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Artikel „Halm, Friedrich“ von Anton Schönbach in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 22 (1885), S. 718–725, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Halm,_Friedrich&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 19:58 Uhr UTC)
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Münch-Bellinghausen: Eligius Franz Joseph Reichsfreiherr v. M.-B. (unter dem Dichternamen Friedrich Halm bekannt), ist am 2. April 1806 zu Krakau als Sohn des Appellationsgerichtsrathes, späteren Staats- und Conferenzrathes Cajetan Michael Joseph Reichsfreiherrn v. M.-B. geboren worden. Zwei untere Gymnasialclassen hat er in der Anstalt des Benedictinerstiftes Mölk absolvirt, später ist dort eine für sein ganzes Leben und Schaffen bedeutsame Verbindung von ihm geschlossen worden mit dem Benedictiner Michael Enk von der Burg, seinem Lehrer, dem Dichter der „Blumen“, der auch ein tüchtiger Kenner deutscher und spanischer Litteratur, von scharfem Verstande und energischem Urtheil war. Ein Aufenthalt von unbestimmter Dauer in einem Wiener Erziehungsinstitute folgte, dann noch einige Zeit in der vom Vater gewünschten und behüteten Einsamkeit. Schon 1819 besuchte er als öffentlicher Hörer die sogenannten „philosophischen Studien“ an der Wiener Universität, den Oberclassen eines deutschen Gymnasiums etwa entsprechend. Der dreizehnjährige frühreife Student wurde nur mit wenigen der jungen Leute bekannt, welche, eine ansehnliche Gruppe künftiger Schriftsteller, die Hörsäle von Weintridt und Rembold füllten – mit J. G. Seidl tauschte er Gedichte – er war schon zu dieser Zeit zurückhaltend und scheu. Nach absolvirten juridischen Studienjahren trat er 1826 in den Staatsdienst und vermählte sich mit Sophie Theresia Freiin von Schloißnigg. Neun Jahre später tritt der Dichter mit seinem ersten Werke hervor; daß er die Zwischenzeit durch eifrige Studien und Production nutzbar gemacht hat, müssen wir vermuthen, können es aber nur aus dürftigen Zeugnissen erfahren, da M.-B. immer sehr karg in Mittheilungen über Persönliches, von den Litteratenzirkeln sich vollständig fernhielt und deshalb der öffentlichen Aufmerksamkeit gar nicht zugänglich wurde. Von den später publicirten Gedichten, auch denen des Nachlasses gehört gewiß Manches dieser Zeit stiller Vorbereitung an; noch sorgfältiger aber als Grillparzer hat M.-B. alles auf concrete Verhältnisse anspielende getilgt und so sind nur einzelne Nummern chronologisch zu fixiren. Ein unvollendetes, alle Form sprengendes Drama „Schwert, Hammer, Buch“ von entschieden freiheitlicher Gesinnung beschäftigte ihn lange, wurde aber dann auf Enk’s Rath verworfen. Die sonstigen Versuche sind besonders ihrer formellen Qualitäten wegen beachtenswerth, sie zeigen sich von den vorhandenen Mustern stark abhängig. Das Trauerspiel „Griseldis“ wurde am 30. December 1835 auf dem Burgtheater in Wien aufgeführt, ohne daß sich der Autor nannte, obschon intimes Stadtgespräch ihn bereits ausfindig gemacht hatte. Nach entschiedenem Erfolge bezeichnete sich im Druck „Friedrich Halm“ als Verfasser. Diesem Pseudonym ist M.-B. treu geblieben, erst in der Gesammtausgabe seiner Werke wird der wahre Name in Klammer beigefügt. – Nach langer unbesoldeter Thätigkeit wurde M.-B. 1840 Regierungsrath bei der niederösterreichischen Verwaltung, 1845 erster Custos der k. Hofbibliothek und Hofrath, 1847 wirkliches Mitglied der k. Akademie der Wissenschaften, 1861 mit Grillparzer und Anastasius Grün ins Herrenhaus berufen, 1866 wirklicher geheimer Rath und Excellenz, 1867 Hofbibliothekspräfect, mit der Aufsicht über die naturwissenschaftlichen Sammlungen und Cabinete des k. Hofes und zugleich mit der Oberleitung der beiden Hoftheater als Generalintendant betraut. Er starb am 22. Mai 1871 und liegt in Hütteldorf bei Wien begraben, wo er lange Zeit hindurch regelmäßigen Sommeraufenthalt genommen hatte.

