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Artikel „Christian VIII.“ von Karl Lorentzen in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 4 (1876), S. 195–205, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Christian_VIII.&oldid=- (Version vom 19. März 2024, 09:03 Uhr UTC)
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Christian VIII., König von Dänemark, regierte 1839–1848, geb. zu Kopenhagen 18. Sept. 1786, † ebendaselbst 20. Jan. 1848. Als Prinz hieß er Ch. Friedrich. Er war ein Sohn des Erbprinzen Friedrich und der Prinzessin Sophie Friederike von Mecklenburg-Schwerin. Sein Vater war der Stiefbruder des Königs Christian VII., ein Sohn des Königs Friedrich V. aus dessen zweiter Ehe mit der Königin Juliane Marie. Der Erbprinz und seine Mutter hatten bis 1784 anstatt des geistesschwachen Königs die gesammte Regierungsgewalt in Händen gehabt. Im J. 1784 bemächtigte sich des Königs Sohn, der Kronprinz Friedrich (nachmals König Friedrich VI.), der Herrschaft, verdrängte den Erbprinzen Friedrich und dessen Mutter und führte seitdem als Regent die Regierung. Die natürliche Folge war, daß zwischen dem Hause des Erbprinzen Friedrich und dem Kronprinzen ein gespanntes Verhältniß bestand, und daß also auch der junge Prinz Ch. Friedrich dem Kronprinzen ziemlich entfremdet blieb. Unter der Oberleitung Guldberg’s, welcher früher der Erzieher des Erbprinzen und dann bis 1784 dessen leitender Minister gewesen war, erhielt der junge Prinz eine sorgfältige, aber einseitig dänische Erziehung, zuerst durch den Philologen Niels Iversen Schow, später durch den Naturforscher Hans Severin Holten. Letzterer wußte in dem Prinzen ein lebhaftes Interesse für die Naturwissenschaften [196] zu erwecken, welches derselbe durch sein ganzes Leben behielt. Ueberhaupt entwickelten sich die geistigen Fähigkeiten des Prinzen rasch und glücklich; er erwarb sich früh eine gewisse allgemeine Bildung. Neben den Naturwissenschaften waren es besonders die bildenden Künste und überhaupt ästhetische Dinge, mit denen er sich gern und eingehend beschäftigte. Auch durch elegante Formen zeichnete der heranwachsende Prinz sich aus, und als junger Mann war er ein Liebling der Kopenhagener vornehmen Gesellschaft. Den Staatsgeschäften blieb er noch fortwährend fern; abgesehen von der ursprünglichen Spannung der beiden Familien war dem strengen militärischen Kronprinzen der elegante ästhetisirende Vetter wenig sympathisch.

Im J. 1805 starb der Erbprinz Friedrich und der junge Prinz Ch. war nunmehr selbständig. Bei Gelegenheit eines Besuchs bei seinen Verwandten mütterlicher Seite in Schwerin entspann sich ein Verhältniß zu der Prinzessin Charlotte Friederike von Mecklenburg-Schwerin, mit der er sich 1806 vermählte, und die ihm 1808 einen Sohn, den nachmaligen König Friedrich VII., gebar. Aber schon 1809 ward er von der Prinzessin geschieden, weil diese in flagranter Weise die eheliche Treue verletzte. Seinem Stande gemäß ward der Prinz zum Chef eines Regiments ernannt. Aber mehr als die Theilnahme an militärischen Uebungen entsprach es seinem Geschmack, daß er als Präsident an die Spitze der Akademie der schönen Künste gestellt ward. Diesen Posten hat er 30 Jahre lang bekleidet und bei seinem ausgebildeten Kunstsinn hat er sich um die Pflege und Förderung der bildenden Künste große Verdienste erworben.

In Norwegen, welches sich in vielen Punkten gegen Dänemark zurückgesetzt glaubte und deshalb mannigfache Beschwerden erhob, war unter anderem auch der Wunsch laut geworden, daß eine norwegische Universität in Christiania errichtet werden möge. Dies unterstützte Prinz Ch. mit Lebhaftigkeit, und er erreichte es, daß König Friedrich VI. 1811 die Erfüllung dieses Wunsches zusagte. Hierdurch zuerst gewann der Prinz sich die Zuneigung der Norweger. Inzwischen wurden in Folge der allgemeinen europäischen Ereignisse die Verhältnisse Norwegens mehr und mehr verwickelt. Schon 1812 hatte der schwedische Kronprinz Karl Johann (Bernadotte) mit dem Kaiser Alexander von Rußland zu Abo einen geheimen Vertrag geschlossen, worin Schweden der Allianz gegen Napoleon beizutreten und auf die Wiedererlangung Finnlands zu verzichten versprach. Als Gegendienst versprach Rußland, die Abtretung Norwegens von Dänemark an Schweden zu bewirken. Auch England hatte im März 1813 versprochen, daß es, wenn Schweden der Allianz gegen Frankreich beitrete, zur Erwerbung Norwegens mitwirken wolle. Für Dänemark eröffnete sich noch eine Chance, als im März 1813 Fürst Dolgorucky als Abgesandter aus dem Hauptquartier von Kalisch in Kopenhagen erschien und Dänemark aufforderte, sich der allgemeinen Coalition gegen Napoleon anzuschließen. Aber König Friedrich VI. zögerte, während Bernadotte auf die Erfüllung der gemachten Zusagen drang. So ward die Stellung der skandinavischen Staaten zu dem großen Kriege entschieden. Schweden trat in das große Bündniß gegen Frankreich ein, Dänemark blieb mit dem Kaiser Napoleon und seinen Geschicken verflochten.

