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Artikel „Schröder, Sophie“ von Paul Schlenther in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 32 (1891), S. 525–530, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schr%C3%B6der,_Sophie&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 01:22 Uhr UTC)
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Schröder: Antoinette Sophie S. wurde am 1. März 1781 in Paderborn geboren und starb am 25. Februar 1868 zu München. König Ludwig I. von Baiern pflegte sie mündlich und in zahlreichen kleinen Handschreiben als „Deutschlands größte Tragödin“ anzureden; Hunderte von Urtheilsfähigen haben diesen Ehrentitel gutgeheißen. Sophie S. gehörte von 1793 bis 1839 der Bühne an. Sie war ein Schauspielerkind; aber beide Eltern stammten aus guter Familie. Erst der Zwang des Lebens und ihrer Liebe führte beide zum Theater. Der Vater, Gottfried Bürger, war Candidat der Theologie gewesen und hatte, wie Sophie selbst erzählt, bei seiner Probepredigt das Herz eines Edelfräuleins gewonnen, der Tochter des preußischen Hauptmanns v. Lütkens. Die Liebenden vermählten sich ohne väterlichen Segen und suchten nun beim Theater Lebensunterhalt. Von ihren beiden Töchtern wurde die jüngere, Henriette Brose, die 1857 in Dürftigkeit starb, eine unbedeutende, die ältere, unsere Sophie, eine große Künstlerin. Während das Elternpaar seinem Berufe nachwanderte, hatten die kleinen Mädchen bei einer alten Tante, Frau Schuler, geb. v. Lütkens, in Wetzlar treue Pflege gefunden. Als diese 1790 starb, kamen die Kinder zur eigenen Mutter, die inzwischen ihren ersten Gatten verloren und den Schauspieler Keilholz geheirathet hatte. Sie starb etwa 1814, in dritter Ehe mit einem Musikus Zeibig in Petersburg verheirathet. Seit 1791 trat Sophie Bürger in Kinderrollen auf. Mit der Tilly’schen Truppe zog die Familie 1793 nach Rußland, und als dann die jugendliche Liebhaberin Frau Stollmers plötzlich starb, mußte Sophie Knall und Fall in Dittersdorf’s Oper „Das rothe Käppchen“ eine größere Rolle übernehmen. Es war ihr erstes Debut und ihr erster Erfolg. Auch für ihre persönlichen Verhältnisse wurde dieser Abend entscheidend; denn der unter dem Namen Stollmers schauspielerisch thätige, frühere Criminalrichter Joh. Nicolaus Smets bot ihr seine verwittwete Hand an. Kurz vorher hatte derselbe die Leitung des deutschen Theaters in Reval übernommen und hier gebar ihm die 15jährige Frau Directorin einen Sohn, Wilhelm Smets. Durch Vermittelung Kotzebue’s kam das Ehepaar 1798 in das Wiener Burgtheater, wo [526] Sophie Stollmers am 8. August als Naive in Iffland’s Hagestolzen noch wenig Eindruck machte. Dann in Breslau fand Sophie vornehmlich in der Oper (Hulda im Donauweibchen) Beifall. Hier wurde ihre Ehe 1799 geschieden. Während Smets zugleich die Bühne verließ und als Rechtsconsulent in den Plettenberg-Ratibor’schen Hofdienst trat (er starb 1812 als Friedensrichter in Aachen), ging Sophie ihrem Glück und ihrem Ruhm entgegen nach Hamburg, wo unter den Auspicien des großen Friedrich Ludwig Schröder (s. S. 506) der Director Herzfeld damals das Stadttheater leitete. 