ADB:Platen, August Graf von
Uz wegstarb“, ward der Poet den „höchst würdigen Eltern“ geboren. Die Mutter, von welcher der Sohn den beharrlichen Eigenwillen geerbt zu haben scheint, war völlig in der französischen Bildung des 18. Jahrhunderts befangen, wie sie auch Zeitlebens mit ihm nur französischen Briefwechsel pflog; eine leidenschaftliche Leserin, erweckte sie auch in dem ihr jeder Zeit liebend vertrauenden Sohne gleiche Neigung. Weiße’s Kinderfreund reizte ihn früh zur dichterischen Nachahmung an und dieser kindische Dichtertrieb erstarkte, als auf die heiteren Jugendtage im elterlichen Hause die unerfreulichen Jahre militärischer Zucht folgten. Am 1. October 1806 trat P. in die erste Classe des Cadettencorps in München ein, dem er bis in den September 1810, wo er Aufnahme in das Erziehungsinstitut für königl. Edelknaben (Pagerie) fand, angehörte. Im Cadettencorps schloß er mehrere dauernde Freundschaften. Allein er fühlte sich unglücklich in der militärischen Zwangsanstalt, die alle drückenden Einrichtungen, unter denen einst Friedrich Schiller in der Karlsschule litt, kannte, ohne ähnliche Vortheile für die geistige Ausbildung zu gewähren. Dagegen konnte er in der Pagerie die Studien viel mehr nach Neigung betreiben; der Glanz der Hoffeste, an denen die Edelknaben dienend theilzunehmen hatten, erfüllte die Phantasie des heranwachsenden Knaben. Schon stand bei ihm fest, die Dichtkunst als Lebenszweck zu betreiben, während er als Beruf doch den, ihm vom Cadettencorps her eigentlich verhaßten Soldatenstand trotz mannigfacher Abmahnungen wählte. „Es sind“, schrieb er, „Motive welche nicht von dem Wesen des Soldatenstandes hergenommen sind, die mich bestimmen, sondern solche, die durchaus den Poeten betreffen – die viele Muße, die ich mir verspreche, die Hoffnung, die Welt zu sehen, der Aufenthalt in der Hauptstadt, die mir unter anderen Vortheilen besonders eine große Bibliothek bietet.“ Dagegen erschien ihm das Leben auf Universitäten verhaßt.
Platen: August Graf v. P.-Hallermünde, geboren zu Ansbach am 24. October 1796, † zu Syrakus am 5. December 1835, der kunstbegeistertste aller deutschen Dichter, hat im Leben wie noch Jahrzehnte nach seinem frühen Tode eine mehr von Gunst und Haß, als von sachlicher Würdigung ausgehende Beurtheilung über sich ergehen lassen müssen. Des Dichters Vater, August Philipp, stammte aus einer 1689 in den Reichsgrafenstand erhobenen alten Adelsfamilie der Insel Rügen; als Oberforstmeister des letzten Markgrafen von Ansbach vermählte er sich in zweiter Ehe 1795 mit Louise Freiin Eichler von Auritz. „In demselbigen Jahr alsAm 21. März 1814 wurde P. zum Unterlieutenant im 1. Infanterieregiment „König“, das in München garnisonirte, ernannt; seine active Dienstleistung umfaßte nicht volle vier Jahre, als beurlaubt wurde er aber in den Regimentslisten bis zu seinem Tode fortgeführt, wie er durch königliche Gnade auch seinen Lieutenantsgehalt fortbezog. Hatte einst Ewald v. Kleist über der Lesung Miltons einmal die Ablösung der Wachen vergessen, so ließ sich Lieutenant Graf P., der an Selbstquälerei und Zweifelsucht wie pedantischen Neigungen eher an Heinrich v. Kleist erinnert, im Dienste mehr als eine Nachlässigkeit zu Schulden kommen, die seinen Strafbogen füllte. Schon im Frühjahr 1814 quälte ihn die Sehnsucht nach Italien. Am 17. Juli schrieb er in sein Tagebuch: „Unter andern Umständen vielleicht wäre ich ein Dichter geworden. Ich bin aber zu unvollkommen als Mensch.