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Artikel „Pufendorf, Esaias“ von Reinhold Brode in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 26 (1888), S. 695–699, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Pufendorf,_Esaias_von&oldid=- (Version vom 19. April 2024, 16:41 Uhr UTC)
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Pufendorf: Esaias P., Diplomat, ein älterer Bruder des berühmten Publicisten, entstammt dem Pfarrhause zu Dorf-Chemnitz in Kursachsen. Er wurde 1628 geboren. 1633 siedelte der Vater, Prediger Esaias P., nach Flöha über. Der Geist seines Hauses war der des bibelfesten Lutherthums jener Tage, wie er auch in den Vornamen der verschiedenen Glieder dieser alten Theologenfamilie, insbesondere in den Taufnamen der vier Söhne des Pfarrers: Esaias, Jeremias, Samuel, David seinen Ausdruck findet. Auf der Fürstenschule zu Grimma ausgezeichnet vorgebildet, wendete sich Esaias in Leipzig und Jena, der wortgläubigen Theologie entfremdet, dem Studium der Philosophie und den Alterthumswissenschaften zu. An letztgenannter Universität promovirte er 1650 mit einer Dissertation: „De Druidibus“. – Seine gelehrten Jugendarbeiten, umfassend: „De legibus Salicis“, „De Druidibus“, „De theologia Platonica“ sind von Johann Peter Ludewig herausgegeben. („Opuscula a iuvene lucabrata“. Halae Hermund. 1699. 8°.) Zugleich bethätigte er sich in Jena als Erzieher des jungen Grafen Otto Wilhelm Königsmark, eines Sohnes des aus dem dreißigjährigen Kriege her bekannten schwedischen Feldmarschalls. – Durch diese Verbindung erhielt Pufendorf’s Leben eine bestimmte Richtung. Nicht nur, daß er mit den regierenden Kreisen Schwedens bekannt wurde und zu Stockholm wie später auf Gesandtschaftsreisen in der Umgebung des Grafen mit der vornehmen Welt in Berührung kam, auch der Kanzler Axel Oxenstjerna und die Königin Christine ließen ihm ihre Gunst angedeihen und bewirkten, daß er selbst im Staatsdienste Verwendung fand. Die Rolle des diplomatischen Spions ward auch für diesen gewandten Streber, wie so häufig damals, die Vorschule weiterer Wirksamkeit. Unter Karl X. und unter der Reichsregentschaft während der Minderjährigkeit König Kar1’s XI. hat er dann selbständige, zunächst kleinere, weniger belangreiche Missionen verrichtet. – 1663 begegnet er als Legationssecretär in Königsberg. Während er hier über einige Veränderungen, den Postverkehr [696] betreffend, gegen den Großen Kurfürsten von Brandenburg Beschwerde zu erheben hatte, widerfuhr ihm, daß er von diesem ausgewiesen wurde (Rescript d. d. 15. Januar 1663), weil ihm bei den Verhandlungen die Bemerkung entschlüpft war, daß die Polen sich in die – damals obschwebenden – Streitigkeiten des Kurfürsten mit den preußischen Ständen einmischen würden; ein Wort übrigens, welches, wie der schwedische Reichskanzler beschwichtigend sagte, „mehr Thorheit als Malice enthalte und mehr Mitleid als Strafe verdiene“, denn der Secretär sei, ohne autorisirt zu sein, nicht fähig, dergleichen Reden zu führen. Daß der schwedische Agent unter den damaligen Verhältnissen in den Augen der preußischen Regierung kein gern gesehener Gast war, liegt auf der Hand. Der Kurfürst pflegte in solchem Falle keine Umstände zu machen; überdies war es nichts Unerhörtes, daß auf dem unterhöhlten Boden des vormaligen Ordenslandes fremde, namentlich schwedische Geschäftsträger sich als Conspiranten entpuppten (Urkunden und Actenstücke zur Geschichte des Kurf. Friedrich Wilhelm Bd. IX, 747). Um die Mitte der sechziger Jahre wirkte P. als Secretär bei der Gesandtschaft in Paris, allzeit bedacht auf das Prestige der Krone, welcher er sich gewidmet hatte, höchst empfindlich gegen verhaltenes Mißtrauen ihrer Verkleinerer (a. a. O. Bd. XI, 706). – In die Zeit der Verhandlungen, welche von der Triplealliance zum Aachener Frieden überleiten, gehört ein anziehendes Memorial seiner Hand an seinen König, das die Haltung und die Absichten der Mächte erläutert. – Später stieg er zum Range eines Raths bei der schwedischen Regierung in Bremen empor.

