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Artikel „Wehl, Feodor (von)“ von Ludwig Julius Fränkel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 44 (1898), S. 448–455, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wehl,_Feodor_von&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 23:02 Uhr UTC)
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Wehl *): Feodor (von) W., Dramaturg, Dramatiker und Belletrist, wurde am 19. Februar 1821 auf dem väterlichen Gute Kunzendorf bei Bernstadt im Rgbz. Breslau geboren, der älteste dreier Söhne. Mit seinen Blutsverwandten scheint der Faden früh abgerissen zu sein; ob seine nichts weniger als feudalen Anschauungen dazu Anlaß gaben, ist heute schwer aufklärbar, aber möglich. W. hat sich Zeit seines Lebens meist mit bürgerlichem Namen bezeichnet, auch das letzte Jahrzehnt (außer unter Vorreden), als er durch Orden den württembergischen Personaladel besaß; außerdem aber hatte erst Wehl’s Vater Heinrich die Familientitulatur „Wehl zu Wehlen“ zu obiger Form abgekürzt, obzwar das alte Hauswappen bis auf ihn die Erinnerung an den Zusammenhang mit der damit geschmückten Burgruine Wehlen in der Sächsischen Schweiz lebendig erhalten. Als Knabe mag er auf dem Boden Schlesiens, wo er in Bernstadt, Militsch, Ohlau, Breslau aufwuchs, die vaterländische Begeisterung eingesogen haben, die ihn bis zum letzten Athemzuge in seinem ganzen geistigen und litterarischen Schaffen beseelt hat („Zeit u. Menschen“ I, S. II f.). Ueber dieser Kindheit ruht ein Schleier: trübe war sie zweifellos. Sollte nicht aus dem Candidaten der Theologie und schlesischen Pfarrerssohn in der Novellette „Der Applaus von unsichtbaren Händen“ mit der Begeisterung für die classischen Dramen und ihre Verkörperung („Unheimliche Geschichten“, S. 41) W. selbst sprechen? Noch ein Knabe kam er nach der preußischen Hauptstadt, wo damals zu Anfang der Dreißiger, frische geistige Regsamkeit herrschte. [449] Bei seinem Oheime Brocksch, Husarenofficier und Stallmeister des Prinzen Karl, fand er ein neues Elternhaus, und er trat in die Militärrealschule, wo er am jährlichen Datum der Völkerschlacht eigene patriotische Gedichte vortrug. Der Fähnrich kam nach Neu-Ruppin in Garnison. Aber ein Sturz vom Pferde erschütterte die Wirbelsäule (1836) und erzwang nach dem Schmerzenslager ein Jahr Urlaub, worauf der unfreudige Soldat, der nur für Litteratur und Theater stetig steigende Lust empfand, mit Erlaubniß des Vaters quittirte. Joh. Fr. Dieffenbach suchte ihn der Medicin zu gewinnen, veranlaßte ihn, Griechisch zu lernen und zu maturiren. Danach hörte er in Berlin philosophische, ästhetische, geschichtliche Collegien und reiste nach Paris, London und Italien. Geschichtsstudien wichen bald dem Hang zur Bühne. Die Bekanntschaft mit hervorragenden Mitgliedern des Berliner Hoftheaters (vgl. Wehl’s „Flüchtige Skizzen der Mitglieder des Königl. Theaters in Berlin“ in Fr. Adami’s Almanach „Vor und hinter den Coulissen“ 1844), Auguste Crelinger, Amalie Wolff, Charlotte von Hagn, Seydelmann, Rott, Wauer, dem Intendanten K. Th. v. Küstner, endlich v. Holtei, Ad. Glaßbrenner, Ph. Kaufmann bestärkten ihn darin. Dem letztgenannten Uebersetzer Shakespeare’s mag W. dessen andauernde Verehrung danken, „Brennglas“’ Spuren folgte er 1844 in „Berliner Stecknadeln“, 1845 „Berliner Wespen“, journalistischen Eintagsfliegen, denen die Censur rasch das Licht ausblies, sowie dem satirischen Gedichte „Der Teufel in Berlin“ (1845), welche ‚dramatischen Scenen‘ einer actuellen „Faust“-Travestie, das jungdeutsche Freiheitsideal verfechtend, beschlagnahmt und maculirt wurden. Zu der dafür dictirten neunmonatigen Festungshaft, die im Gnadenwege auf ein halbes Jahr