz vor Königsthronen hätte ihn zweifellos vernichtet. Statt stolz unterzugehen, griff der Ertrinkende nach den dargebotenen Strohhalmen und rettete sich auf festes Land. In jenem mehrfachen Widerruf hatte er allerdings der Gegenwart vorgegriffen; soweit war der Bruch mit der Vergangenheit in seinem Innern noch keineswegs vorgeschritten, aber indem er sich vor sich selbst objektivirte, nahm er das schließlich gewisse Resultat seiner ihm selbst bewußten Entwicklung schon vorweg. Aeltere Freunde waren daher von dieser nothgedrungenen Umkehr des früheren Brausekopfs keineswegs überrascht, und Varnhagen verglich nicht übel die Lage seines Schützlings mit der des Königs von Preußen, als er nach dem Frieden von Tilsit Freundschaft für Napoleon heucheln mußte. Demgegenüber war L. noch im Vortheil, indem er als vollendet zugab, was [773] er doch wenigstens in sich wachsen fühlte. Wer hat das Recht, Heldenmuth zu fordern?

Durch diese kluge Capitulation erreichte nun L., daß er die Redaction der „Mitternachtzeitung“ führen durfte; ein Vierteljahr sollte er zunächst die Probe bestehen; die Nennung seines Namens setzte er aber auch nach Ablauf dieser Frist nicht durch, so daß dieses ganze Engagement, auch durch die Ferne des Verlagsorts, nur eine dürftige Stütze für ihn wurde; nur bis zum Ende des Jahres blieb er darin, war aber in den folgenden Jahren noch stark als Mitarbeiter an jenem Blatte thätig. Für andere litterarische Unternehmungen bot die Anonymität zunächst den einzigen Ausweg; in Alexander Duncker fand L. denn auch wirklich einen Verleger, der für eine schon 1833 begonnene historische Skizze „Die französische Revolution. Von 1789 bis 1836“ dem ungenannten Autor ein Honorar zahlte. Da die Restauration die Zustände vor 1789 keineswegs wiederhergestellt hatte, griff L. unter diesem kühnen Titel die ganze Entwicklung Frankreichs bis zur Gegenwart zusammen; daß die Resultate der Revolution, wie er 1834 auch vor Gericht geäußert hatte, der bestehende Zustand, durch Preußen anerkannt seien, gibt auch dieser Skizze die Schlußperspective. Aber solche versteckte Brotarbeit lockte weder Autor noch Verleger. Höchstens die „Reisenovellen“, deren Titel populär geworden, hätten zur Noth auch anonym fortgesetzt werden können, und ihnen galt daher die Hauptarbeit dieses Jahres 1836, nachdem überdies eine beruhigende Verfügung des Obercensurcollegiums vom 16. Februar erklärt hatte, daß die verfehmten Schriftsteller unter ihrem Namen in Preußen und mit preußischer Censur sehr wohl Bücher erscheinen lassen dürften, und ihnen im Juni 1836 ein besonderer Censor John bezw. Grano bestellt worden war. Mannichfache Reisen, die den Stoff zu weiteren Reisenovellen boten, kürzten die lange Wartezeit des noch immer nicht Verurtheilten. Im Januar hatte L. bei einem Ausflug nach Sprottau die Entrüstung seiner Eltern über den verlorenen Sohn zu beruhigen versucht; kurz vor Ostern, etwa Ende März, kehrte er, nach einer Andeutung Hebbel’s, in Braunschweig und Hannover ein; Anfang Mai reiste er nach Dresden und Leipzig, um die Zurücknahme seiner Ausweisung aus Sachsen zu bewirken; im Juli badete er wieder in Kösen und gedachte von da über Hamburg nach Kopenhagen zu gehen, wozu ihm aber kein Paß bewilligt wurde. Statt dessen kehrte er Anfang September nach Berlin zurück und machte von da eine Tour an die Ostsee, nach Swinemünde und Rügen. Von dort rief ihn, wenn L. sich in der Folge dieser Ereignisse nicht irrte, eine Liebesbotschaft wieder nach Kösen zurück. Denn das Verhältniß zu jener Frau, die er vor Jahresfrist in Leipzig aufgesucht, war mittlerweile so weit gediehen, daß Varnhagen schon am 13. September an seine Schwester schreiben konnte: „Bei seiner Zurückkunft [von Swinemünde] wird wohl sein Urtheil erfolgen, das man als gelind voraussetzt; nachher wird er heirathen, eine junge, schöne, geistreiche Wittwe aus Leipzig, Doktorin Hähnel, welche zugleich ein ansehnliches Vermögen besitzt. Für den wäre also gesorgt. Seebad, Festung, Frau, was will er mehr! Ein kleines Stiefkind ist noch obenein dabei! Und das wäre mir wahrlich nicht das Wenigstliebe. Ich wünsche ihm ernstlich alles Glück zu dieser Lebenswendung, die sich in der That als ein großes, nicht zu hoffen gewesenes Glück für ihn darstellt“. So schien also alles einem versöhnlichen Ausgang zuzuneigen. Die „Modernen Charakteristiken“ waren im Februar für Preußen gestattet worden; jetzt im October wurden auch die „Reisenovellen“ (Band 3 und 4) zum Debit zugelassen, und als L. in diesem Monat und noch Anfang November wieder in Berlin weilte zur Ordnung seiner Heirathspapiere, wurde er gar vom Minister v. Rochow zu [774] einer gnädigen Audienz befohlen und überraschend genug mit einer halb diplomatischen Sendung betraut: er möge seine Hochzeitsreise gen Westen richten und am Rhein, besonders in Straßburg, dem Umfang der Napoleonischen Propaganda nachforschen, die am 30. October mit dem „Straßburger Putsch“ Louis Napoleon’s aufgetreten war. In Lützen fand am 10. November Laube’s Trauung statt, am 18. war das junge Ehepaar in Frankfurt in Gutzkow’s ebenfalls neugegründeter Häuslichkeit zu Gaste, über Stuttgart ging es nach Straßburg, wo der „neue Gentz“ keinerlei beunruhigende Symptome entdeckte, und Anfang December konnte L. seine Gattin bereits in das gesellige Leben Berlins einführen. In diesen Wochen knüpfte sich die Bekanntschaft mit der Fürstin Pückler, in deren Hause L. auch Alexander v. Humboldt kennen lernte, und die Tochter Hardenberg’s, das Pathenkind Friedrich Wilhelm’s III., sollte bald eine rettende Fürsprecherin des jungdeutschen Schriftstellers werden. Denn wie ein Blitz aus heiterm Himmel fuhr plötzlich die Kammergerichtsentscheidung hernieder. Bereits am 5. December war sie erfolgt, erst am 25. Januar aber wurde L. das Urtheil zugestellt; es lautete auf sieben Jahre Festungshaft und Tragung aller Kosten, sechs Jahre für die Burschenschaft, ein Jahr für die litterarischen Sünden. Als letztere bezeichnete der Urtheilsspruch „das freche, die Erregung von Mißvergnügen und Unzufriedenheit bezweckende Tadeln der preußischen Regierung und der Regierungen verbündeter und befreundeter Staaten und die Verletzung der Ehrerbietung gegen einen auswärtigen Regenten. Zu dieser Entscheidung hatten die „Politischen Briefe“ keine juristische Grundlage abgegeben; nur aus dem Buche „Polen“ ließen sich jene Verbrechen construiren; mit den „Verbündeten und befreundeten Staaten“ war nur Rußland gemeint, das in dem ersten Theil des „Neuen Jahrhunderts“ stets höhnisch „der Verbündete Preußens“ genannt wird, und der „auswärtige Regent“ war niemand anders als der Kaiser von Rußland. Von den drei Punkten dieses Urtheils berührten also zwei das Verhältniß Preußens zu dem damals durch Verwandtschaft und Gesinnung verschwägerten Rußland, und L. war also vollkommen im Recht, wenn er in seinen „Erinnerungen“ behauptete, daß er, ein Preuße, zur Sühne für das Ausland verurtheilt worden sei, „daß auch das Gericht in Preußen strafbar fand, was gegen den Kaiser von Rußland in Leipzig gedruckt worden war“. An dieser Thatsache können alle mit Willkür und Unkenntniß arbeitenden Entstellungen kein Jota ändern.

Mit Verzicht auf eine Berufung reichte L. am 2. Februar 1837 ein Gnadengesuch ein und wartete seinen Erfolg in Berlin ab. Zwei Bände „Neue Reisenovellen“ entstanden in diesem Frühjahr und die Novelle „Glück“, die im Juni 1837 von der preußischen Censur freigegeben wurden. Die Befriedigung in bescheidener Wirksamkeit, das Glück in häuslicher Enge soll hier durch die Schicksale eines von abenteuerlichen Thaten ernüchtert zurückkehrenden Kaufmanns geschildert werden, das Behagen jener Resignation, mit der sich der glücklich verheirathete L. unterdeß selbst befreundet hatte. In diese Tonart klang nunmehr auch das „Junge Europa“ aus, dessen dritter Theil „Die Bürger“ gleichzeitig abgeschlossen wurde und mit den beiden andern Theilen im Herbst erschien. Hier ist Valerius der Glückliche, der sich nach der schweren Prüfung seines Lebens in die stille Werkthätigkeit eines Ackerbürgers und Ehemannes zufrieden zurückzieht; der unbändige Hippolyt dagegen durchlebt in England eine Walter Scott’sche Romanepisode und wird zuletzt in Amerika im Dienste der Humanität gelyncht, während Constantin, in seinem gewaltsam aufgezwungenen Scheinleben mit sich zerfallen, mit seiner Gattin Selbstmord übt; Leopold endet als schwachsinniger Frömmler. Nach dem Ausgang dieses, [775] wieder in Briefen abgefaßten dritten Theils durfte L. mit einigem Recht das „Junge Europa“ ein „konservatives Buch“ nennen.