“ Im Gegensatze zu seinen französisch gesinnten Kameraden hatte er schon im Cadettencorps für Deutschlands Freiheit geschwärmt. Am 15. April 1815 marschirte sein Regiment gegen Frankreich, allein ehe die Reservebrigade den Rhein überschritt, war bei Belle-Alliance die Entscheidung gefallen. Statt erträumter Thaten ergab das ermüdende Herummarschiren in Frankreich nur patriotische Gedichte; unzufrieden rückte er am 12. December wieder in seiner Gamison München ein. Wenigstens [245] hatte ihn der unblutige Feldzug von seiner aussichtslosen Liebe zu der schönen jugendlichen Marquise Euphrasie v. Boisseson geheilt. Im Juni 1816 trat er eine Reise in die Schweiz an, die ihm Heinrich Zschokke’s Bekanntschaft und bessere Gedichte, als er sie bisher zu Stande gebracht, eintrug. Vom 19. October bis Mitte Januar weilte er im Elternhause zu Ansbach. Pläne zu einer Reise nach Persien, zur Flucht nach Amerika, wo er als Sprachmeister sein Brod verdienen will, tauchen auf. Wichtig für seine Entwickelung wurde der Aufenthalt in Schliersee vom Juni bis October 1817.
Hier entstand die „Hymne der Genien zum Säkularfest der Reformation“, die erste Arbeit, welche der ängstliche P. durch den Druck veröffentlichte (München 1817), wie auch der aus gleichem protestantischem Geiste entsprungene Schwank „Der Sieg der Gläubigen. Ein geistliches Nachspiel“, 1820 umgearbeitet und unter dem Titel „Die neuen Propheten“ zwei Jahre später in die vermischten Schriften aufgenommen. Den stets eifrig getriebenen historischen und sprachlichen Studien traten in Schliersee noch botanische zur Seite. Es war gewiß dilettantenhaft, wenn P. wähnte, ohne methodische Anleitung Naturwissenschaften treiben zu können, mehr als ihm selbst klar war, mag ihm dabei Goethe’s unerreichbares Beispiel vergeschwebt haben. Allein seinem vielfachen Umhertasten lag doch das richtige Gefühl zu Grunde, daß eine möglichst umfassende, auch auf das Kleinste achtende Ausbildung für das dichterische Auftreten, wie er es erstrebte, Vorbedingung sei. Damals in Schliersee schrieb er sich auch die „Lebensregeln“ (erst 1839 gedruckt) nieder, an deren Schlusse er, nachdem er bis dahin viel in französischer und englischer Sprache gedichtet hatte, den Grundsatz aufstellt, künftig nur der Muttersprache sich bedienen zu wollen, denn „was eine andere Sprache vor der deinigen voraus hat, was nicht in der deinigen liegt, glaube, daß dies auch nicht im Charakter der Nation liege!“ Seine litterarischen Studien wie die eigenen dichterischen Uebungen hatten bereits eine beträchtliche Ausdehnung angenommen. Auffallend dabei ist, mit welcher Vorliebe er classicistische Dichter wie Pope, Gray und französische wie Corneille, Racine, Delille, aus denen er übersetzte, und Voltaire immer wieder von Neuem vornahm. Tasso, Ariost, Cervantes, Guarini, den er besonders liebte, Camoens las er in der Ursprache neben Homer, Horaz, Xenophon, Tacitus. Horazens Oden machten bereits 1817 besonders tiefen Eindruck auf ihn, er las sie wieder und wieder und vertheidigte ihren Autor gegen diejenigen, welche Horaz nicht als Dichter, sondern nur als Nachahmer gelten lassen wollten. Als ausübender Dichter gehörte er jedoch der romantischen Richtung an. Nach dem Vorbilde von Müllner, den er in München noch