ermäßigt, aber mit Ausweisung aus Berlin verbunden wurde, wählte er Magdeburg (1846), wo ihn Holtei’s, G. zu Putlitz’ u. A. Besuche anregten. Dem ersteren schlesischen Landsmanne hat er zeitlebens nahegestanden, wenn auch Wehl’s litterarische Anfänge mehr im Zeichen von Willibald Alexis, Gaudy und besonders Eichendorff, seinem Herzenspoeten, standen. Während von diesem und der Romantik überhaupt Stoff und Form Wehl’s, außer im Drama, stark beeinflußt wurden und er in Berlin, im Salon der Johanna Motherby (Briefe an J. M., hg. v. Meißner, S. 34) und Elisa v. (Lützow-)Ahlefeldt sowie im Kreise Varnhagen’s verkehrend, zur Fahne L. Tieck’s geschworen, gehörte seine Ueberzeugung in dichterischer und socialer Tendenz bald modernen Anschauungen, wie sie „das junge Deutschland“ – sein so betiteltes Buch (1886, fast drei Fünftel Briefe der unten genannten drei Wortführer) verleugnet Wehl’s romantischen Anhauch nicht – ausgebildet hatte und vertrat. Nach Amtirung als Dramaturg am Magdeburger Theater (Winter 1846/47 unter Rud. Wirsing), gerieth er, während der Haft durch Bankerott eines Bankiers arg geschädigt und nun auf seine Feder angewiesen, in Gutzkow’s und H. Laube’s Bann und Th. Mundt’s Einfluß, mit dessen Gattin Luise Mühlbach er noch spät enge Beziehungen pflegte: dies entschied Wehl’s Uebertritt zum „Jungen Deutschland“ und zur Journalistik. Er übersiedelte 1847 nach Hamburg, wo er mit Georg Schirges den von Gutzkow (1838) begründeten „Telegraph für Deutschland“ im Jungdeutschland-Verlage Hoffmann und Campe redigirte, seit Anfang 1851 allein die Modezeitung „Die Jahreszeiten“, dann den „Theaterspiegel“ (mit Theaterbureau und Gesangsinstitut). Das Verhältniß zu Laube, an dessen „Zeitung f. d. elegante Welt“ er mitarbeitete, blieb wegen grundsätzlich abweichenden Urtheils über die französischen Bühnenproducte persönlich, und Laube hat auch den Hieb Wehl’s mit seiner Widmung der Dramen-Sammlung lange ihm herb nachgetragen, wo er ja thatsächlich, wie W. ihn scherzhaft anklagt, W. nie vor die Rampen gebracht hatte. Schließlich wurde er Mitredacteur der radical-liberalen Zeitung [450] „Reform“, als dieses Volksblatt 1859 täglich zu erscheinen begann. Trotz dieser publicistischen Wirksamkeit hat W., der am 5. Nov. 1859 nach Ausfüllung älterer Wissenslücken in Jena in absentis, wol mit „Theater“ (s. u. S. 453) zum dr. phil. promovirte, in Hamburg zu litterarisch-kritischen Studien Zeit gefunden und „Hamburgs Litteraturleben im 18. Jahrhundert“ (1856) auf Grund tüchtiger Umschau, wenn schon ohne den gelehrten Apparat litterärhistorischer Monographien dargestellt; doch war das gar nicht seine Sache und ihm kam es immer nur auf die Facten selbst nebst ihren Reflexen auf die Gegenwart an. Bis zu den rückblickenden Memoirenwerken am Ausgange seines Schaffens, die außer vielem anekdotischen Kleinkram feine Porträts und Charakteristiken fesselnder litterarischer Persönlichkeiten in Menge und zur Situation der deutschen Bühne überreiche Streiflichter liefern, hat W. die, noch 1888 im Büchlein über Theod. Storm und dem erst 1892 gedruckten liebevollen Bändchen „Alfred Meißner. Erinnerungen“ (Ottmann’s Bücherschatz Nr. 24/25) bekundete warme Theilnahme an einem freien Entwicklungsgange unseres nationalen Schriftthums bethätigt. Geibel’s Bedeutung als patriotischer Dichter z. B. hat er energisch betont und die Mission des deutschen Theaters in litterarischer, künstlerischer, volksthümlicher und vaterländischer Hinsicht mit unermüdlichem Nachdrucke tapfer befürwortet wie eine Lebensaufgabe: „All mein Denken und Dichten lief von jeher auf ein deutsches Nationaltheater hinaus“ („Zeit und Menschen“ I, 73; vgl. ebd. II, 307 u. „Fünfzehn Jahre u. s. w.“ S. 553).

