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Artikel „Molitor, Joseph Franz“ von Carl von Prantl in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 22 (1885), S. 108–110, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Molitor,_Joseph_Franz&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 18:42 Uhr UTC)
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Molitor: Joseph Franz M., geb. am 8. Juni 1779 in Ober-Ursel im Obertaunuskreis, † in Frankfurt a. M. am 23. März 1860, Sohn eines kurmainzischen Beamten, machte seine Vorbereitungsstudien in Bingen und Aschaffenburg und bezog dann (1797) die damalige Universität Mainz, von wo er 1799 nach Marburg überging. Ursprünglich zum Juristen bestimmt, gab er dieses Studium bald auf und beschäftigte sich mit Geschichte und Philosophie, d. h. hauptsächlich mit Kant, Reinhold, Fichte und Schelling. Von der damaligen Identitätsphilosophie des Letzteren begeistert, begann er gemeinschaftlich mit Kollmann die Herausgabe einer „Zeitschrift für eine künftig aufzustellende Rechtswissenschaft [109] nach dem Princip eines transscendentalen Realismus“ (1802), welche jedoch bald wieder einging; und nachdem Schelling durch seine Schrift über Philosophie und Religion (1804) seine bekannte höchst bedenkliche Wendung eingeschlagen hatte, durfte auch M. in seinen „Ideen zu einer künftigen Dynamik der Geschichte“ (1805) einen dunkleren Weg betreten, indem er forderte, daß mit der Schelling’schen Philosophie die Grundsätze eines Friedr. Schlegel und eines Görres verbunden werden sollen. Ebenso erklärlich ist es, daß auch die Theosophie Baader’s jenen Einfluß ausübte, welcher in zwei Schriften Molitor’s ersichtlich ist, nämlich „Ueber den Wendepunkt des Antiken und Modernen, ein Versuch, den Realismus mit dem Idealismus zu versöhnen“ (1805) und „Ueber die Philosophie der modernen Welt, eine Epistel an Geh. Rath Sinclair in Homburg“ (1806). Eben um diese Zeit stiftete der Fürst-Primas v. Dalberg in Frankfurt ein zur Hebung des Judenthums bestimmtes Philanthropinum und M. trat in die Vorstandschaft dieser Anstalt ein (1806), zog sich aber bald zu einer bloßen Lehrthätigkeit an derselben zurück, woneben er auch (seit 1806) am Gymnasium Fridericianum Unterricht in Geographie und Physik ertheilte. Durch das Philanthropinum hatte er Gelegenheit, sich mit mannigfachen Seiten des Judenthumes bekannt zu machen und der Einblick in die dort geübte Symbolik gab ihm die Veranlassung, in den Freimaurer-Orden einzutreten (1808). Als Dalberg in Frankfurt nach französischem Muster ein Lyceum einrichtete (1812), erhielt M. an demselben die Professur der Philosophie, wofür er seine Stelle am Friedrichsgymnasium aufgab, und da jenes Lyceum im J. 1814 wieder einging, bezog er eine bleibende Pension, durch welche zusammen mit dem Ertrage verschiedenen Privatunterrichtes der Nothdurft des Lebens genügt war. Unterdessen hatte er (1813) einen in Offenbach lebenden Juden Metz kennen gelernt, welcher ihn auf die Kabbalah hinwies, und hiermit war seiner ganzen folgenden Thätigkeit Richtung und Gegenstand gegeben; er überwand mit hingebendstem Fleiße die Schwierigkeit der Erlernung des Hebräischen und Aramäischen, eignete sich den Inhalt des Talmud an und beschäftigte sich dann hauptsächlich mit dem Buche Sohar. Das erklärliche Ergebniß in Folge seiner ganzen Geistesrichtung war, daß er nunmehr mit vollen Zügen aus einer mystischen Theosophie schöpfte, mittelst deren er Kabbalah und Christenthum in wechselseitige Verbindung setzte, wobei ihm neben der späteren Richtung Schelling’s und den Anschauungen Baader’s auch die theosophischen Gedanken Eschenmayer’s, Schubert’s Just. Kerner’s dienstbaren Stoff boten. Als Frucht mehrjähriger Arbeit veröffentlichte er 1824 den ersten Band eines schließlich unvollendet gebliebenen Bandwurmes, betitelt „Philosophie der Geschichte oder über die Tradition“, worin er in einer nicht sehr genießbaren Darstellugsweise über den Inhalt und Werth der mündlichen Ueberlieferung bei den Hebräern handelte. Bei Leuten einer bestimmten Richtung erweckte er durch dieses Buch warmes Interesse und so konnte er bald die angenehme Erfahrung machen, daß ihm durch Christian VIII., durch den Großfürsten Constantin und durch den König Ludwig von Baiern Unterstützungen zuflossen, so daß er jetzt die Lehrstelle am Philanthropinum aufgab. Ja allmählich wurde seine Wohnung der Sammelpunkt für hoch oder nieder gestellte Dilettanten der Philosophie (auch Frauen), welche gerne mit dem liebenswürdigen Theosophen über höchste Fragen der Menschheit plauderten. Im J. 1834 folgte der zweite Band des Werkes, welcher einen Abriß des kabbalistischen Systemes und den Hinweis auf die Nothwendigkeit einer göttlichen Offenbarung enthält, hierauf 1839 der dritte, in welchem zunächst im Allgemeinen über Heidenthum, Judenthum und Christenthum, dann insbesondere über die jüdische Lehre von der Unreinheit und zuletzt über Reinheit und Versöhnung gesprochen wird; sodann 1853 erschien eine gänzlich umgearbeitete [110] zweite Auflage des ersten Bandes und gleichzeitig eine erste Abtheilung des vierten Bandes, worin die Bedeutung erörtert wird, welche die Kabbalah für das Christenthum habe. Der Rest und ein beabsichtigter fünfter Band hätten die Darstellung der ganzen Kabbalah selbst enthalten sollen. Der Grundgedanke des Werkes, welcher seine polemische Seite in der Bekämpfung des Pantheismus, des Atheismus und des Materialismus findet, beruht auf der Annahme, daß in der Kabbalah eine höhere Mystik liege, mit welcher die jetzt geforderte Philosophie des Christenthums zusammentreffen müsse, da eben letzteres nur ein mystisch verklärtes Judenthum sei.

Allgem. Zeitung. 1860, 21. April, Beilage. J. E. Erdmann, Grundriß d. Gesch. d. Philos., 3. Aufl., Bd. II, S. 506 f.