Am 27. Mai wurde Laube’s Gnadengesuch soweit gewährt, daß die sechs Jahre für Betheiligung an der Burschenschaft in sechs Monate verkürzt wurden. Aber auch der Rest von anderthalb Jahren mochte dem jungen Ehepaar grauenvoll genug erscheinen. Da bewährte sich die Freundschaft der Fürstin Pückler; durch ihren Vater war einst Tzschoppe emporgestiegen; bei der Ueberfüllung der preußischen Festungen mit Demagogen war eine Ueberweisung des Verurtheilten in ein Landstädtchen sicher zu erwarten, und in einer dankbaren Wallung wußte nun Tzschoppe es durchzusetzen, daß der Kammergerichtspräsident, auch ein wenn auch gegnerischer Bekannter Laube’s aus Breslau, Muskau als Aufenthaltsort zuwies. Hier wurde dem Ehepaar im Polizeihause, dem alten Schloß, eine idyllische Wohnung eingeräumt, und Anfang Juli bezog die vorerst noch dreiköpfige Familie das aufgezwungene Asyl. „In einem Polizeihause der Lausitz am 18. Juli 1837“ ist das „Vor- und Schlußwort“ des zweiten Bandes der „Neuen Reisenovellen“ datirt, mit dem L. von dieser Kunstform endgültig Abschied nahm. In dem Roman „Die Böhminger“ hat er später das Zustandekommen jener gerichtlichen Entscheidungen in durchsichtiger Verkleidung geschildert.

Achtzehn Monate in gebundener Marschroute, durch zwei Winter hindurch – L. hätte seine schnell fertige Thatkraft ganz eingebüßt haben müssen, wenn er sich nicht mit ebenso festen Plänen auf den Weg machte. „In Muskau schreibe ich Literaturgeschichte, wozu Stahlstiche“ schrieb er einen Tag vor seiner Abreise, am 1. Juli, aus Berlin an Hoff, und dieser Aufgabe widmete er denn auch die anderthalb Jahre hindurch seine ganze Energie. Nur einmal streifte er zwischendurch das Gebiet der Politik mit einer anonymen Broschüre „Görres und Athanasius“, die gegen Görres’ Anklageschrift das Einschreiten der preußischen Regierung im kölnischen Kirchenstreit vertheidigte. Im übrigen ging er ganz in litterarhistorischen Studien auf; „die Literatur ist mein Amt, darin darf ich zuerst nichts veruntreuen“, empfand er jetzt, und Goethe wurde ihm zu einem „Schwerpunkt“. Leopold Schefer, der Muskauer Evangelist des „Laienbreviers“, wußte Laube’s anfängliche Gewissensbisse über seine mangelnden Vorkenntnisse zu zerstreuen; kein gelehrtes Quellenwerk, das eine Lebensaufgabe geworden wäre, sollte entstehen, sondern nur ein ausführlicheres Document, wie ein Mitglied des „Jungen Deutschlands“, ein Kind der neuen Zeit, die Litteratur und das, was sich in ihr wiederspiegelte, ansah. Da reichte eigenes Urtheil höchstens bis Lessing zurück; bis dahin die Brücke zu schlagen, die nun einmal für das stattlichere Aussehen des Ganzen unentbehrlich schien, mußte der Zuverlässigkeit älterer Pioniere überlassen bleiben, Rosenkranz, Wachler, Gervinus, Koberstein und Pischon, deren Arbeiten zu Grunde gelegt wurden. Laube’s eigne Arbeit begann erst da, wo die Vergangenheit noch in das Bewußtsein der Gegenwart hineinreichte; der vierte Band ist als Niederschlag persönlicher Erlebnisse natürlich der gelungenste. Mit Kleinigkeiten gab sich L. darin nicht ab, und das umfangreiche Werk hat in seinen Einzelheiten vielen Tadel gefunden, auch manche Anfeindung im Ganzen, besonders seitens der Jung-Hegelianer. Aber große Gesichtspunkte beherrschen doch Laube’s Anschauungen, aus dem Hintergrund der Philosophie und Geschichte sucht er die litterarischen Ereignisse zu entwickeln; die Hast der Arbeit mußte natürlich eine ungleichmäßige Darstellung und einen saloppen Stil zur Folge haben. Eine mundgerechtere Frucht dieser litterarhistorischen Studien war daneben die zehnbändige Ausgabe der Schriften Wilhelm Heinse’s (1838, mit Biographie und Nachwort), jenes Dichters, dessen Schüler der [776] Verfasser des „Jungen Europa“ selbst gewesen war. In der eignen Production war mittlerweile ein Stillstand eingetreten, eine heilsame Sammlung und damit eine Wendung. Das litterarhistorische Studium führte zwar energisch zum Theater, zum Drama zurück, besonders dem bürgerlichen Schauspiel begann L. im Anschluß an Lessing und Schiller nachzusinnen, ein modernes Lustspiel entstand und wurde an Charlotte v. Hagn nach Berlin gesandt, die es kurz vor dem Ende der Gefangenschaft mit dem üblichen Lobe zurückschickte und mit der Aufforderung, kleine Stücke fürs Palais anzufertigen. Die Stimmung Laube’s aber war einem dichterischen Reifen noch keineswegs günstig. In den Sommermonaten war gewiß der prächtige Park der Pückler’schen Standesherrschaft eine märchenhafte Gefängnißzelle, und die Fürstin bemühte sich, in Abwesenheit ihres noch immer auf Reisen befindlichen Gemahls, durch freimüthige Gastlichkeit die Einsamkeit ihres Schützlings zu zerstreuen. Aber die Fessel wurde dem Gefangenen doch immer fühlbarer, und erst als er sie gewaltsam lockerte, als er auf den Rath der Fürstin und mit der nachsichtigen Erlaubniß seines Aufsehers, des Justizraths, späteren Abgeordneten Paschke, das Waidwerk erlernte, und sich nun dieser neuen, seiner kräftigen Natur so verwandten Passion mit Leidenschaft hingab, verlor der Wechsel der Natur seine Schrecken. Auf diesen Pürschgängen, die viel weiter als zu den Hasen des Parks führten, die bald ihren Mittelpunkt in dem mehrere Stunden entfernten, in dichtem Urwald versteckten Pückler’schen Jagdschlosse bei Weißwasser fanden, sammelte auch der mit der Natur lebende Poet Laube die reichsten Schätze; hier sproßten die urwüchsigen Jägerreime und Aphorismen, die er erst drei Jahre später, als ein Schoßkind seiner Phantasie nach sorgsamer Pflege, zum „Jagdbrevier“ (1841) vereinigte, einer originellen Schöpfung, die bewies, daß sein lyrisches Talentchen sich wohl bewährte, wenn es sich an einen gegebenen, dankbaren Stoff klammern konnte. Die junge Gattin hütete derweilen das Haus und sandte Eilboten, wenn eine Revision Tzschoppe’s in Sicht war; auch hatte sich am 8. October 1837 zum fünfjährigen Stiefsohne ein eigenes Kind Namens Hans gesellt, und nun mußte sich bald die dürftige Beschränktheit des dörflichen Aufenthalts unerträglich steigern. In der grauen Einförmigkeit des ersten Winters begann Frau Iduna zu kränkeln, der kleine Hans desgleichen, und nach Ablauf des Sommers 1838 mußten beide Kinder zu Laube’s Eltern nach Sprottau gegeben werden, damit die Mutter im Bade Eger neue Körper- und Lebenskraft finden konnte. „Ein Hund und die Bücher, das ist alles, was ich habe und die Hoffnung, daß es die letzten Monate sind“, klagte L. am 12. October 1838 seinem Gönner Varnhagen. Seine Zuversicht, daß man seine Haftzeit abkürzen werde, war herb enttäuscht worden. Die neuen Theile des „Jungen Europa“ wurden im Herbst 1837 ebenfalls verboten, und das Schicksal der zuletzt doch gestatteten Heinse-Ausgabe war sehr unsicher. Seine Gesuche um Haftentlassung (20. November 1837 und 10. Juni 1838) waren erfolglos geblieben, und von den anderthalb Jahren wurde ihm kein Tag geschenkt. Im Januar 1839 erst wurde er wieder frei, am 17. (nach Laube’s Angabe am 1.) Januar durfte er Muskau verlassen.