Ein neuer Abschnitt begann in Wehl’s Leben, als er 1860 „Die deutsche Schaubühne“ begründete, welche Monatschrift neue Stücke, die sich nicht sofort die Bühnenprobe erkämpften, vollständige Bearbeitungen älterer gediegener, selbständige Artikel über Theaterwesen und alle Kleinigkeiten aus dessen Praxis, endlich eine kritische Rundschau über die Leistungen der einzelnen Bühnen brachte: zu einem Sammelplatze für alles das deutsche Theater Betreffende und „einem geistigen Regulator der deutschen Bühne“ bestimmte er sie. Sie fand viel Anklang bei maßgebenden Persönlichkeiten: nach Berlin, wo der Stifter des Schillerpreises, der preußische Prinzregent (Kaiser Wilhelm I.), Anerkennung ausgesprochen, wollte man W. mit ihr als ein Werkzeug gegen den Intendanten Botho v. Hülsen ziehen, nach Weimar Dingelstedt, nach Wien Laube. Er verschmähte aber die lauernde Abhängigkeit als Namensträger eines Parteiorgans und ging, 1860 mit Mathilde Treusein zu einer eng harmonischen Ehe verbunden, 1861 nach Dresden als Redacteur der gemäßigt-liberalen, Deutschlands Einheit unter Preußens Führung anstrebenden „Constitutionellen Zeitung“, die er erst nur im „Feuilleton“, in den bewegteren Zeitläuften von 1866 aber auch für Politik und zwar in entschieden kleindeutschem Sinne bediente: setzte er ja auch einen Beschluß auf, mit dem 1866 eine Chemnitzer Volksversammlung den antipreußisch-kriegerischen Absichten der sächsischen Regierung entgegentrat. „Die deutsche Schaubühne“, für welche W. in Elbflorenz infolge des daselbst waltenden Kunstsinnes und der dortigen renommirten Theatertradition ein schnelles Emporblühen erhofft hatte, leitete 1865–73 sein Mitredacteur Martin Perels. W. wich Ende 1866 mit dem Gange der Ereignisse aus Sachsen, ging wieder an die „Reform“ in Hamburg, neben deren politischen Stimmungsartikeln und Berichten über Stadt- und Thaliatheater er Gedichte, kleinere Aufsätze und Novellen schrieb, als im Frühlinge 1870 der kgl. württembergische Hofkammerdirector v. Gunzert in Wehl’s ländlichem Gartenhäuschen auf der alsterbespülten Uhlenhorst bei Hamburg vorsprach, um seinen Rath über verschiedene Personalfragen des Stuttgarter Hoftheaters einzuholen und damit die unter dem eben zurückgetretenen (seit 1846) weitsichtigen Intendanten Baron Gall bestehende Brücke zu W. neu zu betreten. Ende November erfolgte eine auf 21/2 Jahre fixirte Probeanstellung [451] als artistischer Director des Hoftheaters (und Hofrath) unter Gunzert’s, eines umsichtigen, ehrlichen, aber überlasteten Staatsbeamten, Oberleitung. Am 23. Juli 1874 trat er durch Cabinetsbefehl als Intendant (und Geh. Hofrath) an die Stelle des Kreisgerichtsraths Häcker, unter und neben dem er die Geschäfte geführt hatte und fungirte auf diesem verantwortungsreichen