1801 debütirte sie als „Mädchen von Marienburg“ noch immer im naiven Fach und erst 1803 gab sie als Kotzebue’s Johanna von Montfaucon ihre erste tragische Gestalt. Eine überaus vielseitige Beschäftigung übte ihr Genie nach allen Richtungen; bald spielte sie die Heldin, bald die Salondame, bald „hebt sie“, wie F. L. Schröder anmerkt, „das Strudelköpfchen sehr“, bald singt sie die erste Dame in der Zauberflöte, bald das Blondchen in der Entführung aus dem Serail. 1804 heirathete sie ihren schönen Collegen Friedrich Schröder aus Hannover, den ersten deutschen Don Juan. Seitdem lebt der Name Sophie S. in der Kunstgeschichte. Zu Hamburg gebar sie diesem Gatten die drei Töchter Wilhelmine, Elisabeth und Auguste, die mit ungleichem Talent später sämmtlich zur Bühne gingen, und den Sohn Alexander. Das Kriegsjahr 1813 gab ihrem Leben eine Wendung. Am 18. März erwies sie, die F. L. Schmidt eine Patriotin vom reinsten Wasser nennt, den in Hamburg einquartirten kosackischen Verbündeten die Ehre, auf offener Scene in Kotzebue’s Schauspiel „Der Russe in Deutschland“ mit der russischen Cocarde am Busen zu erscheinen. Als einige Wochen später die Stadt Hamburg im Besitze Davoust’s war, zwang dieser die berühmt gewordene Schauspielerin zur Vergeltung nun auch mit der französischen Cocarde die Bühne zu betreten. Sophie, durch solche Zumuthung innerlich empört, wählte eine fast stumme Rolle und erschien am 3. Juni mit einer Cocarde, groß wie ein Teller. Unter tosendem Wuth- und Hohngeschrei verließ Sophie die eigentliche Wiege ihrer Kunst. Während dieser Hamburger Jahre war sie die Schillerdarstellerin par excellence geworden. Ohne Vorbild hat sie hier Amalia, Elisabeth und Maria Stuart, die Valois und die von F. L. Schröder ganz besonders belobte Eboli, Agnes Sorel und Johanna, Luise Millerin und Lady Milford, Gräfin Terzki, Armgard, Turandot, Leonore Fiesco und die Braut von Messina geschaffen. Durch F. L. Schröder war Shakespeare in das Hamburger Repertoire vorsichtig eingeführt worden, und Sophie gab neben Ophelia auch Porzia und Beatrice. Lessing bot ihr die Minna, die Orsina und Sittah; von Goethe fiel damals nur ihre Namensschwester in den „Mitschuldigen“ an Sophie. Sonst beherrschte Kotzebue den Plan.

War Hamburg und das F. L. Schröder’sche Theater Sophiens erste künstlerische Heimath gewesen, so wurden Wien und das Burgtheater die zweite. Nach einem Uebergangsaufenthalte in Prag, wo sie unter Liebich’s Direction in gute Kunstverhältnisse kam, erschien sie in Wien und hat hier von 1815 bis 1829 in erster Größe geleuchtet. Wien sah die Zeit ihres Glanzes. Hatte in Hamburg vor allem Schiller ihr den tragischen Stoff gleichsam unverbraucht dargeboten, so war sie auch in Wien glücklich genug, mit einem neu aufkommenden, rasch gedeihenden großen Dramatiker Schritt zu halten. Es war Grillparzer, dem sie seine Heldinnen nachschuf. Sophie S. war am 31. Jan. 1817 im Theater an der Wien die erste Bertha Borotin, am 21. April 1818 die erste Sappho, am 26. u. 27. März 1821 die erste Medea, am 19. Febr. 1825 in König Ottokar die erste Margarethe, die Costenoble freilich ein Klageweib nennt; am 28. Febr. 1828 war sie die erste Königin Gertrude im „treuen Diener seines Herrn“. Unter diesen Grillparzer’schen Gestalten stand ihre Medea am höchsten, und