Die neue Freiheit sollte ausgiebig genossen werden. Die ersten Ruhemonate wurden in Leipzig und Berlin verlebt, Ende April begann eine erfolgreiche Badecur in Kissingen, dann ging es an den Rhein, nach Düsseldorf, wo Immermann und der schlesische Landsmann Karl Friedrich Lessing besucht wurden, und rheinabwärts nach Holland und Belgien. Ueber Brüssel, wo eine Begegnung mit dem Polenführer Skrynecki stattfand, gelangte L. zum ersten Male nach Frankreich und Paris; von dort ist „im Mai 1839“ die [777] Widmung vor dem vierten Bande der Litteraturgeschichte (Stuttgart 1839/40) an die Fürstin Lucie v. Pückler datirt. Der erste Eindruck Frankreichs enttäuschte, der Kampf mit der ungewohnten Sprache schuf Unbehagen, und dieses hob sich erst, als L. durch eifriges Studium der französischen Geschichte im fremden Lande festen Boden unter den Füßen gewann. In bürgerlicher Einsamkeit strichen die ersten zwei Monate dahin; dann lockten diese Studien aus Paris hinaus an die Stätten, wo sich einst Hauptstücke der Geschichte Frankreichs abspielten, zu den Lustschlössern der französischen Könige, und diese Wallfahrten führten nach Norden und Süden durch ganz Frankreich; sogar spanischer Boden wurde auf einem Ritt in die Pyrenäen betreten und ein Ausflug nach Afrika unternommen; zu Pferde, mit der Flinte auf dem Rücken, drangen L. und seine Frau von Algier aus bis Blidah am Atlas vor. Zum Anfang der Wintersaison trafen die Reisenden wieder in Paris ein, wo Heine, aus dem sommerlichen Bade zurückgekehrt, den Freund erwartete, mit dem er schon seit 1832 brieflich verbunden war. Unter seiner und Meyerbeer’s Führung wurde jetzt Paris entdeckt, die ersten Salons öffneten sich dem deutschen Fremdling, und mit den Koryphäen der französischen Litteratur wurde er bekannt, mit George Sand, Balzac, de Vigny, Victor Hugo, Janin, Frau v. Girardin, Lamartine, Chopin, Marquis de Custine, Lamennais etc. Auch mit Richard Wagner wurde die Jugendbekanntschaft erneuert. Diesen reichen persönlichen Eindrücken gegenüber kam das Interesse für das Theater garnicht auf; für die Rachel konnte sich L. nicht begeistern, die französischen Vaudevilles lockten am stärksten; eine allabendlich gespielte Posse „Passé minuit“, in der der Komiker Arnal Triumphe feierte, wurde von L. übersetzt und hielt sich durch Beckmann etc. lange auf dem deutschen Repertoir. („Mitten in der Nacht“, Reclam Nr. 525.) Der Hauptertrag der Reise war aber zunächst ein anderer. Als L. sich im Februar[WS 1] 1840 nach seiner Rückkehr in Leipzig niedergelassen hatte, ungeachtet der noch bestehenden Ausweisung, reiste er schon im März nach Muskau, wo der jetzt anwesende Fürst Pückler seinen ihm noch fremden Gast erwartete; in der Einsamkeit des Jagdschlosses, wo er nur „mit Hirschen und Säuen“ verkehrte – der Fürst war kein Jäger –, wurden die mitgebrachten historischen Studien verarbeitet, und hier entstand das dreibändige Werk „Französische Lustschlösser“, das bereits im October 1840, unbeanstandet von der Censur, erschien. Es ist das frischeste und reichhaltigste der nicht belletristischen Prosawerke Laube’s. An die ausführliche Schilderung der Lustschlösser Fontainebleau, Chambord, Eu, Pau, St. Germain und Versailles knüpft L. die Charakteristik ihrer fürstlichen Gründer und Besitzer, und in seiner geschickten Gruppirung werden diese Orte der Freude und der Kunst zu den lebens- und ereignißvollsten Schauplätzen französischer Geschichte, die mit ihren glanzvollsten Helden und wuchtigsten Ereignissen von Franz dem Ersten ab in reizvoller Bilderreihe vorüberzieht. Das Schlußcapitel „Die Kaschba“, dem Maurenschloß in Algier gewidmet, leitet in die neufranzösische Gegenwart Algiers hinüber. Noch einmal hat L. diese dankbare Form historischer Darstellung versucht; im Sommer 1844 weilte er vier Wochen in Skandinavien, und Stockholm, Christiania und Kopenhagen boten den nicht minder interessanten Hintergrund zu dem 1845 erschienenen Buche „Drei Königsstädte im Norden“. Ein historischer Splitter französischer Herkunft war außerdem noch Laube’s Denkschrift auf den angeblichen Sohn Ludwig’s XVI., „Der Prätendent“ (1842), ein historisch-kritischer Auszug aus dem „Abregé de l’histoire des infortunes du Dauphin“ und andern Memoires, dessen Resultate dem „letzten Dauphin Frankreichs“, dem Uhrmacher Naundorf, keineswegs günstig waren. Aber auch der Novellist Laube [778] hatte Ausbeute aus Frankreich mitgebracht. In Fontainebleau war der Plan zu einem dreibändigen Roman entstanden, der das Schicksal der Geliebten des Königs Franz, der Gräfin Chateaubriand behandelte und nach ihr benannt wurde (1843); spannende Erfindung, wechselreiche Handlung und anschauliche Klarheit, wie sie etwa ein guter Memoirenschreiber besitzt, oft auch urwüchsige Frische sind dieser und auch der Mehrzahl der novellistischen Arbeiten Laube’s eigen; die Charakteristik folgt den Conturen der geschichtlichen Vorlage, für die intimere Zeichnung des Königs Franz hat Fürst Pückler Modell gesessen; von poetischem Duft aber ist wenig zu verspüren, doch diese Armuth soll durch den Reichthum der Composition ersetzt werden. Dasselbe gilt von der Novelle „Der belgische Graf“ (Mannheim 1845), zu der die Laufbahn des Börsenabenteurers Jean Law in Frankreich den Rahmen abgab. Die Vorzüge seiner Erzählkunst hatte L. aber schon in deutschem Milieu bewiesen, mit dem farbenstrotzenden Kriegsbilde „Die Bandomire“ (Mitau 1842), in dem er ein aus Böhmen nach Kurland eingewandertes Geschlecht im adligen Bürgerkriege nach tapferer Gegenwehr untergehen läßt; auch hier jagen sich im engsten Raume die Ereignisse, aus denen sich aber doch die markigen Charaktere der letzten Bandomire stattlich hervorheben. Eine weitere Frucht der Pariser Reise war schließlich noch das Buch „George Sands Frauenbilder“, das im October 1845 (Brüssel 1845) in prächtiger Ausstattung erschien; außer einer Charakteristik aller in George Sand’s Romanen auftretenden Frauen schilderte L. hier auch den Besuch, den er in Begleitung Heine’s bei der Dichterin im Winter 1839/40 gemacht hatte.

Der Hauptinhalt dieser Vierziger Jahre war für L. aber ein ganz anderer. Ebenfalls in Fontainebleau hatte sein dramatisches Talent einen starken Impuls empfangen; in der Hirschgalerie jenes Schlosses hatte die gleißende Laufbahn des Günstlings der Königin Christine von Schweden durch das rächende Schwert ihr Ende gefunden, und die Gestalt dieses Monaldeschi, die schon im Gefängniß 1834 Laube’s Phantasie beschäftigt hatte, trat ihm nun aus der Fülle historischer Erinnerungen lebend und dramatisch handelnd entgegen; in der Stille des Muskauer Waldes, als er die Reiseeindrücke noch einmal durchlebte, bemächtigte sie sich seiner ganz. Es ist kein Zufall, daß grade diese meteorartige Erscheinung nicht von ihm wich; Laube’s eigenes jugendliches Auftreten hatte viel von der Keckheit, Verwegenheit, Siegeszuversicht dieses seines Helden, und der Charakter des glänzenden Abenteurers tritt in der Mehrzahl seiner Dramen und seiner Novellen in irgend einer Form in die Erscheinung. Im Sommer 1840 wurde das Stück zu Leipzig in Einem Zuge niedergeschrieben und an dreißig Bühnen versandt. Neunundzwanzig Exemplare des anonymen Druckmanuscripts kamen prompt zurück; nur der einzige Heinrich Moritz, der Regisseur des Stuttgarter Hoftheaters, nahm sich seiner sofort an, und hier fand denn auch im Winter 1840/41 die Uraufführung des Dramas erfolgreich statt. Nun regten sich auch die übrigen Bühnen, für Norddeutschland ging Emil Devrient in Dresden mit der Aufnahme des Stücks voran, und die erste Bresche war gemacht. Im Herbst 1841 hatte L. ein Intriguenlustspiel aus der Pompadour-Zeit, „Rococo“, fertig, das aber allenthalben auf den Bühnen Unglück hatte, nur in Leipzig zu guter Wirkung kam. Dafür besaß es aber Ludwig Tieck’s ganzen Beifall; der Altmeister der Romantik, dem das junge Deutschland in Laube’s Person jetzt zum ersten Mal seine Aufwartung machte, stempelte es in mehrfachen Vorlesungen vor seinem häuslichen Hörerkreis fast zu einem classischen Stück, und sein Drängen beschleunigte die Uraufführung in Dresden (29. April 1842), die dem weiteren Schicksal dieses Lustspiels verhängnißvoll wurde. Tieck mußte hinterher noch [779] erstaunte Vorwürfe einheimsen über die „Immoralität“ dieses frivolen Abenteurersujets seines jungdeutschen Schützlings. Im August und September 1843 entstand das Schauspiel „Die Bernsteinhexe“, eine Dramatisirung der eben erschienenen „Marie Schweidler“ des Pfarrers Meinhold, eine auf den gröbsten romantischen Motiven gebaute Verführungsgeschichte, die schließlich doch mit einer Verlobung vom Scheiterhaufen weg endet. Die ganzen Vorgänge des Stücks sind gebunden durch eine Persönlichkeit und die von ihr ausgehende dämonisch-fascinirende Kraft, die alles unter ihren Willen zwingt; für solche Charakteristik, die unwiderstehlich fortreißen mußte, fehlte L. die poetische Kraft. Das behagliche Gruseln über Hexen- und Gespenstergeschichten, an denen seine schlesische Heimath reich gewesen, täuschte bei der Arbeit darüber hinweg, aber L. sah bald selbst ein, daß ein dramatisirter Hexenproceß zum modernen Empfinden in keinem Verhältniß mehr steht, wenn nicht die Musik der Oper als Vermittlerin dazwischentritt, und betrieb trotz dem nicht unglücklichen Ausfall mehrerer Aufführungen den Fortgang des Stückes nicht weiter. Der Plan zur „Bernsteinhexe“ hatte ihn wie ein Rausch gefaßt, mitten in einer andern Arbeit, die nun aufs neue vorgenommen und vollendet wurde, der Tragödie „Struensee“. Zu dieser Tragödie des kühnen deutschen Emporkömmlings hatte L. wol das meiste aus seiner eigenen Entwicklung geschöpft, der Typus des Abenteurers, der in keckem Wagemuth das Glück erobert, hatte sich hier veredelt. Und er errang auch mit diesem Werk einen einheitlichen Erfolg in ganz Deutschland, der neben dem menschlich ergreifenden Stoff auch seiner straffen Composition zuzuschreiben ist, die sich sogar die aristotelischen Einheiten auferlegte; nur Berlin und Wien verschlossen sich dem Stück aus Censurbedenklichkeiten. Durch die Intriguen Meyerbeer’s, der seines verstorbenen Bruders veraltetes Stück vorgeschoben wissen wollte, wurde die Bühnengeschichte des Laube’schen „Struensee“ eine besonders bewegte. L. besaß einen gesunden Instinct für das nationale Element, das von der Bühne herab wirksam sein konnte. „Gottsched und Gellert“, sein nächstes Lustspiel war ein guter Griff nach dieser Richtung, die „Karlsschüler“ übertrumpften ihn noch. Mit Absicht ist das erste Stück ganz auf die Tendenz gestellt und dürfte noch heute seine Wirkung thun. Gottsched und Gellert sind in dieser Gegenüberstellung zwei keineswegs ausgestorbene, gut deutsche Typen, und die Liebe, die Deutschland immer für seinen Lessing bewahren wird, sichert dem jugendlich kecken Adepten des Lessing’schen Geistes, der zwischen jenen beiden Polen steht, eine fortreißende Wirkung. Mit den „Karlsschülern“ eröffnete L. den fruchtbaren Theaterwinter 1846; er hatte davon geträumt, daß sie am Geburtstag Schiller’s allenthalben über die deutschen Bühnen marschiren würden, aber nur Dresden, Mannheim, München und Schwerin rafften sich zu dieser nationalen Feier auf, und der Erfolg war überall ein durchgreifender und starker. Verwandte und Zeitgenossen Schiller’s sparten nicht mit Anerkennung. Mit großer Geschicklichkeit war in den beiden letzten Dramen die Capelle der Nationallitteratur zum Tempel der Nationalgeschichte erweitert worden; dem nationalen Element war damit ein Durchschlupf auf die Bühnen gefunden, von denen der Censor die poetischen Reichthümer der vaterländischen Geschichte verbannte. Diesen dem Dramatiker auch heute nicht ganz ersparten Zwang sollte L. selbst bitter genug erfahren bei seinem nächsten Stück „Prinz Friedrich“, das den Conflict des jungen Friedrich des Großen mit seinem strengen Vater in temperamentvoller Weise behandelte und der erste Theil einer Friedrich-Trilogie werden sollte, die aber durch die Aussichtslosigkeit der so bedingten theatralischen Darstellung bei Seite gelegt wurde. Selbst ein dem Könige von Preußen überreichtes Memoire über die nationale und populäre Wirkung [780] des Auftretens preußischer Fürsten auf den heimathlichen Bühnen vermochte die hergebrachte und sich damals noch steigernde Aengstlichkeit nicht zu beseitigen, und die Bühnenlaufbahn des Stücks wurde dadurch von vornherein gehemmt. „Die ganze Komödie wird in die Tasche gesteckt von dem politischen Riesen, der sich so furchtbar aufrichtet“, schrieb L. am 28. Februar 1848 an Emil Devrient, und auch seine Hauptrolle als productiver Dramatiker wurde durch dieses dröhnende Intermezzo abgebrochen, um später nur noch in wirksamen Episoden wieder aufzutreten.