Posten, unter Kämpfen und Kränkungen, Wenigen zu Dank, Vielen zu Mißgunst, namentlich wegen schwäbischer Velleitäten u. ä. feindlicher Mächte nie im Stande, die dornige Selbstaufgabe eines deutschfühlenden Bühnenministers zu lösen (vgl. „Zeit u. Menschen“ II, 308; Goll, Meyer’s Dtschs. Jahrb. II, 1873, S. 252; Kürschner ebd. 1879/80, S. 586), bis im October 1884 Gunzert’s Ersatz durch Hofdomänenrath Tscherning plötzliche Kündigung an W. herbeiführte. Wehl’s scharfes Buch über die Stuttgarter Theaterverhältnisse (s. u.) rief ein „Offenes Sendschreiben an Herrn Feodor Wehl, früheren Intendanten des Stuttgarter Hoftheaters. Entgegnung auf sein Buch: .... “ von „Schwab von Schwabenheim“ (1888) hervor (vgl. Literar. Merkur VI, 340), das in Kürze nur gegen einen Fall polemisirt, übrigens nicht, wie der Titel nahelegt, das Schwabenthum W. gegenüber vertritt. Mit dem Personaladel übersiedelte er nach dem nahen Ludwigsburg, wo sein einziges lebendes Kind in den Officiersberuf eingetreten war, 1886 aber zum dritten Male nach Hamburg als Feuilletonist und Theaterreferent der Zeitung „Reform“, und da ist er, unermüdlich und plänevoll, als den seit einer 1875er Lungenentzündung Katarrhalischen die Influenza packte, am 22. Januar 1890, bereit und aufrecht trotz endloser Enttäuschungen, gestorben. Noch wenige Wochen vorher lief eine Ankündigung aus: „Vom 1. Novbr. 1889 ab erscheint: Deutsche Kunst und Literatur. Zeitschrift zur Förderung volksthümlichen Geschmackes und Sinnes in Deutschland. Unter Mitwirkung hervorragender Schriftsteller und Gelehrter herausgegeben von Feodor Wehl und Walter Bormann. Die Absicht dieser Zeitschrift [beginnt der ausführliche Prospect] ist einfach die: durch die Kunst auf das Volk, durch das Volk auf die Kunst zu wirken. Eine volksthümliche Kunst und ein durch volksthümliche Kunst erhobenes und geläutertes Volk sind die erstrebten Ziele … Die freie Kunst, die allein Kunst ist, soll unser Ziel sein … Jede bloß feuilletonistische Unterhaltung, die nichts fördert und nichts zur Bildung und Veredelung des Geschmackes beiträgt, soll ausgeschlossen sein …“; also etwa wie Ferd. Avenarius’ „Kunstwart“ seit 1887. „Der Ruhm im Sterben. Ein Beitrag zur Legende des Todes“ hatte schon 1886 Wehl’s Lebens- und Todesmuth unmittelbar schön ausgesprochen, in der Art von Joseph Kaims’ ‚Last words of eminent persons‘ allerlei (84) Leute alphabetisch in ihrem Ableben vorführend (vgl. A. Chr. Kalischer, Die letzten Worte hervorragender Geister: „Nord und Süd“, XX, 1896, April), „Die Reise nach Glück. Eine weltliche Komödie“, im ganzen eine Jugendarbeit, aber erst 1889 gedruckt gerade wie als Ausfluß tiefgreifender individuellster Empirie seiner ironisch gesprenkelten Weltanschauung Ausdruck verliehen.

