ADB:Gundling, Jakob Paul Freiherr von

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Artikel „Gundling, Jacob Paul Freiherr von“ von Siegfried Isaacsohn in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 10 (1879), S. 126–129, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Gundling,_Jakob_Paul_Freiherr_von&oldid=- (Version vom 24. November 2024, 11:52 Uhr UTC)
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Band 10 (1879), S. 126–129 (Quelle).
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Gundling: Jacob Paul Freiherr v. G., geb. den 19. August 1673 zu Hersbruck, entstammte einer angesehenen fränkischen Familie. Sein Vater, Pfarrer an der Laurentius-Kirche zu Nürnberg, starb bereits 1689, im Augenblicke, wo G. nebst seinem älteren Bruder, dem späteren Consistorialrath und ordentlichen Professor der Rechte an der Universität Halle, im Begriff stand, die Akademie zu beziehen. Beide Brüder zeichneten sich schon als Jünglinge durch ein hervorragend gutes Gedächtniß und Eifer für die Wissenschaften aus. Trotz ihrer mittellosen Lage, da der Vater ohne jedes Vermögen verstorben war, ermöglichte ihnen ihr Fleiß den Besuch der Universitäten Altorf, Helmstädt und Jena. Hier wurde G. von einem Edelmanne als Begleiter seiner beiden Söhne auf der „Cavalier-Tour“ engagirt, eine Stellung, die ihm Gelegenheit verschaffte, einen großen Theil Deutschlands, die Niederlande und England kennen zu lernen und mit angesehenen Gelehrten und Staatsmännern dieser Lande in nähere Berührung zu kommen. Wie das Leben auf den Universitäten, so wußte G. auch diese Fahrten zur Bereicherung seiner historischen und staatsrechtlichen Kenntnisse gut zu benutzen, so daß er mit ausgedehntem Wissen, mancher praktischen Lebenserfahrung [127] und, worauf man Gewicht zu legen begann, weltmännischen Umgangsformen in die Heimath zurückkehrte. Von vornherein scheint er die norddeutsche protestantische Vormacht Brandenburg-Preußen als den günstigsten Boden für die Verwerthung seiner mannigfachen Kenntnisse angesehen zu haben. Gelegenheit zur Befriedigung seiner Wünsche wurde ihm durch seine Bekanntschaft mit dem Geheimen Staatsrath und General-Kriegs-Commissar Daniel Ludolf v. Dankelmann geboten. Auf den Wunsch seines Herrn, Königs Friedrich I., hatte dieser 1704 die Vorbereitungen zur Einrichtung einer Adels-Akademie zu Berlin getroffen, die junge Leute von Rang wissenschaftlich und technisch für das Waffenhandwerk vorbereiten sollte. Bei der Auswahl von Lehrkräften für die neue Akademie wurde G., der dem Minister, wir wissen nicht genau durch wen, empfohlen war, berücksichtigt und zum Professor des bürgerlichen Rechts, der Geschichte und Litteratur an derselben bestellt, Jan. 1705. Fast gleichzeitig damit wurde er zum Historikus bei dem um eben diese Zeit errichteten Oberheroldsamt gemacht. Er scheint sich die nächsten Jahre ganz den ihm dabei obliegenden Aufgaben, seinen Vorlesungen an der Akademie und historisch-genealogischen Untersuchungen für das Heroldsamt gewidmet zu haben. Wenigstens liegen aus dieser Periode keine größeren Arbeiten von seiner später so fruchtbaren Feder vor, und die acht Jahre von 1705–13, bis zu Friedrich Wilhelms I. Regierungsantritt, dürften wie zu den ruhigsten, so auch zu den glücklichsten seines vielgeplagten Lebens gehören. Unter den ersten Abstrichen, die Friedrich Wilhelm I. gleich nach seinem Antritt bei dem ihm vorgelegten Hofstaatsetat machte, befanden sich neben dem Oberceremonienmeister-Amt die Ritter-Akademie und das Heroldsamt. Eine Anzahl Gelehrter, G. unter ihnen, waren durch einen Federstrich brodlos geworden. In dieser bedrängten Lage kam ihm eine Eigenschaft zu Gute, die, so wenig rühmlich sie ist, doch in dem Geschmack der Zeit eine gewisse Entschuldigung findet. Unverheirathet