ADB:Hirscher, Johann Baptist von

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Artikel „Hirscher, Johann Baptist“ von Anton Lutterbeck in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 12 (1880), S. 470–472, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Hirscher,_Johann_Baptist_von&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 09:39 Uhr UTC)
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Hirscher: Johann Baptist H., nächst Möhler der berühmteste und wirksamste katholische Theolog in neuerer Zeit, geb. 1788 in Alt-Ergarten im Würtemb. O. A. Ravensburg, seit 1812 Repetent an der theologischen Facultät und dem [471] Seminar zu Ellwangen, seit 1817 Professor der christlichen Moral in der katholisch-theologischen Fakultät in Tübingen und seit 1837 Professor der Moral und Religionslehre in Freiburg, auch 1840 Mitglied des erzbischöflichen Domcapitels und 1850 Decan desselben, † am 5. September 1865; erwarb seinen Namen vornehmlich durch zwei Schriften: „Die christliche Moral als Lehre von der Verwirklichung des göttlichen Reiches in der Menschheit“, 3 Bde. 1835–36, 5. Aufl. 1850–51, und „Die kirchlichen Zustände der Gegenwart“, 1849. Sehr verwandt mit der ersteren, die dadurch gewissermaßen verbreitet wurde, war auch seine „Katechetik“, 1831, 4. Aufl. 1840, die zu ihrem Gefolge auch einen Katechismus hatte. Seine übrigen Schriften behandelten einzelne Theile des Cultus, meistentheils in erbaulichem Sinne, mehrfach auch Polemisches enthaltend, nämlich sein „Büchlein über die Messe“, 1822 (lat., später ins Deutsche übersetzt von K. F. Diepold, 1838); „Ueber das Verhältniß des Evangeliums zu der theologischen Scholastik unserer Zeit“, 1823; „Ansichten von dem Jubiläum“, 1826, 2. Aufl. u. d. T. „Die katholische Lehre vom Ablaß“, 1829, 5. Aufl. 1841; „Betrachtungen über die sämmtlichen Evangelien der Fasten“, 1829, 7. Aufl. 1843; „Betrachtungen über die sämmtlichen Evangelien des Kirchenjahres“, 1837, 4. Aufl. 1844; „Die Geschichte des Lebens Jesu Christi“, 3. Aufl. 1840. Schon die vielen Auflagen, welche die meisten dieser Bücher erlebten, zeigen, welch guten Anklang sie in dem Leserkreis fanden, für den sie bestimmt waren. Wie alle Bücher, hatte er auch seine Moral für gebildete Leser geschrieben, nicht für Gelehrte, und auch nicht eigentlich für Studirende, obwol er dafür sorgte, daß diese doch ein vollständiges Handbuch der christlichen Moral, wie sie es für ihre näheren Zwecke bedurften, in die Hände bekamen. Ihm war es vor Allem um Einheit der Darstellung und organische Gliederung des Ganzen zu thun, weniger um haarscharfe Sonderung und Aufzählung alles Einzelnen. Viele Eintheilungen, die sich in anderen Handbüchern fanden, z. B. zwischen allgemeiner Moral und besonderer oder angewandter Moral, zwischen Moral und Ascetik etc. fielen hier ganz weg; ebenso auch jede Erörterung von speciellen Streitfragen, jede Casuistik, jede specielle Aufzählung und Definition von Pflichten, Tugenden und Lastern; es war ihm genug zu zeigen, was Tugend und Laster, Gutes und Böses überhaupt und in ihrer Steigerung wie allmählichen Ueberwindung sei, indem er Alles in seiner lebendigen Einheit und Entwickelung zeigte, und dabei die Dreiheit: Anfang, Mitte und Ende zu Grunde legte. Er handelte nämlich zuerst von der Idee des Reiches Gottes und dann von seiner Verwirklichung in der Menschheit, wobei er zwei Stufen unterschied, das Werden und die Vollendung. Er knüpft dabei die Moral enge an die Dogmatik an, indem er sie überhaupt nur als umgewandte Dogmatik bezeichnete. Er schilderte das christliche Leben, indem er zugleich sich ganz in seiner Confession hielt, aber ohne Polemik und ohne Hervorhebung irgend einer schroffen Seite. Dadurch erreichte er im Ganzen den Eindruck der Erhabenheit, den sein Buch auf die Leser machte, jedoch so, daß man freilich manche besondere Belehrung, die man in einer Moral etwa zu finden hofft, vermißt, nicht als ob sie in seinen Gedanken etwa gefehlt, sondern als ob er sie vielmehr absichtlich verschwiegen habe. In seinen Principien nämlich liegt offenbar viel mehr, als er in seinen Folgerungen deutlich ausgesprochen hat. – Gewissermaßen das Gegentheil oder vielmehr die Ergänzung seiner Moral liegt in seinem anderen Buche, den kirchlichen Zuständen der Gegenwart. Er trägt hier die Wünsche vor, die Deutschland zur Zeit vornehmlich an die römische Hierarchie gestellt hat, mit einer Offenheit und Schärfe, die nichts zu wünschen übrig läßt. Dies machte großes Aufsehen und gewann dem Buche in einem Theile der Leserwelt große Beliebtheit, in einem Theile aber großen Haß und drohte dem Verfasser, der eben damals Domvicar[1] werden sollte, [472] noch persönliche Unannehmlichkeiten zu bereiten. Diese wurden jedoch alsbald beschwichtigt durch eine Erklärung des Verfassers, welche fast wie ein Widerruf aussah und jedenfalls so aufgefaßt wurde, dieses aber in der That weder war noch sein sollte, vielmehr die Bedingung, unter der sie ausgesprochen wurde, deutlich genug enthielt. In Privatgesprächen berief er sich auf die zwanzig Jahre nach ihm, dann werde man sehen, daß er wahr gesprochen habe. Und so war es wirklich.[2]

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 471. Z. 1 v. u. l.: Domdecan (st. Domvicar). [Bd. 13, S. 794]
  2. S. 472. Z. 7 v. o.: Vgl. J. B. v. Hirscher’s nachgelassene kleinere Schriften. Mit biographischen Notizen [und einem Verzeichniß von Hirscher’s Werken] von H. Rolfus, 1868. Ein ausführlicherer Nekrolog von Mack in der Tübinger Theol. Quartalschr. 1866, S. 298. [Bd. 13, S. 794]