Das reiche Talent Feodor Wehl’s, die Vielseitigkeit seiner künstlerischen Interessen, die auf dramatischem und dramaturgischem Gebiete am deutlichsten zum Durchbruch gelangte, die Fülle seiner litterarischen Spenden haben weder bei Lebzeiten noch seit dem Tode in weiteren Kreisen eine irgendwie genügende Rücksicht erfahren. Rud. v. Gottschall ist der einzige nähere College Wehl’s, der ihm am Ausgange seiner Laufbahn einen verständnißvollen Rückblick widmete, und nur Walter Bormann hat es versucht, das Facit dieses fast halbhundertjährigen rastlosen Strebens nach Verkörperung bestimmter idealer Absichten zu umgreifen und abzuschildern. Bormann wäre berufen, ein vollständiges Lebens- und Charakterbild dieses beweglichen und selbständigen Geistes zu liefern, und wie unsere heutige Skizze aus seinen Aufsätzen (s. u.) Belehrung und Anregung [452] im vollsten Maaße schöpfte, so bescheidet sie sich andrerseits im Hinblick auf diese und ihre zu wünschende breitere Zusammenfassung mit hingeworfenen Glossen. Eine wirkliche Biographie Wehl’s würde, was den äußern Lebensgang anlangt, das unstäte Schicksal eines deutschen Schriftstellers entrollen, dem die materielle Lage die Feder nicht etwa zu rasch vergessenswürdigen Actualitäten der Tagespresse in die Hand gedrückt hat, der sich trotz der zwiespältigen Einflüsse der Romantik und des „Jungen Deutschlands“ auf keine Fraction verpflichten mochte und sich namentlich auf seinem Sonderfelde, der Dramaturgie, ganz unabhängig gehalten hat. Die Einzelheiten seines wechselvollen Daseins hat er wol kaum absichtlich versteckt, jedoch sind sie ziemlich mühsam aus gelegentlichen Andeutungen seiner autobiographischen Schriften hervorzugraben: an diesem Orte war es Hauptaufgabe, die vielfach lücken- und fehlerhafte Datenreihe festzustellen, wozu außer den knappen authentischen Mittheilungen, wie er sie zu Nachschlagewerken (H. Schröder’s u. s. w. Lexik. der Hamburg. Schriftsteller VII, 589–591, von Kellinghusen; Bornmüller’s Biograph. Schriftstellerlexikon, 1882, S. 758 f.; Ad. Hinrichsen, Das litterar. Deutschland2, 1891, S. 1368 f.; Brockhaus’ Konversationslexikon14 XVII, 576 a, vom Unterzeichneten, mit dem Versehen, er habe „seit 1848 wieder in Berlin“ gelebt, womit nur der Wegfall der Ausweisung gemeint ist [das Meyer’sche4 XVI, 473 b läßt ihn noch aus Waldenburg stammen, wie Ad. Stern’s Lexik. d. dtsch. Nationalliter. s. v. und Prölß, s. u.]; Brümmer’s Lex. d. dtsch. Dchtr. u. Pros. d. 19. Jahrhs.4 IV, 297 f.) beisteuerte, seine stoffreichen Werke „Zeit und Menschen. Tagebuch-Aufzeichnungen aus den Jahren von 1863–1884“ (2 Bde., 1889), auch allerlei aus den zwei vorausliegenden Decennien einfügend und werthvolle Einblicke durch eine Fülle von Briefen der genannten und vieler anderen Litteraturgestalten (Birch-Pfeiffer, Ludmilla Assing, die beide sehr gewinnen, u. A.) gewährend, und „Fünfzehn Jahre Stuttgarter Hoftheater-Leitung. Ein Abschnitt aus meinem Leben“ (1886, mit Porträt Wehl’s) zu benutzen sind.

Das Leben Wehl’s erscheint bei sorgsamem Anhalten an den verschiedenen Stationen auch durch seinen Verkehr oder sonstige Beziehungen mit den meisten Litteraturgrößen, fast sämmtlichen mit dem Theater verknüpften Persönlichkeiten und allerlei Menschen des öffentlichen Lebens interessant, die freilich der feinen Natur, dem liebenswürdigen selbstlosen Wesen und häufig auch dem ernsten Ringen des Litteraten selten nach Gebühr Recht und Würdigung haben angedeihen lassen. Der edle Charakter, der hinter allen schriftstellerischen Zeugnissen Wehl’s steht, der ausgesprochne volksthümliche und deutschnationale Grundzug in all seinem Denken und Aeußern, die unparteiische Stellungnahme zu den classischen Offenbarungen poetischer, insonderheit dramatischer Kunst, wie zu deren neueren und jüngsten Producten, die Uneigennützigkeit in seinen Functionen als Kunstrichter und Bühnenleiter treten allerdings erst bei gründlicher Einsicht in alle