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Artikel „Lornsen, Uwe“ von Karl Jansen in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 19 (1884), S. 200–202, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Lornsen,_Uwe_Jens&oldid=- (Version vom 3. Oktober 2024, 16:57 Uhr UTC)
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Band 19 (1884), S. 200–202 (Quelle).
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Lornsen: Uwe Jens L. wurde am 18. Novbr. 1793 in Keitum, dem Hauptorte der friesischen Insel Silt geboren, Sohn des vielversuchten Schiffscapitäns [201] und späteren Rathmannes seiner Landschaft Jürgen Jens Lórensen oder Lórenzen. (Die außerhalb Frieslands übliche Verlegung des Accents der Patronymica bestimmte L. zur Streichung des e). Zum Seemann bestimmt, aber durch die Zeitverhältnisse gehemmt, entschloß sich L. im 18. Lebensjahre zu studiren, besuchte 1811–14 die Tondernsche Bürgerschule, dann 1½ Jahre die Schleswiger Domschule und bezog Ostern 1816 die Universität, erst Kiel, dann 1818 Jena, hier ein hervorragendes Mitglied der Burschenschaft, mit Heinr. v. Gagern, Wesselhöft u. a. befreundet. 1820 im juristischen Examen bestanden, ging er, an der Ausführung seiner philhellenischen Gedanken vom Vater gehindert, 1821 den damals gewöhnlichen Weg zu einem Amte in den Herzogthümern, nämlich in die oberste Verwaltungsbehörde der deutschen Lande in Kopenhagen, die schleswig-holstein-lauenburgische Kanzlei, in welcher er mit Ernst und Geschick zu steigender Anerkennung seiner Vorgesetzten arbeitete, zugleich aber auch Gelegenheit fand, die Art der Verwaltung der Herzogthümer gründlich kennen zu lernen. Auch als Beamter aber den Idealen der Burschenschaft treu und mitten in der fremden Hauptstadt an den geistigen Bewegungen seines Volkes lebhaft betheiligt, fühlte er sich durch die Juli-Revolution zur Fassung höherer Lebensziele angeregt und bewarb sich, seiner „Kräfte“ wohl bewußt und „kühn genug um sich zuzutrauen, daß er durch schriftstellerische Thätigkeit für eine größere Sphäre als die Herzogthümer bieten, von Bedeutung werden könne“, um die Landvogtei seiner Heimathsinsel, welche die erwünschte Muße zu geschichtlich-politischen Studien zu bieten schien. Am 10. Octbr. 1830 erfolgte seine Ernennung, am 17. betrat er in Kiel den heimischen Boden mit der bewußten und ausgesprochenen Hoffnung, „sein nachfolgendes Leben werde von einiger Bedeutung für die Herzogthümer werden“. „Habt Ihr petitionirt?“ war sein erstes Wort auf der Landungsbrücke an einen ihn erwartenden Freund; „wohlan, so muß es geschehen!“ Suchend und gesucht trat er alsbald mit allen geistig oder gesellschaftlich hervorragenden, namentlich auch jüngeren Männern, wie Falck, Hegewisch, Olshausen, Michelsen, Preußer u. a. in den lebhaftesten Verkehr. Ueberall machte seine ganze Persönlichkeit, die hohe Gestalt mit dem edlen lockigen Haupt auf breiter Brust, das ernst und freundlich leuchtende Auge, der Zauber begeisterter Liebe zum Vaterlande, zur Freiheit und zur Gerechtigkeit einen ungewöhnlichen Eindruck. Auch an Abstoßung fehlte es bei der frischen und selbst ungestümen Unmittelbarkeit seines Wesens nicht. In dem schon so nicht schlummernden Kiel entstand eine nie gekannte Bewegung. Die „Kieler regten ihn und durch ihn das Land auf“. Denn am 1. Novbr. legte L. in einer Versammlung von Vertrauensmännern des ganzen Landes – unerhört unter den „framen Holsten“ – eine kleine Schrift vor, 14 Druckseiten stark, auf Grundlage früherer Studien der skandinavischen Union rasch in Kiel entworfen: „Ueber das Verfassungswerk in Schleswigholstein“, welche den Anstoß zu der schleswig-holsteinischen Bewegung und mittelbar auch zur Lösung der deutschen Frage geworden ist. In dieser Schrift fordert L. – und dieser kategorische Imperativ an Dänemark so gut wie an seine Landsleute macht ihr Wesen und ihre Bedeutung aus – er fordert in klarer und schlagender Sprache, mit vollendeter Sachkenntniß, gestützt auf die Bundesacte für Holstein, auf Herkommen und Naturrecht für Schleswig einen gemeinsamen beschließenden Landtag, einen obersten Gerichtshof und einen Staatsrath für beide Herzogthümer, ein Regierungscollegium für jedes, völlige Lösung von dem Königreich, kurz die vollständige Autonomie. „Nur der König