bewunderte, dichtete er eine Tragödie „Der Hochzeitsgast“, daneben tauchen Konradin, nach dem Muster von Goethe’s Egmont, Pyramus und Thisbe, die Tochter Kadmus’, als Tragödienstoffe auf. Große Epen in freier oder streng gebildeten Stanzen werden wie Gustav Wasa und Odoaker in Angriff genommen oder theilweise wirklich ausgeführt, wie „Arthur von Savoyen“ und „Die Harfe Mahomets“. Elegien und Oden nach Horaz und Properz, Heroiden nach Pope, Balladen, Epigramme und didaktische Gedichte entstehen zahlreich, sogar der Plan zu einem Romane „Hinterlassene Papiere einer Nonne“ findet sich vor. Das meiste blieb unvollendet, in die späteren Sammlungen der Werke ging fast nichts von allen den Arbeiten über, die auch der Mehrzahl nach mehr den Einfluß von Platen’s Lectüre als dichterische Selbständigkeit zeigen. Allein in diesen mit unermüdlicher Hingabe betriebenen Versuchen erwarb er sich die Meisterschaft der Form. Hier hat er „nie zu träge“ die Kunst erlernt. Den Kriegsdienst im Frieden ertrug der Musenfreund nicht länger; die Gnade des Königs gewährte ihm das bereits verscherzte Pagenvorrecht einer Unterstützung auf drei Jahre, und er konnte [246] Ostern 1818 die Universität Würzburg beziehen, um sich auf späteren Eintritt in den diplomatischen Dienst vorzubereiten. Am 25. August legte der 22jährige das nachträglich geforderte Abiturientenexamen ab. Im Herbste 1819 siedelte er nach Erlangen über, wo er mit Unterbrechungen bis zum Schlusse des Sommersemesters 1826 seine Studien fortsetzte; vgl. Engelhardt „Platen in Erlangen“ 1836 in Nr. 210–215 des Morgenblattes; G. Böhm, „Aus Platens Jugendzeit“, Münchener allg. Zeit. 1887 Nr. 268 u. 269.
In Würzburg hatte der Philosoph J. J. Wagner mehr verwirrend als fördernd auf ihn gewirkt, in Erlangen gab er sich Schelling’s glücklichem Einflusse hin. Am 19. Februar 1820 schrieb er in sein Tagebuch: „Entschluß mich fortan emsig mit den historischen und Naturwissenschaften zu beschäftigen, und meinem Trieb zur Poesie zu folgen, und lieber ein ganzer Mensch zu werden, wenn es mir auch in Zukunft schlecht gehen sollte, als ein halber zu sein, und wär’s auch ein Gesandter. Lieber betteln als meine Individualität opfern“. In Erlangen selbst, wo er der Burschenschaft angehörte, sammelte sich ein wechselnder Freundeskreis um P., in den auf kurze Zeit auch Justus Liebig eintrat. (Carriere, Liebig und P. 1873 in Nr. 172–176 der Augsb. allg. Ztg.] Die Ferien benutzte er zu Reisen, die ihm in Bayreuth Jean Paul’s, in Ebern Rückert’s Freundschaft einbrachten, in Kassel ihn zu Jak. Grimm, in Jena zu Goethe führten. Die Rückreise von Wien führte ihn durch Böhmen und gab Anlaß, auch das Studium dieses slavischen Sprachzweiges zu beginnen, nachdem er sich die Kenntniß fast aller europäischen Sprachen bereits angeeignet. Als Frucht seiner orientalischen Studien erschienen Erlangen 1821 die „Ghaselen von August Graf v. Platen-Hallermünde“, denen er 1824 „Neue Ghaselen“ folgen ließ; Goethe inspirirte Eckermann’s rühmende Recension „Kunst und Alterthum“ IV, 3, 159, nachdem er selbst III, 3, 175 Platen’s Ghaselen als „wohlgefühlt, geistreich, dem Orient vollkommen gemäße, sinnige Gedichte“ gerühmt hatte. Das Formengebiet der deutschen Dichtkunst war durch dieses erste Auftreten Platen’s erweitert worden und die „Neuen Ghaselen“ bewiesen bereits, daß er jede Form auch mit Gehalt zu füllen wisse.