Unter solchen Umständen schien es nothwendig, einen dem Throne nahestehenden und in Norwegen populären Prinzen als Statthalter in dieses Land zu senden. Zu dieser schwierigen Mission wurde Prinz Ch. ausersehen. Nicht ohne Gefahr, da die dänischen und norwegischen Küsten rings von englischen Kreuzern umschwärmt waren, machte der Prinz als Matrose verkleidet die Ueberfahrt, und landete in Norwegen am 21. Mai 1813. Er übernahm sogleich durch eine von Christiania aus erlassene Proclamation die Regierung. Die Lage Norwegens war damals sehr bedrängt. Durch englische Kriegsschiffe waren die [197] Häfen strenge blokirt, Handel und Verkehr waren gehemmt und alle Nahrungszweige stockten. Dazu kam, daß in Folge von schlechten Ernten ein großer Getreidemangel bestand, und da durch die strenge Blokade die Kornzufuhr abgeschnitten war, so wurde die Noth schwer empfunden. Im Sommer 1813 machte Prinz Ch. eine Reise durch das Land, suchte den Muth und Patriotismus der Norweger zu beleben, und verstand es durch sein mildes und freundliches Wesen die Herzen des Volkes noch mehr für sich zu gewinnen. Inzwischen nahmen die europäischen Verhältnisse eine für Dänemark immer trübere Wendung. Bei Leipzig war der Glücksstern Napoleon’s erloschen und damit war auch der Verlust Norwegens für Dänemark entschieden. Nach der Schlacht bei Leipzig rückte Bernadotte mit einem aus Russen, Deutschen und Schweden bestehenden Heer nach Norden vor. Er drang in Holstein ein, ging bei Friedrichsstadt über die Eider und breitete sich auch in Schleswig aus. Einer solchen Uebermacht war Dänemark, dessen Hauptarmee überdies auf Fünen lag, nicht gewachsen. Nach dem für die dänischen Waffen nicht unrühmlichen Treffen bei Sehested am 10. Decbr. 1813 mußte König Friedrich VI. nachgeben und sich entschließen, in dem Kieler Frieden vom 14. Jan. 1814 Norwegen an Schweden abzutreten.

In Norwegen bestand nicht eben eine große Anhänglichkeit an Dänemark. Man hatte sich immer gegen das Schwesterland zurückgesetzt gefühlt. Aber noch viel weniger wünschte man dort eine Verschmelzung mit Schweden. Der freie norwegische Bauer hatte keine Lust, unter die Herrschaft der schwedischen Aristokratie zu kommen. Man wünschte vielmehr die Selbständigkeit Norwegens unter seiner eigenen Verfassung zu erlangen. In Prinz Ch. entstand unter diesen Umständen der Gedanke, sich der Ausführung des Kieler Friedens zu widersetzen, den Widerwillen der Norweger gegen die Verbindung mit Schweden zu benutzen und sich selbst an die Spitze des unabhängigen Norwegens zu stellen. Von Anfang an hatte er eine große Partei in Norwegen auf seiner Seite. Seine hauptsächlichsten norwegischen Rathgeber waren der Conferenzrath Anker und der Stiftsamtmann Thygeson. Aber es fehlte auch nicht an einer starken Gegenpartei, an deren Spitze der einflußreichste Mann des Landes, Graf Wedel-Jarlsberg, stand. Dieser hielt es für unausführbar, die Unabhängigkeit Norwegens gegen den Willen des vereinigten Europa durchzusetzen, und wollte deshalb lieber sich auf möglichst günstige Bedingungen mit Schweden vergleichen. Prinz Ch. hatte ursprünglich den Gedanken, daß, nachdem König Friedrich VI. die Krone Norwegens aufgegeben habe, er selbst als der nächste Erbberechtigte berufen sei, den Thron zu besteigen, und zwar als absoluter König nach den Bestimmungen des dänischen Königsgesetzes. Allein er sollte sich bald überzeugen, daß für diese Auffassung in Norwegen kein Anklang zu finden sei. Der Prinz hatte zum 16. Febr. eine Versammlung angesehener Vertrauensmänner nach Eidsvold berufen, um mit ihnen die Lage des Landes zu berathen. Hier wurde ihm von verschiedenen Seiten, namentlich von Professor Sverdrup die in Norwegen vorherrschende Auffassung klar gemacht. Diese ging dahin, daß durch die Thronentsagung Friedrichs VI. Norwegen sich selbst zurückgegeben sei, daß es nach dem Recht der freien Selbstbestimmung befugt sei, sich seine eigene Verfassung zu geben und die executive Gewalt demjenigen zu übertragen, welchen es für den Tauglichsten halte. Die Majorität der Vertrauensmänner stimmte dieser Auffassung bei, und der Prinz mußte sich entschließen, seinen mehr legitimistischen Standpunkt aufzugeben. In Uebereinstimmung mit den Ansichten der Vertrauensmänner übernahm der Prinz zunächst als Regent die Regierung des Landes, ernannte einen aus sechs Ministern bestehenden Staatsrath, und berief zum 10. April nach Eidsvold eine aus freien Wahlen hervorgegangene Versammlung, welche die künftige Verfassung Norwegens festsetzen sollte. Die Wahlen [198] wurden vorgenommen und zur festgesetzten Zeit trat die constituirende Reichsversammlung, aus 109 Mitgliedern bestehend, in Eidsvold zusammen. Die überwiegende Mehrheit war für die Unabhängigkeit Norwegens und man einigte sich bald über ein Verfassungsgesetz, welches die Regierung einem constitutionellen Könige, die gesetzgebende Gewalt aber und das Besteuerungsrecht einem aus Volksabgeordneten gebildeten Storthing übertrug. Am 16. Mai waren alle Paragraphen festgestellt. Am 17. Mai ward das beschlossene Grundgesetz von allen Abgeordneten unterzeichnet und an demselben Tage ward Prinz Ch. Friedrich zum König von Norwegen erwählt. Diesem war zwar die Verfassung mit ihren entschieden freisinnigen Grundsätzen, mit dem Ausschluß des Adels und mit dem nur suspensiven Veto nicht ganz genehm. Aber da die Krone um keinen anderen Preis zu haben war, so leistete er am 19. Mai in der Reichsversammlung den vorgeschriebenen Eid auf die Verfassung. Am 22. Mai hielt er einen feierlichen, etwas theatralischen Einzug in seine Hauptstadt Christiania.

