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Artikel „Gügler, Jos. Heinr. Alois“ von Karl Werner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 10 (1879), S. 95–99, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:G%C3%BCgler,_Alois&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 13:49 Uhr UTC)
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Gügler: Jos. Heinr. Alois G., geb. am 25. August 1782, † am 28. Februar 1827, einer der sinnigsten Vertreter eines wissenschaftlich-speculativen Katholicismus in der deutschen theologischen Litteratur. Er wurde als der Sohn eines schlichten Landmannes zu Udligenschwyl, einem Pfarrdorfe im Canton Luzern, geboren. Von zarter, schwächlicher Constitution zeigte er bereits in seiner frühesten Jugend jenes schüchterne, stillsinnig in sich gekehrte Wesen, welches ihm lebenslang anhing; ohne geregelten Schulunterricht im elterlichen Hause aufwachsend wurde er, so zu sagen, zunächst selber sein eigener Lehrer und unterrichtete sich aus den Hausbüchern seines Vaters, unter welchen eine deutsche Bibel die erste Stelle einnahm. Auf sein dringendes Verlangen wurde er in seinem 13. Lebensjahre in das Kloster Einsiedeln gebracht, um daselbst die lateinischen Studien zu beginnen, die er nach vierjährigem Aufenthalte daselbst [96] im Kloster Petershausen bei Constanz weiter fortsetzte. Die Klosterschule in Einsiedeln hatte sich wegen der dazumal die Schweiz durchzitternden Revolutionsstürme zeitweilig aufgelöst; in Petershausen wurde die Stille der klösterlichen Studien öfter als einmal durch die zeitweilig in jene Gegenden verlegten Kämpfe zwischen Franzosen und Oesterreichern unterbrochen. Nach beendeter Gymnasiallehrzeit sollte er die Philosophica studiren. Er trat diese Studien im Spätherbst 1801 zu Solothurn an; schwere Erkrankung nöthigte ihn Solothurn zu verlassen; von seiner Krankheit wiederhergestellt setzte er die unterbrochenen Studien in dem seinem Vaterorte näher gelegenen Luzern fort, wo er durch den Professor P. Emeran Geiger aus dem Franziscanerorden mit der Kant’schen Philosophie bekannt gemacht wurde. Früher, während seines Aufenthaltes in Petershausen, hatte sich bereits sein sinniges Denken und Gemüth an der poetischen Litteratur Deutschlands gesonnt, während er nebenher niemals abgelassen hatte, sich eifrigst mit der Lectüre der Bibel zu beschäftigen. Auf diese Art schien er hinlänglich zum Antritte des Universitätsstudiums vorbereitet zu sein. Für die Wahl des Ortes seiner weiteren Fortbildung war der Einfluß seines Studiengenossen und Jugendfreundes Jos. Widmer entscheidend, welcher ihn für das Vorhaben gewann, gemeinsam in Landshut bei Zimmer und Sailer Theologie zu hören. Die beiden Jünglinge waren nicht die ersten Schweizer, welche Sailer aufsuchten; Sailer’s Ruf hatte sich schon während seiner Lehrthätigkeit in Dillingen weit verbreitet und namentlich die katholischen Schweizer, für welche er eine ausgesprochene Vorliebe hegte, zu ihm hingezogen. Durch Zimmer wurde G. mit der Schelling’schen Philosophie und mit der Verwerthung derselben für die Zwecke christlich-theologischer Speculation vertraut gemacht; durch Sailer aber wurde er angeleitet, daß Christliche als die lebendige Form des inneren Denk- und Gemüthslebens zu erfassen, und zwar mit einer Tiefe und Innerlichkeit, deren überraschende Proben in den von Gügler’s Biographen Schiffmann (siehe unten am Schlusse des Artikels) gesammelten Studienblättern aus Gügler’s Universitätszeit (1802–4) von seinem Eifer und sittlichen Ernste nicht minder, als von dem anregenden Einflusse der