ADB:Pufendorf, Samuel Freiherr von

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Pufendorf, Samuel“ von Harry Breßlau in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 26 (1888), S. 701–708, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Pufendorf,_Samuel_Freiherr_von&oldid=- (Version vom 19. März 2024, 09:50 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Band 26 (1888), S. 701–708 (Quelle).
Samuel von Pufendorf bei Wikisource
Samuel von Pufendorf in der Wikipedia
Samuel von Pufendorf in Wikidata
GND-Nummer 118597051
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|26|701|708|Pufendorf, Samuel|Harry Breßlau|ADB:Pufendorf, Samuel Freiherr von}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118597051}}    

Pufendorf: Samuel P., geb. am 8. Januar 1632 zu Dorf-Chemnitz in der Grafschaft Meißen, † am 16. October 1694 zu Berlin, stammt aus einer Familie, deren Glieder seit fast einem Jahrhundert sich der lutherischen Theologie gewidmet hatten. Der dritte von vier Söhnen eines wenig bemittelten Vaters, empfing Samuel seinen ersten Unterricht im Hause des letzteren, der 1633 nach Flöha, vier Meilen von Chemnitz, versetzt wurde; erst die Unterstützung eines wohlwollenden und begüterten Edelmanns ermöglichte es dem armen Pfarrer, den begabten Knaben mit seinem vier Jahre älteren Bruder Esaias auf die altberühmte Fürstenschule zu Grimma zu senden. In den Zwang der klösterlichen Lebensordnung der hier herrschte, mag P. sich nicht eben schwer gefügt haben; aber die geistlose Methode des Unterrichts mit ihren Grammatiken, Rhetoriken, und Logiken und dergleichen „Bärenhäuterei“ vermochte ihn nicht zu befriedigen: „Gott gab mir zu Grimma ein“, schreibt er 1690 an seinen Bruder Jeremias, „daß ich denselben Quark fahren ließ und las sofort brave Autores, ungeachtet mir Mag. Brodkorb (der damalige Conrector) etlichemal Maulschellen darum gab. Aber durch diese Weise habe ich gleichwohl sehr befunden, es besser getroffen zu haben, als die so sich an den gemeinen Schlendrian hielten“. Auch bei anderer Gelegenheit sprach er noch in späten Jahren seine Befriedigung darüber aus, daß er „in Zeiten autores Graecos und Latinos gelesen“: das sei es, was ihn am meisten gefördert habe.

So war P. mit einem größeren Schatz classischer Bildung ausgerüstet, als die Mehrzahl der Schulkameraden, die mit ihm das ehrwürdige Gymnasium Grimmense verließen, um auf der Universität Leipzig, der Hochburg unerschütterter lutherischer Rechtgläubigkeit, ihre Studien fortzusetzen. Es verstand sich nach den Traditionen der Familie von selbst, daß Samuel Theologie studiren sollte; aber ihm sowenig wie vor ihm seinem Bruder Esaias konnte die dogmatische Beschränktheit der damaligen Leipziger Theologie, die im Parteigezänk des synkretistischen Streits ihre höchste Aufgabe erblickte, innerlich genügen. So kehrte er, dem Beispiel des Bruders folgend, schon nach kurzer Zeit der Theologie den Rücken und wandte sich juristischen, philologischen, philosophischen und historischen Studien zu, lernte dann in Jena, wohin er 1656 übersiedelte, unter der Leitung des geistvollen Mathematikers Erhard Weigel, die demonstrative Methode des Cartesius kennen und anwenden und wurde in die Schriften des Hugo Grotius und Hobbes eingeführt. Nur um so mehr widerte ihn der Formelkram der zünftigen Gelehrsamkeit seiner Zeit an: er hatte anfangs beabsichtigt, keinen der akademischen Grade zu erwerben, und erst das dringende Zureden Weigels vermochte ihn, sich in Jena den Magisterhut aufsetzen zu lassen; Doctor juris aber hat er nie werden wollen.