Nun aber kam es darauf an, den neugeschaffenen Thron gegen den Einspruch der verbündeten europäischen Mächte und zunächst gegen den zu erwartenden Angriff Schwedens zu vertheidigen. Hier zeigte es sich bald, daß die Schwierigkeiten größer waren, als man gedacht hatte. Zunächst wurde die Ausrüstung der Armee und der Flotte mit größtem Eifer betrieben. Aber es fehlte überall an dem nöthigsten Kriegsmaterial. Prinz Ch. hatte sich der Hoffnung hingegeben, daß England das freie Selbstbestimmungsrecht Norwegens achten werde. Aber er sah sich bitter getäuscht. Eine von dem neuen König an die englische Regierung abgeschickte Gesandtschaft ward sogleich bei der Ankunft auf englischem Boden verhaftet, und ohne auch nur einen Minister gesehen zu haben, nach Norwegen zurückgeschickt. Am 30. Juni erschienen in Christiania Abgeordnete der verbündeten Mächte Oesterreich, Rußland, England und Preußen und erklärten, daß die Mächte fest darauf beständen, daß die Bedingungen des Kieler Friedens erfüllt würden; sie verlangten, daß Ch. die Regierung niederlege und das Land an Schweden überliefere. Zu gleicher Zeit sandte ihm König Friedrich VI. den bestimmten Befehl, Norwegen zu verlassen, und drohte, im Weigerungsfalle ihn vor ein Kriegsgericht zu stellen. Da Ch. sich weigerte zu resigniren, weil er durch seinen Eid gebunden sei, so mußte es zum offenen Kampf mit Schweden kommen. Aber der ästhetische dänische Prinz, der vom Kriegswesen nichts verstand, war dem kriegserfahrenen Bernadotte nicht entfernt gewachsen. Am 27. Juli überschritt der schwedische Kronprinz mit seiner Armee die norwegische Grenze; zugleich begann die schwedische Flotte unter Admiral Puke ihre Operationen an der norwegischen Küste. Die norwegischen Truppen waren mangelhaft ausgerüstet, schlecht geführt und obendrein nach verschiedenen Seiten zersplittert. Nach einem kaum nennenswerthen Widerstand wurde die Festung Frederiksstad schon am 4. Aug. den Schweden überliefert. Noch hatten die Norweger eine feste Stellung am Glommen. Aber am 5. Aug. gab Ch., welcher fürchtete, sonst von Christiania abgeschnitten zu werden, den Befehl, über den Glommen zurückzuweichen. Am 9. Aug. drang Karl Johann mit seinen Truppen über den Glommen vor. Weiterer Widerstand schien im norwegischen Hauptquartier nicht mehr möglich. Schon am 14. August mußte Ch. sich entschließen, den Waffenstillstand von Moß zu unterzeichnen, in welchem er sich verpflichtete, die Krone in die Hände eines baldigst zu berufenden Storthing niederzulegen. Dagegen versprach Karl Johann im Namen des König Karl XIII. die Annahme der Eidsvolder Verfassung, sodaß Norwegen mit Schweden nur durch Personalunion verbunden werden solle. Außerdem ward verabredet, daß die Festung Frederiksteen sogleich den Schweden überliefert werde. Eine Demarcationslinie für die beiderseitigen Truppen ward festgestellt. Der König Ch. [199] übertrug die ausübende Gewalt sogleich dem Staatsrath und trat von aller Theilnahme an den Regierungsgeschäften zurück. Während des Waffenstillstandes hielt er sich außerhalb Christiania auf Ladegaardsöen auf. Am 7. Oct. ward das außerordentliche Storthing in Christiania eröffnet. Am 10. übergab der König einer Deputation des Storthings die Verzichtsurkunde, in welcher er die Krone Norwegens ohne Vorbehalt in die Hände des Volks zurückgab. Noch an demselben Tage schiffte er sich in Christiania ein; allein widrige Winde hielten ihn bis 26. Oct. an der norwegischen Küste zurück. Nach einer stürmischen Ueberfahrt landete er erst am 4. Nov. zu Aarhuus in Jütland, und war von nun an wieder dänischer Erbprinz. An demselben Tage, 4. Nov., wurde Karl XIII. von Schweden vom norwegischen Storthing zum König von Norwegen gewählt, indem er seinerseits die Eidsvolder Verfassung für sich und seine Nachfolger anerkannte.