drei Lehrer Sailer, Zimmer, Socher das rühmlichste Zeugniß ablegen. Im Herbste des J. 1804 kehrten G. und Widmer in ihre Heimath zurück; der Constanzer Generalvicar v. Wessenberg, welchem beide durch Sailer auf das Beste empfohlen worden waren, nahm sie huldreichst auf und ertheilte ihnen die priesterlichen Weihen. G., dem das kanonisch erforderliche Alter zum Empfange der Presbyteratsweihe fehlte, wurde zunächst zum Diacon und erst einige Monate später zu Luzern durch den päpstlichen Nuntius Testa Ferrata zum Priester geweiht; ebenso trat er auch um ein Jahr später, als sein Freund Widmer in die Ausübung des theologischen Lehramtes zu Luzern ein, wozu Beide sofort nach Beendigung ihrer Universitätsstudien bestimmt worden waren. Widmer hatte das Lehrfach der Dogmatik, G. jenes der biblischen Exegese (seit Anfang des J. 1805) zu übernehmen, wozu später noch jenes der Pastoral kam. Im J. 1816 wurden G. und Widmer unter Beibehaltung ihrer bisher ausgeübten Lehrämter am Lyzeum zu Luzern zu Chorherren am Collegiatstifte St. Leodegar in Luzern ernannt. G. verwaltete auch einige Zeit das Amt eines Lycealpräfecten (1822 bis 1824), welches ihm aber auf sein dringendes Bitten wieder abgenommen wurde. So beschränkte sich die amtliche Thätigkeit Gügler’s ausschließlich auf das Lehramt, welchem eine emsige litterarische Thätigkeit zur Seite ging. In diesem scheinbar so still in sich abgeschlossenen Stillleben fehlte es indeß nicht an einigen, die kleine Luzerner Welt ziemlich tief aufregenden Kämpfen und Fehden. Eine solche Fehde war jene mit dem Luzerner Stadtpfarrer Thaddäus Müller, der als bischöflicher Commissär in speciellen amtlichen Beziehungen zu den Luzerner Professoren der Theologie stand und als Superior des Luzerner [97] Priesterseminars Vorlesungen über Pastoraltheologie hielt, in welchen er nicht selten sein Nichteinverstandensein mit der Lehrweise und den Grundanschauungen Gügler’s zu erkennen gab. In der That hatte die von den neuen, zu Landshut gebildeten Professoren eingeschlagene Lehrweise hin und wieder Bedenken erweckt; G. namentlich trat, theilweise selber noch im Ringen nach einer weiteren Durchbildung seiner Ideen begriffen, als Vertreter eines idealen Katholicismus auf, dessen Anschauungen nach seinem Dafürhalten die in ihren älteren ausgelebten Darstellungsformen nicht mehr zeitgemäße kirchliche Theologie neu beleben sollten. Hierdurch trat G. nicht nur einem veralteten Scholasticismus, sondern auch den Männern der Wessenberg’schen Richtung entgegen, deren Ideal das geistliche Wirken für die Zwecke der Volksaufklärung war, womit der in Gügler’s und Widmer’s Lehrweise hervortretende Hang zu dem, was die Aufklärer von dazumal Mysticismus nannten, nicht zu harmoniren schien. Privatäußerungen Müller’s über Tendenz und Inhalt der von G. und Widmer in der Luzerner Stiftskirche gehaltenen Predigten thaten das Ihrige hinzu, den Gegensatz zu schärfen. G. ließ (a. 1809) eine dieser Predigten, mit einem verwahrenden Vor- und Nachwort versehen, im Drucke erscheinen. Müller faßte diese litterarische Publikation als eine gegen ihn gerichtete Demonstration auf und wurde noch ungehaltener, als G. im nächstfolgenden Jahre in der „Oberdeutschen Litteraturzeitung“ Müller’s Schriften recensirte; er beschwerte sich in einer Gegenrecension, die er mit Zeugnissen Dalberg’s und Wessenberg’s für seine kirchliche Orthodoxie belegte, über Entstellung, Verdächtigung und Verdrehung, und brachte eine förmliche Klage wider G. vor das weltliche Gericht. Er erneuerte diese seine Klage, als in Aarau eine Schutzschrift für G. erschien, die