Halm’s Bedeutung als Dichter ruht vornehmlich in seinen dramatischen Werken. Seine Begabung war schon früh ausgesprochen, für den Knaben hatte [719] bereits die Puppenbühne mehr Interesse als sie sonst in der Eigenschaft des Spielzeuges Kindern wichtig ist. Und dramatische Versuche werden sehr bald begonnen haben; daß er erst so spät mit einer Arbeit hervortrat, muß wol einerseits aus seiner Scheu sich mitzutheilen, dann aber aus dem Einflusse Enk’s erklärt werden, der strenge Kritik übte und nur Gelungenes, Reifes der Oeffentlichkeit preisgeben wollte. „Griseldis“ (gedruckt 1837) hatte glänzenden Erfolg. Der alte italienische Novellenstoff war hier in die Scenerie des Artusromanes gestellt. Die Qual, welcher die Heldin Parcivals frivoler, roher, durch Selbstsucht eingegebener Wette gemäß unterworfen wird, wäre unerträglich, würde sie nicht durch die Darstellung gedämpft, und versuchte nicht die klangvolle melodische Sprache den Zuschauer über das Peinliche hinwegzutäuschen. Dennoch behält das Stück etwas von weichlicher, unmännlicher Grausamkeit, da ein historischer Hintergrund gar nicht gegeben und dabei die Empfindungsweise des alten Novellisten, welcher der Frage ganz anders gegenüberstand als wir, gegen die moderne eingewechselt worden ist. Ein großes Problem hat Halm im „Adepten“ (aufgeführt am 12. November 1836, gedruckt 1838) aufgegriffen, der schon fertig war, ehe Griseldis über die Bretter ging, er läßt Werner Holm das Ziel der Goldmacherkunst erreichen, sein Leben aber zerscheitern: die erhabenen philanthropischen Pläne sinken in der Erfüllung herab zur Befriedigung der Lüste ordinärer Prahlerei. Wol deshalb, weil der Adept der nächsten menschlichen Pflichten vergaß, wird er unfähig, den weiteren allgemeinen zu genügen. „Imelda Lambertazzi“ (aufgeführt 6. Dec. 1838, gedruckt 1842) transponirt den Stoff Romeo und Julie in das Bologna des 13. Jahrhunderts. Das Stück enthält treffliche Effecte, der 4. und 5. Act sind mit großem Geschick arrangirt; aber dies alles vermag die Unbedeutendheit der Personen nicht zu überwinden und das Abgebrauchte des Stoffes nicht interessant zu machen. Die männlichen Figuren sind von gar zu gleichem Schnitt: auch Lorenzo und Sala hätten Fazios werden können, wenn sie sich verliebt hätten. Es fehlt Vertiefung der psychologischen Motive. Kaum richtig hat man die Art von Imelda’s Tod getadelt, sie gehört nicht zum Problem und ist eine Aeußerlichkeit, welche aus dem Stoffbuche herübergenommen ist, auf der Bühne mag sie allerdings unangenehm wirken. Auch der Scene „Camoens“ (aufgeführt 3. März 1837, gedruckt 1838), einer von Halm’s frühesten Schöpfungen, zuerst als Gedicht bearbeitet, auf Dilettantentheatern beliebt, hilft die Sprache nicht über die Trivialität der Gegensätze und der Situation hinaus. „Ein mildes Urtheil“ (aufgef. 23. April 1840, gedr. 1856) behandelt ein Problem, das dem der Griseldis wenigstens verwandt ist. Für eine unvollbrachte Schuld wird der Heldin die Strafe auferlegt, der Liebe des greisen Gemahls entbehren zu müssen, sie sühnt alles durch ihre aufopfernde Reue, Buße und Tod. Es schadet dem feinen Stück, daß seine ganzen Verhältnisse so unklar und unbestimmt bleiben. Sie ähneln den in gesunkener Litteratur üblichen freien Erfindungen, welchen historische Zeit und Local beigelegt werden. Aus der Unglaubwürdigkeit des Hintergrundes entsteht auch Irrealität der Handlung: man bemerkt die Schuld wenig, wie soll die Sühne das Stück füllen? Nicht bloß die Trochäen schlagen hier spanischen Ton an, auch die gesteigerte Empfindlichkeit, die Beziehung zwischen Godwin und Edith, sind von spanischen Vorbildern eingegeben. Die schwache, resultatlose „Pflegetochter“ (aufgef. 