ADB:Sailer, Johann Michael von

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Artikel „Sailer, Johann Michael“ von Franz Heinrich Reusch in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 30 (1890), S. 178–192, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Sailer,_Johann_Michael_von&oldid=- (Version vom 3. Dezember 2024, 17:23 Uhr UTC)
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Band 30 (1890), S. 178–192 (Quelle).
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Sailer: Johann Michael S., katholischer Theologe, geboren zu Areding bei Schrobenhausen in Oberbaiern am 17. November 1751, † als Bischof zu Regensburg am 20. Mai 1832. S. war ein Sohn frommer, aber armer Eltern; sein Vater war Schuhmacher. Der Schullehrer Bernhard Seiz, der später Sailer’s Schwester heirathete (seine Tochter war Sailer’s Pflegerin in seinen letzten Lebensjahren), und der Kaplan des Dorfes, Simon, redeten dem Vater zu, den talentvollen Knaben studiren zu lassen. 1761 brachte er ihn wirklich nach München, zunächst zu dem Lehrer Traunsteiner, der sich des armen Knaben väterlich annahm. Die Mittagskost erhielt dieser zunächst in dem Hause des Münzwardeins Oeker, bei dessen Sohne er über sechs Jahre Famulus war, [179] dann in dem Hause seines Mitschülers Alexius Thalhauser, dessen Repetitor er war. Die Abendkost erhielt er mit anderen armen Schülern im Seminar. In München absolvirte S., was man jetzt Gymnasialstudien nennt; Erwähnung verdient, daß er in diesen Jahren auch schon mit der deutschen Litteratur, namentlich mit Klopstock und Lessing einigermaßen bekannt wurde. Im Herbst 1770 trat er, gleichzeitig mit seinem späteren Freunde Joh. Michael Feneberg, bei den Jesuiten zu Landsberg am Lech als Novize ein. Nach Beendigung des zweijährigen Noviziates wurde er in das Collegium zu Ingolstadt geschickt, um dort seine philosophischen Studien zu machen. Schon im folgenden Jahre wurde der Orden aufgehoben. – Von seinem 12. bis 16. Jahre hatte S. viel mit Gewissensscrupeln, vom 18. bis 22. Jahre mit Glaubenszweifeln zu kämpfen. Er hat einen interessanten, 1821 geschriebenen Bericht darüber veröffentlicht (Werke 39, 293), worin er einen Pater Pfab, der lange in Amerika als Missionar gewirkt hatte, als denjenigen erwähnt, der ihn (während des Noviziates) in seinen Glaubenszweifeln beruhigt habe. Von seinem Noviziatsjahren sprach er auch später immer mit dankbarer Anerkennung: er habe, sagt er einmal (Werke 39, 266), in Landsberg ein fast paradiesisches Leben gelebt.

Auch nach der Aufhebung des Jesuitenordens blieb S. in Ingolstadt und studirte bis 1777 Philosophie und Theologie. Sein bedeutendster Lehrer war der Exjesuit Benedict Stattler (s. den Art.). Am 23. September 1775 wurde er zu Eichstädt zum Priester geweiht, im J. 1777 als Repetitor im philosophischen und theologischen Fache an der Universität angestellt. In demselben Jahre begann er seine schriftstellerische Thätigkeit mit „Demonstratio evangelica, olim a B. Stattler conscripta, nunc in compendium redacta ab ejusdem discipulo M. S.“ und der Abhandlung „Quantum humana ratio conferat ad sensum s. scripturae figendum“. 1779 folgten: „Theologiae christianae cum philosophia nexus“ (ein Grundriß der Dogmatik) und die durch den Plan einer neuen Organisation der theologischen Facultät veranlaßte anonyme Schrift: „Fragment von der Reformationsgeschichte der christlichen Theologie. Ein philosophisches Gespräch von einem Weltpriester.“ Von der durch den Kurfürsten Max Joseph gegründeten „gelehrten Gesellschaft zur Beförderung der geistlichen Beredsamkeit“ wurde 1779 seine Trauerrede auf den Kurfürsten Maximilian III. mit dem Preise gekrönt; sie wurde, wie einige andere Predigten von S. in den „Predigten des baierischen Prediger-Instituts“ 1779 gedruckt. 1779 bat S. vergeblich um eine außerordentliche Professur. Als aber 1780 der zweite Professor der Dogmatik, der Benedictiner Hermann Scholliner in sein Kloster zurückkehrte, wurde S. sein Nachfolger und also der College seines Lehrers Stattler, der die erste Professur inne hatte. Gleich den anderen Professoren der Facultät erhielt er auch den Titel Geistlicher Rath. Er betheiligte sich nun auch an dem Streite Stattler’s mit dem Benedictiner Wolfgang Frölich (s. den Art. Stattler) mit den beiden 1780 veröffentlichten Schriften: „Praktische Logik für den Widerleger, an den Verfasser der sog. Reflexion wider die Demonstratio evangelica“ und „Neueste Geschichte des menschlichen Herzens in Unterdrückung der Wahrheit. Fünf Theile in Taschenformat. Statt aller Pro und Kontra in der Wolfgang-Frölich-mönchisch-theologischen Streitsache“, (diese anonym). Gegen erstere Schrift erschien: „Erinnerung an das junge Herrchen Sailer, aus der Stattlerischen Gesellschaft und ersten Schüler auf der baierischen Universität zu Ingolstadt, von einem aufrichtigen Bruder und Seelensorger“ (o. O. u. J.). – Als Prolusio zu seinen Vorlesungen veröffentlichte S. 1781 Theologi christiani idea, in demselben Jahre anonym „Theorie des weisen Spottes. Neujahrsgeschenk an alle Spötter und Spötterinnen über Dreieinigkeit“. Von den bisher genannten [180] Schriften ist nur die letzte in die „sämmtlichen Werke“ aufgenommen (40, 569; Auszüge aus den Streitschriften gegen Frölich gibt Aichinger S. 47).

Sailer’s Lehrthätigkeit in Ingolstadt dauerte nur bis 1782. Durch ein Decret vom 14. December 1781 dotirte der Kurfürst Karl Theodor mit den Gütern des aufgehobenen Jesuitenordens, aus deren Einkünften die Ingolstädter Professoren der Theologie ihre Gehälter bezogen, eine baierische Zunge des Malteserordens und legte den Klöstern die Verpflichtung auf, für den Unterricht in den beiden Facultäten (und an dem Lyceum und Gymnasium) zu sorgen. S. wurde, wie die anderen Professoren der Theologie, mit 240 Gulden pensionirt. Er blieb noch zwei Jahre in Ingolstadt und wohnte mit seinem Freunde Sebastian Winkelhofer zusammen auf zwei gemietheten Zimmern. In diesen Jahren arbeitete er hauptsächlich an einem Gebetbuche. 1781 hatte der Kurfürst verordnet, es sollten fortan keine Andachtsbücher mehr verkauft werden, die nicht von der theologischen Facultät zu Ingolstadt gut geheißen seien. S. wurde als der jüngste Professor beauftragt, die zahlreichen bereits gedruckten Bücher, welche eingesandt wurden, zu begutachten. Er fand, daß sie mit wenigen Ausnahmen nicht zu empfehlen seien, und gab im J. 1783 ein „Vollständiges Lese- und Bethbuch zum Gebrauche der Katholiken“ in zwei Bänden (1785 in 6 Bändchen) heraus, kurz vorher „Ueber Zweck, Einrichtung und Gebrauch eines vollkommenen Lese- und Bethbuches, das bereits unter der Presse ist“). Dieses Buch und ein zuerst 1785 erschienener Auszug daraus und der bereits 1782 anonym veröffentlichte „Kern aller Gebete“ „richteten unter der damaligen Erbauungsliteratur eine vollständige und wohlthätige Revolution an“ (Aichinger S. 45) und haben in einer Reihe von Auflagen eine große Verbreitung gefunden.