Es ist begreiflich, daß es diesem Manne unter solchen Umständen nicht gelang, als er 1658 nach Leipzig zurückkehrte, eine Anstellung zu finden. Er [702] hat es an Bemühungen nicht fehlen lassen; allein alles blieb vergeblich: er konnte der Sache mit glänzendem Metall keinen Nachdruck geben, wie einer seiner Biographen versichert. Da half ihm der Bruder Esaias (s. o.). Der hatte längst die deutsche Heimath verlassen, in der vornehme Protection alles bedeutete und im Auslande den Weg gefunden, sein Glück zu machen. Mit einem Grafen Königsmark, dessen Erzieher er geworden war, auf Reisen gegangen, durch ihn der Königin von Schweden empfohlen, war er selbst in den diplomatischen Dienst der nordischen Krone getreten: anfangs in untergeordneter Stellung, halb ein Spion, schwang er sich allmählich durch seine Gewandtheit und Welterfahrenheit zu immer einflußreicheren und ehrenvolleren Aemtern empor. Seine Vermittelung verschaffte Samuel im April 1658 eine Anstellung als Hauslehrer bei dem Ritter Peter Julius Coyet, damals schwedischem Gesandten in Kopenhagen. Der bald nach Antritt dieses Amts erfolgte Bruch zwischen Schweden und Dänemark zog P. zwar eine achtmonatliche Haft in dänischer Gefangenschaft zu, sicherte ihm aber die Dankbarkeit Coyet’s, den er, im Frühjahr 1659 aus der Haft entlassen, nach Holland begleitete.

Hier nun auf dem glücklichen Boden wissenschaftlicher Freiheit, betrat er zuerst die schriftstellerische Laufbahn. Zwei sorgfältige Ausgaben von Laurenberg’s Graecia antiqua (Amsterdam 1660) und Meursius' Miscellanea laconica (Amsterdam 1661) bekundeten eine gründliche philologische Bildung – das Werkchen aber, das über seine Zukunft entschied, waren die drei Bücher Elementorum jurisprudentiae universalis, die er im J. 1660 im Haag erschienen ließ. Die Schrift war eine Frucht der dänischen Gefangenschaft, während deren man P. alle Bücher entzogen hatte. Da hatte er in stiller Einsamkeit die Gedanken von Grotius und Hobbes noch einmal durchdacht; manches hinzugefügt, anderes geändert: aus den hier gemachten Aufzeichnungen ist seine erste rechtsphilosophische Schrift – für Deutschland der erste Versuch ein bloß auf die Vernunft begründetes System des natürlichen Rechtes aufzustellen und deshalb mehr als durch die Art der Ausführung bemerkenswerth – hervorgegangen. P. hatte die Elementa dem geistreichen Kurfürsten Karl Ludwig von der Pfalz gewidmet, und sie müssen auf diesen, der eben damals alles daran setzte, der alten Heidelberger Universität neuen Glanz zu verleihen, einen bedeutenden Eindruck gemacht haben; er bot dem jungen Gelehrten eine Professur des römischen Rechtes an und schuf sogar, als jener den Ruf ablehnte – er halte es für kein sonderliches Verdienst zu neunhundertneunundneunzig Institutionen-Commentaren den tausendsten hinzuzufügen – für ihn bei der philosophischen Facultät einen eigenen Lehrstuhl des Naturrechts – den ersten der für die neue Disciplin in Deutschland gegründet wurde.

