ADB:Oettingen-Wallerstein, Ludwig Fürst
Wallerstein: Ludwig Fürst von Oettingen-W., bairischer Staatsmann, Sohn des Fürsten Krafft Ernst von Oe.-W. aus zweiter Ehe mit Wilhelmine, Prinzessin von Württemberg, geboren am 31. Januar 1791 auf dem Stammschloß seines Hauses, † in Luzern am 22. Juni 1870.
Das uralte Geschlecht der Oettingen – Spener erzählt eine Stammsage, daß ein Graf von Oettingen als römischer Hauptmann unter dem Kreuze Christi Wache gehalten habe – steht unzweifelhaft mit den Grafen, die dem ehemaligen Riesgau vorstanden und zum ersten Mal 1007 urkundlich erwähnt werden, in Zusammenhang. Eine sichere Geschlechtsreihe läßt sich vom Jahr 1136 an feststellen. Die Oe. waren treue Anhänger des staufischen Hauses. Graf Konrad v. Oe. zog 1189 mit Friedrich Barbarossa in das Morgenland; Ludwig II. weilte im Gefolge Heinrich’s VI. in Italien; Ludwig III., der Stifter des Frauenklosters Kirchheim am Ries, leistete Konrad IV. so schätzbare Dienste, daß ihm der König 1250 die Städte Nördlingen, Harburg und Dinkelsbühl, die Burg Sorheim, die Schutzvogtei über das Kloster Roth und den Zehnten von Aufkirch pfandweise übertrug. Sein Bruder Ludwig IV. erscheint um die Mitte des 13. Jahrhunderts als Pfalzgraf von Baiern. 1273 kam es zur ersten Theilung der Grafschaft; Ludwig V., mit Maria, der Tochter des Burggrafen Friedrich III. von Nürnberg, vermählt, erhielt die Besitzungen im Ries, Konrad III. diejenigen um Wassertrüdingen und Eichstätt. 1313 starb die Konradinische Linie aus, sodaß ihre Güter wieder an die Ludwigische zurückfielen, [737] doch erfolgte noch im nämlichen Jahre eine neue Theilung. Unter Kaiser Ludwig dem Baier spielten die Oe. eine wichtige Rolle; sie unterstützten anfänglich den Baier in den Kämpfen mit Kraft von Hohenlohe, schlugen sich aber später auf Habsburgische Seite, und Ludwig VII. erhielt die Hand der Schwester Friedrich’s des Schönen, Guta; nach der Aussöhnung der Habsburger und Wittelsbacher betrieb Graf Ludwig im Auftrag Herzog Albrecht’s von Oesterreich in Avignon den Ausgleich zwischen Kaiser und Papst; auch sonst wurde Ludwig vielfach mit diplomatischen Aufgaben betraut. Zum Lohne für diese Dienste erhielt die Familie eine Reihe von Reichslehen, die im Verein mit dem alten Hausbesitz ein stattliches Territorium bildeten; Friedrich II. wurde 1336 auch zum Landgrafen im unteren Elsaß erhoben. 1393 erhielten die Grafen v. Oe. das Privilegium, in ihrer Stadt zu Oettingen, gleich anderen Fürsten und Getreuen des Reiches, eine Münze zu haben und daselbst Pfennige zu schlagen; das Recht, Goldmünzen zu prägen, wurde ihnen erst später eingeräumt. Im Wappen führen die Oe. vier Reihen rother, stehender, goldener und gestützter Eisenhütchen mit blauen Schildchen und einem über den ganzen Schild gehenden silbernen Andreaskreuz mit schmalen Balken. Ludwig XI. fiel während einer Fehde mit Herzog Ludwig dem Bärtigen bei Gernsbach 1422. Im bairisch-brandenburgischen Streit 1460–1463 stand Ludwig XII. auf Seite des Landshuter Herzogs, während die Grafen Ulrich und Wilhelm mit Markgraf Albrecht verbündet waren. 1488 kam es zur Fehde zwischen den zum schwäbischen Bund übergetretenen Grafen Wolfgang und Joachim v. Oe. mit Herzog Georg von Baiern-Landshut, vorübergehend wurde sogar die Grafschaft mit Niederbaiern vereinigt. Im Bauernkrieg 1525 nöthigten die Rieser Bauern den jungen Grafen Ludwig XV., mit ihnen gemeinsame Sache zu machen; sie zogen vor Oettingen, das die Grafen Martin und Ludwig XIV. nicht halten konnten, die Stadt wurde geplündert, ebenso das Kloster Ahausen, doch bei Ostheim brachten die markgräflich ansbachischen Reiter den „sonder Ordnung“ einherziehenden Bauern eine schwere Niederlage bei, die der ganzen Bewegung im Ries ein Ende setzte. Der Sohn Ludwig’s XV., Ludwig XVI., der dem evangelischen Bekenntniß angehörte, wurde der Stifter der Linie Oettingen-Oettingen, welche 1674 die reichsfürstliche Würde erhielt, aber 1731 erlosch; von einem Enkel Martin’s, Wilhelm II., stammen die drei katholischen Linien Oettingen-Spielberg, welche 1734 die reichsfürstliche Würde erhielt, Oettingen-Wallerstein, welche 1774 in den Reichsfürstenstand aufgenommen wurde, und Oettingen-Baldern, die sich wieder in Baldern und Katzenstein spaltete, jedoch 1798 erlosch, worauf ihr Besitz an Oettingen-Wallerstein fiel.
Der Linie Katzenstein-Baldern gehörte Graf Notger an, der als Obrister eines Regiments des schwäbischen Kreises die Feldzüge in Ungarn nach der Befreiung Wiens mitmachte, zum kaiserlichen Feldmarschalllieutenant vorrückte und 1693 bei Villingen fiel. In kaiserlichen Diensten stand auch der zur Linie Wallerstein gehörige Graf Wolfgang IV., der zuletzt die Würde eines wirklichen geheimen Raths und Reichshofrathspräsidenten bekleidete. Er leitete als erster Botschafter des Kaisers die Verhandlungen mit der Pforte, die 1699 zum Abschluß des Karlowitzer Friedens führten. Zur Empfangnahme der ratificirten Urkunden und zur Ueberreichung von Geschenken an den Großherrn mußte sodann W. „die harte und schwere Bürde eines kayserlichen Großbotschafters an die Ottomanische Pforte als ein anderer Atlas auf sich nehmen“. Ueber die abenteuerreiche Fahrt nach Stambul (20. Oct. 1699 bis 29. Jan. 1701) erschienen zwei Beschreibungen im Druck, eine dem Reisebericht des kaiserlichen Gesandten Grafen Leslie von 1665 angefügte „Curiose und eigentliche Beschreibung des [738] von Ihro Röm. Kays. Maj. an den Türckischen Hoff abgeschickten Groß-Botschaffters Herrn Graffens Wolffgang von Oettingen solenner Abreise von Wien, Fortreise durch Türkey, auch specification derer kostbaren Geschenke und endlich dessen Einzug zu Constantinopel“ (Leipzig 1700) und „Diarium oder ausführliche curiose Reise-Beschreibung von Wien nach Constantinopel des hochgebohrnen Grafen und Herrns Wolffgang, Grafens zu Oettingen, von Simperto, des löbl. Gotteshauses Neresheim Abten, als des Herrn Großbottschaffters Praelato Domestico“ (Augsburg u. Oettingen 1735).
