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Artikel „Bruck, Karl Ludwig Freiherr von“ von Franz Philipp von Sommaruga in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 3 (1876), S. 376–388, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Bruck,_Karl_Freiherr_von&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 20:32 Uhr UTC)
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Bruck: Karl Ludwig, Freiherr v. B., k. k. österreichischer Finanzminister. Aus einer angeblich altadelichen und aus Frankreich eingewanderten, jedenfalls aber in der Folge herabgekommenen Familie entsprang Karl Ludwig B., geb. im Berg’schen am Rhein 8. Oct. 1798 als der Sohn bürgerlicher Eltern. Nach zurückgelegten Schuljahren machte er als Freiwilliger in einem preußischen Uhlanenregimente den Feldzug gegen Frankreich im J. 1815 und den Einzug in Paris mit. Nach Abschluß des Friedens nach Bonn zurückgekehrt, verließ er jedoch den Militärstand, der seinem unruhigen, lebhaften Geiste keine Nahrung bot. Er ging mit sehr geringen Mitteln nach London, wo er, jedoch vergeblich, in den Dienst der ostindischen Compagie einzutreten trachtete, durchwanderte dann, das Ränzel am Rücken, ganz Frankreich, und kam, nicht ohne mancherlei Abenteuer, im J. 1821 in das Elternhaus nach Bonn zurück. Sein frühzeitig entwickelter etwas abenteuerlicher Sinn führte ihn im selben Jahre nach Triest, von wo er als Philhellene an dem Unabhängigkeitskampfe der Griechen Antheil nehmen wollte. Er fand daselbst in dem preußischen Consul Brandenburg einen wohlwollenden Gönner, der ihn vor der Bedenklichkeit seines Vorhabens warnte, indem er ihn mit verschiedenen, mit getäuschten Hoffnungen aus Griechenland zurückkehrenden Philhellenen bekannt machte. Anstatt griechischer Freiheitskämpfer zu werden, nahm B. eine angebotene Stelle im Comptoir seines Gönners an, und machte sich bald durch den Eifer und die Umsicht, die er im Geschäfte zeigte, und durch die natürlichen Anlagen, die er dazu mitbrachte, bemerkbar. Einer der angesehensten Bürger Triests, Herr v. Reyer, der Gatte der Freundin Goethe’s, [377] lernte ihn kennen und verschaffte ihm eine Anstellung bei der „Azienda Assecuratrice“, zu deren Secretär er allmählich vorrückte. In dieser neuen Stellung verheirathete sich B. mit Marie Buschek, der Tochter eines vermöglichen Kaufmanns und Rheders in Triest, und widmete von nun an seine ganze Thätigkeit der neugeworbenen Heimath. Die Versicherungsgesellschaft, deren Secretär B. war, fallirte und die Abwicklung ihrer Geschäfte ward ihm übertragen. Die Gewandtheit, die er dabei an den Tag legte, steigerte das Vertrauen, das er bereits in den kaufmännischen Kreisen Triests genoß, so sehr, daß es ihm nicht schwer ward, die Handelswelt für einen Plan zur Verschmelzung aller Triester Versicherungsinstitute in eine einzige Anstalt zu gewinnen, den er im J. 1830 vorlegte. Nach vielen Hindernissen, die ihm die Indolenz des Triester Platzes und feindliche Privatinteressen in den Weg legten, brachte B. im J. 1833 seinen Plan glücklich in Ausführung und der „Triester“, später „Oesterreichische Lloyd“, eine Versicherungsgesellschaft, die auf allen Handelsplätzen Agenten hatte, und die Correspondenzen derselben in eigens dazu eingerichteten Lesesälen ihren Mitgliedern zur Einsicht vorlegte, trat ins Leben. Bei diesem ersten Erfolge blieb der rege Geist Bruck’s nicht stehen. Der Seeverkehr Triests war damals noch in der Kindheit. Mit Ausnahme zweier Dampfschiffe einer englischen Gesellschaft, welche die Verbindung mit Venedig unterhielten, war Triest in seinem Handel nach den anderen Häfen Italiens, Griechenlands, Aegyptens und der Levante ganz auf die, zum größten Theile in den Händen von Griechen befindliche unsichere Segelschifffahrt angewiesen. Die Nachrichten aus Alexandrien kamen damals fast regelmäßig über Marseille oder gar über London. Um diesem Mangel abzuhelfen, faßte B. den Plan zur Gründung einer Dampfschifffahrtsgesellschaft, welche regelmäßig zwischen Triest und allen wichtigen Hafenplätzen des adriatischen und der östlichen Hälfte des mittelländischen Meeres fahren sollte. Mit Hülfe des Fürsten Metternich, den er dafür zu gewinnen wußte, und unter der Aegide des Hauses Rothschild kam sie im J. 1837 als zweite Abtheilung des Lloyd und unter Uebertragung der Leitung an ihn als ersten Director zu Stande. Unermüdlich für die Ausbreitung des jungen Unternehmens thätig, legte B. so den Grund zu dem großartigen Werke, welchem Oesterreich heute den Besitz der größten, auch zu Kriegszwecken verwendbaren, Dampfflotte im adriatischen und mittelländischen Meere, und damit seine dominirende Stellung als Seehandelsmacht in der Levante verdankt. Wenige Jahre später gründete B., unterstützt vom Gouverneur Grafen Franz Stadion, das Tergesteum, eine der größten Zierden Triests, in welchem daß Handels- und Börsenleben des Platzes seinen Mittelpunkt gefunden hat, mit einem großartigen mercantilen Leseinstitut und der eigenen Druckerei des Lloyd, durch welche in die beengenden Censurschranken des damaligen Systems schon frühzeitig eine Bresche gelegt wurde. Die großen Verdienste Bruck’s um Triest, das seiner schöpferischen Kraft vor allem seine Blüthe und seinen Aufschwung dankt, wurden von der Regierung im J. 1847 durch Verleihung des Leopoldsordens und Erhebung in den österreichischen Ritterstand anerkannt.

