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Artikel „Conring, Hermann“ von Harry Breßlau in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 4 (1876), S. 446–451, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Conring,_Hermann&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 05:25 Uhr UTC)
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Conring: Hermann C., geb. zu Norden in Ostfriesland den 9. Novbr. 1606, † zu Helmstedt den 12. Decbr. (nicht September) 1681. Die Familie Conring’s stammt aus den Niederlanden: sein Großvater, Johannes C., war zur Zeit der religiösen Verfolgungen von dorther nach Ostfriesland ausgewandert, sein Vater, Hermann C., war evangelischer Pfarrer zu Norden; ihm wurde Hermann als neuntes Kind geboren. Im Alter von fünf Jahren ward C. von einer schweren Krankheit ergriffen, an deren Folgen er lange zu leiden hatte; ihr wird es zuzuschreiben sein, daß er in der körperlichen Entwicklung zurückblieb, und, obgleich er ein hohes Alter erreicht hat, doch nicht den Eindruck eines kräftigen Mannes machte. Er war darum auch erst in seinem siebenten Jahre – für jene Zeit sehr spät – in die lateinische Schule seiner Geburtsstadt geschickt worden, aber sein Geist, dem so lange Ruhe gewährt war, entfaltete sich nun nur um so reicher und glänzender. Wir sind über den Gang seiner Jugendbildung schlecht unterrichtet: wir wissen nur, daß er in seinem 14. Jahre ein satirisches Gedicht – natürlich in lateinischer Sprache – auf die gekrönten Poeten verfaßte, welches zufällig, vielleicht durch Vermittlung eines Bruders von C., der in Helmstedt studirt hatte, in die Hände des dortigen Professors der Philosophie, Cornelius Martini, fiel und diesen auf den jungen Dichter aufmerksam machte. Martini richtete an die Eltern desselben ein Schreiben, worin er sie ersuchte, ihren Sohn seiner weiteren Erziehung anzuvertrauen; so kam C. 1620 nach Helmstedt und wurde 25. Oct. d. J. akademischer Bürger der Julius-Universität daselbst, deren größte Zierde er später geworden ist. Bis zu Martini’s Tode blieb er in dessen Hause und zog dann zu dem Professor der Geschichte und der griechischen Sprache, Rudolf Diephold. Abgesehen von mehreren, durch die Kriegsläufte hervorgebrachten Unterbrechungen, verweilte er fünf Jahre in Helmstedt; insbesondere philologische und philosophische Studien beschäftigten ihn, mit besonderem Eifer wandte er sich den Schriften des Aristoteles zu. Als die Stürme des 30jährigen Krieges den braunschweigischen Landen näher und näher kamen, Helmstedt fast verödete, so daß das Gras in seinen Straßen wuchs, und der Lärm der Waffen die ruhige Sammlung der Geister, welche die erste Bedingung gelehrter Beschäftigung ist, nicht mehr zuließ, begab sich C. nach Leyden, „dem niederländischen Athen“. Vorzugsweise theologische Fragen scheinen ihn hier gefesselt zu haben; es ist wahrscheinlich, daß die Anregungen, die er im elterlichen Hause empfangen hat, auf ihn einwirkten: auch sein Großvater mütterlicher Seite war Pfarrer in Delft und sein älterer Bruder bekleidete später das gleiche Amt in Utrecht. C. neigte sich den Lehrsätzen der Remonstranten zu, und es ist ihm später nicht leicht geworden, die Dogmen der Augsburger Confession, zu welcher sich die braunschweigische Landeskirche bekannte, seinerseits anzuerkennen. Ganz hat er sich auch später nicht von [447] diesen Studien entfernt, mehrere Schriften über theologische Gegenstände, größtentheils polemischer Natur, hat er in Helmstedt verfaßt und in seinen Briefen kommt er gern und oft auf Fragen dieser Wissenschaft zu reden. Aber es scheint doch, daß seine frühere Antipathie gegen die lutherischen Glaubenssätze im Laufe der Zeit geschwunden ist, während er dagegen zum Katholicismus stets im allerausgesprochensten und entschiedensten Gegensatze gestanden hat. Gleichzeitig aber wandte er sich in Leyden aufs eifrigste dem Studium der Medicin zu; 1627 schon disputirte er „De calido innato“ und 1629 gab er anonym eine Schrift des Jacob Berengarius über Schädelbrüche heraus; er muß auch den Ruf eines tüchtigen Praktikers gehabt haben, da er schon 1630 (von wem, erfahren wir nicht) den ehrenvollen Antrag erhielt, als Arzt der in Paris lebenden Deutschen dorthin zu gehen. Er lehnte ihn ab, um Ende 1631 einem Rufe nach Helmstedt zu folgen, wo er die Erziehung eines vornehmen jungen Mannes – des Sohnes des damaligen braunschweigischen Kanzlers – übernahm und 1632 die Professur der Philosophia naturalis erhielt. Von nun an hat er die Julius-Universität nicht wieder verlassen, so glänzende Anerbietungen ihm auch zu wiederholten Malen gemacht sind. 1636 wurde er Doctor der Medicin und der Philosophie und vertauschte im gleichen Jahre die Professur der Naturphilosophie mit der der Medicin, wozu er später noch die zweite Professur der Politik übernahm. 