Obgleich die – noch heute blühenden – Linien Spielberg und Wallerstein gegen Ende des vorigen Jahrhunderts den Fürstentitel führten, hatten sie nur auf dem schwäbischen Kreistag im Fürstencollegium Stimmrecht, während sie auf dem Reichstag nur zum Grafencollegium zählten. Zum Besitz der Fürsten von Oettingen-Wallerstein gehörte auch jenseits des Rheins die Herrschaft Dachstuhl, nördlich von Trier; als dieselbe nach den Bestimmungen des Friedens von Luneville an Frankreich abgetreten werden mußte, wurden zur Entschädigung die säcularisirten Abteien Hl. Kreuz in Donauwörth und St. Mang in Füssen, sowie die im Wallersteinischen gelegenen Klöster Kirchheim, Deggingen und Maihingen überlassen; überdies wurde den zwei Linien durch den Reichs-Deputationshauptschluß von 1803 je eine Virilstimme im Reichsfürstenrath zugesprochen. Doch schon 1806 wurden durch die Rheinbundacte die reichsunmittelbaren Fürstenthümer mediatisirt und der Souveränetät des Königs von Baiern unterworfen.
Der vorletzte souveräne Fürst von Oe.-W., Krafft Ernst (geb. am 3. Aug. 1748) entfaltete im Sinne der Aufklärung für Ablösung der Feudallasten, humanere Justiz, Reform des Unterrichtswesens etc. in seinem kleinen Staate rührige Thätigkeit, während seine Gemahlin Wilhelmine, eine Frau von ungewöhnlicher Bildung, die sorgfältige Erziehung ihrer zwölf Kinder leitete; auf ihre Heranbildung bezieht sich jener Brief Rousseau’s an den Vater der Fürstin, Herzog Ludwig von Württemberg, der mit den Worten anhebt: „Si j’avais le malheur d’être né prince“ etc. Nach dem Tode des Fürsten Krafft Ernst († am 6. Oct. 1802) übernahm die Mutter als Vormünderin ihres Erstgeborenen Ludwig die Regierung. Der Erbprinz erhielt den ersten Unterricht von einem feingebildeten Piaristen, Andreas Reubel, der, wie sein Zögling später äußerte, Illuminaten wie Jesuiten auf gleiche Weise haßte; später wurde ein kenntnißreicher, aber pessimistischer Weltgeistlicher, Kanonikus von Grimmeisen, als Lehrer, ein welterfahrener Cavalier, Carrier de Lavalette, als Begleiter des Prinzen aufgestellt. 1806 gingen Mutter und Sohn nach Paris; der Prinz wurde dem Kaiser Napoleon vorgestellt; folgenwichtiger aber war, daß er in der Hauptstadt Frankreichs zu Kronprinz Ludwig von Baiern in freundschaftliches Verhältniß trat. Auch für die geistige Entwicklung des empfänglichen Knaben waren die Pariser Tage von Bedeutung, da die reichen Kunstsammlungen jener Stadt in ihm die Liebe zur Kunst weckten, sodaß er sich fortan eifrig angelegen sein ließ, echte Kunstwerke, insbesondere Schöpfungen der oberdeutschen Malerschulen, in seinen Besitz zu bringen. Der Versuch, Napoleon für die Erhaltung des souveränen Fürstenthums günstig zu stimmen, mußte schon deshalb mißlingen, weil vom Prinzen die Einladung, in französische Dienste zu treten, abgelehnt wurde. Somit brachte schon das nächste Jahr die Mediatisirung, der Prinz wurde bairischer Unterthan. Von 1807–1810 besuchte er die Hochschule zu Landshut, wo er in Savigny’s Haus viel verkehrte und dem milden, toleranten Theologen Sailer warme Verehrung entgegenbrachte. Nach erreichter Mündigkeit übernahm er 1810 das erste Kronamt Baierns, sowie Sitz und Stimme im Staatsrath. 1812 ging er in geheimer Mission des bairischen [739] Hofes nach Paris, wozu ihn trotz seiner Jugend die verwandtschaftlichen Beziehungen zu Talleyrand und Poniatowski zu empfehlen schienen; über den Gegenstand seines Auftrages sind wir nicht unterrichtet. 1813 leistete er Dienste bei der Organisirung der bairischen Nationalgarde; er leitete die allgemeine Landesbewaffnung in Schwaben, im südlichen Franken und westlichen Altbaiern. In den nächsten Jahren ließ er sich mit viel Verständniß, Aufwand und Glück die Bereicherung der Kunst- und Antiquitätensammlungen auf seinen Schlössern angelegen sein. Von geschickten Vertrauensmännern, den Malern Thiele, Rieker u. A., wurden in Nürnberg, Augsburg etc. damals noch wenig beachtete, von den tonangebenden Kennern geringgeschätzte Bilder von Kranach, Schäufelin, Hebenstreit, Mielich etc. zusammengekauft, desgleichen Schweizer Glasgemälde, Elfenbeinschnitzwerke, Holz- und Hornarbeiten, Erzeugnisse des Erzgusses und der Schmelzmalerei, Rüstungen, Waffen und andere Ueberreste des mittelalterlichen Kunsthandwerks. Auf Einladung des Fürsten ließ sich der Nürnberger Sigmund Frank (A. D. B. VII, 263), der Wiederentdecker der verschollenen Technik der Glasmalerei, in Wallerstein nieder; so entstanden hier einige der werthvollsten Incunabeln der neuen Kunstgattung. Die Wallerstein’schen Kunsterwerbungen wurden in Goethe’s Zeitschrift „Kunst und Alterthum“ rühmend besprochen; auch der Fürst selbst schrieb darüber Abhandlungen für das Cotta’sche Kunstblatt (Jahrgang 1824). Aus einem Cyclus von Aufsätzen „Ueber Literatur und Kunst der teutschen Vorzeit“, die der Fürst auf Anregung des Kronprinzen Ludwig ausarbeitete, wurde nur derjenige über „Ursprung und Entfaltung der christlichen Kunst“ in der „Zeitschrift für Baiern“ gedruckt (erschien auch als Sonderschrift). Den werthvollsten Theil seiner Sammlungen, die altdeutschen Gemälde, trat der Fürst 1827 um den niedrigen Preis von 50 000 Gulden an die bairische Staatsgalerie ab, wo sie eine treffliche Ergänzung der 1826 erworbenen Boisserée’schen Sammlung bildeten.