Nach fast zehnjähriger Pause (1856) erschien Laube’s „Graf Essex“, eines seiner erfolgreichsten Stücke, das noch heute auf dem deutschen Repertoire lebt; die Familienähnlichkeit mit den früheren Helden Monaldeschi, Struensee, ist auch hier nicht zu verkennen, wenn auch die Charakteristik des stolzen Günstlings der Königin Elisabeth aus seiner von vornherein erhöhteren Lebensstellung sorgfältig herausgearbeitet ist. Die Ausbeutung theatralischer Effecte geht in diesem Stück bis an die äußerste Grenze des Erlaubten; desgleichen in dem letzten selbständigen Trauerspiel Laube’s, „Montrose, der schwarze Markgraf“ (1859), in dem die Vorliebe des einstigen Theologen für religiöse Motive zu einem wuchtigen Ausdruck kommt. 1858 wurde sein Lustspiel „Cato von Eisen“ aufgeführt, für das er die Grundidee von Gorostiza genommen hatte, dessen „Nachsicht für alle“ er außerdem bearbeitete, und 1867 erschien unter dem Pseudonym C. Franz auf dem Burgtheater das Schauspiel „Der Statthalter von Bengalen“, das den Verfasser der Juniusbriefe, Sir Philipp Francis, zum Helden hat. Die Macht der Verleumdung war der Vorwurf für das Schauspiel „Böse Zungen“ (1868); das Schicksal des 1860 durch Intriguen in den Tod getriebenen österreichischen Finanzministers v. Bruck hatte zu dem Stück die Anregung gegeben und verschaffte ihm auch den Erfolg der Actualität. Anonym soll L. schließlich noch „Advokat Hamlet“ (Leipzig 1850), pseudonym „Die neue Lästerschule“ (nach Sheridan) von Harry Grien (Wien 1882) und das Lustspiel „Frundsbach“ (Wien 1881) und unter dem Namen A. H. Mühlbaum das Lustspiel „Schauspielerei“ (Wien 1882) verfaßt haben. Seine Fortsetzung des Schiller’schen „Demetrius“ (1872) ist der Höhepunkt seiner sich immer mehr in Coulisseneffecte und Intriguenschrecken auflösenden Dramatik. Die Anlage dazu war von vornherein stark in ihm gewesen; die Intrigue ist das A und O seiner Technik in Tragödie und Lustspiel und keineswegs so fein geschnitzt, wie in den französischen Vorbildern, die er mit Liebe studirte. Mit dem Dichter Laube ist man schnell fertig; er war von vornherein mehr der Regisseur, der gegebene Stoffe wirksam zu componiren und insceniren verstand; wenn er schon 1841 einem Freunde rieth: „Produziren Sie jetzt nichts aus dem Blauen, aus rein eigner Erfindung, sondern schließen sich, und zwar ganz knapp! an gegebene Stoffe an. Erstaunt werden Sie bald bemerken, wie Ihr eigner für Erfindung nöthiger Inhalt und Stoff dabei sich organisch entwickelt“, so machte er bei diesem Rath seine eigene Fähigkeit zum Maßstab. Trotz seiner Vorliebe für das bürgerliche Schauspiel, als dessen kundigsten Vertreter er Iffland hochschätzte, hat er sich niemals selbst auf dies Gebiet gewagt, wo alles der Erfindung, der dichterischen Auffassung des alltäglichen Lebens überlassen ist, mit den Menschen allein wußte er nicht viel anzufangen; so war er angewiesen auf die Hülfe historischer Thatsachen und im wesentlichen vorgezeichneter Charakteristik, denen er dann mit seinem großen, und in französischer Schule sorgfältig gepflegten Compositionstalent zu Hülfe kam. Bei allem Pathos ist Laube’s Sprache dürr und trocken, es fehlt der tönende Klang darin; aber die scenische Wirkung beherrschte er vom ersten Stücke an und bildete sie in dramaturgischen [781] Studien virtuos in sich aus. Ein unermüdlicher Theatergänger, lernte er unendlich viel auch von der dürftigsten Komödie und Aufführung, und jedes Detail vor und hinter den Coulissen fesselte seine Beobachtung. Die idealen sowol wie die praktischen Bedingungen des Bühnenlebens interessirten ihn gleich lebhaft, er trat von Anfang an als der zukünftige Theaterdirector auf, und seine Dramen gehören zur Theatergeschichte der Vierziger Jahre im engsten Sinne. Er schrieb seine Stücke den Bühnen zum Trotz und sagte ihren Leitern: „Jetzt beißt Euch dran die Zähne aus, und wehe Euch, wenn Ihr hohle Zähne habt!“ Wenn seine Dramen in Buchform erschienen („Dramatische Werke“ 1845 ff.), wurden sie Streitschriften, die Vorreden nahmen fast den halben Band ein, sie sprachen von verrotteten Zuständen und von Reform des Theaterlebens mit ungewohnter Keckheit; mit ungezwungenster Offenheit erzählte er die Bühnengeschichte jedes Werks, spielte die einzelnen Intendanten, besonders der Hoftheater, gegen einander aus, citirte ihre oft classischen Urtheile und freute sich über den Lärm, den es geben würde, fast noch mehr wie über die Aufführung seiner Stücke: „Es lebe die Strafe!“ Diese systematische Polemik hat luftreinigend gewirkt. Selbst in seinen Privatbriefen besonders an Schauspieler gewöhnte sich L. früh den Ton des Directors an, der überall mit Zurechtweisung und Vorschlägen eingreift, und in gleichem Sinne wirkte er als Journalist, als der er in den Vierziger Jahren eine ausgebreitete litterarisch- und theaterkritische Thätigkeit entfaltete, die hier nicht einmal übersichtlich skizzirt werden kann. Erwähnt sei nur, daß er zeitweilig für das „Leipziger Tageblatt“, in dem er 1832 so reformirend gewirkt hatte, die Theaterkritik führte und daß er 1843 und 44 von F. G. Kühne auch wieder die Leitung der „Zeitung für die elegante Welt“ übernahm. Mit der alten streitbaren Energie kehrte er auf seinen ersten wichtigen Posten zurück, um „den Krieg des Talentes gegen die Redensart“ zu beginnen, und durch Heine’s Hülfe und die Pflege besonders jüngerer Talente, deren sich in Alfred Meißner, Moritz Hartmann u. s. w. eine ganze Colonie in Leipzig angesiedelt hatte, verhalf er dem jetzt überlebten Blatte zu einem letzten vorübergehenden Aufschwung. Sogar als Angeber einer neuen Mode für deutsche Männertracht verschmähte er nicht hier aufzutreten, und mit dem großen Stab jüngerer Collegen, die sich in Leipzig um ihn scharten, angelockt von seiner frisch-fröhlichen Arbeitskraft und seinem derben aufrichtigen Umgangston, hat er sich auch für die Organisirung des Litteratenwesens in Vereinen verdient gemacht; eine „Tigergrube“ nannte Otto Ludwig diesen Leipziger Kreis. Bei den Premieren seiner Stücke pflegte L. gern persönlich zu erscheinen und bei den Proben einzugreifen, ein Recht, das er am nachdrücklichsten wieder dem Autor erobert hat. Diese Reisen führten ihn mannichfach herum und hielten seine Energie in immer frischem Anreiz. Frühjahr und Herbst sahen ihn regelmäßig zur Jagd in Muskau; die sommerliche Badecur in Karlsbad war zur jährlichen Gewohnheit geworden. Er hatte Freunde aller Orten und Fühlung nach allen Seiten. Sommer 1847 war er auch wieder in Paris in Begleitung Meißner’s, und aus den für die „Allgemeine Zeitung“, für die er schon seit 1835 arbeitete, geschriebenen Berichten erwuchs das Büchlein „Paris 1847“, das sich durch die Schilderung französischer Politiker und der französischen Theater und Schauspieler auszeichnet.

