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Artikel „Graefe, Karl Ferdinand von“ von Ernst Gurlt in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 9 (1879), S. 557–562, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Graefe,_Karl_von&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 16:05 Uhr UTC)
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Graefe: Karl Ferdinand v. G., Chirurg und Augenarzt, ordentlicher Professor an der Universität zu Berlin, Director des klinischen Instituts für Chirurgie und Augenheilkunde daselbst, dritter Generalstabsarzt der königlich preußischen Armee, Geheimer Medicinalrath etc. etc., wurde am 8. März 1787 zu Warschau geboren, als Sohn des Geschäftsführers des Grafen Moszynski. Nachdem er den ersten Schulunterricht von einem deutschen Hauslehrer erhalten, kam er 1800 auf das Gymnasium zu Bautzen und später in die Kreuzschule zu Dresden. Er begann daselbst auf dem Collegium medico-chirurgicum das Studium der Medicin und setzte es seit 1805 in Halle und Leipzig fort, an welchem letzteren Orte er am 21. April 1807 mit der Inauguraldissertation „De notione et cura angiectaseos labiorum“ zum Dr. med. et chir. promovirt wurde. Im folgenden Jahre, in welchem er bereits zum Leibarzt und Hofrath des regierenden Herzogs von Anhalt-Bernburg Alexius ernannt und nach dessen Residenz Ballenstedt berufen worden war, gab er jene Inauguralschrift in ausführlicherer deutscher Bearbeitung unter dem Titel: „Angiectasie. Ein Beitrag zur rationellen Cur und Erkenntniß der Gefäßausdehnungen“, Leipzig 1808, 4., mit 4 Kupfertafeln heraus und machte sich in seinem neuen Wirkungskreise durch die noch 1808 erfolgte Errichtung eines Krankenhauses in Ballenstedt, sowie Begründung eines Kurortes unter dem Namen „Alexisbad“ im Selkethale, mit Benutzung [558] einer dortigen, bis dahin kaum gekannten und gewürdigten salinischen Eisenquelle, verdient. Er bewies hierdurch ein Interesse an den natürlichen Mineralquellen, das er sein ganzes Leben hindurch in verschiedenartigster Weise bethätigt hat. Sehr bald verstand es G. durch seine chirurgischen Leistungen die Augen der preußischen Regierung auf sich zu lenken, sodaß bereits 1810 der 23jährige Mann einen Ruf als Professor der Chirurgie an die Universität Königsberg erhielt, den er indessen ablehnte, um jedoch noch in demselben Jahre die gleiche Professur und die chirurgische Klinik an der neuerrichteten Universität Berlin, und zwar vom Wintersemester 1810–11 an, zu übernehmen. Die genannte Klinik als Institut mußte aber erst durch G. begründet werden, um in ihr eine Unterrichtsmethode, wie sie, im Wesentlichen noch heutzutage befolgt, G. einer der Ersten in Deutschland war, für die stationäre Klinik sowohl als die ambulante Poliklinik in Anwendung zu bringen. Eine weitere Frucht der Erfahrung und Speculation auf chirurgischem Gebiet waren die 1812 erschienenen „Normen für die Ablösung größerer Gliedmaßen“, in denen G., allerdings noch auf eine ziemlich geringe Zahl von Operationsfällen sich stützend, ein neues Amputationsverfahren empfahl. – Nur zu bald eröffnete sich G. ein noch mehr ausgebreiteter Schauplatz für seine Thätigkeit. Kaum hatte der später so glorreich beendete Befreiungskampf im Frühjahr 1813 seinen Anfang genommen, als auch G. den König bat, seine Wirksamkeit auf die für König und Vaterland kämpfenden Heerschaaren ausdehnen zu dürfen. Nachdem diese Bitte eine gnädige Aufnahme gefunden, wurde G. mit dem Charakter eines Divisions-General-Chirurgus die Administration der Militärheilanstalten Berlins