Prinz Ch. machte auf der Reise von Aarhuus nach Kopenhagen einen Besuch auf Augustenburg und hier entspann sich eine gegenseitige Neigung zwischen ihm und der Prinzessin Karoline Amalie, der älteren Schwester des Herzogs Christian von Augustenburg. Schon am 22. Mai 1815 vermählte er sich mit ihr, der Enkel der Juliane Marie mit der Enkelin der Karoline Mathilde. Er hätte hierin wol eine Aufforderung erkennen können, das Unrecht seiner Großmutter zu sühnen. Um dieselbe Zeit wurde er zum Gouverneur von Fünen ernannt und nahm seinen Wohnsitz in Odense. In dieser Stellung ist er geblieben, bis er 1839 den dänischen Thron bestieg. Aus dieser langen Zeit ist nicht viel Erhebliches zu berichten. Dem nüchternen, einfachen und ziemlich ungebildeten König war der geistreiche, feingebildete Prinz mit seinen lucullischen Neigungen nicht angenehm, und die norwegischen Ereignisse hatten die Spannung noch gesteigert. Den höheren Staatsgeschäften blieb der Prinz deshalb fern. Er lebte in Odense in angenehmer Häuslichkeit seinen wissenschaftlichen und künstlerischen Neigungen. Er liebte und verstand es, den Mäcenas zu spielen. Die Stille des Odenser Lebens ward nur durch einige größere Reisen unterbrochen, auf denen er gern mit gelehrten und geistreichen Männern Beziehungen anknüpfte. So verband ihn eine dauernde Freundschaft mit dem berühmten Mineralogen v. Leonhard. Die ausgedehnteste Reise unternahm er mit seiner Gemahlin in den Jahren 1819–23 durch Deutschland, Italien, die Schweiz, Frankreich und England. Die längste Zeit widmete er in Italien der Betrachtung der dortigen Kunstschätze, und hier knüpfte sich ein enges freundschaftliches Verhältniß zu dem berühmten, ihm geistesverwandten Kunsthistoriker v. Rumohr.

Am 3. Dec. 1839 starb König Friedrich VI. und der bisherige Erbprinz bestieg als Ch. VIII. den dänischen Thron. Die Verhältnisse, in welche er eintrat, waren sehr schwierig. Unter dem vorigen König waren alle weitergehenden politischen Wünsche zurückgedrängt worden. Friedrich VI. war ein im Absolutismus ergrauter Monarch; er hatte 55 Jahre lang das Scepter geführt und, obwol beschränkten Geistes, war er stets pflichtgetreu und strenge gegen sich selbst, noch mehr als gegen Andere. Er hatte schwere Jahre des Unglücks mit seinem Volke durchgemacht, und so war es natürlich, daß in seinem Alter Niemand ihn drängen mochte, Concessionen zu machen, die gegen seine Ueberzeugung gingen. Ganz anders war es mit seinem Nachfolger. An Ch. VIII. knüpften sich nicht nur die Hoffnungen, welche man gewöhnlich auf einen Kronprinzen setzt. Ihn verfolgte außerdem der Schatten von Eidsvold. Der Gründer der freien norwegischen Verfassung konnte doch nicht ein Anhänger des Absolutismus sein, und was er in Norwegen für unbedenklich gehalten hatte, das mußte er doch jetzt auch den Dänen, die sich für viel gebildeter als die Norweger hielten, zugestehen. So wurde er gleich bei seinem Regierungsantritt von vielen Seiten [200] mit dem dringenden Verlangen einer Verfassungsänderung bestürmt. Indeß war die Strömung in dem dänischen und in dem deutschen Theil der Monarchie eine verschiedene. In Dänemark war die Stimmung vorherrschend theoretisch liberal im Sinne des französischen Constitutionalismus. Namentlich in der Hauptstadt, wo einige talentvolle Litteraten und Advocaten den Ton angaben, nahm diese Richtung einen ziemlich radicalen Charakter an, und es kam schon bald zu stürmischen Auftritten. In Dänemark verlangte man die Vereinigung der beiden dänischen und der schleswigschen berathenden Ständeversammlungen zu einer gemeinsam beschließenden Versammlung. Die holsteinischen Stände dagegen wollte die tonangebende Partei in Dänemark für sich bestehen lassen. Die Dänen besorgten, daß, wenn sie auch Holstein in ihre Verfassung mit hinein zögen, das deutsche Element doch zu stark werden möchte. Außerdem befürchteten sie, daß der reactionäre Einfluß des deutschen Bundes sie in ihren demokratischen Tendenzen stören könne, und deshalb wollten sie Holstein lieber ausschließen.

Ganz anders war die Stimmung in Schleswig-Holstein. Hier herrschte mehr ein conservativ-historischer Sinn. Unter der Leitung von Falck und Dahlmann hatte sich eine staatsrechtliche Schule gebildet, welche auf der Grundlage des alten geschichtlichen Landesrechts eine Fortbildung der Verfassung erstrebte. Durch die Lornsen’sche Bewegung war diese Tendenz in das Volk gedrungen. Das Verlangen der Schleswig-Holsteiner ging zunächst dahin, daß die schleswigschen und holsteinischen Stände zu einer gemeinsamen Versammlung mit beschließender Stimme in der Gesetzgebung und mit Steuerbewilligungsrecht vereinigt werden sollten. Mit dem Königreich Dänemark wünschte man keine andere Verbindung als die Personalunion, so lange die Erbfolge gemeinsam war. Gegen diese Tendenz, welche man in Dänemark den Schleswig-Holsteinismus nannte, richtete sich der einmüthige fanatische Haß der Dänen.