Bei dem Ausbruche der Bewegung im J. 1848, bei welcher B. in der entschiedensten Weise gegen die Tendenzen der italienischen Partei auftrat und Triests Stellung als deutsche Stadt verfocht, ward er, als die Wahlen zum deutschen Parlamente ausgeschrieben wurden, von seinen Mitbürgern einstimmig gebeten, diesen Vertrauensposten anzunehmen. B. trug anfänglich dagegen Bedenken, indem die schwierigen Verhältnisse des nach dem Tode seines Schwiegervaters Buschek übernommenen Geschäftes und insbesondere die Verwicklungen mit der in Bahia gegründeten Commandite seine persönliche Einsichtnahme erheischten. Erst nachdem die ersten Firmen in Triest, die sich von dem vollkommen [378] aufrechten Stande seines Geschäftes überzeugt hatten, ihm ihre Dienste uneingeschränkt zur Verfügung stellten, ließ er sich zur Annahme der Wahl bestimmen, und trat im Mai 1848 in die deutsche Nationalversammlung ein. Er ward zum Obmann des Marineausschusses gewählt, und trat auch bei mehreren Gelegenheiten, insbesondere bei der drohenden Beschießung Triests durch Albini’s Flotte und aus Anlaß einer Beschwerde gegen das von der österreichischen Regierung ausgegangene Verbot der Silberausfuhr mit großem Erfolge als Redner auf, dabei stets neben der wärmsten deutschen Gesinnung die muthvolle Zuversicht des österreichischen Patrioten bewährend. Nach dem Eintritte Schmerling’s in das neue Reichsministerium ward B. von der österreichischen Regierung zum Bevollmächtigten bei dem Reichsverweser Erzherzog Johann ernannt. Seine Thätigkeit in Frankfurt währte indeß nicht allzulange, indem er, noch während des Wiener October-Aufstandes nach Olmütz berufen, am 21. November 1848 auf Empfehlung des Grafen Stadion als Minister für Handel, Gewerbe und öffentliche Bauten in das vom Fürsten Felix Schwarzenberg gebildete neue österreichische Ministerium trat. Bevor B. noch sich mit der Organisirung seines, in ganz provisorischem Zustande befindlichen Ministeriums befassen konnte, ward ihm jedoch eine anderweitige, ebenso schwierige wie von einem ganz ungewöhnlichen Vertrauen zeugende Mission zu Theil. Der Krieg mit Sardinien war mit der Niederlage Karl Alberts bei Novara beendet. Die Militärpartei drang darauf, den Sieg noch weiter zu verfolgen und den Frieden in Turin zu dictiren. Die Rücksicht auf die drohende Einsprache Frankreichs und Englands behielt jedoch die Oberhand und bestimmte das österreichische Cabinet, dem Heere Radetzky’s Halt zu gebieten und B. mit den in Mailand stattfindenden Friedensunterhandlungen zu betrauen. Nach langwierigen und schwierigen Verhandlungen, die wiederholt an den überspannten Forderungen der Kriegspartei zu scheitern drohten, schloß B. am 6. August 1849 mit Revel und Dabormida zu Mailand den Frieden ab. Derselbe verschaffte Oesterreich nicht nur einen ausreichenden Ersatz für die Kriegskosten (60 Millionen Francs), sondern führte auch zum Abschlusse eines Handels- und Schifffahrtsvertrages, zur Erneuerung der Convention vom 4. Dec. 1834 in Betreff der Unterdrückung des Schleichhandels auf dem Lago Maggiore, Tessin und Po, sowie zur befriedigenden Lösung der seit 1751 schwebend verbliebenen Streitigkeiten in Betreff der Grenze zwischen der Lombardei und Piemont. Gleichzeitig war jedoch B. auch darauf bedacht, die seit drei Jahrzehnten anhängigen Verhandlungen mit den italienischen Herzogthümern und mit dem Kirchenstaate wegen der freien Poschifffahrt zu einem gedeihlichen Ende zu bringen, und mit den ersteren den Abschluß einer Postconvention und einer Vereinbarung in Betreff ihres Anschlusses an den österreichischen Zollverband zu bewirken.

Nach diesen diplomatischen Erfolgen, welche durch Verleihung des Großkreuzes der eisernen Krone und die Erhebung in den Freiherrnstand anerkannt wurden, eilte B. nach Wien, um sich mit ganzer Thätigkeit der Organisation seines Ministeriums zu widmen, die er im October 1849 vollendete. Eine seiner ersten und wohlthätigsten Reformen war die im März 1850 zur Ausführung gelangte Errichtung der Handels- und Gewerbekammern in der ganzen Monarchie. Diese Institution, als Organ zur legalen Kundgebung der Wünsche und Bedürfnisse der gewerblichen und Handelskreise geschaffen, hat seither nicht nur all die zahlreichen Wechsel aller politischen Einrichtungen in Oesterreich siegreich überdauert, sondern sich auch als Krystallisationspunkt für die hauptsächlich auf der deutschen Bevölkerung ruhenden Interessen des Culturfortschrittes in politischer Rücksicht bestens bewährt. Mit besonderer Energie widmete sich B. der Ausbildung und Verbesserung des noch sehr unvollkommenen Communicationswesens.

[379] Die Fortsetzung der damals mit Ausnahme der Nordbahn fast durchgehends in den Händen des Staates befindlichen Eisenbahnen, darunter die Ausführung der auf 25 Millionen Gulden veranschlagten Sömmeringsbahn, wurde unverweilt in Angriff genommen und kräftigst gefördert. Ebenso wurden eine größere Zahl von Steinstraßen gebaut, die Regulirung der Theiß unter Beiziehung der betheiligten Anrainer (Adjacenten) angebahnt, die Hafenarbeiten in Triest und Venedig weiter gefördert. Das Postwesen wurde durch Herabsetzung des Porto, Einführung der Briefmarken und der Geldpostanweisungen zum großen Vortheil für den Verkehr umgestaltet, und durch den Staatsvertrag vom 6. April 1850 der Grund zum österreichisch-deutschen Postverein gelegt. Die Einrichtung der Telegraphen wurde unter Bruck’s Verwaltung wesentlich erweitert und dessen Benützung zur Beförderung von Privatdepeschen in liberaler Weise gestattet. Am eingreifendsten gestaltete sich Bruck’s Thätigkeit auf dem Gebiete der Zoll- und Handelspolitik. Obwol, wie begreiflich, ein Gegner aller den Handelsverkehr künstlich beengenden Schranken, konnte B. doch mit Rücksicht auf die bisher durch halbe Prohibitivzölle übermäßig geschützte österreichische Industrie nicht sofort an den Uebergang zu dem entgegengesetzten Extreme des Freihandels denken. Die durchgreifende Revision des bisherigen Zolltarifes unter möglichster Annäherung an jenen des Zollvereins und die Gewinnung eines möglichst ausgedehnten Absatzgebietes für die Erzeugnisse der österreichischen Industrie dagegen blieb das Ziel, dem er unausgesetzt seine ganze Kraft widmete. Mit dem 1. Oct. 1850 waren die Zollschranken zwischen Oesterreich und Ungarn gefallen und damit für die Boden- und Industrie-Erzeugnisse beider bisher getrennten Reichshälften ein fast doppelt so großer freier Markt gewonnen. Hiebei blieb jedoch B. nicht stehen, sondern ließ sofort einen weiteren Schritt folgen, der den Anschluß Oesterreichs an den deutschen Zollverein anbahnen sollte. Am 21. Januar 1851 wurde unter seinem persönlichen Vorsitze ein förmlicher Zollcongreß, zu dem Delegirte aller österreichisch-ungarischen Handelskammern beigezogen wurden, eröffnet und demselben ein nach obigen Gesichtspunkten umgearbeiteter Zolltarif vorgelegt, der auch nach manchen harten Debatten mit wenigen Modificationen angenommen ward, und nach dem Ausspruche des Ministers den Uebergang zum vollständigen Anschlusse Gesammt-Oesterreichs an den deutschen Zollverein bilden sollte. Die zu Ende 1850 zur Berathung der Bundesreform eröffneten und von allen deutschen Regierungen beschickten Conferenzen in Dresden führten indessen auch in diesem Punkte zu keinem bestimmten Resultat. Ebensowenig auch die directen Unterhandlungen, die in Folge dessen mit Preußen und den übrigen Zollvereinsstaaten angeknüpft wurden, aber in Folge des Widerstrebens Preußens gegen die Annäherung Oesterreichs nicht vorwärts gingen.