Von 1661–1668 hat P. als Lehrer an der pfälzischen Universität eine sehr bedeutende und folgenreiche Wirksamkeit entfaltet. Litterarisch ist er in diesen Jahren nicht eben sehr productiv gewesen, aber unter dem was er gab, ist ist die bedeutendste politisch-publicistische Schrift, die Deutschland im 17. Jahrhundert hervorgebracht hat. Eine Art von Vorläufer derselben war die Abhandlung „De Philippo Amyntae filio“ (abgedruckt in Dissertationes academicae selectiores, Uppsalae 1677, S. 86 ff.), eine Dissertation, bei der Wilhelm Julius Coyet, wahrscheinlich ein Sohn des Gesandten, der jetzt in Heidelberg studirte, als Respondent fungirte; sie ist besonders darum bemerkenswerth, weil sie in ihren §§ 3–16 bei Gelegenheit einer Untersuchung über die Regierungsform Macedoniens jene Theorie von der respublica irregularis zuerst aufstellte, die, später von P. auf die deutschen Verhältnisse angewandt, bei den Staatsrechtslehrern der herrschenden Schule soviel Anstoß erregen sollte. Die Hauptschrift aber führt den pseudonymen Titel: „Severini de Monzambano Veronensis de [703] statu imperii germanici ad Laelium fratrem dominum Trezolani liber unus“ (Genevae 1667) und wurde, nachdem Versuche das Erscheinen derselben in Deutschland oder Frankreich zu bewirken vergeblich geblieben waren, nicht in Genf, wie das Titelblatt sagt, sondern im Haag gedruckt. Unter der Maske eines vornehmen Italieners, der seinem Bruder über die Erlebnisse und Erfahrungen einer längeren Reise durch Deutschland berichtet, entwirft P. in den ersten fünf Capiteln ein auf gründlichen historischen und staatsrechtlichen Studien beruhendes, wenn auch nicht in allen Theilen zutreffendes, so doch überall von ungemeinem Scharfblick, treuer Beobachtungsgabe, unbefangener Freiheit von den herrschenden Vorurtheilen der Zeit und seltener Klarheit des Geistes zeugendes Bild von der deutschen Verfassung und ihrer Geschichte. So sehr dasselbe auch in manchen Beziehungen auf den Arbeiten der Vorgänger, namentlich Conring’s, beruhte, so unterscheidet es sich doch in seinem Gesammteindruck von allen damals vielgelesenen Büchern über die hochgepriesene und vielbewunderte Verfassung des Reiches auf das schärfste. Unbarmherzig, mit überlegener Ironie und kühler Nüchternheit, mit bitterem Spott, der aber doch überall von inniger Vaterlandsliebe zeugt, wird hier das trügerische und lügenhafte Gewölk von Phrasen, mit denen die damalige Reichspublicistik die deutschen Zustände zu verhüllen liebte, durchlöchert und zerrissen; und in erschreckender Nacktheit treten die verkommenen und verrotteten Zustände ans Licht, in denen sich das officielle Leben der deutschen Nation bewegte. An diese historische Darlegung knüpft sich dann im sechsten Capitel eine kritische Untersuchung über die Staatsform des Reiches, die in dem alle Professores juris publici aufs heftigste erschreckenden Satze gipfelt, daß dasselbe weder eine Demokratie, noch eine Aristokratie, noch eine Monarchie sei, daß es auch keine gemischte Staatsform im Sinne der aristotelischen Politik oder neuerer Schriftsteller besitze, sondern daß es ein unregelmäßiges Staatsgebilde sei, wie es auf Erden kein zweites gebe – ein corpus tantum non monstro simile. Daran schließt sich im 7. Capitel eine glänzend geschriebene Uebersicht über Deutschlands Machtmittel und die Ursachen seiner trotzdem schmerzlich zu Tage liegenden politischen Ohnmacht, worauf dann im 8. Capitel Vorschläge zur Besserung seiner inneren Zustände folgen, die freilich den Verfasser selbst kaum zu befriedigen vermocht haben werden.