29. Nov. 1840, gedr. 1856), ist nur in den Werken aufbewahrt, sonst mit Recht vergessen. „König und Bauer“ (aufgef. 4. März 1841, gedr. 1842) nach des Lope de Vega Villano en su rincon, eine freie, graziöse Neugestaltung, sehr liebenswürdig und heiter im einzelnen durchgeführt, nur die Hofscene scheint wenig gelungen: der bäurische Held prahlt überhaupt zu viel, er verdirbt dadurch den Gegensatz und stört die Wirkung; [720] der Schluß ist erfreulich, mit Glück wird im ganzen der Wechsel zwischen gebundener und ungebundener Rede ausgenutzt. Großen Beifall gewann wieder „Der Sohn der Wildniß“ (aufgef. 28. Jan. 1842, gedr. 1843). Daß Schauspiel stellt den Sieg von Liebe und Bildung über Barbarei dar, für welchen der Dichter die Bedingungen so sehr erleichtert hat, daß er fast undramatisch geworden ist; denn die Weichheit und Gefühlswärme des Tektosagenhäuptlings, die merkwürdig milde und hohe Cultur der Massilierin stehen sich gar nicht ferne, Kampf scheint fast überflüssig. Auch hier ist es der Wohllaut von Sprache und Vers, welcher das süßlich zerfließende Ganze doch noch in gefällige Form faßt. Die Bearbeitung von Shakespeare’s Cymbeline als „Die Kinder Cymbelins“ (aufgef. 16. Dec. 1842, ungedruckt), genügt es zu nennen. Beinahe wie um in einem Contrast sich zu erholen, hat Halm zunächst den „Sampiero“ geschrieben (aufgef. 22. Jan. 1844, gedr. 1857, der Stoff zuerst von Tiedge in den Anmerkungen zur Urania erzählt). Ein rauher, kräftiger, ganz auf eine Sache gestellter Mann sollte im Mittelpuukte sich bewegen, eine starke, bedeutende Frau das Gegenspiel haben. In den ersten Acten ist frischer Zug und scharfe Luft, dann wird aber das an sich düftig motivirte Intriguenspiel Ombrone’s zu schwach, um als Feder der Action zu dienen, der Untergang Vaninas ist nicht klar und nothwendig gemacht, er beruht auf einer doppelten Illusion Sampiero’s: eine Erklärung der Frau vor den Verschworenen würde genügt haben. Sampiero’s politische Bedeutung ist viel geringer als er selbst sie veranschlagt. So wird zwecklos, für verlorene Sache, ein edles Leben peinlich geopfert, besser wäre passive Trauer. Auch versöhnt und erhebt der Schluß gar nicht, denn Heldentod im Dienste einer ganz aussichtslosen Idee schickt sich nur für Vertheidigung, nicht zum Angriff, dieser erscheint dann vielmehr thöricht. „Eine Königin“, früher „Maria de Molina“ genannt (aufgef. 2. März 1847, gedr. 1857), nach dem Spanischen des Gabriel Tellez (Tirso de Molina): Prudencia en la muger ganz frei und selbständig gearbeitet, ist ein gutes Stück und würde reicheren Erfolg gehabt haben, wären die Gegensätze schärfer und bestimmter gehalten. So aber ist Don Diego allzu wenig mannhaft im Auftreten, so viel wir auch sonst von seiner Tüchtigkeit vernehmen, er ist sentimental, larmoyant, hat geringes Selbstvertrauen und erschwert der Königin den Kampf mit ihrer Pflicht nur sehr bescheiden. Dieser Kampf erfährt allein dadurch die für das Drama unentbehrliche Ausdehnung, daß Donna Maria wiederholt ganz unpassende, unverständige, schwerlich so im Geiste von Zeit und Volk gelegene Nachsicht gegen Don Juan übt; wir müssen über ihre Regentenklugheit uns berichten lassen, ihr Verhalten gegen den hartnäckigen Rebellen zeigt nichts davon. Das Stück hat aber schöne Momente, zu denen die große Scene zwischen Maria und ihrem Sohne sicherlich gehört. „Verbot und Befehl“ (aufgef. 