Mitten unter dieser reformatorischen Thätigkeit ward jedoch Bruck’s Wirksamkeit ein vorzeitiges Ende gesetzt. In theilweisem Conflict mit dem Finanzminister Baron Krauß, welcher, ein Freund kleiner Mittel, den großartigen Conceptionen seines Collegen mit Rücksicht auf die damit verbundenen momentanen finanziellen Opfer Schwierigkeiten bereitete, und argwöhnisch beobachtet von einer am Hofe einflußreichen Clique, welche von Bruck’s freisinniger Politik Nachtheile für ihre persönlichen Interessen besorgte, sah er sich, besonders nach dem Austritte Schmerling’s aus dem Cabinet, bald so sehr in seinem Wirken gehemmt, daß er nach kaum 20 monatlicher Thätigkeit als Handelsminister am 23. Mai 1851 seine Demission sich erbat, die ihm auch sofort zu Theil wurde.

Er übernahm sogleich wieder die Direction des Lloyd in Triest, der er sich mit ganz ungeschwächter Kraft und ungetrübtem Vertrauen in Oesterreichs Zukunft hingab. In diese kurze Periode seines Wirkens fällt der Anfang des Lloyd-Arsenalbaues und des Baues der Slips, einer neuen Art von Trockendocks, [380] Bauten, die ganz geeignet sind, die Gesellschaft des Lloyd zur ersten Seeschifffahrtscompagnie des Continentes heranbilden zu helfen. Nicht minder dankt ihm Triest aus dieser Zeit die Ausführung einer Wasserleitung durch eine zu diesem Ende gegründete Actiengesellschaft, durch welche die Stadt aus einer bei Nabresina aufgefundenen, schon zu Virgils Zeiten bekannten Quelle mit frischem Trinkwasser versehen wird, eine der größten Wohlthaten für die an gutem Trinkwasser stets Mangel leidende Stadt.

Die Zeit, in der es B. gegönnt war, auf diese Weise für das Beste seiner neuen Vaterstadt zu wirken, war jedoch ebenfalls eine kurze. Schon im Winter 1852 wurde er neuerdings zur Antheilnahme an den öffentlichen Geschäften berufen.

Nach dem Austritte Bruck’s aus dem Cabinete war zwar die Einigung mit dem deutschen Zollverein weiter betrieben worden, aber die Angelegenheit hatte eine solche Wendung genommen, daß selbst die Existenz des Zollvereins bedroht erschien. Preußen hatte, um sich gegen die süddeutschen Anhänger Oesterreichs zu stärken, mit Hannover den Vertrag vom 8. Sept. 1851 geschlossen, der den Anschluß des Steuervereins an das preußische Zollgebiet von 1854 ab herbeiführte, und kündigte zugleich die Zollvereinsverträge, so daß der Zollverein seinem Ende entgegenging. Oesterreich dagegen hatte inzwischen sämmtliche deutsche Bundesregierungen zur Berathung des Handelsvertrages mit Oesterreich auf 2. Jan. 1852 nach Wien eingeladen. Preußen beschickte jedoch diese Wiener Conferenzen nicht, sondern erklärte beharrlich, daß es die Unterhandlungen mit Oesterreich erst dann geeignet fände, nachdem zuvor der deutsche Zollverein selbst hergestellt worden. Bei der so geschaffenen Lage, unter der die Lebensinteressen aller betheiligten deutschen Staaten in Frage gestellt waren, erkannte man auch in Wien das Bedürfniß einzulenken. Als der einzige hiezu befähigte Mann ward B. anerkannt, der sich auch sofort zur Fortführung der Unterhandlungen als Special-Bevollmächtigter nach Berlin begab. Seiner Geschicklichkeit und vor allem seinem gewinnenden biederen Wesen gelang es auch, den Handelsvertrag vom 19. Febr. 1853 zu Stande zu bringen, dem mit der Reconstruction des deutschen Zollvereins am 4. April 1853 die übrigen Zollvereinsstaaten beitraten. Hiemit war auch das von B. beharrlich angestrebte Ziel eines Oesterreich und Deutschland umfassenden Industrie- und Zollgebietes, wenn gleich nicht erreicht, so doch auf dem allein den Verhältnissen vollkommen entsprechenden Wege angebahnt. Unmittelbar nach dem Abschlusse des Februarvertrages erhielt B., durch die Verleihung des Großkreuzes des Leopoldsordens ausgezeichnet, die Mission als österreichischer Internuntius nach Constantinopel, welches wichtige und schwierige Amt er im Juni 1853 antrat. Oesterreichs Ansehen und Einfluß bei der Pforte hatte wegen seiner schwankenden Haltung in dem Conflict der Türkei mit Rußland und namentlich in letzter Zeit, wo Oesterreich in Constantinopel nur durch einen einfachen Geschäftsträger vertreten war, bedeutend gelitten, und es übte der englische Botschafter Lord Stratford einen fast dictatorischen Einfluß auf den Divan. Bruck’s kraftvolle Persönlichkeit, so wie die Biederkeit seines Umganges und sein wohlwollendes Wesen trugen nicht weniger als der Ruf, der ihm voranging, dazu bei, um ihm binnen kurzer Zeit eine achtungsvolle und einflußreiche Position in Constantinopel zu verschaffen. Hatte er auch bei dem vom Wiener Cabinete beobachteten Schaukelsysteme keine Gelegenheit, in dem damaligen orientalischen Kriege eine in die Augen springende politische Thätigkeit zu entwickeln, so zeigte sich doch seine Wirksamkeit als höchst erfolgreich und wohlthätig durch eine Reihe von Einrichtungen, die er ins Leben rief, und die sowol der Türkei wie anderen Staaten zugute kamen. Unter seinem directen Einflusse entstand eine neue Hafenordnung für Constantinopel. Ebenso setzte er ein österreichisches Hafencapitanat und Hafenamt ein, erbaute ein Hospital für österreichische Seeleute, [381] richtete eine deutsche Schule ein, und ließ die Gebäude für die österreichische Gesandtschaft und das Generalconsulat in würdiger Weise herstellen. Die österreichische Internuntiatur wurde unter B. sehr bald der Mittelpunkt für die gesammte österreichische und deutsche Colonie. Nicht minder erwarb er sich durch diese vorsorgliche und einsichtsvolle Thätigkeit das persönliche Vertrauen des Sultans in allen Fragen der inneren Reform in einem Grade, wie keiner seiner Vorgänger und Collegen, und wurde noch in späterer Zeit, namentlich über alle wichtigen Fragen in Betreff der beabsichtigten Ordnung der türkischen Finanzen vom Sultan zu Rathe gezogen.