Eine dieser Journalisten- und Erkundungsfahrten hatte ihn im Herbst 1845 auch nach Wien geführt, wo sich das Burgtheater seinen Dramen, mit Ausnahme „Monaldeschi’s“, spröde verschlossen hatte. Im Hause der Schauspielerin Amalie Haizinger machte L. die Bekanntschaft des Grafen Moritz Dietrichstein, der seit dem Mai dieses Jahres wieder die Leitung des Burgtheaters [782] innehatte; auf dieser Reise sicherte er sich den Einfluß des Dichters Friedrich Halm (Frhrn. v. Münch-Bellinghausen) und seiner Freundin der Schauspielerin Julie Rettich, und von hier spannen sich die Fäden, die ihn nach vier Jahren an die Leitung des Burgtheaters fesseln sollten. Unter diesem Gesichtspunkte schrieb er auch im Frühjahr 1846 für die „Allgemeine Zeitung“ seine „Briefe über das deutsche Theater“, die das Wiener Theaterleben zum Mittelpunkte hatten. Damit candidirte er offen für jenen Posten eines Präsidenten der deutschen Bühnenwelt; doch ehe er diesen bestieg, machte er noch eine politische Episode durch, die auf seine Wahl zum Burgtheaterdirector nicht ohne Einfluß war.

Seit einem Jahrzehnt hatte sich L. in politischer Hinsicht vorsichtig und ruhig verhalten. Er war ja gewarnt, und die schon erduldete Strafe konnte ihn jederzeit wieder ereilen, denn die Maßregeln des Jahres 1835 waren noch in Kraft, wenn sie auch mit gelegentlicher Nachsicht gehandhabt wurden. Der preußische Censor arbeitete gemächlich; im Sommer 1840 durfte Laube’s Litteraturgeschichte noch nicht in Preußen verkauft werden, weil die Recensur noch nicht beendet war; die Redaction eines Journals, das auch auf preußische Leser rechnete und rechnen mußte, war daher völlig aussichtslos, schon Ende 1840 mußte L. einen derartigen Antrag ablehnen. Sein Gesuch an den preußischen Minister um Befreiung von der Recensur (29. Juli 1840) sollte noch erst „in Erwägung“ gezogen werden. Thatsächlich beschäftigte man sich in Berlin mit dem Schicksal der jungdeutschen Schriftsteller, von denen außer L. auch Mundt in beweglichen Eingaben laut geworden war. Gemäß einem Auftrag des Ministers vom 30. November 1840 erklärte das Obercensurcollegium am 6. Februar 1841, daß es in der letzten Zeit an Mundt und L. nichts auszusetzen gefunden, daß es überhaupt nur wenige jungdeutsche Schriften unterdeß habe verbieten müssen und beantragte die völlige Aufhebung der preußischen Ausnahmegesetze gegen das junge Deutschland. Die Minister waren uneins nach vier Monaten (31. Juli) legten sie ihren Bericht dem Könige vor, und nach weitern sieben Monaten (28. Februar 1841) erfolgte dann die mit mehreren Vorbehalten verklausulirte befreiende Cabinetsordre. Nachdem gleich Mundt auch L. am 10. Mai 1842 mündlich zu Protokoll und in einer besondern schriftlichen Erklärung vom 7. Juni versichert hatte, daß er fortan in seinen Schriften alles vermeiden wolle, was „die Religion, die Staatsverfassung und das Sittengesetz beleidige“, war er für Preußen rehabilitirt, und auch der Bundestag nahm in diesem Jahre seine Verfügung vom 10. December 1835 zurück. Von den regelmäßigen Censurhindernissen abgesehen, war also freie Bahn für litterarisches Wirken geöffnet, und die gedachte L. nicht wieder zu verlassen. Er durfte auch jene sehr allgemein gehaltenen Erklärungen abgeben, da er in Wirklichkeit seit der scharfen Gefängnißcur eine innere Umwandlung durchgemacht hatte. Schon am 23. Januar 1841 machte er Varnhagen ein vertrauliches Geständniß über sein „energisches Preußenthum“, aber er fügte hinzu, daß er jetzt im Fechten für sein Vaterland weit verschwiegener geworden sei als früher mit seiner Opposition. Er war der alte Raufbold nicht mehr, der gleich zum Degen griff, sein heißes Blut hatte sich beruhigt, wenn auch nicht soweit, daß er den Charakter, den er nun einmal in der litterarischen Mitwelt gewonnen hatte, ganz hätte verleugnen müssen. Er vermied nur die auffallenden Gelegenheiten und schrieb wol hier und da anonyme politische Artikel für Leipziger Blätter und für die „Allgemeine Zeitung“. Er benutzte auch die Tagesgeschichte, um in den mächtigen politischen Zeitungen die Litteratur zur Sprache zu bringen, aber er pflegte seit 1839 zu betonen, daß er jetzt einen „künstlerischen Ton“ angeschlagen habe, für den seine [783] Litteraturgeschichte das Programm bilden sollte, und daran hielt der sich entwickelnde Dramatiker fest. Er hatte ungläubig den Kopf geschüttelt, als Heine ihm 1847 in Paris den kommenden Sturm nach der augenblicklichen Windstille unter Guizot’s Herrschaft voraussagte, und die Ereignisse des Jahres 1848 überraschten ihn. Aber schnell fand er sich zurecht und Anfangs März stand er mit einem Male wieder als politischer Schriftsteller da, der für die „Deutsche Allgemeine Zeitung“ in Leipzig Aufsätze schrieb, die die Bildung eines „Gesammtstaates“ mit Einschluß Oesterreichs zum Ziele hatten. Die in Leipzig zusammentretenden politischen Vereine waren dem alten Burschenschafter ein willkommenes Forum, die Kunst war ja doch für einige Zeit im Abgrund verschwunden, und aus den Vereinssitzungen setzten sich die Debatten auf die Straße fort, wo L. als Communalgardist herumstrich und Volksmeinungen sammelte; sogar eine Mahnung ließ er (etwa am 8. März) an den König von Preußen abgehen, energisch die Führung zu ergreifen „im Sinne der Nation“, und die Einberufung des Vorparlamentes führte auch ihn nach Frankfurt, von wo er während der entscheidenden Tage (30. März bis 3. April), in denen die Befugnisse des Fünfzigerausschusses zur Wahl der Nationalversammlung festgelegt wurden, Berichte für die „Allgemeine Zeitung“ schrieb. Seine Meinung: „Freiheit mit Maß, Einigung des deutschen Vaterlandes wenn auch mit Opfern“ hatte ihn zum linken Centrum der Versammlung geführt.