Esaias P. ist der rechte Typus des classisch gebildeten, anstelligen, geschmeidigen, vaterlandslosen Diplomaten des siebzehnten Jahrhunderts. Freilich der besseren Art. Während der bloße Glücksritter dient, wo er Brot bekommt, seine „Fortüne“ sucht, gleichviel wo: wendet auch in jener Zeit der bessere Staatsdiener die ganze Kraft an den ihm überwiesenen Auftrag und läßt seine Fähigkeiten spielen, auch wo es gilt, eine heikle Aufgabe – oft wider besseres Wissen und Gewissen – in einer den Tendenzen seiner Regierung entsprechenden Weise durchzuführen. Genau in dieser Lage befand sich P. So gleich auf dem westfälischen Kreistage zu Bielefeld im Sommer 1671, wo er als Deputirter für den Kreis die Reichsstandschaft Verden vertrat. Der Bielefelder Kreistag erscheint als die letzte innerdeutsche Ständeversammlung vor dem Ausbruch des großen französisch-holländischen Krieges, welche formell gegen die Machtentfaltung Frankreichs gerichtet, gerade durch die Minirarbeit französischer Agenten zu Falle kommt. Insofern gebührt ihr eine gewisse höhere Bedeutung. An dem Scheitern derselben trägt die Krone Schweden ihr Schuldtheil. Seit dem bremischen Kriege war Schwedens Ansehen in Deutschland gesunken. Die Politik der vormundschaftlichen Regierung, welche nach dem Willen des Reichskanzlers Magnus de la Gardie gelenkt wurde, erschöpfte sich in Zettelungen und Anläufen, die es auf Gewinnung eines Stützpunktes bei einer auswärtigen Macht abgesehen hatten, weil die eigenen Machtmittel daheim nicht mehr ausreichten. Durch die Eifersucht dieser Krone mit wurde die anfänglich vielversprechende Einigkeit unter den Kreisdirectoren zu Bielefeld gestört; das Votum ihres Abgesandten hatte sich gegen die Höhe des zur „Sicherstellung“ des Kreises geforderten Truppenquantums auszusprechen und trug dadurch mit dazu bei, daß die Versammlung am 20. August, ohne daß man etwas erreicht hätte, „vertagt“ d. h. aufgelöst auseinander ging (vergl. Droysen, Gesch. der Preußischen Politik III, 3, S. 245. 246). – Schwieriger und verantwortungsreicher war Pufendorf’s Negotiation am Kaiserhofe. Wie sie den Höhepunkt seiner diplomatischen Betriebsamkeit bezeichnet, so erwies sie sich zugleich als die unfruchtbarste seiner Sendungen. Sie zielte darauf ab, durch wirkliche Vollziehung des sogenannten [697] Basserode’schen Vergleichs einen engeren Zusammenschluß des Wiener und Stockholmer Cabinets zu schaffen. Aber sie gestaltete sich zu einer Bemühung peinvollster Art, als die Regierung der Königin-Regentin, mürbe gemacht durch die Umtriebe der französischen Diplomatie, an welcher sie selbst ihren Meister gefunden, am 14. April 1672 das folgenschwere Bündniß mit Frankreich eingegangen war und sich nun durch den Empfang ebenso ergiebiger wie unentbehrlicher Subsidien dem Könige Ludwig XIV. verpflichtet wußte. Alle die Vornahmen, die dieser Allianz entsprungen – einmal die Uebernahme der Mediation zwischen Frankreich und den Niederlanden im Januar 1673, dann wieder der Separatvertrag zwischen Brandenburg und Schweden vom 11. December 1673, endlich ein Jahr darauf der im stillen lange beabsichtigte und doch nichts weniger als planmäßig vollführte Einbruch in die Marken und der dann entbrennende Krieg, in den sich der waffenfrohe junge König verstrickt sah, ohne sich der Tragweite gerade dieser Unternehmung auch nur im mindesten bewußt zu sein – alle diese widerspruchsvollen, wunderlichen Maßregeln hatte P. als Gesandter zu rechtfertigen. Er sollte die Position Schwedens als nicht feindselig deduciren; er sollte dabei doch vom Kriege zu gunsten Hollands abrathen und die Ausdehnung desselben auf das deutsche Reich zu verhüten suchen. Freilich treffe er, so meint er von seinem Standpunkte aus höchst bezeichnend, „am Kaiserlichen Hofe nur verstockte Ohren, und wenn er endlich durchdringe, nur verkehrte und präoccupirte Sinnen; er wolle zwar fortfahren pro salute Germaniae zu predigen, aber er hoffe auf keine günstige Wendung“ (an den Pfalzgrafen Philipp Wilhelm von Neuburg d. d. 7. September 1674). Der brandenburgische Legationsrath v. Crockow buchte mit gewissenhafter Treue die Aeußerungen des Schweden. Bald heiße es in ernstem Tone: „I. Kaiserliche M. suchten eines Theils Frankreich zu abaissiren, anderen Theils eine Armee von 75 000 Mann auf fremde Kosten zu unterhalten. Wenn Sie es dahin brächten, wie denn solches wol möglich wäre, so wüßte die Krone Schweden wol, daß sie eo ipso Pommern und Bremen verloren hätte, und danach würde sie ihre Mesüres nehmen. Zudem so sei nicht zu vermuthen, daß Frankreich so große Summen Geldes vergeblich ausgeben werde“ (Worte Pufendorf’s v. Crockow an den Kurfürsten d. d. 27. September 1674); bald verlautete dem entgegen: die schwedischen Maßregeln seien „nicht in terminis einer Ruptur“. – Es ist klar, daß unter solchen Umständen P. unter der Diplomatie am Hofe Kaiser Leopold’s eine ziemlich unglückliche Figur abgab. Er war der Vertreter einer Macht, welche zehrend vom Ruhme vergangener Tage weder das Herz hatte, ihre Schwäche einzugestehen, noch die Kraft besaß, den Nachdruck anzuwenden, der ihre Prätensionen verwirklichen, ihrer Machtstellung Dauer verleihen konnte.

