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Artikel „Rust, Johann Nepomuk“ von Ernst Gurlt in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 30 (1890), S. 25–29, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Rust,_Johann_Nepomuk&oldid=- (Version vom 8. Dezember 2024, 12:40 Uhr UTC)
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Rust: Johann Nepomuk R., berühmter Chirurg, geboren auf dem Schlosse Johannisberg zu Jauernik in Oesterreich. Schlesien am 5. April 1775, als Sohn des fürstbischöflichen Regierungs- und Kammerrathes Joseph R., erhielt seine Schulbildung in Troppau und Weißwasser, und da mathematische Studien und Zeichnen zu seinen Lieblingsbeschäftigungen gehörten, wurde er von seinen Eltern für die militärische Laufbahn bestimmt. Er trat wirklich auch, obgleich noch sehr jung, bei dem kaiserlichen Ingenieurcorps ein. Indessen verließ er bald darauf (1791) wieder den Militärdienst, um seinem inneren Berufe zu höherer wissenschaftlicher Ausbildung zu folgen, begab sich nach Wien, wo er, kaum 17 Jahre alt, kümmerlich sich seinen Lebensunterhalt durch Privatunterricht erwerben mußte, weil seine Eltern, die über sein Aufgeben der militärischen Laufbahn ungehalten, zugleich aber auch unvermögend waren, zu seiner Unterstützung nichts beitrugen. Er absolvirte zunächst in zwei Jahren die sogenannten philosophischen Studien und wendete sich darauf der Jurisprudenz zu und zwar [26] mit solchem Eifer, daß ihm ein Stipendium zu theil wurde, welches ihn in die Lage versetzte, nunmehr seiner alten Neigung für die Medicin zu folgen und Vorlesungen aus derselben zu hören, so daß er 1799, nach Beendigung seiner medicinisch-chirurgischen Studien, die Befähigung erlangt hatte, akademische Grade zu erwerben. Bei seiner Vorliebe für die operative Chirurgie und bei der Aussicht, als Dr. chirurg. eher eine feste Anstellung zu erlangen, erwarb er zunächst (27. Februar 1800) bei der Universität Prag diesen Grad, nachdem er bereits früher (12. August 1799) bei derselben das Diplom als Magister der Geburtshülfe erlangt hatte. Er kehrte dann wieder nach Wien zurück, um die klinischen Vorträge Peter Frank’s zu hören und sich unter Adam Schmidt und Beer in der Augenheilkunde weiter auszubilden. So vorbereitet in das praktische Leben tretend, ließ er sich zunächst in seiner Vaterstadt nieder und erwarb sich bald den Ruf eines tüchtigen Praktikers; da ihm jedoch der beschränkte Wirkungskreis daselbst nicht genügte, so begab er sich zu Anfang des Jahres 1802 nach Olmütz und wurden ihm, nach glänzend ausgefallener Concursprüfung, die am dortigen Lyceum erledigten Lehrämter der Anatomie, Chirurgie und Geburtshülfe zunächst provisorisch, in demselben Jahre (27. August) aber auch definitiv übertragen. Indessen sehr bald erlangte er einen seinen Neigungen noch mehr entsprechenden Wirkungskreis, indem ihm bei der Reorganisation der Universität Krakau das ordentliche Lehramt der höheren theoretischen und praktischen Chirurgie am 6. Februar 1803 anvertraut wurde. In dieser Stellung hatte er Gelegenheit, seine Fähigkeiten in vollem Maße zu entfalten und sein Lehrtalent, seinen Scharfsinn, sein klares, treffendes Urtheil, seine Gewandtheit in administrativen Dingen zur vollen Geltung zu bringen. Eine seiner ersten Thaten war die Errichtung einer chirurgisch-klinischen Anstalt, die bis dahin in Krakau noch ganz gefehlt hatte; er verband damit die Gründung eines chirurgischen Museums und praktische Uebungen in den chirurgischen Operationen an Leichen. Seine Vorträge über Chirurgie, Augenheilkunde und verwandte Disciplinen hielt er theils in deutscher, theils in lateinischer Sprache, machte sich um die Sanitätspolizei