Nach Leipzig zurückgekehrt, ließ er sich durch einen Brief der Louise Neumann, der Tochter der Amalie Haizinger, bewegen, nach Wien zu eilen, wo die revolutionäre Bewegung die „Karlsschüler“ flott gemacht hatte, um sein Stück selbst auf dem Burgtheater in Scene zu setzen. Sein tactvolles Auftreten bei dem stürmischen Erfolg des Werkes, als gegen die alte Sitte der Burg der Darsteller des Schiller an die Lampen gerufen wurde, sein kluges Vermitteln zwischen der conservativen Würde des Hauses und dem umsturz-lüsternen Volkswillen überraschte bei Hofe außerordentlich, verschaffte ihm vor allem die mächtige Gunst der Erzherzogin Sophie, und seine bei Einstudirung der „Karlsschüler“ bewiesenen dramaturgischen Fähigkeiten, die von einigen der Schauspieler in das richtige Licht gestellt wurden, gaben den Ausschlag. Sofort nach der Première am 24. April ergab sich eine Unterredung mit dem Grafen Dietrichstein, die zur Folge hatte, daß L. bereits am 25. April eine Denkschrift über eine organische Reform des Burgtheaters dem enthusiastisch interessirten Oberstkämmerer vorlegte, die auf eine völlig selbständige Stellung eines artistischen Directors ausging; am 28. April legte Dietrichstein seinen Vorschlag, L. demnach zum Intendanzrath zu machen, dem bereitwilligen Kaiser vor. Bis Ende Mai blieb L. in der revolutionär aufgewühlten Stadt, ohne daß eine Entscheidung erfolgte; der Finanzminister v. Krauß wollte nur einer fünfjährigen provisorischen Anstellung zustimmen, während L. sofortige Pensionsberechtigung und Sicherheiten auch für seine Familie verlangt hatte, und lehnte am 18. Juli überhaupt jede Geldbewilligung aus der Staatscasse für den neu zu schaffenden Posten ab. Damit war die Angelegenheit einstweilen aufgeschoben, was auch L. bei der Unsicherheit der Zustände am liebsten war. Seine Blicke waren mit Spannung auf Frankfurt gerichtet, wohin er als Abgeordneter seiner Heimath zu gehen gehofft hatte. In Muskau war er vorerst nur als Stellvertreter gewählt worden. Aber während die Sprottauer für ihn stimmten, ließen die Saganer ihn fallen, weil er Republikaner sei, und so blieb er mit zwei Stimmen in der Minorität. Nachdem er im „Deutschen Verein“ zu Leipzig über die miterlebte Wiener Revolution Bericht erstattet hatte, war er einstweilen aufs Zusehen [784] angewiesen und reiste seiner Gewohnheit nach im Juni nach Karlsbad. Der Zufall wollte es, daß im benachbarten Orte Elbogen ein czechischer Abgeordneter sein Mandat niedergelegt hatte; L. trat kurz entschlossen, auf Betreiben seiner Frau, als Candidat auf, wurde gewählt und ging nun, er, der Preuße, als deutschböhmischer Abgeordneter im August nach Frankfurt, wo bereits seit dem 18. Mai die Nationalversammlung tagte. Enthusiastische Hoffnungen auf ihre Wirksamkeit hatte er bereits abgelegt, denn er sah die ausübende Macht der Versammlung von vornherein bedroht durch den Zank um unfruchtbare Principien. Utopien nachzujagen, war er nicht mehr jung genug, wie er mit Schmerz empfand; constitutionelle Monarchie war für ihn die einzig mögliche Staatsform, aber wenn er der Persönlichkeit eines deutschen Gesammtoberhauptes nachdachte, mußte er, der österreichische Abgeordnete, in Conflict kommen mit seinem preußischen Vaterlandsgefühle. Seinen Wählern zu genügen, hätte er für ein völliges Aufgehen des ganzen Oesterreich in Deutschland wirken und gleich Schmerling von dem Augenblick an, wo durch die Antipathie der Mehrheit gegen die undeutschen österreichischen Elemente, durch die kleindeutsche Partei Gagern’s und die enge Centralisation Oesterreichs bis zur oktroyirten Verfassung vom 7. März diese Aussichten zerstört wurden, gegen die preußische Hegemonie auftreten müssen. So saß er von vornherein „zwischen zwei Stühlen“, trat niemals als Redner auf – die einzige Rede, die er halten wollte, hat er in seinen Erinnerungen mitgetheilt –, fühlte sich während seiner ganzen parlamentarischen Thätigkeit schlimmer denn im Gefängnisse und legte gleich nach der preußischen Kaiserwahl am 28. März, bei der er sich der Abstimmung enthielt, noch vor der Abberufung der österreichischen Abgeordneten (5. April) sein Mandat nieder. Er war dem linken Centrum treugeblieben, hatte aber eine Abzweigung des „Württemberger Hofes“, den „Augsburger Hof“, mitbegründen helfen, der sich in Vertretung seiner liberalen Grundsätze eine noch größere Mäßigung auferlegte. Anfang April war er wieder daheim in Leipzig, „zerrädert von den täglichen Proben in der Paulskirche“; hier erst beschloß er, „sein politisches Schweigen zu brechen“ und das, was er beobachtet und erkannt hatte, in einer Darstellung des ersten deutschen Parlamentes niederzulegen. In fliegender Eile schrieb er nun seine Eindrücke nieder, er vervollständigte diese noch, indem er an dem Nachparlament in Gotha (26. Juni), das sich zur Unterstützung der preußischen Unionspolitik versammelte, als Ersatzmann des ausgetretenen Grävell für einen preußischen Bezirk theilnahm, und im September war sein dreibändiges Werk „Das erste deutsche Parlament“ vollendet. Er gab darin eine dramatisch-lebendige Darstellung der Entwicklung der Nationalversammlung, ihrer erregtesten Versammlungen und der auf sie einstürmenden Ereignisse, und entwarf eine meisterhafte Charakteristik ihrer hervorragenden Mitglieder; er schuf aus dem trocknen politischen Rohstoff ein gradezu wie ein Roman spannendes Buch, das sich mit Hülfe poetischer Combination zu warmem Pathos, aber auch zu flammender Entrüstung und blutiger Satire erhebt, die besonders den Führern der äußersten Linken gilt, und durch die intime Schilderung des ganzen Milieus, wie es sich in den privaten Zusamenkünften der Parlamentsmitglieder entfaltete, ist Laube’s Werk das unmittelbarste und lebensvollste Bild des gewaltigen deutschen Umschwungs.

Kaum war der Druck dieses Buches beendet, da traf wiederum ein Brief aus Wien ein, wo unterdeß große Veränderungen vor sich gegangen waren. Ein junger Kaiser hatte den Thron Oesterreichs bestiegen und mit dem Ende des alten Regimes (1. December 1848) hatte auch Graf Dietrichstein die Leitung des Burgtheaters niedergelegt. Interimistisch war der Generaladjutant [785] Graf Grünne damit betraut worden, dem sich L. am 12. December 1848 mit seinen Ansprüchen in Erinnerung gebracht hatte. Eine Commission zur Reorganisation des Burgtheaters war eingesetzt worden und seit dem 9. Mai 1849 war der Oberstkämmerer Graf Lanckoronski an die Spitze des Hoftheaters getreten. Dieser hatte auf Laube’s Anfragen im Sommer 1849 erst abwiegelnd geantwortet, dann ganz geschwiegen. Der wichtigste Beschluß jener Commission war aber doch die Ernennung eines Dramaturgen und am 5. August hatte Lanckoronski den entsprechenden Antrag als Ergebniß dringender Nothwendigkeit dem Kaiser vorgelegt. Nun meldete Friedrich Halm, der für denselben Posten candidirt, aber zu große Ansprüche gestellt hatte, seinem Freunde L., daß der noch im Amt befindliche artistische Director Franz v. Holbein den ungestrichenen „Struensee“ aufs Repertoir gesetzt habe; die ungekürzten Revolutionsscenen der Laube’schen Tragödie mußten die drohende Concurrenz ein für allemal beseitigen. Am 26. October traf L. in Wien ein, aber nicht um des Collegen freundliche Absicht zu vereiteln, sondern um durch eine vollständige Aufführung seiner Dichtung den Wienern eine erste Bedingung zu stellen, deren Ablehnung die Uebernahme der Direction seinerseits ausschließen mußte; die war „eine billige Freiheit in der Wahl der Stücke und ein Anschließen dieser Bühne an die liberalen Bedürfnisse der Zeit“. Die Aufnahme am 30. October war stürmisch, Holbein triumphirte. Aber, o Wunder! „Oben“ war man gnädig gesinnt: „Der störende Tendenzapplaus treffe den Verfasser nicht“, der Erzherzogin Sophie hatte das Stück gefallen. So mußte der innerlich keineswegs davon erbaute Graf Lanckoronski dem Verfasser noch Elogen machen und mit ihm über die schon vom alten Kaiser genehmigte Anstellung in Verhandlung treten. L. verlangte unbedingte Vollmacht für Bildung des Repertoirs, Besetzung der Rollen und einjähriges Engagement der Schauspieler, und als man Schwierigkeiten machte, interpellirte er den Grafen Grünne und den Fürsten Felix Schwarzenberg über die nothwendigen Vollmachten eines Theaterdirectors. Beide sagten zu Allem Ja und Amen. Am 9. December bewilligte Kaiser Franz Josef die zeitweilige Anstellung eines Dramaturgen mit 2500 Gulden Gehalt nebst Quartiergeld auf zwei bis drei Jahre. „Nein“, sagte L., „ich brauche fünf Jahre. Ich bin genöthigt, mir sehr viele Feinde zu machen. Ich muß aufräumen, muß ersetzen. Nach zwei bis drei Jahren bin ich nur verhaßt – schaffen und mir Freunde erwerben kann ich erst im vierten und fünften Jahre“. Am 12. December beantragte nun Graf Lanckoronski dringend, L. mit 4000 Gulden Gesammteinnahme und sofortiger Pensionsberechtigung zu engagiren und am 26. December wurde vom Kaiser das Decret unterzeichnet, wonach L. auf fünf Jahre provisorisch als artistischer Director mit dem beantragten Gehalt angestellt wurde. Auch auf diesem Titel hatte L. bestanden und ebenso auf einer genauen Instruction. Als er aber am 29. December das Anstellungsdecret empfing, waren in der Instruction die ausbedungenen Vollmachten abgeschwächt. Kurzer Hand schickte L. das Decret zurück; da bequemte man sich und willfahrte ihm. Am Sylvesterabend 1849 wurden die Mitglieder des Hoftheaters mit der Nachricht seiner endgültigen Anstellung überrascht. Schon am 22. Juli 1851 wurde L. mit Aufhebung des fünfjährigen Provisoriums zum artistischen Director definitiv ernannt. Achtzehn Jahre blieb er auf diesem Posten. Seine Verdienste um das Burgtheater und das deutsche Theater überhaupt ausführlich zu würdigen, muß der Theatergeschichte vorbehalten bleiben; nur die Hauptzüge seiner Theaterherrschaft mögen hier angedeutet sein.