Die politische Laufbahn betrat W. zuerst als Mitglied des württembergischen Landtags, den König Friedrich 1815 nach Stuttgart berufen hatte. (Der westliche Theil des Fürstenthums W. [Neresheim-Baldern] war 1806 an Württemberg abgetreten worden.) W. gehörte dem Ausschuß an, der festsetzen sollte, welche Bestimmungen des alten Landrechtes in das neue Grundgesetz aufzunehmen seien. Schon in jenen Verhandlungen als Anwalt der alten ständischen Einrichtungen gab W. Proben einer glänzenden Beredsamkeit, die sich jedoch von Phrase und Schwulst nicht immer frei hielt. 1819 als Mitglied des Reichsraths im ersten bairischen Landtag stand er auf Seite der Regierung gegen die stürmisch sich vordrängenden Anhänger des englischen Constitutionalismus. Er sprach sich auch gegen die von Hornthal beantragte Einführung der Landräthe im rechtsrheinischen Baiern aus und warnte, einzelnen Provinzen eine allzu isolirte Stellung einzuräumen, was sich später in der That bezüglich des Rheinkreises als nachtheilig erwies. Im Landtag von 1822 hielt er (25. Mai) eine vielbewunderte Rede gegen die ungebührliche Einschränkung des Militäretats durch die zweite Kammer, betonte aber zugleich, was ihm unmittelbar nach den Unterhandlungen Metternich’s mit Rechberg in Tegernsee besonders geboten erschien, treues Festhalten an der Verfassung. Wenn schon diese und ähnliche Kundgebungen im Parlament von der Mehrheit seiner Standesgenossen nicht gebilligt wurden, so steigerte sich ihr Mißbehagen, als W. 1828 eine Bürgerliche, Crescentia Bourgin, die Tochter eines emigrirten französischen Officiers, der zum Inspector des fürstlichen Hofgartens ernannt worden war, zum Altar führte. W. fügte sich dem Hausgesetz, wonach ein Mitglied des fürstlichen Hauses, das „eine den Stiftsproben von Köln und Straßburg nicht entsprechende Verbindung“ eingehe, die Herrschaft an den nächst ältesten der Familie abzutreten [740] habe; er überließ die Standesherrschaft seinem jüngeren Bruder Friedrich. Noch empfindlicher mußte ihn berühren, daß ihm das auf Lebensdauer verliehene Kron-Obersthofmeisteramt, weil es als Attribut des Güterbesitzes zu betrachten sei, abgenommen wurde. Sogar die ihm zugesicherte Apanage wurde so unzureichend ausbezahlt, daß die Neuvermählten, wie die Fürstin 1848 dem Schweizer Bluntschli gelegentlich eines Besuches auf Schloß Reimlingen selbst erzählte, in bitterste Noth geriethen; welche Freude, als einmal ein mitleidiger Pfarrer der Frau Fürstin, die im Wochenbett lag, ein paar Hühner zum Geschenk machte! Als jedoch Ludwig I. den bairischen Thron bestieg, war es eine seiner ersten Regierungshandlungen, dem Fürsten das entzogene Kronamt als Thronlehen zurückzugeben, und 1828 wurde W., obwol er nicht die juristische Laufbahn zurückgelegt hatte, zum Regierungspräsidenten des Oberdonaukreises ernannt. Während des stürmischen Landtags von 1831 stand W., der im Reichsrath wiederholt als Redner auftrat, in der Mitte zwischen den erbittert streitenden Parteien. Er wandte sich sowol gegen die Opposition, die aus dem harmlosen Schenk mit aller Gewalt einen bairischen Polignac machen wollte, als gegen die Reactionäre, die aus den Uebergriffen des französischen Liberalismus für einen Staatsstreich nach dem Herzen Metternich’s Capital schlagen wollten. Diese Auffassung der Lage war dem Könige sympathisch; in dem zur höchsten Aristokratie gehörigen, doch schon um seiner Heirath willen auch in bürgerlichen Kreisen populären, redegewandten und welterfahrenen Staatsmann glaubte Ludwig die geeignete Kraft zur Bekämpfung des die Throne bedrohenden Zeitgeistes gefunden zu haben. Am letzten December 1831 wurde W. zum Minister des Innern ernannt. Das Regierungsorgan, die Staatszeitung, verkündete in pomphaften Worten die Bürgerfreundlichkeit des neuen Cabinets; das Verbot jeder Association zu politischen Zwecken und die Verschärfung der Censur standen aber damit nicht in Einklang. Als es bald darauf im Rheinkreise zu ernsten Unruhen kam, wurde Feldmarschall Wrede mit ansehnlicher Truppenmacht dorthin entsendet, um mit aller Strenge die Ruhe herzustellen. Die zahlreichen politischen Processe endeten meist mit harter Bestrafung der Angeklagten, Beleidigungen der Majestät wie der Regierung wurden mit Kerkerhaft und Abbitte vor dem Bilde des Königs geahndet, die Grenzen freier Meinungsäußerung enger denn je gezogen. In einem von Gustav Bacherer verfaßten Pamphlet „Stellungen und Verhältnisse“, sowie in einer 1848 anonym erschienenen Schrift „Briefe eines ausgewanderten Deutschen an den Fürsten von Oettingen-Wallerstein“ wird dem Minister des Innern die Schuld an den reactionären Ausschreitungen zugeschoben; Bacherer erwähnt einen angeblichen Ausspruch Wallerstein’s, man müsse die Canaille von der Wurzel aus vertilgen, und die zweite Schrift ein anderes, später oft citirtes Wort, es sei Alles verboten, was nicht ausdrücklich erlaubt worden sei. Vom Minister sei – so versichern jene Ankläger – ein Spionir- und Denunciationssystem über das ganze Land gesponnen, die Presse verfolgt, der Richterstand unerlaubt beeinflußt, kurz, von ihm sei „die unglückselige Zeit heraufbeschworen worden, da sich im Auslande kein Bayer ohne die tiefste Schamröthe zu seinem Vaterlande bekannte, wo selbst der Oesterreicher mit Stolz sagen durfte, es sei entsetzlich, in Bayern leben zu müssen“. Gegen Bacherer’s Vorwürfe wendet sich die 1840 hauptsächlich aus Anlaß des im Landtag ausgebrochenen Streites erschienene Schrift „Abel und Wallerstein“, die ohne Zweifel von W. selbst verfaßt oder doch mit Material