König Ch. VIII. verhielt sich gegen beide Richtungen ablehnend. Nicht entfernt dachte er daran, die königliche Gewalt im Geiste jener norwegischen Verfassung zu beschränken. Nichts war ihm verdrießlicher, als wenn man ihn an Eidsvold erinnerte, welches ihm jetzt wie eine Jugendsünde erschien. Alle auf eine Verfassung gerichteten Anforderungen beantwortete er deshalb ablehnend, zuerst in milder Form, dann immer schroffer und ungnädiger. Aber indem Hand in Hand mit den radicalen Tendenzen die nationalen auf die Danisirung Schleswigs gerichteten Bestrebungen gingen, bot sich der feinen Hand des Königs in dem schleswig’schen Sprachstreit ein Mittel dar, den Eifer der Dänen auf ein Gebiet abzulenken, wo ihm eine populäre Beihülfe erwünscht war. Ch. VIII. fühlte sich nur als dänischer König; er hatte keine Empfindung dafür, daß er zugleich der Herzog eines deutschen Landes sei. Aber wenn er die dänischen Propagandisten bei ihren Versuchen, Schleswig zu danisiren, begünstigte, so war er doch weit davon entfernt, im übrigen mit der Politik der Eiderpartei übereinzustimmen. Gewiß konnte Orla Lehmann nicht auf seine Zustimmung rechnen, wenn er unter dem jubelnden Beifall der Kopenhagener erklärte, Holstein müsse man aufgeben, aber dafür, daß Dänemark bis zur Eider reiche, werde man den hochverrätherischen Schleswig-Holsteinern den blutigen Beweis mit dem Schwert auf den Rücken schreiben. Der König wollte Holstein nicht aufgeben, für ihn reichte Dänemark bis zur Elbe, er wollte den gesammten Bestand der Monarchie für immer bei einander halten. Die tiefgewurzelte Gemeinsamkeit der Herzogthümer dachte er als ein Mittel zu benutzen, um durch Schleswig auch Holstein fester an die dänische Monarchie zu ketten, und zu diesem Ende wünschte er die dänischen Elemente in Schleswig zu beleben und zu größerer politischer Geltung zu bringen. So gelang es ihm allerdings, für eine Zeit lang die Gewalt der Bewegung, die 1840 die constitutionelle Umgestaltung Dänemarks ertrotzen zu [201] wollen schien, nach außen auf die schleswig’sche Frage überzulenken. Aber je fanatischer die dänische Propaganda wurde, desto fester und einmüthiger wurde der Widerstand der Schleswig-Holsteiner. So verlor der König mehr und mehr das Vertrauen, mit dem die Herzogthümer ihm zuerst entgegen gekommen waren, ohne doch dadurch sich die Liebe der Dänen zu gewinnen. Zuweilen kam es dem König auch in den Sinn, in dem conservativeren Charakter der Herzogthümer sich eine Stütze gegen den dänischen Radicalismus zu suchen. Jedenfalls that er den dänischen Propagandisten niemals genug in der Begünstigung der dänischen Sprache in Schleswig. So trug der König, indem er sich den liberalen Anforderungen zu entziehen suchte, selber dazu bei, daß die Kluft zwischen Dänemark und den Herzogthümern immer tiefer wurde, bis sie schließlich nicht mehr auszufüllen war.

Es würde zu weit führen, diesen Proceß hier in allen Einzelheiten verfolgen zu wollen. Nur an einem Beispiel mag der Hergang illustrirt werden. Seit dem Beginn der ständischen Institution war in dem schleswig’schen Ständesaal immer nur deutsch gesprochen worden und nie war darüber eine Beschwerde erhoben. In der Session von 1842 fing der nicht unbegabte, aber sehr eitle Abgeordnete Peter Hjort Lorenzen plötzlich an, dänisch zu sprechen. Er war bis dahin ein eifriger Schleswig-Holsteiner gewesen, aber hatte sich von den dänischen Propagandisten gewinnen lassen. Er sprach sehr gut deutsch und sehr schlecht dänisch. Als er nun dennoch hartnäckig darauf bestand, dänisch sprechen zu wollen, wurde ihm endlich von dem Präsidenten das Wort entzogen, und von seinem ganzen Vortrag kam in die Ständezeitung nur die Bemerkung, daß er dänisch gesprochen habe. Lorenzen beschwerte sich hierüber beim König; auch ging er selbst nach Kopenhagen, wo er mit Hurrahs im Theater, mit Festessen und Toasten empfangen und mit einem silbernen Trinkhorn beschenkt wurde, wobei freilich das schlechte Dänisch, in welchem er seinen Dank aussprach, dem Spott der Kopenhagener Witzblätter nicht entging. Der König besann sich zwei Jahre; dann erließ er 1844 an die schleswig’sche Ständeversammlung ein Rescript, welches provisorisch anordnete, daß, wenn ein Abgeordneter bei Beginn der Session erkläre, nicht hinlänglich deutsch sprechen zu können, er dänisch sprechen dürfe, doch so, daß das Protokoll deutsch geschrieben würde. Hierüber erhob sich nun in Dänemark ein wahrer Sturm und in großen Volksversammlungen wurde es für eine Mißhandlung und Verhöhnung der dänischen Nation erklärt, daß die dänische Sprache der deutschen in Schleswig nicht völlig gleichgestellt sein sollte. Die Schleswig-Holsteiner dagegen waren nicht weniger verstimmt, weil die dänische Sprache nun doch in den schleswig’schen Ständesaal Eingang finden sollte, wohin sie nicht gehörte. Indeß der ganze Lärm fand sein natürliches Ende dadurch, daß kein Abgeordneter von der Befugniß dänisch zu sprechen Gebrauch machte.