er irrig für dessen eigene Arbeit hielt, und beantragte diesmal die Amtsentsetzung seines Gegners, die vom kleinen Rathe Luzerns auch wirklich verfügt wurde. In Folge dessen begehrte aber auch Widmer, der von seinem Freunde nicht lassen wollte, gleichfalls seine Amtsentlassung. – Hieraus erwuchs den Behörden keine geringe Verlegenheit; die Studirenden, deren Mehrzahl durch den Ruf der beiden Lehrer herbeigezogen worden war, wollten auswandern, die Mehrheit der Luzerner Bürgerschaft stellte sich auf die Seite der beiden Professoren. Unter diesen Umständen fand sich Müller bewogen, wieder einzulenken und beantragte Gügler’s Reactivirung, die auch erfolgte, worauf Widmer gleichfalls sein Entlassungsgesuch zurücknahm. Etwas später hatte G. einen Streit mit M. Lutz, Pfarrer in Leufelfingen, durchzufechten, welcher in mehreren Schriften die Personen und die Lehrweise der Luzerner Professoren angegriffen hatte; Gügler’s Entgegnung zeigte, daß es seiner litterarischen Muße gelegentlich auch an einer sarkastischen Ader nicht fehle, wie schon der Titel seiner Streitschrift zu erkennen gibt: „Chemische Analyse und Synthese des Marcus Lutz zu Leufelfingen“ (1816). Endlich wurde G. aus Anlaß einer von ihm im Namen mehrer anderer Lyceal- und Gymnasialprofessoren abgefaßten Denkschrift, welche für die Beibehaltung des am Gymnasium bisher bestandenen Unterrichtssystemes der Klassenlehrer statt des beantragten Systems der Fachlehrer bei der Regierung plaidirte und auch durchdrang, in einen Streit mit dem nachmals berühmt gewordenen Philosophen Troxler verwickelt, der die Anschauungen der Gegenpartei vertrat und im Namen des wissenschaftlichen Zeitfortschrittes vertheidigte. Es ist erklärlich, daß aus einer derartigen Anfassung der Sache eine Controversfrage von allgemeinerem Charakter und weiterem Umfange herauswuchs.

G. hat seine irdische Laufbahn früh vollendet, so daß es ihm nicht gegönnt war Alles zur litterarischen Reife zu bringen, was in seinem reichbegabten Geiste und Gemüthe lag. Es reichte indeß Dasjenige, was er wirklich leistete, vollkommen aus, ihn zu einer der anziehendsten und ganz eigenartigen Erscheinung auf dem Gebiete der neuzeitlichen katholischen Litteratur Deutschlands [98] zu machen. G. war durch Neigung und Beruf an das Studium der heiligen Schrift als Hauptaufgabe seiner Forsch- und Lehrthätigkeit gewiesen. Für eine eindringliche kritisch-philologische Behandlung der Bibelwissenschaft war, selbst wenn dies seiner Neigung und Begabung entsprochen hätte, in den ersten Dezennien unseres Jahrhunderts, während welcher er wirkte, die Zeit noch nicht gekommen; die Aufgabe konnte dazumal vielmehr nur diese sein, einer rationalistischen Verflachung und Verseichtigung der Auffassung und Behandlung der Bibel entgegenzuwirken und sie durch eine sinnestiefe, wahrhaft geistige Auslegung als das wahrhafte Wort des Lebens zu erweisen und zur Unterlage einer von lebensvollen Anschauungen durchdrungenen Theologie zu machen. Und hierin erwies sich G. als Meister. Mit dem vollen Gefühle für die ästhetischen Schönheiten der Bibel verband er ein ahndungsreiches, tiefsinniges Gemüth, welches ihn unter der Hülle des Buchstabens der Schrift die verborgenen Schätze einer wunderbaren Weisheit erahnden ließ, in welcher alle dem irdischen Zeitmenschen zugängliche Erkenntniß und Wissenschaft wurzelhaft enthalten sei. Daß in diesen geheimnißvollen Tiefen geborgene Wort des Lebens und der Wahrheit in das Licht eines geistigen Verständnisses zu erheben, erkannte er als die höchste Aufgabe alles menschlichen Forschens; er drang