ADB:Schefer, Leopold
Brescius, unter dessen Obhut der sterbende Vater ihn gestellt hatte, das unter der Leitung des Philologen Gedike stehende tüchtige Gymnasium zu Bautzen, wo er vorzugsweise mit den classischen Sprachen und mit Mathematik sich beschäftigte. Innige Freundschaft verband ihn hier mit Gräfe, dem nachmaligen berühmten Chirurgen, mit Blochmann, dem späteren Gründer des nach ihm benannten Instituts in Dresden und seinem Landsmanne Ernst Vogel, die gleichzeitig mit ihm die Schule besuchten; der hier angestellte Cantor Petri nährte seine Vorliebe für Musik. Die ersten dichterischen Versuche fallen in diese Zeit und sind uns in seinen Tagebüchern erhalten, die er in Bautzen begann und in mehr als 80 Folioheften bis zu seinem Tode fortsetzte. Am 27. März 1804 kehrte er nach Muskau zurück, um vor der Hand ganz seinen Neigungen, der Musik und Dichtkunst zu leben. Lange Zeit schwankte er, wie er sein künftiges Leben einrichten wolle; denn zu einem praktischen Berufe fühlte er wenig Vorliebe. Oft bemächtigte sich seiner eine tiefe Mißstimmung, aus der er sich nicht so leicht herauszureißen vermochte. Andere Umstände traten noch hinzu, ihn aufs tiefste zu erschüttern. Sein treuester Freund, Alexander Röhde, der Sohn seines ersten Lehrers, wurde als Berghauptmann nach Koliwan versetzt, und mußte von ihm scheiden. Traf ihn schon die Trennung aufs schmerzlichste, so ergriff ihn doch noch viel tiefer die bald darauf folgende Nachricht von dessen Tode. Mehrere Gedichte, die er dem Freunde widmete, zeigen die innige Freundschaft, die er für ihn gehegt. Auch die Liebe erwachte zu dieser Zeit in ihm; Agnes, die Schwester des Grafen Herm. Pückler, hatte es ihm angethan; wol wußte er sich wieder geliebt, aber er erkannte doch andrerseits die tiefe Kluft, die beide für immer trennen mußte. Auch die tiefe Demüthigung Deutschlands und das immer mächtigere Anwachsen der französischen Herrschaft erschütterte ihn tief; und so gewaltig war seine Aufregung, daß er sich durch ein volles Jahr mit dem Gedanken trug, Napoleon zu ermorden und eine Reihe diesbezüglicher Gedanken und Pläne seinem Tagebuche anvertraute. Aber der tiefste Schlag traf ihn durch den Tod seiner Mutter, die am 7. November [668] 1808 plötzlich starb. „Die Erde lockt nicht mehr“, schreibt er, „der Sternenhimmel hat keine Bedeutung mehr; alles in der Vergangenheit Errungene scheint verloren.“ Nur langsam vermochte er sich von diesen schweren Schlägen zu erholen, und es war ein Glück für ihn, daß ihn Graf Pückler, der jetzt die Herrschaft übernahm, zum Generaldirector seiner Besitzungen ernannte; nun war er gezwungen, mit dem angestrengtesten Fleiße der schweren Aufgabe sich zu unterziehen, die trotz der Sparsamkeit des verstorbenen Grafen arg verschuldeten Güter in besseren Stand zu setzen, sie vor den Verheerungen der feindlichen Truppen zu schützen und zugleich die Anlage eines ausgedehnten Parks, den Pückler plante, zu leiten. Geschäftliche Reisen nach London und Wien, kleinere Ausflüge nach Dresden und ins Riesengebirge bildeten die einzige Unterbrechung der rastlosen Thätigkeit Schefer’s, weckten und nährten aber zugleich die alte Sehnsucht in ihm, die Welt kennen zu lernen. Wenn er sich Abends müde und erschöpft zurückzog in seine stille Häuslichkeit, war Musik und Dichtkunst seine einzige Erholung, und neue Pläne zu einer Reise in die Welt wurden in ihm wach.