Noch während die Stürme des orientalischen Krieges tobten, ward B. jedoch aus diesem Kreise seines Wirkens herausgerissen, und zum zweiten Male in den Rath der Krone berufen. In Folge der unruhigen und ehrgeizigen Politik, welche, ohne die Völker im Inneren zu befriedigen, alles auf die Spitze des Schwertes stellte, waren die österreichischen Finanzen in den letzten fünf Jahren statt sich zu consolidiren, fort und fort mehr zerrüttet worden. Ungeachtet der erzielten Vereinigung aller früher lose verbundenen Länder in einem großen Gesammtstaat vermochte doch die Steuerkraft des Volkes nicht mit jenem ungeheuren Aufwande gleichen Schritt zu halten, welchen zum Theile eine zu weit getriebene Centralisation, vor allem aber der ganz unverhältnißmäßig hohe Militäretat verursachten. Im J. 1854 beliefen sich die ordentlichen Staatsausgaben auf beinahe 295 Millionen, und, obgleich die ordentlichen Einnahmen um 80 Millionen gestiegen waren, stellte sich das reguläre Deficit doch auf 50 Millionen, wobei jedoch der außerordentliche Militäretat von mehr als 91 Millionen, herbeigeführt durch die militärische Aufstellung gegen Rußland, nicht inbegriffen war. Sämmtliche Ausgaben für das Militärwesen überstiegen die gesammte Einnahme um 36 Millionen. Das Agio war wieder auf 28 Procent gestiegen und jegliche Mühe schien vergebens, um die Finanzen zu ordnen und die Nationalbank wieder solvent zu machen. Man hatte die Actien der Bank vermehrt, seit 1849 nicht weniger als fünf große Anlehen im Gesammtbelaufe von 300 Millionen, zuletzt im J. 1854 noch das große Nationalanlehen von 500 Millionen contrahirt, die nördliche und östliche Staatsbahn sammt einem Theil der Domänen an eine französische Gesellschaft um den Preis von 200 Millionen Francs verkauft, dabei mit allen Mitteln polizeilichen Druckes den Handel in Devisen eingeschüchtert; aber einen Einfluß auf die Valutaverhältnisse hatte niemand verspürt. Alle die colossalen Summen, welche diese unausgesetzte Inanspruchnahme des Staatscredites eingebracht, waren ohne Wirkung auf die Valuta und ohne wesentlichen Einfluß auf die Hebung der wirthschaftlichen Production geblieben und zum überwiegenden Theile von den Kosten für die steten militärischen Zu- und Abrüstungen verschlungen worden. Alle zur Ordnung[WS 1] der Finanzen versuchten Mittel waren Palliative geblieben. Nur eine Cur, die von unten auf das gesammte Wirthschaftssystem des Staates angriff, konnte helfen. Unter solchen Umständen fielen die Augen Aller, denen das Wohl des Staates am Herzen lag, auf den Internuntius in Constantinopel, und der Kaiser berief, der allgemeinen Stimme Folge gebend, B. zum zweiten Male, als Finanzminister, in seinen unmittelbaren Rath. Es war keine geringe Aufgabe, die der neue Finanzminister überkam und nur ein Mann wie B., vertraut mit allen Hülfsquellen Oesterreichs, und ebenso reich an schöpferischer Conception in Betreff der Wahl der Mittel, wie voll unbeugsamer Energie in der Verfolgung des einmal gesteckten Zieles, konnte an deren Lösung gehen. Vor allen Dingen handelte es sich, der weiteren Verschlimmerung Einhalt zu thun, und durch festes Bestehen auf Reduction des übermäßigen Militäraufwandes die Quelle der bisher fast permanent gewordenen Inanspruchnahme des Staatscredits zu verstopfen. Jede Besserung der finanziellen [382] Zustände mußte übrigens, sollte sie anders nachhaltig sein, die kräftige Entwicklung der gesammten volkswirthschaftlichen Zustände zur nothwendigen Voraussetzung und Basis haben. Diesem Zwecke mußte jedes mögliche Opfer gebracht, und hiefür bei der ungenügenden eigenen Capitalskraft auch die Mitwirkung des ausländischen Capitals gewonnen werden. Das Ausland, so sehr an geregelten Finanzverhältnissen in Oesterreich betheiligt, hatte die Ernennung Bruck’s zum Finanzminister mit Freuden begrüßt und als den ersten Schritt zur Besserung betrachtet. Das Silberagio fiel in der kurzen Zeit weniger Wochen fast um die Hälfte; die Wechselcurse auf deutsche Plätze und London sanken auf eine fast unbekannt gewordene Ziffer. So groß war das Vertrauen, welches die kaufmännische Welt dem neuen Leiter der Finanzen Oesterreichs entgegenbrachte.