In Sailer’s Nachlaß hat sich ein Exemplar eines umfangreichen, in ernstem und streng kirchlichem Sinne von den Pflichten der Geistlichen handelnden lateinischen Hirtenbriefes des Kurfürsten Clemens Wenceslaus von Trier für die Geistlichkeit seines Bisthums Augsburg gefunden (abgedruckt im Anhange des 40. Bandes der Werke von S., 64 S.), mit dem eigenhändigen Vermerk von S.: „Diesen Hirtenbrief habe ich für den Kurfürsten von Trier gemacht. Zur Belohnung hat er mich im J. 1784 zum Professor an der hohen Schule zu Dillingen befördert und im J. 1794 von der Professur wieder entlassen.“ An der früheren Jesuiten-Universität zu Dillingen, einer philosophisch-theologischen Lehranstalt, verbunden mit einem Gymnasium, waren seit 1773 meist Weltgeistliche, nur wenige Exjesuiten thätig. Sie wurde nach der Berufung neuer tüchtiger Lehrkräfte 1786 neu organisirt, die Lehranstalt nach Sailer’s Vorschlägen, das Gymnasium nach einem Plane seines Freundes Feneberg, der auf seine Empfehlung berufen wurde. Alle geistlichen Professoren wohnten in dem früheren Jesuitencollegium zusammen; nächst Feneberg standen unter ihnen Joseph Weber und Benedict Patricius Zimmer S. am nächsten. S. hatte außer freier Station im Collegium 300 Gulden Gehalt; im November 1789 erhielt er dazu ein Beneficium in Aislingen. Während er in Ingolstadt Dogmatik im Anschlusse an Stattler vorgetragen hatte, übernahm er jetzt das Fach, welches sein eigentlicher Beruf war, die praktische Theologie. Er wurde angestellt als Professor der „Pastoral- und Volkstheologie“ und der „Ethik“ (Moralphilosophie); er erklärte privatissime (und gratis) auch Stattler’s Ethica universalis. Außer seinen Fachvorlesungen hielt er auch „Religionscollegien“ für alle Studenten, die auch von Beamten, Offizieren u. s. w. fleißig besucht wurden. Dabei war er in der Seelsorge, namentlich als Prediger thätig. Die Universität nahm durch die Wirksamkeit Sailer’s und seiner Freunde einen großen Aufschwung und zog auch Studirende aus entfernteren Gegenden an. So studirten dort z. [181] B. Wessenberg und ein Sohn des Mainzer Professors J. B. v. Horix (s. A. D. B. XIII, 127[WS 1]). Der spätere münstersche Professor Brockmann (s. A. D. B. III. 343) verweilte nach Vollendung seiner Studien ein Jahr in Dillingen, um S. zu hören.

Im J. 1786 erschien der siebente Band von Fr. Nicolai’s „Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz“ (s. A. D. B. XXIII, 587), worin von dem „Jesuiten Pater S.“ wiederholt die Rede ist (S. 102 u. s. w.) und in dem (gegen Garve gerichteten) Anhange (S. 80 ff.) von dessen Gebetbuch gesagt wird: „Es ist von allen anderen katholischen ascetischen Schriften von Grund aus unterschieden, frei von aller Pfafferei, die man sonst in solchen Büchern nur allzu häufig findet. Die katholischen unterscheidenden Lehrsätze sind nicht allein nicht hart vorgetragen, sondern nicht einmal deutlich, vielmehr geflissentlich so maskirt, daß sie, ob sie gleich ganz völlig dastehen, dennoch von jemand, welcher das katholische Wesen nicht genau kennt, kaum einmal bemerkt werden. Ein einzelner Jesuit würde sich nimmermehr unterstehen dürfen, ein so ganz unkatholisches Buch ohne besonderen Befehl der Oberen zu schreiben. Es ist also ziemlich deutlich zu sehen, daß dieses Buch ein Ende von der Kette ist, womit mehrere Jesuiten (Stattler, Storchenau) jussu superiorum seit einiger Zeit gern die Protestanten wieder an die katholische Hierarchie fesseln möchten. S. und die übrigen Jesuiten haben durch ihre scheinheilige Freundlichkeit Lavater und Pfenninger dahin gebracht, das Gebetbuch zu empfehlen. Durch Lavater’s Sorge ist es in Zürich und in der Gegend ein allgemeines Andachtsbuch geworden, indem eine große Menge davon heimlich und umsonst ausgetheilt worden ist.“ Lavater erklärte darauf in einer 1786 veröffentlichten „Rechenschaft an seine Freunde“ (2. Blatt, S. 25 ff.): er habe seit mehreren Jahren Sailer’s Briefwechsel und Freundschaft genossen und ihn immer als einen edlen, guten und weisen Mann angesehen. In den Briefen, die ihm S. geschrieben, komme keine Spur von Beredung oder Zumuthung zum katholischen Glauben und kein Wort zu Gunsten der Jesuiten vor. Er habe Sailer’s Schriften, besonders seine Predigten über Tobias (1780), seine Schrift wider den Selbstmord (1785) und namentlich seine vortreffliche Vernunftlehre (1785) vielen Leuten aller Art und aller Confessionen empfohlen, gerade so wie Schriften von Zollikofer, Spalding und anderen. Das Gebetbuch habe er auch bei einigen Protestanten als ein Muster christlich-evangelischer Denkensart, Popularität und Brauchbarkeit, aber nie ohne Einschränkung gerühmt. Er habe vielleicht Katholiken, jedenfalls nie einem Protestanten gerathen, dasselbe zu kaufen. Er habe einmal vorgehabt, einem protestantischen Fürsten zu empfehlen, dasselbe katholischen Unterthanen zu schenken und dadurch schlechte, abergläubische und abgeschmackte Andachtsbücher zu verdrängen. Dieses Vorhaben habe er bis jetzt noch nicht ausgeführt, werde es aber bei Gelegenheit thun. Er habe nicht ein einziges Exemplar mittelbar oder unmittelbar verkauft, vertauscht oder verschenkt; nur sein eigenes Exemplar habe er einmal einem Collegen geliehen und es dann einem katholischen Geistlichen geschenkt. – In demselben Jahre 1786 erschien „Etwas an Herrn Fr. Nicolai … und seinen Recensenten in der Allg. Litt.-Zeitung, für Herrn Prof. Sailer, von keinem Exjesuiten und von keinem Proselytenmacher“ (von dem Benedictiner Beda Mayr, s. A. D. B. XXI, 134). S. selbst veröffentlichte 1787 „Das einzige Märchen in seiner Art. Eine Denkschrift an Freunde der Wahrheit, gegen eine sonderbare Anklage des Herrn Fr. Nicolai.“ Er erklärt darin unter anderem, mit den Exjesuiten stehe er in keiner andern Verbindung als mit anderen Menschen. – Nicolai, der natürlich das letzte Wort behalten mußte, antwortete in dem 1787 erschienenen 8. Bande seiner Reisebeschreibung in der Vorrede und in einem 193 Seiten füllenden Anhange: „Anmerkungen [182] über das zweite Blatt von J. C. Lavaters Rechenschaft an seine Freunde und über J. M. Sailer’s Märchen.“ Das „Märchen“ ist nicht in die „Sämmtlichen Werke“ aufgenommen. Es ist auch darum bemerkenswerth, weil es die einzige Schrift ist, die S. zu seiner Vertheidigung veröffentlichte. Warum er sich späteren bedenklicheren Angriffen gegenüber an den Wahlspruch der h. Theresia: Tacere et pati und an den Satz: Hoc est vere apostolicum: bene facere et male audire, gehalten, darüber spricht er sich in seiner Selbstbiographie (Werke 39, 270) sehr schön aus.