Während dessen aber wurde die Erbfolgefrage immer brennender und gegen diese traten alle übrigen Differenzpunkte weit zurück. Allen weiter sehenden Politikern konnte es längst nicht mehr zweifelhaft sein, daß in dieser Frage der Mittelpunkt liege, an welchem die ganze politische Zukunft der nordalbingischen Lande sich entscheiden müsse. Wir können hier nicht das Detail dieser verwickelten Streitfrage darlegen. Nur an die allgemeinsten Grundzüge mag erinnert werden. Als in Dänemark, welches bis 1660 ein Wahlreich war, das reichsständische Wahlrecht in Folge der Revolution, welche die absolute Königsgewalt begründete, aufgehoben wurde, würde es dem Staatsinteresse Dänemarks entsprochen haben, daß man die Erbfolgeordnung für das Königreich in derselben Weise geregelt hätte, wie sie für die Herzogthümer Schleswig-Holstein bereits bestand. Dies würde das Mittel gewesen sein, um für die Zukunft jeder Gefahr [202] vorzubeugen, die aus der Verschiedenheit der Erbfolge für Dänemark entstehen konnte. Allein König Friedrich III., welchem das dänische Volk mit allem übrigen auch die Feststellung der neuen Erbfolgeordnung anheim gegeben hatte, stellte das Interesse seiner Familie höher, als das Interesse des Reiches, dessen König er war. Er verordnete in der Lex regia, daß die dänische Krone nicht allein für seine männlichen sondern auch für seine weiblichen Nachkommen erblich sein, daß also im Falle des Erlöschens seines Mannesstammes nicht wie in Schleswig-Holstein die agnatischen Seitenlinien des oldenburgischen Hauses, sondern seine weiblichen Descendenten zur Erbfolge berechtigt sein sollten. Durch diese Bestimmung des Königsgesetzes war die Möglichkeit gegeben, daß in Zukunft die Personalunion der Herzogthümer mit Dänemark aufhöre. Wenn nämlich der Mannesstamm des Königs Friedrich III. ausstarb, so succedirte nach legitimem Erbrecht der Weibesstamm Friedrichs III., in Schleswig-Holstein die nächstälteste agnatische Seitenlinie dieses Königs. Eine solche Eventualität trat jetzt unter Ch. VIII. in immer nähere Aussicht. Des Königs einziger Sohn, dessen erste Ehe geschieden war, war in zweiter Ehe mit einer Prinzessin von Mecklenburg-Strelitz vermählt; auch diese Ehe blieb unbeerbt. Außerdem lebte vom Mannesstamme Friedrichs III. nur noch des Königs Bruder, Prinz Ferdinand, gleichfalls kinderlos. Im Interesse Dänemarks lag die Fortdauer der Verbindung mit den Herzogthümern. Die Schleswig-Holsteiner aber glaubten, den Fehler, den ihre Vorfahren 1460 begangen hatten, als sie einen König von Dänemark zum Herzog von Schleswig-Holstein erwählten, jetzt hinlänglich gebüßt zu haben. Sie wünschten die Trennung von Dänemark und sahen das Mittel dazu in dem Erbrecht der agnatischen Seitenlinien des oldenburgischen Hauses, deren älteste die augustenburgische war.

Der König wünschte natürlich, den gesammten Bestand der Monarchie für immer bei einander zu halten und also die Frage über die Erbfolge im Geist des Gesammtstaats zu lösen. Der natürlichste und einfachste Weg zu diesem Ziele wäre gewesen, durch Unterhandlungen mit den zunächst Betheiligten, mit den in den Herzogthümern berechtigten Agnaten und mit den im Königreich berechtigten Cognaten eine Verständigung zu Stande zu bringen, und zu einer solchen Verständigung sodann die Zustimmung der Mächte und des Landes zu erlangen. Aber dieser offene Weg entsprach wenig dem Charakter des Königs. Wie hochgebildet auch Ch. VIII. war, so war doch die ästhetische Seite in ihm feiner entwickelt, als die moralische. An seinen Absichten hing er mit großer Zähigkeit fest. Mit Kühnheit oder Offenheit für dieselben einzutreten, lag nicht in seiner Natur. Vielmehr liebte er es, unermüdlich auf Umwegen zu erreichen, was gradeaus erstrebt bösen Schein und Unannehmlichkeiten mit sich gebracht, Muth und Willenskraft erfordert hätte. Von überwiegendem Einfluß auf ihn war seine Schwester, die Landgräfin Charlotte von Hessen. Den Einwirkungen dieser intriganten Frau wird es vorzugsweise zuzuschreiben sein, daß Ch. VIII. die Lösung der Erbfolgefrage im cognatischen Interesse anstrebte, während ohne Zweifel eine Lösung im agnatischen Interesse geringere Schwierigkeiten gehabt haben würde. Schon im Anfang der vierziger Jahre war es kein Geheimniß, daß der Sohn der Landgräfin Charlotte, Prinz Friedrich von Hessen, derjenige Fürst war, welchen der Kopenhagener Hof damals als Thronfolger für die gesammte Monarchie in Aussicht nahm. Je weniger der nächstberechtigte Agnat, der Herzog von Augustenburg, dem König einen Zweifel darüber ließ, daß er gutwillig niemals auf sein Erbrecht verzichten werde, destomehr befestigte sich in dem König die Absicht, seinen Schwager seines Rechtes zu berauben.

Die erste officielle Anregung der Erbfolgefrage geschah im October 1844 in der dänischen Ständeversammlung zu Roeskilde. Hier stellte der Abgeordnete [203] Algreen-Ussing den Antrag: „Der König wolle durch eine feierliche Erklärung zur Kunde seiner Unterthanen bringen, daß die dänische Monarchie ein einziges ungetheiltes Reich bilde, welches untheilbar nach der Bestimmung des Königsgesetzes vererbt werde.“ Zugleich verlangte der Antrag, daß jedes Unternehmen verhindert werde, welches darauf abziele, die Verbindung zwischen den einzelnen Staatstheilen zu lösen. Weniger dieser Antrag selbst, als die Art und Weise, wie der königliche Commissär Oersted sich über denselben aussprach, erweckte in den Herzogthümern die größten Besorgnisse. Oersted sagte, die Ungewißheit über die Erbfolge könne die Regierung wol veranlassen zu erwägen, ob man nicht mit Beiseitesetzung aller Bedenklichkeiten zu einer so energischen Maßregel greifen müsse. Er fügte hinzu, daß die feierliche Erklärung des Königs von der Untheilbarkeit der Monarchie nur Bedeutung haben würde in Verbindung mit dem Verbot, dieselbe zum Gegenstand der Discussion zu machen. So sprach der größte Jurist Dänemarks, der wenige Monate vorher vor den jütischen Ständen zu Viborg noch geäußert hatte, daß selbst der unumschränkteste Monarch an bestehenden Erbrechten nichts ändern könne. In den Herzogthümern war man empört über diese Verachtung von Recht und Wahrheit. Aus allen Städten und Dörfern strömten Petitionen an die gleichzeitig in Itzehoe versammelten holsteinischen Stände: diese sollten die Freiheit und Selbständigkeit der Herzogthümer, ihre bedrohte Erbfolge wahren. In Itzehoe beschlossen die Stände auf den Antrag des angesehensten Führers der Ritterschaft, des Grafen Reventlow-Preetz, eine einmüthige Eingabe an den Landessherrn, in welcher sie an die drei Fundamentalrechte der Herzogthümer, die Selbständigkeit, die Unzertrennlichkeit und die agnatische Erbfolge mahnten und erklärten, daß sie nie aufhören würden dieselben mit allen Kräften zu vertheidigen. Der Ernst und die Einmüthigkeit dieser Opposition schien doch in Kopenhagen einigen Eindruck zu machen. Eine Zeit lang wurde es dort etwas stiller, und als der König im nächsten Sommer wie gewöhnlich in Wyk auf Föhr und dann in Ploen war, so nahm er den Schein an, als ob er den Ussing’schen Antrag mißbillige.