Im Herbste 1824 reiste P. zum ersten Male nach Italien; Venedig begeisterte ihn zu längerem Bleiben, die „Sonette aus Venedig“ (Erlangen 1825) geben in wunderbarer Vollendung die gewonnenen Eindrücke wieder, aber die ohne Urlaub unternommene Reise zog dem Lieutenant P. eine längere Arreststrafe in Nürnberg zu (2. Januar bis 22. März 1825). Während dieses Arrestes schrieb er seine Abhandlung „Das Theater als ein Nationalinstitut betrachtet“ und vollendete das Schauspiel „Treue um Treue“ (gedruckt 1828), das am 18. Juni in Erlangen mit großem Beifalle aufgeführt wurde; H. Brunner, über Aucassin und Nicolette, Kassel 1881; Wagner, Aucassin et Nicolete comme imitation de Floire et Blanchefleur et comme modèle de Treue um Treue, Arnstadt 1883. Schon vorher hatte er in den „Vermischten Schriften“ (Erlangen 1822) die dramatische Skizze „Marats Tod“ veröffentlicht, ein einactiges Geschichtsbild in Prosa, wie das spätere dreiactige geschichtliche Drama „Die Liga von Cambrai“ (Frankfurt 1833). Das erste Bändchen der Schauspiele (Erlangen 1824) hatte die heroische Comödie „Der gläserne Pantoffel“ und die Comödie „Berengar“ gebracht; dem ersteren Werke entspricht das Lustspiel „Der Schatz des Rhampsinit“ (1824), dem letzteren „Der Thurm mit sieben Pforten“, beide in den „Schauspielen“ (Stuttgart 1828).
Berengar und der Thurm nähern sich durch ihren Stoff dem Schwanke, durch die ebenso anmuthige wie würdige Behandlung werden jedoch beide in eine höhere Sphäre gehoben. Treue um Treue, Pantoffel und Schatz zeigen den Dichter als Romantiker. Das Schauspiel sucht die nach J. Grimm’s Urtheil [247] schönste aller altfranzösischen Dichtungen in ritterlichem Geiste vorzuführen, das beste Fouqué’scher Dichtung erscheint hier in idealer Steigerung; das Vorbild der Tieck’schen Comödie hat auf Pantoffel und Schatz eingewirkt. Die romantische Ironie herrscht vor und die Verquickung der Märchen von Aschenbrödel und Dornröschen zu einem, im Ganzen komisch behandelten Drama erscheint wenig lobenswerth trotz alles lyrischen Glanzes, den eine wirklich poetische Diction über das Ganze verbreitet. Das Herodot’sche Märchen hat durch die romantische Dramatisirung weniger als die deutschen eingebüßt. Als Vorstufe späterer Arbeiten erscheint in beiden Comödien die nach Tieck’s Muster geübte litterarische Satire bemerkenswerth. Goethe (Gespräche mit Eckermann I, 99) sah in den beiden Märchendramen den Einfluß Calderons, den P. allerdings in Würzburg und Erlangen eifrig studirte und tadelte den Mangel an innerer Fülle.
