Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Rust, Isaak“ von Joh. Schneider. in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 30 (1890), S. 29–34, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Rust,_Isaac&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 19:11 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Rust, Johann Nepomuk
Nächster>>>
Rüstow
Band 30 (1890), S. 29–34 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Nach Wikipedia-Artikel suchen
Isaac Rust in Wikidata
GND-Nummer 11671168X
Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|30|29|34|Rust, Isaak|Joh. Schneider.|ADB:Rust, Isaac}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=11671168X}}    

Rust: Isaak R., Theologe, auf wissenschaftlichem Gebiete wenig hervortretend, aber von Bedeutung auf dem Gebiete der Kirchenleitung. Er stammt aus einer bäuerlichen Familie und ist geboren am 14. October 1796 zu Mußbach in der Rheinpfalz. Erst Schullehrling, dann Schreiber, erwarb er sich innerhalb kurzer Zeit durch angestrengte Privatstudien in Heidelberg die Maturität und wurde daselbst am 1. März 1815 immatriculirt. Er widmete sich bei Creuzer und Voß der Philologie, bei Hegel, Daub, Paulus u. A. der Philosophie und Theologie, löste schon 1816 eine theologische Preisaufgabe und bestand nach 5 Semestern im Herbst 1817 seine erste theologische Prüfung in Speier. Nach kurzer Verwendung im Kirchendienst wurde R. im Januar 1818 als Lehrer an der neu eröffneten Studienanstalt in Speier angestellt, neben seinem speciellen Landsmann und Zeitgenossen, dem späteren Cardinal und Erzbischof von Köln, Joh. Geissel; schon im folgenden Jahre vertrat er einen Lycealprofessor mit Vorlesungen über philosophische Fächer und erwarb sich durch eine Abhandlung „De absoluti revelatione“ in Heidelberg den philosophischen Doctortitel. 1820 mußte er infolge einer Krankheit das Lehramt aufgeben und wurde Pfarrer in dem bekannten Weinort Ungstein. In Speier gab man ihm das Zeugniß, daß er sich wesentliche Verdienste um das Aufblühen der Anstalt erworben habe. – In Ungstein gab R. 1825 sein Buch „Philosophie und Christenthum oder Wissen und Glauben“ (2. Aufl. 1833) heraus. Er tritt auf als Kämpfer „für Licht und Wahrheit, für Freiheit des Geistes und eindringende Forschung“, gegen die Ausgeburten eines erkrankten Gefühls und die Unternehmungen der Lichtscheuen, und vertheidigt die Sache der Vernunft gegen die „Finsterlinge“; aber Rationalismus und Supranaturalismus sind ihm Einseitigkeiten, zwischen Glauben und Wissen besteht Einheit. Die intellectuelle und religiöse Entwickelung der Menschheit hat drei Stufen: Heidenthum, [30] Judenthum und Christenthum, die sich verhalten wie Gefühl, Verstand und Vernunft. Dr. Paulus klagte trotz der Anerkennung, daß der Zeitgeist – und damit ist wohl die Hegel’sche Philosophie gemeint – zuviel Einfluß auf R. gehabt zu haben scheine (Sophronizon Bd. VII, H. 5, S. 100 ff.). Ein Aufsatz in der protestantischen Zeitschrift für evangelisches Christenthum von Dr. G. Friedrich (Frankf. 1827, Bd. I, H. 3. Bd. II, H. 1–3): „der Protestantismus“ steht auf demselben Standpunkt. Der Protestantismus ist die Kirche der inneren Auctorität, Vernunft und Evangelium sind seine beiden Leuchten. Jesus war der größte Lichtfreund auf Erden, Luther und Zwingli waren seine Diener. Es ist thöricht und gottlos, den freien Geist für alle Zeiten in die Formeln der Glaubensbekenntnisse zu schlagen; das wollten auch die Reformatoren nicht, sondern sie wollten unendlichen Fortschritt im Glauben und in seiner äußeren Darstellung möglich machen. Aehnlich hatte sich R. schon 1824 ausgesprochen in einer Synodalpredigt: „Welche Forderungen macht die evangelische Kirche an ihre Mitglieder?