übertragen, und einige Monate später ihm die Leitung des Lazarethwesens beim 4. Armeecorps, sowie, für die inzwischen auf etwa 180,000 Mann vergrößerte Armee, die Errichtung eines Hauptreservefeldlazareths anvertraut, ihm auch die Inspection der sämmtlichen in den drei Gouvernements zwischen der Weichsel und Weser gelegenen Provinzial-(Reserve-)Lazareth übergeben. Nur den unerhörtesten Anstrengungen und dem Organisationstalente Graefe’s gelang es, alle diese über einen ausgedehnten Landesstrich verbreiteten, an 38 verschiedenen Orten gelegenen Lazarethe, die nur erst dem Namen und der Nothwendigkeit nach vorhanden waren, für die inzwischen nach den Schlachten im Sommer 1813 auf eine enorme Höhe angewachsene Zahl von Verwundeten und Kranken, zu schaffen, einzurichten, mit den nöthigen Aerzten und Oekonomiebeamten zu versehen, und das Alles mit möglichster Schonung der fast erschöpften Staatsmittel, dagegen mit aufopfernder Unterstützung Seitens der gesammten Bevölkerung. Auch zu Ende des J. 1813 und anfangs 1814 erwarb G. sich bei der Tilgung einer der furchtbarsten Typhusepidemien, wie sie je beobachtet worden sind, nämlich der in dem belagerten Torgau ausgebrochenen, an welcher in wenigen Monaten gegen 30000 Menschen zu Grunde gegangen waren, durch Umsicht und Energie große Verdienste und verfaßte bei dieser Gelegenheit eine kleine, unentgeltlich vertheilte Schrift: „Die Kunst sich vor Ansteckung bei Epidemieen zu sichern“. – Beim Wiederausbruch des Krieges im J. 1815 wurde G. wieder, wie in den Jahren vorher, die Leitung des Lazarethwesens in den sehr umfangreichen, den Kriegsschauplatz umfassenden und demselben zunächst gelegenen Landestheilen, nämlich in dem Gouvernement zwischen der Weser und dem Rheine, in dem Großherzogthum Berg und Niederrhein, sowie in den preußischen Lazarethen von Holland und Belgien, endlich auch die Formation der gesammten Reservefeldlazarethe der Armee übertragen. Was derselbe in diesem und den früheren Feldzügen zum Wohle der Angehörigen der verschiedenen Armeen in der uneigennützigsten Weise (er gab das ihm zustehende Militärgehalt der Staatscasse zurück) gethan hat, das fand auf allen Seiten, bei Hoch und Niedrig, im In- [559] und Auslande, die bereitwilligste Anerkennung und erhielt Seitens des Königs von Preußen durch die im December 1815 erfolgte Verleihung des „Geheimraths-Charakters“ einen Ausdruck. – Zu seiner klinischen Thätigkeit nach Berlin zurückgekehrt, nahm er sich derselben mit allem Eifer und Nachdrucke an und bereits für das J. 1816 finden wir einen „Jahresbericht über das klinisch-chirurgisch-augenärztliche Institut der Universität zu Berlin“, der eine lange Reihe ihm nachfolgender ähnlicher Berichte eröffnet. G. zeichnete in der Klinik eine eminente Lehrfähigkeit neben einer meisterhaften Technik als Operateur aus. Seine Erfindungen und Verbesserungen von Operationsmethoden sind zahlreich. Durch ihn fanden zuerst die sogenannten plastischen Operationen in Deutschland, das später auf diesem Felde durch Graefe’s beide Nachfolger im Lehramte (Dieffenbach, B. v. Langenbeck) von keinem anderen Lande Uebertroffenes leisten sollte, ihren Eingang. Er war es, der die seit Jahrhunderten in Indien und später auch in Italien bekannten und geübten Methoden der Wiederherstellung zerstörter Nasen durch die „Rhinoplastik“ (der Name rührt von G. her und hat in vielen anderen „Plastiken“ Nachfolger gefunden) der Vergessenheit entriß und den Anstoß gab, daß diese Operation zu einer bis auf den heutigen Tag viel angewendeten erhoben wurde. Epoche machend, namentlich