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Artikel „Crelinger, Auguste“ von Joseph Kürschner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 4 (1876), S. 584–586, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Crelinger,_Auguste&oldid=- (Version vom 4. Oktober 2024, 11:58 Uhr UTC)
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Crelinger: Auguste C., verwittwete Stich geb. Düring, eine der größten Schauspielerinnen Deutschlands, unter den älteren wol am meisten der Seyler und Brandes zu vergleichen; geb. zu Berlin den 7. Octbr. 1795, † ebendaselbst den 11. April 1865. Die Proben hervorragender schauspielerischer Befähigung, welche die junge Düring auf dem Liebhabertheater Urania gab, veranlaßten die Fürstin Hardenberg (frühere Schauspielerin Langenthal), das feurige, blühende Mädchen von edler Gestalt und großer Schönheit dem Generaldirector Iffland zu empfehlen. Dieser erkannte, wie Saphir in seinen Schauspielerlineamenten sagt, den „tragischen Funken“ in ihr, ja, er bezeichnete sie als den „seltensten Fund seines Lebens, eine Perle an Talent“, wenn anders Caroline Bauer recht berichtet. In der That ist die C. Iffland’s bedeutendste und zugleich dankbarste Schülerin; sie hat das fast vergessene Grab des Meisters bis an ihr Lebensende mit liebender Hand gepflegt. Die erste Rolle, in der sie, von ihm geleitet, am 4. Mai 1812 auftrat, war die Margaretha in den „Hagestolzen“. Die Darstellung fand einstimmige Anerkennung; Professor Catel, der damalige Referent der Vossischen Zeitung, schrieb: „Das Spiel war unbefangen, ungezwungen, ohne Angst und Anmaßung, Nichts erlerntes, Nichts geborgtes, Alles lieb und leicht.“ Neue Partien, die ihr Iffland anvertraute, namentlich die Jungfrau von Orleans, steigerten die allgemeine Theilnahme, und wenn auch ihr Auftreten als Eugenie im gleichnamigen Stücke dem Kunstverständigen noch Ungeübtheit offenbarte, so machte ihre Rosette in Bierey’s Schweizermädchen die Schwäche gleich wieder vergessen. Unter dem Kreise der ausgezeichneten Schauspieler, welche Iffland um sich versammelte, übte namentlich das Wolff’sche Ehepaar, 1816 von Weimar nach Berlin berufen, den größten Einfluß auf sie. Ihre vorwiegende Neigung zu edlem, rhetorischem Pathos zog sie unwillkürlich zur Tradition der weimarischen Schule hin. Ihr Rollenkreis erweiterte sich durch den Tod der Bethmann (1815) und den Abgang der Maaß (1816). Auch ihre im J. 1817 vollzogene Verheirathung mit dem Hofschauspieler Wilh. Stich (geb. 1794) förderte ihre Entwicklung. Stich, welcher das Fach der Bonvivants spielte, gebildet von der Hendel-Schütz, gehörte zu den begabtesten Darstellern der Iffland’schen Schule; er war gewandt und voll Verstandes. Die glückliche Ehe wurde von einer tragischen Katastrophe betroffen. Der junge Graf B., von dem allgemeinen Enthusiasmus der Berliner für die angebetete Künstlerin ergriffen, hatte sie, als er von Berlin scheiden sollte, um eine Abschiedsunterredung gebeten. Beim Fortgehen begegnete er auf der Treppe dem von der Darstellung des Poins in Heinrich IV. heimkehrenden Gatten. Nach kurzem Wortwechsel ward Stich von dem Grafen mit einem Dolch verwundet (6. Febr. 1823). Das ohne Prüfung urtheilende Publicum nahm wider die Künstlerin Partei und beleidigte sie am 8. Mai bei ihrem Wiederauftreten als Thecla im Wallenstein auf das gröblichste. Sie ertrug den Sturm mit fester Fassung; aber es blieb ihr seitdem eine Bitterkeit, die auch dann nicht wich, als bald genug die trügerische Gnadensonne des Beifalls ihr wieder leuchtete. Das besonnene Urtheil erkannte, daß ihr kein Vergehen, sondern höchstens eine Unbedachtsamkeit vorzuwerfen sei und Stich’s im folgenden Jahre erfolgter Tod war, nach der Aussage der Aerzte, nicht die Folge jener Verwundung, sondern einer Milzentzündung (vgl. Rellstab in seiner „Nothgedrungenen Berichtigung“ zum Blum, Herloßsohn und Marggraff’schen Theater-Lexik.). Um den peinlichen Berliner Eindrücken zu entgehen, reiste sie 1824 mit Stich nach Paris, wo Talma ihr zu Ehren die bedeutendsten Künstler um sie versammelte. Von dort aus durchreiste sie Deutschland, ging [585] bis Petersburg, überall gefeiert. In Wien glänzte sie damals neben Sophie