Die Schrift Pufendorf’s, deren Verfasser erst nach einiger Zeit bekannt wurde, machte den allergrößten Eindruck. Ist es auch neuerdings gezeigt worden, daß seine Lehre von der Monstrosität der Reichsverfassung nicht sowohl ein Product seiner historischen Studien als vielmehr eine Consequenz seiner theoretischen staatsrechtlichen Anschauungen, seines starr ausgebildeten Souveränetätsbegriffes war, daß sogar umgekehrt seine historische Auffassung in einem Kernpunkte durch diese Theorie entschieden beeinflußt worden ist, so ist doch dies Verhältniß von den Zeitgenossen unter den Staatsrechtslehrern und Politikern kaum beachtet worden. Für sie war die Behauptung der Monstrosität der Verfassung, von deren Erklärung und Bewunderung sie lebten, ein tötlicher Schlag; daß jede einzelne der Theorieen, zu denen sie sich bekannten als gleich unhaltbar nachgewiesen war, konnten sie nicht verwinden. Das ist die bedeutendste Wirkung des Buches; so sehr seine positiven Ausführungen der Kritik unterliegen, so unverkennbar ist es, daß die gründliche Zertrümmerung der bis dahin herrschenden selbstzufriedenen Theorieen über die deutschen Zustände, die sein Verdienst ist, die nothwendige Vorbedingung einer freilich von ganz anderen Voraussetzungen ausgehenden Gesundung derselben war.

Der Monzambano wurde durch die kaiserliche Censur verboten und nur um so eifriger nachgedruckt und gelesen. In tausenden von Exemplaren ward er verbreitet; Uebersetzungen ins Deutsche, Französische, Englische, Holländische haben [704] ihn den weitesten Kreisen zugänglich gemacht. Die Polemik für und wider das Buch bildet eine eigene Litteratur für sich; die zahlreichen Angriffe gegen dasselbe wehrte der Verfasser in einer „Dissertatio de republica irregulari“ (Lund 1668), in der er seine theoretische Anschauung noch einmal im Zusammenhang begründete, mit überlegenem Witze ab. Seine eigene Schrift hat er selbst gegen das Ende seines Lebens noch einmal sorgfältig revidirt und überarbeitet, manches scharfe Wort abgeschwächt und gemildert, die Grundgedanken aber vollkommen aufrecht erhalten: dieser revidirte Text ist nach dem Tode des Verfassers für die Berliner Akademie 1706 von Paul Gundling herausgegeben worden.

Als P. jene Vertheidigung schrieb, war er schon nicht mehr in Heidelberg. Sein Verhältniß zu dem Kurfürsten war lange ein gutes gewesen; er hat für ihn in dem Wildfangsstreite eine Rechtsdeduction geschrieben und den Kurprinzen unterrichtet; das Manuscript zum Monzambano hat Karl Ludwig geprüft und gebilligt, ja selbst wahrscheinlich einige Beiträge dazu geliefert. Dann aber trat eine Trübung ein. Es hatte P. schon verdrossen, daß ihm bei der Besetzung der Professur für deutsches Staatsrecht ein anderer College vorgezogen worden war; dann verstimmte er den Kurfürsten durch ein schnelles Witzwort über eine Regierungsmaßregel desselben. So ward seine Stellung in Heidelberg unerquicklich, und ein Ruf an die schwedische Hochschule von Lund, wo man ihm unter glänzenden Bedingungen die Stellung eines Professor primarius des Naturrechts antrug, ward gern und schnell angenommen (1668).