P. selbst erklärte im Frühjahre 1826 alles, was er bis dahin geschrieben, für Pfuschereien. Das Meisterstück, welches ihn in die Zunft der Unsterblichen einführen sollte, glaubte er in dem Lustspiel „Die verhängnißvolle Gabel“ (Stuttgart 1826) zu liefern. Dieser ersten großen Litteraturcomödie folgte einige Jahre später aus Italien die zweite, noch vollendetere „Der romantische Oedipus“ (Stuttgart 1829). P. selbst wußte recht wohl, daß ein Wettstreit mit Aristophanes sich nicht bloß auf das litterarische Gebiet beschränken dürfe. Nicht sein Wille, sondern die erbärmlichen deutschen Verhältnisse zwangen ihn, das politische Gebiet zu meiden oder doch nur flüchtig zu streifen. Hatte sich doch auch Rückert genöthigt gesehen, seine politische Komödie Napoleon unvollendet zu lassen. Litterarhistorisch erscheint P. als Nachahmer von Aristophanes; Tieck hatte diese Nachahmung unter Beiseitesetzung aller Form begonnen, Rückert weiterzubilden gesucht, P. als der erste schuf Kunstwerke, in der Form den besten hellenischen ebenwerthig, dem Geiste des Aristophanes verwandt und doch selbstständig. Die falschen litterarischen Tendenzen bekämpfte er als gefährliche Feinde einer gesunden Entwickelung unseres Volkes; die Vernichtung der unsittlichen Schicksalstragödie war nicht nur eine große ästhetische, sondern auch eine ethische That. Immermann freilich hat nach seinem Wollen und Wirken die Verurtheilung als Nimmermann nicht verdient; sein edles Streben hätte ihn eigentlich mit P. verbinden müssen (vgl. Bd. 159 in Kürschner’s „deutscher Nationallitteratur“, Stuttgart 1887), allein seine unnatürlich zu nennende Verbindung mit Heine mußte den Dichter des gewaltigen Merlin P. in ganz falschem Lichte erscheinen lassen. Ungerechtfertigt, ja frivol hatte Immermann einen Angriff auf P. begonnen, den dieser viel mehr sachlich als persönlich erwiderte. Der Verehrer von Goethes Iphigenie und Pandora und der Griechen bekämpfte in Immermann die überlebte falsche Romantik. Gesunde Elemente der Romantik hat P. selbst in Gedichten und Balladen, wie in seinen orientalischen Dichtungen Ghaselen, Hafisübersetzung, Abbasiden) aufgenommen. Es ist eine durchaus falsche Vorstellung, wenn man P. in seiner letzten Lebensperiode als einseitigen Verehrer der Antike darstellt. „Die Abbasiden“ (im Taschenbuche „Vesta“ für 1834), seine „Odyssee“, sind durch ihren Stoff romantisch. Seine Ilias sollte das große Epos „Die Hohenstaufen“ in der Nibelungenstrophe behandeln, also Stoff und Form romantisch, und dem Romantiker auf dem Throne, Friedrich Wilhelm IV. (damals, 1829, noch Kronprinz) sollte das Werk gewidmet werden. Wie Goethe zu gleicher Zeit an Tell und die Achilleis gedacht hatte, so schloß auch bei P. in seiner reifsten Zeit die classische Richtung keineswegs die Pflege romantischer Stoffe und Formen aus.
