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Artikel „Jarcke, Karl Ernst“ von Johann August Ritter von Eisenhart in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 13 (1881), S. 711–721, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Jarcke,_Karl_Ernst&oldid=- (Version vom 3. Dezember 2024, 14:38 Uhr UTC)
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Jarcke: Karl Ernst J., geb. den 10. November 1801 in Danzig, † den 28. December 1852 in Wien; Staatsgelehrter und Publicist. – Jarcke’s Bedeutung für die Geschichte des deutschen Staatsrechtes beruht weniger auf der Neuheit oder Ursprünglichkeit seiner Gedanken, als auf der eigenthümlichen Richtung, welche er in der Staatswissenschaft vertrat, und in der besonderen Art, wie er sie vertrat. Gegen Ende des ersten Viertheils dieses Jahrhunderts einigte sich in Deutschland eine kleine Schaar von Staatsrechtslehrern und Publicisten in dem Streben, das Ansehen der katholischen Kirche zu fördern und derselben durch ihr Wirken eine machtvolle, einflußnehmende Stellung im Staate erringen zu helfen. Diesen Männern schloß sich J. nach seinem Uebertritte zum Katholizismus seiner criminalistischen Thätigkeit entsagend mit voller Hingebung an, und stand alsbald in deren vordersten Reihen, indem er durch Wort und Schrift in Vereinen und Versammlungen, namentlich aber in Broschüren und Zeitungsartikeln mit Geschick, Ausdauer und Erfolg für jene kirchlich-politischen Doctrinen stritt. Hochbegabt und fanatisch begeistert für die katholische Sache, wurde er so einer der unermüdlichsten und gewandtesten Vorkämpfer des sog. „Ultramontanismus“. – Jarcke’s Vater war Kaufmann und bestimmte den einzigen Sohn für den gleichen Beruf, welcher deshalb in einem größeren Danziger Kaufhause als Lehrling eintrat. Allein der nicht frei gewählte Beruf wollte dem mit lebhafter Phantasie begabten Jünglinge auf die Dauer nicht zusagen; er wandte sich den Studien zu, holte das Versäumte rasch nach und bezog nach vollendetem 19. Lebensjahre (1820) die Universität Bonn, später Göttingen, wo er philosophische, geschichtliche und rechtswissenschaftliche Vorträge hörte. Nach Lösung der von der königl. hannöverschen Regierung gestellten Preisaufgabe erwarb er auf Grund seiner Inaugural-Dissertation: [712] Commentatio de summis principiis juris Romanorum de delictis eorumque poenis inprimis de notione et fine poenarum etc. (Göttingen 1822; Bonn, bei Weber, 4°) am 3. August 1822 den juristischen Doctorgrad, habilitirte sich in Bonn als Privatdocent für Strafrecht, dessen psychologische Seite ihn mächtig anzog, und wurde im Sommersemester des folgenden Jahres zum außerordentlichen Professor ohne Gehalt ernannt. 1824 ging er mit Urlaub nach Köln, wo er als Anwalt prakticirte und sich mit dem schwurgerichtlichen Verfahren vertraut machte. In Folge seiner Bekanntschaft mit dem späteren Criminaldirector Hitzig, der dem begabten Docenten einen seltenen Grad von Wohlwollen entgegenbrachte, wurde J. Mitarbeiter der bekannten Hitzig’schen Annalen und der von Hitzig herausgegebenen „Zeitschrift für die Criminal-Rechtspflege in den preußischen Staaten“. Eine seiner ersten Abhandlungen im achten Bande dieser Zeitschrift, „Bemerkungen über die Lehre vom unvollständigen Beweise in Bezug auf außerordentliche Strafen“ (Sonderabdruck Halle 1825), erregte die Aufmerksamkeit des preußischen Staatsministeriums für Unterricht und geistliche Angelegenheiten, welches J. als außerordentlichen Professor des Criminalrechtes nach Berlin berief. Er übersiedelte im Herbste 1825 dorthin, hielt im Wintersemester 1825/26 Vorlesungen über Strafrecht und Prozeß, Civilverfahren und preußisches Landrecht, wozu später noch Vorträge über Staats- und Naturrecht kamen, und wußte durch seine fesselnde Vortragsweise, seine klare Darstellungsgabe und die Schärfe seiner Logik einen ansehnlichen Kreis von Zuhörern um sich zu versammeln. Ehe wir J. nach Berlin folgen, ist eines Vorganges zu erwähnen, der an sich von hoher Bedeutung auf dessen spätere Lebensentwickelung entscheidenden Einfluß übte, – seines Uebertrittes zum Katholicismus. Die rationalistische Richtung, welche damals den Protestantismus in Norddeutschland beherrschte, ließ das warmempfängliche Gemüth des Jünglings leer und unbefriedigt. Ein religiös-philosophisches Gespräch, das zufällig in einem befreundeten Göttinger Studentenkreise geführt wurde, machte J. zuerst auf die Lehrsätze des Katholicismus aufmerksam. Die Lectüre theologischer Schriften vor Allem der Beschlüsse des Tridentiner Concils nährte in ihm den bereits gehegten Gedanken des Uebertrittes, häufiger Umgang mit dem frommgläubigen Philosophie-Professor Dr. Karl Joseph Windischmann zu Bonn brachte den Entschluß zur Reife, und im März 1824 (nach Gräffer und Wurzbach irrig am 16. Febr. 