Bis zum Herbste 1855 waren die Maßregeln vorbereitet, welche der neue Finanzminister zu ergreifen gedachte. Mit klarem Blick den Sitz des Uebels erkennend, ging B. vor allem daran, das bisherige System der Benutzung der Nationalbank für die Zwecke der Staatsfinanzen, welche die Confundirung der Volksgeldwirthschaft mit der Staatsfinanzwirthschaft zur Folge hatte, gründlich zu beseitigen. Die Bank sollte auf eigene Füße gestellt, unabhängig vom Staate seinem Einflusse entzogen werden. Dazu war vor allem die Rückerstattung der Schuld an die Bank nöthig. Durch das Uebereinkommen vom 18. Oct. 1855 wurden nun der Bank für den Rest ihrer Forderung an den Staat im Belaufe von 155 Millionen Gulden Staatsdomänen im gleichen Werthbetrage als Hypothek und in die Verwaltung der Bank mit dem Rechte überwiesen, dieselben weiter zu veräußern und die eingehenden Kaufschillinge sowie die laufenden Erträgnisse zur Tilgung ihrer Forderung zu verwenden. Aber es war gleichzeitig nothwendig, das Capital der Bank zu vermehren und ihren Geschäftskreis im volkswirthschaftlichen Interesse durch die Errichtung des Hypothekengeschäftes, zu dem sie ihr Statut ohnehin berechtigte, zu erweitern. Zu diesem Ende wurde die Nationalbank zu einer weitern Actienemission im Betrage von 35 Millionen Gulden in Silber ermächtigt, und ihr das Recht zur Hinausgabe von Pfandbriefen bis zu 175 Millionen eingeräumt. Die Bank erhielt hierdurch zuvörderst die Mittel zur wesentlichen Vermehrung ihres Baarschatzes, der sich in Folge dessen vom October 1855 bis Ende 1856 von 48 auf 87 Millionen hob. Zugleich erhielt durch die Begründung des Hypothekarinstitutes der Nationalbank der in Oesterreich bisher so sehr darniederliegende Hypothekarcredit eine bedeutende Unterstützung. An diese Maßregeln schloß sich in wohlüberlegter Folge eine dritte nicht minder wichtige, die Gründung der Creditanstalt für Handel und Gewerbe, mit einem Capital von 60, eventuell 100 Millionen, durch die Verbindung einer Anzahl von Edelleuten aus den ältesten Familien des Landes und einigen der angesehensten Banquiers unter der Führung Rothschild’s. Die Anstalt sollte namentlich der Mittelpunkt werden für die Bildung von Gesellschaften zur Erbauung der Oesterreich so sehr mangelnden großen Eisenbahnlinien, welche der Staat in Zukunft ganz der Privatindustrie zu überlassen gedachte. Das im Frühjahr 1856 eintretende überraschend schnelle Ende des Krimfeldzuges kam den kühnen Entwürfen des Ministers wunderbar zu Statten. Mit rascher Benützung des sich allenthalben regenden Unternehmungsgeistes wurden für eine Reihe der wichtigsten Eisenbahnlinien in allen Theilen des Reiches Concessionen an Gesellschaften verliehen, bei denen sich Repräsentanten der ersten österreichischen Adelsfamilien und das ausländische Capital massenhaft betheiligten, ebenso auch mehrfache Institute zum Besten der landwirthschaftlichen Interessen theils ins Leben gerufen, theils hiezu die Pläne entworfen.

Ein großer Theil dieser Früchte von Bruck’s schöpferischer Phantasie kam zwar zunächst nicht zur vollständigen Ausführung. Nicht wenige erlagen unter [383] dem Einflusse der in Folge der Ueberspeculation im J. 1857 über ganz Europa hereingebrochenen Handelskrise, welche auf den österreichischen Geldmarkt um so verheerender zurückwirken mußte, als durch das von B. im Interesse der Herstellung der Valuta der Nationalbank gegenüber unbeugsam aufrecht erhaltene System der Notenrestriction die österreichische Handelswelt zur Benützung des Credites im Auslande gezwungen und daher durch dessen Entziehung doppelt hart getroffen worden war. Indessen zeugte es von sehr beschränkter Auffassung oder aber von entschiedener Voreingenommenheit, wenn man B. als den eigentlichen Urheber des damaligen Börsenschwindels, der ja ganz Europa mitergriffen hatte, bezeichnen und ihn für alle Folgen des fürchterlichen Rückschlages verantwortlich machen wollte. Der eigentliche Kern dessen, was B. mit Recht als eine Lebensbedingung der wirthschaftlichen Entwicklung Oesterreichs erkannte, ist, wenn auch nicht sofort, doch in nächster Zukunft und zwar mit relativ geringeren Opfern als sonst ohne sein etwas stürmisches Eingreifen hätten gebracht werden müssen, erreicht worden.

Neben diesen großartigen Reformen wurden auch die aus der Zeit seines Handelsministeriums stammenden Entwürfe zur Einigung Oesterreichs mit Deutschland auf wirthschaftlichem Gebiete eifrig gepflegt. Im April 1856 erschien ein neuer, auf sehr freisinniger Grundlage ausgearbeiteter Zolltarif, der den Zweck verfolgte, die Consumtion im Inlande zu erhöhen und den wichtigsten Verbrauchsgegenständen, wie Zucker und Kaffee, Eisen, Baumwollenwaaren, größeren Eingang zu verschaffen. Im October 1856 wurden weitere Propositionen an den deutschen Zollverein gerichtet, die auf Ermäßigung der Durchfuhrszölle, Vereinfachung der Zollmanipulation an der Zollvereinsgrenze, Reduction der Zölle auf Rohproducte wie Wein, Vieh etc. hinausgingen. Ebenso betrieb B. in Ausführung des Februarvertrages die Münzeinigung mit Deutschland, indem er den Uebergang zum 45 Guldenfuß durchsetzte und auf dem Ende 1856 in Wien zu Stande gekommenen Münzcongresse den Münzvertrag mit Deutschland vom 24. Januar 1857 zu Stande brachte, dem zu Folge die Wiederaufnahme der Baarzahlungen der österreichischen Nationalbank mit dem Neujahr 1859 zugesichert wurde. Ungebeugt durch die Folgen der im kommenden Jahre über ganz Europa hereingebrochenen Geld- und Handelskrise, welche einige der ersten österreichischen Firmen zum Falle oder diesem nahe brachte, fuhr B. fort, diesem Endziele die äußersten Opfer zu bringen. Er verkaufte die dem Staate gehörigen Südbahnen an ein französisch-italienisches Consortium unter Führung der Häuser Rothschild um den Betrag von 100 Millionen in Silber, während er gleichzeitig mittelst der österreichischen Creditanstalt durch fortgesetztes Verkaufen von Wechseln auf London und durch Ankauf von Nationalanleihen auf das Weichen des Wechselcurses und auf Hebung des Credites der österreichischen Staatspapiere zu wirken suchte. Ende 1858 wurden auch wirklich die Cassen der Nationalbank geöffnet und war damit für einen Augenblick die Parität der Landeswährung erreicht. Aber schon einige Wochen darauf mußte in Folge des Neujahrsgrußes Napoleon’s und der daran sich knüpfenden politischen Besorgnisse die Maßregel zurückgenommen und die Einlösung der Noten der Nationalbank sistirt werden. Der Krieg in Italien brach aus und schlug mit einem Male das Gebäude in Trümmer, dem B. seit Jahren mit Opfern ohne Gleichen seine ganze Thätigkeit gewidmet hatte. Die ungeheuren Forderungen, welche der Krieg an den Staatsschatz stellte, geboten nicht nur Einhalt mit den bisher angewendeten Mitteln, sondern nöthigten den Minister sogar, zu dem von ihm selbst am stärksten verdammten früheren Systeme seine Zuflucht zu nehmen. Er legte im J. 1859 in London ein Anleihen von sechs Millionen Pf. St. auf, das jedoch erfolglos blieb, so daß er den Silberschatz der Nationalbank für die Kriegszwecke hart in Angriff nehmen mußte. Ein [384] weiteres Kriegsanleihen wurde nothwendig, und der Minister realisirte dasselbe, indem er die Nationalbank zu einer Notenausgabe von 133 Millionen Gulden ermächtigte. Ja er mußte sich sogar zu dem Schritte entschließen, die Baareinlösung der Coupons des Nationalanleihens zu suspendiren. Hiezu kam nach dem unheilvollen Kriege noch das Bekenntniß, daß in Folge der Bedrängniß 111 Mill. Gulden Nationalanleihen (und zwar der größere Theil noch vor Ausbruch des Krieges) über den gesetzlich bestimmten Betrag ausgegeben worden. Obgleich B. hiezu, wie selbstverständlich, durch die eingeholte allerhöchste Entschließung des Kaisers ermächtigt gewesen war, warf der letztere Vorgang doch einen dunklen Schatten auf seinen Charakter und brachte seine Verwaltung um den Rest des Vertrauens im Publikum.