Am 3. September 1826 verließ er Erlangen, um, wie er wohl schon damals entschlossen war, dauernden Aufenthalt im Süden zu nehmen. Kaum auf italienischem Boden angelangt, begann er in Florenz seine Odendichtung, die er [248] in Rom fortsetzte; daneben arbeitete er an Tragödien (Meleager, Tristan und Isolde). Im April 1827 ging er nach Neapel, wo ihn der Freundschaftsbund mit August Kopisch (s. A. D. B. XVI, 660) beglückte. Vom 23. November 1828 bis 28. April 1829 weilte er wieder in Rom. Den Antrag, eine Theaterzeitung in Berlin herauszugeben, lehnte er selbstverständlich ab, obwohl König Ludwig I. von Baiern den Dichter weniger, als dieser nach des Königs Brief vom 3. Juni 1827 hätte erwarten dürfen, unterstützte. Am 12. September 1828 wurde er auf Schelling’s Betreiben zum außerordentlichen Mitgliede der königl. Akademie der Wissenschaften ernannt. Allein erst am 30. August 1832 kehrte er selbst, durch den Tod seines Vaters genöthigt, nach München zurück, nachdem er Italien nach allen Richtungen durchstreift hatte. Einzelne seiner Oden, Epigramme und Balladen waren im Morgenblatt, dem Taschenbuch für Damen und im deutschen Musenalmanach erschienen; eine mit peinlichster Sorgfalt getroffene Auswahl stellte er in dem Band „Gedichte“ (Stuttgart 1828, 2. Aufl. 1834) zusammen. Am 1. April 1833 war er wieder in Venedig, kehrte aber im Herbste nochmals nach München zurück, um im Frühjahr 1834 Deutschland für immer zu verlassen. Wieder ging er nach Neapel; es entstanden die 10 Hymnen, welche er selbst als das Beste, wie die Sonette für das Seelenvollste seiner lyrischen Sachen bezeichnete. Immer mehr traten die historischen Studien für ihn in erste Reihe. Sallust als Muster vor Augen hatte er die „Geschichten des Königreichs Neapel von 1414 bis 1443“ ausgearbeitet (Frankfurt 1833); eine Studie über den „Ursprung der Carraresen und ihrer Herrschaft in Padua“ ward begonnen. Mit der höchsten Vollendung der Prosa verband sich hier gründlichstes Quellenstudium. Schon hatte er in der „Liga von Cambrai“ versucht, ein Idealbild aus der venetianischen Geschichte zu skizziren; seinen folgenden Dichtungen wollte er historische Stoffe zu Grunde legen, denn lebhaft regte sich sein patriotisch-historischer Sinn. Er erkannte in Preußen den Hort Deutschlands und zürnte sehen zu müssen, wie wenig man dort der großen historischen Aufgabe Verständniß entgegenbrachte. Von dem barbarischen Russenthume aber sah er die Gefahr für Deutschland drohen; in diesem Sinne schrieb er den von der Censur unterdrückten „Briefwechsel zwischen einem Berliner und einem Deutschen“, seine Polenlieder, das zum Sprichwort gewordene Gedicht „Der Rubel auf Reisen“. In Piemont wurden ihm seine eigenen Gedichte confiscirt; den von dort ausgehenden Aufschwung seines geliebten Italiens sollte er nicht mehr erleben. Am 6. December 1835 wurde der edle deutsche Dichter, dem das undankbare Vaterland Henri Heine’s Frivolitäten vorgezogen hatte, in Syrakus begraben.
Die erste Ausgabe der gesammelten Werke (Stuttgart 1839) in einem Quartbande besorgte des Dichters treuer Freund Graf Fugger; Goedeke lieferte die Biographie. Die einzige zuverlässige und am meisten enthaltende Ausgabe ist die von Karl Redlich in 3 Bänden mit Biographie in der Hempel’schen Classikersammlung herausgegebene, besonders werthvoll auch durch die „chronologische Uebersicht“. Aus dem umfangreichen dichterischen Nachlasse, den die Münchener Hof- und Staatsbibliothek verwahrt, hat auch Redlich nur weniges neu aufgenommen. Das von Engelhardt und Pfeufer herausgegebene Fragment „Platen’s Tagebuch 1796–1825“ (Stuttgart 1860) ist ein willkürlicher, vollständig principienlos hergestellter Auszug aus den 18, Platen’s ganzes Leben umfassenden Bänden der Platen’schen Tagebücher; kaum ein Satz ist unverändert wiedergegeben. Stehen der vollständigen Veröffentlichung dieser Tagebücher auch unüberwindbare Hindernisse entgegen, so wäre doch eine theilweise Erschließung derselben durch einen pietätvollen Verehrer Platen’s dringend zu wünschen. P. hat von Jugend an Rousseau’s Confessions bewundert; in seinen Tagebüchern [249] haben wir ein Werk, das an Eigenart, an allgemein litterarischem wie an psychologischem Interesse den berühmten Confessions nicht nachsteht.