1825) legte er zu Köln in aller Stille das katholische Glaubensbekenntniß ab. – In die erste Zeit seines Berliner Aufenthaltes fällt die Gründung eines eigenen Hausstandes, indem er sich mit Katharina Kanth vermählte, und sein treuer Freundschaftsbund mit Dr. Georg Phillips, der damals neben J. als juristischer Docent an der jungen Hochschule wirkte, und durch Gemeinsamkeit der Verhältnisse mit letzterem bis an dessen Lebensende innig verbunden blieb. Damals beschäftigte sich J. noch ausschließlich mit Strafrecht. Seine Abhandlungen „über die spätere Geschichte des deutschen Strafprocesses mit Rücksicht auf Preußen“ (Hitzig’s Zeitschr. Bd. 9. Heft 1; Sonderabdruck Halle 1826), „über die Lehre von der Aufhebung der Zurechnungsfähigkeit durch unfreie Gemüthszustände“ (Hitzig’s Zeitschr. Heft 21–23; Sonderabdruck Berlin 1829), „Karl Ludwig Sand und sein an v. Kotzebue verübter Mord, eine psychologisch-criminalistische Erörterung aus der Geschichte unserer Zeit“ (a. a. O. 2. Aufl. Berlin 1821), dann „Beiträge zur Geschichte der Zauberei“ (Hitzig’s Annalen, Bd. 1) sind durch Schärfe der Beweisführung und Klarheit der Darstellung vortreffliche Leistungen. Den ersten Rang unter seinen strafrechtlichen Werken behauptet aber das „Handbuch des gemeinen deutschen Strafrechtes mit Rücksicht auf die Bestimmungen der preußischen, österreichischen, baierischen und französischen Strafgesetzgebung“ (Berlin bei Dümmler, 1827–1830), das leider [713] unvollendet geblieben. Es erschienen hievon drei Bände, und hat der Verfasser namentlich bei Entwickelung der allgemeinen Grundsätze des Strafrechtes, bei der Lehre vom Verbrechen, der Strafe und der Bestrafung (Bd. I S. 91–339) Selbständigkeit der Forschung und tiefgehende Kenntniß der Criminalpolitik an den Tag gelegt. Die Arbeit wurde von der Kritik sehr günstig aufgenommen, und nur von Martin in der zweiten Auflage seines Lehrbuches heftig angegriffen, worauf J. in der Vorrede zum dritten Bande sehr maßvoll entgegnete. – Wenn des Verfassers criminalistische Arbeiten vorzeitig in Vergessenheit geriethen, so trägt wol er selbst durch seine Berufsänderung die Hauptschuld. Zur Zeit ihrer Herausgabe fanden sie von Seite der betheiligten Kreise volle Würdigung. J. hat es lediglich seinen Schriften, zunächst seinem Handbuche zu danken, daß er im Frühjahre 1832 unter Beibehaltung seiner Professur im preußischen Justizministerium als Hilfsarbeiter für criminalistische Gesetzgebungsarbeiten verwendet wurde, eine Verwendung, welche durch den im Spätherbste 1832 ergangenen Ruf nach Wien schon nach Umfluß weniger Monate ihren raschen Abschluß fand. Charakteristisch für Jarcke’s politische Richtung ist die von ihm in seinem Handbuche getroffene Anordnung des Stoffes, indem er die Verbrechen wider Gott und die Religion an erster Stelle behandelt, und diesen die Verbrechen gegen den Landesfürsten anreiht, „da die Obrigkeit Gottes Stelle auf Erden vertritt“. Auch macht sich bereits im Handbuche wie in den Aufsätzen das Streben bemerkbar, an sich ferne liegende religiöse Fragen in das Bereich der Erörterungen zu ziehen und bei denselben länger als nach den Umständen geboten, zu verweilen. – Während J. so seinen wissenschaftlichen Arbeiten oblag und Vorlesungen hielt, brach die Julirevolution aus, welche allenthalben die Geister so mächtig ergriff und je nach der Parteistellung so verschiedenartige Beurtheilung fand. Auch bei J. rief das Ereigniß einen tiefgehenden Eindruck hervor. Vermöge seiner streng conservativen Richtung erblickte er in der Revolution von 1830 etwas Ungesetzliches, daher Unrechtmäßiges und in weiterer Folge etwas Unvernünftiges, das er seinem Verdammungsurtheile preisgab. Er legte seine Ansichten in einer anonym erschienenen historisch-publicistischen Abhandlung nieder, welche den Titel führt: „Die französische Revolution von 1830, historisch und staatsrechtlich beleuchtet in ihren Ursachen, ihrem Verlaufe und ihren wahrscheinlichen Folgen“ (Berlin 1831). Diese Abhandlung enthält eine mit Geist geschriebene Darstellung der damaligen politischen Parteien Frankreichs und der zur Umwälzung Anlaß bietenden Gründe, und wurde von den Anhängern des Legitimitätsprincips mit warmer, lebhafter Sympathie begrüßt. J. erwies sich durch diese Arbeit als reichbegabter politischer Schriftsteller unter denen, welche für die Sache der Legitimität in die Schranken traten, und kam hiedurch in nähere Berührung mit jenen angesehenen, hochconservativen Persönlichkeiten, welche die Herren v. Gerlach in ihrem Salon zu versammeln pflegten und welche später unter der Bezeichnung „Kreuzzeitungsmänner“ die Aufmerksamkeit der politischen Welt auf sich zogen; namentlich war es der damalige Major v. Radowitz, dem sich J. näher anschloß. Hiedurch vollzog sich bei J. allmälig eine bedeutsame