ausgestattet ist; die Hauptschuld an den Ausschreitungen der geheimen Polizei und an der strengen Bestrafung auch der leichtesten politischen Vergehen wird dem Cabinetssecretär und Staatsrath Grandauer zugeschoben, der „Bayerns Alba war, ohne einen König Philipp zu haben“. W. selbst habe als Vertreter des constitutionellen Fortschritts jene [741] Hetze widerrathen, habe aber dadurch nur erreicht, daß er „den Haß der hierarchischen Propaganda und der politischen Regradationspartei“ auf sich geladen habe, ohne das Mißtrauen „der von politischem Paroxismus erfaßten Liberalen“ entkräften zu können. Das Studium der Acten unterstützt im allgemeinen die Versicherung Wallerstein’s, der sich aber selbst in schiefes Licht setzte, weil er immer den Liberalen spielen wollte, während von liberaler Politik keine Rede sein konnte. König Ludwig war des Glaubens, daß durch strenges Auftreten gegen den früher von ihm selbst begünstigten Liberalismus die revolutionäre Bewegung erstickt werden müsse: da gab es keinen Widerstand! Die fürstliche Bibliothek in Maihingen verwahrt eine 1848 gedruckte Schrift „Fürst Ludwig von Oe.-W., die anonyme Presse und die Briefe eines ausgewanderten Deutschen“ (München 1848, Verlag der Franz’schen Buchhandlung), auf deren Deckblatt mit Blei vermerkt ist: „nicht ausgegeben“; sie scheint in der That nicht in die Oeffentlichkeit gekommen zu sein. Unzweifelhaft ist die Schrift, wie Stil und Inhalt beweisen, von W. selbst verfaßt. Hier wird darauf hingewiesen, daß vor 1848 auch verfassungsgemäß alle Regierungsgewalt in der Person des Königs concentrirt war, ohne andere Schranke als jene des Nichtüberschreitens ausdrücklicher Verfassungsbestimmungen und ohne Festsetzung der Nothwendigkeit ministerieller Zustimmung und Contrasignatur. „Des Königs Verkehr mit den einzelnen Ministern war ein durchaus schriftlicher. Selbst in Audienzen sollte nur besprochen werden, was der König anregte. Befehle an die Minister ohne vorgängiges Gutachtenerholen zählten zu den täglichen Erscheinungen. Er correspondirte direct und imperativ nicht nur mit den Vorständen der Justiz- und Verwaltungsstellen, sondern auch nach Umständen mit untergeordneten Beamten; sehr häufig erfuhren die Räthe der Krone Verfügtes erst lange nach dessen Vollbringung“. Auch der ungenannte Verfasser des Nekrologs auf W. in der A. A. Ztg. führt mehrere Züge aus dem Verkehr zwischen König und Minister an, um zu beweisen, daß der Minister der damaligen Zeit mehr ein Wessier als ein unabhängiger, dem Staat verantwortlicher Beamter war. Der König selbst wollte nicht einmal den Schein aufkommen lassen, daß der Minister zu Anderem berufen sei, als zur Vollziehung der Beschlüsse des Monarchen. So beschwerte er sich z. B., daß in der A. A. Ztg. (12. Aug. 1835) „das, was im Schulwesen geschehen, dem Minister des Innern zugeschrieben, der König aber mit Stillschweigen übergangen wurde; so etwas könnte in England an seiner Stelle seyn, nicht in Bayern“. Natürlich mußten aus dieser idiokratischen Richtung, an welcher König Ludwig festgehalten und bei deren Wechsel er die Krone niedergelegt hat, für einen constitutionellen Minister mancherlei Schwierigkeiten erwachsen; er darf deshalb für die Gebrechen des Regiments ebensowenig verantwortlich gemacht werden, wie er an politischen und culturellen Fortschritten das Hauptverdienst beanspruchen kann. Auf eigene Initiative führt W. zurück, „während des (Wiener) Ministercongresses von 1834 von Teutschland ein Unheil abgewendet zu haben, gegen welches selbst die Karlsbader Beschlüsse Gold zu nennen sind und mittelst dessen der schwache Rest öffentlicher Freiheiten, der letzte Rest ständischer Bedeutsamkeit total vernichtet worden wäre“. Rege Sorgfalt verwendete das Ministerium W. auf Reform des Unterrichtswesens. „Gibt es noch“, sprach der Minister in einer Landtagssitzung 1834, „ein Heilmittel gegen die revolutionäre Stimmung in unseren Tagen, so kann es wol nur darin bestehen, daß man einem Volke mit der That zeigt, was eine Regierung sein soll, nämlich eine Pflegerin des öffentlichen Wohles und Vermittlerin von mannichfachen göttlichen Wohlthaten“. Als erste Wohlthat aber sei Bildung der geistigen Kräfte der Jugend anzusehen, wovon das Wohl und Wehe der Zukunft abhänge. Glücklicherweise konnte sich W. bei der neuen Organisirung der humanistischen Schulen des [742] Rathes eines hervorragenden Pädagogen und Philologen, des „praeceptor Bavariae“ Friedrich Thiersch bedienen. Die von Ringseis und anderen einflußreichen Männern empfohlene Zulassung von Jesuitenschulen wurde von W. im Staatsrath und in der Kammer bekämpft, während er die Unterrichtsanstalten des Benedictinerordens in Baiern zu fördern trachtete. Der technische Unterricht erhielt durch Einrichtung von Gewerbs-, Landwirthschafts- und polytechnischen Schulen festere Begründung. Besondere Vorliebe wandte W. dem landwirthschaftlichen Vereine zu; er selbst war ein eifriges Mitglied; mehrere in Ausschußsitzungen gehaltene Vorträge, „Ueber Hindernisse des Fortschreitens der Landschaft, welche in dem Creditwesen begründet sind“, „Ueber Evidentstellung und Verbesserung der bayerischen Landwirthschaft nach den Anträgen des Regierungsrathes von Heffels“ (1839) sind im Druck erschienen. Unter Wallerstein’s Ministerium wurde die erste Industrieausstellung in München eröffnet, die bairische Hypotheken- und Wechselbank gegründet, die erste Eisenbahn in Deutschland zwischen Nürnberg und Fürth, sowie der Ludwigs-Donau-Main-Canal gebaut, vor allem die Zolleinigung der deutschen Staaten zu glücklichem Abschluß gebracht: jedenfalls Beweise, daß für sociale Unternehmungen und Reformen Monarch und Minister eifrig thätig waren. „Baiern kann ein zweites Baiern in sich selbst gewinnen!