Aber im geheimen ward unterdessen die Erfüllung des Antrages vorbereitet. Zum 15. Juli 1846 waren die holsteinischen und die Roeskilder Stände einberufen. Mit Spannung sah man der königlichen Eröffnung entgegen. Wenige Tage vorher erschien plötzlich der berüchtigte Offene Brief des Königs vom 8. Juli, wodurch die Aufmerksamkeit nicht nur von ganz Deutschland, sondern auch von ganz Europa auf das künftige Schicksal der dänischen Monarchie gelenkt ward. Durch diese königliche Proclamation ward den Dänen und den Schleswig-Holsteinern mitgetheilt, daß das Herzogthum Schleswig durch die Vorgänge von 1721 unmittelbar mit Dänemark verbunden sei und nach der dänischen Erbfolgeordnung der Lex regia vererbe; daß dasselbe für Theile von Holstein gelte, während für andere Bestandtheile des letzteren Herzogthums die Sache zweifelhaft stehe. Indem der König diese seine Ueberzeugung ausspricht, betont er zugleich seine fortgesetzten Bemühungen, eine einheitliche Succession für die ganze Monarchie zu sichern. Unbeschreiblich ist der Eindruck, welchen der Offene Brief in den Herzogthümern hervorbrachte. Es ist ja handgreiflich, daß diese einseitige Erklärung des Königs das bestehende Recht nicht ändern konnte. Aber wer noch irgend Sinn für Wahrheit und Treue hatte, fühlte sich auf das tiefste verletzt. Eine große Volksversammlung in Neumünster protestirte gegen die grobe Verdrehung des Landesrechts und forderte die holsteinischen Stände auf, die Herzogthümer vor dem Schicksal des Elsaß zu bewahren. Den holsteinischen Ständen ward am 15. Juli zugleich mit dem Offenen Briefe die Eröffnung gemacht, daß von ihnen in Betreff der Erbfolge fernerhin keine Vorstellungen entgegengenommen werden würden. Trotz dieses Verbotes beschlossen die Stände [204] eine Adresse an den König, in welcher sie gegen den Offenen Brief protestirten und die rechtliche Unhaltbarkeit desselben nachwiesen. Als der königl. Commissär die Annahme dieser Adresse verweigerte, wandten die Stände sich mit einer Beschwerde an den deutschen Bund, und stellten sodann ihre Thätigkeit ein, bis das gekränkte Recht hergestellt sei. Ein königl. Rescript hob die Ständeversammlung auf mit hartem Tadel wegen ihres „pflichtwidrigen Verfahrens“. Auch die Agnaten protestirten natürlich, voran der Herzog von Augustenburg. Sein Bruder, der Prinz von Noer, legte zugleich sein Amt als Statthalter der Herzogthümer nieder. Auch der Herzog von Glücksburg und seine Brüder schlossen sich dem Protest an. Von allen schleswig-holsteinischen Prinzen war Prinz Christian von Glücksburg, der jetzige König von Dänemark, der einzige, der nicht gegen den Offenen Brief protestirte.

Die juristische Grundlage für den Offenen Brief bildete ein sogenanntes „Commissionsbedenken“ einer vom Könige zur Prüfung der Erbfolgefrage eingesetzten Commission. Nur ein Theil dieses Bedenkens ward veröffentlicht, so weit es sich auf die Erbfolge in Schleswig bezog. Den auf Holstein bezüglichen Theil zog man vor, gänzlich geheim zu halten. Neun Professoren der Kieler Universität, an ihrer Spitze der ehrwürdige Falck, vereinigten sich, das Commissionsbedenken einer wissenschaftlichen Prüfung zu unterziehen. Das Resultat ihrer Arbeit war die vollständige Vernichtung der von der Commission aufgestellten Gründe. Der König, der schon vor der Veröffentlichung dieser Schrift von dem Vorhaben der neun Professoren gehört hatte, ließ dieselben dringend auffordern, die Publication zu unterlassen, und scheute sich nicht, sogar mit nachtheiligen Folgen zu drohen. Allein die Professoren ließen sich nicht abschrecken. Nachdem die Schrift erschienen war, wurde den Professoren unter Androhung sofortiger Absetzung verboten, irgend etwas zu lehren, was mit dem Offenen Brief in Widerspruch stehe.