Wendung seines Lebensweges. Er vertauschte die theoretische Thätigkeit mit der praktischen, die Schule mit dem öffentlichen Leben, die Rechtswissenschaft mit der Politik; er wurde vom criminalistischen Schriftsteller ein publicistischer! Hauptsächlich der gemeinsame Verkehr mit Radowitz brachte den Gedanken zur Ausführung, in einem politischen, von J. herauszugebenden Journale der Sache der Legitimität zu dienen und die Revolution systematisch zu bekämpfen; so wurde im Herbste 1831 das Berliner „Politische Wochenblatt“ unter Jarcke’s Redaction gegründet, dessen erste Nummer am 8. October genannten Jahres erschien. Als Motto trug es Maistre’s[WS 1] bekannte [714] Worte: „Nous ne voulons pas la revolution ni la contrerevolution, mais le contraire de la revolution“, und der von J. geschriebene Prospectus bezeichnet als Zweck der Zeitschrift: „Der Revolution in jeder ihrer Gestalten entgegenzutreten, die Angriffe des auswärtigen Journalismus zurückzuweisen und die schlechten politischen Lehren durch die guten zu bekämpfen. – – Der allgemeine Charakter der Zeitschrift – bemerkt J. weiter – ist der antirevolutionäre und wünscht dieselbe als Organ und Vereinigungspunkt aller antirevolutionären Richtungen aufzutreten“ (Vermischte Schriften, Bd. I S. 1–7). Das Wochenblatt hatte mit grundsätzlichem Ausschlusse jedweder confessionellen Frage eine ultra-conservative Tendenz und bekämpfte mit aller Entschiedenheit den damals in Preußen im Entstehen begriffenen Constitutionalismus und den hierauf auszubauenden „modernen“ Staat. Ueber die Ziele, welche J. im Wochenblatte verfolgte, äußert sich ein Zeit- und Gesinnungsgenosse in den österreichischen Blättern für Kunst und Litteratur: „Es war die Aufgabe, die Vorstellung von einem vorher nicht gewesenen, durch menschliche Einsicht und Thätigkeit erfundenen Staat, einem der menschlichen Willkür dahin gegebenen, auf welchen darum der juristische (?) Begriff der Gesellschaft angemessen befunden wurde, als den herrschenden Grundirrthum des modern-revolutionären Systems in ihrer principiellen Hohlheit zu erkennen und die graue Theorie durch die frische Erkenntniß des Lebens und seiner Gesetze zu beseitigen.“ Das Wochenblatt wurde in den höheren und höchsten Schichten der Berliner Gesellschaft gern gelesen, erfreute sich der Unterstützung und Mitwirkung vieler angesehener Staatsmänner und hatte auf die innere Entwickelung des preußischen Staates in den dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts und darüber hinaus einen nicht zu läugnenden Einfluß. Mit Rücksicht hierauf erklärte auch J. gelegentlich des Rücktrittes von der Redaction in seinem Abschiedsartikel: „Vielleicht ist noch nie einem deutschen Schriftsteller ein so ausgewähltes und geistvolles Publikum zu Theil geworden als dem nun Scheidenden, durch das er sich getragen und durch dessen Zustimmung und Beifall er sich beglückt fühlte.“ J. hat das Journal sehr fleißig mit Artikeln versehen, welche in der Regel staatswissenschaftliche Zeitfragen oder geschichtliche Stoffe zum Gegenstand haben und bisweilen polemisch gehalten sind. Von mehreren Seiten aufgefordert hat J. später die wichtigsten dieser Aufsätze und einige in anderen Zeitungen veröffentlichte, 52 an der Zahl, „nach mehrmaliger Sichtung, Prüfung und Feile“ zusammengestellt und unter der Bezeichnung „Vermischte Schriften“ in drei Octavbänden herausgegeben (München, Litterar.-artist. Anstalt 1839), „um von seinen staatsrechtlichen und politischen Grundsätzen und Ueberzeugungen Rechenschaft zu geben.“ Sie sind somit eine der Hauptquellen und als solche für die Kenntniß der Lehren und zur Beurtheilung der Leistungen des Verfasserts von hohem Werthe. Als 1837 der Kölner Kirchenstreit entbrannte, den J. als den großen Moment bezeichnet, wo die Feinde der Kirche, als ihnen Gott den Verstand verwirrte, die heuchlerische Maske fallen ließen und König Friedrich Wilhelm III. zu dem welthistorischen Verhaftsbefehl gegen den Erzbischof von Köln verleiteten (Verm. Schriften, Bd. IV S. 37) – in diesem Conflicte stand die Redaction des Wochenblattes auf Seite der preußischen Regierung, J. auf der des Erzbischofs. J. war der Meinung, durch ein bezeichnendes Stillschweigen zugleich die Gesinnung des Wochenblattes am verständlichsten auszusprechen und dessen Fortführung zu ermöglichen. Da wurde durch einen Artikel im entgegengesetzten Sinne das Schweigen gebrochen. Eine Erklärung Jarcke’s in der Augsb. Allg. Zeitung verkündete, daß er jede Berührung mit dem Wochenblatte abgebrochen, an dessen Leitung und Entwickelung er als unermüdlicher Mitarbeiter acht Jahre thätigsten Antheil genommen. Es war damals eine stehende Rede Jarcke’s, alle [715] politischen und socialen Fragen, welche die Zeit bewegen, seien eigentlich verkappte religiöse Fragen; das Wort werde