29. März 1848, gedr. 1857), scheint mir die beste Arbeit Halms, auch an und für sich ausgezeichnet. Die äußerliche komische Verwechslung gibt den Anstoß, knotige Verhältnisse bei frischer und bunter Charakteristik aufs glücklichste zu entwickeln, sie lösen sich in ruhiger Entfaltung (nur einmal fällt Pasquale Beccari recht mißlich aus der Rolle, Werke 6, 116 – denn der weite politische Gesichtskreis paßt durchaus nicht für ihn), in einem geistreichen und doch empfindungsvollen Spiel der Beziehungen. Die Heiterkeit des Ganzen, durch den Wohllaut der Verse getragen, hebt sich bestens von der düstern Scenerie des Rathes der Zehn ab, die ja auch am Ende hoffnungsvoll sich aufhellt. „Verbot und Befehl“ ist eines unserer gelungensten Lustspiele und läßt lebhaft bedauern, daß Halm seine Kraft nicht häufiger der feinen Intriguenkomödie, wie die spanischen Vorgänger sie unvergleichlich ausgebildet hatten, zuwendete, er wäre hervorragend dafür befähigt gewesen. „Der Fechter von Ravenna“ (aufgef. 18. Oct. 1854, gedr. 1857) [721] gehört zu den Stücken Halm’s, die dem Repertoire des deutschen Theaters einverleibt worden sind. Es ist kaum der Mühe werth, die lächerliche Episode zu erwähnen, welche mit der Veröffentlichung dieser Tragödie verknüpft war: wie der bairische Bacherl, von skandalsüchtigen Zeitungsschreibern unterstützt, Halm’s Verfasserschaft bestritt, und damit an verleumderische Gerüchte anknüpfte, welche früher einmal Enk einen, eigener Autorschaft nahen, Theil an Halm’s Dichtungen zuschrieben. Halm hatte die Ansichten der englischen Dramatiker aus der Zeit Elisabeths über das Recht des Dichters an die Stoffe; wie ihm doch die Form das Wesentliche war, maß er Stoffentlehnungen anders als das Urtheil Sachunkundiger pflegt. Beständig auf der Suche nach Problemen, nahm er gerne, wo er roh zugerichtet ein passendes Sujet fand, das von ihm behandelte hielt er dann mit Recht für sein Eigenthum. Der Fechter ist überaus geschickt gearbeitet und aus einer für sich widerwärtigen Situation, wie eine hochfühlende Mutter vergebens patriotische Leidenschaft in ihrem Sohn, dem verlorenen Gladiator, zu wecken sucht, ist ein wie tragisch wirkender Conflict geschaffen worden. Alles ist fruchtlos, zu stark wurzelt die Gemeinheit in der Knechtseele, tieferes Erfassen des Problemes und mächtigere Erregung der Theilnahme ist damit schon ausgeschlossen. Vortrefflich wird Lycisca, daß Blumenmädchen geschildert, eine römische Verwandte der thränenreichen Dirnen von Dumas fils, und besonders Caligula, eine Charakterfigur, die mit wenigen Strichen doch ein reiches Bild gewährt, in der Technik an Delavigne erinnert. Vielfach ist die nationale Gesinnung des Stückes gerühmt worden und Thusneldas Reden haben bei einem leicht entzündbaren Publikum dankbares Echo gefunden; schwerlich mit Recht: das Pathos ist hohl, der Patriotismus nicht echtfärbig, die Tiraden sollen bloß als theatralische Effecte wirken. Denn nationale Leidenschaft war etwas Halm ganz fremdartiges, er hat sich nie als Deutscher gefühlt. Wenig geglückt war der nächste Wurf: „Iphigenie in Delphi“ (aufgef. am 18. Oct. 1856, gedruckt 1864), zum Theil des Stoffes wegen. Dieses künstlich ersonnene Hinausspinnen der alten großartigen Fabel konnte Theilnahme im Publikum nicht finden. Mit fruchtloser Ausgeklügeltheit sind die Umstände der uninteressanten Conflicte zusammengestellt, alles ist stubenhaft, abstract. Elektras Leidenschaft scheint weder echt noch wohl angebracht und das Herumlügen der Freunde ist peinlich. Zudem drückt die Nähe Goethes ungünstig auf das Stück. Die beiden Gelegenheitsscenen „Vor hundert Jahren“ (aufgef. 9. Nov. 1859, gedr. 1859) und „Ein Abend in Titchfield“ (aufgef. 23. April 1864, gedr. 1865), sind voll Rhetorik und schöner Verse, aber, besonders das erste, von dürftigem Gehalt. „Wildfeuer“ (aufgef. 30. Oct. 1863, gedr. 1864) erhielt und verdiente Beifall. Das Problem ist auch hier ein sehr gefährliches, auf die Spitze gestelltes, aber die Kunst ist groß, durch welche es bühnenfähig gemacht wurde. Die Haltung ist ungemein discret, den Schauspielern wird viel Raum gelassen und besonders die ersten Acte entwickeln sich in farbiger Fülle. Doch mag es immer schwer sein, über das hinwegzukommen, was dem gesunden Empfinden in dem Stück widerstrebt; einige Scenen, in denen keines der beiden Liebenden über Renée’s Geschlecht sicher ist, werden auf feinfühlige Menschen nie anders als abstoßend wirken. Mit „Begum Somru“ (aufgef. 20. Juli 1863, gedr. 1872) schließt Halm die Reihe seiner tragischen Schöpfungen. Das Drama, welches starken Gebrauch von einem 1849 gedruckten gleichnamigen Stücke Faust Pachler’s macht, ist vortrefflich bis zum dritten Arte, dann fällt es ab, der Schluß mit seiner ganz unerwarteten und vollkommen unbefriedigenden Wendung enttäuscht so heftig, daß er das Stück stürzt. Dyce muß sterben, das ist so selbstverständliche und einfache Forderung der dramatischen Technik, daß man nur durch des [722] Dichters trotzige Neigung zum Absonderlichen sich seine Gestaltung des Ausgangs erklären kann. Im Uebrigen ist die simple Handlung sehr gut ökonomisirt, die Ausführung wünschte man reicher an Details, besonders in Bezug auf das Fürstenthum der Begum und die ostindische Compagnie. Ueber die dramatischen Fragmente ist wenig zu sagen. Frühzeitig schon beschäftigte sich Halm mit einer Bearbeitung von Lope de Vegas Vida y muerte del rey Bamba. Der erste Act ist um 1839, der zweite dreißig Jahre später fertig gestellt worden, dann aber das Ganze aufgegeben. Das vorhandene ist wohlgelungen, man wäre sehr begierig zu sehen, wie Halm sich den Schwierigkeiten in den späteren Theilen von Lope’s Stück ohne Schaden entzogen hätte. Auch das hochtragische Geschick des Helden der Union und der Nation der Vereinigten Staaten, John Brown, hat Halm zu dramatischer Arbeit gereizt, nur ein erster Act liegt vor, mit Geschick componirt, jedoch in Ton und Localfarbe vollständig vergriffen. Man sieht, daß die geschichtlichen Voraussetzungen, die ganze Genesis des großen Bürgerkrieges, Halm vollkommen unbekannt waren; das Pathos dieses Riesenkampfes darzustellen, würde seine Kraft auch nicht ausgereicht haben. Eine dramatische Satire, „Das Theater in der Unterwelt“, gegen die Theaterdirectoren, besonders gegen Heinrich Laube gerichtet, Platen’s Litteraturstücken nachgebildet, soll fertig gewesen sein, ist aber schwerlich je vollständig aufgezeichnet worden, denn dazu entschloß sich der Poet immer spät und ungern.