[786] Dieselbe kurzgefaßte Entschiedenheit, mit der er in der Litteratur aufgetreten war, bewies er auch in seinem directorialen Regiment, sowol den Schauspielern, wie seinen Vorgesetzten gegenüber. Anfangs hatte er ein gemeinschaftliches Arbeiten mit den Schauspielern im Sinne, gab ihnen Stücke zu lesen und bat um Urtheile, fand aber wenig Gegenliebe und im Laufe der Erfahrung kam er zu dem Schluß: „Ein Theater kann nur monarchisch regiert werden“. Es kam ihm nicht darauf an, gelegentlich den kategorischen Imperativ anzuwenden und unbedingten Gehorsam zu fordern. So bildete sich sein schließlich überwiegender Charakterzug immer schärfer heraus: rauh, schroff, mitunter bäurisch grob, worüber so manche Anekdoten cursiren; sein „dickes Fell“ und sein „herrisch knatterndes Organ“ wurden sprichwörtlich, ein wenig Pose, für den Verkehr mit Schauspielern unentbehrlich, lief mit unter, und sein unschönes, „mopsverdrießliches“ Gesicht war die richtige Einrahmung dazu. Glaubte er die Natur eines Künstlers erkannt zu haben, so stellte er ihn im Nothfall mit Gewalt auf den Posten, für den er ihn befähigt hielt, und das Resultat versöhnte meist den offenen Trotz. Er drillte an seinen Leuten herum, mit unerschöpflicher Geduld, ohne Langweile, stets mit Frische und Spannkraft, und jede Probe, die er nie versäumte, war ihm ein Hochgenuß. Wo Macht gegen Macht stand, im Verkehr mit seiner vorgesetzten Behörde, wußte er auch geschickt das Antlitz in diplomatische Falten zu legen, und manch lustiges Histörchen begegnete ihm da, besonders in seinem achtzehnjährigen „Betteltanz“ mit der Wiener Censur, deren „Komtessenästhetik“ zu überwinden sein größter Ehrgeiz war. Aber bei aller rücksichtslosen Barschheit hatte er gleichwol ein Herz für seine Schauspieler, und nie ist mit solcher rein menschlichen Theilnahme über Bühnenkünstler geschrieben worden, wie L. dies that über Männer wie Beckmann, Fichtner und Anschütz. Er schämte sich nicht, in einer Thätigkeit voll aufzugehen, die ein gutes Stück Handwerk verlangte, das täglich neu geschaffen werden mußte; gerade in diesem Schaffen fand er seine Befriedigung. Hat auch das letzte halbe Jahrhundert der Schauspielkunst weitere Grenzen gesteckt, für jene Epoche war seine Dramaturgie der zutreffende Gesetzescodex. Eines stand für ihn unerschütterlich fest: Theaterdirector soll nur ein dramatischer Schriftsteller sein, der „plastische Phantasie“ und „schöpferischen Geist“ besitzt, die zur Beurtheilung und Inscenirung d. i. „dichterischen Nachschöpfung“ eines Stückes erforderlich sind. Die Mannichfaltigkeit des Repertoirs erschien ihm als die Lebensfrage des Theaters; auf classischer Grundlage sollte es ein Bild der deutschen Litteratur darbieten und auch das Ausland in seinen charakteristischen Vertretern aufnehmen. Litterarischen Experimenten war er abhold; das Urtheil des Publicums berücksichtigte er gern. Das bürgerliche Schauspiel war für ihn die populärste, die nationale Form des Theaters, vaterländischen Schwung wollte er von der Bühne ausgehen sehen; die Bühne war für ihn eine Culturmacht, die ihre Mission nur durch Pflege der die Zeit bewegenden Fragen und Aufgaben erfüllte, und deshalb suchte er nach dem „Stück der Gegenwart“, und wenn er es nicht bei den Deutschen fand, so nahm er es von den Franzosen, deren Kunst der Composition er den Deutschen nahebringen wollte. Er selbst bearbeitete zu diesem Zwecke zahlreiche französische Stücke. Lustspiele galten ihm als die nothwendige Einfassung der kostbaren Krondiamanten des Dramas und der Tragödie. Altes beleben, Neues erwecken und befördern, war das Ziel, dem er mit großer Umsicht zusteuerte, und die große Zahl seiner Neuinscenirungen und die fast lückenlose Reihe der deutschen Dramatiker, die unter ihm auf der Burg zu Worte kamen, bewiesen, daß er seine Theorien auch in die Praxis umzusetzen fähig war. Die unvermeidlichen Vorwürfe, die nie einem Theaterdirector [787] erspart sein werden, daß er z. B. Hebbel nicht anerkannte, hat er wett gemacht durch seine Pflege Otto Ludwig’s und seine Wiedererweckung Grillparzer’s. Daß ein Norddeutscher dem Lande Oesterreich den Nationaldichter wies, war eine That. Für den ganzen Shakespeare, gegen den er als Techniker viel einzuwenden hatte, wußte er das Publicum Wiens zu gewinnen, ohne es zu ermüden. Er sonderte streng theatralische und dramatische Kunst, und für ihn war die Bühne nicht nur das Forum des Dichters, sondern eine eigne Welt mit eignen Gesetzen. Klarheit in Handlung und Worten verlangte er vom Dichter und Schauspieler. Die ersten Proben zu einem neuen Stück waren immer erst der naiven Darlegung des Sachverhaltes gewidmet und dann der Ausarbeitung des richtigen, verständlichen, eindrucksvollen Vortrags. Die einmal beabsichtigten Effecte herauszubringen mit ganzer Wucht, war seine Leidenschaft, und er rechnete dabei mit dem Applaus. Drastische Wirkung, schnelles Tempo, Massenwirkung waren ihm unentbehrlich. Virtuosenthum und Mustergastspiele waren ihm ein Gräuel, und mit seinem Verzicht auf Ausstattung, auf „Opernluxus“ und „Tapezierdramaturgie“ ging er bis an die Grenze des Möglichen. Das harmonische Ganze, das Ensemble war ihm Hauptgesetz, dem sich jede Künstlerindividualität unterordnen mußte. Durch Engagement und systematische Erziehung stampfte er die tüchtigsten Schauspieler förmlich aus der Erde und durfte lachen über die gewohnheitsmäßige Klage, daß es an Talenten fehle. Welch stolze Namen gewann er nicht dem Burgtheater! Wagner, Dawison, Meixner, Gabillon, Lewinsky, Baumeister, Lußberger, Förster, Hartmann, Schöne, Krastel, die Damen Gabillon, Seebach, Boßler, Bognar, Goßmann, Baudius, Schneeberger-Hartmann und Wolter. Und er durfte sich etwas zu gute thun auf seinen raschen und scharfen Blick, der auch in der mangelhaften Leistung die eigenthümliche Fähigkeit erkannte. Vorwürfe gegen ihn können immer nur darauf hinauslaufen, daß er zu sehr das war, was er sein sollte, Theaterdirector, der mit einem Hofe, mit dem Publicum, mit den Schauspielern[WS 2] zu vermitteln hatte, um nicht am Jahresschluß ein Deficit der Casse bekennen zu müssen, das seine Thätigkeit vorschnell beendet hätte.

Mit Laube’s Wirksamkeit am Burgtheater ist die Höhe seines Lebens erreicht. Was später kam, war nur Copie. Im September 1867 schied L. von der Burg. Derselbe Friedrich Halm, auf dessen Rath er vor achtzehn Jahren eine in jedem Punkt genaue Instruction verlangt hatte, wurde ihm als Intendant jetzt vorgesetzt und beschränkte die Machtvollkommenheit des artistischen Directors. Darauf bat L. um seine Entlassung, verfehlte aber nicht, in der „Neuen Freien Presse“ auch die neue Phase des Burgtheaters kritisch zu beleuchten. Er blieb in Wien als ruhiger Privatmann, seinen litterarischen Arbeiten lebend, aber der Theaterteufel ließ ihn nicht los und packte ihn wieder, als er im Sommer 1869 in Karlsbad weilte. Der Unternehmer des Leipziger Stadttheaters, Theodor v. Witte, wünschte sein Institut aufzugeben und am 1. Februar 1869 übernahm L. als Pächter und Director die Leitung. So war er wieder zurückgekommen auf den Boden, von dem er vor fast vierzig Jahren ausgegangen und der die Reife des Dramatikers und Theaterkenners gezeitigt hatte. Mit der Inscenirung seiner „Demetrius“-Bearbeitung führte er sich wirksam ein und das Glück blieb ihm auch hold. Aber dem Charakter der Stadt wußte er sich nicht mehr anzupassen, die Differenzen mit den städtischen Behörden, mit dem Publicum und besonders mit der Kritik verdarben ihm die Freude an der Arbeit, und im Herbst 1870 verzichtete er auf seine gewinnreiche Thätigkeit zu Gunsten seines Nachfolgers Friedrich Haase. Sofort kehrte er wieder nach Wien zurück, das war die Luft, die er nicht [788] mehr entbehren konnte. Aber der erfolgreiche abgedankte Burgtheater-Director war aus den Combinationen der Wiener nicht mehr auszuschalten. Wenig fehlte und er wäre wieder, nach Halm’s Rücktritt, in seine alte Stellung zurückgegangen. Ein großes Project zum Neubau eines Stadttheaters mit reichen Geldmitteln war im Gange, und es dauerte auch nicht lange, daß L. mit Leib und Seele dabei war. Am 15. September 1872 fand die glanzvolle Eröffnung des Hauses statt. Als aber nach den zwei ersten fetten Jahren die magere Zeit hereinbrach, that er nicht mehr mit; des vielköpfigen Regimentes war er längst überdrüssig. Und doch ließ er sich im Sommer 1875, als das Gespenst des Deficits immer schreckender emporstieg, nochmals bereden, den verfahrenen Karren aufs Geleise zu bringen. Aber das Alte war nicht wieder herzustellen, und ermüdet legte er 1880 das Directionsscepter nieder. Vielleicht hätte ers nochmals aufgenommen, wenn nicht das Wiener Stadttheater im folgenden Jahre in Flammen aufgegangen wäre. Denn das Theater war ihm nun einmal zum Lebensbedürfniß geworden, in ihm festverwachsen lagen die starren Wurzeln auch seiner Lebenskraft, und in der Stille des Lebensabends schwand sie bald dahin. Am 1. August 1884 starb er in Wien.