Müller, wie auf einer späteren Kunstreise 1833 in München neben Sophie Schröder. August Lewald schildert in den Unterhaltungen für das Theaterpublicum, München 1833, S. 332, sehr treffend die Verschiedenheit der beiden Künstlerinnen in der Rolle der Phädra und gibt darin eine, auch über die einzelne Rolle hinausreichende Charakteristik der beiden Darstellerinnen in ihrer verschiedenen Persönlichkeit. Gegen Ende der zwanziger Jahre hatte sich die verwittwete Stich wieder mit dem ältesten Sohne (Otto) des Banquiers Crelinger verheirathet. Unter diesem Namen erstieg sie die höchsten Stufen der Kunst und des Ruhmes. Nach einer ununterbrochenen, stets auf die edelsten Ziele der Kunst gerichteten Thätigkeit konnte sie am 3. Mai 1862 als Iphigenia ihr 50jähriges Jubiläum feiern. – Ludw. Rellstab nennt a. a. O. Auguste Düring die angenehmste Erscheinung, Auguste Stich die gefeiertste und Auguste C. die größte Künstlerin. Wie dieser Ausspruch des geistvollen Kritikers andeutet, war die C. nicht Naturalistin, sondern eine, in durchgebildeter Schule erwachsene, mit Ueberlegung und Studium handelnde Schauspielerin, ein Studium, das nicht minder unablässig den allgemeinen Gesetzen der Mimik und Rhetorik, als dem Geiste jeder einzelnen Rolle zugewandt war. In der Plastik war sie vollendet und daher alle ihre Darstellungen antiker Charaktere, getragen durch das edle Pathos ihrer Declamation, von weihevoller Schönheit. Machte sich in früherer Zeit in den Momenten der Leidenschaft hier und da eine Ueberschreitung der Schönheitslinie bemerkbar, so überwand sie dies seit den dreißiger Jahren mehr und mehr. Ihr Organ, zwar nicht umfangreich, war kräftig und überaus wohltönend. Als ihre Hauptrollen, wie sie sich etwa in drei Gruppen folgten, nennen wir aus der ersten Periode: Donna Diana, Ophelia, Julie, Porcia, Emilia Galotti, Thecla, Beatrice, Clärchen, Preciosa. Aus der zweiten: Lady Macbeth, Orsina, Eboli, Maria Stuart, Terzki, Isabella, Phädra, Adelheid (Götz), Iphigenia, Prinzeß (Tasso), Elvira (Schuld), Sappho, Semiramis (Tochter der Luft), Griseldis, Antigone (Raupach hat die meisten Frauenrollen seiner Dramen für sie geschrieben). Endlich aus der dritten: Lady Milford, Elisabeth (Maria Stuart und Essex), Sybilla (Raupach’s Heinrich IV), Gräfin (Karlsschüler), Herzogin Wittwe (Geheimer Agent), Juliane Marie (Struensee), Eustache (Familie Schroffenstein), Volumnia (Coriolan), Rosaura (Die Venetianer). – Zwei ihrer Töchter erster Ehe, Bertha (geb. 4. Oct. 1818) und Clara Stich (geb. 24. Jan. 1820), betraten, vorbereitet und geleitet von der Mutter, die Bühne des Königstädter Theaters 1834, zunächst als Minna und Franziska (Minna von Barnhelm), dann Bertha am 3. November als Kathinka (Mädchen von Marienburg), Clara am 6. November als Elise von Wallberg. Beide wurden am 1. April 1835 am königlichen Hoftheater engagirt und gastirten noch im selben Jahre mit der Mutter am Burgtheater in Wien; sie verließen 1842 die Berliner Bühne, von der sie, mit der Mutter zusammen spielend, in dem „Haus mit zwei Thüren“ Abschied nahmen, Bertha, um an das Hamburger, Clara, um an das Schweriner Theater zu gehen. Erstere verließ bald darauf die Bühne, indem sie sich mit dem Arzte Dr. Miehe verheirathete; sie † 18. Aug. 1876. Letztere kehrte 1843 an die Berliner Bühne zurück, wo sie sich am 28. Sept. 1848 mit dem Hofschauspieler Hoppé und nach dessen, schon am 6. Juli 1849 erfolgten Tode, am 14. Sept. 1860 mit dem Hofschauspieler Theodor Liedtke verheirathete. Sie starb aber schon am 1. Octbr. 1862. Ihre Anlagen wiesen sie besonders auf das Fach der naiven und sentimentalen Rollen, in denen sie, unterstützt durch eine höchst anziehende Erscheinung, wie durch feine Bildung des Geistes und Gemüthes, große Anmuth und Innigkeit entfaltete. Zu ihren besten Leistungen zählten Kleist’s Käthchen, das Gretchen des Faust in der ersten Reihe der Scenen, Jolanthe (König René’s Tochter), Lorle, Caroline (Ich bleibe ledig), Rothkäppchen, [586] Henriette (Maurer und Schlosser) etc. Starke, dem Tragischen zuneigende Charaktere gelangen ihr weniger.

Vgl. auch Entsch, Bühnenalmanach 1863, S. 75; 1866, S. 151 ff. Gleich, Aus der Bühnenwelt, 1866, II. S. 24 ff.