“ sprach W. in einer Kammerrede 1834, „wenn die Regierung in Förderung der Industrie und Landescultur ihre Pflicht thut.“ „Wäre der Minister noch kurze Frist im Amte geblieben“, rühmt W. selbst von sich in der oben genannten Broschüre, „so lag vermöge der beiden Geschäftsvereinfachungs-Verordnungen von 1836 die büreaukratische Centralisation in Trümmern, und hätte nicht die oberste Schichte dieser Büreaukratie manche seiner segensreichsten Vorschläge vereitelt, so besäße das bayerische Proletariat gegenwärtig an 70 Millionen Sparkassekapitalien nebst reichlichen Mitteln zu gedeihlicher Beschäftigung, Bayerns Schienenwege wären vollendet mittelst fremden Geldes, das für dieselben nun erforderliche Kapital hätte gedient zur Befreiung der Scholle von jeglicher Feudallast, zu Entsumpfung der ungeheuren Moore und Oedungen, zu grandioser Entfaltung der zahlreichen landwirthschaftlichen und sonstigen Quellen unsres Nationalwohlstands.“ Auch von politischen Gegnern, Willich, Ringseis u. A., wurde Wallerstein’s Wirksamkeit zur Bekämpfung der nach Baiern verschleppten asiatischen Brechruhr gefeiert; von Ringseis wird W. überhaupt verhältnißmäßig glimpflich beurtheilt; diplomatische Glätte, heißt es in den „Erinnerungen“, habe sich in ihm bei allem Leichtsinn und aller Verkehrtheit doch vielfach mit Gutmüthigkeit verbunden.
Im Landtag 1834, der eine regierungsfreundliche Mehrheit aufzuweisen hatte, wußte W. die Wünsche des Monarchen glücklich zur Geltung zu bringen. Als sich an einem Antrag auf Aufhebung der Quarta pauperum und an Beschwerden über das Verhalten des katholischen Klerus bei Abschluß gemischter Ehen ein gefährlicher Streit zu entzünden drohte, gelang W. noch einmal eine Vermittlung. Ernsteren Zwist aber brachte der Landtag 1837. Als Protestanten und liberale Katholiken über die Vermehrung der Klöster in Baiern bittere Klage erhoben, trat W. zwar als Anwalt derjenigen religiösen Orden auf, „deren reiner Zweck Religion und sittliche Veredlung der Menschheit gewesen ist und blieb“, erklärte aber, daß auch er von Einführung der Jesuiten und von weiterer Vermehrung der Klöster nur schlimme Folgen erwarten könne. Wenn er dadurch den Groll der Vorkämpfer einer streng katholischen Richtung in Baiern auf sich lenkte, erregte es bei dem König Anstoß, daß der Minister im Bezug auf die Erübrigungen aus den Staatseinnahmen das unbeschränkte Verfügungsrecht der Krone anzweifelte. Auch in der Staatsrathssitzung am 14. October 1837 vertheidigte der Fürst das Recht der Stände, bei Festsetzung des Budgets Einnahmen [743] im Ansatz zu erhöhen und Ausgaben zu bewilligen; bei der Abstimmung blieb er jedoch völlig allein. Da er sich nun nicht verhehlen konnte, daß er das Vertrauen des Monarchen nicht mehr besitze, mithin den Angriffen der klerikalen Partei nicht mehr lange werde standhalten können, suchte er selbst um seine Entlassung nach; sie wurde ihm am 25. October 1837 unter sehr gnädigem Ausdrucke des Dankes für seine Dienste „vor dem Landtag 1837“ bewilligt; an Wallerstein’s Stelle trat der Hauptvertreter der kirchlich-politischen Reaction in Baiern, Karl Abel. W. war jedoch weit entfernt, seine politische Laufbahn schon als abgeschlossen zu betrachten. Ein biographischer Artikel über W. in der ersten Auflage des Brockhaus’schen Conversationslexikons der Gegenwart (1840), im wesentlichen ein wörtlicher Auszug aus der Schrift „Abel und Wallerstein“, schließt mit den Worten: „W. ist ein Mann der Zukunft, was selbst seine Feinde zugestehen, und offenbar zu einer noch weiter ausgreifenden ständischen und verwaltenden Thätigkeit berufen.“ Und auch Bacherer, der strenge Widersacher der „liberalen Koketterien und Spiegelfechtereien Wallerstein’s“, gab der Ueberzeugung Ausdruck, daß ihm „das Schicksal noch bedeutende Stellungen aufgespart habe, zu welchen die Fähigkeiten seines elastischen und gleichwol kräftigen Geistes ihn jedenfalls viel eher qualificiren, als die Eigenschaften seines Herzens“. König Ludwig fügte (5. Jan. 1838) dem Dank für den Neujahrswunsch des Kronobersthofmeisters die Bemerkung hinzu: „Mir fällt auf, daß Sie sonst für Ihre Gesundheit den Aufenthalt in Leutstetten nothwendig erachtend und schädlich den in München, nun letzteren wählen!“ Darauf zog sich W. gekränkt auf das genannte Landgut zurück und verzichtete auf seine Würden als Staatsrath und Generallieutenant. Als im Landtag 1840 der Streit wegen der Verwendung der Erübrigungen neuerdings ausbrach und Minister Abel über denjenigen, der die Theorie des Usus als Apfel der Eris in die Kammer geworfen habe, einen feierlichen Fluch aussprach, kam es zu einem Duell zwischen Abel und Wallerstein; nach erfolglosem Kugelwechsel – der Volkswitz wollte wissen, daß nicht die Schützen, sondern die Kugeln fehlten, – gab Abel seinem Gegner eine Ehrenerklärung, allein über Auslegung und Veröffentlichung dieser Erklärung erhob sich neuer Streit. Die Kammer der Reichsräthe sprach über die unwürdigen Angriffe gegen eines ihrer Mitglieder von Seite eines Ministers ihre Entrüstung aus, und die Mehrheit dieser Kammer stand fortan mit W. an der Spitze in Opposition gegen den „starken Vertreter der absoluten Souveränetät“. Auch König Ludwig sprach dem Fürsten über das Vorgehen des Ministers sein Bedauern aus, verbot aber gleichzeitig, daß seine Erklärung bekannt gegeben werde. Als