vermieden, die Meinung gehe aber immer dorthin. Er hegte schon lange das mahnende Bedürfniß, seine Lehre von der menschlichen Gesellschaft auch nach dieser bisher unberührten kirchlichen Seite in einem katholisch-publicistischen Journale mit geschichtlicher Unterlage auszubauen, und so rief er 1839 mit Prof. Dr. Phillips und dem jüngeren Dr. Görres in München die „Historisch-politischen Blätter für das katholische Deutschland“ in’s Leben, welche (zur Zeit 80 Bände stark) noch jetzt in München erscheinen. Gleich der erste Aufsatz des ersten Heftes „über die gegenwärtige Stellung der katholischen Kirche zu den von ihr getrennten Confessionen“, hat J. zum Verfasser und jeder der folgenden dreißig bis zu seinem Tode herausgegebenen Bände brachte aus seiner Feder mehrere Artikel, darunter die berühmt gewordenen „Zeitläufe“, welche in gewissen Zeitabschnitten einen concreten Ueberblick der wichtigsten Ereignisse in der inneren und äußeren Politik der europäischen Länder geben. Von seinen geschichtlichen Essays sind besonders jene beachtenswerth, welche das Reformationszeitalter und die folgenden Jahrhunderte zum Vorwurfe haben. Wie J. eine überraschende Erzählungs- und Darstellungsgabe besaß, so verstand er es auch, Persönlichkeiten in scharfen Umrissen zu zeichnen und diese mit lebensvollem Inhalte auszufüllen. Anknüpfend an den persönlichen Charakter des Reformators liefert J. eine Reihe einzelner in sich abgeschlossener Bilder, welche sich in ihrer Zusammenfassung zu einer politischen Geschichte der letzten drei Jahrhunderte in erzeugenden Momenten und bestimmenden Personen gestalten. Die erste größere Hälfte dieser Aufsätze erschien gesammelt als „Studien und Skizzen zur Geschichte der Reformation“ bei Hurter in Schaffhausen. Aber auch diese immerhin geistreichen Essays tragen den Stempel der Partei an sich. J. sieht Menschen und Ereignisse mit dem Auge des Parteimannes, vielleicht mehr unbewußt als bewußt gibt und gruppirt er die Thatsachen nach seinem Sinne und thut ihnen bei den Beweisführungen und Schlußfolgerungen Gewalt an, wodurch die Objectivität der Darstellung allerdings empfindlich beeinträchtigt wird. – Am 9. Juni 1832 starb Friedrich v. Gentz. Metternich berief an dessen Stelle J., den er kurz vorher kennen gelernt. Nach flüchtigen Unterhandlungen nahm J. den lockenden Ruf an, zumal in Preußen damals für ihn geringe Aussichten auf einen Lehrstuhl als ordentlichen Professor bestanden. Ende November 1832 siedelte er nach Wien über, trat als Rath im außerordentlichen Dienste bei der k. k. Haus-, Hof- und Staatskanzlei ein und übernahm außerdem etwas später die wissenschaftliche Erziehung des Prinzen von Nassau. – Mit seinem Scheiden aus Berlin schied er aus der Redaction des Wochenblattes und zog sich später (1837), wie bereits oben erwähnt, vom Unternehmen ganz zurück. J. arbeitete nun unmittelbar unter dem österreichischen Staatskanzler, und da ihm dieser aus besonderem Vertrauen den Posten übertragen hatte, so beobachtete jener über seine dienstliche Thätigkeit gegen Jedermann strengste Amtsverschwiegenheit. Es ist indessen bekannt, daß er im Auftrage der Regierung für den österreichischen Beobachter und die Augsburger allgemeine Zeitung schrieb, und theils anonym, theils unter seinem Namen officiöse Broschüren politischen Inhaltes fertigte. Zu ersteren gehört eine Vertheidigungsschrift der österreichischen Verwaltung aus Anlaß des Bauernaufstandes in Galizien, welche indeß, da sie anonym und überdies in Mainz (bei Kirchheim u. Schott) verlegt wurde, völlig unbeachtet blieb und somit ihren Zweck gänzlich verfehlte. Vielen Beifall und laute Zustimmung erntete dagegen eine andere unter Jarcke’s Namen ausgegebene Denkschrift „über die austrägalgerichtliche[WS 2] Entscheidung der Streitigkeiten unter Mitgliedern des deutschen Bundes“ (Wien 1833), in welcher er gegen Eichhorn mit juristischem [716] Scharfsinn und schlagenden Gründen die Zuständigkeit der deutschen Bundesgerichte wie in Rechts- so auch in Interesse-Streitigkeiten vertrat. Ferner ist bekannt, daß er 1840 in besonderer Sendung nach Rom ging, um als österreichischer Specialbevollmächtigter mit der Curie wegen der gemischten Ehen zu verhandeln. In Rom war es weniger der altklassische Boden oder der seit zwei Jahrtausenden angehäufte Reichthum an Kunstschätzen, was ihn anzog; es war die Hauptstadt der Christenheit, der päpstliche Stuhl, die auf sein phantasievolles, gläubiges Gemüth tiefen Zauber übten. J. blieb trotz seiner amtlichen Wirksamkeit genügende Muße zu privaten schriftstellerischen Arbeiten, deren er damals auch mehrere lieferte. Abgesehen von zahlreichen Artikeln in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften fallen in diese Zeit die Abhandlung über „ständische Verfassung und die deutschen Constitutionen“ (Leipzig 1834), dann „Freiheit und Souveränität in Oesterreich, ein offenes Sendschreiben an den Reichstag von Kremsier“, „Staat und Kirche in Oesterreich vor, während und nach der Revolution von 1848“, „Hundert Schlagworte zur Verfassungspolitik der Zukunft“, endlich die früher erwähnte Sammlung und Herausgabe seiner „Vermischten Schriften“. Als im März 1848 das Metternich’sche System jählings zusammenbrach und der Altmeister österreichischer Politik seinen unfreiwilligen Abschied nahm, da war auch für J. kein Bleibens mehr; er wurde im Sommer 1848 unter dem Ministerium Pillersdorf zur Disposition gestellt, und da in Wien die Wogen der Bewegung immer höher stiegen, verließ er Wien, ging zu seinen politischen Freunden nach München und kehrte erst Mitte 1850 in die Kaiserstadt zurück. Kurz vorher war die von J. langersehnte Verordnung vom 18. April 1850 erschienen. J., der nichts so heftig bekämpft hatte als den Josephinismus, erblickte in dieser kaiserlichen Verordnung, welche das der Kirche lästige Placet aufhebt, einen hochwichtigen Vorgang, die Morgendämmerung des anbrechenden Tages, welchen er allerdings nicht mehr schauen konnte, da das österreichische Concordat erst am 13. August 1855 (also nach seinem Ableben) zu Stande kam. Allein mit seinem politischen Fernblicke sah er den sicheren Sieg der Kirche in Oesterreich vorher, und J., dem früher manch tadelndes Wort über die Zustände des Kaiserstaates auf den Lippen schwebte, konnte nun unmuthig werden, wenn man seinen freudigen Hoffnungen auch nur schüchterne Bedenken entgegenhielt. Wenige Monate später erkrankte er. So schmerzlich auch das Leiden war, an dem er die letzten anderthalb Jahre seines Lebens darniederlag und das er mit großer Ergebung trug, es vermochte nur selten die ungewöhnliche Spannkraft seines Geistes zu lähmen. Auf dem Krankenlager beschäftigte er sich mit Herausgabe des vierten Bandes seiner vermischten Schriften, in welchen 15 Abhandlungen, darunter die oben erwähnten, aufgenommen sind. Das Buch erschien nach seinem Tode 1854 in Paderborn, zugleich unter dem selbständigen Titel „Principien-Fragen, Politische Briefe an einen deutschen Edelmann etc.“ – Auch mit dem Gedanken der Gründung eines Journals für das gebildete katholische Deutschland trug er sich in seinen letzten Lebenstagen. Die Ausführung des Planes vereitelte sein Tod; er entschlief voll Gottvertrauen in der Nacht des 28. December 1852 gegen 1 Uhr, tief betrauert von seinen Freunden und Anhängern, hochgeschätzt von Oesterreichs Kaiser, welcher durch einen Brief des Ministers Grafen v. Buol-Schauenstein an die Wittwe „Zeugenschaft ablegte von dem hohen Werthe, den er auf die Gaben des Geistes und Charakters setzte, mit denen der Verstorbene geziert war, sowie auf seine stets unverbrüchlich erhaltene, muthig bewährte Treue“. Wenige Tage später wurden Jarcke’s irdische Ueberreste auf dem Friedhofe zu Maria Enzersdorf im Gebirge bei Wien bestattet, auf demselben Friedhofe, auf dem der geistesverwandte Ad. Müller, Buchholz, der Geschichtsschreiber Ferdinands I., Klinkowström und [717] der als Dichter wie Kanzelredner vielgenannte Zacharias Werner ruhen. – J. war ein fruchtbarer Schriftsteller, in dessen litterarischer Thätigkeit drei Hauptepochen zu unterscheiden sind. Die erste (1822–31) gehört seinen wissenschaftlichen Leistungen als Criminalist; die zweite (1831–37) umfaßt seine Betheiligung an dem Berliner politischen Wochenblatte, in dem er mit scharfer Waffe gegen den modernen Liberalismus, „den Heerd der Revolution“, zu Felde zieht, „gegen jene doctrinäre Sucht, nach flüchtigen Abstractionen beliebige Verfassungsformen zusammenzusetzen und politische Luftschlösser zu erbauen“. Die letzte, zugleich wichtigste Epoche beginnt mit Gründung der historisch-politischen Blätter (1837–52). Die Kampfweise ist heftiger geworden, der Kampfplatz verändert. Die Fahne des Katholicismus hoch haltend, zieht er gegen den Protestantismus und die Reformation zu Felde und erblickt das wahre Heil für Staat und Gesellschaft, Fürsten und Völker in der Wiederkehr zur katholischen Kirche.