selbstschöpferischen, reproducirenden und kritischen Darbietungen zu Tage. Eine schöne Pietät, wie sie in der sogenannten Epigonenära so selten war, fällt bei W. stets wohlthuend auf; sie ließ ihn auch des vergessenen, ihm aus Hamburg bekannten Kaufmanns Ludwig Schnabel (1792–1860: vergl. Brümmer, Dtsch. Dichter u. Prosaisten bis zum Ende d. 18. Jahrhs., S. 466) „Gedichte“ (1861) herausgeben, die Heinrich Marschner theilweise componirte. Keiner Schule angehörig, jedem Coteriethum abhold, hat W. es erreicht, obschon nach langjährigen schwierigen Conflicten, Ansehen und eine nicht gewichtlose Meinung in theatralischen Dingen, woran seine Seele hing, in die Wagschale werfen zu können. Sein Name verdient fortzuleben in der deutschen Litteraturkritik, für immer sichern Rang zu behalten in der Geschichte des deutschen Theaters und der Bühnenreformen, mögen auch seine eigenen betreffenden Producte [453] eine geringere Rolle in der Entwicklung unseres nationalen Dramas spielen. In erster Linie steht drum der überlebenden Generation der Dramaturg in W., und Bormann sowol wie Eug. Kilian, der auf Wunsch der Familie aus dem Nachlasse Wehl’s „Dramaturgische Bausteine“ (1891), d. h. verschiedene bezeichnende Beiträge zu Problemen der Auffassung und Scenirung bekannter vielgespielter Stücke, als Supplement zu dem dünnen, aber gehaltvollen Bändchen „Didaskalien“ (1867) herausgab, haben für Kenntniß dieser Seite gesorgt. Sehr erschwert die Uebersicht seiner journalistischen Thätigkeit der Umstand, daß deren Belege zerstreut, natürlich in der Mehrzahl anonym und heute schwer oder gar nicht auffindbar sind: angesichts seiner Sorgfalt in Anlage und Ausarbeitung und des hohen Werths, den er ordentlichen Recensionen und dergl. beimaß, kann eine gründliche Charakteristik Wehl’s ihrer nicht entrathen; die „ernsten und humoristischen Essays zum Vorlesen“ über allerlei interessante Gegenstände „In Mußestunden“ (1867) beweisen das deutlich.

Für unser Urtheil über W. als Dramatiker liegt das Material in der 1851 mit einem 1. Bändchen „Theater“, 1862–69 in fünf Bänden als „Lustspiele und Dramen“, 1882–85 in sechs Bänden als „Gesammelte dramatische Werke“ unternommenen Vereinigung der eigenen und angeeigneten Erzeugnisse dieser Gattung vor. Die darin mit aufgenommenen Aus- oder Umgestaltungen fremder, meist von Freunden herrührenden Vorwürfe, z. B. eines Fritz Reuter’schen („Die drei Langhänse“), und die in der „Deutschen Schaubühne“ sowie in dem Berichtwerke über die Stuttgarter Direction enthaltenen Modernisirungen classischer Dramen – diejenige der Kleist’schen „Hermannsschlacht“ (im 3. Heft d. „Dtsch. Schaubühne“ 1860; Première 1. Januar 1861: s. Klee i. d. Zeitschr. f. d. dtsch. Unterricht IV, 379) veranlaßte nähere Vergleiche – bedeuten lehrreiche Versuche zur Lösung der Streitfrage, ob und wie wir unter veränderten Bedingungen und Erfordernissen der Gegenwart ältere Erzeugnisse, insbesondere die unvergänglichen Nummern des classischen Repertoires retten können. Am besten gelangen W. fidele Einacter und andere leicht hingeworfene Lustspiele ohne pikante Verwicklung, in flüssigem Stile wie seine, dem Pariser Genre abgelauschten graciösen Feuilletons geschrieben. Diese fußen, trivial im Stoff, in der „guten alten Zeit“, mit einer einfachen Lebenswahrheit, die uns heute öfters übernaiv anmuthet, sind daher meist von den Spielplänen verschwunden; bisweilen mit Sentenzen und zu Situationskomik ausgemünzten Citaten gespickt, entbehren sie jedoch in der Regel der sprudelnden Einfälle seiner prosaischen Causerien. Diese Bluetten treffen den gewandten Conversationston zumeist musterhaft. Voran und beispielshalber nennen wir: „Ein Bräutigam, der seine Braut verheirathet“ (1843), „Romeo auf dem Bureau“, „Alter schützt vor Thorheit nicht“ (1844), „Die Tante aus Schwaben“, „Man soll den Teufel nicht an die Wand malen“, „Eine Frau, welche die Zeitungen liest“, „Kaprice aus Liebe, Liebe aus Caprice“.