Anläßlich des Beginns der Feindseligkeiten abberufen – Graf Johann Oxenstjerna löste ihn ab – hat P. unter dem 28. März 1675 seinem Souverän einen umfänglichen Bericht abgestattet, der sich über die Politik der maßgebenden Kronen, insbesondere über die persönlichen Regungen und öffentlichen Ziele der Hofburg ausführlich ergeht und von der Einsicht und dem Umblick des Gesandten vollgültigen Beweis liefert. (Dieser Bericht, schon vorher bruchstückweise bekannt und verwerthet, ist unverkürzt herausgegeben von C. G. Helbig, Leipzig 1862.)

Eine Reihe von Gesandtschaften führte nach der Fehrbelliner Schlacht den bewährten Diplomaten mit der Instruction, nach Bundesgenossen zu spähen, an verschiedene deutsche Fürstensitze. 1675 verhandelte er in Neuburg, in München, in Hannover, 1676 am Dresdener Hofe und bei dem Magdeburgischen Administrator August in Halle. Immer handelte es sich um Anbahnung eines Einverständnisses mit einzelnen deutschen Reichsständen im Sinne der kriegerischen [698] Absichten Schwedens. 1678 – das Project einer wittelsbachischen Hausunion unter dem Protectorate Schwedens gehört in diesen Zusammenhang – erschien er zum zweiten Male an dem verwandten Wittelsbacher Hofe zu München, um einen Allianzvertrag bemüht; dann nach einer Rundreise durch die süddeutschen Residenzen wiederum in Leipzig, Kursachsen zu ähnlicher Abmachung zu bestimmen. 1679 war er, gelegentlich der Präliminarien zum großen Universalfrieden, in Celle, obschon ohne activen Antheil, gegenwärtig, als Ludwig XIV. hier mit einem deutschen Gegner Schwedens, den Gliedern des Hauses Braunschweig, am 26. Januar für Schweden Frieden machte. Dahin war es gekommen. Der Dominat Frankreichs war bereits so überwiegend, daß auch der endgültige Friede zu Nymwegen – dies freilich nicht zur Freude des schwedischen Königs – durch das Vorwalten des französischen Einflusses unter vortheilhaften Bedingungen für Schweden abgeschlossen wurde. Pufendorf’s Missionen hatten zu diesen äußeren Erfolgen nicht beigetragen. Daß von den deutschen Reichsfürsten nichts zu hoffen war, ergab sich aus der Natur der Verhältnisse. Der Gesandte hatte seine Sondirungsversuche ausgeführt, wie sie ihm oblagen. Konnte er wissen, daß er hier im Grunde einer verlorenen Sache diente? Im ganzen betrachtet, giebt er sich als ein leistungsfähiges Organ der Politik de la Gardie’s zu erkennen, ohne daß seine eigenen Aeußerungen auf eine specifisch deutschfeindliche Gesinnung schließen ließen. – Mittlerweile hatte ihm die Kanzlerwürde im Herzogthum Bremen seine Mühewaltung belohnt.