da die kolchische [527] Zauberin schon vorher in Gotter’scher Bearbeitung des Racine eine Hauptrolle von ihr gewesen ist, so hält es Fäulhammer in seiner Grillparzerbiographie nicht für ausgeschlossen, daß die geniale Frau den Dichter auf diese tragische Figur geradezu aufmerksam gemacht habe. Daß sie ihre unvergleichliche Stellung in Wien aufgab, dazu wirkten mehrere Gründe zusammen. Neben ihr war das feine Talent Sophie Müller’s zart aufgeblüht und entzog der alternden Heroine allmählich die Gunst der von Jugend und Anmuth leicht erregten Wiener, die sich im Theater zunächst vergnügen wollen und denen Sophiens Tragik leicht zu herb und rauh wurde. Am 28. December 1828 standen sich in Raupach’s Nibelungenhort die beiden Sophien als feindliche Königinnen gegenüber, und die holde Kriemhild siegte über die barsche Brunhild; als dann Sophie Müller bald darauf starb, war schon die jugendliche Julie Rettich in Sicht. Einen anderen Grund ihrer Entfernung aus Wien erblickt ihr großer Partner Anschütz in dem Durst nach Golde. Das Beispiel italienischer Sängerinnen verführte sie zum Gastreisen. Auch auf unerquickliche Privatverhältnisse deutet Anschütz hin. War in der Kunst ihr eigentliches Element die große Leidenschaft, so wurde dieser unvergleichliche künstlerische Vorzug zugleich ihre menschliche Schwäche. Ihr liebevoller Gatte war am 18. Juli 1818 nach langem Siechthum in Karlsbad gestorben, und seitdem lebte sie überaus ungebunden. Vornehm von Gesinnung, zart von Gefühl und rein an Charakter, konnte ihr heißes Blut die Neigung für männliche Jugendkraft und Schönheit bis ins höhere Alter nicht unterdrücken, und die Gegenstände ihrer Leidenschaft wechselten beständig. Ihr treuer Freund und College, der ehrbare Costenoble, weiß halb belächelnd, halb beklagend manches Späßchen über die „Tolle“ in seinen Tagebüchern anzumerken. „Gute Sophie“, ruft er einmal aus, „du gibst immer Gelegenheit zu Witzeleien, und dein Herz ist doch eines der allerbesten“. Immer wieder trat sie mit neuen Heirathsgedanken vor die Freunde. Bald war es der Komiker und Theatergründer Carl, bald ihr nachmaliger Schwiegersohn Philipp Schmidt in Hamburg, bald ein Jüngling Namens Deblanc; und immer waren die Auserkorenen jünger als ihr ältester Sohn. Auch im Urtheil über schauspielerische Kunstleistungen machte Verliebtheit sie blind. Während sie bei Anschützens Debut ausrief: „Nä Kinder, dat war nischt!“ verzieh sie dem stattlichen Moritz Rott seine Gespreiztheit, und einen indianischen Gaukler betrachtete sie, wie Costenoble übel vermerkt, „mit Augenlust“. Noch 1831 klagt Costenoble über ihre „Rasereien“ und das unverwüstliche Vertrauen auf ihre Schönheitsreste, und Immermann erfährt 1831 in München, daß die 50jährige Sappho noch immer ihren jugendschönen Phaon verlange. Unter diesen Liebhabern verleitete sie einmal der schöne verwahrloste Heldenspieler Wilhelm Kunst (s. A. D. B. XVII, 389) sogar zur Heirath, die am 22. December 1825 stattfand. Die losen Mäuler des Burgtheaters vermutheten, sie hätte den kürzesten Tag wegen der längsten Nacht gewählt. Sie lebte mit dem um 18 Jahre jüngeren Mann nur kurze Zeit zusammen, und im Herbst 1830 wurde diese unglückliche Ehe förmlich getrennt.

