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Artikel „Marbach, Oswald“ von Franz Brümmer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 52 (1906), S. 187–189, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Marbach,_Oswald&oldid=- (Version vom 19. März 2024, 03:59 Uhr UTC)
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Marbach: Gotthard Oswald M. wurde am 13. April 1810 zu Jauer in Schlesien als Sohn eines Predigers geboren, erhielt seinen ersten Unterricht von seinem Vater, später denjenigen seines Oheims, des Superintendenten Bobertag in Lobendau bei Liegnitz, und kam dann (1821) auf die Ritterakademie in Liegnitz. Hier entwickelte sich nicht nur seine Vorliebe für die mathematischen Wissenschaften, sondern es wurde auch durch den Verkehr mit den Söhnen preußischer Heerführer aus den Befreiungskriegen sein Patriotismus geweckt, und als dann die Befreiungskämpfe der Hellenen auch in Deutschland das höchste Interesse fanden, wandte sich M. mit Feuereifer dem Studium der griechischen Dichter, besonders der Tragiker zu, ja er übertrug schon damals vieles aus Homer, Sophokles und Anakreon, und zwar im Versmaß des Originals. Nach dem Tode des Vaters (1827) vertauschte M. die Ritterakademie in Liegnitz mit dem dortigen Gymnasium und bezog zu Ostern 1828 die Universität Breslau, an der er zunächst Philosophie und Logik hörte. Noch im ersten Semester faßte er dann den Entschluß, Ingenieurofficier zu werden, und schon waren in dieser Hinsicht entscheidende Schritte gethan, als ihn die schlechten Aussichten auf Avancement bestimmten, seinen Plan fallen zu lassen. Er begab sich nun nach Halle, um Theologie zu studiren; Wegscheider führte ihn zum Rationalismus und dieser von der Theologie zur Philosophie. Daneben wurden eifrig Mathematik und Naturwissenschaften getrieben. Eine geschichtsphilosophische Preisschrift „De ideis“ führte zu tieferen philosophischen Studien, und eine persönliche Vorliebe für Spinoza veranlaßte ihn, an dessen Geburtstage (21. Februar) seinen ersten öffentlichen Vortrag, eine „Gedächtnißrede auf Benedikt von Spinoza“ (1831) zu halten, die solchen [188] Beifall fand, daß die Zuhörer durch eine Subscription die Drucklegung derselben ermöglichten. Nachdem M. 1831 in Halle promovirt worden, ging er nach Schlesien zurück mit der Absicht, sich in Breslau zu habilitiren. Die Cholera trat hemmend dazwischen, und er blieb in Liegnitz, wo er eine Lehrerstelle am Gymnasium erhielt. Im Herbst des folgenden Jahres begab sich M. nach Leipzig, wo er sich erst das Geld zu seiner Habilitation durch Privatunterricht verdienen mußte, welche dann im October 1833 erfolgte. Im Auftrage des Leipziger Buchhändlers O. Wigand, der M. aus verschiedenen Aufsätzen kennen gelernt hatte, verfaßte dieser ein großes „Populär-physikalisches Lexikon“ (V, 1833–38, 2. Aufl. 1849–52). An der Universität vertrat er ganz allein die dort sehr unwillkommene und angefeindete Hegel’sche Philosophie; er wandte sich daher bald ausschließlich den mathematischen, naturwissenschaftlichen und technologischen Fächern zu und sammelte einen stattlichen Kreis von Zuhörern um sich. Nebenher übernahm er 1843 auch die Stelle eines Lehrers der Mathematik am Nikolaigymnasium und erhielt 1845 den Titel eines Professors. In demselben Jahre gab er sein Gymnasiallehramt auf; er wurde von der Kreisdirection zum Censor für die gesammte politische, schöngeistige und Tageslitteratur und gleichzeitig bei der Universität zum Professor der Technologie, sowie zum Director des physikalisch-technologischen Apparates ernannt und erhielt später den Rang eines Honorarprofessors der Philosophie. Als das Jahr 1848 die Censur beseitigte, wurde M. von der Regierung in die Redaction der königlichen „Leipziger Zeitung“ als Chefredacteur berufen, und als solcher begründete er dazu die bekannte „Wissenschaftliche Beilage“. Ende 1851 schied er mit dem Titel eines Hofraths aus dieser Stellung. Später wurde er Urheber und Seele zweier großen praktischen Schöpfungen auf dem Finanz- und Assecuranzgebiet, der „Allgemeinen Renten-, Capital- und Lebensversicherungsbank Teutonia“ (begründet 1853), der er fast 30 Jahre als Director und oberster Leiter vorstand, und der „Leipziger Hypothekenbank“ (begründet 1864). Eine umfassende Thätigkeit widmete M. seit 1844 dem Bunde der Freimaurer; er war 30 Jahre Leiter der Loge „Balduin zur Linde“ in Leipzig und in etwa 50 Logen Ehrenmitglied. M. war in erster Ehe (1836–37) mit Rosalie Wagner, der Schwester Richard Wagner’s, vermählt. „Anfänglich standen sich beide Männer fern, trafen sich aber später auf einem Gebiete, dem der Wiedererhebung des Theaters zur Kunsthöhe, zusammen; denn sie fanden selbständig in der Verschmelzung von Musik, Deklamation und Orchestrik den einzigen Weg, der zur Wiedergeburt des Theaters führe.“ Im April 1890 konnte der greise Dichter noch vielseitige Ehrungen zu seinem 80. Geburtstage und zur Feier der goldenen Hochzeit entgegennehmen; wenige Monate später, am 28. Juli 1890, war seine irdische Laufbahn beendet.