Den Antrag des Herzogs Karl von Württemberg, der S. 1785 in Dillingen kennen lernte, Hofprediger in Stuttgart zu werden, und eine Berufung an die Universität zu Mainz lehnte S. ab. Er dachte nicht daran, Dillingen zu verlassen. In einer 1814 erschienenen Schrift (Werke 39, 21) sagt er: „Das Ideal einer Lehranstalt war damals an dem Gymnasium und an der Universität zu Dillingen bis auf einige Ausnahmen in die Wirklichkeit eingeführt. Zehn Jahre war es mir vergönnt, Augenzeuge davon zu sein. O du selige Zeit, die schönste, die wirksamste, die segensreichste meines Daseins, wie unvergeßlich bist du mir! Die herrlichsten Talente brachen vor unseren Augen in weissagenden Blüthen auf, deren Früchte jetzt unser deutsches Vaterland genießt. … Aber dieser paradiesische Frühling war zu schön, als daß nicht Eifersucht, Lästerung von einer und schwaches Gutmeinen mit wenig Licht und zu viel Muth auf der andern Seite die gräßliche Verheerung des blühenden Gartens hätte beschleunigen sollen.“ – In Augsburg war nach der Aufhebung des Jesuitenordens das Collegium von St. Salvator als Genossenschaft von Weltpriestern unter bischöflicher Jurisdiction bestehen geblieben; der bisherige Rector Joseph Mangold wurde bischöflicher Director; einige Patres traten aus, dafür siedelten aber andere, namentlich aus Augsburg gebürtige, dorthin über. Das Institut wurde erst 1807, als Augsburg an Baiern fiel, aufgehoben. Diese Exjesuiten, welche an den Traditionen des Ordens streng festhielten, und ihre Gesinnungsgenossen, zu denen auch einzelne Professoren in Dillingen gehörten, waren mit den neuen Einrichtungen in Dillingen und der Thätigkeit Sailer’s und seiner Freunde sehr unzufrieden. Sie tadelten die Organisation des Gymnasiums und den philosophisch-theologischen Lehrplan, die von den früheren jesuitischen stark abwichen; sie klagten, daß die Studirenden nicht in der früheren Weise in Zucht gehalten und zu religiösen Uebungen angehalten würden, daß das, was ihnen in der Theologie die Hauptsache schien, vernachlässigt werde, daß die Vorlesungen deutsch gehalten und die Studenten in ihnen auch mit der modernen Philosophie und mit protestantischer Litteratur bekannt gemacht würden und daß so die „Aufklärung“ unter ihnen befördert werde. S. war als der bedeutendste und einflußreichste unter den Professoren bei ihnen besonders übel angeschrieben; man nahm auch an seinen freundschaftlichen Beziehungen zu Lavater, Pfenninger, Claudius, Pestalozzi, Jacobi und anderen Protestanten Anstoß. Bei dem Kurfürsten Clemens Wenzeslaus stand aber S. in großem Ansehen: er ließ mehrere Hirtenbriefe durch ihn verfassen; als er 1789 nach Dillingen kam, zeichnete er S. in jeder Weise aus und ließ ihn wiederholt bei bischöflichen Functionen predigen; auf dem Titelblatte der 1788 und 1789 in drei Bänden erschienenen Vorlesungen aus der Pastoraltheologie steht: „auf Befehl Seiner kurfürstlichen Durchlaucht zu Trier als Fürstbischof zu Augsburg herausgegeben“. Es gelang schließlich den Augsburger Exjesuiten durch ein sehr unwürdiges Mittel, ihren Plan durchzusetzen. Da der Kurfürst in großer Geldverlegenheit war, unterhandelte sein Minister F. v. Duminique (s. A. D. B. V, 459) mit dem Augsburger Bankhause Obwexer über eine Anleihe. Der Chef des Hauses, ein Bruder oder Oheim eines der Exjesuiten, sprach bei den Unterhandlungen die [183] Erwartung aus, der Minister werde den vielen Klagen der Patres von St. Salvator, denen es ja nur um die Reinerhaltung der katholischen Religion zu thun sei, Beachtung schenken und die Professoren S., Weber und Zimmer von Dillingen entfernen. Duminique versprach zunächst nur eine Untersuchung der Zustände in Dillingen durch eine besondere Commission. Diese traf im April 1793 in Dillingen ein (die Klagepunkte und Feneberg’s Beantwortung derselben s. Werke 39, 26). Die kurfürstliche Verordnung vom 19. September (N. allg. deutsche Bibl. 1794, Int.-Bl. Nr. 24) zeigt, daß die Untersuchung nicht das gewünschte Ergebniß gehabt, und war offenbar hauptsächlich darauf berechnet, die Ankläger zu beschwichtigen: Zimmer wurde zum zweiten Professor der Dogmatik degradirt, Weber sollte die Philosophie lateinisch vortragen und über Kant’s Kritik nicht mehr lesen, Sailer’s Vorlesungen über Ethik sollten nicht mehr von allen, sondern nur von den Theologen des dritten Cursus gehört, seine Religionscollegien, Weber’s ökonomische und Hermann’s ästhetische Vorlesungen sollten ganz eingestellt werden; den Professoren des Gymnasiums wurde aufgegeben, sich an den Lehrplan der Augsburger Exjesuiten zu halten; den Professoren wurde das Lesen der Salzburger Litteraturzeitung, den Studenten das Lesen aller Bücher ohne bischöfliche Approbation verboten. Feneberg ließ sich auf eine Pfarrei versetzen. – Das genügte natürlich den Exjesuiten nicht. Der Chef des Bankhauses erklärte dem Minister, aus der Anleihe könne nichts werden, wenn nicht die drei Professoren abgesetzt würden. Der Minister bestimmte darauf den Kurfürsten, eine Cabinetsordre zu unterzeichnen, durch welche S. und Zimmer, ersterer unter lobender Anerkennung seiner Wirksamkeit und „Vorbehalt der höchsten Gnade“, aus ihrem Amte entlassen, Weber auf den Vortrag der Physik beschränkt wurde. Als S., eben von einer Ferienreise zurückgekehrt, sich am 4. November 1794 im Doctormantel in das feierliche Hochamt zur Eröffnung des Studienjahres begeben wollte, wurde ihm auf der Treppe das Entlassungsdecret überreicht. (Der erste ausführliche Bericht über diese Vorgänge findet sich in Christoph v. Schmid’s Erinnerungen, 1853, II, 160 ff.) S. berichtet (Werke 39, 268), der Kurfürst habe nur ungern in seine Entlassung gewilligt, und als er kurz vor seinem Tode in dem Bücherschranke eines Pfarrers seine Werke erblickt, habe er gesagt: „Diesem Manne ist großes Unrecht geschehen“.

Es klingt unglaublich, daß man S. damals auch der Verbindung mit den Illuminaten beschuldigte, gegen welche seit 1785 die bairische Regierung mit großer Strenge vorging. Er selbst sagt darüber (Werke 39, 273): „Ich habe mich und meine Freunde von jedem geheimen Orden und von jeder Secte und Sectirerei, sie seien litterarischer oder religiöser oder politischer Art, fern gehalten. … Vor und bei meiner Entlassung von Dillingen wollte man mich ohne allen historischen Grund und wider allen historischen Grund des Illuminatismus verdächtig machen, ob mich gleich diese Partei stets für ihren Antipoden ansah und behandelte.“ Die einzige Grundlage für die Beschuldigung war, daß man bei einem Pfarrer einen Brief von dem wegen Betheiligung am Illuminatenorden aus Baiern verbannten Beneficiaten Drexel zu Ingolstadt gefunden hatte, worin derselbe S. als ihren beiderseitigen Freund bezeichnete. Mit einzelnen Illuminaten hatte S. allerdings persönlichen Verkehr gehabt; aber diese hatte er von ihrer Verirrung zurückgeführt. Der Exmönch Fr. X. Bronner (s. A. D. B. III, 361), der Illuminat war, sagt (Leben III, 135): „S. war nichts weniger als Illuminat“. Wie wenig die geistlichen Illuminaten oder Aufklärer S. zu den Ihrigen zählten, ergibt sich aus einem Briefe von Philipp Brunner (s. A. D. B. III, 447) an den Mainzer Exkapuziner Nimis vom J. 1792 (Eudämonia 4, 292). Er entwickelt darin den Plan einer „Akademie der Wissenschaften für das katholische Deutschland“ und meint, um diese Akademie annehmlich zu [184] machen, müsse man dafür auch orthodoxe Mönche und besonders alle gelehrten Jesuiten, z. B. Stattler, Sailer und Mutschelle zu gewinnen suchen und sie durch einen Jesuiten ankündigen lassen, „am besten durch Sailer, da er sowohl bei seinen Ordensbrüdern als auch bei dem übrigen katholischen Publicum in gutem Rufe steht. Ich glaube aber nicht, daß man ihm etwas von dem eigentlichen Zweck der Akademie anvertrauen darf.“ Der Plan kam nicht zur Ausführung. In einem Briefe von 1817 sagt Sailer: „Daß man mich in Zeitungen u. s. w. mit Werkmeister und Brunner u. s. w. zusammenstellt, davon nehme ich keine Notiz. So viel weiß ich, daß beide sehr hitzig gegen mich geschrieben haben, wovon ich ebenso wenig Notiz nehme.“