Platen’s formale Vorzüge werden allgemein bewundert; vgl. Jak. Grimm’s Urtheil („Briefe an hessische Freunde“, Marburg 1886). Die sorgsamere Pflege von Vers und Reim in der deutschen Dichtung ist von ihm ausgegangen. Seine Zucht und Schule haben viele, vor allen E. Geibel (Werke I, 96, 116, 217; III, 69; V, 67) dankbar anerkannt. Antike Formen, Trimeter und Anapäste, Oden und Disticha, vor allem Pindarische Hymnen hat kein Deutscher in ähnlicher Vollkommenheit wie er gedichtet; in orientalischen Formen hat Rückert ihn erreicht, für das Sonett ist er der unbestritten erste Meister. Der Vorwurf der Marmorglätte und Künstelei ist kein gerechter; P. hat nie der Form einen absoluten Werth zuerkannt, im Gegentheil ihre Vollendung für die höchste Selbstverleugnung des Künstlers erklärt (Aphorismen 11–19). Der deutschen Modelitteratur gegenüber hatte er das durchaus gerechtfertigte Selbstbewußtsein seiner historischen Mission; die Gegner suchten ihn als Aristokraten verhaßt zu machen. Er „freute sich seines Adels, weil er dessen Vorurtheile eher verachten konnte, ohne für neidisch und gemein gehalten zu werden“. Der edle Sinn, der diesen Ausspruch kennzeichnet, verleugnet sich nirgends in seinem ganzen Leben. Er war tief religiös, aber eben ein ganz antiker Mensch wie Winkelmann. Auch P. zog „aus der bildenden Kunst die größten Belehrungen“. Durch die Macht seines Genius die Bildung eines Jahrhunderts zu fördern und ihm seinen Stempel aufzudrücken wie Goethe, die alles ergreifenden Ideen einer neuen Zeit zum Gemeingut Aller zu machen wie Schiller, große ästhetische wie religiöse Reformen herbeizuführen wie Lessing, war P. nicht beschieden. Der deutschen Dichtkunst aber höhere Vollendung zu geben, als die Classiker selbst gethan, das Falsche in seiner Nichtigkeit enthüllend, die ewig wahren Ziele der Kunst aufzuweisen, tiefe Ideen würdig auszudrücken, das war eben ihm wie vielleicht keinem andern beschieden. Maßvoll und edel, schönheitstrunken und klarblickend rühmen wir ihn als einen unserer besten, dem die deutsche Litteratur und Bildung mehr verdankt, als es auf den ersten Blick scheint, obwohl er fast im Beginne seiner dichterischen Reise uns entrissen ward.
- Die Hauptquelle für Platen’s Kenntniß bildet neben Redlich’s Ausgabe das ungedruckte Tagebuch. – Seine kurze Selbstbiographie Redlich III, 269. – Briefwechsel zwischen A. Graf v. Platen und Johannes Minckwitz nebst einem Anhang von (wichtigen) Briefen Platen’s an Gustav Schwab, Leipzig 1836. – Weitere Briefe im Octoberheft der deutschen Revue 1884. – L. Böhme, Zur Würdigung Platen’s, Annaberg 1879. – K. Strackerjan, Wilhelm Müller und Aug. Graf v. Platen, Oldenburg 1884. – Goethe’s Brief an Platen, Goethejahrbuch I, 270; vgl. VI, 201. – H. Welti, Geschichte des Sonetts in der deutschen Dichtung, Leipzig 1884. – Fernere Litteratur und ausführliche Biographie Goedeke III1, 554–572.