Auf die Beschwerde der holsteinischen Stände faßte die deutsche Bundessversammlung am 17. Sept. 1846 einen Beschluß, der zwar ziemlich lahm ist, aber an dem doch anerkannt werden muß, daß der Bundestag sich nicht für incompetent erklärte, sondern die Rechte des Bundes, der erbberechtigten Agnaten und der holsteinischen Stände ausdrücklich gegen den Offenen Brief verwahrte. Der König, der von diesem bevorstehenden Beschluß wußte, erließ an seinem Geburtstag, 18. September, von Ploen aus einen in weinerlich frömmelndem Ton abgefaßten zweiten Offenen Brief, welcher bestimmt war, den Eindruck des ersten abzuschwächen. Aber da in der Sache nichts geändert wurde, so wurden die huldlächelnden Worte nur mit Bitterkeit gelesen. Mißtrauen und Haß waren einmal eingekehrt und das Gemüth eines Volksstammes vergiftet, dessen Geduld und Anhänglichkeit an gewohnte Formen sprichwörtlich geworden ist.

Der König wollte nun den Versuch machen, mit rücksichtsloser Gewalt die öffentliche Meinung in den Herzogthümern niederzuhalten. Zum Präsidenten der schleswig-holsteinischen Kanzlei ward Graf Karl Moltke ernannt, ein fanatischer Absolutist, und seine Ernennung bewies, daß man die äußerste Energie auf dem Wege der Willkür anzuwenden gedenke. An die Spitze der schleswig-holsteinischen Regierung auf Gottorf ward mit erweiterter persönlicher Befugniß Herr v. Scheel gestellt, ein Rabulist von niedrigem politischem Charakter. Von jetzt an ward die Presse vollständig unterdrückt. Kein Wort durfte mehr gedruckt werden, das mit der Theorie des Offenen Briefes in Widerspruch stand. Es erfolgten Amtsentsetzungen auch richterlicher Beamten und Verhaftungen durch Cabinetsbefehl. Zahlreiche politische Processe wurden eingeleitet. Einer der angesehensten Männer des Landes, Theodor Olshausen, wurde ohne weiteres auf die Festung abgeführt, weil er nicht versprechen wollte, nicht wieder in öffentlichen Versammlungen [205] zu sprechen. Bald darauf wurden überhaupt alle öffentlichen Versammlungen verboten. Aber selbst durch die strengsten Maßregeln wurden die Dänen nicht befriedigt, die liberalsten Parteien und Blätter verlangten immer noch durchgreifendere Schritte.

Am 21. Octbr. wurden die schleswig’schen Stände eröffnet und wählten Wilhelm Beseler zum Präsidenten. In einer Adresse an den König sprachen sie aus, daß Schleswig wie Holstein souveräne Lande seien und daß sie im Mannesstamm des oldenburgischen Hauses vererben. Die Annahme dieser Adresse ward verweigert. Die Versammlung faßte dann zahlreiche Beschlüsse in entschieden deutschem Sinn; namentlich verlangte sie eine für beide Herzogthümer gemeinsame Verfassung und den Eintritt Schleswigs in den deutschen Bund. Der königl. Commissär v. Scheel verweigerte aus einem sophistischen formalen Grunde die Annahme aller in Folge von Privatpropositionen gefaßten Beschlüsse. Da hierdurch die Stände in einem ihrer wichtigsten Rechte verletzt waren, so löste die Versammlung am 4. December sich selbst auf, indem die einzelnen Mitglieder unter Protest den Ständesaal verließen.

Unterdessen arbeitete die dänische Diplomatie mit allen Kräften, die Meinung der Großmächte für die Lösung der Erbfolgefrage nach der Gesammtsstaatsidee zu gewinnen. Ein Hauptargument dabei war, daß das europäische Gleichgewicht im Norden den dänischen Gesammtstaat fordere. Bei den nichtdeutschen Großmächten ward darauf hingewiesen, daß Schleswig-Holstein, von Dänemark getrennt und mit Deutschland in engere Verbindung gebracht, die gefährliche Grundlage einer deutschen Seemacht abgeben würde.

Ch. VIII. hatte bis 1847 gehofft, die absolute Gewalt in Dänemark zu erhalten und zugleich die dänische cognatische Erbfolge in den Herzogthümern einzuführen. Der stumme aber unbeugsame Widerstand der Schleswig-Holsteiner zeigte ihm, daß alle seine Klugheit gescheitert sei. Er mußte sich entschließen, Eines aufzuopfern, und so faßte er den Gedanken, auf seine absolute Gewalt zu verzichten, um durch freiheitliche Concessionen die Herzogthümer an Dänemark zu fesseln. Seit Mitte 1847 beschäftigte er sich mit der Entwerfung einer constitutionellen Verfassung, welche Dänemark und die Herzogthümer umfassen sollte. Bei Beginn des Jahres 1848 war die Arbeit fast abgeschlossen. Aber es war dem König nicht beschieden, auch diesen seinen letzten Plan scheitern zu sehen. Nach kurzer Krankheit starb er am 20. Jan. 1848. Den Plan der Gesammtstaatsverfassung hinterließ er als politisches Testament seinem Sohne, der auch die Ausführung versuchte. Aber es wäre ein todtgebornes Project gewesen, auch wenn nicht gleich darauf die französische Februar-Revolution den zündenden Funken in das gefüllte Pulverfaß geworfen hätte.

Aall, Erindringer som bitrag til Norges historie fra 1800–1815, Christiania 1844. – Droysen und Samwer, Actenmäßige Geschichte der dänischen Politik seit dem Jahre 1806, Hamburg 1850. – Wegener, Actenmäßige Beiträge zur Geschichte Dänemarks im 19. Jahrhundert, Kopenhagen 1851 (enthält Auszüge aus einem im Geheimen Archiv zu Kopenhagen aufbewahrten Tagebuch Christians VIII., das vom 1. Jan. 1799 bis zum 7. Jan. 1848 reicht, ist aber im übrigen eine die Wahrheit häufig tendentiös entstellende Parteischrift). – Jenssen-Tusch, Zur Lebens- und Regierungsgeschichte Christians VIII., Altona 1852.