“ (Mannheim, Schramm und Götz 1824). – Ehe dieser Aufsatz vollendet wurde, wurde R. 1827 als Pfarrer an die französisch-reformirte Gemeinde in Erlangen berufen und erhielt bald die Würde eines Licentiaten und im März 1828 die eines Doctors der Theologie. In seiner Dissertation: „De nonnullis, quae in theologia nostrae aetatis dogmatica desiderantur“ (Erlangen, Kunstmann 1828) wendet er sich besonders gegen Schleiermacher, dessen Verdienste er sonst anerkennt, mit dem Vorwurf, daß dessen Religionsbegriff die Religion ihrer Würde beraube, das Wesen der christlichen Religion corrumpire und die Würde des Menschen vermindere. In seinen „Ptedigten über ausgewählte Texte“ (1829) polemisirt er zwar auch gegen den starren, todten Buchstabenglauben im Bunde mit einer krankhaften Gefühlsüberspannung, aber ebenso gegen die Aufklärungssucht mit ihrem Miethlingssinn, ihrer Dürre und Unfruchtbarkeit. Jesus ist nicht bloß Menschensohn, sondern auch Gottessohn in seiner ganzen Würde. Die Bekenntnißschriften sind nicht abzuschaffen, aber wenn sie mit der Schrift und Vernunft nicht übereinstimmen, von der ganzen Kirche zu verbessern. Im Sommer 1828 begann R. seine Vorlesungen, die sich auf Dogmatik, Ethik, Apologetik und neutestamentliche Exegese erstreckten, auch leitete er einen philosophisch-theologischen und einen homiletischen Verein. Er wurde 1830 außerordentlicher, 1831 ordentlicher Professor und 1833 Mitglied des akademischen Senats. Schon 1827 hatte er zusammen mit Lommler, Lucius, Sackreuter und E. Zimmermann die Herausgabe eines vierbändigen Werkes begonnen: „Geist aus Luther’s Schriften oder Concordanz der Ansichten und Urtheile des großen Reformators“ (1827–31). Daran reihte sich, veranlaßt durch die auch nach Deutschland übergreifende Julirevolution, „Stimmen der Reformation und der Reformatoren an die Fürsten und Völker dieser Zeit“ (1832). R. vertheidigt die Reformation gegen den Vorwurf der Revolution, greift den „frechen Geist der Verneinung“ an und sagt das, was sich unter dem ehrwürdigen Namen des Rationalismus geltend mache, sei nichts als ein mehr oder minder umschleiertes Erzeugniß jenes Geistes. Uebrigens versichert R. nicht bloß, daß er keine schlechthinnige Rückkehr in das 16. Jahrhundert und zur Scholastik wünsche, sondern zeigte auch noch jetzt einen Dissensus von der kirchlichen Lehre. In zwei Programmen: „De Blasio Pascale, veritatis et divinitatis religionis christ. vindice“ (Erlangen 1833), verlangt er die Entfernung der Lehre von einer gänzlichen Verderbtheit der menschlichen Natur, die nur maculata et debilitata sei, aus den Bekenntnißschriften. Infolge des Zusammenwirkens mit Männern wie Engelhardt, Winer, Olshausen und Harleß und einer tieferen Erforschung der heiligen Schrift und der Reformatoren wandte er sich von einem auf Hegel’scher Philosophie ruhenden Rationalismus immer mehr der orthodoxen [31] Richtung zu (vgl. die Universität Erlangen von 1743–1848 [von J. G. V. Engelhardt] S. 99). Der Vorwurf eines plötzlichen Umschwungs ist unberechtigt, ebenso der des Pietismus und