Schefer: Leopold S. wurde am 30. Juli 1784 zu Muskau in der Oberlausitz als der Sohn eines Arztes geboren. Die Eindrücke der Jugendjahre waren maßgebend für seine ganze spätere Entwicklung. Sein Vater, ein verständiger Mann und tüchtig in seinem Berufe, konnte infolge seiner angestrengten Thätigkeit wenig mit der Erziehung seines Sohnes sich beschäftigen, um so weniger, da er bereits 1797 starb; die Bildung von Herz und Gemüth dankte er zumeist seiner Mutter Hanna Sophie. Den ersten Unterricht erhielt er durch Hofrath Röhde, einen hochgebildeten Mann, der ihm zuerst die Kenntniß der antiken Welt erschloß, und die Sehnsucht in ihm weckte, Italien und Griechenland aus eigener Anschauung kennen zu lernen. Auch der Rector der Muskauer Schule, Thamm, wirkte vielseitig auf ihn ein; beiden Männern bewahrte er bis in seine spätesten Jahre ein treues Gedächtniß. Auch der Verkehr im gräflich Callenberg’schen Hause, und mit seiner mütterlichen Freundin Leopoldine v. Glaser blieb nicht ohne Einfluß auf ihn. Im Alter von 15 Jahren besuchte er auf Anrathen des OberconsistorialrathesEndlich sollten im J. 1816 seine lang und heiß gehegten Wünsche in Erfüllung gehen; die Reise wurde, wie er selbst sagt, seine Lebensuniversität. Die Güte des Grafen Pückler setzte S. in den Stand, auch sorgenfrei in die Zukunft zu blicken. Er wandte sich zuerst nach Wien, das ihm aus früherer Zeit noch in lieber Erinnerung war, und blieb hier nahezu zwei Jahre. Aber nicht nur, daß er hier den Vergnügungen der Hauptstadt sich hingab, auch ernstere Studien fesselten ihn an den Ort. Der Verkehr mit Heydenreich und Salieri förderte seine musikalische Durchbildung, die reichen Bibliotheken gaben ihm Gelegenheit, sein Wissen zu vertiefen; auch begann er hier ein emsiges Studium des Neugriechischen, um sich für einen Aufenthalt in Griechenland vorzubereiten. Endlich riß er sich los und wandte seine Schritte dem Süden zu. Norditalien wurde wandernd durchzogen, und erst in Rom, wo er in Gesellschaft von Bunsen, Cornelius und Thorwaldsen einige glückliche Monate verlebte, ein längerer Aufenthalt genommen. Von da eilte er nach Neapel, um fast ein volles Jahr dem Studium der arabischen Sprache unter Behilfe eines Scriptors der Vaticana zu widmen; dann wandte er sich von Messina aus nach Athen, besuchte Eleusis, Aegina und Korinth, segelte nach Corfu und kam über Chios nach Constantinopel. Nach einem längeren Verweilen in dieser Stadt, von der aus er auch die Küste Kleinasiens besuchte, kehrte er auf dem Seewege über Triest in die Heimath zurück, die er vor vier Jahren verlassen hatte. Die Eindrücke dieser Reise haben dem Wesen Schefer’s das ihm eigene Gepräge verliehen, und fast alle seine Dichtungen späterer Zeit lassen sich auf Eindrücke dieser Jahre zurückführen; er selbst hat das oft und oft anerkannt. Und diese Reise konnte eine um so tiefere Wirkung hinterlassen, als S. seit dieser Zeit Muskau eigentlich nicht mehr verließ. Am 6. November 1821 vermählte er sich mit Johanna Friederike Lupke, die ihm schon seit seinen Kinderjahren befreundet war, und lebte mit ihr, im Innern beglückt, in bescheidener Zurückgezogenheit, ohne wieder in ein bestimmtes Verhältniß zu dem 1822 in den Fürstenstand erhobenen Grafen Pückler zu treten. Er hatte sich nach eigenen Plänen ein Häuschen gebaut, seine „Laube“, wie er es nannte, hier genoß er den Rest seines Lebens, rastlos thätig, beschäftigt mit der Sichtung des Materials, das auf seinen Reisen sich ihm aufgehäuft hatte, und unerschöpflich producirend, bis ihn ein sanfter Tod aus dem Kreise seiner Familie – seine von ihm heißgeliebte Gemahlin hatte ihm einen Sohn und vier Töchter geschenkt –, am 16. Februar 1862 abrief.