Die zwanzig Jahre, während welcher P. demnächst in Schweden verweilte, sind wissenschaftlich ungemein productiv gewesen. Außer einer Anzahl kleinerer Abhandlungen, die in den „Dissertationes academicae selectiores“ (Upsala 1677) vereinigt wurden, sind hier seine bedeutendsten juristischen und sehr bedeutende historische Werke entstanden. 1672 erschien in Lund das große Hauptwerk „De jure naturae et gentium libri VIII“, 1673 folgte ebendaselbst, als eine Art von Auszug aus dem ersteren, die Schrift „De officio hominis et civis juxta legem naturalem libri duo“. Es sind die Schriften, welche für Deutschland auf lange hinaus das System des Naturrechts beherrschten und den nachhaltigsten Einfluß ausübten; ihre Wirkung ging aber über Deutschland hinaus, da sie in fast alle Sprachen Europas, u. a. auf Befehl Peters des Großen auch in das Russische übersetzt wurden. Wie klar auch heute unsere auf historischem Boden begründete Rechtswissenschaft die Gebrechen der abstracten Naturrechtslehre erkennt, so wird doch niemand die großen Verdienste in Abrede stellen, die sich ihre Vertreter, für Deutschland vor allem P., um die Entwickelung des politischen Denkens erworben haben. Es ist das größte derselben, daß sie die Rechtswissenschaft von der Dienstbarkeit, in welcher sie bisher von der Theologie gehalten worden war, für immer befreit haben; aber auch nach anderer Richtung hin ist ihre Lehre sehr wirksam gewesen: sie hat den fesselnden Zwang des Corpus juris gelöst, sie hat, wie es mit Recht gesagt worden ist, die Achtung vor der festen Rechtsordnung des Staates gegenüber tyrannischer Willkür gestärkt und verbreitet, sie hat gegen die mystische Verherrlichung des absoluten Fürstenthums eine Schranke gesetzt. Die ganze Politik des nächsten Jahrhunderts steht unter dem deutlich erkennbaren Einfluß dieser Theorieen, die nach Grotius niemand mannhafter vertreten hat als Samuel P.

Es verstand sich von selbst, daß die aufs empfindlichste angegriffene scholastische und theologische Orthodoxie die Position, in deren unerschüttertem Besitz sie bisher gewesen war, nicht ohne weiteres räumen mochte. Der heftigste litterarische Kampf erhob sich – ein Kampf, den P. für die Freiheit der wissenschaftlichen Forschung führte, in dem die Gegner alle Mittel, auch die der Lüge und Verläumdung anwandten, in dem aber der gerechten Sache der Sieg blieb. [705] Mochten auch die frommen Lunder Collegen zu einem Ketzergericht zusammentreten, mochten ihre deutschen Genossen in Jena und Straßburg, vor allem aber Leipzig und Wittenberg zetern und poltern: die Stockholmer Regierung hielt ihre schützende Hand über dem hart angefeindeten Mann, und in der litterarischen Polemik blieb ihm unbestritten der Sieg. In zahlreichen Streitschriften, bald mit sittlichem Ernst, bald mit übermüthiger Laune, bald mit göttlicher Grobheit, immer voll Witz und sprudelnden Geistes führte er seine Sache. Wären sie nicht durch das lateinische Gewand dem Volke unzugänglich geblieben, so würden diese Streitschriften den Lessing’schen fast an die Seite gestellt werden können. Sie sind später gesammelt in der „Eris Scandica, qua adversus libros de jure naturali et gentium objecta diluuntur“ (Frankfurt 1686) herausgegeben worden.