Der litterarische Niederschlag der fast dreißigjährigen Dramaturgenschaft Laube’s sind drei Werke: „Das Burgtheater“ (1868), dessen historische Uebersicht zuerst in der „Oesterreichischen Revue“ und dessen moderner Theil in der „Neuen Freien Presse“ 1867 erschien, „Das Norddeutsche Theater“ (1872) und „Das Wiener Stadt-Theater“ (1875). Sie gehen weit über den Rahmen der persönlichen Erlebnisse hinaus und besonders das erstere gehört zu den weisen Büchern unserer Theatergeschichte. Die Kunst der Composition ist darin mit Raffinement ausgebildet. In den „Französischen Lustschlössern“ und vor allem in seiner Schrift über die Frankfurter Nationalversammlung hatte L. bereits die Technik geübt, Personen und Ereignisse mit effectvoller Steigerung zu schildern, in deren Höhepunkt erst der gemeinte Gegenstand in Art und Namen sich dem Leser enthüllt, und im „Burgtheater“ wußte er diese Technik so geschickt in Scene zu setzen, daß er gradezu dramatische Effecte erzielte und auch dieses Werk sich liest wie ein spannend geschriebener Roman. Außerordentlich reich an Beobachtung in der Theorie und Praxis und nicht minder an Thatsachen, die die Welt der Bretter bewegten, gehören jene Bücher zu den fundamentalen Quellenwerken der deutschen Theatergeschichte. Sie sind aber nicht die einzigen schriftstellerischen Leistungen Laube’s in seiner zweiten Lebenshälfte. Soviel Mühe und Zeit der Burgtheaterdirector auch der erfreuenden Tagesarbeit widmete, einige Freistunden blieben ihm doch, um eine große Romanschöpfung zu vollenden, die den ganzen dreißigjährigen Krieg umfaßte und sich auf neun Bände ausdehnte, „Der deutsche Krieg“; das Werk zerfällt in drei Theile, „Junker Hans“, „Waldstein“ und „Herzog Bernhard“ und die Gestalt des großen Friedländers beherrscht das Ganze. Jeder Band ist ein stürmisch bewegter Act mit wirksamem Schlußeffect und bis zum Ende wird des Lesers Spannung und Theilnahme in Athem gehalten, Theilnahme für Charaktere, die zum Theil mit wirklicher Schöpferkraft gearbeitet sind, wie dies L. niemals vorher oder nachher wieder gelang. Figuren wie dieser Junker Hans v. Starrschädel erscheinen so charakteristisch wie die eisenfesten Schnitzereien mittelalterlicher Kunst, und das Werk ist reich an wirklich großen poetischen Momenten, die nicht nur aus historischem Material componirt, sondern auch vom Dichter erfunden sind. Die Scenerie Böhmens, besonders Prags ist mit großer Liebe und auf Grund eindringlicher Studien wiedergegeben. Man fühlt dem Autor nach: hier steht er in einer Zeit, in deren [789] stürmischem Gewoge er sich wie zu Hause fühlt, hier verkehrt er mit Leuten, die seiner innersten Natur am nächsten stehen, denn auch er hat ja etwas vom mittelalterlichen Landsknecht in seiner ganzen kernigen Erscheinung. Allzu üppig fröhnt er seiner Lust am Intriguenspiel, wobei natürlich der jesuitische Einschlag unvermeidlich ist. Die Gründung einer neuen freien Kirche, sogar das rein äußerliche Motiv des Suchens nach einem großen Schatz verrathen schließlich das Kind des neunzehnten Jahrhunderts, den Zeitgenossen der „Ritter vom Geiste“ und des „Zauberers von Rom“. Der erste Theil des Romans war in der „Freien Presse“ zu Wien erschienen, die Buchausgabe erstreckte sich von 1863 bis 1866. Eine bewundernswerthe Frische zeigte L. in seinen „Erinnerungen“, die er 1869 zu schreiben begann und die 1875 die Sammlung seiner Schriften in 15 Bänden (Wien 1875–1880, Braumüller) eröffneten. In ihnen wurde er noch einmal jung und sie gehören zum reizvollsten, was er geschrieben und was die deutsche Memoirenlitteratur besitzt. Ein zweiter Theil, der die Zeit von 1841 bis 1881 umfaßte und sich als 16. Band den Gesammelten Schriften anschloß, fällt dagegen sehr ab, da sein Hauptinhalt bereits durch die Vorreden zu seinen Dramen, durch die Schrift über das deutsche Parlament und besonders durch die dramaturgischen Werke vorweg genommen ist. 1883 veröffentlichte L. noch eine Reihe hübscher Nachträge in der „Neuen Freien Presse“. An Ausgaben fremder Werke verdanken wir L. die zehnbändige Ausgabe Grillparzer’s (1872), die wegen der Begleitworte zu den einzelnen Dramen noch heute beachtet wird, und die litterarisch werthlosen illustrirten Ausgaben der Werke von Lessing, Lenau, Körner und Heine. Grillparzer und seiner eignen Wirksamkeit für ihn setzte er auch 1884 in einer „Lebensgeschichte Franz Grillparzers“ ein besonderes Denkmal. Die eigene Production der letzten Jahre ist äußerst schwach. Der dreibändige Roman „Die Böhminger“ (1880) und ebenso „Der Schatten Wilhelm“ interessiren noch durch die hübschen Kleinstadterinnerungen, die L. aus seiner Jugend auffrischte; in dem ersteren Werk sind auch die biographischen Ereignisse der Dreißiger Jahre in das etwas confuse Romangewebe verflochten. Die Novellen „Louison“ (1881; zu der Titelheldin soll die Schauspielerin Kathi Schratt Modell gesessen haben) und „Entweder – oder“ (1882) kehrten zurück in das verführerische Theatermilieu. 1883 folgten die historische Novelle „Die kleine Prinzessin“ und „Blond muß sie sein“, und aus seinem Nachlaß erschien noch 1885 der die Judenfrage behandelnde „moderne“ Roman „Ruben“, der das völlige Nachlassen seiner productiven Kraft bewies. – Laube’s einziger Sohn Hans starb schon 1863. – 1895 setzte die Heimathstadt Sprottau ihrem berühmten Sohne ein Denkmal.

Die vorstehende Biographie beruft sich auf das im Druck vorliegende Material der Schriften und Briefe Laube’s und auf eine Sammlung ungedruckter Briefe (Originale zum Theil im Besitz des Verfassers). Größere Gruppen von Briefen Laube’s sind abgedruckt im „Nachlaß des Fürsten von Pückler-Muskau“ (6. Bd. 1874), bei Wehl, „Das junge Deutschland“ 1886, bei Houben, „Emil Devrient“[WS 3] 1903. Die Briefe Laube’s an Varnhagen finden sich in Varnhagen’s Nachlaß (benutzt von Houben, „Gutzkowfunde“ 1901: Varnhagen und das Junge Deutschland, 1900, und von Geiger, Neue Freie Presse 1900, Nr. 12 989). Den Briefwechsel zwischen Laube und Gutzkow gab Houben heraus (Sonntagsbeilage der Voss. Ztg. 1903, Nr. 25–29), ebenso eine Sammlung Theaterbriefe Laube’s (Neue Freie Presse 1901, Nr. 13 159 und 13 166), Briefe Laube’s an Gustav Schlesier (Voss. Ztg. 1903, Nr. 229 „Eine Berliner Episode Laubes“) und Jugendbriefe an Max von Oer (Zeitschrift für Bücherfreunde, April 1905: [790] „Fähndrich Pistol“). Publicationen einzelner Briefe u. s. w. suche man in den Registern der „Jahresberichte für neuere deutsche Litteraturgeschichte“ und des „Litterarischen Echo“. – Ein Lebensbild Laube’s gab Johannes Prölß, „Das junge Deutschland“ (1892), das aber jetzt durch neues Material vielfacher Berichtigungen bedarf. Aus dem Berliner Preußischen Staatsarchiv veröffentlichte Ludwig Geiger die auch L. betreffenden Censuracten „Das Junge Deutschland und die preußische Censur“ (1900); von den Resultaten seiner Forschung ist die obige Darstellung mit guten Gründen fast durchweg abgewichen. Biographische Skizzen über Laube finden sich ferner in Wurzbach’s „Biographischem Lexikon“ (mit einer Bibliographie der Werke und zahlreichem Zeitschriftenmaterial) und in Ersch und Gruber’s Encyklopädie II. Sektion, 42. Theil 1888), die aber beide in den meisten Punkten zu berichtigen und ergänzen sind. – Von Laube’s Berufung an das Wiener Burgtheater gab Alexander v. Weilen eine ausführliche Darstellung auf Grund der Acten und Briefe in Halm’s Nachlaß (Neue Freie Presse 1900, Nr. 12 782 ff.). Eine Charakteristik „Laube als Theaterdirektor“ gab Houben (Voss. Ztg. 1899, Nr. 42–44, mit Quellenangaben) und v. Weilen „Laube und das Burgtheater“ (Vortrag. Jahresbericht der Gesellsch. für Theatergeschichte 1905). Schilderungen des jungen Laube finden sich im Briefwechsel zwischen Varnhagen und Schlesier, vgl. Houben, „Literarische Diplomatie“ (Sonntags-Beil. der Voss. Ztg. 1905, Nr. 17, 29 f., 37, 48). Einige ältere Litteratur siehe bei Richard M. Meyer, „Grundriß der neuern deutschen Litteraturgeschichte“, 1902, Nr. 1908–1921.

[752] *) Zu S. 602.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Februur
  2. Vorlage: Schaupielern
  3. Vorlage: „Emil Drevrient“