Halm’s Dichtertalent (er selbst lehnte die Bezeichnung Genie von sich ab), ist ein entschieden dramatisches; das darf dann auch nicht vergessen werden, wenn in der Darstellung öfters stark lyrische Scenen vorschlagen. Instinctiv wandte er sich dem Drama sehr früh schon zu und sein erstes in die Oeffentlichkeit getretenes Werk war eine Tragödie. Die Probleme seiner Stücke lagen in der Regel etwas abseits, er hat nie einen der gewöhnlichen historischen Dramenstoffe zu bearbeiten unternommen, mitunter sind sie gesucht, bizarr, peinlich, und darin liegt eine gewisse Aehnlichkeit Halms mit Hebbel. Diese ist aber nur scheinbar, denn Halm’s Eigenart wurzelt in der süddeutsch-österreichischen Weise, das Leben zu nehmen, überdies wirkten unter der Mithilfe Enk’s die Spanier, besonders Lope, ungemein stark auf ihn ein. War er vielleicht anfangs zu freierem Ausbruch leidenschaftlicher Stimmung geneigt, so hat Enk’s Strenge und Formensinn dieses Streben zurückgedämmt und seine Richtung etwas abgebogen. Im Gegensatz zu den Problemen seiner Dramen steht die Darstellung. Sie ist weich, fließend, nicht scharf und schneidig, sie ist lyrisch gedämpft, also ganz anders als bei Hebbel. Der Vers ist ungemein leicht, klar, melodisch, auch oft recht schwungvoll, selten sentenziös und spruchhaft, hie und da zum Gewöhnlichen, Trivialen absinkend. Halm verläugnet den Oesterreicher nicht, auch Collin gehört zu den Ahnen seiner Dichtung, die Jugendpoesie wird ihm zuerst von Schiller bestimmt, später von Heine; in seinen Stücken ist er nie ganz aus dem Geleise Schiller’scher Rhetorik gewichen. Auf diese Art hat die Behandlung den Stoffen oftmals aufgeholfen, einigemale ihnen auch geschadet. Die hervorragendste Qualität Halm’s als dramatischer Dichter ist sein großes technisches Geschick, seine Gewandtheit und Fertigkeit. Die Expositionen sind in der Regel ausgezeichnet, führen mit klaren, sicheren Strichen sofort in die Situation ein und bedürfen nur selten längerer erzählender Berichte (wie im Wildfeuer). Knapp und mit raschem stetigen Schritt wird die Handlung weitergefördert, aber die Kraft läßt nach und der technischen Disposition entspricht nicht die schöpferische Arbeit der Ausführung. Dieser Mangel an Nachhaltigkeit und Ausdauer ist, ganz abgesehen von Halm’s persönlichen Eigenschaften, unschwer zu erklären. Er ist in seinen Dramen nie von einem Charakter ausgegangen (wie Shakespeare bei seinen größten Werken), sondern stets [723] von einem Problem, einer Aufgabe. Nie ist ihm plötzlich in seiner Imagination eine Kernscene des Stückes lebendig vor Augen gestanden (wie Grillparzer und Kleist), an die nach vorne und rückwärts sich der Bau angeschlossen hätte. Sondern stets ist der Stoff, das Problem, überlegt und Punkt für Punkt bearbeitet worden. In der ganzen Frische seiner Kraft ging der Dichter ans Werk, aber das vom Problem ausgehende und deshalb schon etwas künstliche Feuer konnte nicht lange genug bewahrt werden, und in der Regel nach dem zweiten Acte tritt die enorme technische Mache an die Stelle der intensiven, aus der Heimlichkeit der Seele hervorbrechenden Kraft. Daher erzeugen alle Dramen Halm’s den Eindruck, sie seien gemacht, nicht geschaffen worden. Vortrefflich charakterisirte einmal Faust Pachler in einer Unterredung mit Halm die Arbeitsweise seines Freundes: „Sie gehen wie bei einer Schachaufgabe auf ein vorausbestimmtes Ziel los, Sie bestimmen das Feld, wo Sie dem König Schach geben, wo Sie ihn matt machen, und die Figuren und den Zug, womit Sie das thun wollen; Sie erreichen das auch meist, aber weil Sie schon vom Hause aus auf ein deutlich erkennbares Ziel hinweisen, so sieht man Ihrem Verfahren nur wie einem geistreichen Spiele zu; nicht die Lösung interessirt, sondern wie die