Die umfängliche Bethätigung Wehl’s als Erzähler bedarf noch sehr des geziemenden Studiums: ein solches lohnt nicht nur vom litterargeschichtlich-biographischen Standpunkte aus, auch für den unmittelbaren Genuß, da manche Novelletten, z.B. „Der Mann der Toten oder Ewige Liebe“ (in „Herzens-Mysterien“, 1869; auch separat 1866) wahren Perlen innerhalb der Wasserfluth der Prosaepik vor der neurealistischen Epoche gleichen. Wir verschweigen nicht die beinahe durchgängige Anwesenheit, sogar häufige Vorherrschaft düsterer, hypersentimentaler, oft wunderbarer, räthselhafter, mystischer Motive in den Novellen und erzählenden Skizzen (typisch sind „Unheimliche Geschichten“, 1862, auch „Allerweltsgeschichten“, 1861), alles eine Erbschaft seiner romantischen Vergangenheit, bei denen jedoch irgend gesuchtes Raffinement trotz mehrfacher Criminal- und ähnlicher Themata nicht zu Gevatter stand. Eine [454] hervorragende Rubrik in Wehl’s Schriftstellerei beansprucht der Essay litterar-, cultur-, selbst socialgeschichtlicher Art, wobei die Franzosen, deren mächtigen Einfluß und Einfall auf die deutsche Bühne er mit aller Macht und Aufopferung seiner eigenen Position einzudämmen versuchte, eindringlichst bekämpfte, seine Lehrmeister waren, ja die Hauptmasse der Themata lieferten. „Der Unterrock in der Weltgeschichte“ oder „Die galanten Damen der Weltgeschichte“, auf dem Vorblatte „L’histoire jupon“ betitelt und eigentlich mit Unrecht in H. Hayn’s „Bibliotheca Germanorum erotica“ eingereiht (3 Bde., 1848–1851), episodisch gewürzte Plaudereien über königliche Maitressen des 18. Jahrhunderts, eröffnet Wehl’s selbständige Publicationen überhaupt, die kleinen Abhandlungen „Aus dem früheren Frankreich“ (1889) schließen seine ehrenvolle Theilnahme an dieser England und Frankreich abgelernten Litteraturgattung wie seine gesammte schriftstellerische Production würdig ab. In der Mitte steht das Werk „Am sausenden Webstuhl der Zeit“ (2 Bde., 1869), dessen erster Theil Marie Antoinette und Madame Roland, dessen zweiter allerlei Charaktere deutscher Poesie, Geschichte und Schauspielkunst des neunzehnten Jahrhunderts liebevoll betrachtet. Die Anlagen und Eigenschaften der anziehenden Menschen klarzulegen und ihr Geschick daraus und auf dem Boden ihrer Thaten zu entwickeln, schwebt ihm dabei stets als höchste Aufgabe vor – der Dramatiker und Bühnenkritiker, der langgeübte Dramaturg bricht eben immer wieder hervor. Auch Wehl’s feinsinnige Kleinigkeiten in der Lyrik weisen von Anfang bis zuletzt eine volle Begabung auf: die Stimmung in dem dramatischen Gedicht „Hölderlin’s Liebe“ (1852) und die Gedichte dahinter, die Verse „Von Herzen zu Herzen“ (1867) zeigen warme Klänge, nicht selten weiche, wehmüthige; man sehe, um spätere entlegene Original-Belege anzuführen, auch die drei Gedichte „Eine Großthat“, „Eine Königstochter“, „Nachtstille“, bei Lemmermayer „Die deutsche Lyrik der Gegenwart“ (1884), S. 153, 160, 199; Neuester Deklamator. I.“ (1861) und „Zum Vortrage“ (1884) enthalten leichtere Waare für Gelegenheiten.