für die Geschichte der Operation, wird daher stets seine 1818 erschienene Schrift „Rhinoplastik oder die Kunst, den Verlust der Nase organisch zu ersetzen“ bleiben. Eine zweite plastische Operation, die G. 1816 geschaffen hat, wenn er sich auch anfänglich bei derselben einer mangelhaften, später (1819) von französischer Seite (Ph. J. Roux) verbesserten Methode bediente, ist die Gaumennaht zur Heilung von angeborenen Spalten des weichen Gaumens. Seine erste größere Mittheilung über diese neue Operation eröffnete das von ihm in Gemeinschaft mit Phil. v. Walther begründete, seit 1820 erschienene „Journal der Chirurgie und Augenheilkunde“, das bei Graefe’s Tode (1840) bereits 30 Bände, die zahlreiche eigene Abhandlungen Graefe’s enthalten, umfaßte. – Durch königl. Cabinetsordre vom 3. Juli 1822 wurde G., der bereits seit 1817 Mitglied der wissenschaftlichen Deputation für das Medicinalwesen und seit 1820 Mitglied der Oberexaminationscommission für die Staatsprüfungen war, „in Anerkennung der rühmlichen Dienste, welche Sie in einem ausgebreiteten Wirkungskreise Meinem Heere in den beiden letzten Kriegen geleistet haben, und in gerechter Würdigung Ihrer ausgezeichneten Verdienste um die Wissenschaft“ zum dritten Generalstabsarzte der Armee und zum Mitdirector der beiden militärärztlichen Bildungsanstalten (des medicinisch-chirurgischen Friedrich-Wilhelms-Instituts und der medicinisch chirurgischen Akademie für das Militär) ernannt und ihm in diesen beiden Eigenschaften „die besondere Leitung des Unterrichts und der wissenschaftlichen Ausbildung bei dem gesammten Militärmedicinalwesen unter dem Chef desselben, dem wirklichen ersten Generalstabsarzt Dr. Wiebel, übertragen“, er auch durch Cabinetsordre vom 24. März 1825 für Verhinderungsfälle mit der Stellvertretung des ersten und zweiten Generalstabsarztes (Wiebel, Büttner) beauftragt. – Im J. 1823 erschien eine auf Erfahrungen in den Kriegen von 1813–15 basirte Abhandlung, welche eine Geisel der damaligen Heere zum Gegenstand hatte, „Die epidemisch-contagiöse Augenblennorrhoe Aegyptens in den europäischen Befreiungsheeren“, in welcher er die Entstehung, Erkenntniß, Vorbeugung und Behandlung derselben besprach. – Von der Anerkennung, die sich G. auch bereits im Auslande erworben hatte, gab der Umstand Zeugniß, daß der Senat seines Geburtslandes, des Königreiches Polen, im J. 1825 dem Kaiser Alexander von Rußland die Erhebung Graefe’s in den polnischen Adelstand vorschlug. Dieselbe wurde durch den inzwischen zur Regierung gekommenen Kaiser Nicolaus mittelst Diploms vom 14. Februar 1826 vollzogen und [560] durch eine Cabinetsordre des Königs von Preußen unter dem 16. November d. J. anerkannt und glückwünschend genehmigt. – Unter den zahlreichen Erfindungen und Verbesserungen von Instrumenten und Apparaten, die von G. ausgegangen und unter seinem Namen bekannt sind, führen wir das Compressorium der Meningealarterien (1810), die Ligaturstäbchen, einen Operationstisch (1821), die Waffenbahre (1824), das Coreoncion (1828) an und unter den Operationen, die er zuerst in Deutschland ausführte, die partielle Resection des Unterkiefers (1821), die Unterbindung der Art. anonyma (1823), ebenso wie später die Lithotripsie. – Während G. die Fortschritte der Chirurgie und Augenheilkunde mit rastlosem Eifer verfolgte und nicht wenig durch Wort und Schrift zur Förderung derselben beitrug, gehörte er gleichzeitig zu den glücklichsten, von Hoch und Niedrig aufgesuchten Praktikern, dessen Patienten zum Theil den höchsten Kreisen angehörten (den König von Preußen behandelte