Dem Inhalte nach theilen sich die Jarcke’schen Schriften – abgesehen von den strafrechtlichen – in staatsrechtliche und kirchenpolitische. Da er weder das allgemeine Staatsrecht noch das Kirchenstaatsrecht systematisch behandelt hat, muß man seine Lehren aus einzelnen Aufsätzen zusammenstellen, in welchen sie deutlich und erschöpfend niedergelegt sind. Für seine staatsrechtliche Doctrin dürften namentlich von Belang sein die bereits erwähnte Abhandlung: „Freiheit und Souveränität in Oesterreich“. (Verm. Schriften, Bd. IV S. 14), „Hundert Schlagworte zur Verfassungspolitik der Zukunft“. (a. a. O. S. 141–210), „Die Naturlehre des Staates und dessen Entstehung durch die Natur“. (a. a. O. Bd. III S. 20), „Die Ursprünge des modernen Constitutionalismus“. (a. a. O. Bd. III S. 242), endlich „Revolution, Absolutismus und Volkssouveränität“ (a. a. O. Bd. I S. 132–207). Robert v. Mohl hat in seinem meisterhaft gearbeiteten Essay: Zwölf deutsche Staatsgelehrte (Die Geschichte und Litteratur der Staatswissenschaften, Erlangen 1856, Bd. II S. 395 ff.) unter Ziffer 11 auch K. E. Jarcke einen Abschnitt gewidmet, (a. a. O. S. 578 ff.) und darin den Kern von dessen Lehre kurz dargestellt (S. 582 u. 584). Hienach war J. ursprünglich ein Anhänger Haller’s und mit diesem bezüglich der Bekämpfung der sogenannten „Vertragstheorie“ und der Auffassung des Staates als eines bloßen Erzeugnisses menschlicher Willkür einverstanden. In gleicher Weise beruhte wie für Haller so auch für ihn der Besitz einer größeren, zur Herrschaft berechtigenden Macht auf besonderer Verleihung Gottes. Später bildete er sich, theilweise auf Leo’s Naturgeschichte vom Staate, theilweise auf eigene religiös-philosophische Ansichten gestützt, eine eigene Auffassung von dem Wesen und der Entstehung des Staates. Derselbe ist demgemäß allerdings etwas Naturwüchsiges. Aus der ursprünglichen Autorität der Familie und des Stammes bildet sich durch die verschiedenen Gestaltungen der menschlichen Zustände und Erlebnisse eine Anzahl von Organismen, deren Mittelpunkt eine unabhängige Macht körperlicher oder geistiger Art ist. Solch geselliger Zustand ist ein – Staat, welcher den allgemein menschlichen Entwickelungsgesetzen unterworfen ist. Der ursprünglich hausväterliche Kreis kann sich zu einem Kriegerstaat erweitern, eine ursprünglich ohne Rechtstitel auftretende Macht durch Verjährung rechtlichen Bestand erhalten. Diese natürliche Staatenbildung ist jedoch keine so unbedingte, daß sie dem menschlichen Willen völlig entrückt wäre. Der Mensch kann auch hier mit seinem Willen auf die Erscheinungen Einfluß üben, und die ihm passend dünkenden Mittel und Einrichtungen wählen. Allein – und hierauf legt J. besonders Nachdruck – dieser menschliche Wille ist kein unbedingt freier nur in der Vernunft des Menschen begründeter; er muß der göttlichen Anordnung, dem göttlichen Willen folgen, und das macht sich in zweifacher Richtung geltend. Für’s [718] Erste waltet über der äußeren Erscheinung des Staates die göttliche Vorsehung; für’s Zweite sind die Gebote der Religion die Richtschnur der gegenseitigen Rechte und Pflichten für Fürsten und Unterthanen. Jarcke’s Autoritätsglauben und Ansichten von der göttlichen Weltordnung widerstrebte der Begriff des heutigen Rechtsstaates, der Begriff des contrat social mit seinen nothwendigen Folgerungen und das ganze System der modernen Volksvertretung; diese Einrichtungen anzugreifen, betrachtete er als seine Aufgabe; nicht minder aber befehdete er jene schrankenlose Herrschergewalt, wie sie sich seit Ludwig XIV. auf dem Continente ausbreitete. Als den anzustrebenden Zustand bezeichnete er die Souveränität des Fürsten verbunden mit den Freiheiten des Volkes. Allein wie diese wichtige Frage in ihren einzelnen Punkten praktisch zu lösen sei, darüber kam er nach eigenem Geständnisse nicht zum Abschlusse; indem er seine frühere Ansicht, einfache Verwerfung der Volksvertretung und Erhaltung oder Gründung ständischer Versammlungen, zurückzog, beschränkte er sich darauf, einige allerdings sehr allgemeine Maßnahmen als unter allen Umständen geboten aufzustellen; dahin gehören Abhaltung des Staates von unnöthiger Einmischung in Privatrechtsverhältnisse, Zuweisung an Einzelne und Körperschaften, was diese besorgen können und was nicht zu den Hoheitsrechten des Staates zählt; Anerkennung der verschiedenen Stände im Volke und ihrer Sonderrechte; gründliche Vorbereitung wichtiger Regierungshandlungen unter Zuzug von Vertrauensmännern und Sachverständigen, zweckmäßige Organisation – jedoch nicht abgestorbener, sondern nur lebensfähiger Interessen, und eine Einrichtung, welche den Unterthanen möglich macht, ihre Ansprüche, Wünsche und Beschwerden vor dem Throne vorzutragen. Dieses sind im Großen und Ganzen die Hauptsätze der Jarcke’schen Staatsrechtslehre, welche vermöge ihrer einseitigen, theokratischen Tendenz und ihrer Behandlung aller möglichen Staatsformen nach einem einzigen Systeme auf die Wissenschaft (wie schon angedeutet) von untergeordneter Bedeutung blieben; dagegen war der Erfolg im Leben namentlich gegenüber der inneren Politik Preußens kein vergeblicher. Die im politischen Wochenblatte und anderwärts mit Muth und Gewandtheit geführten Angriffe auf den modernen Rechtsstaat und den Constitutionalismus haben den Gang der Dinge in Preußen entschieden beeinflußt, die Einführung einer allgemeinen Volksvertretung bis zum Jahre 1848 verzögert und nach dieser Periode zur Zurückgewinnung unlieber Zugeständnisse mitgewirkt.