1649 wurde er von der Fürstin Juliana von Ostfriesland in seine Heimath berufen und kehrte als Leibarzt und Geheimrath derselben nach Helmstedt zurück. Im folgenden Jahre lud ihn auf Veranlassung von Adler Salvius Königin Christine nach Schweden ein, auch sie verlieh ihm den Titel eines Leibarztes und Rathes, den ihm später Karl Gustav bestätigte. Wiederholt wurde er dann auch von Schweden und Ostfriesland zu praktischem Dienst verwandt, 1652 leitete er die Ordnung des schwedisch-bremischen Archivs zu Stade, und an den ostfriesischen Hof hat er häufige Reisen unternommen. Doch nachdem er 1661 auch von seinem Landesherrn, dem Herzog August von Braunschweig-Wolfenbüttel, zum Geheimrath ernannt war und sein Verhältniß zu Schweden mehrfach Verdacht erregte, löste er dasselbe und gab auch seine ostfriesische Stellung auf, wogegen er 1669 durch die Ernennung zum dänischen Etatsrath entschädigt wurde. Schon seit 1641 war C. mit einer Tochter des Juristen Johannes Stuck vermählt, und seine Ehe war mit 11 Kindern gesegnet, von denen sieben – ein Sohn und sechs Töchter – den Vater überlebten.

Neben einer ausgedehnten medicinischen Praxis und der gewissenhaften Erfüllung der Pflichten seines akademischen Berufs (er hielt medicinische, juristische und politische Vorlesungen und war auch mehrmals Rector und Decan), fand C. Muße zu einer staunenswerthen litterarischen Thätigkeit auf den verschiedensten Gebieten menschlichen Wissens.

Im Bereich der Medicin war eine Disputation über den Scorbut (1634) wol die erste eigene Arbeit, mit der er in Helmstedt hervortrat. Später erwarb er sich ein besonderes Verdienst, indem er die großartige und Epoche machende Entdeckung Harvey’s über den Kreislauf des Blutes aufs eifrigste verfocht: schon 1640 bekannte er sich zu dieser Ansicht, 1643 schrieb er in gleichem Sinne ein Buch: „De sanguinis generatione et mota naturali“ und 1646 veranstaltete er eine zweite Ausgabe desselben in Leyden. Während er hierdurch und gleichzeitig durch häufige anatomische Demonstrationen und durch Betonung des Werthes chemischer Untersuchungen sich als einen Anhänger der neuen Richtung der Medicin kundgab, welche diese Wissenschaft auf ausschließlich naturwissenschaftlicher Grundlage zu begründen strebte, bekämpfte er die älteren mystischen Theorien in seiner gegen die Paracelsiker gerichteten Schrift „De hermetica Aegyptiorum vetere et nova Paracelsicorum medicina“ (zuerst 1648, 2. Aufl. [448] 1669). Eine Einleitung in das Studium der Medicin („Introductio in artem medicam“) hat C. schon 1654 publicirt; nach seinem Tode hat Schelhammer, später Professor der Medicin in Kiel, eine zweite Auflage derselben besorgt (Helmstedt 1687). Folgenreicher und bedeutender als Conring’s medicinische Schriften war seine schriftstellerische Wirksamkeit auf den Gebieten der Nationalökonomie und Statistik, der Geschichte und des Rechts. In ersterer Beziehung ist er zuletzt von Roscher gewürdigt worden, der ihm in seiner Geschichte der Nationalökonomik ein eigenes, das 14. Capitel gewidmet hat. Erst verhältnißmäßig spät hat sich C. diesem Felde zugewandt, erst seit 1662 ist er auf demselben als Schriftsteller thätig geworden; die Politik des Aristoteles, die er schon 1656 mit einer lesenswerthen Einleitung herausgab, war in dieser Beziehung sein Ideal: nur in der steten Verbindung der Staatswissenschaft mit der Geschichte und der Statistik suchte er den Fortschritt der ersteren. Seiner Zeit war er auch hier voran; indem er sich als einen Gegner des herrschenden Mercantilsystems bekannte, die Monopole verwarf, in lebhafter und möglichst unbehinderter Concurrenz die Blüthe des Handels suchte, hing er, obwol er sich selbst darüber kaum zur Klarheit gelangt ist, Theorien an, die erst eine spätere Zeit zum Siege führen sollte. Als ein bemerkenswerther Zug mag noch hervorgehoben werden, daß er in seiner – obwol mehrfach irrigen – Geldtheorie doch die Vorzüge der Goldwährung vor anderen schon erkannte, ihre Bedeutung für den Handel würdigte.