Mysticismus. Bei seinem Weggang von Erlangen bat das Presbyterium unter Rust’s Vorsitz, das Consistorium möge einen Pfarrverweser senden, der fern von den theologischen Parteien der Zeit, und insbesondere von dem Geist des Pietismus im Stande sei, das lautere Evangelium zu verkündigen. – Das obengenannte Buch mag wohl die Aufmerksamkeit der Regierung und der Kirchenbehörde auf R. gelenkt haben für eine Stelle im Consistorium zu Speier. Waren doch gerade in der Pfalz die Wogen der politischen Erregung im J. 1832 (Hambacher Fest!) sehr hoch gegangen. Bemüht hatte er sich um diese neue Stelle nicht. Die pfälzische Union von 1818 war im rationalistischen Sinne geschlossen worden, außer dem neuen Testamente sollte nichts anderes als Glaubens- und Lehrnorm gelten, die symbolischen Bücher sollten abgeschafft sein. Das Generalconsistorium (später Oberconsistorium) in München dagegen erklärte die allgemeinen Symbole und die symbolischen Bücher, soweit sie nicht streitige Lehren enthielten, zur Lehrnorm. Zwar beschloß die pfälzische Generalsynode von 1821, die allgemeinen Symbole und die symbolischen Bücher seien in gebührender Achtung zu halten, aber die heilige Schrift sei allein Glaubensgrund und Lehrnorm. Darüber entstand nun langjähriger Streit, auf der einen Seite stand das Oberconsistorium und die Regierung, auf der andern das Consistorium in Speier mit der ganzen Geistlichkeit. Das kirchliche Leben in der Pfalz befand sich in einem traurigen Zustand. Es gab nicht wenige unwürdige Geistliche, und sie wurden nicht sonderlich beunruhigt von oben; tiefere theologische Bildung war selten zu finden, es herrschte viel Seichtigkeit und Oberflächlichkeit. Das kirchliche Leben schlief, der Kirchenbesuch in den Städten war schlecht, auf dem Lande nicht immer gut. Kirchliche und christliche Bestrebungen (z. B. Bibelverbreitung, Mission) fanden keine Theilnahme (Lyncker, Die Entwickelung des kirchlichen Lebens in der vereinigten protestantischen Kirche der Pfalz. Verl. d. evang. Vereins, 1860, S. 9 ff. – Pfälzisches Memorabile, ebendas. 1873 S. 78 ff.). Als das Consistorium in Speyer Beschwerde erhob gegen „Uebergriffe“ des Oberconsistoriums, wurden der Director und zwei Räthe entfernt und an ihre Stelle ein lutherischer Regierungsrath, Sieß, und Dr. R. berufen (1833). In seiner Antrittspredigt („Zwei Predigten beim Uebergange in einen neuen Berufskreis“ Mannheim 1833) legte R. seinen Standpunkt offen dar. Er bekennt sich zur Union, nennt dieselbe ein gottgefälliges Werk. Aber das ist richtig, daß er nicht im Sinn und Geist der Unionsstifter gewirkt und gewaltet hat (Laurier, Die evangelisch-protestantische Kirche der Pfalz, Kaiserslautern, 1868, S. 109). Es fehlte ihm an Geduld, Mäßigung, Entgegenkommen; er vergaß die Rücksicht auf die bisherige Entwickelung und that manchen ehrlichen, überzeugten Rationalisten Unrecht, wenn er sie des Abfalls zieh (man vgl. seine „Predigten und Casualreden“, Speyer 1838). Das Urtheil, das H. Thiersch über R. fällte (Friedr. Thiersch’s Leben, 2. Bd., 1866, S. 389), ist streng. aber gerecht: „Zwar hatte er das Verdienst, mit heilsamer Strenge arge Ausschreitungen unwürdiger Geistlicher zu beseitigen, aber statt die Gemüther für das Bessere zu gewinnen, verletzte er durch schroffes und gebieterisches Auftreten und verleitete durch Aufnöthigung der Orthodoxie schwächere Charaktere zur Heuchelei.