M. gehörte zu den überaus vielseitigen und stets nach dem Höchsten strebenden Talenten und zu den Menschen, welche die edelsten Grundsätze beseelten. „Seine außerordentliche Begabung, sein Fleiß und die Vielseitigkeit der Interessen und Kenntnisse erklären es, daß M. die verschiedensten Aemter neben- und nacheinander verwalten und in jedem seinen Mann stellen konnte; sie erklären die Mannichfaltigkeit seiner Schriften nach Inhalt und Umfang, sie machen es verständlich, daß man den Reichthum seiner Kenntnisse und seine Arbeitskraft auch regierungsseitig oft in Anspruch nahm“; aber gerade die hierdurch bedingte Zersplitterung seiner Kräfte erklärte es auch, daß er doch nicht ganz die Höhe erreichte, die von seinem Streben erwartet werden durfte. Seine poetische Begabung war sicher eine bedeutende, und wenn auch seine ersten Sammlungen von Gedichten, „Gnomen“ (1832), eine Reihe von in [189] antiker Form dargebotenen Epigrammen, „Gedichte“ (1. Auflage unter dem Pseudonym Silesius Minor 1835 erschienen; 2. Aufl. 1838), „Buch der Liebe“ (1839) und „Unsterblichkeit. Ein Sonettenkranz“ (1843) nicht allgemeinen Beifall fanden, so bot er doch in den späteren Sammlungen, „Das Halljahr Deutschlands“ (1870) und „Deutschlands Wiedergeburt“ (1871), die beide patriotische Dichtungen enthalten, sowie in „Johannes (1856), „Lenz und Liebe“ (1877, 2. Ausgabe 1893) und „Licht und Leben“ (1883), die sämmtlich den Freimaurern gewidmet sind und vorwiegend religiöse Dichtungen bringen, vortreffliche Beweise nicht nur von seiner formalen Befähigung, sondern auch von seiner geistigen Bedeutung als Lyriker. Nicht minder beachtenswerth ist M. als Dramatiker. Sein erstes Drama „Papst und König oder Manfred der Hohenstaufe“ war schon 1836 in Leipzig aufgeführt worden, dann aber der Censur verfallen und verboten. Es erschien 1843, „nur für Freunde bestimmt“, und bewies Marbach’s poetisches Talent um so mehr, als er den unglücklich gewählten Stoff mit großer Meisterschaft behandelt hat. Seine weiteren Dramen „Hippolyt“ (Tragödie, 1858), „Medeia“ (Tragödie, 1858), „Ein Weltuntergang“ (Eine Trilogie: „Julius Cäsar“, 1860 – „Brutus und Cassius, 1860 – „Antonius und Cleopatra“, 1861) zeugen von außerordentlich dramatischer Kraft und von einem tiefgehenden Studium der griechischen Kunst und der römischen Geschichte. Daß M. als Dramatiker auch seiner Laune die Zügel schießen lassen konnte, zeigt er in dem Lustspiel „Herodes“ (1857), in dem Satyrspiel „Proteus“ (1862), einer freien Erfindung zur Ergänzung der Aeschylos-Trilogie, und in dem phantastisch-satirischen Zauberspiel „Shakespeare-Prometheus“ (1874), in welchem er die Shakespeare-Forscher und Kritiker seiner eigenen Kritik unterzieht. An alle diese Arbeiten schließen sich dann die Nachbildungen antiker Dramen, wie „Antigone“ (1889), „Sophokles’ Tragödien“ (1854–58, 2. Ausgabe 1860), „Die Oresteia des Aeschylus“ (1873) und die Nachdichtungen nach Shakespeare, „Othello, der Mohr von Venedig“ (1864), „Romeo und Julia“ (1867) und „Hamlet“ (1874). M. hat in diesen Nachdichtungen als freier Uebersetzer Tüchtiges geleistet. „Die wortgetreue mechanische Nachbildung aller jener Werke verabscheut er, es kam ihm auf die freie lebensfrische Erneuerung der Dichtung an. Insofern bieten also auch diese Werke, welche von Haus aus Uebertragungen sind, des Dichters Eigenes.“ Zahlreich sind endlich auch die Arbeiten Marbach’s auf dem Gebiete der Litteraturgeschichte, der Philosophie, der Zeitfragen und der Freimaurerei, von denen hier nur hervorgehoben werden sollen „Ueber moderne Literatur. In Briefen an eine Dame“ (III, 1836–38); Volksbücher“ (34 Hefte, 1838–42); „Dramaturgische Blätter“ (1866); „Goethes Faust, Theil I und II erklärt“ (1881) und „Lehrbuch der Geschichte der Philosophie“ (II, 1838).

K. G. Nowack, Schlesisches Schriftsteller-Lexikon. Breslau 1836 ff., 3. Bd., S. 84. – Heinrich Kurz, Litteraturgeschichte, 4. Bd., S. 16 und 483. – R. v. Gottschall, Die deutsche Nationallitteratur des 19. Jahrh., 3. Bd., S. 148 u. 281; 4. Bd., S. 75. – Karl Leimbach, Die deutschen Dichter d. Neuzeit u. Gegenw., 6. Bd. 1896, S. 65 ff. – Ueber Land u. Meer, 1890, Bd. 64, S. 607. – Der Hausfreund, 1884, Bd. 27., S. 401.