Wie Conring’s staatswirthschaftliche Studien in der Geschichte wurzelten, von ihr ausgingen und zu ihr zurückkehrten, so auch seine juristischen Arbeiten. Es gibt kaum eine Frage des deutschen Staatsrechts, die er nicht mit seiner enormen Belesenheit vom historischen Standpunkt aus behandelt hätte, sei es in rein theoretischen Erörterungen, wie in seinen Schriften „De urbibus Germaniae“, „De ducibus et comitibus imperii Germanici“ und vielen anderen, sei es indem er auf Ansuchen einzelner Fürsten oder Städte praktische Rechtsgutachten abgab: über die Rechte des Erzbisthums Bremen auf die Stadt, über die Streitigkeiten zwischen der Reichsstadt Köln und ihren Kurfürsten, über das zwischen Kurköln und Kurmainz streitige Recht der Kaiserkrönung, über das Recht des Reichsvicariats und die kurpfälzischen oder kurbaierischen Ansprüche darauf u. a. m. Selbst sein großes Hauptwerk: „De origine juris Germanici“ (zuerst erschienen 1643), durch welches C. der Begründer der deutschen Rechtswissenschaft geworden ist und seinen Namen vor allem unsterblich gemacht hat, ist seiner Tendenz wie seiner ganzen Anlage nach eine historische Arbeit. Gegenüber der bisher allein herrschenden und von den zünftigen Juristen mit lebhaftestem Eifer vertheidigten Ansicht, das römische Recht, das Corpus juris, sei in Deutschland seit vielen Jahrhunderten im Gebrauche und habe durch eine Constitution Lothars III. von 1135 Gesetzeskraft erhalten, war es eine glänzende, und bei dem dürftigen Quellenmaterial, das C. zu Gebote stand, um so großartigere Entdeckung, wenn er die völlige Unwahrheit dieser Theorie zeigte, wenn er nachwies, wie das römische Recht überhaupt niemals reichsgesetzlich eingeführt sei, sondern erst in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts durch die Bemühungen der in Italien gebildeten Juristen allmählich bei den deutschen Gerichten in Uebung gekommen sei. So überraschend diese Entdeckung war, ebenso unbequem war sie der Zunft der Juristen; Conring’s Buch „De origine juris Romani“ ist viel bewundert worden: aber dies wichtigste Ergebniß desselben, daß die Wissenschaft der deutschen Rechtsgeschichte erst ermöglichte, hat man geflissentlich zu ignoriren gesucht. Und wie gut das gelungen ist, beweist die Thatsache, daß selbst Savigny, indem er die von C. längst widerlegte Tradition noch einmal – und freilich mit ungleich größerer Schärfe und Genauigkeit in den Einzelheiten – [449] zurückwies, nicht einmal gewußt zu haben scheint, daß er den Helmstädter Professor zum Vorgänger gehabt hat. Conring’s staatsrechtliche und seine historische Thätigkeit berühren und durchdringen sich, wie gesagt, überall. Auch das Buch, das oft als sein historisches Hauptwerk genannt wird: „De finibus imperii Germanici libri II“ (zuerst 1654) beruht ganz auf dieser Vereinigung der beiden Disciplinen; nicht nur der thatsächliche Zustand bis zum westfälischen Frieden, sondern die rechtlichen Grundlagen, auf denen der Umfang des deutschen Reichs und sein Verhältniß zu den einst deutschen Gebieten beruht, werden auf das eingehendste untersucht; das Buch, dessen Neubearbeitung der Verfasser 1672 auf ausdrückliches Ansuchen Kaiser Leopolds unternahm, ist noch heute nicht ohne Werth. Will man auch von vielen anderen absehen – eine kleinere Schrift Conring’s („Censura diplomatis quod Ludovico imperatori fert acceptum coenobium Lindaviense“, zuerst 1672, unter den vielen Untersuchungen, welche in Deutschland zu jener Zeit über Echtheit und Unechtheit von Urkunden angestellt wurden, unzweifelhaft die wichtigste) darf nicht unerwähnt bleiben. Sie ist ja vielleicht die bedeutendste Arbeit, welche auf dem gesammten Gebiet der Diplomatik vor Papebroch und Mabillon veröffentlicht worden ist. Auch hier auf ein außerordentlich dürftiges Material angewiesen, hat C. nicht nur mit genialem Scharfblick in der ihm vorliegenden Einzelfrage das richtige erkannt, sondern er hat, was ungleich wichtiger ist, methodisch der diplomatischen Wissenschaft einen neuen Weg gewiesen, indem er zuerst davon ausging, daß die Echtheit einer bestimmten Urkunde nur nach den Merkmalen zu beurtheilen sei, welche man aus anderen echten Diplomen desselben Ausstellers abstrahire -, wesentliche Momente diplomatischer Kritik, Kanzleiunterfertigung, Schriftcharakter, Itinerar des Ausstellers sind dabei von ihm zuerst in Betracht gezogen.