S. nimmt als Dichter eine ganz abgesonderte Stellung ein. An den Romantikern hat er sich gebildet, Schiller und Goethe sind ihm leuchtende Vorbilder [669] gewesen, aber nur gering sind die Anklänge an sie. Seine ersten dichterischen Versuche fallen in seine Knabenjahre, in die Zeit seines Aufenthaltes in Bautzen: die erste Sammlung seiner Gedichte veranstaltete Graf Pückler im J. 1811 und seit diesem Jahre ist S. auch während seiner Reisen unausgesetzt thätig geblieben, bis in sein spätestes Alter; aber eine Wandlung seines dichterischen Vermögens, eine Periode der Entwicklung und der Blüthe läßt sich bei ihm eigentlich nirgends nachweisen. Dieselben Eigenschaften, die seine ersten Werke charakterisiren, treffen wir auch in seinen letzten Werken, und die Fehler, welche die Kritik von Anfang an ihm vorwarf, hat er auch am Ende seines schöpfungsreichen Lebens nicht abgelegt. So zeigt sich uns S. als ein Mensch von ewigem Gleichmaß in seinen Werken, als ein seltenes Beispiel eines Charakters ohne Entwicklung. Seine ersten Lieder schon sprechen eine tiefe Sehnsucht aus, die classischen Länder kennen zu lernen, und die letzten seiner Gedichte, die den gleichen Stoff behandeln, kennen dieselbe Sehnsucht, ohne errathen zu lassen, daß der Dichter mit eigenem Auge alle diese Gegenden geschaut. Man hat es unbegreiflich finden wollen, wie der Dichter des „Laienbrevier“ in seinen letzten Jahren einen „Hafis in Hellas“ und einen „Koran der Liebe“ habe dichten mögen; aber man nehme die erste Ausgabe seiner Gedichte zur Hand, und man wird finden, daß schon hier die beiden Richtungen knapp neben einander einhergehen: eine strenge, fast asketische Denk- und Sinnesweise, und wiederum eine erotische Gluth in seinen Dithyramben, die ihm selbst später zu sinnlich erschienen, um Aufnahme in weiteren Auflagen seiner Gedichte finden zu können; und das alles doch wieder überströmt und umschwebt vom Geiste des Pantheismus, dem alles auf Erden gleiche Bedeutung hat, vom kleinsten Staubkorn bis zum weiten Himmelsgewölbe mit seinen tausenden von Sternen, ein Jacob Böhme im Gewande des Dichters. Aber was dem Lyriker verziehen werden kann, wird zum Fehler beim Novellisten. An S. mußte es sich rächen; seine Novellen und Romane, trotz der erstaunlichen Zahl von 72, sind fast ohne Ausnahme verschollen und vergessen. Es sind in ihnen landschaftliche und Naturschilderungen von einer Pracht und Größe enthalten, wie die deutsche Litteratur nur wenig ihnen gleiches aufzuweisen hat, Schilderungen in denen sich Schefer’s glühende, fast südliche Phantasie mit einem seltenen und doch stets treffenden Bilderreichthum und einer blendenden Pracht der Sprache zu harmonischer Einheit verbinden; und doch können uns alle diese Erzählungen nicht fesseln, weil ihnen die Entwicklung fehlt, weil die handelnden Personen nirgends als Individualitäten uns entgegentreten, sondern als farblose Abstractionen.