“ Gleich die erste Maßregel, die Einforderung der Charfreitagspredigten 1834, wozu das Consistorium ja berechtigt war, und die theilweise scharfe Beurtheilung derselben machte böses Blut. Sodann wurde der Gebrauch anderer als landeskirchlicher Agenden verboten; die Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben an Jesum Christum, den Sohn Gottes und Heiland der Welt, als Mittelpunkt der confessionellen Unterscheidungslehren zu [32] predigen empfohlen. Schon erhoben einzelne Pfarrer förmlich Widerspruch und der Landrath (Provinzialvertretung) der Pfalz beschwerte sich 1835 über die Antastung der Glaubens- und Gewissensfreiheit. Am 27. Januar 1836 erließ das Consistorium ein Rundschreiben, die theologisch-kirchlichen Parteiungen, in specie den Mysticismus und Pietismus betreffend – die Gegner nannten es nach den Eingangsworten „Die Bulle: Eingedenk der ernsten Verpflichtungen“, auch „Bulla Rustica“ – das Consistorium erstrebe nur Beförderung wahrhaft geistlicher Thätigkeit, Entfernung des Miethlingssinnes, des Unglaubens, der Unsittlichkeit, und Erhöhung der Liebe zu der heiligen Schrift. Dem Rationalismus wird unmißverständlich der revolutionäre Geist schuld gegeben und ihm vorgeworfen, daß er abgefallen sei von der heiligen Schrift zu den Fabeln des fleischlichen Verstandes. Während eine Stimme im Christlichen Beobachter (Frankfurt 1837) diesen Erlaß „das bedeutendste Actenstück über die kirchliche Bewegung unserer Zeit“ nannte, und ein hochgestellter Beamter (P. J. H. Jung, bad. Oberhofgerichtsrath, Ein Wort über die Lehrfreiheit u. s. w., Frankf. 1837) erklärte, das Consistorium habe völlig innerhalb der Grenzen seiner Amtspflicht und Befugniß gehandelt, wurde R. von anderer Seite heftig angegriffen, namentlich in der von dem bekannten Statistiker G. F. Kolb redigirten Speyerer Zeitung. Das Consistorium sollte nicht bloß an der Abnahme der Theologiestudirenden, sondern auch an dem Anwachsen der Geisteskrankheiten schuld sein. Eine Klage gegen Kolb wurde von den Gerichten abgewiesen. Die meisten Diöcesansynoden erhoben sich gegen das Consistorium, einige verlangten die Entfernung Sieß’ und Rust’s. Zur Beilegung der Unruhe sandte das Oberconsistorium im Juli 1836 die beiden Räthe Dr. Grupen und Dr. Fuchs in die Pfalz, welche an einigen Orten Versammlungen der Geistlichen und der weltlichen Synodalen beriefen. Aber da sie erklärten, durch die Union sei nicht eine Lossagung von den übereinstimmenden Lehren der Lutheraner und Reformirten erfolgt, ja durch eine solche Lossagung bringe sich die pfälzische Kirche in die Gefahr, die verfassungsmäßigen Rechte der drei anerkannten christlichen Confessionen zu verlieren, und ein allerhöchster Erlaß vom 20. Januar 1837 die Grundsätze der beiden Commissäre billigte, und im März auch Consistorialrath Dr. Schultz, welcher die rationalistische Richtung vertrat, quiescirt wurde, so stieg die Erregung noch weiter. 