Nur der bedeutendsten Werke Conring’s ist es hier möglich, im einzelnen zu gedenken; von seiner erstaunlichen Thätigkeit aber erhält man erst einen Begriff, wenn man den Katalog seiner Schriften durchsieht, der vor der Gesammtausgabe seiner Werke von Goebel steht, und über 60 verschiedene Arbeiten auf den verschiedensten Gebieten aufzählt, wobei die Mehrzahl der anonym oder pseudonym erschienenen nicht einmal berücksichtigt sind. Eine unermüdliche Arbeitsamkeit, welche oft genug die Nacht zum Tage gemacht hat, und ein überaus glückliches Gedächtniß, das ihm den Namen einer „lebendigen Bibliothek“ und eines „wandelnden Museums“ eingetragen hat, waren die unerläßliche Vorbedingung dieser Wirksamkeit, neben welcher er dann doch noch immer nicht nur für die Pflichten seines Berufs, sondern auch für andere mehr abseits liegende Arbeiten, wie die Ordnung der reichen Wolfenbütteler Bibliothek Zeit fand. Nur aus diesen Eigenschaften erklärt sich auch die Eigenthümlichkeit seiner Arbeitsweise. Wenn es auch nicht wahr ist, was man oft behauptet hat, daß der große Polyhistor ohne Excerpte und Collectaneen gearbeitet habe, so hat er dieselben doch keinesfalls zur alleinigen Grundlage seiner Schriften gemacht: aus dem Gedächtniß, zumeist ex tempore wurden die Arbeiten hingeworfen, dann, ohne nochmalige Revision durch den Verfasser oder ohne Copie durch einen Schreiber, sowie die einzelnen Stücke fertig waren, in die Druckerei gegeben: häufig hat C. sie erst in den Correcturbogen zum zweiten Mal gelesen. Daß es bei dieser Art zu arbeiten vielen seiner Schriften an einer gewissen einheitlichen Abrundung fehlen mußte, ist ebenso selbstverständlich, wie zahlreiche Fehler und Irrthümer im einzelnen mit Nothwendigkeit ihre Folge sein mußten. Um so bewundernswerther ist aber, daß trotz dieser Irrthümer meist doch das Endresultat der ganzen Arbeit unanfechtbar ist und häufig genug einen glänzenden Fortschritt der Wissenschaft darstellt. Es beruht das auf einer dritten Eigenschaft Conring’s, die mehr als die beiden anderen seine Thätigkeit zu einer so bedeutenden [450] gemacht hat: er besaß jene Kraft der Intuition, die recht eigentlich ein Zeichen des Genies ist, vermöge deren er trotz der Dürftigkeit seines Materials das richtige Resultat aus dem Totaleindruck seiner Untersuchungen gleichsam ahnend erkannte und in der Kette der Schlußfolgerungen, ohne alle einzelnen Glieder zu übersehen, doch das unbekannte X richtig ermittelte. Darum fehlt es allerdings manchen seinen Untersuchungen auch an der logisch zwingenden Gewalt der Beweise, die oft erst viele Jahrzehente später von Anderen geliefert sind, und daher kommt es auch, daß bei aller hohen Achtung, welche die Mitlebenden vor der immensen Gelehrsamkeit des großen Polyhistors hatten, doch seine unmittelbare Einwirkung auf die Wissenschaft dieser Achtung nicht vollkommen entsprach.

