ADB:Pückler-Muskau, Hermann Fürst von
Ludwig Karl Johannes Erdmann, war kursächsischer geheimer Rath, der Sohn, Hermann Ludwig Heinrich, wurde geboren am 30. October 1785 zu Muskau, dem Hauptort einer Standesherrschaft in der Oberlausitz, der, an der Neiße gelegen, durch seine Mutter, eine Gräfin v. Callenberg, und Erbtochter zu Muskau, in den Besitz der gräflich Pückler’schen Familie gekommen war. Da die Familie der Zinzendorf’schen Lehre zugethan war, wurde die Erziehung des Knaben einer Herrnhuteranstalt – zu Uhyst bei Bautzen – anvertraut. In den Anschauungen des Schriftstellers und Weltmannes P. hat diese Erziehung keine sichtbaren Spuren hinterlassen. Sein weiterer Bildungsgang führte ihn durch das Pädagogium zu Halle und schließlich auf die Universität Leipzig, wo er sich der Rechtswissenschaft widmen sollte. Dann vertauschte er, wie so viele seiner Standesgenossen vom Adel, den Dienst der Themis mit dem des Mars, indem er als Lieutenant in das Corps der sächsischen „rothen Garden“ eintrat. In dieses Corps – ein Ueberbleibsel aus der sturmbewegten Zeit Augusts des Starken, das sich bis in das Revolutionsjahr 1848 erhalten hat – wurden nur schöne kräftige Männer aufgenommen; P. genügte dieser Bedingung in vollem Maße. Er avancirte zum Rittmeister und nahm als solcher nach einigen Jahren seinen Abschied, um einen schon früh bei ihm erwachten Reisedrang zu befriedigen. Dieser ist für seine ganze Lebensrichtung so entscheidend, daß der Schriftsteller P. ohne ihn kaum denkbar wäre. Merkwürdigerweise trägt aber seine Physiognomie noch einen anderen ebenso charakteristischen Zug, der, obschon dem andern scheinbar entgegengesetzt, weil auf Verschönerung des engeren Heims gerichtet, allein schon dem Namen des Besitzers dauernde Beachtung verschaffen würde: die in großem Stil betriebene Gartenkunst. Auf diesem Gebiete ist P. ein wahres Vorbild geworden, das mit dem [693] feinsten Geschmack die gründlichste Kenntniß und wünschenswertheste Routine vereinigte. Auch die äußeren Mittel fehlten ihm nicht, denn nach dem Tode seines Vaters sah er sich im Besitz eines so bedeutenden Vermögens, daß er seine kunstsinnigen Ideen ohne jede Beschränkung verwirklichen zu können schien. Als Angriffsobject war zunächst Muskau ausersehen, wohin er, nach seiner Reise durch Frankreich und Italien, zurückkehrte. Später – 1813 im Befreiungskriege – finden wir ihn wieder beim Heere, und zwar beim Beginn des Feldzuges als Major im russischen Lager, später als Adjutanten des Großherzogs von Weimar, dann als Oberstlieutnant, als welcher er in den Niederlanden eine rühmliche Thätigkeit entfaltete und sich namentlich beim Sturm auf Merxem auszeichnete. Er übernahm auch die Bildung eines Regimentes und versah zu Brügge den Posten eines Gouverneurs. Nach dem Frieden entsagte er zum zweiten Mal dem Dienst und begab sich zunächst nach England, wo er für seine Liebhaberei neue Ideen und Anregungen zu finden hoffte. Denn in den dortigen großartigen Parkanlagen stand die Gartenkunst in ihrer Blüthe, und Pückler’s gesellschaftliche Stellung öffnete ihm den Zugang zu allem, wofür er sich interessierte. Der sandige Familienbesitz zu Muskau verwandelte sich nach des Besitzers Rückkehr mehr und mehr in einen blühenden Garten, wo Natur und Kunst im Wettstreit ihre Macht schienen erproben zu wollen. Freilich konnten ihm beide die Gesellschaft, nach der er sich sehnte, nicht ersetzen, und so finden wir ihn für längere Zeit abwechselnd bald in Berlin, bald in Dresden, mit den höheren Kreisen verkehrend. Im J. 1817 verheirathete er sich mit der verwittweten Reichsgräfin v. Pappenheim, der Tochter des Staatskanzlers Hardenberg. Die Ehe wurde nach neunjähriger Dauer, gerichtlich, aber im gegenseitigen Einverständniß, getrennt, und merkwürdiger Weise blieben die geschiedenen Ehegatten in freundschaftlichem Verkehr, der sogar im Briefwechsel einen zärtlichen Charakter annahm. Ja, als ein neues Heirathsproject Pückler’s, um seinen durch allzu großen Luxus zerrütteten Finanzen