Außer den genannten biographischen Vorarbeiten seien erwähnt: H. Kurz, Gesch. d. dtsch. Lit.3 IV, 609 ff. (mit Porträt; vgl. S. 15 a, 521 b, 527 a, 875 a); K. J. Schröer, Die deutsche Dichtung des 19. Jahrhs. (1875), S. 219; R. Prölß, Gesch. d. neuer. Dramas III 2, 355. Liebevolle Charakteristik aus persönlicher Kenntniß: Rud. Genée, Zeiten und Menschen (1897), S. 286 f. (S. 327 f. über Wehl’s Adaptirung von Kleist’s „Hermannsschlacht“); zu den Shakespeare-Bearbeitungen: E. Kilian im „Jahrb. d. dtsch. Shakespeare-Ges.“ Bd. 29/30, S. 151, 152; 156 A. 1, 158 u. Bd. 31, S. 57 A. (vgl. dazu W. Oechelhäuser, Shakespeareana, S. 159 u. 172), und A. Fresenius ebd. Bd. 31, S. 103(–108); zu Wehl’s „Bausteinen“: A. B(erge)r i. Liter. Ctrlbl. 1892 Sp. 692, R. M. Werner i. d. Dtsch. Literaturztg. XIV, 1044, W. in d. Ztg. f. Lit., Kunst u. Wissensch. d. Hamb. Corresp. 1892 Nr. 12, S. 95; andere Einzelnotizen: W. Menzel, Gesch. d. dtsch. Dchtg. III, 513 und R. Weitbrecht, Gesch. d. dtsch. Dchtg., S. 443. Vielerlei kritische Beiträge von und über Wehl bieten die „Blätter f. lit. Unterhaltung“: 1862 S. 280, 1863 S. 630 u. 920, 1875 Nr. 20 u. 21, 1889 S. 207, 380 f., 577–580, 825 f. sind am wichtigsten. Eine gründliche und liebevolle Würdigung bietet die litterarisch-kritische Charakteristik von Karl Hochberg: Die Gegenwart, Bd. 37 (1890) Nr. 21, S. 326–329. R. Gottschall’s Votum D. dtsch. Nationallit. d. 19. Jahrhs.6 I, 565, IV, 237–239 (u. 632) ausführlich und Blätter f. lit. Unterh. 1886, S. 328 bis 332, beide Mal auch den Lebens- und Entwicklungsgang Wehl’s sorgfältig berührend. Walter Bormann’s, Wehl’s Mitredacteurs bei der noch Ende 1889 geplanten Revue, der vorstehenden Lebensabriß gern unterstützt hat, [455] ausgezeichnete Aufsätze stehen in der „Beilage zur (Münchner) Allg. Zeitung“, 1889, 14. Juni u. 24. Novbr., 1890, 15. u. 17. März; dazu der über Wehl’s gelobte Modelung „Liebe und Ehre“ gegenüber dem originalen „Cid“-Drama i. d. Zeitschr. f. verglchd. Literaturgesch. N. F. VI, (vgl. ders. Beil. z. Allg. Ztg. 14. u. 15. Juli 1887 u. 4. Febr. 1892). Anonymer kundiger Nachruf Neuer Theater-Almanach II, 102 f., solche von Kilian u. C. F. Frey Dtsch. Bühnengenossensch. 1890, Nr. 5. Eine 1895 begonnene Biographie von Sonnenkalb in Erfurt, der von Bormann Material erhielt, scheint aufgegeben. Wehl’s Veröffentlichungen sind nirgends einigermaßen vollständig aufgezählt, seine letzte eigene Liste in Kürschner’s Litteraturkldr. XII, 909 nach Umfang und Wortlaut willkürlich. Zu Wehl’s Meißner-Erinnerungen vgl. Jhrsbrcht. f. neuere dtsch. Literaturg. III. Bd. IV, 3, 83 (Muncker), zu seiner Autobiographie den ungerecht scharfen Extract Roethe’s II. Bd. IV 1, 61, zu K. Siegen’s mit Benutzung von Wehl’s Vorschlag vorgenommener „Käthchen“-Renovation (1890) Weilen ebd. IV 4, 33.

[448] *) Zu Bd. XLI, S. 432.