Am Tage nach seiner Absetzung, am 5. November 1794, reiste S. nach München, wo er bei seinem Freunde Winkelhofer, der kurz zuvor Hofprediger bei St. Michael geworden war, die freundlichste Aufnahme fand. Durch die Vermittlung eines Freundes erhielt er nun wieder die Pension, die ihm 1782 zu Ingolstadt bewilligt, 1784 aber nach seiner Anstellung im Auslande entzogen worden war. Es war die Rede davon, ihn als wirklichen („frequentirenden“) geistlichen Rath anzustellen. Der Hofbischof Reisach schlug ihn für eine Hofpredigerstelle vor. Aber der päpstliche Nuntius Zoglio protestirte dagegen, da er von Dillingen als des Illuminatismus verdächtig entlassen worden sei. Wie bei dem Nuntius, so wurde auch bei dem Kurfürsten Karl Theodor S. angeschwärzt, so daß er den Befehl erhielt, Baiern zu verlassen. Als er den Minister v. Härtling darauf aufmerksam machte, daß er ein geborener Baier sei, wurde dieser Befehl zwar nicht zurückgenommen, aber nicht weiter urgirt. S. erhielt jedoch von Freunden den Rath, nicht in München zu bleiben. Er fand für die nächsten Jahre, vom Januar 1795 bis November 1799, eine Zuflucht bei einem befreundeten, frommen und gebildeten Laien, Karl Theodor Beck, Pfleger bei dem Herrschaftsgerichte des Malteser-Großpriorates zu Ebersberg, früheren Jesuitencollegium. Seine öffentliche Thätigkeit beschränkte sich hier darauf, daß er mitunter predigte. Sonst war er mit Studien und litterarischen Arbeiten beschäftigt. Im J. 1796 erschien „Das Buch von der Nachfolgung Christi (von Thomas v. Kempen), neu übersetzt und mit einer Einleitung und kurzen Anmerkungen für nachdenkende Christen herausgegeben“ (noch bei seinen Lebzeiten erschienen 5 Auflagen, mehrere nach seinem Tode); im J. 1797 „Ecclesiae catholicae de cultu sanctorum“ (dem Nuntius Ciucci gewidmet, der sich wohlwollender gegen S. zeigte als sein Vorgänger Zoglio; 1819 von Brockmann ins Deutsche übersetzt); im J. 1799 „Uebungen des Geistes zur Gründung und Förderung eines heiligen Sinnes und Lebens“. Von diesem Buche sagt Nicolai (N. allg. deutsche Bibl. 1801, 62, 294): er bewundere „die Kunst des Verfassers, die katholischen Unterscheidungslehren zu verstecken und seine Ascetik dem vernünftigen Geiste des Christenthums anzupassen“; er knüpft daran wieder die Vermuthung: „Sollte das Buch etwa für die Protestanten berechnet sein, sie zu dem Wahne zu verleiten, daß das Wesen des Katholicismus eine andere Gestalt gewonnen habe?“ In diesen Jahren arbeitete S. auch an den „Briefen aus allen Jahrhunderten der christlichen Zeitrechnung, gewählt, übersetzt und zur Belehrung und Erbauung seiner Mitchristen herausgegeben“, welche 1800–1805 in sechs „Sammlungen“ erschienen. Die 6. Sammlung enthält fast nur Briefe und andere Aufzeichnungen von S. selbst ohne Nennung seines Namens. (Als einen Anhang dazu veröffentlichte er 1816–21 drei Hefte „Reliquien oder auserlesene Stellen aus den Schriften der Väter und Lehrer der Kirche.“) – Von Ebersberg aus machte S. wiederholt kleinere Reisen, namentlich zum Besuche von Freunden. Von 1792 an bis in sein spätes Alter machte er alle zwei Jahre eine Reise in die Schweiz. Gewöhnlich wohnte er dann [185] einige Wochen bei einem seiner Dillinger Schüler, dem Pfarrer Karl Maier zu Meggen am Vierwaldstätter See. Dort suchten ihn seine Schüler und Freunde auf und er machte mit ihnen Ausflüge. Viele seiner gedruckten Predigten sind in der Schweiz gehalten.

Im Zusammenhange mit der neuen Einrichtung der Universität Ingolstadt nach der Thronbesteigung des Kurfürsten Max Joseph im J. 1799 wurden, trotz der dringenden Abmahnungen von Augsburg aus, S. als Professor der Moral- und Pastoraltheologie, Zimmer als Professor der Dogmatik und Weber als Professor der Physik und Chemie dorthin berufen. Im Mai 1800 wurde die Universität wegen der Kriegsgefahr, zunächst provisorisch, nach Landshut verlegt; sie blieb dort, wie der Kurfürst schon 1799 in Aussicht gestellt hatte. In Landshut wohnte „das Dillinger Kleeblatt“ einige Jahre zusammen in dem Hause eines Neffen Weber’s. Dieser wurde schon 1808 auf seinen Wunsch wieder nach Dillingen versetzt. Zimmer starb 1820; S. veröffentlichte 1822, damals schon in Regensburg, eine Biographie desselben, „dem deutschen Clerus, zunächst dem des Königreichs Baiern gewidmet“. Außer Zimmer standen von den Professoren der Theologie auch Vitus Anton Winter und Sebastian Mall (s. A. D. B. XX, 139) zu S. in freundlichen Beziehungen. Winter starb 1814; S. hielt die Gedächtnißrede. Auch mit Professoren anderer Facultäten ohne Unterschied der Confession war S. befreundet, unter anderen mit dem Philologen Ast, den Medicinern Röschlaub und Walther und namentlich mit Savigny, der 1808 nach Landshut kam, aber schon 1810 nach Berlin ging. Im J. 1801 wurde S. ein Canonicat in Klagenfurt, 1804 eine Professur in Heidelberg, 1805 eine Professur in Münster (mit 2000 Gulden Gehalt; in Landshut hatte er 700 und sein Beneficium), später eine Professur in Breslau angeboten. Er lehnte alle Anträge ab, bloß, wie er selbst sagt, „um an der ihm anvertrauten Stelle seinem Vaterlande zu dienen“. Im J. 1805 war S. Rector der Universität. – Außer den Vorlesungen seines Faches, über Moral- und Pastoraltheologie, Homiletik und Pädagogik, nach dem Tode Winter’s auch über Katechetik, und Privatvorlesungen über den Sinn und Geist der heiligen Schrift hielt S. in Landshut wie früher in Dillingen auch öffentliche Vorlesungen über Religion für Studirende aller Facultäten. Diese wurden sehr fleißig besucht, 1803 auch von dem Kronprinzen, dem späteren König Ludwig I. Als Leitfaden für diese Vorlesungen veröffentlichte er 1805 (in 2. Auflage 1813) die „Grundlehren der Religion“, die F. H. Jacobi 1817 (Briefwechsel 2, 358) „eines der besten Bücher in deutscher Sprache“ nannte. Segensreich wirkte S. auch als Universitätsprediger; er predigte alle vierzehn Tage oder vielmehr las, wie es Sitte war, seine Predigt vor; die meisten dieser Predigten sind gedruckt. – Eduard v. Schenk, der 1806–10 in Landshut studirte, berichtet über diese Zeit: „Selbst aus der Ferne, vom Rhein, aus Württemberg und der Schweiz strömte eine Menge junger Theologen herbei, um S. zu hören. (Von den Schweizern, die sich an ihn anschlossen, haben namentlich Widmer, Gügler und Schiffmann später in seinem Geiste in ihrer Heimath. gewirkt.) Sein Haus wurde nicht leer von Jünglingen, die aus seinem Munde Worte des Heiles und der Liebe vernehmen wollten. (Auch Studirende anderer Facultäten schlossen sich enger an ihn an, wie Schenk selbst, H. Steffens, Ringseis und Passavant.) An seinem Mittagstische nahmen nebst Zimmer immer mehrere Studirende aus höheren Ständen theil, die von ihren Eltern seiner Leitung anvertraut waren. Jeden Abend versammelte sich bei ihm ein Kreis von Professoren. Politische und confessionelle Streitfragen blieben vom Gespräche ausgeschlossen, aber die heiterste Laune, bei S. immer anmuthig und witzig, bei dem sonst sehr ernsten Zimmer öfters barock, belebte den kleinen Zirkel, dem kein fremder Zeuge angemerkt hätte, [186] daß er zum Theil aus litterarischen Gegnern, zum Theil aus mannichfach geprüften und selbst verfolgten Männern bestand“ (Charitas, 1838, S. 272). – „Vielen der edelsten Familien in und außer Baiern, berichtet Schenk weiter, war S. mehr als Freund; er war ihnen ein erhebender, rathender und tröstender Genius in der Ferne wie in der Nähe. Mehrere derselben, die am Rhein, in Schwaben, Sachsen und in der Schweiz wohnten, besuchte er in den Ferien, und seine Anwesenheit war immer ein Fest; alle nahen Freunde kamen zusammen, um sich an seinem Umgange zu erquicken. Die Confession machte keinen Unterschied. – Auf einer Reise in das nördliche Deutschland lernte er in Jena Schelling kennen. Die flüchtige Bekanntschaft wurde durch Schelling’s Uebersiedelung nach Baiern fester geknüpft. Jacobi besuchte S. mehrmals von München aus, und dieser war, wenn er in München war, öfters im Hause Jacobi’s. Jacobi und Schelling, die als Schriftsteller sich gegenseitig bekämpften, vereinigten sich in der Liebe für S.“ – Als Fr. Perthes, den S. 1802 zu Leipzig kennen lernte, 1809 Mitarbeiter für das „Vaterländische Museum“ sammelte, übernahm es S., über das religiöse Leben der deutschen Katholiken zu berichten. Es kam nicht dazu, da das „Museum“ nur ganz kurze Zeit erschien (s. A. D. B. XXV, 396). – Auf der letzten größeren Reise, die S. von Landshut aus machte, im Herbst 1818, begleitete ihn Christian Brentano. Sie besuchten den frommen Bischof Colmar in Mainz, verweilten einige Tage in Aachen, besuchten in Dülmen die Anna Katharina Emmerich und Clemens Brentano, reisten über Münster, wo S. im Dome predigte, zu dem Grafen Friedrich Leopold Stolberg nach Sondermühlen und kamen dann nach Horst bei Bocholt zu der Familie Diepenbrock. Hier gewann S. das Vertrauen und die Liebe des jungen Melchior Diepenbrock, der ihm nach Landshut folgte, um Cameralia zu studiren und einige Jahre später zu Regensburg Sailer’s Hausgenosse und Gehülfe wurde (s. A. D. B. V, 132).