Inzwischen hatte P. auch auf dem Gebiete der Geschichtsschreibung neue Lorbeeren zu ernten begonnen. 1677 war er nach der Besetzung Lunds durch die Dänen nach Stockholm berufen und zu dem durch den Tod des Loccenius erledigten Amt eines königlichen Historiographen befördert, gleichzeitig auch zum Staatssecretär und Geheimrath ernannt worden. An den Geschäften hat er wol wenig Antheil gehabt; wir kennen von ihm nur eine 1680 verfaßte lateinische Denkschrift „Ueber die Bündnisse zwischen Frankreich und Schweden“ (gedruckt in französischer Uebersetzung im Haag 1709), die zur Lösung der verderblichen Verbindung Schwedens mit Frankreich räth und auf die Wendung der schwedischen Politik nach dem Nimweger Frieden nicht ohne Einfluß geblieben sein mag. Viel umfassender war seine historiographische Thätigkeit. Schon 1682 erschien in Frankfurt der erste Theil seiner Einleitung zu der „Historie der vornehmsten Staaten und Reiche so jetziger Zeit in Europa sich finden“, deren 12. Capitel über die geistliche Monarchie des Papstes der Verfasser schon 1674 pseudonym herausgegeben hatte und der 1686 ein zweiter Theil folgte *). Hervorgegangen aus Vorlesungen, die P. in Lund gehalten hatte, und bestimmt zur Ausbildung junger Staatsmänner, legt sie naturgemäß das Hauptgewicht auf die neuere Geschichte, die in Verbindung mit Staatenkunde in lehrhafter Weise vorgetragen wird. Das Buch ist für den Universitätsunterricht von nachhaltiger Bedeutung gewesen, wird aber an wissenschaftlicher Bedeutung weit übertroffen von den großen Werken „Commentariorum de rebus Suecicis libri XXVI ab expeditione Gustavi Adolphi in Germaniam ad abdicationem usque Christinae“ (Utrecht 1686) und „De rebus a Carolo Gustavo Sueciae rege gestis commentariorum libri VIII“ (Nürnberg 1696), welches letztere schon 1688 vollendet war, aber erst nach dem Tode des Verfassers veröffentlicht wurde. Bis 1650 schließt sich P. in dieser schwedischen Geschichte wesentlich an Boguslav Philipp Chemnitz’ „Geschichte des Schwedischen in Teutschland geführten Krieges“ an, dessen ungedruckt gebliebener letzter Theil ihm im Stockholmer Archiv zur Verfügung gestellt wurde; von da ab beruht seine Darstellung so gut wie ausschließlich auf den schwedischen archivalischen Acten. Sie wird dadurch naturgemäß einseitig, ist aber in dieser Einseitigkeit vollkommen zuverlässig. Der Verfasser erzählt nur, was seine actenmäßigen schwedischen Quellen über Kriege und diplomatische Verhandlungen und große Staatsactionen berichten (die innere Entwicklung bleibt so gut wie unberücksichtigt). Dies aber erzählt er vollkommen getreu, in würdevollem und gemessenem Stil, mit unbefangen freimüthigem Urtheil – eine Art der Geschichtsschreibung, wie sie damals völlig neu erschien und allgemeine Bewunderung erregte.

[706] Kaum war die Geschichte Karl Gustavs vollendet, so verließ P. den schwedischen Boden, auf dem er sich seit dem Aufgeben seiner behaglichen und einträglichen Professur in Lund nie mehr recht wohl gefühlt hatte. Seine materielle und sociale Stellung in Stockholm war ihm gleich wenig befriedigend, und wenn er 1684 noch gezögert hatte, auf Unterhandlungen, die der große Kurfürst wegen seiner Uebersiedelung nach Berlin mit ihm anknüpfen ließ, einzugehen: als das Anerbieten 1686 wiederholt wurde, war er entschlossen dasselbe anzunehmen, Im Sommer gab er die Zusage; am 29. Januar 1687 erhielt er seine Entlassung in Schweden, traf aber erst im Februar 1688, da man seine Abreise unter allerhand Vorwänden noch fast um ein Jahr verzögert hatte, in Berlin ein, um die Stellung eines Historiographen und Hofraths mit einem Gehalt von 2000 Thalern zu übernehmen.

Schon 1687 hatte P. dem großen Kurfürsten seine merkwürdige kirchenpolitische Schrift „De habitu christianae religionis ad vitam civilem“ gewidmet, welche einerseits die Hoheit des Staats über die Kirche, andererseits das Recht des Einzelnen auf Gewissensfreiheit verfocht, und welche in der Zeit der lebhaften Erregung der Geister nach dem Widerruf des Edicts von Nantes und der Hugenottenverfolgung in Frankreich den mächtigsten Eindruck gemacht hat. Ob er dann dem großen Fürsten noch näher getreten ist, muß dahingestellt bleiben: wenige Monate nach seiner Ankunft in Berlin starb Friedrich Wilhelm, und P. erhielt von dem Nachfolger den Auftrag, die Geschichte des Gründers der preußischen Macht zu schreiben.