B. begriff mehr als jeder Andere, daß der Kaiserstaat eine gründliche und aufrichtige Reform an Haupt und Gliedern bedürfe, um ihn vor dem Aergsten zu bewahren. Er trat darum nach dem Kriege energisch mit der Forderung einer politischen Umkehr auf, und bezeichnete in einer Denkschrift an den Kaiser den Gang, den fortan die innere und äußere Politik nehmen müsse, wenn der Kaiserstaat aus seinen trostlosen Zuständen emporgehoben werden solle. Diese Denkschrift, anfangs als Manuscript in der Staatsdruckerei in wenigen Exemplaren gedruckt, gelangte später (Mai 1860) unter dem Titel „Die Aufgaben Oesterreich“ (Leipzig, O. Wigand) in die Oeffentlichkeit und gibt für Bruck’s staatsmännische Genialität ein besseres Zeugniß als es die praktischen Erfolge seiner bisherigen Politik vermochten. „Gesetzmäßige Freiheit nach innen und wirksame föderative Einheit nach außen“, in Bezug auf Deutschland und sogar auf Italien, sollen die großen Ziele des Kaiserstaates sein, die er durch alle Kräfte und Mittel zu erstreben hat. Unter ersterer versteht B. zunächst eine auf Selbstregierung gegründete Gemeindeverfassung, ferner Landstände für die einzelnen Länder des Reiches, welche nicht auf die alten abgelebten Ständeverhältnisse, sondern auf den Mittelstand, in welchem die politischen und allgemeinen Culturinteressen ihren Schwerpunkt haben, basirt sein sollen, dann eine Institution, welche das gesammtstaatliche Interesse vertritt und aufrecht erhält, und durch Reformirung des bestehenden Reichsrathes angebahnt werden könnte. Weiter fordert aber auch B. zur Herstellung dieser gesetzmäßigen Freiheit eine loyale und völlige Gleichberechtigung aller im Kaiserstaate anerkannten Kirchen und somit zugleich wahrhafte „Unterscheidung“ der Kirche vom Staate, also Abschaffung der Präponderanz und politischen Einmischung der katholischen Hierarchie, Freiheit der Wissenschaft, der Presse, des Unterrichts und Förderung der geistigen Entwicklung des Volks durch den Staat, endlich die eifrigste Entfaltung aller materiellen Interessen in Landwirthschaft, Gewerbe, Handel, Verkehr etc. Keine Nationalität des Kaiserstaates soll bedrückt, namentlich keine in ihrer Sprache verletzt, alle aber sollen aufgefrischt und erweckt werden durch den Geist deutscher Cultur und Bildung, welcher bereits jetzt schon der Lebensnerv ist von einem Ende des Kaiserstaates zum anderen. Darum nun auch das innigste „föderative“ Anschließen Oesterreichs an Deutschland. Oesterreich muß entschieden mit dem „selbstmörderischen“ Grundsatze brechen, nichts Großes und Tüchtiges durch den deutschen Bund aufkommen zu lassen. Es muß nicht nur aus allen Kräften seine handelspolitische Einigung mit Deutschland auf bundesrechtlicher Basis anstreben, sondern auch in den Bundesverhältnissen als Regenerator auftreten. Namentlich muß es die Reform der deutschen Heeres- und Kriegsverfassung betreiben, die Herstellung einer deutsch-österreichischen Kriegsflotte, die Gründung eines Bundesgerichtes als Schlußstein des „deutschen“ Rechtsgebäudes, die Gründung einer ständigen Gesetzcommission des Bundes und einer ständigen Bundesbehörde für die wirthschaftlichen Anliegen und zur Durchführung der allgemeinen [385] österreichisch-deutschen Zolleinigung anstreben. So, meint B., wird dem deutschen Volksgeiste ein Genüge geschehen und dieser mit Oesterreich in Versöhnung und Harmonie treten, während zugleich den Bestrebungen für den deutschen Einheitsstaat, in dem er die größte Gefahr für Oesterreich erblickt, aller Grund und Boden genommen wird.

B. beantragte in dieser Denkschrift an den Hof und die höchsten Regierungskreise nichts weniger als eine gänzliche Umkehr der Personen und Dinge in Oesterreich und verurtheilte zugleich aufs entschiedenste die ganze bisherige Politik mitsammt ihren Trägern. Obgleich er sich wol darüber nicht täuschen konnte, daß an einen solchen Umschwung aller Verhältnisse vorerst nicht zu denken war, blieb er doch in seiner Stellung und unterstützte die Ausführung der offenbar auch nach seiner Ueberzeugung ungenügenden Maßnahmen, zu denen man sich zunächst im Interesse des zerrütteten Finanzwesens entschloß. Es wurde eine Commission eingesetzt, welche den sogenannten Tilgungsfonds auflöste, eine andere, welche das Deficit im Staatshaushalte durch Ausmittelung von Ersparungen beseitigen, eine dritte, welche eine Steuerreform anbahnen sollte. Zugleich sah B. sich genöthigt, ein neues 5proc. Lotterieanlehen von 200 Millionen auszuschreiben, das zur Minderung der Schuld an die Bank und zur völligen Deckung der Kriegskosten dienen sollte. Dieses Anlehen mißglückte; statt der geforderten 200 Millionen wurden etwa 70 Millionen gezeichnet. Das Mißlingen des Anlehens machte nicht nur auf B. selbst den tiefsten Eindruck, sondern veranlaßte auch bei Hofe und im Rathe der Krone Erörterungen, in denen der Finanzminister mit offenen Worten auf die Verleihung einer Reichsverfassung mit vollständigem politischem Systemwechsel, der den Personenwechsel nach sich ziehen mußte, als unabweislich nothwendig hindeutete. Dieses kühne Auftreten des Emporkömmlings und des Protestanten, gegenüber der Aristokratie und dem klerikalen Interesse, erbitterte ohne Zweifel die politischen und mitunter auch persönlichen Feinde Bruck’s und es war nichts natürlicher, als daß man sich des gefährlichen und bisher allmächtigen Gegners zu entledigen suchte. Einen geeigneten Anlaß hierzu schienen die furchtbaren Enthüllungen über die während des letzten Krieges stattgehabten Unterschleife bei dem militärischen Lieferungswesen zu bieten, in Folge deren nicht nur eine größere Zahl von militärischen Lieferanten in Italien und Triest, sondern auch mehrere hochgestellte Militärbeamte, ja selbst F.-M.-L. Baron Eynatten, ein persönlicher Günstling des Generaladjutanten Grafen Grünne, dem das Militär-Verpflegungswesen ganz ausschließlich übertragen gewesen war, in strafgerichtliche Untersuchung gezogen wurden, welcher sich aber General Baron Eynatten unter Hinterlassung eines Selbstbekenntnisses durch Selbstmord im Gefängniß entzog.