Es fehlte S. auch in Landshut nicht an Gegnern. War er früher als Illuminat verdächtigt worden, so galt er jetzt bei einem großen Theile der weltlichen und selbst bei einigen geistlichen Collegen als Obscurant, und einige derselben denuncirten ihn, wie Schenk berichtet, als geheimen Feind der herrschenden Grundsätze mehrmals dem Ministerium, ja selbst den französischen Gewalthabern. Der Director des Georgianischen Seminars, Matthias Fingerlos, verbot seinen Zöglingen, mit S. zu verkehren. (Er wurde 1814 durch einen Freund Sailer’s, P. Roider, – s. A. D. B. XXIX, 69 – ersetzt). S. selbst berichtet (bei Schenk S. 343), Napoleon, mit dem er 1809 zu Landshut eine Unterredung hatte, habe ihn durch seinen Minister in München bei dem Könige als einen Römling und gefährlichen Priester verdächtig gemacht. Als Schenk, damals noch Protestant, 1811 bei seiner Promotion die Thesis vertheidigte: „Die Kirche ist dem Staate nicht untergeordnet“, glaubte man in München darin den Einfluß Sailer’s zu erkennen und warnte vor seinen gefährlichen Lehren, ließ sogar seine Correspondenzen überwachen (Schenk S. 276).