Schon im J. 1693 war das große Werk soweit vollendet, daß Verhandhandlungen über die Herausgabe mit dem Verleger angeknüpft werden konnten; publicirt ist es erst zwei Jahre später, nach des Verfassers Tode, unter dem Titel: „De rebus gestis Friderici Wilhelmi Magni electoris Brandenburgici Commentariorum libri novendecem“ (Berlin 1695). Das Werk, das gleich bei seinem Erscheinen die abweichendste Beurtheilung erfahren hat, in neuerer Zeit aber allgemein und mit Recht als die bedeutendste historische Arbeit Pufendorf’s angesehen wird, beschränkt sich wie die Geschichte Karl Gustav’s wiederum lediglich auf die Darstellung der auswärtigen Politik und hält sich für diese ebenso ausschließlich an die brandenburgischen Acten wie jene an die schwedischen. Auf die daraus sich mit Nothwendigkeit ergebenden Mängel dieser Geschichtsschreibung brauchen wir nicht hinzuweisen: abgesehen von denselben verdient Pufendorf’s Friedrich Wilhelm trotz einiger Ungenauigkeiten im einzelnen vollkommen die Anerkennung, daß es das Werk „eines Geschichtsschreibers im großen Stile sei, eine in hohem Maße würdige Darstellung des großen Fürsten von dem es handelt“. Für dessen Genialität hatte P. ein volles Verständniß; darum steigert sich sein Ton nicht selten zu größerer Wärme als in den schwedischen Werken; es fehlte ihm offenbar nicht an Empfindung dafür, daß die Politik Friedrich Wilhelm’s, so particularistisch sie oft erscheinen mochte, im Grunde doch die nationale Politik war. Und er schrieb, gleich als ob er deutlich erkannt hätte, daß die Bewunderung dieser Politik nur zunehmen könne, je genauer man sie kennen lerne; darum hielt er nichts zurück, was er in den Acten fand, mochte auch Leibniz in Hannover im Bunde mit den Perrücken des Regensburger Reichstages über diese Eröffnung der „arcana politica“ des brandenburgischen Hofes gleich aufgebracht und befremdet sein. Sein Werk ist in Wirklichkeit, wie schon der alte Küster es genannt hat, ein „monumentum aere perennius“; denn wie viel auch unsere Erkenntniß zahlreicher Einzelheiten über P. hinausgeht, für unsere Gesammtauffassung der auswärtigen Politik des großen Kurfürsten ist seine Darstellung bis auf den heutigen Tag bestimmend geblieben.

Auch Friedrich III. war von derselben in hohem Grade befriedigt; er ordnete [707] ihre Uebersetzung ins Französische und Deutsche an, machte dem Verfasser ein glänzendes Geschenk und befahl demselben nunmehr die Geschichte seiner eigenen Regierung zu schreiben. Davon hat P. nur noch drei Bücher mehr entworfen als vollendet, deren Veröffentlichung, da bald nach dem Tode des Verfassers auf den Sturz seines Gönners und Freundes Danckelmann ein beklagenswerther Umschwung der preußischen Politik erfolgte und eine Geschichtsschreibung wie die seine mißliebig werden mußte, unterblieb. Erst 1784 hat der Minister Friedrich’s II. Graf Hertzberg, einer der wenigen Männer die im 18. Jahrhundert die Größe Pufendorf’s zu verstehen vermochten, dieselben unter dem Titel „De rebus gestis Friderici tertii fragmentum posthumum“ herausgegeben; sie haben damals wenig Eindruck mehr hervorzubringen vermocht.