und der Feind sei uns gemeinsam“. Die Schrift ward von der Versammlung gebilligt, in Eile gedruckt und versandt. Wie L. die Verantwortung für sie allein beansprucht und durch Nennung seines vollen Namens und Titels übernommen hatte, so kündigte er auch in einem Begleitschreiben voll männlichen, ungewöhnlichen Freimuths ihr Erscheinen [202] seinem Chef in Kopenhagen an. Sie rief in Dänemark wie in Schleswig-Holstein eine bisher unbekannte politische Bewegung hervor, die freilich der großen Unmündigkeit der Bevölkerung nicht Meister ward. Die Ritterschaft, von der Aussicht auf eine Verfassung, in der von ihren Privilegien keine Rede war, wenig erbaut, erhob sich mit Erbitterung gegen den Demagogen. Die anfangs rathlose Regierung ermannte sich, L. zu verhaften, der seit 10 Tagen auf seiner Insel angekommen, eben sein Amt angetreten hatte. Eine Untersuchungscommission ward angeordnet. Das eine Mitglied derselben, Lüders, konnte nirgends den Thatbestand eines Verbrechens entdecken; das andere fand „eine gefährliche Handlung“ in Lornsens Auftreten. Das Obergericht selbst konnte auch Hochverrath und Eidbruch nicht finden, mittelte aber doch eine strafbare Thätigkeit aus und erkannte für Recht: daß der Kanzleirath Uwe L. wegen des, unter Verletzung der ihm als Beamten obliegenden Pflichten bewiesenen, die öffentliche Ruhe gefährdenden Verhaltens seines Amtes als Landvogt der Insel Silt zu entsetzen und mit einjährigem Festungsarrest des ersten Grades zu belegen, auch sämmtliche Untersuchungskosten, soweit er des Vermögens, zu erstatten schuldig sei“. Erst nach erhaltener königlicher Bestätigung wurde dies Urtheil am 31. Mai 1831 veröffentlicht. L. büßte die Haft theils in Friedrichsort theils in Rendsburg ab und verwandte sie ungebeugten Muthes zum eindringenden Studium der Landesgeschichte, welche ihn nun erst lehrte, „daß die Schleswig-Holsteiner nichts zu wünschen Ursache hätten, was zu fordern sie nicht auch ein Recht hätten“. Ein Anerbieten der Regierung, mit Pension ins Ausland zu gehen „als abgekaufter und zu Kreuz gekrochener Demagog“, wies er in starken Ausdrücken ab. Dagegen begab er sich im Herbst 1833 über Amsterdam nach Rio Janeiro. Warum? wußte damals außer ihm nur ein Freund. Er gedachte Heilung zu finden für ein halb körperliches halb geistiges, halb wirkliches halb eingebildetes Leiden, mit dem er im Stillen schon Jahre lang gerungen und das er vor dem Eintritt in eine größere öffentliche Wirksamkeit gründlich überwinden zu müssen glaubte. Unterdeß war schon 1831, vier Tage vor seiner Verurtheilung, „das allgemeine Gesetz wegen Anordnung von Provinzialständen in den Herzogthümern“ erlassen, am 15. Mai 1834 erschien die „nähere Regulirung der ständischen Verhältnisse“, die Anordnung eines gemeinsamen Oberappellationsgerichtes in Kiel, einer gemeinsamen Regierung auf Gottorp folgte: für Dänemark der erste Schritt auf dem Wege zum Wiener Frieden. L. durfte an seinen Tod denken mit dem Bewußtsein „nicht umsonst gelebt zu haben“. Gebessert nicht geheilt kehrte er 1837 nach Europa zurück, über Marseille nach Genf. Hier erfaßte ihn das alte Leiden in der Einsamkeit und Verlassenheit der Fremde mit finsterer Gewalt aufs Neue. In dem Wahn, seine Krankheit sei ansteckend und sein Dasein ein Fluch für seine Umgebung fand seine unbeugsame Entschlossenheit das unabweisbare Gebot zu furchtbarer That. Am 13. Febr. 1838 fand man seine Leiche bei Pressy im Genfer See, das Herz durch eine Kugel zerschmettert. 1841 von Georg Beseler herausgegeben erschien die Frucht seiner Studien während Haft und Exil: „Die Unions-Verfassung Dänemarks und Schleswig-Holsteins“, bestehend aus einer energischen Bloßlegung des staatsrechtlichen Gehalts der schleswig-holsteinischen Entwicklung und einem bis ins Einzelne durchgeführten Entwurf einer darauf gebauten Unions-Verfassung des selbständigen Schleswig-Holsteins mit dem selbständigen Dänemark. Sie erschien eben rechtzeitig, um die Gefahr einer neuen Parteibildung zu beschwören, der sog. neuholsteinischen, welche um Holstein zu retten, Schleswig preisgeben wollte. L. ist es beschieden gewesen, „die Richtung seiner Landsleute für immer zu determiniren“.

K. Jansen, Uwe Jens Lornsen. Ein Beitrag zur Geschichte der Wiedergeburt des deutschen Volkes, Kiel 1872.