Verhängnißvoller wurde für S. die von streng kirchlicher Seite gegen ihn vorgebrachte Anschuldigung der Verbindung mit oder doch der Hinneigung zu der als Aftermysticismus bezeichneten religiösen Bewegung, welche damals namentlich in Martin Boos (s. A. D. B. III, 138) und Johann Goßner (s. A. D. B. IX, 407), die in Dillingen Sailer’s Schüler gewesen waren, ihren Mittelpunkt hatte. Daß im J. 1797 Boos’ und Sailer’s Freund Feneberg und mehrere seiner Schüler, u. a. auch Christoph Schmid, von der Augsburger bischöflichen Behörde in Untersuchung genommen wurden, daß gegen Boos 1810 auch in Linz eine Untersuchung eingeleitet und er genöthigt wurde, 1816 seine Stelle in Oesterreich aufzugeben, daß 1819 Boos, Goßner und Lindl (s. A. D. [187] B. XVIII, 698) Baiern verlassen mußten, daß die beiden letzteren sich von der katholischen Kirche lossagten, daß 1820 das Augsburger Generalvicariat ein langes und scharfes Pastoralschreiben gegen die „Aftermystiker“ erließ: das alles wurde vielfach auch gegen S. ausgebeutet. Eine eingehende Darstellung der Sache ist hier nicht am Platze; es muß auf die unten zu verzeichnenden Bücher von Aichinger, H. Schmid und Nielsen verwiesen werden, und es genügt hier, folgendes hervorzuheben: „Den Impuls zu der ihnen eigenthümlichen Richtung, sagt Schmid (S. 281), haben Boos und seine Gesinnungsgenossen nicht von S. erhalten, und man ist darum nicht berechtigt, diese auf ihn zurückzuführen“. Er wurde im December 1796 bei Feneberg mit Boos’ Anschauungen und Bestrebungen bekannt. Sie machten einen tiefen Eindruck auf ihn; aber er hat sich ihnen nicht angeschlossen. Er hat freilich bis zum J. 1819 den von Boos vertretenen Mysticismus als bis zu einem gewissen Grade berechtigt und lobenswerth anerkannt, zu den Vertretern desselben freundschaftliche Beziehungen unterhalten, sie vielfach öffentlich und privatim gegen Angriffe vertheidigt; aber er hat es auch an Warnungen vor Uebertreibungen und Ausschreitungen nicht fehlen lassen. „Während seine Freunde, sagt der lutherische Theologe Nielsen (S. 321), im evangelischen Christenthum weiter und weiter fortschritten, blieb er katholischer Mystiker. Seine mystische Innerlichkeit machte ihm wol vieles bei seinen Freunden verständlich; aber seine katholische Grundansicht hielt ihn doch in vieler Hinsicht von ihnen fern. Seine Mystik nahm weder an der Kirchenlehre Anstoß, noch an der kirchlichen Ordnung. Sie trennte ihn vom Aberglauben und von der todten Kirchlichkeit, aber die kirchlich katholische Grundfarbe derselben trennte ihn zugleich, nicht allein von den Schwärmern, sondern auch von dem evangelischen Christenthum.“ Die „Mystiker“ selbst zählten S. nicht zu den Ihrigen. Boos klagt schon 1798: „S. will nicht genug in die einfältigen Wege Gottes eingehen; er hat allzu viel Gelehrtes, und Feneberg sagt 1811: „S. hat sich nie ganz an die Mystik hingegeben, weil er immer dem Verstande zu viel einräumte“. In einem Briefe aus eben diesem Jahre sagt S.: „Es gibt Einen heiligen katholischen Glauben; aber dieser kann mechanisch auswendig gelernt, scholastisch begriffen und im geistlichen Sinne erfaßt werden, d. h. es gibt unter uns Katholiken mechanische, scholastische und geistliche Christen. (Diese Unterscheidung kommt bei S. öfter vor; Werke 39, 80 u. s. w.). Boos ist ein geistlich-katholischer Christ. … Seine Ausdrücke sind den mechanischen Christen anstößig und manche mögen, nach strenger [scholastischer] Form geprüft, auch nicht wagegerecht sein; aber nach dem Geiste geprüft sind sie es. … Ich wollte lieber sterben, als einen Mann, der so viele ausgezeichnete Geistesgaben besitzt, den Gott so wunderbar geleitet, der so viele tausend Menschen zur Buße, zum Glauben und zur Gottseligkeit erweckt hat und dem die besten Menschen seiner Zeit die Schuhriemen aufzulösen sich nicht würdig erachten, um einiger Ausdrücke willen, die offenbar noch einen orthodoxen Sinn zulassen, verdammen. Ich trete heute in mein 60. Jahr und ich zittere, vor Gottes Richterstuhl zu erscheinen, ohne vor meinem Tode laut bekannt zu haben: Die große Angelegenheit des frommen Boos ist aus Gott.“ Wie S. die Haltung Feneberg’s und das Verfahren der Augsburger Behörde gegen ihn beurtheilte, zeigt dessen 1814 gedruckte Biographie (Werke 39, 72). – Im J. 1816 wurde ein Brief von Ringseis an Savigny und andere Freunde in Berlin bekannt, worin er in überschwänglicher Weise die durch Boos, Goßner und namentlich durch Lindl hervorgerufene Bewegung schildert (s. A. D. B. XVIII, 698) und dann sagt: „Wenn man den Einfluß des römischen Hofes und der Vicariate noch eine Zeit lang niederhält, so entsteht gewiß ein Schisma im südkatholischen Deutschland; denn die Sache verbreitet sich mit reißender Schnelligkeit. … Wenn S. einmal recht mit [188] der Herzenssprache herausginge, so würden die Anhänger des Glaubens noch viel zahlreicher werden; aber er hält noch immer etwas hinter dem Berge. In ganz Oesterreich nennt man ihn schon das Haupt der mystisch-antipapistischen Partei und geheimen Gesellschaft, weil man bei Boos Briefe von ihm fand. Selbst (Friedrich) Schlegel wittert, als wäre S. gleichsam fast nicht recht orthodox römisch-katholisch und macht ein bedenkliches Gesicht.“ Das veranlaßte S. an Ringseis zu schreiben: „Sie haben durch Ihren Brief viele katholische Gemüther tödtlich verwundet, indem sie, durch Ihre überschäumende Beschreibung veranlaßt, glaubten, es könnte ein frommer Katholik so unvernünftig oder so frevelhaft sein, eine Trennung auch nur zu wünschen. Schweigen Sie doch von mir wenigstens; denn ich bin aus Ueberzeugung katholisch und will in dieser Ueberzeugung leben und sterben.“ (Auch Boos hat nie eine Lossagung von der katholischen Kirche beabsichtigt und ist 1825 als katholischer Pfarrer gestorben.) In ähnlicher Weise spricht sich S. in anderen Briefen aus dieser Zeit aus: „Ich kenne keine Gesellschaft, die sich von der katholischen Kirche trennen möchte; am allerwenigsten bin ich ein Glied von einer solchen Gesellschaft, noch weniger das Haupt. Nicht nur habe ich keine Trennung von der katholischen Kirche durch Lehre oder That befördert, sondern stets das Gegentheil, die Vereinigung mit Gott und der katholischen Kirche, in der ich lebe und, will’s Gott, sterben werde, zum Augenmerke meines Lehramtes und Lebens gemacht und finde mich selig dabei. Nicht nur hasse ich jene Trennung, sondern ich habe auch stets dahin gearbeitet, daß fromme Menschen auch den geringsten Anschein, auch den schuldlosesten Verdacht einer Sectenbildung, den etwa ihre Worte oder Thaten geben könnten, mit ernster Gewissenhaftigkeit meiden sollten. Ich halte jede Trennung von der katholischen, und zwar von der römisch-katholischen Kirche für frevelhaft, indem wir, wenn wir uns von der Lehre, von den Sacramenten der Kirche und von der Hierarchie, von dem Mittelpunkte der Einheit trennten, eben dadurch von der Quelle des geistlichen Lebens isolirt würden“ (Janssen, Fr. L. Stolberg nach seiner Rückkehr S. 482). „Den angeblichen Hypermysticismus habe ich nie gelehrt und vom inneren Leben nie etwas anderes behauptet, als was Thomas von Kempen, Salesius, Scupoli gelehrt haben. … Unter dem ausgearteten Mysticismus wird man wol nichts anderes verstehen als eine Innerlichkeit, die sich von der äußeren Kirche trennt und eine besondere Scheu vor der römisch-katholischen Kirche zu haben scheint. Nun, diesen ausgearteten Mysticismus hasse und verabscheue ich von ganzem Herzen, habe ich nie gelehrt, nie unterstützt, sondern bei jedem Anlaß mich dagegen erklärt, davor gewarnt“ (Werke 39, 470, 477). – Vom strengsten katholisch-kirchlichen Standpunkte wird man S. höchstens den Vorwurf machen können, daß er bei der Anerkennung der guten Seite der Boos’schen Bestrebungen das Bedenkliche daran zu spät erkannt und zu milde beurtheilt habe. Daß er die Weise, wie die geistlichen und weltlichen Behörden einschritten, mißbilligte, gereicht ihm nicht zum Tadel. Man wird es nur loben können, daß er noch 1819 an Schenk schrieb: man möge die Sache von Goßner’s Mysticismus nicht nach Rom oder an die Nuntiatur bringen, sondern eine väterliche und, wenn das nicht helfe, eine gerichtliche Untersuchung des Bischofs eintreten lassen. „Goßner und seine Schriften, besonders sein Neues Testament, können nicht verdammt werden, ohne daß unzählige fromme Katholiken geärgert, verwirrt und betrübt und besser gesinnte Protestanten erbittert und gegen Rom alarmirt werden. Ich bin in Leiden der Art alt geworden, habe nie den leisesten Gedanken gedacht wider die Kirche und bin oft gelästert worden. Da habe ich gelernt, nicht zu richten“ (Schenk, Charitas S. 327).