Die erste Sammlung seiner Gedichte, zu der S. selbst sich nicht entschließen konnte, erschien im J. 1811 durch den Grafen Pückler besorgt, den man lange Zeit für den eigentlichen Verfasser hielt. Ziemlich selten geworden, hat sie bei ihrem Erscheinen wenig Aufsehen zu erregen vermocht und trotzdem gehören die in ihr veröffentlichten Gedichte zu dem Besten mit, was S. geschrieben. Die 2. Auflage derselben erschien 1828 unter dem Titel: „Kleine lyrische Werke“, aber wesentlich verändert. Von den 200 Gedichten der 1. Auflage nahm die zweite nur 73 auf, und fügte 136 neue Gedichte nebst dem Römischen Kalender hinzu; auch die 3. Auflage (1847) mit 192 Gedichten hat noch manche, wenn auch nicht so zahlreiche Aenderungen aufzuweisen. Der Hauptfehler in allen seinen Dichtungen beruht darin, daß S. die Form für nichts erachtet, indem er meint, der Gedankeninhalt allein sei maßgebend für die Beurtheilung einer Dichtung; daraus entspringt auch die weitere Eigenthümlichkeit des Dichters, so selten als möglich den Reim anzuwenden; er ist ein entschiedener Feind dieses „Wortgeklingels“, und verdammt ihn überall, deshalb steht Klopstock so hoch in seiner Achtung. Seine ersten Werke zeigen uns jedoch gereimte Dichtungen [670] noch ziemlich häufig; nur den rein didaktischen fehlt der Reim vollständig. Unter ihnen gebührt die erste Stelle dem „Laienbrevier“, das Schefer’s Ruhm in Deutschland begründet hat. Es ist ein Andachtsbuch für den Laien, vom Pantheismus durchweht, das in 366 Sprüchen, für jeden Tag des Jahres, die mannichfaltigsten Verhältnisse des menschlichen Lebens bespricht, am liebsten und besten zugleich das Verhältniß des Menschen zur Welt und zur Gottheit. Der Werth der erbaulichen Sprüche ist ein äußerst wechselnder, wie auch die Zeit ihrer Entstehung eine ziemliche Spanne von Jahren umfaßt. Die ältesten entstammen dem Jahre 1807, die letzten dem Jahre 1822. Sie erschienen nicht gleich gesammelt. Die 31 Sprüche des Januar erschienen zuerst in seinen kleinen lyrischen Werken (1828), die 28 Februarsprüche 1831 im Musenalmanach von Wendt, im darauffolgenden Jahrgange desselben Jahrbuches die 31 für den März. Erst 1834 erschien die erste gesammelte Ausgabe. Nun folgten die „Vigilien“ (1843), deren Entstehung schon um das Jahr 1836 zu setzen ist, und die theilweise bereits 1839 in den „Jahreszeiten“ von O. Marbach erschienen waren, der „Weltpriester“ (1846) und die „Hausreden“ (1855, 3. Aufl. 1862). An diese Werke schließen sich „Hafis in Hellas“ (1853) und der „Koran der Liebe“ (1855), die sich wesentlich von allen übrigen Schriften Schefer’s abheben. Erscheint er in den erstgenannten als der grübelnde Theosoph, so hat er in diesen alle Theorien und Philosopheme vergessen und schlägt im grellen Gegensatze zu ihnen anakreontische, erotische Töne an, wobei er manchmal selbst das Maß des Erlaubten überschreitet. Es sind zumeist Arbeiten, die der Zeit seiner Reisen entstammten, und die er geheimnißvoll in seinem Schreibtische verschlossen hielt, bis die Bekanntschaft mit Max Waldau ihn an jene zum Theil vergessenen Dichtungen erinnerte. Dieser, dem S. in der kurzen Zeit ihrer Bekanntschaft, die durch Waldau’s unvermutheten Tod einen jähen Abschluß fand, vollkommen sich anvertraute, drängte ihn zur Veröffentlichung, wozu sich S. nur schwer und dann auch nur unter der Bedingung verstand, wenn Waldau die letzte Feile an die einzelnen Gedichte legen wolle. Selbstlos entschloß sich Waldau zu dieser schweren Arbeit und so entstanden die beiden Werke, die zum großen Theil das Eigenthum seines Freundes sind; denn nahezu alle Gedichte, die gereimt erschienen, haben erst durch