durch die eifrig (1805) betriebene, damals noch vielfach angefeindete Schutzpockenimpfung verdient und entwickelte bei den in den Kriegsjahren 1805 und 1809 auch in Krakau herrschenden epidemischen Krankheiten eine rastlose Thätigkeit in den Hospitä1ern, die 1809 seiner speciellen Leitung anvertraut waren. Trotz dieser Verdienste, und trotzdem er als Praktiker sich des Vertrauens von Kranken und Collegen weit und breit erfreute und von ersteren viele aus den entferntesten Gegenden Polens und aus dem angrenzenden Rußland zu ihm kamen, und trotzdem der akademische Senat, in Anerkennung seiner Verdienste als Arzt, ihm unter dem 3. März 1807 das Diplom als Doctor der Medicin ertheilt hatte, erachteten einige seiner akademischen Collegen es als mit den gesetzlichen Bestimmungen in Widerspruch stehend, daß er als Dr. chirurgiae auch innerliche Krankheiten behandele. Um diesen Anfeindungen zu entgehen, unterzog sich R. noch als Professor der medicinischen Doctorprüfung, wurde am 11. Februar 1808 rite promovirt, begab sich auch nach Wien, bestand die Prüfung als Augenarzt und erhielt am 15. März 1809 das Diplom als Magister der Augenheilkunde. Dabei hatte ihm das Vertrauen seiner Collegen während seines siebenjährigen Aufenthaltes in Krakau dreimal das Decanat der medicinischen Facultät, zweimal das Rectorat und mehrere Jahre hintereinander das Amt eines Facultätsdirectors und (1809) eines Sanitätsreferenten bei der Krakauer Landesstelle anvertraut. Seine Thätigkeit in Krakau erreichte mit der durch den Wiener Frieden (14. October 1809) erfolgten Abtretung von West-Galizien an das damalige Großherzogthum Warschau ihr Ende, da er, trotz aller Anerbietungen der neuen Regierung, 1810 Haus und Hof und eine sehr einträgliche Praxis verlassend, [27] nach kurzem Aufenthalt in Lemberg, Wien zu seinem Wirkungskreise wählte. Seine Erwartungen, hier eine seinen Verdiensten und seinen Fähigkeiten entsprechende Stellung zu finden, gingen in Erfüllung, indem er die Stellung eines Primarwundarztes am Allgemeinen Krankenhause und 1812 das Amt, die gerichtlichen Sectionen vorzunehmen, erhielt. Kaum war er aber in seine neue Wirksamkeit eingetreten, als sich seine Krankenabtheilung in eine Klinik höherer Art verwandelte, die nicht von Anfängern, sondern von Aerzten und Wundärzten des In- und Auslandes mit großem Interesse besucht wurde. In diese Zeit fielen auch einige von Rust’s bedeutenderen litterarischen Productionen, namentlich seine sehr bekannt gewordene „Helkologie, oder über die Natur … der Geschwüre“ (2 Bde. Wien 1811. Neue Bearbeitung 1841, 42; 1844); ferner „Einige Reflexionen über Natur und Heilung der Lymphgeschwülste“ (Harleß’ Jahrbb. der deutsch. Med. 1813), ein Bericht über das Allgem. Krankenhaus 1810–12 (Salzburg. med.-chir. Ztg. 1813) und „Einige Beobachtungen über die Wunden der Luft- und Speiseröhre“ etc. (1815) neben einer großen Zahl von Recensionen in der Wiener Allgem. Litt.-Ztg. und der Salzburger med.-chir. Ztg. Da hiernach sein Ruf in der wissenschaftlichen Welt immer bedeutender wurde, konnte es nicht fehlen, daß ihm im Auslande manche ehrenvolle Stellungen angeboten wurden, die er jedoch alle in der Hoffnung, in Wien eine entsprechende Wirksamkeit zu erhalten, ablehnte. Erst als sich ihm hierzu keine Aussicht eröffnete, nahm er das ihm bei Gelegenheit des Wiener Congresses von der preußischen Regierung 1815 gemachte Anerbieten an, bei dem eben eröffneten Feldzuge als Generaldivisionsarzt in preußische Dienste zu treten, nach Beendigung des Krieges aber an der Universität Berlin, oder einem anderen medicinischen Institute eine Anstellung zu erhalten. Er verließ am 10. Juli Wien, übernahm die ärztlichen