P. selbst hat in seinen letzten Jahren neben diesen historischen Arbeiten sich noch mit ganz andersartigen Gedanken beschäftigt. Ihre Frucht war das Buch „Jus feciale divinum sive de consensu et dissensu protestantium“, das er abgeschlossen hinterließ, und das auf seinen ausdrücklichen Wunsch aus seinem Nachlaß herausgegeben wurde. Es ist der große Gedanke der evangelischen Union, für den P. hier eintritt; der freilich auf dem Wege, welchen er selbst im Auge hatte und in der Art, wie er wünschte, nicht zu verwirklichen war.

Im J. 1694 hat P., der ebendamals von Karl XI. von Schweden in den Freiherrnstand erhoben wurde, noch einmal eine Reise nach Stockholm unternommen, um das Manuscript seiner Geschichte Karl Gustav’s zum Zweck der Herausgabe zurückzuempfangen. Seine Rückkehr überlebte er nicht mehr lange; er hatte einen Leichdorn oder einen Nagel am Fuße zu tief geschnitten; eine Entzündung trat hinzu. So starb er am 16. October 1694 bei noch ungebrochener Kraft, in noch nicht vollendetem 63. Lebensjahre. Sein Leichnam wurde in der Nicolaikirche in Berlin beigesetzt: die Inschrift auf dem Grabstein spricht von seinem Ruhm, der über den ganzen Erdkreis fliegt. Aber das nächste Jahrhundert hat die Größe des Mannes vergessen, es konnte kaum ein Verständniß für sie haben, und erst unsere Zeit ist ihm wieder gerecht geworden. Kein Polyhistor wie Conring oder Leibnitz, steht P. an Umfang des Wissens und Vielseitigkeit der Talente hinter beiden zurück; aber auf den Gebieten, denen er seine unermüdliche Arbeitskraft zugewandt hatte, hat er genialer gewaltet als jene; und hoch über ihr emsiges Bemühen, durch Liebenswürdigkeit und Nachgiebigkeit, bisweilen auch durch das Opfer der eigenen Ueberzeugung das Wohlwollen der Mächtigen und die Gunst der Höfe zu gewinnen, stellt den trotzigschroffen Samuel P. sein nie wankend gewordenes Streben der Wahrheit, wie er sie erkannte, und ihr allein zu dienen um der Wahrheit willen.

Eine sehr geistlose Biographie Pufendorf’s von P. H. Adlemannsthal, die aber wegen der Dürftigkeit unserer Quellen nicht unbrauchbar ist und in der besonders die litterarischen Fehden sehr ausführlich erzählt werden, steht hinter der deutschen Uebersetzung des Monzambano (Samuels Freiherrn von Pufendorf kurtzer doch gründlicher Bericht von dem Zustande des H. R. Reichs Teutscher Nation, Leipzig 1710, zweite Auflage Leipzig 1715). Werthvolle Mittheilungen über sein Leben auch in den hallischen Acta Philosophorum, 18. Stück, sowie in der Hamburger Bibl. hist. Cent. X. – Vgl. Breßlau in der Einleitung zur deutschen Uebersetzung des Monzambano (Berlin 1870), woselbst S. 15 ff. auch eine Uebersicht über die Ausgaben, Uebersetzungen, Commentare zum Monzambano und über die sonstige sich daran anschließende Litteratur gegeben ist. – Droysen. Zur Kritik Pufendorf’s in den Berichten der sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften (Phil.-hist. Classe 1864), wieder gedruckt in den Abhandlungen zur neueren Geschichte, Leipzig 1876. – Franklin, Das deutsche Reich nach Severinus von Monzambano (Greifswald [708] 1872). – Treitschke, Samuel P. in den Preußischen Jahrbüchern Bd. 35. 36. – Jastrow, Pufendorf’s Lehre von der Monstrosität der Reichsverfassung (Berlin 1882, auch in der Zeitschr. für preuß. Gesch. und Landeskunde, 1882).

[705] *) Der dritte und vierte Theil, die sich als Fortsetzungen zu Pufendorf’s Einleitung geben, rühren von anderen Verfassern her.