139 Geistliche und 65 weltliche Synodalen reichten bei der Abgeordnetenkammer eine Beschwerde gegen das Oberconsistorium und das Consistorium ein. Dieselbe kam zwar nicht mehr zur Verhandlung, aber der 2. Secretär, Willich, griff bei anderer Veranlassung R. an als einen Mann von jesuitisch-pietistisch-mystisch-theokratischer Tendenz, und als einen Störer der Einigkeit und der Vereinigung. Die beiden Präsidenten erklärten ihr Befremden über diesen Angriff auf einen Abwesenden, und der Minister v. Oettingen-Wallerstein erklärte, die oberste Kirchenbehörde gebe R. das Zeugniß tiefen Wissens, reinsten Strebens und treuer Pflichterfüllung (Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten im J. 1837, 7. Bd., S. 557–566). Indessen hatte die Beschwerde doch die Folge, daß Director Sieß weichen mußte. – Die Generalsynode von 1837 lehnte den von R. aus älteren, namentlich pfälzischen Kirchenordnungen zusammengestellten „Entwurf einer Agende“ u. s. w. (Speyer 1837, 474 S., 8°) ab, aber der König sprach ihm seine persönliche und besondere Zufriedenheit aus, sowohl wegen seiner geistlichen Amtsführung, als auch wegen seines Diensteifers für Handhabung des verfassungsmäßigen protestantischen Kirchenregiments. Zwar richteten mehrere Abgeordnete abermals eine Eingabe gegen R. an den König (1840), und der alte Professor Paulus in Heidelberg kam seinen Gesinnungsgenossen zu Hülfe mit einem dicken Buch (Die protestantisch-evangelisch unirte Kirche in der Baierischen Pfalz, eine Sammlung [33] von Actenstücken, 1840), aber die Pfalz konnte sich eben doch dem allgemeinen Umschwung nicht entziehen; der Rationalismus war im Niedergang begriffen, die meisten jungen Theologen hatten einen andern Geist. Während 1837 die beiden Parteien noch wie 36 : 4 standen, waren sie in der Synode von 1841 einander fast gleich. Ja 1842 richteten Rust’s Anhänger eine Zustimmungsadresse an ihn, die, obwohl unterdrückt, weil sich der Regierungspräsident, Fürst Wrede, in derselben gekränkt sah, doch zeigte, wie es stehe. Es wurden manche neue Einrichtungen getroffen, 1838 und 1839 entstanden die ersten Bibelvereine, 1845 wurde die Missionssache eingeführt, eine neue bessere biblische Geschichte wurde eingeführt, eine Revision des Katechismus in Aussicht genommen. Aufs neue erhob sich der Sturm bei der Generalsynode 1845. R. eröffnete sie mit einer Predigt über Jerem. 17, 13 ff. („Der Herr ist der evangelischen Kirche Ruhm und Hoffnung“, Speier 1845), in welcher er seine Gegner Abtrünnige, Abgefallene, ungezogene Kinder nennt, die in heilloser Verblendung nicht ruhen und nicht rasten, bis sie in den vergänglichen Erdenstaub geschrieben sind und Gott ihrer nicht mehr gedenkt. Menschen, von Eitelkeit gestachelt und christlicher Erkenntniß bar, führten das große Wort, Unreife und Erfahrungslose redeten ihnen nach. Eine solche Sprache mußte erbittern. Dazu kamen die Vorlagen: Specielle Seelsorge, Belebung der Hausandacht, Gesangbuchsrevision und ein Katechismusentwurf. Betreffs des letzteren hatte eine allerhöchste Entschließung von 1843 bestimmt, er müsse die allgemeine (d. h. beiden protestantischen Confessionen gemeinsame) Lehre vollständig und unverhüllt enthalten. Neuen Zunder brachte ein Aufsatz des Pfarrers Frantz von Ingenheim in der Zeitschrift Die Morgenröthe (1846): von der Gottheit Christi steht nichts in der Bibel. Dieser Aufsatz sowie ein eigenes der Gemeinde zur Unterzeichnung vorgelegtes, rationalistisches Glaubensbekenntniß brachten über Pfarrer Frantz zuerst Suspension und endlich Absetzung. Schriften erschienen pro und contra, und eine Versammlung in Edenkoben an Luther’s Geburtstag wendete sich mit einer Beschwerde an den König. Die Aufregung wurde der Regierung doch bedenklich, aber sie traf einen eigenen Ausweg: sie enthob R. am 17. December 1846 seiner Stelle als Consistorialrath in Speyer – und versetzte ihn als Oberconsistorialrath und zweiten