Geschäfte bei dem auf dem Marsche nach Paris befindlichen, unter dem Commando des Generals Grafen Bülow von Dennewitz stehenden 4. Armeecorps und führte dieselben zu vollster Befriedigung seiner Vorgesetzten. Nach der Rückkehr aus dem Felde erhielt er seinen bleibenden Wohnsitz in Berlin, wurde Generaldivisionsarzt der Armeecorps in Brandenburg und Pommern, am 30. Mai 1816 zum Professor extraordinarius bei der medicinisch-chirurgischen Akademie für das Militär, am 22. Juni 1818 auch bei der Universität ernannt, nachdem er am 12. December 1816 bereits mit der Leitung der neu errichteten chirurgisch-ophthalmologischen Klinik im Charité-Krankenhause, die, ebenso wie seine Vorlesungen, auf die Studirenden eine außerordentliche Anziehungskraft ausübte, betraut worden war. Eine von ihm 1819 ausgeführte Untersuchung über die bei den preußischen Truppen herrschende epidemische Augenentzündung veranlaßte seine Schrift „Die Aegyptische Augenentzündung unter der kgl. preuß. Besatzung zu Mainz.“ Berlin 1820. Unter dem 23. Juli 1821 wurde er zum Geh. Obermedicinalrath und vortragenden Rathe im Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medicinalangelegenheiten ernannt, und von da an datiren die zahlreichen und einschneidenden Reformen, welche auf seinen Betrieb bei dem preußischen Medicinalwesen eingeführt wurden. Es gehört dahin eine neue Classification des Heilpersonals und die derselben entsprechende Regulirung der Prüfungen für die verschiedenen Kategorien desselben, ferner die Errichtung besonderer Bildungsanstalten für die Wundärzte 1. und 2. Classe (Chirurgenschulen), deren 4, zu Münster, Breslau, Magdeburg, Greifswald, von 1822–31 ins Leben gerufen wurden. Auch das Charité-Krankenhaus zu Berlin wurde von ihm reformirt und erweitert, bei demselben eine Krankenwärterschule errichtet und demselben ein Curatorium gegeben, an dessen Spitze R. selbst mit dem Titel als „Präsident“ (24. November 1829) trat; später (24. Juni 1836) wurde diesem Curatorium auch die Thierarzneischule unterstellt. Eine Darstellung von einem Theile [28] der durch ihn ausgeführten Reformen gab R. selbst im 3. Bande seiner Aufsätze und Abhandlungen unter dem Titel: „Die Medicinalverfassung Preußens, wie sie war und wie sie ist. Actenmäßig und kritisch beleuchtet.“ Berlin 1838. Die ihm als Generaldivisionsarzt übertragenen Geschäfte versah R., der am 6. August 1822 zu einem der Generalstabsärzte der Armee und am 7. Januar 1824 zum Professor ordinarius bei der Universität ernannt worden war, nur bis zur Errichtung des erwähnten Curatoriums (1829); aber bald eröffnete sich ihm ein neues Feld für seine Thätigkeit, als im J. 1831 von Rußland her die Cholera unaufhaltsam gegen Preußen vordrang. Die von ihm angeordnete Grenzsperre konnte zwar den gehegten Erwartungen nicht entsprechen, war aber auf das richtige Princip der von ihm vertheidigten Contagiosität der Krankheit basirt. Zur Sammlung von Beobachtungen über die räthselhafte Krankheit hatte er die Herausgabe eines „Cholera-Archiv“, 3 Bde., 1832, 1833, veranlaßt, ebenso wie er um diese Zeit (1832) den „Verein für Heilkunde in Preußen“ und die von demselben herausgegebene „Medicinische Zeitung“ gründete. 1834 wurde er zum Leibarzt des Kronprinzen ernannt, begleitete denselben auf verschiedenen Reisen (nach Italien, St. Petersburg) und wurde 1836 Vorsitzender einer Commission zur Bearbeitung eines neuen (1839 erschienenen) „Lehrbuchs der Geburtskunde für die Hebammen in den königl. preuß. Staaten“. Am 29. Januar 1837 wurde er zum Wirklichen Geheimen Obermedicinalrath mit dem Range eines Rathes 1. Classe ernannt und starb am 9. October 1840 auf seinem Gute Kleutsch bei Frankenstein in Schlesien.