er 1827 an einem Beinbruch, den Herzog von Cumberland, nachmaligen König von Hannover, operirte er mit bestem Erfolge am grauen Staar, dessen Sohn, den Kronprinzen, nachmaligen König Georg, behandelte er seit frühester Kindheit). Aber auch anderen Gebieten der Heilkunde blieb er nicht fremd; den Mineralquellen widmete er, wie wir gesehen, vom Anfange seiner praktischen Thätigkeit an, eine besondere Vorliebe und suchte dieselben auf Reisen im In- und Auslande näher kennen zu lernen und andererseits wieder bekannt zu machen. Noch am Ende seines Lebens beschäftigte ihn eine balneologische Schrift, die fast vollendet in seinem Nachlasse gefunden wurde und unter dem Titel „Die Gasquellen Süditaliens und Deutschlands“ erst nach seinem Tode 1842 erschien. – Als die Cholera sich den Grenzen Preußens näherte, wurde auch sein gewichtiger Rath über die zu ergreifenden Schutzmaßregeln begehrt. Freilich wurden die von ihm ertheilten Rathschläge nicht befolgt; vielmehr gelangten die seines Collegen und Antagonisten Rust, die, wie die Folge es erwies, nicht zweckmäßig waren (wie der Cholera-Cordon) zur Ausführung. – Daß er bei dieser vielseitigen und rastlosen Thätigkeit auch an anderweitigen, in seine Zeit fallenden litterarischen Unternehmungen einen förderlichen Antheil nahm, wie z. B. an einer Reihe von Inauguraldissertationen, ferner durch Vorreden, die er zu Uebersetzungen werthvoller Bücher des Auslandes schrieb, durch Mitherausgabe des von der Berliner medicinischen Facultät ins Leben gerufenen „Encyklopädischen Wörterbuches der medicinischen Wissenschaften“, durch die Mitredaction der „Jahrbücher für Deutschlands Heilquellen und Seebäder“, davon geben die litterarischen Sammelwerke, wie Callisen’s medicinisches Schriftsteller-Lexikon (Bd. 7, 1831, S. 328; Bd. 28, 1840, 249) eine umfassende Kunde. – Der Tod Graefe’s fand, ziemlich unerwartet, am 4. Juli 1840 zu Hannover statt, wohin er sich begeben hatte, um an dem Kronprinzen von Hannover eine Operation zu vollziehen, die diesem das Augenlicht wieder verschaffen sollte.

Zu einer schließlichen Charakterisirung der Verdienste Gräfe’s um die Menschheit und die Wissenschaft können wir nichts Besseres thun, als die folgenden Sätze einem Nachruf zu entlehnen, der ihm von dem berühmten Münchener Chirurgen Phil. v. Walther, seinem vieljährigen Freunde, dem Mitherausgeber des Journals für Chirurgie und Augenheilkunde, in diesem (Bd. 30 S. 741) gewidmet wurde: „Was G. als Arzt leidenden Mitmenschen gewesen, Solches spricht die in tausend Zungen redende, noch nicht verstummte Klage Derjenigen aus, die durch ihn in schweren, oft scheinbar rettungslosen Krankheiten Trost und wirksame Hülfe gefunden. Wie er durch Lehre und Beispiel gleichfalls Tausenden von jungen Aerzten, die um seinen Lehrstuhl sich drängten und die weiten Räume seines Operationssaales erfüllten, ein vorleuchtendes Gestirn zur Erhellung ihrer künftigen mühsamen und klippenvollen Bahn war, solches haben die dankbaren Schüler, die [561] ihn liebten und verehrten, schon vielfach ausgesprochen, und sie werden, ich wage es zu hoffen, es noch kräftiger und nicht eingeschüchtert durch Zeitverhältnisse und eingetretene Veränderungen, in frommer Weise thun. Was er in Krieg und Frieden dem preußischen Staate Nützliches und Förderndes geleistet, solches hat der Höchstselige König … durch glänzende Anerkennungen seines Verdienstes vielfach und auf eine für beide Theile gleich ehrende Weise kundgegeben.