In die Untersuchung, welche vom Wiener Landesgerichte unter unmittelbarer Einflußnahme der General-Adjutantur des Kaisers gepflogen wurde, wurden sogar mehrere sehr angesehene Triester Kaufleute, die mit B. seit frühester Zeit in freundschaftlichen und geschäftlichen Beziehungen gestanden waren, insbesondere der Banquier P. Revoltella, und der Director der Creditanstalt Richter, welcher von. B. dem Baron Eynatten als ein höchst zuverlässiger Geschäftsmann und Rathgeber für die bevorstehenden Armeelieferungen empfohlen worden war, einbezogen und sofort in Haft genommen. Dieselbe endete übrigens in der Folge mit deren völliger Freisprechung. Ja, der Untersuchungsrichter, dem ein höherer Militär-Auditor beigegeben worden war, fand sogar nothwendig, den Finanzminister, der mit der Angelegenheit der Armeelieferungen nicht das Mindeste zu schaffen und die Wahrnehmung der finanziellen Interessen hiebei einem seiner fähigsten und gewissenhaftesten Beamten, dem Sectionchef v. Vestenek, übertragen hatte, als Zeugen gegenüber dem Beschuldigten zu vernehmen. Dies geschah in [386] der That im Bureau des Ministers am 20. April. Dem Verdachte war damit das weiteste Feld eröffnet, und B. konnte sich nicht weiter darüber täuschen, daß die mit entschiedener Tendenz geführte Untersuchung darauf angelegt war, auch ihn selbst in den Kreis der Verdächtigung zu ziehen. Unter solchen Umständen verlangte er in einer am 21. April genommenen Audienz vom Kaiser seine Enthebung vom Amte, ward jedoch mit der Versicherung des vollkommen unveränderten kaiserlichen Vertrauens zum Verbleiben im Amte bewogen. In der gehobensten und zuversichtlichsten Stimmung traf er am kommenden Tage, 22. April, einem Sonntage, seine geschäftlichen Anordnungen, und kehrte an diesem Tage um 10½ Uhr Abends körperlich wohl und heiter aus der Oper in sein Hôtel zurück. Hier empfing ihn ein kaiserliches Handschreiben, das er rasch überflog, ohne seiner Umgebung eine Erregung zu zeigen. Das Schreiben enthielt in ungnädiger Weise seine Entlassung. B. verblieb in gewohnter Weise im Kreise seiner Familie und zog sich dann vor Mitternacht in sein Arbeitszimmer zurück. Er brachte alle seine Werthpapiere unter Umschlägen in Ordnung, und nahm sie in zwei größeren Cassetten in sein Schlafzimmer zu sich, schrieb weiter noch zwei Briefe an einen alten Freund und an den präsumtiven Schwiegervater seines ältesten Sohnes, die er versiegelt auf seinem Arbeitspulte zurückließ. Am kommenden Morgen, 23. April um 6 Uhr, wurde der Kammerdiener durch den Ton der Glocke geweckt. Er fand seinen Herrn im Blute liegend, eine große Schnittwunde am Halse, sowie die Arterien an den Vorderarmen durchschnitten, daneben das blutige Rasirmesser. „Sei still und verliere den Kopf nicht“, sagte B. zum alten Diener und befahl ihm, das seine Enthebung enthaltende kaiserliche Handbillet und die beiden zurückgelassenen Briefe aus dem Arbeitszimmer herüber zu holen, das erstere seinem Unterstaatssecretär zu übergeben, die letzteren beiden zu verbrennen. Er hatte offenbar geglaubt, durch Verblutung zu enden, war aber davon durch sein Erwachen zurückgekommen, und wollte letztere Schreiben, welche seinen tragischen Entschluß motiviren mochten, nicht abgehen lassen. Die herbeigeeilten Söhne thaten sogleich das Möglichste, um die Blutung zu stillen. Die herbeigerufenen Aerzte fanden den Unglücklichen durch Blutverlust äußerst geschwächt, gewannen aber die Ansicht, daß seine Rettung noch möglich sei. B. selbst benahm sich gleichmüthig und gefaßt, und erholte sich im Laufe des Vormittags, so daß er auf einige Fragen Antwort geben konnte. Bald nach Mittag traten jedoch Symptome ein, die seinen Zustand rettungslos erscheinen ließen. Nachmittag um 5 Uhr machte der Tod seiner schrecklichen Lage ein Ende.

Die üble Lage des Staates, die mit dem Frieden so offen an den Tag trat, die Enthüllung schmachvoller Betrügereien und Verschleuderungen von Seite hoher Militärs und Beamten während des Krieges, der Selbstmord des schuldigen Generals Baron Eynatten im Gefängnisse, das Alles hatte die öffentliche Meinung in ungewöhnliche Aufregung versetzt, und es erhob sich alsbald, als Bruck’s Selbstmord bekannt wurde, das Gerücht, daß er Hand an sich gelegt, weil er an den Unterschleifen mitbetheiligt gewesen und der Schande und Strafe habe entgehen wollen. Verstärkt wurde diese Annahme, weil das amtliche Blatt diesem Gerüchte nicht nur nicht widersprach, sondern einige Tage nach Bruck’s Tode sogar in einem amtlichen Artikel die Mittheilung brachte, daß B. mit einigen Zeugen und „Mitbeschuldigten“ hätte confrontirt werden sollen, was allerdings sogleich Tags darauf als auf einem Druckfehler beruhend dahin berichtigt wurde, daß es „mit Beschuldigten“ hätte heißen sollen.