Lösung herbeigeführt wird“. – Verschiedene andere Eigenheiten und Schwächen ergeben sich aus diesen Prämissen für die Stücke Halms. Concentrirt das Interesse des Dichteres sich auf den kunstgemäßen Ausbau des Problemes, so kommen leicht die Charaktere darüber zu kurz. Halm hat niemals einen Helden besonders vertieft geschildert, er begnügt sich immer mit dem, was bedingungslos erfordert war, um das Problem verständlich zu machen. Spieler und Gegenspieler heben sich wenig von einander ab. Wird eine Partei durch mehrere Personen vertreten, so tragen diese alle gleichartige Färbung, sind kaum zu unterscheiden. Halm’s Dramen haben keine Episoden. Das ist gewiß ein Vorzug in Anbetracht der Oekonomie der Stücke, aber auch ein Nachtheil, denn sie bekommen dadurch etwas Mageres, Steifes, Schematisches. Das gilt freilich nicht ausnahmslos, z. B. nicht für den Fechter von Ravenna. Mit dem Bestreben, die Aufgabe klar darzulegen, verbindet Halm besondere Bemühung, seine dichterische Intention herauszustellen. Das trägt zur Klarheit der Gliederung bei und erhöht den Eindruck der geschlossenen Kunstform, doch wiederum gibt es den Dramen einen starken Beisatz von Subjectivität. – Besonders ist Halm südlichen Stoffen geneigt, nicht bloß aus Vorliebe für die spanischen Muster, auch weil der Stoff da schon etwas von dem Temperamente besaß, das sonst der Dichter allein hätte hineintragen müssen. Denn Halm war nicht bloß sentimentalisch im Sinne der Schillerschen Definition, wie Tomaschek von ihm gesagt hat, sondern auch sentimental. Unter der Härte, die gelegentlich schroffstens herausbricht, war er bis zum Schwächlichen gefühlvoll. Davon hat er nun auf die kräftigsten Stoffe übertragen und den dabei eintretenden Widerspruch nicht empfunden, da seine Aufmerksamkeit nur der künstlerischen Behandlung des Problems zugewandt war und seine Individualität unbewacht in die Arbeit einfließen konnte. Daher weibische Männer wie Ingomar, Diego, Marcell, Dyce und wieder männische Frauen: Imelda, Maria de Molina, Thusnelda, Elektra, Wildfeuer. Nicht wenig hat zu diesen Gestaltungen, wenigstens der Heldinnen, Halms intime Freundschaft mit Julie Rettich beigetragen. Diese edle Frau und treff1iche Künstlerin war als Schauspielerin am Burgtheater in Wien seit Anfang der dreißiger Jahre angestellt, zwischen dem Rettich’schen und Halm’schen Ehepaare entstand ein enger Verkehr, insbesondere aber bildete sich ein inniges Freundschaftsverhältniß zwischen dem Dichter und Frau Julie. Sie rückte allmählich an die Stelle des despotischen Enk, der nicht lange nach der Abkehr seines geliebten Schülers unglücklichen Tod fand, sie wurde Halm’s [724] Beratherin, nahm an der Entwickelung seiner Arbeiten vom ersten Beginn ab Theil. Es ist kein Zweifel, daß Halm die weiblichen Hauptrollen seiner Stücke immer in Gedanken an Frau Rettich geschrieben hat, wie er denn bei seinen Dramen mehr als billig die vorhandenen Schauspieler in Rechnung zog. Aber nicht allein dem Antheil dieser Frau ist der weichere sowie der rhetorische Beisatz in Halm’s Dramen zuzuzählen, er lag schon tief in seiner Natur begründet. Der Bruch, welcher in das Volksthum des Deutschösterreichers seit der Gegenreformation gekommen war, ist auch bei Halm in Erscheinung getreten und die Verhältnisse der Heimath während seiner eigenen Zeit haben den in seinen Charakter gefallenen Zwiespalt geschärft. Schon in allem Aeußern: er war viel zu gebildet und idealistisch angelegt, um nicht den Zug des Jahrhunderts mit zu empfinden, aber doch sind in Folge seiner Berufsthätigkeit in ihm Stand und Staat zu persönlichen Elementen geworden. Poet, Aristokrat und Beamter haben sich in Halm nie ausgeglichen, jeder Gewinnst des einen war mit einer Buße an den anderen zu bezahlen.