“ … „G. lebte in der vielbewegten Zeit, in welcher nicht nur die deutsche Chirurgie einen lebhafteren und höheren Aufschwung nahm, sondern die Chirurgie überhaupt zur freieren und edleren Entwickelung und Gestaltung gelangte. In der Reihe derjenigen Zeitgenossen, welche zu jenem höheren Aufschwunge und zu dieser edleren Entwickelung belebende Impulse gaben und wesentlich beitrugen, nimmt er einen ausgezeichneten Platz ein, und seine wissenschaftlichen und künstlerischen Bestrebungen sind auf beide nicht ohne die wohlthätigsten und förderndsten Einwirkungen geblieben. Es kommt darauf an, die edle Kunst von der rohen Empirie und von dem handwerkmäßig Hergebrachten zu befreien, sie gleich der Medicin auf die wissenschaftliche Grundlage der gesammten Heilkunde – auf die Naturwissenschaft zu gründen, und sie mit den neueren geistreichen und glänzenden Fortschritten derselben in Uebereinstimmung zu bringen; insbesondere aber das ungebührlich verspätete Aufblühen der um viele Decennien gegen die französische, englische und italienische zurückgebliebenen deutschen Chirurgie endlich herbeizuführen. In der Reihe der Begründer der deutschen Chirurgie und der Reformatoren der wissenschaftlichen Chirurgie überhaupt nimmt G. einen der ersten und ausgezeichnetsten Plätze ein, und die richtende Nachwelt wird auf dem unvergänglichen Marmor der Geschichte seinen Namen neben jenen der größten Chirurgen aller Länder und aller Jahrhunderte mit goldenen Buchstaben einzeichnen. Nicht blos, daß er die Staphylorrhaphie zuerst erfunden, daß er die Rhinoplastik wissenschaftlich begründet, die Grundsätze und Regeln derselben ans Licht gestellt, ihre Technik mit einer neuen Methode bereichert, daß er das Wesen der Telangiectasie ergründet, richtig bestimmt, über die Gliederablösungen wichtige Normen und Regulative aufgestellt, die Operation des Kaiserschnittes in ihrer Indication und ihren Technicismen wesentlich vervollkommnet und zur Sicherung ihres Erfolges erheblich beigetragen, daß er mit der Resection des Unterkiefers sich einer der Ersten in Deutschland und mit ermunterndem Erfolge beschäftigt, viele nützliche, sinnreiche und brauchbare chirurgische Instrumente und Bandagen theils neu erfunden, theils die schon vorhandenen wesentlich verbessert und brauchbarer gemacht hat; – um von diesen und vielen anderen seiner wichtigen Entdeckungen zu schweigen, sage ich, daß er den Geist der Wissenschaft, der so vielen ein verschlossenes Geheimniß ist, richtig erfaßt, daß er ihn seinen zahlreichen Schülern und der Welt geoffenbart, und so zur wissenschaftlichen Begründung der Chirurgie Vieles, Großes und Nachwirkendes beigetragen habe. Wenn sich dabei in der Art der Mittheilung menschliche Schwächen äußerten, von welchen kein Sterblicher frei ist, so mögen Uebelwollende nach dem Dahinscheiden des großen Meisters diese aufzudecken, ein unwürdiges Ergötzen finden. Ich sage: Ubi plura nitent, ego non paucis offendar maculis. Seine Schwächen waren nie von unedler Art, und sie äußerten sich nie in unwürdigen, aus gemeinen Intentionen hervorgehenden Handlungen.“ – Auch heute noch, fast 40 Jahre nachdem die vorstehenden Zeilen geschrieben sind, und nachdem der Lobredner selbst längst zur ewigen Ruhe eingegangen ist, müssen wir zugestehen, daß seine Voraussetzungen sich vollkommen bestätigt haben, daß die unparteiische Geschichte auch heute noch Graefe’s Verdienste in vollstem Maße anerkennt und würdigt.

[562] H. S. Michaelis, C. F. v. Gräfe in seinem dreißigjährigen Wirken für Staat und Wissenschaft. Ein Beitrag zur vaterländischen Geschichte, aus eigener Anschauung, historischen Zeugnissen und officiellen Acten, Berlin 1840. 8.