Hauptprediger nach München. Im März 1847 verließ er Speyer; seine letzte Predigt hielt er daselbst über Col. 2, 6–10: Bleibet dem Herrn Jesu getreu. Da Rust’s Nachfolger, Börsch, wenn auch milder, doch derselben Richtung angehörte, R. im Oberconsistorium im Grunde noch mehr Einfluß hatte, so folgten neue Versammlungen, neue Eingaben, bis im J. 1848 die Losung ausgegeben wurde: Trennung vom Oberconsistorium! Die Staatsregierung ertheilte zu einem etwaigen Antrag ihre Zustimmung. Am 16. October 1848 wurde die Synode eröffnet, zwei Tage darauf wurde R. quiesciert, Pfarrer Frantz wieder in sein Amt eingesetzt, in der Hoffnung, dadurch die Trennung zu verhüten; aber es war zu spät, sie wurde ausgesprochen und am 17. Mai 1849 vom König Maximilian II. genehmigt. Aber noch einmal trat in Rust’s Stellung eine unerwartete Wendung ein: nachdem er 1849 auf die erste Hauptpredigerstelle vorgerückt war, wurde er 1851 zum Ministerialrath im Cultusministerium ernannt und erhielt das Referat über pfälzische Kirchenangelegenheiten. Welchen Einfluß er auf dieselben übte, entzieht sich annoch der Kenntniß, aber er übte einen solchen, wenn auch nicht immer heilsamen. 1853 wurde die Augsburgische Confession von 1540 als Consensus-Bekenntniß angenommen, ein neuer Unionskatechismus entworfen, die Revision des Gesangbuchs beschlossen und die Wahlordnung von 1848 aufgehoben. Die neue Wahlordnung wurde jedoch nicht pure genehmigt, sondern ein Theil der früher [34] aufgehobenen von 1818 eingeschoben, gegen die Bestimmung, daß Aenderungen nur mit Zustimmung der Synode erfolgen können. 1857 wurde ein Gesangbuchsentwurf vorgelegt, und von dem Consistorium bedeutend erweitert, 1859 demselben die Genehmigung ertheilt. Darüber entstand der unheilvolle Gesangbuchsstreit. Daß man R. noch fürchtete, zeigt eine von liberaler Seite ausgegangene Streitschrift (Kirchengesetz und Kirchengewalt in der bayer. Pfalz, 4. Aufl., München 1861, S. 75), es erhebe sich Zweifel, ob das rechte Wort bis zum König dringen werde, da ja derselbe Mann, der im Jahre 1833 mit dem Unfrieden in die Pfalz kam, im J. 1848 (?) in München untergekommen, heute (1860) dort über dieselben Beschwerden, die zugleich gegen ihn und sein Werk gerichtet sind, mit seiner Ansicht gehört werde. Im J. 1861 wurde das neue Gesangbuch suspendirt; R., dem es unter diesen Umständen seine Ueberzeugung nicht mehr gestattete, im Amt zu bleiben, bat mehrfach um seine Entlassung. Diese wurde ihm am 11. Juni 1861 ertheilt mit Belassung seines Gesammtgehaltes und unter Anerkennung seiner vieljährigen in Kirche und Staat mit Treue und Hingebung geleisteten Dienste. Er war Ritter des Verdienstordens der baierischen Krone und des Michaelsordens. Nur kurze Zeit war es ihm vergönnt, seine Ruhe zu genießen. Nach einer Krankheit von wenigen Wochen starb er am 14. December 1862.

Mittheilungen aus Speyer, Erlangen u. München. – G. F. Kolb, Kurze Geschichte der verein. Prot.-evang. christl. Kirche d. baier. Pfalz, Speyer 1847. – Geschichte der verein. Kirche der Pfalz von 1818 bis 1848, Verl. d. evang. Vereins, 1849. – E. F. H. Medicus, Geschichte der evang. Kirche im Königr. Bayern, Supplementband, Erlangen 1865. – Pfälz. Memorabile, 2. Th., Verl. d. evang. Vereins, 1874. – Allgemeine Kirchen-Zeitung (Darmstadt), Jahrgang 1836 ff. – Real-Encyklopädie für Theologie und Kirche v. Herzog u. s. w., XIII, S. 137 ff.
Joh. Schneider.