Wiederkehr der Gunst des Königs war anzusehen, daß ihm 1844 der Auftrag zu Theil ward, Ludwig Philipp für den durch die Revolution gefährdeten griechischen Thron günstig zu stimmen. Aus den Memoiren des Grafen Ferdinand Eckbrecht Dürckheim, der sich damals ebenfalls in Paris aufhielt, erfahren wir, daß W. ein Verehrer der Regierungskunst des Bürgerkönigs war, dem er den schmeichelhaften Namen eines „Napoleons des Friedens“ zuerkannt wissen wollte; zugleich soll er aber vorausgesagt haben, daß der Napoleonsculuts der Regierung schlimme Folgen nach sich ziehen und deshalb auf den Bürgerkönig wieder ein Napoleon und zwar vermuthlich der von Allen verlachte Sträfling von Ham folgen werde. Im Landtag 1846 eröffnete der Reichsrath den Kampf gegen das herrschende Regierungssystem. Als sich ein Adressensturm für und wider die Klöster im Lande erhob, sprach sich W. gegen diese Art von „Abstimmung auf den Wink einer mehr oder minder occulten Macht in extraparlamentärer Form“ mit großer Entschiedenheit aus, insbesondere gegen die Würzburger Adresse, deren Urheber er im Bischof von Würzburg muthmaßte, und die Adresse der Oberländer, die sein alter Gegner, Graf Karl Arco-Valley, unmittelbar dem Monarchen übermittelt hatte. Das irre geleitete katholische [744] Volk verlange, so sprach W. in der ersten Kammer, „Fortdauer jener Beschirmungsweise des Katholicismus, welcher die bayerischen Fürsten zur Zeit gehuldigt, als nur Katholiken ihrem Scepter unterthan waren“; ein solches Regiment wäre aber in der Gegenwart, da ein Dritttheil der Bevölkerung dem evangelischen Bekenntniß angehöre, ebenso ein Anachronismus, wie ein Unrecht (Erste Aeußerung des Herrn Reichsrathes Fürsten L. v. Oe.-W. über die Frage der Adressen, 12. Febr. 1846). Weit leidenschaftlichere Klage erhob Fürst Karl Wrede über „die schlimme Lage, in welche die Verwaltung des Ministers v. Abel das Land gebracht habe“; er stellte eine Reihe von Anträgen, wodurch den Beschwerden der Protestanten abgeholfen, den Uebergriffen des katholischen Klerus, insbesondere dem Ueberhandnehmen des Mönchswesens gesteuert werden sollte. Die Anträge Wrede’s wären ihres aggressiven Charakters wegen auch im Reichsrath nicht zur Annahme gelangt; deshalb stellte W. einen Gegenantrag, der aber die wesentlichsten Forderungen Wrede’s in gemäßigter Form herübernahm. Die Beredsamkeit Wallerstein’s zeigte sich bei diesen Kämpfen in glänzendem Licht; ein weniger günstiges Urtheil gestattet die Lectüre jener Reden, die eine störende Gedunsenheit der Sprache, wie der Gedanken auffälliger hervortreten läßt. W. stellte dem seit dem Wiener Congreß neu aufgetauchten Jesuitismus den lauteren Kirchenglauben der auch von König Ludwig hochgeschätzten Sailer und Wessenberg gegenüber und schilderte in pathetischer Rede – der Verfasser der klerikalen Streitschrift „Kirche und Staat in Bayern unter dem Ministerium Abel“, Strodl, findet sie „voll Schlangenkrümmungen, Zweizüngigkeiten und feinen Nichtswürdigkeiten“ – die möglichen Folgen der unseligen, seit dem Siege der extremen Katholiken in beiden Lagern erwachsenen Aufregung; nur im Interesse der öffentlichen Ruhe beantrage er, den Monarchen zu bitten, daß keiner geistlichen Genossenschaft Bestand gestattet werde, deren Zweck oder Richtung geeignet erscheine, den religiösen Frieden des Landes zu stören (Reden des Reichsrathsreferenten Fürsten L. v. Oe.-W. gelegentlich der Berathungen über die Anträge des Herrn Fürsten v. Wrede inbetreff der Quarten und Klöster). Der Antrag Wallerstein’s wurde in der ersten Kammer mit allen gegen sechs Stimmen angenommen, – der Vorgang wird in Görres’ Denkschrift „Ministerium, Reichsrath, rechte und unrechte Mitte“ mit der Aufnahme des trojanischen Pferdes verglichen – in der zweiten von Doellinger, Seinsheim, sowie von Abel selbst leidenschaftlich bekämpft und schließlich abgelehnt. Doch die Tage des Ministeriums Abel waren gezählt; die demonstrative Parteinahme fast aller weltlichen Reichsräthe, darunter auch der Prinzen des königlichen Hauses, gegen Abel hatte das Mißtrauen des Königs gegen seinen ersten Rathgeber wachgerufen; der Widerstand gegen die Nobilitirung der Tänzerin Lola Montez führte zur Katastrophe, zur Entlassung Abel’s (16. Februar 1847). Doch auch das Ministerium zu Rhein-Maurer wurde, weil es nach der Ansicht des Monarchen in Behauptung der Kronrechte zu wenig Festigkeit bewies, noch im nämlichen Jahre (30. November 1847) aufgelöst, und nun trat Fürst W. als Minister des Aeußeren und des Cultus an die Spitze eines neuen Kronraths. Da auch der Reisecavalier der zur Gräfin Landsfeld erhobenen Gunstdame, Staatsrath Bercks, in das Ministerium berufen wurde, haftete diesem von vorne herein ein Makel an; im Volksmunde hieß es schlechtweg das „Lolaministerium“. W. suchte an den Liberalen, die in jenen Tagen das Wiederaufleben der deutschen Einheitsidee mit lautem Frohlocken begrüßten, eine Stütze zu finden. Die Münchner Zeitung, das officielle Organ, erklärte, es sei des leitenden Ministers politisches Glaubensbekenntniß, daß „nur eine wahrhaft freigesinnte, auf vollkommen gerechte Thaterweisungen sich stützende Regierung Bayerns Aufgabe nach Innen, wie auch im deutschen Staatencomplex und nach Außen lösen könne“. Baiern brachte denn [745] auch in Frankfurt einen liberalen Preßgesetzentwurf in Vorlage, beantragte Veröffentlichung der Bundestagsverhandlungen, verlangte schleunige Herstellung einer deutschen Flotte, erklärte sich gegen jede Intervention zu Gunsten des gestürzten Julithrones, sowie gegen Einmischung in