Solche inneren Wirren machten Sophie, die ihren Wandel nicht zu bemänteln wußte und offen zugab, was andere heimlich thaten, unstet und weckten den Trieb in die Ferne, nach Abwechselung. Als ihr ein Entlassungsgesuch abgeschlagen wurde, erreichte sie Paßbewilligung zum Gastspiele nach Rußland, und als sie über den Urlaub hinaus fortblieb, wurde sie auf Veranlassung der Wiener Behörde aus Rußland verwiesen und galt für contractbrüchig. „Warum blieb die Thörin nicht in Wien?“ fragt Costenoble, als er von ihren Irrfahrten hörte. Und er hätte sein früheres Wort hinzufügen können: „In idealen Welten weiß Sophie sich so gut zurecht zu finden, aber im wirklichen Leben stolpert sie ohne Unterlaß.“ Ein Versuch, in Berlin anzukommen, scheiterte zunächst an der [528] bureaukratischen Abneigung des Intendanten Grafen Redern. Dann setzte sie 1831 fünf Gastabende durch und erhielt, wie Costenoble erzählt, für jede Rolle, die man ihr aus Gnade zukommen ließ, 40 Thaler, während sie ehedem ebenso viel Ducaten für jede Partie erhalten hatte. Ein Engagement für 1500 Thaler würde ihr, die in Wien 5000 fl. bezogen hatte, genügt haben. Aber Friedrich Wilhelm III. lehnte mit Rücksicht auf den Wiener Hof ihr Anerbieten ab; überdies stand Auguste Crelinger, die einst in Wien neben Sophie S. abgefallen war, im Wege. So wandte sich „Deutschlands größte Tragödin“ nach München. König Ludwig nahm die Geächtete auf und engagirte sie zur Freude ihrer Wiener Freunde für 4000 fl.

In München wirkte Sophie von 1830–35. Ihre Glanzleistung war jetzt die fürstliche Mutter in der Braut von Messina. 1833 hatten sich, nach der Entlassung Schreyvogel’s, ihre Beziehungen zu Wien so weit geglättet, daß ein Gastspiel von 21 Abenden möglich wurde; Kaiser Franz willigte ein, „weils die Schröder ist“. Am tiefsten wirkte neben ihrer Isabella noch immer Medea. Im März 1836 setzte sie noch einmal eine feste Anstellung beim Burgtheater durch, aber ihre Zeit war um. Schon beim Debut lehnte man ihre Königin Elisabeth, die den Wienern bereits 1819 nicht schön genug war, ab, während neben ihr Julie Rettich als Maria Stuart demonstrativ zum Dableiben ermahnt wurde. Und wenn Sophie auch noch u. a. als Armgard im Tell das Entzücken der Kenner blieb, so ließ das Publicum die Altgewordene fallen. Sie zog sich 1839 ins Privatleben zurück. Ihr Hang zur Verschwendung und Freigebigkeit hatte sie mittellos gemacht, aber ein österreichischer und bairischer Ruhegehalt, im ganzen 2000 fl., versorgten bescheiden ihre Greisenjahre, die sich noch ein volles Menschenalter hinzogen.

Vor die Oeffentlichkeit trat sie nur noch bei einigen besonderen Gelegenheiten als Recitatorin, und wie stets auf der Bühne ihr höchster Zauber in der seelenvollen Wiedergabe des dichterischen Wortes gelegen hatte, so entzückte sie, auch als längst ihre körperlichen Reize geschwunden waren, noch immer den Hörer. Sie trug u. a. in München bei der Feier von Schiller’s 100jährigem Geburtstage das Lied von der Glocke vor; auch in Wien im April 1854 hatte „die greise Titanin“, wie Anschütz sie nennt, ihre alten Verehrer noch einmal beim Vortrag der Glocke und der Klopstock’schen Frühlingsode um sich versammelt. Im