Wenn auch wir die vollste Hochschätzung für die geistige Begabung Conring’s empfinden, so gilt von seinem Charakter nicht das gleiche. Wieviel er in anderen Beziehungen seiner Epoche voraus war, hinsichtlich seines Charakters war er völlig ein Kind seiner Zeit, der schlimmsten Zeit Deutschlands. Schon früher ist es wiederholt hervorgehoben worden, wie Fürstengunst und äußerer Lohn doch in letzter Instanz das Ziel auch seiner wissenschaftlichen Bestrebungen waren, wie er oft genug durch Rücksichten darauf veranlaßt wurde, zu verschweigen, was auszusprechen seine Pflicht gewesen wäre, und zu sagen, was seiner eigenen Ueberzeugung zuwiderlief. Dergleichen hat er im Dienst Schwedens und mancher deutscher Fürsten gethan: am widerlichsten ist sein Verhältniß zu Frankreich, über das wir kürzlich durch die Publication der Papiere Colbert’s neue Aufklärung erhalten haben (vgl. G. Cohn in Sybel’s histor. Zeitschrift XXIII., 1 ff.). 1664 von Colbert mit einer französischen Pension von 900 Livres bedacht, kann er in seinen Dankbriefen an Jean Chapelain, der mit der Vertheilung dieser Wohlthaten an ausländische Gelehrte betraut worden war, nicht Worte genug finden, um seiner Ergebenheit gegen den großen Ludwig vollen Ausdruck zu verschaffen. Im August 1666 erbot er sich zu einer Denkschrift, um die Ansprüche der Königin Maria Theresia auf die spanischen Niederlande zu erweisen; es half nichts, daß man ihn wissen ließ, man benöthige eines solchen Beweises nicht, er bestand darauf dienstfertig zu sein. Ende 1667 war das Manuscript fertig, aber ehe es noch in Holland gedruckt werden konnte (natürlich anonym, da der Verfasser sich seines verrätherischen Verhaltens gegen den Kaiser wohl bewußt war), war der Friede von Aachen gesichert, Colbert ließ C. melden, daß die Mühe des Drucks jetzt überflüssig sei. Statt seinen Eifer zu kühlen, entflammte die abschlägige Antwort denselben nur noch mehr. Es ist nicht erfreulich, die charakterlose Servilität weiter zu verfolgen, mit der C. bald dem König oder Colbert Werke dedicirt und sie mit schmeichelnden Lobhudeleien überhäuft, bald sich erbietet, mit seinem persönlichen Credit und durch die Presse für die Wahl Ludwigs XIV. zum römischen König zu wirken, bald selbstgefällig erzählt, wie er in seiner Stellung als braunschweigischer Rath im französischen Interesse thätig sei, bald weitaussehende Pläne entwirft, um dem französischen Handel das Uebergewicht im Mittelmeere zu sichern – es mag genügen, diese Dinge in der Kürze berührt zu haben. Das schlimmste ist, wie gesagt, daß auch seine wissenschaftliche Thätigkeit davon beeinflußt wurde, und daß er seine Ueberzeugung praktischen Rücksichten unterordnete. Wenigstens einer der größten seiner Zeitgenossen hat das bitter empfunden; Samuel Pufendorf, der in dieser Beziehung im erfreulichsten Gegensatze zu C. stand, hebt es hervor, wie derselbe in seinen Werken „aus Rücksicht auf hochgestellte Persönlichkeiten oder um das Geschrei der thörichten Menge zu vermeiden, seine wahren Gedanken unterdrückt habe“. Das großartige Bild des Gelehrten, das wir von C. erhalten, wird durch diese Schwächen des Menschen in betrübender Weise entstellt.

[451] Conrings’s Werke sind nach seinem Tode gesammelt worden: „Hermanni Conringii operum tom. I-VI curante J. W. Goebelio“, Brunsvigae 1730 fol., index universalis tom. VII. Für seine Biographie ist die Hauptquelle noch immer das Leichenprogramm seines Collegen, des Professors Melchior Schmid, bei Goebel vor dem ersten Band wieder abgedruckt. Vgl. O. Stobbe, Hermann Conring, der Begründer der deutschen Rechtsgeschichte, Berlin 1870, woselbst S. 27 eine Zusammenstellung des sonstigen biographischen Materials und der publicirten Briefe. Seitdem neues nur in den Papieren Colbert’s, vgl. Cohn a. a. O. Ueber Conring’s Stellung zur Diplomatik vgl. auch Meyer v. Knonau, Das bellum diplomaticum Lindaviense, in Sybel’s histor. Zeitschrift XXVI. 79 ff.