wieder aufzuhelfen – es betraf eine Engländerin – gescheitert war, wohnten die Gatten ohne zweite Verheirathung wieder friedlich beisammen. Unterdessen war P. 1822 vom König Friedrich Wilhelm III. in den Fürstenstand erhoben worden – zur Entschädigung, wie es hieß, für verschiedene freiwillig aufgegebene Standesrechte bei Einverleibung der Lausitz in den preußischen Staat. Mit 1828 beginnt dann die große Reiseepoche, die Zeit der kühnen Weltfahrten, denn nicht nur England und Frankreich wurden wieder besucht, sondern 1835 Algerien und Nordafrika, 1837 Aegypten, Griechenland und Kleinasien durchstreift. Die Rückkehr nach Deutschland erfolgte erst 1840. Seinen Sitz zu Muskau, der für den Besitzer durch die salinischen Producte, durch Alaun- und Gradirwerke, wo hundert Arbeiter beschäftigt waren, auch nutzbringend geworden war, verkaufte er 1845 – die Herrschaft ging an einen Grafen von Hatzfeld, später in den Besitz der geschiedenen Prinzessin Albrecht über – und zog mit seiner geschiedenen Frau nach seinem väterlichen Stammgut, Schloß Branitz bei Cottbus. Hier führte er seine alte Liebhaberei fort, d. h. er rief wieder großartige Parkanlagen ins Leben. Schon in Muskau hatte er sich nicht darauf beschränkt, Steppen und Sandwüsten in englische Parks zu verwandeln, sondern ganze Wälder wurden versetzt und aus Ebenen künstliche Gebirgslandschaften geschaffen, welche durch die Reize fast aller Länder und Zonen geschmückt wurden; jetzt wurden daneben auch Versuche mit Verpflanzung und Entwicklung der arabischen Pferderace und der Neger Afrikas gemacht – allerdings scheiterte damit die Kunst des kühnen Reformators. Gleich erfinderisch zeigte er sich bei der Parkanlage von Babelsberg bei Potsdam, dem Sommersitze König Wilhelm’s, in dessen näherer Umgebung er mit verschiedenen Hofchargen betraut wurde. Im übrigen lebte er zurückgezogen auf [694] Branitz und trat selten mehr in die Oeffentlichkeit, wie dies 1857 geschah, als man ihn bei den Septemberfesten zu Weimar, anläßlich eines zu Ehren der hundertjährigen Geburtstagsfeier seines früheren Chefs, des Großherzogs, in Gala erscheinen sah. Im J. 1863 vom König zum erblichen Mitgliede des Herrenhauses ernannt, starb er am 4. Februar 1871.
Pückler: Fürst v. P.-Muskau gehörte einem alten, schlesischen Rittergeschlechte an, als dessen Stammherr Nikolas Pöckeler zu Blumenthal bei Neisse gilt, und in welches 1580 der Freiherrnstand, 1690 der Reichsgrafenstand, 1822, wenn auch nur auf eine Linie, die Lausitz’sche zu Branitz, der Fürstenstand gekommen ist. Pückler’s Vater,P. ist groß als Gartenkünstler – vgl. Petzold, Fürst Pückler in seiner Bedeutung für die Gartenkunst, Leipzig 1874 – und seine eigenen „Andeutungen über Landschaftsgärtnerei“ 1834, sind in ihrer Art ein classisches Buch; als Weltfahrer wird man ihn eher kühn als groß zu nennen haben, er hat keine neuen Gebiete erschlossen noch die Wissenschaft bereichert, auch mangelt ihm die schriftstellerische Größe, und doch ist er nicht ohne Bedeutung für die Litteratur gewesen, wenigstens für die zeitgenössische. Er ist Hauptrepräsentant einer vorübergehenden Epoche unseres Schriftthums, immerhin einer Epoche. Inaugurirt hat er dieselbe nicht, aber er hat mächtig dazu beigetragen, das Genre, worin er glänzt, in der Lesewelt einzubürgern – das Genre nämlich der Reisebilder und Reisenovellen nach Heine’s Vorgang und Manier, das Genre der ausgeprägtesten, ungenirtesten Subjectivität. Diese Reisen verfolgen kein wissenschaftliches Ziel, suchen auch keine Erholung, und wenn der Drang, die Welt zu sehen und den Blick zu weiten oder auch die ritterliche Liebe zu Gefahren und Abenteuern, überhaupt die Unternehmungslust, als Motive mächtig wirken, so steht doch in vorderster Reihe die Sucht, das Erlebte pikant darzustellen, im Glanz der Schilderung sein eigenes Ich zu spiegeln, jedes Object in den leuchtenden Brennpunkt des beschauenden Subjects zu fassen; das Interessanteste an allen Erlebnissen, in jeder Lage und Umgebung soll aber, nach