aber zugleich darauf, daß dieses Wort des Lebens und der Wahrheit in die Formen weltumfassender Gedanken gefaßt werde; eine tiefsinnige Philosophie und geistvolle Geschichtskunde müßten sich im Denken und Erkennen dessen durchdringen, welchem es gelingen soll, den Buchstaben der Bibel, Erzählung und Lehre derselben in ein lebendiges Wahrheitswort, in ein Wort der zum Menschen sprechenden ewigen Weisheit, in eine Kunde ewiger göttlicher Dinge umzusetzen. G. stand nicht jener umfassende Reichthum von wissenschaftlichen Kenntnissen mannigfaltigster Art zu Gebote, der ihn in den Stand gesetzt hätte, diesen ihn beseelenden Ideen eine Ausführung in der hierfür wünschenswerthen Weite des Umfanges und Einläßlichkeit der Behandlung zu geben. Seine tiefe Innerlichkeit blieb, wie sonst in seiner stillen Zurückgezogenheit, so auch in dieser Hinsicht mehr eine in sich verschlossene Welt; er war eine mehr contemplative als speculative Natur. Es gingen ihm in seinem Denken und Forschen wol die hellsten und leuchtendsten Gedanken und Bilder auf, in welchen sich ihm ein Himmel beseligender Anschauungen über seinem Haupte wölbte; aber das Erschaute in plastischen, greifbaren Formen in die lebendige Gegenwart der Zeit hineinzustellen, gelang ihm nur theilweise, am vollkommensten in seinem aus drei Bänden bestehenden Werke: „Die heilige Kunst, oder die Kunst der Hebräer“ (Bd. I 1814, Bd. II u. III 1817. 1818), welches man eben so sehr als eine Philosophie der Bibel, namentlich als eine philosophische Exposition der alttestamentlichen Offenbarungsidee, wie als eine vom offenbarungsgläubigen Standpunkte unternommene Darstellung einer Geschichtsphilosophie ansehen kann, obschon in letzterer Beziehung das Werk unvollendet blieb, indem G. nicht dazu kam, den Geistinhalt der neutestamentlichen Bücher in gleicher Weise durchzuarbeiten und in gerundeter abgeschlossener Form an’s Licht zu stellen. Was hierüber aus seinem Nachlasse veröffentlicht wurde, beschränkt sich auf fragmentarische Anläufe ohne die vollkommene innere Durcharbeitung des Stoffes und Hervorstellung der leitenden centralen Idee. In die Philosophie mündeten zuhöchst seine geistigen Bestrebungen ein. Dies bekundete eine nach dem Werke über die heilige Kunst erschienene zweite Schrift: „Ziffern der Sphinx oder Typen der Zeit und ihr Deuten auf die Zukunft“ (1819), in welcher es gänzlich und eigentlichst darauf abgesehen ist, die kosmischen Urgesetze und den gottgedachten Rhythmus der weltgeschichtlichen Bewegung bloßzulegen, deren Hauptmomente dem Leser in großen glänzenden Bildern und prophetischen Gesichtern vorgeführt werden. G. erlebte im letzten Jahre seines Lebens noch das Erscheinen des ersten [99] Bandes von Molitor’s Geschichte der Philosophie, der ihm wie aus der Seele geschrieben war und von ihm in der Kerz’schen Litteraturzeitung zur Anzeige gebracht wurde – wol die letzte seiner schriftstellerischen Arbeiten. Ueber ihn selbst erschien im Mainzer Katholiken, Jahrgang 1829 (Bd. XXXIV, S. 53–70, 196–216, 289–316) ein umfangreicher Aufsatz: „Ein Wort zur Beurtheilung der exegetischen Schriften Gügler’s und seines Wirkens“. Ein Verzeichniß seiner sämmtlichen gedruckten Schriften gibt der Thesaurus librorum rei catholicae (Würzburg 1850), Bd. I, S. 337 f. Einen Biographen hat G. gefunden an Jos. L. Schiffmann, Lebensgeschichte des Chorherrn und Professors Aloys Gügler, Augsburg 1833, 2 Bde.

Vgl. auch: Rede, gehalten bei der Trauerfeier zu Ehren A. Gügler’s, veranstaltet durch seine Schüler auf dem Gymnasialsaale, von C. Greith, Student der Theologie, Luzern 1827.