Die Stoffe von Halm’s Erzählungen haben ungefähr dieselben Qualitäten wie die seiner Dramen. Aber die Bearbeitung ist ganz anders. Nur die Knappheit ist noch gemeinsam, in den Novellen entspringt sie der Fülle, ist Gedrungengenheit, in den Stücken der Sparsamkeit und läßt mitunter den Mangel fühlen. Die Probleme sind auch hier eminent dramatisch. Die Darstellung ist geradezu ausgezeichnet, klar, präcis, und von kühler Objectivität, welche, ein Product hohen Kunstverstandes, die Wirkung ins Furchtbare treibt. Alles ist plastisch. Die häufig gebrauchte indirecte Rede läßt sich lesen wie die Analyse in einem Gerichtsprotocoll. Durch diese Eigenschaften gelangt die „Marcipanliese“ (1854) zu ihrer dämonischen Gewalt, wird in dem „Haus an der Veronabrücke“ (1862 bis 64, die Stoffe zu beiden stammen von Pachler), den „Freundinnen“ (1860) das Undarstellbare möglich. Halm ist mit Grillparzer eine starke Sinnlichkeit gemeinsam, die überall lebhaft hervortritt, in mehreren Dramen den Grundaccord abgibt, daher Stoffe und Behandlung der Renaissance nahe legte. Hat auch das Studium der italienischen Novellisten (Brevio wurden ein paar Aufsätze gewidmet), Halm’s Prosa zu einer Höhe gehoben, die nicht weit von Michael Kohlhaas absteht, so ist doch schon die ursprüngliche Begabung in dem Fragmente „Das Auge Gottes“ (1826) zu merken, die den verblichenen Stoff mit energischen Farben schmückte. Die „Marquise von Quercy“ (1867–69) beginnt sehr breit und es ist die Frage, ob sie solchermaßen fortschreitend im Rahmen der Novelle hätte bleiben können. Es muß Wunder nehmen, daß Halm so wenige Novellen geschrieben hat und, noch mehr, daß er zu den wenigen sich erst entschloß, als ein Conflict mit dem Director Heinrich Laube ihm das Burgtheater zu versperren schien.

In Halm’s Werken befinden sich auch drei Bände Gedichte. Darunter ist „Charfreitag“ (1864) am nächsten verwandt mit den Prosaerzählungen, wenn auch der spät wirkende Einfluß Byrons nicht verkannt werden darf. Die Balladen spitzen sich sehr auf äußerliche Effecte zu und sind declamatorisch gehalten. Halm’s Lyrik leidet etwas an Unbestimmtheit, Farblosigkeit, das Persönliche will nicht recht heraus, die Empfindungen werden nicht kräftig gefaßt, sie fließen in Worten breit auseinander. Manches ist aber sehr hübsch, zumal wo ein stärkerer Inhalt in die fast immer gelungene Form zu bringen war. Am besten scheint, was ans Didaktische grenzt, und die Epigramme, welche zwar nicht so scharf und boshaft witzig sind wie die Grillparzers, aber doch treffend und oft sehr geistreich.

Halm ist bis jetzt nicht populär geworden und wird es nicht werden. Er hat nie versucht, auch nur in einem Liede den Volkston zu treffen, er konnte es [725] nicht, es ging wider seine Art. Von seinen Dramen haben manche großen Beifall errungen, ohne viel Aussicht auf dauernde Wirkung zu haben. Es sind akademisch gezogene Producte, aus dem Boden eines starken Talentes erwachsen, mit außerordentlichem Geschick gepflegt, unter spanischem Einfluß entfaltet. Die Schönheit der Sprache hält sie, stets werden sie dem strebenden Dramatiker lehrreiches Studienmaterial gewähren. Die Erzählungen stellen Halm zu den ersten deutschen Prosaisten.

Friedrich Halm’s Werke, 12 Bände, Wien, Gerold, 1856–1872, die vier letzten Bände durch die mit Testament bestimmten litterarischen Executoren Emil Kuh und Faust Pachler herausgegeben. Lebensskizze Halm’s von J. G. Seidl im Album österreichischer Dichter, Wien, 1850, S. 139 ff.; in Wurzbach’s Biographischem Lexicon 19. Band. Ueber Halm’s Dichtungen: Karl Tomaschek im Almanach der k. Akademie der Wissenschaften in Wien, 1872, S. 194 ff. Faust Pachler: Jugend- und Lehrjahre des Dichters Fr. Halm, Separatabdruck aus F. Stamm’s Oesterreichischem Jahrbuch für 1877. Zwei dramatische Fragmente, edirt von Faust Pachler in Blumenthal’s Neuen Monatsheften für Dichtung und Kritik, 1877, S. 42 ff. und einige kleinere Aufsätze von demselben und Ferdinand Raab in Wiener Journalen. Besonders verdanke ich vieles persönlicher Mittheilung und Hilfe Faust Pachler’s.