[189] Es ist sehr erklärlich, daß bei der neuen Organisation der katholischen Kirche in Deutschland und der Besetzung, bezw. Wiederbesetzung der Bischofstühle von mehreren Seiten auch S. ins Auge gefaßt wurde. Schon 1816 richtete Hardenberg, wahrscheinlich durch Savigny veranlaßt, an S. die Anfrage, ob er die Ernennung zum Erzbischof von Köln annehmen würde. Er antwortete, er glaube sich seinem Vaterlande Baiern nicht entziehen zu dürfen, Als die Anfrage 1818 erneuert wurde, erklärte er, er wünsche die Ernennung nicht, würde aber gehorchen, wenn der Papst ihm die Annahme derselben befehle. Daran war ja aber natürlich nicht zu denken, um so weniger, als schon 1816 der Wiener Nuntius Severoli auf Grund eines Gutachtens des damals in Wien sehr angesehenen Redemtoristen Clemens Maria Hofbauer (s. A. D. B. XII, 565) sehr ungünstig über S. nach Rom berichtet hatte. (S. erhielt Kenntniß von dem Gutachten, wie der in den Werken 39, 470 abgedruckte Brief vom 1. März 1817 zeigt.) Im J. 1819 wurde von der bairischen Regierung auf den Wunsch des Kronprinzen – nachdem der König mit den Worten: „Meinetwegen, obwol er ein Römling ist“, seine Zustimmung gegeben – S. für das Bisthum Augsburg vorgeschlagen. Die Nuntiatur wies aber den Vorschlag zurück. S. erfuhr dieses an seinem 69. Geburtstage, 17. November 1819, und die Gedanken darüber, die er in sein Tagebuch schrieb, eine rührende Selbstvertheidigung, sind bei Schenk a. a. O. S. 331 abgedruckt. Diese Aufzeichnung theilte er nur einigen seiner vertrautesten Freunde mit. Schenk ließ eine lateinische Uebersetzung derselben an die Nuntiatur gelangen, wo sie auch, wie er angibt, den beabsichtigten Eindruck nicht verfehlte. Der Kronprinz aber beklagte sich bei dem Cardinal Consalvi über die ablehnende Erklärung des Nuntius. Consalvi antwortete am 26. Juli 1820: man wisse in Rom, daß Sailer’s Verhalten in Dillingen die Gutheißung des dortigen Bischofs nicht gefunden habe, daß er mit Männern von verdächtiger Lehre, wie Lindl, Boos, Feneberg befreundet gewesen und von vielen als das Haupt der Pseudomystiker angesehen werde; der geheime Bericht des Hofbauer, den er dem Kronprinzen übersende, enthalte schwere Anklagen gegen S.; gleichwol werde der Papst seine Bedenken fallen lassen, wenn S. eine befriedigende öffentliche Erklärung abgebe. Darauf ließ S. im December 1820 eine Erklärung drucken mit der Ueberschrift J. M. Sailer de se ipso (Werke 9, 219). Er sagt darin: „Ich verdamme alle Grundsätze und Lehren der Pseudomystiker der älteren und neueren Zeit, d. h. alle Grundsätze, die das gläubige Gemüth von der gesunden Vernunft zu den Täuschungen der Phantasie, von dem Geiste der Universalkirche zum Privatgeiste, von dem Gehorsam gegen geistliche und weltliche Obrigkeit zur falschen Freiheit des Gemüthes hinüberlocken und deshalb meinem Gemüthe stets fremd waren – und alle anderen Irrthümer, welche die heilige katholische, apostolische, römische Kirche verdammt. Wenn ich wider Wissen und Willen in meinen Schriften oder Gesprächen irgend einen Irrthum behauptet haben sollte, würde ich denselben verwerfen und, dem Beispiele des großen Fenelon nachfolgend, in allem mich dem Urtheile des Oberhauptes der Kirche unterwerfen.“ Der Münchener Nuntius wurde zu einem nochmaligen Berichte aufgefordert. Der Augsburger Domherr Karl Egger, den er zu Rathe zog, fand Sailer’s Erklärung ganz ungenügend: er hätte die Irrthümer, deren sich in seinen Schriften viele fänden, nicht bloß bedingungsweise mit „Wenn ich etwa“ widerrufen müssen; seine Ernennung zum Bischof würde für die katholische Kirche eine Calamität sein, die Aftermystiker würden darüber triumphiren, alle Gutgesinnten trauern u. s. w. S. wurde jedoch im October 1821 zum Domherrn in Regensburg ernannt und am 27. September 1822 von Pius VII. als Titularbischof von Germanicopolis und Coadjutor des achtzigjährigen Bischofs Joh. Nepomuk v. Wolf von Regensburg [190] mit dem Rechte der Nachfolge präconisirt und am 28. October im Dome zu Regensburg consecrirt. Er äußerte später einmal, der Kronprinz habe für ihn die Hügel in München und die Berge in Rom geebnet.

Der Bischof Wolf ernannte S. auch zu seinem Generalvicar; 1825 wurde er auch Dompropst. Seine Wirksamkeit war aber, solange der Bischof Wolf lebte, der, obschon seit Jahren bettlägerig, an Resignation nicht dachte, noch sehr eingeschränkt (sein Einkommen betrug 6000 Gulden). Einen größeren Einfluß gewann er, als 1825 Ludwig I. König wurde. Dieser verlieh ihm 1826 auch den Civil-Verdienst-Orden der bairischen Krone; seitdem hieß er J. M. von S. Er überließ ihm auch das zwei Stunden von Regensburg entfernte Schloß Barbing zum Landsitze. Das ihm von dem König angebotene Bisthum Passau lehnte er ab. Am 23. August 1829 starb der Bischof Wolf im 87. Lebensjahre, und am 28. October wurde S., 78 Jahre alt und eben von einer schweren Krankheit genesen, als Bischof von Regensburg inthronisirt. Sein Weihbischof und Generalvicar wurde sein langjähriger Freund Michael Wittmann. Melchior Diepenbrock, den S. am 27. December 1823 zum Priester geweiht hatte, war seitdem sein Secretär und Hausgenosse. Durch ihn ließ er den Hirtenbrief verfassen, welchen er nach seiner Inthronisation veröffentlichte. Auch sein letzter Hirtenbrief vom 15. April 1832 (Werke 39, 485) ist von Diepenbrock verfaßt. Seit 1826 war auch Karl Proske (s. A. D. B. XXVI, 666) sein Hausgenosse und zugleich sein Arzt. – Im Herbst 1824 machte S. seine letzte Reise in die Schweiz, im Herbst 1827 die letzte Reise an den Rhein. An seinem 80. Geburtstage, 17. November 1831, erhielt er von dem König das Großkreuz des Kronenordens mit einem freundlichen Glückwunschschreiben. Die letzten Lebensjahre wurden S. durch einen Conflict mit der Regierung verbittert. Er bezw. sein Generalvicar Wittmann weigerte sich, die Weisungen zu befolgen, welche durch ein königliches Rescript vom 16. Juni 1830 und durch einen Erlaß des Ministers Fürst Wallerstein vom 30. Januar 1832 den katholischen Geistlichen über ihr Verhalten bei gemischten Ehen gegeben wurden. Da die bairischen Bischöfe in dieser Frage nicht einig waren, hielt S. es für nöthig, sie dem Papste vorzutragen. Am 15. Mai 1832, fünf Tage vor seinem Tode, schrieb er dem Könige, er halte es für seine heiligste Amtspflicht, die Entscheidung des kirchlichen Oberhauptes abzuwarten. Die Sache wurde erst 1834 geregelt.

Am 23. Mai 1832 wurde Sailer’s Leiche im Regensburger Dome bestattet. Wittmann hielt dabei eine kurze Ansprache. „Sailer, sagte er, hat durch seine zahlreichen Schriften ganz Deutschland erbaut. Auf der Universität hat er viele hundert Jünglinge zu einem christlichen Lebenswandel gebildet, nicht nur im Hörsaale, sondern auch in Privatunterredungen auf seinem Zimmer. Unser geliebter König hat ihn beharrlich als seinen Lehrer dankbar geehrt. Große Männer geistlichen und weltlichen Standes in Baiern, Oesterreich, Württemberg und Baden, in der Schweiz und in den preußischen Ländern hat er gebildet. Als Bischof hat er das ganze Bisthum visitirt auf abgelegenen und oft sehr beschwerlichen Wegen. Er hat geistliche Versammlungen in der Diöcese angeordnet und hier selbst gehalten. Er hat strenge Wachsamkeit über die Geistlichen durch vierteljährlich von den Decanen und Pfarrern einzusendende Sittenzeugnisse eingeführt. Seine Lebensweise war still und einsam; als Jesuitennovize hat er sie angefangen und bis zu seinem Ende fortgesetzt. Aus Liebe zum klösterlichen Leben hat er das meiste zur Wiederherstellung des (Benedictiner-) Klosters Metten mitgewirkt, und für ein stilles, einsames Leben der angehenden Diöcesan-Geistlichkeit hat er von dem höchstseligen Könige das Stift Obermünster mit Kirche und Garten erlangt. Seine Verdienste werden für Regensburg noch lange bleiben.“ Als König Ludwig am 1. Juli nach Regensburg [191] kam, ließ er sich an Sailer’s Grab führen. Er rief aus: „Hier ruht der größte Bischof von Deutschland“, sagte dann zu Schenk: „Mir ist ein Schutzgeist gestorben“, und zu Wittmann: „Sie sind Sailer’s Freund gewesen; Sie sollen auch sein Nachfolger sein; ich weiß keinen würdigeren.“ Wittmann starb aber, ehe er in Rom präconisirt war, am 8. März 1833. Darauf wurde einer der ältesten Schüler Sailer’s, Franz Xaver Schwäbl, Bischof von Regensburg, nach dessen Tode 1841 Valentin Riedel (s. A. D. B. XXVIII, 526). Bei seiner Eidesleistung sagte König Ludwig zu ihm: „Sie haben drei würdige, ausgezeichnete Vorgänger. Daß Sie vorzüglich S. nachahmen, wünsche ich. Er war wahrhaft apostolischen Geistes. … Ich wiederhole es: S. sei Ihnen Vorbild. Obgleich er jetzt in den Staub gezogen wird, war doch gerade in ihm der wahre christliche Sinn und wirkte das Gute.“ Unter dem 2. October 1841 schrieb dann der Minister Abel an die Bischöfe: „Es ist Befehl des Königs, die sämmtlichen Bischöfe darauf aufmerksam zu machen, wie auch in kirchlichen Sachen jedes Uebertreiben den Keim des Todes in sich trage und daß im Geiste Sailer’s, dem echt apostolischen, die jungen Geistlichen gelehrt und erzogen werden sollen.“ Am 2. September 1837 wurde das Grabdenkmal, welches König Ludwig durch den Bildhauer Konrad Eberhard hatte errichten lassen, feierlich eingesegnet.