Alle, die B. im Leben und insbesondere geschäftlich näher gestanden waren, wiesen die Möglichkeit einer solchen Unterstellung auf das entschiedenste zurück, und ein wenige Tage darauf über Antrag seines Nachfolgers im Amte, v. Plener, [387] erlassenes a. h. Handschreiben des Kaisers an die Wittwe gab der Hochachtung gegen den Verstorbenen und dessen große Verdienste um den Staat den unzweideutigsten Ausdruck. Abgesehen davon, daß B., falls er gewollt, durch die von ihm so sehr abhängige Börse sich viel sicherer und wirksamer hätte bereichern können, mußte Jeder, der ihn im Leben und Wirken beobachtet hatte, ihn einer gewinnsüchtigen Theilnahme an den stattgehabten Unterschleifen unbedingt für unfähig erklären. Eine mit größter Genauigkeit vollzogene Untersuchung der Vermögensverhältnisse des Verstorbenen ergab, daß er außer dem Gute Klenownik in Croatien, das er einige Jahre vor seinem Tode erworben, einen Vermögensstand von etwa 600000 Gulden, somit weniger hinterlassen hatte, als er nachgewiesenermaßen bei seinem Eintritt in die öffentliche Diensteslaufbahn besessen. Ueberdies wurden seine Privatangelegenheiten in strengster Ordnung befunden und bestand der überwiegend größte Theil seines beweglichen Nachlasses in Schuldpapieren des Staates, dessen Finanzen er selbst so lange geleitet hatte.

Man hatte in der That nicht nöthig, zu so ungeheuerlichen Annahmen zu greifen, um die psychologischen Motive dieses letzten verzweifelten Schrittes klar darzulegen. B. war ein glühender österreichischer Patriot, dem das Schicksal des Staates tief zu Herzen ging, dabei von unbegrenzter Ergebenheit und unbedingtem Vertrauen zur Person seines Kaisers. Zudem besaß er ein außerordentlich heftiges Temperament, das er nur mit Mühe äußerlich beherrschte, verlor leicht in außerordentlichen Fällen seine gewöhnliche Besonnenheit und ließ sich von Aufwallungen bis zur Selbstvergessenheit hinreißen. In genauer Kenntniß der Intriguen, die von hoher und mächtiger Seite gegen ihn geschmiedet wurden, um ihn in den Verdacht einer Betheiligung an ehrlosen Handlungen zu verstricken, die er aus dem Innersten seines ganzen Wesens verabscheute, konnte er sich nicht darüber täuschen, daß er nur insolange, als das Vertrauen des Kaisers ihn in seiner mächtigen Stellung erhielt, gegen die Anschläge seiner Feinde gesichert sei. In dem Augenblicke, wo ihm im Gegensatze zu der ihm noch vor 24 Stunden gewordenen Versicherung des allerhöchsten Vertrauens der Beweis des Gegentheiles in die Hände kam, sah er sich der Verfolgung und rücksichtslosen Behandlung seiner mächtigen Gegner schutzlos preisgegeben. Denn dafür, daß es sich nicht um die unbefangene Erforschung der Wahrheit ihm gegenüber handelte, dafür bürgte die gehässige und tendenziöse Weise, mit der die ganze Untersuchung bisher war gepflogen worden. Der Eindruck des fürchterlichen Sturzes von solcher Höhe, der ihm unmittelbar bevorstand, konnte wol auch einen Mann von minder heftiger Gemüthsart wie B. und insbesondere bei dem Empfange der ihn zerschmetternden Nachricht in später Nachtzeit, wo ihm die Berathung mit vertrauten Freunden nicht mehr möglich war, ohne das Bewußtsein irgend welcher Schuld, zu einem Acte der Verzweiflung treiben, den er selbst, als er am nächsten Morgen wieder zum Bewußtsein kam, in den letzten Stunden seines Lebens tief bereute.

B., ein schöner Mann, von hoher imponirender Gestalt und einem durch würdevolle Haltung und Biedersinn Jedermann einnehmenden Wesen, war in allen Lagen seines vielbewegten Lebens von seltenem Wohlwollen, redlich, zuverlässig, äußerst thätig, aufgeklärt, freisinnig. Er vertrat im Rathe der Krone stets das freisinnige Princip und lag stets im Kampfe mit der retrograden Partei. Sein Amt führte er mit Anstrengung aller seiner bedeutenden physischen und geistigen Kräfte. Zugänglich für fachkundigen Beirath und die freieste Aeußerung der Ueberzeugung selbst von seiner Umgebung verlangend, war er wie alle Reformatoren, die ihrer Zeit vorangeeilt, nicht frei von der Hinneigung zu autokratischen Tendenzen und selbst zu Gewaltschritten, wo es sich um Erreichung seines Zieles handelte. B. hat Oesterreich unendlich und bleibend genützt, indem [388] er dem industriellen Leben des in Prohibition aller Art verrotteten Reiches eine neue Bahn gebrochen. Seine Finanzverwaltung dagegen ist wol Gegenstand vielfachen und nicht ganz unberechtigten Tadels geworden. Voll Klarheit über das anzustrebende Ziel und die zu diesem allein führenden Wege irrte er in verhängnißvoller Weise darin, daß er die Lösung des großen Problemes unter einem System für möglich hielt, welches den Staat beherrschte und das einer rationellen Verwaltung und durchgreifenden Reform unbedingt entgegenstand. Seine oft und laut verkündeten ökonomischen und politischen Principien gab er mitunter auf, um der Minister einer absoluten despotischen Regierung bleiben zu können, deren innere wie äußere Politik die Entwicklung einer rationellen Staatsökonomie nach seiner eigenen später offen bekannten Ueberzeugung unmöglich machte. Er war durchdrungen von der Verderblichkeit der steten Inanspruchnahme des Staatscredits für unproductive Zwecke und der jeden Aufschwung der Volkswirthschaft lähmenden Entwerthung der Valuta und hinterließ doch den Staat mit einer in verwerflicher Weise vermehrten Schuldenlast, mit zu Grunde gerichtetem öffentlichem Credit und in eine Papiergeldwirthschaft getaucht, welche über kurz oder lang jedes Gemeinwesen mit dem Ruin bedroht. In diesem Widerspruche zwischen seinem Wissen und Thun, zwischen seinem besseren Wollen und den mitunter gewählten verkehrten Mitteln liegt die Schuld des Ministers, die er durch seinen Fall und sein Ende in echt tragischer Weise gesühnt hat.

Unsere Zeit. 1. 647. IV. 345. Karl Freiherr von Bruck. Wien 1860. Wurzbach, Biographisches Lexikon. Bd. II. S. 165. Bd. XI. S. 373. Springer, Geschichte Oesterreichs. Leipzig 1865. Bd. II. Helfert, Gesch. Oesterreichs seit dem Ausgange des Wiener October-Aufstandes. Prag 1872. Bd. III. Rogge, Oesterreich von Vilagos bis zur Gegenwart. Leipzig 1871. Bd. I. Hoffmann v. Fallersleben, M. Leben. Hannov. 1868. Bd. I. S. 250.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Ordung