Waldau diese Form erhalten, und sind dadurch erst genießbar geworden; denn sie sind thatsächlich auch die besten. S. selbst fühlte in seinen letzten Jahren, wie er der Mitwelt sich entfremdet habe und wie gerade seine Form, seine Sucht nach „neugriechischen Wendungen und Constructionen“, wie er behauptet, die Schuld an dem verhältnißmäßig geringen Erfolge seiner Schriften trage; Waldau wurde ihm durch diesen Freundschaftsdienst geradezu unentbehrlich, um so mehr, als sich seine Bereitwilligkeit nicht nur auf lyrische, sondern auch prosaische Werke Schefer’s erstreckte, und er auch als Recensent zahlreicher deutscher Zeitungen mit den eindringlichsten Worten auf alle neuerscheinenden Werke des Dichters aufmerksam machte. – Der prosaischen Werke Schefer’s ist eine unendliche Reihe; seit dem Jahre 1827, als Professor Wendt ihn aufforderte, eine Novelle für das „Taschenbuch zum geselligen Vergnügen“ zu schreiben, schrieb S. in ununterbrochener Reihefolge mehr als 70 Novellen, und noch andere haben sich handschriftlich erhalten. Was man an S. bewundern kann, ist seine Universalität und die Leichtigkeit, mit der er sich in die verschiedensten Gegenden und Jahrhunderte hineinzuleben vermag, und fast überall trifft er vollkommen richtig den Ton der Zeit. In das Leben Nürnbergs während des 16. Jahrhunderts führt uns die „Künstlerehe“, die „Düvecke“ in die dänische Geschichte derselben Zeit, die „Gräfin Ulfeld“ in das 17. Jahrh., der „Kinderkreuzzug“ schildert uns Deutschland im 13. Jahrh., die „Sibille von Mantua“ und „Violanta Beccaria“ Italien, „Donna Paula de [671] Virginis“ Südfrankreich, der „Gekreuzigte“ und die „Eroberung von Constantinopel“ die Türken, der „Unsterblichkeitstrank“ China, der „Waldbrand“ Nordamerika. In unnachahmlicher Schönheit weiß er uns landschaftliche Scenerien zu schildern, mit blendenden Farben schmückt er überall den Hintergrund seiner Erzählungen aus. Um so crasser tritt uns der Mangel aller Charakteristik der handelnden Personen entgegen. Sie entwickeln sich nicht aus sich selbst, sie handeln nicht freiwillig, sondern stehen alle unter dem Zwange eines fatalistischen Schicksals. Deshalb können sie in uns kein Interesse hervorrufen und lassen uns kalt, wie sie selbst auch kalt bleiben bei den schrecklichsten Schicksalsschlägen, die sie treffen. Der Tod spielt bei S. eine große Rolle, aber für seine Personen hat er nichts schreckliches, sie sehen ihm lächelnd ins Angesicht und verlieren kein Wort beim Verluste ihrer Theuren. Es ist ein traumhaftes, verschwommenes Wesen, das ihnen allen eigen ist, und in dem S. sich nahe mit den Romantikern berührt. Wie Novalis in seiner Jugend einer seiner Lieblingsschriftsteller war, wie manche seiner Gedichte in den Tagebüchern auffallend an ihn gemahnen, so zeigt sich die Verwandtschaft auch in seinen prosaischen Schriften. Und doch zeigt sich S. gern als Realisten; freilich nur vorübergehend, sprunghaft. Schefer’s Familienleben ist ein sehr glückliches gewesen, und seine Frau liebte er leidenschaftlich und tief; und doch ist er nirgends im stande, in seinen Novellen die Liebe von Mann und Frau von einem höheren Standpunkte aus zu erfassen; fast überall ist es nur die Schönheit und der Reiz der weiblichen Formen, die den Mann an das Weib fesseln, die Liebe ist ihm zumeist nur eine Leidenschaft der Sinne, die eben deshalb nur zu schnell verraucht und einer neuen Liebe Platz macht; aus dieser Unbeständigkeit, dem ewigen Haschen nach einer Abwechslung, erwachsen dann die Conflicte seiner Erzählungen. Nur die Liebe der Mutter zum Kinde erfaßt er tief und wahr; hier findet er auch immer die treffendste Form.