Wenn wir zunächst seine litterarischen Arbeiten, außer den schon genannten, ins Auge fassen, so ist es bewundernswerth, welche Fülle an solchen, bei der Ueberzahl seiner sonstigen Geschäfte, er theils selbst ausgeführt, theils veranlaßt hat. Es gehören dahin „Arthrokakologie, oder die Verrenkungen durch innere Bedingungen, 1817“, das von ihm herausgegebene „Magazin für die gesammte Heilkunde“ von 1816 an (auch nach seinem Tode bis 1866 fortgesetzt, zusammen in 66 Bänden), ferner seit 1823: „Kritisches Repertorium für die Heilkunde“ (anfänglich allein, später mit J. L. Casper), „Theoretisch-praktisches Handbuch der Chirurgie … unter Mitwirkung eines Vereins von Aerzten und Wundärzten“ (18 Bde. 1830–1836); dazu eine sehr große Menge von Aufsätzen und Artikeln, namentlich in seinem „Magazin“, darunter über die Organisation des preußischen Militärsanitätswesens (1816, 1818, 1819), über Hunger- und Schmiercuren (1816, 1819, 1821, 1846), über Herstellung von verstümmelten Nasen (1817), über Zweck und Einrichtung ärztlich-praktischer Lehranstalten (1818, 1833, 1837) u. s. w. Noch bis an das Ende seiner Tage beschäftigte R. die Herausgabe seiner fast gänzlich umgearbeiteten „Helkologie“ und des 3. Bandes seiner „Aufsätze und Abhandlungen aus dem Gebiete der Medicin, Chirurgie und Staatsarzneikunde“ mit lithogr. Tafeln (Theil 1 1834, Theil 2 1836).

Rust’s Verdienste um die Wissenschaft betreffend, ist zunächst anzuführen, daß er sich um die wissenschaftliche Classificirung der Geschwüre verdient gemacht hat, wenn auch die spätere Zeit seine feinen Unterscheidungen mehrfach nicht als ganz stichhaltig anerkennen wollte; ebenso stellte seine „Arthrokakologie“ für seine Zeit einen Fortschritt in der Lehre von den Gelenkkrankheiten dar. Die Einführung der Inunctions- und Hungercur bei veralteten dyskrasischen Krankheiten ist ihm ebenfalls als Verdienst anzurechnen. Als Operateur war er in früheren Jahren durch Einfachheit des Handelns, des Instrumentenbedarfs (obgleich eine Anzahl von Instrumenten seinen Namen trägt) und Geschicklichkeit ausgezeichnet; in der letzten Zeit seines Lebens hielt er zwar noch die Klinik ab, hervorragend durch die Lebhaftigkeit und Kraft seines Wortes, führte aber, da durch beginnenden grauen Staar sein Sehvermögen getrübt war, keine Operationen mehr aus, [29] sondern überließ dieselben Dieffenbach, seinem jüngeren Collegen. Sein hervorragendes Lehrtalent zog Aerzte und Studirende aus allen Ländern an und wird die Totalsumme seiner Zuhörer, die er in 43 Studiensemestern (1817–1840) hatte, auf 4629, darunter 870 promovirte Aerzte und 1372 Ausländer, berechnet; nur während dreier Semester und einzelner Monate war er in den 23 Jahren durch Krankeit oder Abwesenheit in anderen Berufsgeschäften verhindert, seine Klinik zu halten. Im Umgange mit Kollegen und Patienten war er entgegenkommend, durch Sicherheit und Bestimmtheit des Handelns ausgezeichnet, wenn auch manchmal etwas derb, dabei aber gutherzig, für neue Ideen empfänglich, jedoch ein abgesagter Feind aller Charlatanerie, gegen aufstrebende Talente wohlwollend und denselben mit Rath und That förderlich, während er erkannten Capacitäten mit Eifer und ohne Engherzigkeit den Weg bahnte, was ihm durch seine nahen Beziehungen zu hochgestellten Staatsbeamten, die in ihm den geistvollen Arzt und fähigen Beamten in gleicher Weise schätzten, sehr erleichtert wurde. Aus demselben Grunde fand er bei Jenen auch für die Ausführung seines Reorganisationsplanes willige Anerkennung und Unterstützung, und sind niemals in Preußen so umfassende und so einschneidende Veränderungen im Medicinalwesen ausgeführt worden, wie auf seine Veranlassung. Auch für gesellige Unterhaltung hatte er viel Sinn, sowohl innerhalb seines Hauses, welches der Sammelpunkt von geistreichen Personen jeden Standes und Geschlechts war, als auch in anderen Geselligkeitsvereinen, in denen seine Gegenwart etwas Anregendes und Belebendes hatte.

Großheim in Medicin. Zeitung. Herausgegeben von dem Verein für Heilkunde in Preußen, 1840, S. 249, 253, 259. – Callisen, Medicin. Schriftsteller-Lexikon Bd. 16 S. 439; Bd. 32 S. 53.