wie er noch war, liebte er es, und zwar nach seiner eigenen Angabe, um seinen mit gelehrten Dingen erfüllten Kopf zu beruhigen, in den späteren Tagesstunden bei einem durch seine lustigen Streiche bekannten Weinschenken der Residenz seine Bouteille zu leeren und ließ dabei, durch den Wein und die Reden seiner Genossen angeregt, einem angeborenen, etwas cynischen Humor die Zügel schießen. Als nun der König sein Tabacks-Collegium einrichtete und dabei das Bedürfniß fühlte, außer seiner militärischen Umgebung auch einen geeigneten Mann der Wissenschaft dabei zu haben, der über alle vorkommenden historischen, politischen und Rechtsfragen ein wohlbegründetes Urtheil abgeben könne, wurde sein Blick auf G. gelenkt und dieser noch 1713 zum Hofrath und Zeitungsreferenten ernannt, eine Stellung, die an und für sich nicht ohne Ansehn und Einfluß war und für einen charakterfestern Mann den Boden zur Begründung eines soliden Glückes abgegeben hätte. G. verscherzte sein Glück dadurch, daß er die ihm von der soldatisch-rauhen Umgebung des Königs gelegten Fallen nicht sofort erkannte und seiner Neigung zu geistigen Getränken, hier unter Zechern, mehr den Zügel schießen ließ, als ihm zuträglich war. So machte es sich, daß er allmählich nicht nur die Stellung eines Hofraths, sondern zugleich eine andere, die man aus Sparsamkeitsrücksichten abgeschafft hatte, die eines Hofnarren, sehr wider seinen Willen, einnahm. Bemerkenswerth ist dabei die Widerstandsfähigkeit dieser kräftig angelegten Natur. Es dauerte etwa 6 volle Jahre, bis sein point d’honneur durch die Fußtritte, die er täglich hinnehmen mußte, derart abgestumpft war, daß er sich zum willenlosen Werkzeug auch der rohesten Späße hergab. Drei Jahre nach seinem Eintritt in die neue Stellung, December 1716, wagte er sogar einen verzweifelten Schritt. Er entfloh aus der ihm trotz guter Besoldung unerträglich gewordenen Stellung, wie es scheint nach Breslau hin und wußte sich so gut zu verbergen, daß noch [128] unterm 29. December d. J. ein „Pardon für den Geheimen Raht G., falls er sich in vierzehn Tagen wieder gestellt“ erlassen werden mußte. Endlich gelang es, seiner wieder habhaft zu werden und er wurde nach Berlin zurückgebracht. Daß der scharfblickende König ihn nicht nur wieder zu Gnaden annahm, sondern ihm gerade in den nächsten Jahren 1717–19 sein besonderes Vertrauen schenkte, so daß er eine von den Höflingen zugleich gesuchte und gefürchtete Persönlichkeit wurde, ist der beste Beweis dafür, daß er neben seinen Schwächen ein sehr gesundes Urtheil und wirklich schätzenswerthe Kenntnisse, vorzüglich der Zeitverhältnisse, besessen haben muß. Bald aber verfiel man wieder in den alten Ton ihm gegenüber. Alle die Stellungen, die man für überflüssig ansah oder die ein Mann von Ehre unter den besonderen Umständen nicht annehmen konnte, wurden ihm aufgehalst. 1717 wird er Oberceremonienmeister eines Hofes, von dem das alte Staatsceremoniell verbannt war, 1718 Nachfolger eines Leibnitz als Präsident der Akademie der Wissenschaften und bald darauf Mitglied des General-Directoriums mit dem eigens für ihn geschaffenen Departement aller Seidenwürmer in der Monarchie. Zur selben Zeit erhält er jene lange Reihe von Titeln, die wir später auf dem Titelblatt seiner Werke finden. Er wird zum außerordentlichen Mitgliede fast aller höheren Verwaltungs- und Gerichts-Collegien der Residenz gemacht, um dem König gelegentlich über das, was bei jenen vorging, seine Glossen zu machen. – Das letzte Jahrzehnt seines Lebens brachte ihm die Freiherrnwürde (1724), „obgleich er auch des gräflichen Standes eben so würdig sei“, wie es in dem kuriosen Diplom darüber heißt, dann die eines königlichen Kammerherrn (1726), gewissermaßen als Depositar für einen vom Könige in seinen Gemächern aufgelesenen