die Schweizer Kantonalhändel. Eine gedeihliche Wirksamkeit der Regierung im Innern ließ aber schon der Lola-Spectakel in München nicht aufkommen. W. selbst gesteht in der mehrerwähnten Rechtfertigungsschrift zu, daß er zur temporären Schließung der Münchner Hochschule am 11. Februar 1848, sowie zur Auflösung der Kammern am 3. März seine Zustimmung gab; zu dem ersten Schritte aber habe er sich nur entschlossen, um nicht dem Verdacht Raum zu geben, daß er durch einen Straßenauflauf eingeschüchtert worden sei; die zweite Maßnahme dagegen sei sogar eminent freisinnig gewesen, da „eine unter der Herrschaft der jetzigen Volksstimmung gewählte Kammer im höchsten Grade liberal und reich an Intelligenzen werden mußte“. Den Abgeordneten der Münchner Bürgerschaft, die eine Reihe von Wünschen allgemeiner und localer Natur dem Ministerium vortrugen, erwiderte W.: „Mit dem Portefeuille nicht betraut, würde ich mich unter den Unterzeichnern der Adresse befinden.“ „Dieses Wort“, erklärt er in seiner Rechtfertigung, „war nur eine Wiederholung dessen, was ich seit vollen 35 Jahren wie im Rathe des Monarchen so vor den Augen von ganz Deutschland offen auszusprechen nie aufgehört“. Er will über dem Minister niemals den Staatsbürger, niemals den Münchner Bürger vergessen haben; deshalb habe er alles gethan, um Blutvergießen zu verhüten, deshalb habe er lieber selbst den Vorwurf der Laxheit auf sich geladen, als „die Schuld, daß zwischen der Dynastie und dem unvermeidlichen Ergebnisse Lachen von Bürgerblut lagerten“. Die königliche Proclamation vom 6. März, welche die eifrigste Mitwirkung der bairischen Regierung im Sinne der Einheit und Freiheit Deutschlands in Aussicht stellte und auch den übrigen Volkswünschen in weitestem Sinne Rechnung trug, wurde noch von W. gegengezeichnet; er ist jedoch nicht, wie er in seiner Entgegnung auf die „Briefe eines ausgewanderten Deutschen“ behauptet, der Verfasser der berühmten Proclamation, das Concept rührt von König Ludwig selbst her. Wenige Tage später (11. März 1848) erfolgte unerwartet Wallerstein’s Entlassung. Der König empfand Reue, daß er den Friedensstörern, die unter dem Vorwand der deutschen Interessen die Fahne der Empörung aufpflanzen wollten, so weitreichende Zugeständnisse gemacht hatte; er schob die Schuld auf W., dem überdies zur Last gelegt wurde, daß er die Briefe des Fürsten von Leiningen an den König, die vor halsstarrigem Festhalten an veralteten Rechten warnten, in die Oeffentlichkeit gebracht habe. W. selbst schreibt seinen Sturz den vereinten Bemühungen seiner aus vier Lagern zusammenströmenden Gegner zu: „jener mächtigen Parthei, welcher er schon vor Jahren ins Gesicht gesagt, man könne ehrlicher Katholik seyn ohne Jesuiten-Maske“, ferner „aller Absolutisten, Halb- und Viertels-Absolutisten, besser als manche unerfahrene Liberale wissend, was von ihm dem Antiliberalism theils abgerungen, theils vereitelt wurde“, sodann der Bureaukraten, „nicht jener äußeren Beamten, die in ihrer Mehrheit sein System allmählichen Uebergangs zu dem Self-Gouvernement als eine wahre Entkerkerung freudig begrüßten, wohl aber gewisser Höhepunkte der Bureaukratie, denen jede Kürzung des Zopfs als Weltuntergang erscheint“, endlich der „Bewunderer oder Benützer eines Meteores (Lola Montez), das der 11. Februar dem bayerischen Horizont entrückte und das scheidend ihnen Rache gegen einen verhaßten Minister auftrug“. „Vier so rührige Gegnerschaften geben aus, sie lispeln, flüstern, schreien, schreiben jede in ihrer Weise, das betäubte Publicum horcht und folgt zuletzt gedankenlos den ihm von tausend Armen zugehenden Rippenstößen.“ Doch sah W. auch jetzt noch seine politische Laufbahn nicht für abgeschlossen an; dies [746] beweist seine rührige publicistische Thätigkeit zur Abwehr der wider[WS 1] ihn erhobenen Anklagen, sowie sein parlamentarisches Auftreten in fast allen Fragen der äußeren und inneren Politik der Sturmjahre 1848–49. Aufsehen erregten insbesondere die von ihm im Mai 1848 gestellten Anträge auf Beseitigung des Pauperismus durch Staatshülfe. Im nämlichen Jahre veröffentlichte er in der deutsch-constitutionellen Zeitung einen Cyclus von Artikeln „Deutschland, seine Zukunft und seine constituirende Versammlung“ (als Separatabdruck erschienen im August 1848). Der Verfasser bekennt sich zum großdeutschen und liberalen Programm; er wendet sich ebenso gegen „Metternich redivivus“, wie gegen „preußenthümlerische“ Bestrebungen; weder ein Erbkaiser, noch ein Triumvirat sei anzustreben, sondern eine Kreiseintheilung nach dem Muster der bisherigen Militärverfassung. „Soll aber Deutschland mit aller Gewalt einen Erbkaiser haben, so kann es nur jener von Oesterreich sein; Preußens Bevorzugung wäre für das alte Land der Eichen, was für Polen die erste Theilung gewesen.“ Dem constitutirenden Parlament in Frankfurt wird zugerufen: „Fahrt vorwärts mit voller Dampfkraft, jedoch ohne Ueberheizung des Kessels!“ „Am Vorabend der Landtagswahlen von 1849“ veröffentlichte W. einen Aufruf: „Wie steht es nun mit der deutschen Sache, und was soll insbesondere der Bürger und Landmann wünschen?