Voraussichtlich würde er in dieser ehrenvollen Stellung seine Tage beschlossen haben, wenn ihn nicht, wie es heißt, der Haß mißgünstiger Gegner zu weichen gezwungen hätte. Wenn diese Aussage einen Sinn hat, so kann sie mit innerer Wahrscheinlichkeit nur auf den Umschlag der schwedischen Staatsleitung bezogen werden. Mit dem Abschluß des Nymweger Friedens, mit dem Sturz des Reichskanzlers Magnus de la Gardie, mit der selbständigen Haltung des glänzenden jungen Königs, der aus dem deutschen Kampfe als ein Anderer hervorgegangen war und sich nun nach innen als trefflicher Herrscher entfaltete, schlug die Politik Schwedens eine Bahn ein, welche sich bei der Zerfahrenheit des bisherigen Regiments nicht hatte betreten lassen – die Epoche des abenteuerlichen Tastens war beendet, eine neue Zeit voll Kraft und innerer Festigkeit brach herein. P. verließ den schwedischen Staatsdienst für immer.

Erst eine tiefergehende Actenforschung kann speciell über diesen Dienstwechsel helleres Licht verbreiten. Wir müssen uns hier mit der Notiz begnügen, daß der Bremische Kanzler sich nach Kopenhagen wandte und Aufnahme fand. König Christian V., der Schwager, aber in vielen Stücken ein Gegner Karl’s XI., schickte ihn 1686 als dänischen Gesandten an den Regensburger Reichstag, und hier auf deutschem Boden, wenn auch in fremdem Solde, hat der Vaterlandslose schon nach wenig Jahren – 61 Jahre alt – das Zeitliche gesegnet. „Diese Nacht“, so meldet d. d. Regensburg, 5. September 1689 der brandenburgische Gesandte v. Danckelman an den Kurfürsten Friedrich, „ist der Königlich Dänische Minister Pufendorf ganz unvermuthet Todes verblichen. Man hat zwar die Krankheit für gefährlich geachtet, jedoch nicht vermeinet, daß der Fall noch so nahe wäre, und annoch in der Hoffnung gestunden, mit einiger anders woher erwartender Arznei denselben zu erhalten. Es hat die Wittib mir den Trauerfall sogleich notificiren lassen und … mich ihrer anzunehmen und mit gutem Rath beizustehen gebeten.“ Dieser Bitte willfahrte Danckelman. Da er zugleich für Dänemark am Reichstage das Votum für Holstein-Glückstadt führte, so war er Pufendorf’s College gewesen und hatte mit diesem nähere Gemeinschaft unterhalten.

[699] Das ist in den Hauptzügen der Lebensgang eines Mannes, über den mehr zu erfahren sich lohnte. Er bedeutet etwas in der Geschichte der schwedischen Diplomatie, ganz besonders der kritischen Epoche zwischen dem Aachener und Nymweger Frieden und erweckt doch auch über seine Geschäftsführung hinaus eine gewisse menschliche Theilnahme. Indeß erst ein in größerer Ausdehnung zugängliches Actenmaterial würde das Bild zu füllen und auszurunden im Stande sein, welches hier nur in den Hauptstrichen gezeichnet werden konnte.

Acten aus dem Berliner Geh. Staatsarchiv. Die Erträge hierauf bezüglicher Forschungen aus dem königl. baierischen Staatsarchiv zu München hat K. Th. Heigel niedergelegt in seiner schönen Abhandlung: Das Project einer Wittelsbachischen Hausunion unter schwedischem Protectorat (in Quellen und Abhandlungen zur neueren Geschichte Bayerns, München 1884, S. 1–50). – Die gedruckte Litteratur am besten in der Einleitung zu: Severinus von Monzambano, Ueber die Verfassung des deutschen Reiches. Uebersetzt von Harry Breßlau. Berlin 1870.[1]

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 699. Z. 15 v. o. hinzuzufügen: Nemeitz, Gedanken über allerhand Materien I, 60 ff. – Jahrb. des Vereins für Geschichte der Herzogthümer Bremen und Verden IV, 415 ff.; V, 466 ff. [Bd. 33, S. 797]