Auch im Drama hat S. sich versucht; aber diese Versuche sind zugleich das unbedeutendste, was S. geschrieben; die Bühne haben sie nie gesehen. Und S. selbst erkannte noch rechtzeitig sein Unvermögen in dieser Hinsicht, den versuchten Weg auf die Dauer zu verfolgen. – Bedeutender ist er als Epiker. Ist allerdings seine Dichtung „Schneekönigs Kinder“ nur ein ziemlich verunglückter Versuch, in dieser Dichtungsart sich zu bewähren, so ist seine „Apotheose Homer’s“ doch entschieden von weit größerer Bedeutung und enthält Stellen von reizender Anmuth und Schalkhaftigkeit, die es bedauern lassen, daß nur die erste Hälfte der Dichtung, die in 24 Gesänge getheilt war, zum Druck befördert wurde, während die zweite Hälfte des Werkes Handschrift blieb; es hätte dieses Werk weit mehr Anspruch auf Veröffentlichung gehabt, als manche seiner oft ungenießbaren Novellen. Die Beschäftigung mit diesem Werke reicht weit in seine Jugendzeit zurück; 1838 lagen 14 Gesänge zum Drucke vorbereitet, 1858 erst wurde es wirklich gedruckt. Es sollte Homer verherrlichen. Aber wieder tritt uns die breite Auseinanderdehnung aller, auch der geringfügigsten Ereignisse entgegen, die Ineinanderschachtelung der verschiedensten Dinge, ein Mangel an aller logischen Aufeinanderfolge; es ist ein Kaleidoskop, ein buntes Farbenspiel, in welchem echt antike Auffassung mit modernen Anschauungen sich mengt; aber unter Schefer’s Werken nimmt es doch gewiß einen bedeutenden Rang ein. – Nach dem Tode Schefer’s erschienen noch zwei Sammlungen seiner Gedichte, aus seinem Nachlasse ausgelesen: „Für Haus und Herz, letzte Klänge“ herausg. von Gottschall, und „Buch des Lebens“, herausgeg. von Alfred Moschkau; eine Reihe der verschiedensten Dichtungen ist handschriftlich im Besitz der Oberlaus. Gesellschaft der Wissenschaften zu Görlitz.
- [672] Quellen und Litteratur: Schefer’s Tagebücher im Besitz der Oberl. Gesellschaft der Wissenschaften; sein Briefwechsel namentlich mit Laube und Waldau. – W. v. Lüdemann, Leopold Schefer’s Leben und Werke in seinen gesammelten Schriften (nach dem von S. selbst corrigirten Exemplar, früher im Besitze K. Goedeke’s). – Karl Siegen, Aus Leopold Schefers Frühzeit in Sievers, Akademische Blätter (1884, S. 585–599, 635–671). – Brenning, Biographische und litterargeschichtliche Würdigung Leopold Schefers, gekrönte Preisschrift (Neues Lausitz. Magazin, LX, 1–199). Wolkan, Fürst Pückler-Muskau u. Leopold Schefer (Neues Lausitz. Magazin, LXII, 130–148).