“ Er beklagt, daß die Verheißungen vom 6. März 1848, „die den Anforderungen der Gegenwart breite Rechnung trugen und mächtigen Einfluß weit über Baierns Grenzen hinaus übten“, noch nicht erfüllt seien, daß noch immer am alten Classenwesen, an starrem Beamtenregiment und anderem Zopf festgehalten werde, und stellt Belgien mit seinem aufrichtigen Constitutionalismus und seiner volksthümlichen Selbstverwaltung als Muster auf. Am 16. Juni 1849 legte er sein Kronobersthofmeisteramt und die damit verbundene Reichsrathswürde nieder; dagegen bewarb er sich um ein Mandat in der zweiten Kammer, das ihm auch von Seite des Wahlkreises Donauwörth zu theil wurde. Die Reden, die er als Abgeordneter am 3. und 6. November 1849 über die deutsche Frage hielt, wurden als Flugschrift veröffentlicht; sie vertheidigten das Programm. der Linken der bairischen Volkskammer, das W. (12. Sept. 1849) im Verein mit 39 anderen Volksvertretern bürgerlichen Standes unterzeichnet hatte, gegen Angriffe von unten und oben; die Bewegung von 1848 wird als „der Kampf des erwachten, des erstarkten Volksgefühles gegen eine unnatürliche Staatenbildung und gegen eine noch unnatürlichere Bevormundung“ gefeiert und über die Muthlosigkeit der regierenden Staatsmänner, die es versäumten, ein freisinniges Baiern an die Spitze des nicht großstaatlichen Deutschlands zu bringen, Klage geführt. Seit die deutschen Regierungen allerorten in Rückkehr zum „bewährten“ Metternich’schen Stabilitätsystem ihr Heil erblickten, griff W. selten mehr in die öffentliche Discussion ein; sein Landtagsmandat legte er erst 1862 nieder. Bei Beginn des Krimkrieges veröffentlichte er die Schrift „Deutschlands Aufgabe in der orientalischen Verwickelung, von einem ehemaligen deutschen Minister“, worin für thatktäftiges Eintreten Deutschlands gegen die gefährliche Eroberungspolitik des Zarenreichs plädirt wurde. Als der preußisch-französische Handelsvertrag von 1862 eine Annäherung an Frankreich zu documentiren schien, schrieb W. für die Augsburger Allgemeine Zeitung eine Reihe von Artikeln, die das gefährliche Zugeständniß an die Freihandelspolitik der Westmächte, sowie die undeutsche Haltung Preußens heftig angriffen. Die nämliche Tendenz verfolgt eine Flugschrift „Bund und Bundesreform“. W. widmete dieselbe dem Könige Ludwig als Zeichen „jener unauslöschlichen Anhänglichkeit, welche nie und am allerwenigsten in Momenten wankte, wo man dem Monarchen das Gegentheil berichtete“. Er habe sich, versichert er in dem Begleitschreiben, für den Rest seiner Tage von jeder Einmischung in die Welthändel fernhalten wollen, aber [747] die Schwäche der europäischen Politiker gegenüber dem „eiskalten, herzlosen, alle Schwächen instinctiv erkennenden, jedem Rechts- und Sittlichkeitsgefühle Hohn sprechenden Taschenspieler an der Seine“ und die „unbegreifliche Verblendung, womit ein deutscher Herrscherstamm sich dazu hergab, mit eigener Hand den zersetzenden Stoff französischen Einflusses dem germanischen Körper einzuimpfen, … sich selbst von dem Erbfeinde deutschen Wesens quasi mediatisiren zu lassen, und ein Drittheil von Deutschland in Ausland zu verwandeln, um Fürsten und Volk der übrigen zwei Drittheile für sich mediatisiren zu können“, könne ein Staatsmann, der „unter dem deutschesten der deutschen Herrscher“ für Deutschlands Ruhm und Größe gewirkt habe, nicht mit ansehen, ohne daß ihm „die längst entschwundene Jugend wieder ins Blut und der Grimm bis ins tiefste Mark fährt“. König Ludwig erwiderte kühl, er habe mit Vergnügen in den Aufsätzen den geistreichen Verfasser wiedererkannt. Der Lebensabend des jedenfalls hochbegabten Staatsmannes war infolge der Zerrüttung seiner Vermögensverhältnisse ein sehr trauriger. Um seinen Gläubigern zu entrinnen, mußte er in die Schweiz übersiedeln. In Luzern schied er am 22. Juni 1870, ohne männliche Nachkommen zu hinterlassen, aus dem Leben; in der Fürstengruft zu Maihingen fand er die letzte Ruhestätte.
Auch der jüngere Bruder Ludwig’s, Karl Anselm Fürst von Oe.-W., Majoratsherr der Secundogenitur auf Seyfriedsberg, geboren am 6. Mai 1796, † am 4. März 1871, war ein eifriger Parlamentarier, insbesondere ein beredter Anwalt der von oben und unten bedrängten Rechte der mediatisirten Standesherrn. Aus seinen Schriften und Reden seien hervorgehoben: „Die Gefälle der vormals reichsständischen, nun mediatisirten Fürsten und Grafen vor und nach der Mediatisirung, staatsrechtlich erörtert von Karl Prinzen zu Oe. und W.“ (1828); „Antrag des Abgeordneten Karl Prinzen zu Oe. u. W., die auf gesetzlichem Wege zu bewirkende gleichheitliche Regulirung und Vertheilung der direkten Steuern“ (1837); „Beiträge zu dem bairischen Kirchenstaatsrecht“ (1846) (zu Gunsten der vom Ministerium Abel bedrückten bairischen Protestanten, gegen die Rechtsgutachten der Professoren Stahl und Scheurl); „Zur Verständigung in der Bodenentlastungsfrage“ (1848); „Die modernen Zeit- und Arznei-Krankheiten der Staaten“ (1852) (in conservativem Sinne gegen die bedauerliche Verdrängung der historischen Elemente im Staats- und Volksleben).
- (Strelin,) Genealogische Geschichte der Herren Grafen von Oettingen im mittleren Zeitalter (1799). – Hopf, Hist.-genealog. Atlas, S. 34. – (Lang,) Materialien zur Oettingischen mittleren und neueren Geschichte (1771). – W. Freih. Löffelholz v. Colberg, Oettingana (als Manuscript gedruckt). – Grupp, Oettingische Geschichte der Reformationszeit (s. a.). – Jos. Weiß, Berichte über die Eroberung Belgrads v. J. 1688 (des Grafen Notger zu Oe.) Ungar. Revue 1895, S. 73. – Abel und Wallerstein (1840). – Bluntschli, Denkwürdiges aus m. Leben, II, 99. – F. Graf Eckbrecht Dürckheim, Erinnerungen, I, 264. – Die Gegenwart, VII, 688: (Neumann,) Baiern unter dem Uebergangsministerium von 1847–49. – Nekrolog in der Augsb. Allg. Ztg. 1871, Nr. 6 u. 7. – Handschriftliches Material aus der fürstl. Bibliothek zu Maihingen und dem Nachlaß König Ludwig’s I.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: wieder