Am werthvollsten und lehrreichsten unter Jarcke’s Publikationen sind jene, welche das Verhältniß zwischen Staat und Kirche erörtern. Hieher gehören außer zahlreichen Artikeln in den histor-polit. Blättern und einigen im dritten Bande der vermischten Schriften sein im vierten Bande derselben (S. 68–140) abgedrucktes Schreiben an den nordamerikanischen Consul Schwartz, „Staat und Kirche in Oesterreich vor, während und nach der Revolution von 1848“, welches vermöge seiner feinen Gliederung und Klarheit des Gedankenganges zu dem Besten gehört, was J. überhaupt geschrieben hat. Wie jeder Mensch (sagt J. in dieser Abhandlung) zur Religion irgend eine Stellung nehmen muß, so auch der Staat, d. h. diejenigen, welche die Träger der Gewalt im Staate sind. Dieses Verhalten kann nur auf dreierlei Weise gedacht werden. Entweder die Staatsgewalt behandelt die Religion als das Höchste und Heiligste im Leben, sie sieht die Wiedervereinigung des Menschen mit Gott als Zweck des Daseins an, dem auch der Staat zu dienen habe, – und dieser Alternative huldigt J. im vollen Umfange; oder sie will die Religion nicht als Zweck, sondern als politisches Mittel, als Hebel für ihre weltlichen Zwecke brauchen, und die Religion des Volkes beherrschen, oder drittens, eine Regierung behandelt [719] die Religion weder als Zweck noch als Mittel, sondern nimmt eine feindliche, abwehrende Stellung zu ihr ein und droht, sie mit roher Gewalt oder leise auftretender List aus den Herzen der Menschen zu entwurzeln. Nebenbei ist aber das Verhältniß zwischen Staat und Kirche auch durch die Auffaffung des Christenthums bedingt. Entweder ist es eine in der Zeit entstandene menschliche Einrichtung und muß nach dem Gesetze der Natur früher oder später diesem Gesetze verfallen, untergehen, oder es ist das, wofür es sich gibt, dann aber ist die Kirche nicht für diese oder jene Zeit, sondern sie ist in Zeit und Raum die eine und allgemeine, die katholische. „Dieses Entweder – Oder“, bemerkt J. mit Nachdruck, „ist der entscheidende Gesichtspunkt für das fragliche Verhältniß; und jedenfalls ist dieses Dilemma die heiligste und wichtigste Frage, die es auf Erden gibt.“ Dem Gange der Geschichte folgend rühmt nun J., daß im Mittelalter aus der nothwendigen Anerkennung der Verpflichtung eines jeden Menschen zum Schutze der Kirche das Institut der Kirchenvogtei oder Advokatie hervorgegangen. Einzelne Mächtige übernahmen vertragsmäßig den Schutz einzelner Kirchen, Stifte und Klöster, die Frankenkönige wurden so Schutzherren der katholischen Kirche, und Karl d. Gr. erkannte dies (801) an mit den bezeichnenden Worten: „wenn uns auch durch jenen heiligen Stuhl ein kaum erträgliches Joch aufgelegt würde, wollten wir es dennoch in frommer Andacht tragen.“ Aber schon im späteren Mittelalter lief den christlichen Grundideen des Staates zur Seite eine auf Knechtung der Kirche abzielende Politik. In der so vorbereiteten Reformation reichten sich dogmatische Lieblingsirrthümer der Reformatoren und Angriffe auf die Kirche die Hand, welche meist politisch-socialer Natur waren. Durch die Glaubensneuerung entwickelte sich der verderbliche Territorialismus (cujus regio illius religio) und der rohe Absolutismus der Regierungen gegenüber der Kirche, kraft dessen sie in die Rechte und in die Lebenssphäre der letzteren griffen. Diese absolute Staatsdoctrin hat allmälig durch alle katholischen Länder Europas die Runde gemacht und die höchste innere Entwickelung in Frankreich (Gallicanismus) unter Ludwig XIV. gewonnen. In Deutschland entstand der Febronianismus, in Holland der Jansenismus, in Oesterreich das Josephinische System („der roh und ungeschickt in’s Deutsche übersetzte Gallicanismus“), welches weit über die Grenzen des gallicanischen Kirchenstaatsrechtes hinausging. J. zählt nun (S. 102–104) die sieben „Schlußsteine des Domes Josephinischer Staatsweisheit“ auf, darunter das jus cavendi weil ja der gefährlichste Feind des Staates die Kirche ist! das „jus supremae inspectionis“, das Placet, ferner die vom Staate geleitete Erziehung des Clerus. Scheinbar – fährt der Verfasser fort – hat der Absolutismus in ganz Europa der Kirche gegenüber einen großen Sieg errungen! Allein jenen Angriffen der katholischen Staaten auf die Kirche folgten der Reihe nach die Revolution in Spanien, Portugal, Frankreich, Venedig, Toscana, Neapel, Oesterreich. In letzterem Staate war der von Joseph II. begonnene, vom Kaiser Franz fortgeführte Krieg wider die Selbständigkeit der Kirche die moralische Ursache der großen Krisen von 1848; es wäre Oesterreichs Untergang, wenn es diesen Krieg heute noch fortführen wollte. Jene Revolutionen konnten nicht ausbleiben. Das Christenthum hat den europäisch-fürstlichen Staat gebaut, diesem grub der Absolutismus das Grab, als er dessen sittlich-religiöse Grundsätze zu zerstören begann. Die sittlich-intellectuelle Hauptkrankheit unserer Zeit liegt in der weitverbreiteten höhnischen Gleichgiltigkeit der Gebildeten gegen die Kirche, welche gleichfalls durch den die Kirche zu ihren Zwecken erniedrigenden Staatsabsolutismus erzeugt wurde. Gegen dieses Uebel hilft nur die Freiheit der Kirche (d. i. der katholischen!), Hebung deren polizeilicher Knechtung, Beseitigung [720] deren staatlicher Bevormundung. Ein Bund der Kirche mit der Revolution wäre ebenso unmöglich und unselig, wie ein Bund mit dem Protestantismus, denn dieser ist in der That nicht blos Abfall vom alten Glauben, sondern auch der Anfang der Revolution auf staatlichem Gebiete. Er hat den Autoritätsglauben zerstört und zugleich die kirchliche Macht geschwächt. „Reformation und Revolution verhalten sich wie zwei Theile eines und desselben Buches, wie Vorder- und Nachsatz derselben Rede, wie die rechte und linke Hand desselben Menschen.“ Während J. auf diese Weise den Protestantismus gleich dem Josephinismus bei jeder Gelegenheit anficht, erblickt er die einzige Rettung im Schooße der katholischen Kirche. Die volle Freiheit wird ihr werden, sie muß ihr werden – ruft J. zuversichtlich aus – wenn nicht die christliche Gesellschaft auf dem Festlande Europas in die alte Nacht der Barbarei zurücksinken sollte! … Dies im Wesentlichen die Jarcke’sche Lehre und Ansicht auf kirchlich-politischem Gebiete. Die Wirkung dieser Lehre war namentlich für Oesterreich eine mächtige; sie hat zur Beseitigung des Josephinismus, zum Abschluß des Concordates von 1855 wesentlich beigetragen, so daß Jarcke’s Name mit der neueren Geschichte des Kaiserstaates untrennbar verbunden bleiben wird.