königl. Schauspielhause zu Berlin las sie gleichfalls 1857 diese Gedichte. Wie Laube und andere bezeugen, war sie von je die beste Sprecherin gewesen, und wenn sie in früheren Jahren nach dem Beispiel der Schütz-Hendel und des Freiherrn v. Seckendorf sich auch in stummer Plastik zeigte, so gab sie später diese Schaustellungen auf und wandte sich vornehmlich an den Hörer. Mit Recht ist wohl bedauert worden, daß Sophie S. bei völliger Geistesfrische 30 Jahre lang ihrer Kunst entfremdet lebte. Nach dem Beispiel der alten Neuberin hätte auch sie vielleicht einer großen Bühne als Directorin oder mindestens als dramatische Lehrerin nützen können. Erst im letzten Jahrzehnte ihres Lebens versagten ihre Sinne den Dienst; sie wurde schwerhörig und eine gänzliche Erblindung konnte nur durch die Staaroperation verhindert werden. Sie lebte als Pensionärin mit ihrem Sohne Alexander, der bairischer Officier gewesen war, zuerst in Augsburg, später in München. Mit ihrer ältesten Tochter, die zugleich ihre größte Schülerin war, mit Wilhelmine Schröder-Devrient (s. S. 534 ff.) stand sie nicht immer gleichmäßig gut. Die beiden congenialen Naturen verwirrten einander gerade durch ihre Gleichartigkeit und in den Lebensanschauungen trat ebenfalls mancher Gegensatz hervor. Sogar in der Politik standen sich die royalistische Mutter und die demokratische Tochter gegenüber. Ihr dichterisch begabter Sohn erster Ehe, jener Wilhelm Smets, war ihr, der eifrigen Protestantin, religiös entfremdet; [529] kurze Zeit Schauspieler, dann Theolog war er zur katholischen Kirche übergetreten und 1822 Priester geworden. Außer ihrem Liebling Alexander standen ihr die Familien ihrer beiden jüngeren Töchter zärtlich nahe. Elisabeth hatte sich mit dem Arzte Philipp Schmidt in Hamburg, dem Sohne F. L. Schmidt’s, Auguste mit dem Schriftsteller Arnold Schlönbach in Coburg verheirathet. Beide Schwiegersöhne waren ihr treue Freunde und Schmidt hat ihr noch nach dem Tode durch ein pietätvolles Gedenkbüchlein seine Verehrung erwiesen, die neben der herzensguten Frau vor allem der großen Künstlerin galt. Durch äußere Erscheinung konnte Sophie S. nie bestechen. Der Körperbau war eher klein als groß und von gedrungener Fülle. Das Antlitz ließ starke Knochen vortreten, die Nase war weder römisch noch griechisch, der breite Mund zog sich beim deutlichen Sprechen mehr als ziemlich auseinander; dagegen erblickt König Ludwig die Grazie in ihrem classischen Oberarm. Vor allem aber beherrschte ihr schönes, tiefes und beredtes Auge so sehr die übrigen Mängel, daß der Eindruck der ganzen Persönlichkeit ein majestätischer war, und sie auch neben Mitspielern, die sie um Haupteslänge überragten, zur ersten Geltung kam. Wenn Zelter von ihrer Sappho in Frankfurt a. M. den Eindruck gewann, Sophie sei eine hübsche Frau, aber keine geborene Schauspielerin, so stimmen alle anderen Beurtheiler im genauen Gegentheil überein, und Costenoble, ihr schärfster und treuester Beobachter, wird wohl recht haben, wenn er sie eine Künstlerin von Natur aus nennt, die noch im reiferen Alter ihrer Größe ganz unbewußt war und sich von ihrem Gegenstande fortreißen ließ, wodurch sie die Zuhörer zu den Höhen der Kunst zog.