Im J. 1830 erschienen die ersten Bände von Sailer’s „Sämmtlichen Werken, unter Anleitung des Verfassers herausgegeben von Joseph Widmer“. Erst 1841 erschien der 40. und letzte Band. (Das beste chronologische Verzeichniß der einzelnen Schriften, bis 1820, steht in Mastiaux’ Litteraturzeitung 1820, Nr. 78, danach, vervollständigt, bei de Backer.) Die ersten sieben Bände sind als „philosophische Abtheilung“ bezeichnet. Sie enthalten die „Vernunftlehre“ (zuerst 1785 in 2, dann 1795 in 3 Bänden), die „Glückseligkeitslehre“ (1787–91, 2. Aufl. 1793) und die „Pädagogik“ (1807). Jacobi hat S. den Philosophen Gottes genannt. Ein eigentlicher Philosoph war er nicht. „Er band sich, sagt K. Werner (S. 327), in seinen Auseinandersetzungen nicht strenge an eine philosophische Schule, sondern war bemüht, das beste dessen, was sich ihm von verschiedenen Seiten darbot, zweckdienlich zu verwerthen. Förderung der christlichen Erkenntniß war ihm der Hauptzweck; philosophische Bildung schätzte er als Vehikel zur Vorbereitung und Verwirklichung dieses Zweckes; der Werth der einzelnen Philosopheme bestimmte sich ihm nach dem Grade der Annäherung und Verwandtschaft mit der christlichen Anschauungsweise.“ Am werthvollsten sind das „Handbuch der christlichen Moral“ (Werke Bd. 13–15) und die „Vorlesungen aus der Pastoraltheologie“ (Bd. 16–18, dazu die „Beiträge zur Bildung des Geistlichen“, Bd. 19, 20). Beide waren für ihre Zeit bedeutend, ja epochemachend, sind aber dann durch bessere Leistungen derselben Richtung (von Hirscher bezw. Amberger) überholt worden. Außer dem Gebetbuche und den zahlreichen Predigten und anderen bereits genannten Werken sind noch zu nennen einige Biographieen von Freunden, die aber meist weniger geschichtliche Darstellungen, als Beiträge zur Pastoraltheologie sind, und „Die Weisheit auf der Gasse oder Sinn und Geist deutscher Sprüchwörter“ (Werke Bd. 40, zuerst 1810, zuletzt 1843). Diepenbrock sagt von S.: „Er war im persönlichen Umgange viel geistreicher und genialer, als er in seinen Schriften erscheint. Er hatte es sich, wie er mir sagte, von Anfang an für seine schriftstellerischen Arbeiten zum Gesetze und Ziele gemacht, zu nützen, nicht zu glänzen, also vor allem und für alle verständlich zu sein. Daher schrieb er mit breitem Kiele.“ Der Bischof Riccabona von Passau äußerte einmal: „Man thut diesem um die katholische Kirche so hoch verdienten Manne großes Unrecht, indem man die Zeitumstände, unter denen er auftrat, lehrte und wirkte, nicht kennt oder nicht erwägt. Man scheint gar nicht zu begreifen, daß seine Lehrmethode für [192] jene Zeit die allein rechte war, und daß er nicht nur nichts Gutes angerichtet, sondern mehr geschadet als genützt hätte, wenn er anders, als er gethan, würde gelehrt und gewirkt haben.“ Und M. Jocham, der diese Aeußerung mittheilt (S. 70), sagt: „Ist man seit dem Beginne des Jahrhunderts auch in manchen Stücken vorwärts gekommen, so dürfen wir uns doch nie einbilden, wir seien über die Männer der Sailer’schen Schule hinweggeschritten, solange wir nicht einen Clerus aufweisen können, der an Seeleneifer, an Innigkeit, an sittlichem Ernst, an innerer Wahrheit und Lauterkeit und an werkthätiger Nächstenliebe denselben gleich gekommen ist“ (S. 14). – S. wird auch von protestantischen Theologen anerkennend beurtheilt. H. Schmid sagt in der Darstellung der theologischen Richtungen in der katholischen Kirche am Ende des vorigen und im Anfange dieses Jahrhunderts: „Die schönste und edelste Erscheinung in dieser Zeit ist J. M. S. mit seiner Schule. Man fühlt sich wie auf einer frischen Oase, wenn man bei dieser Erscheinung angelangt ist“ (S. 257). Auch die modernen Ultramontanen sprechen anerkennend von Sailer’s Charakter und Wirksamkeit. Als der Redemtorist Haringer in seiner Biographie Cl. M. Hofbauer’s (1877, 2. Aufl. 1880) dessen ungerechtes Urtheil über S. zu begründen versuchte, ihn zu den gewöhnlichen Aufklärern zählte und sogar behauptete, er habe sich ohne Scheu zu dem niedrigsten Deismus bekannt, wurde er zuerst von J. N. Ringseis (Hist.-pol. Bl. 82, 581), dann im Mainzer „Katholiken“ (1878, I, 327), endlich sogar von einem Jesuiten (M. Aymans in den „Stimmen aus M. Laach“ 19, 118) scharf zurechtgewiesen.

J. M. Sailer’s kurzgefaßte Biographie, von ihm selbst geschrieben 1819, in Waitzenegger’s Gelehrtenlexikon II, 191 und in Sailer’s Werken 39, 257. – Neuere Biographieen von Fr. W. Bodemann, 1856, G. Aichinger, 1865, J. A. Meßmer, 1876. – E. v. Schenk, Charitas. Festgabe für 1838, S. 251 (Die Bischöfe J. M. v. S. und G. M. Wittmann; S. 321 Briefe von S.). – M. v. Diepenbrock, Geistlicher Blumenstrauß, 3. Aufl. 1854, S. IX (Erinnerung an S., geschrieben 1852). – (J. Salat) Auch etwas von den neuen Aussichten der Aufklärung in Baiern, in den Annalen der leidenden Menschheit, 9. Heft, 1801. – J. Salat, Denkwürdigkeiten betr. den Gang der Wissenschaft und Aufklärung im südlichen Deutschland, 1823. – Chr. v. Schmid, Erinnerungen aus meinem Leben, 1853. – J. N. Ringseis, Erinnerungen, 1886 (vorher in den Hist.-pol. Bl., Bd. 76, 77, 79). – M. Jocham, Dr. Alois Buchner. Ein Lebensbild zur Verständigung über J. M. Sailer’s Priesterschule, 1870. – A. Lütolf, J. L. Schiffmann. Ein Beitrag zur Charakteristik Sailer’s und seiner Schule in der Schweiz, 1860. – J. H. Reinkens, M. v. Diepenbrock, 1881, S. 20 ff; – K. Werner, Geschichte der katholischen Theologie S. 205 ff. – H. Schmid, Geschichte der katholischen Kirche, 1874. S. 257. – Fr. Nielsen, Aus dem inneren Leben der katholischen Kirche, 1882, I, 287.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: XI, 141