der Absicht dieser Schilderer, ihre eigene Persönlichkeit sein. Eine richtige und würdige Lebensaufgabe ist das freilich nicht, aber man gibt sich doch wenigstens den Schein, etwas zu thun und täuscht sich und andere über das Nichtsthun hinweg. Zum Geistreichen und Pikanten gehört auch möglichste Offenheit: man kramt die heikelsten Dinge und Situationen, an welchen der Anstand sonst erröthend vorbeigeht, mit derselben vornehmen und unverfrornen Nonchalance aus, womit man die alltäglichsten Vorkommenheiten schildert. Dadurch unterscheidet sich P. von Beobachtern, wie Lamartine oder Chateaubriand, die sonst in der Geltendmachung und interessanten Drapirung ihrer Persönlichkeit mit P. wetteifern. Freilich befand sich letzterer auch in der glücklichen Lage, eine Masse Dinge zu sehen und zu sagen, die anderen, nicht-fürstlichen Schriftstellern, immer verschlossen bleiben, oder höchstens durch Hörensagen, aus zweiter oder dritter Hand, bekannt sind. Ihm waren die höchsten und ausschließlichsten Kreise zugänglich. Dabei beobachtet er scharf, sogar, trotz dem hocharistokratischen Naturell, mit unparteiischem Auge. Er findet nicht alles gut und löblich in den Bestandtheilen des „blauen Blutes“ und möchte einige Tropfen demokratischen Saftes beimischen; dem hohen Adel klopft er etwa auch den Staub aus den Kleidern, wo dieser nach Philisterthum riecht. Auch die Aperçus religiöser Freigeisterei läßt er, wo es paßt und packt, über die Scenerie blitzen. Dabei ist er nicht bloß originell, sondern er weiß auch die Sucht nach Originalität geschickt zu verhüllen. Auch seine Sprache trägt dieses Gepräge: Er möchte nicht im gewöhnlichen Geleise, das Sprachgeist und Usus gezogen haben, wandeln, sondern sie nach seinen Launen modeln, er fühlt sich zu vornehm, im Frohndienst einer Herrin zu stehen, und da er sich doch im großen und ganzen ihrem Banne nicht entziehen kann, weil er nicht für sich, sondern für den Leser schreibt, so sucht er sie wenigstens durch Unarten zu ärgern, d. h. er flickt ihrem reinen Gewand fremde Lappen in Menge auf; er treibt Sprachmengerei in großem Stil, Fremdwörter und ganze Sätze aus lebenden und todten Sprachen, Kosmopoliten [695] aus allen Gegenden lassen sich häuslich nieder in seiner Darstellung, als ob sie da Heimathsrecht hätten. Natürlich, daß auch diese Eigenschaft eines fürstlichen Schriftstellers die meisten Leser von damals, besonders die, welche den Zopfstil der Gelehrtensprache im 17. u. 18. Jahrhundert nicht kannten, durch seine Neuheit fesseln, wenigstens verblüffen mußte. Heutzutage ist der Blüthenstaub der Pückler’schen Schriftstellerei so ziemlich verblaßt und verweht, aber man thut Unrecht, wenn man ihren Verfasser darum zu den „todten Männern“ werfen will. Sein großes Talent, sein Typus als Reiseschriftsteller darf ihm nicht bestritten werden, und noch heute imponirt einem vorurtheilsfreien Leser sein feines Kunsturtheil, sein geläuterter Geschmack, seine wahre und warme Empfindung für Naturschönheit; auf seinen schriftstellerischen Blüthen, wenn sie auch nicht immer normal sind, glänzen doch die Thautropfen des Geistes. – Von Pückler’s Schriften hat die erste, anonym erschienene: „Briefe eines Verstorbenen“, 4 Bde., Stuttgart 1831, am meisten Aufsehen erregt, sie hat Herwegh Veranlassung gegeben zu dem Titel seiner Gedichte: „Gedichte eines Lebendigen“. Es folgten, ohne das gleiche Interesse zu erregen „Tutti frutti“, 5 Bde., Stuttgart 1835; „Jugendwanderungen“, Stuttgart 1835; „Semilasso’s vorletzter Weltgang“, 3 Bde., Stuttgart 1835; „Semilasso in Afrika“, 5 Bde., Stuttgart 1836; „Die Vorläufer“, Stuttgart 1838; „Südöstlicher Bildersaal“, 3 Bde., Stuttgart 1840; „Aus Mehemed Ali’s Reich“, 3 Bde., Stuttgart 1844; „Die Rückkehr“, Berlin 1846–1848. Aus Pückler’s Nachlaß veröffentlichte Ludmilla Assing eine große Anzahl Briefe: „Briefwechsel und Tagebücher“, 9 Bde., Berlin 1873–76.
- Vgl. Aug. Jäger, Das Leben des Fürsten Pückler, Muskau 1843, und Ludm. Assing, Fürst Herm. v. Pückler, Hamburg 1873.