Ihre theatergeschichtliche Bedeutung faßt Eduard Devrient in das Schlagwort zusammen, daß „sie auf dem Wege der hamburgischen Schule das Ziel der weimarischen erreichte“. Hatte man in Hamburg unter Schröder Natürlichkeit und Lebenswahrheit erstrebt, so erstrebte man in Weimar unter Goethe Idealität und schöne Form. Ihr war nun durch eine glückliche Veranlagung die ideale Form, wie sie Goethe seiner Iphigenie, Schiller seiner Isabella gewünscht hatten, zur anderen Natur geworden, und ihr leidenschaftliches, lebensprühendes Temperament verhütete, daß diese Form wie bei anderen kalt und steif erschien. Eine geborene Naturalistin, wurde sie durch den Stil ihrer Dichter selber zum künstlerischen Stil geführt, ohne die Fühlung mit dem Lebendigen zu verlieren. Aber während sie ideale Welten realisirte, war es ihr versagt, eine wirkliche Welt naturgemäß darzustellen. Für die prosaische Conversation eignete sie sich gar nicht. „Für feine Weltfrauen“, sagt Costenoble, „mangelte ihr von jeher Ton und Benehmen.“ Selbst ihre Orsina, ihre Milford, ihre Julia Imperiali konnten ihm nur im einzelnen gefallen. Sie, die im antiken Kostüm das höchste Ideal vergegenwärtigte, drückte realere Gestalten durch ihr starkes Naturell auf ein Niveau herab, das wenigstens der damaligen Kunstanschauung zu niedrig schien. Ueberhaupt dürfte ein bestimmtes historisches Kostüm sie beengt und unfrei gemacht haben. Ihre weit ausgreifenden Bewegungen forderten eine Freiheit, wie sie nur das classische Gewand erlaubt. Diese weit ausgreifenden Bewegungen deuten auf die Weimarische Schule, und es scheint, als ob sie mehr und mehr, je älter sie wurde, in diese Manier hineintrieb, und selbige auch im Burgtheater, das streng realistisch gewesen war, durch ihr großes zwingendes Vorbild einbürgerte. Entsprechend ihrer Mimik scheint auch ihre Rhetorik diese Entwickelung genommen zu haben. Schon 1833 spricht Costenoble von ihrer Prachtrednerei und nennt ihr Pathos zwar hinreißend, aber doch übel angewendet. Eduard Devrient wirft ihr vor, daß sie, nachdem sie in ihrer Prager Zeit den Höhepunkt tragischer Meisterschaft erlangt hatte, nach dem Beispiel Iffland’s zu [530] den Declamationseffecten eines „gedehnten Crescendo“ sich verstieg, welches vielmehr auf unmittelbare Wirkung beim Publicum, als auf die Wiedergabe menschlich natürlicher Empfindung rechnete. Wie weit sich Sophie Schröder’s reine Künstlerschaft eines solchen Virtuosenfehlers bewußt wurde, ist schwer zu entscheiden. Daß er vorhanden war, bestätigt ihr größter und verhaßtester Gegner, Ludwig Tieck. Diese Wendung dürfte sich daraus erklären, daß Sophie immer nur dann schaffen konnte, wenn ihre leicht erregbare Phantasie aufgerüttelt war. Wie ihr nie besonders daran gelegen war, ihre Bildungslücken zu ergänzen, wie sie durch Verwechseln von Fremdwörtern vielfach zu Spötteleien Anlaß gab, so hat sie auch in der Kunst viel weniger mit Verstand und Geist, als mit ihren mächtigen Instincten gearbeitet, und als mit den Kräften und Reizen der Jugend auch ihre Natur sich schwächte, suchte sie vielleicht in einer gewaltsameren Uebertreibung zu erlangen, was ihr früher spielend von der Hand und vom Herzen ging. So entsteht auch bei einem großen Künstler eine bestimmte Manier, die aber erst dadurch schädlich wirkt, daß sie von unselbständigeren Nachahmern übermanierirt wird. Das unvergleichliche Bild, das von Sophie Schröder’s Schauspielkunst in der Vorstellung ihrer Zeitgenossen lebte, kann dadurch bei den späteren, die ihr nur auf litterarischem Wege nachzugehen vermögen, nicht getrübt werden. Sie war und wird bleiben ein Stolz und ein Schmuck der deutschen Kunst.

Aus dem Burgtheater. Tagebuchblätter des Karl Ludwig Costenoble. Wien 1889. – Heinrich Anschütz, Erinnerungen aus dessen Leben und Wirken. Wien 1866. – Das Burgtheater von Heinrich Laube. Leipzig 1869. – (Philipp Schmidt,) Sophie Schröder wie sie lebt im Gedächtnis ihrer Zeitgenossen und Kinder. Wien 1869. – Eduard Devrient, Geschichte der deutschen Schauspielkunst, Bd. 2–5. – Chronik des k. k. Hofburgtheaters von Eduard Wlassack. Wien 1876.