goldenen Schlüssel, zu dem sich der Eigenthümer nicht fand, und manche Auszeichnungen ähnlicher Art. Endlich, im J. 1731 erlöste ihn der Tod aus seinem glänzenden Elende. Sieht man im Obigen G. in seiner besonderen Species als gelehrten Hofnarr erscheinen, so bleibt übrig, ihn in seiner ehrenwertheren Stellung als Mann der Wissenschaft und fruchtbaren Schriftsteller zu betrachten. Seine Werke behandeln neben einzelnen Partien der Reichsgeschichte – das Leben Conrads III., Conrads IV. und Wilhelms etc., die Zeit des Interregnums und Abhandlungen zur Reichsverfassungsgeschichte, die nicht frei von Mängeln sind – ganz besonders die Geschichte und Statistik des brandenburgisch-preußischen Staats. „Leben und Thaten Alberti Ursi“ (1731), „Leben und Thaten Kurfürst Friedrichs I.“ (1715) und „Friedrichs des Anderen“, vor allem sein „Auszug brandenburgischer Geschichten Joachims I., Joachims II. und Johann Georgens, bei Gelegenheit der Beschreibung Lampert Diestelmeyers“, Halle 1722, empfehlen sich, einmal abgesehen von der Kritiklosigkeit, mit der der Verfasser manche Mythen seiner Vorgänger wiederholt, durch die sorgsame und umfassende Benutzung des urkundlichen Materials der Archive Berlins und der Plassenburg, so daß auch die neueste Historiographie nicht ohne Nutzen diese Schriften zu Rathe gezogen hat. G. ist einer der ersten, die nach dem Vorgang des großen Samuel Pufendorf, die Bedeutung der Urkunde als Grundlage der Geschichtschreibung voll würdigten, wie er denn bei seinem Ableben eine Sammlung von über 4000 Documenten zur brandenburgischen und deutschen Geschichte zusammengebracht hatte, als Grundlage für ein von ihm geplantes großartiges Regestenwerk, an dessen Ausführung der Tod ihn hinderte. Von geringerem Belang sind seine statistischen Schriften, die „Nachricht von dem Alterthum der Stadt Halle“ (1715) und der „Pommersche und Brandenburgische Atlas“ (1724), die auf den Mittheilungen der städtischen und ländlichen Magistrate beruhend zwar Authentisches bieten, doch ein dürftiges Material trocken aneinander reihen. Nach dieser Richtung ist er nur als einer der Führer bemerkenswerth, die auf neue Pfade hinwiesen, auf [129] denen sie dann von den Nachfolgern bald weit überflügelt wurden. G. vermählte sich 1718 im Alter von 45 Jahren mit Anne de Larrey, Tochter des bekannten Gelehrten und späteren brandenburgischen Residenten zu London, Legationsrath de Larrey, von der französischen Colonie zu Berlin. Die Ehe, die so unglücklich ausfiel, wie es bei den bekannten Umständen zu erwarten war, blieb kinderlos und G. hinterließ seine Wittwe in sehr bedrängten Verhältnissen. Charakteristisch für Gundling’s Herrn ist es, daß er dessen erbittertstem Gegner, dem Historiographen David Faßmann, den Auftrag ertheilte, die Leichenrede bei seiner Bestattung zu halten. Es spricht für G., daß Faßmann darin dem Todten gegenüber das Geständniß ablegt, daß er nicht nur durch seine schriftstellerische Thätigkeit, sondern auch durch seine Stellung am Hofe manches Gute und Nützliche gesucht und bewirkt habe, während seine Schwächen von Anderen mißbraucht und übertrieben worden seien. Einst soll G. sich, in einer vertraulichen Unterhaltung über sein trauriges Lebensgeschick mit einem Officier, etwa folgendermaßen geäußert haben: „Ich habe mir viel Mühe gegeben, um in der Welt mein Glück zu machen, und es ist mir herzlich sauer geworden, ein Stückchen Brod zu finden. Hier habe ich es nun in Berlin gefunden. Daß ich so behandelt werde, fällt auf den, der es thut; also muß ich zufrieden sein und mich in mein Schicksal in Geduld finden.“

Vgl. über G. neben den bezüglichen Acten des Geh. Staatsarchives zu Berlin D. F. (aßmann’s) Parentatio etc., Berlin 1731, 4°. u. Leben und Thaten Jakob Paul Freiherrn v. G. etc. Berlin 1795.