Zum Schlusse mag es gestattet sein, einen Blick auf Jarcke’s Wesen und Persönlichkeit zu werfen. Er war ein Mann von mittler Größe, einnehmender Erscheinung und feinen Umgangsformen. In seiner Empfindung lag Wärme und sein lebhaftes Auge verrieth Temperament und natürlichen Humor, der in den heißen Kämpfen der späteren Jahre gerne in Sarkasmus überging, wovon das offene Sendschreiben an den Reichstag von Kremsier u. A. eine vollgiltige Probe liefert. J. verband mit der Schärfe des Juristen die Kunde des Historikers und die Gewandtheit des Publicisten. Er war ein vorzüglicher Stylist und kam ihm bei seinen staatswissenschaftlichen und geschichtlichen Arbeiten seine gediegene juristische Bildung sehr zu Statten. Seine Darstellung ist abgerundet und übersichtlich, sein Ausdruck kurz und treffend, sein Gedankengang wohlgeordnet. Aber alle seine Arbeiten haben das Gepräge der Parteischriften, mitten im Kampfe stehend und selbst vorkämpfend kann er sich nicht zur vollen Objectivität, zur exacten Forschung emporarbeiten. Er ist Parteimann vom Scheitel bis zur Sohle. Behauptete er ja selbst wiederholt: Sein höchstes Glück in der römischen Kirche gefunden zu haben und für Alles indifferent zu sein, was nicht die Kirche sei und mit ihr zusammenhänge; und mit Vorliebe nannte er die Kirche die Dame seines Herzens, deren Farbe er trage und deren Dienste er geweiht sei. Unter solchen Umständen konnte es an Angriffen und Befehdungen nicht fehlen, die er meist urban und maßvoll, aber stets schlagfertig erwiderte. Mit den zunehmenden Jahren nahm auch seine Empfindsamkeit zu und es kamen ihm später Widersprüche selbst aus dem Munde der Freunde ungelegen. In Folge dessen wurden seine Entgegnungen bisweilen herb und schroff, ja verletzend, was er nachträglich öfters bereute. Namentlich hämische Angriffe der Presse konnten ihn bei seinem erregbaren Temperamente in hohem Grade reizen; dann goß er die ganze Schale seines Sarkasmus über den Angreifer. – Wie er nur aus innerster Ueberzeugung, ohne jede Nebenabsicht zum Katholicismus übergetreten war, weil er dessen Lehre für die allein wahre hielt, so verfocht er aus innerster Ueberzeugung ohne jede Nebenabsicht seine politischen und kirchenstaatsrechtlichen Ansichten, weil er deren Grundprincipien für richtig und heilvoll hielt. Hiedurch bekommt sein ganzes Wesen etwas Wahres, Offenes; Heuchelei und Verstellung waren ihm fremd. Als Parteimann aber hatte er etwas Unduldsames, Leidenschaftliches, ja Fanatisches, in Folge dessen dem zu entwerfenden Bilde sich ein Zug beigesellt, den wir im Interesse des zu Schildernden [721] lieber vermissen würden. Von seinen Gesinnungsgenossen wurde J. hoch auf den Schild gehoben, von seinen Gegnern scharf getadelt; v. Mohl hat wol auch hier das richtige Wort gesprochen, wenn er (a. a. O. S. 592) sagt: „Aus der Betrachtung der Persönlichkeit und Wirksamkeit Jarcke’s kann die Lehre gezogen werden, daß auch ein Geist und ein Wissen, welche nicht zu den ersten gehören, sich eine große Bedeutung zu verschaffen vermögen, wenn sie solchen zu Hilfe kommen, welche bei großem Drange von Bedürfnissen an einem Mangel entsprechender Kräfte leiden. – – – Seine Stellung in der Wissenschaft und im Leben würde ohne Zweifel eine viel geringere sein, wäre er im Kreise des protestantischen Lebens geblieben, und hätte er diejenige Rechtsanschauung vom Staate vertreten, welche seinen bürgerlichen Verhältnissen naturgemäß entsprach.“ Ein wohlgetroffenes Brustbild Jarcke’s in Steindruck ist dem vierten Bande seiner vermischten Schriften beigegeben.

A. Geyer, Rechtsphilosophie etc., S. 89. – v. Mohl, Gesch. u. Litteratur der Staatswissenschaften a. a. O. – Dr. Jos. Fick in den österreich. Blättern f. Litteratur u. Kunst, Jahrg. 1855, Nr. 11–13, S. 65–84. – Zwei Nekrologe von Georg Phillips in dessen vermischten Schriften, Bd. II S. 599–616. (Der letztere ist auch in den histor.-polit. Blättern sowie im vierten Bande von Jarcke’s Verm. Schriften S. 534–51 abgedruckt.) – Kathol. Blätter aus Tirol von Huber, Jahrg. 1853 Bd. I S. 19 ff. – v. Wurzbach, Biogr. Lexikon des Kaiserthums Oesterreich, 10. Thl. 95–100 und die dort angeführten Litterarhistoriker. – R. v. Böhm im deutschen Staatswörterbuch, Bd. V S. 408–11. – Oesterr. National-Encyklopädie von Gräffer u. Czikann (1833), Bd. III S. 22; Nachtrag in Bd. VI S. 498. – Bl. f. litterar. Unterhaltung. Jahrg. 1839. Nr. 237–240. S. 961 u. flg. (woselbst eine eingehende Besprechung von J.’s „vermischten Schriften“). – Wagener’s Staatslexikon, Bd. X S. 429. – Allgem. Realencyklopädie von Manz (Regensb.), Bd. VII sub voce Jarcke.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Joseph Marie de Maistre (1753–1821) savoyischer Staatsmann und Freimaurer
  2. Austrägalgerichtsbarkeit, hier höchste gerichtliche Instanz innerhalb des Deutschen Bundes von 1815–1866