ADB:Sailer, Heinrich Friedrich

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Artikel „Sailer, Heinrich Friedrich“ von Adalbert Horawitz in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 30 (1890), S. 177–178, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Sailer,_Heinrich_Friedrich&oldid=- (Version vom 19. März 2024, 09:25 Uhr UTC)
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Sailer: Heinrich Friedrich S., geb. am 1. Juni 1837 zu Wien als Sohn eines höchst intelligenten Schuhmachers, dessen Lebensbild ich gezeichnet (im II. Theile von Sailer’s Mittheilungen über niederösterreichische Volkswirthschaft), studirte am Josephstädter Gymnasium, wo er immer einer der glänzendsten Schüler war. (Stipendien hat er doch nie erhalten.) Und zwar entwickelte er schon jene Vielseitigkeit, die wir besonders an dem Studenten bewunderten. Am Gymnasium aber war er ein tüchtiger Philolog, namentlich im Griechischen, zugleich aber auch einer der besten Mathematiker und Physiker. Dabei ein wackerer Tenorsänger, ein geschickter Wasserfahrer, von dessen lebensrettender Kaltblütigkeit ich mehr als einmal Zeuge war. Nach einem glänzenden Abiturientenexamen trat er, durch ungeschickte Kameraden bestimmt, statt sich dem zuzuwenden, wozu ihn alles trieb, der Philologie oder der Mathematik, in die juristische Facultät in Wien ein, wo er Arndts, Phillips, Unger, Glaser, Wahlberg und vor allem Lorenz v. Stein, aber auch Bonitz, Vahlen, Schwartz, Aschbach, Pfeiffer u. a. hörte. Hatte er ursprünglich römisches Recht zu seinem Specialstudium, so führte ihn Stein in die große, an der Wiener Universität sehr wenig betriebene Welt der volkswirthschaftlichen Interessen. Und dabei blieb er stehen sein leider kurzes Leben lang. In großem Sinne hat er diese Welt erfaßt, aber durch hingebendes und freudiges Studium Roscher’s wendete er sich mehr den historischen Verhältnissen, und zwar denen seines Vaterlandes zu. Da konnte er nicht müde werden, glänzende Bilder zu entrollen von dem, was sich dem forschenden Auge ergeben werde. Er wandte sich einer Untersuchung der Preise und Löhne in ihrer geschichtlichen Entwicklung zu. Und da das Gedruckte sehr wenig bot, gings an ein Landfahren in die Klöster, in die Städte, wo außer Krems mit seinem geordneten Archive zur Schande des Geschichtssinnes die Acten entweder zum Einheizen benutzt (z. B. Klosterneuburg) oder an die Juden verkauft wurden (Stadt Spitz, Klamm u. s. w.). S. überwand ruhig alle Schwierigkeiten; ich konnte ihm Handschriften aus St. Pölten, die einen eminenten Werth in sich bergen, verschaffen. So ging ein fröhliches Aufspüren und Ahnen und Suchen an. Leider zwang ihn jetzt seine Mittellosigkeit, eine Brodstelle zu suchen. Er trat in eine Advocaturkanzlei; bei schlechter Bezahlung Arbeit bis zur Erschöpfung! Um aus dem Jammer herauszukommen, strebte er, durch Aschbach veranlaßt und leider zu schüchtern vertreten, eine Stelle am k. k. Numismatischen Cabinet an – erhielt sie aber nicht. Schon früher hatte er sich auf einem Balle durch physische Ueberanstrengung einen Blutsturz zugezogen. Zwar rettete ihn damals liebevolle Pflege und ärztliche Kunst. Aber im J. 1869 weckte eine Erkältung das Leiden aufs Neue. Seit dem Februar kränkelte er. Am 15. August 1869 verschied er, 32 Jahre alt, in meinen Armen. Der Trost war ihm geworden, daß er sein fertig gedrucktes Lieblingswerk einen Tag vor seinem Tod zur Hand bekam. Was nun die Leistungen Sailer’s anlangt, so erschien, abgesehen von Besprechungen in der „Wiener Wochenschrift“ und den „Mittheilungen des Vereins für niederösterreichische Landeskunde“ ein köstlicher Aufsatz in Robert Prutz’ Zeitschrift. Bei seinem allseitigen Forschen war S. auch in die Ferenberg’schen Codices der Wiener königl. Hofbibliothek gerathen und fand da die schönsten frischesten Reiterlieder aus dem 17. Jahrhundert. Dann aber gings wieder ans Nationalökonomische. [178] Da erschienen im Todesjahre Sailer’s „Oesterreichische Münzwerthe“ 1869. Es war eine mit der schärfsten Hinzunahme der Mathematik durchgeführte Untersuchung über den Werth der österreichischen Münzen im 14. Jahrhundert. Wenn sich auch seitdem Irrthümer erwiesen haben, so ist das wohl verzeihlich, denn die Wissenschaft der historischen Nationalökonomie, als deren erster wissenschaftlicher Bahnbrecher Sailer zu nennen ist, lag in der Wiege. Er hatte testamentarisch verfügt, daß sein gesammter Nachlaß in den „Blättern des Vereins für niederösterreichische Landeskunde“ abgedruckt werde. Der Verein (d. h. sein hingebender Sectetär Dr. Anton Mayer[WS 1]) war gegen die Hinterbliebenen höchst liberal und veranstaltete prachtvolle Separatabzüge! Aber wer kannte in Deutschland diese Mittheilungen? Ich besorgte die Herausgabe des ersten Werkes aus dem Nachlasse: „Preis und Lohnverhältnisse“, mit großen Ausblicken am Anfange und historischer Darlegung jeder einzelnen Materie. Aber gerade das Werthvollste, die von S. mit unsäglicher Mühe gesammelten Daten wurden, da ich kein Mathematiker bin, von anderer Hand ungenügend behandelt. Wer diesen ersten Band im Sinne Sailer’s herstellen will, muß ihn ganz auf Sailer’s ursprüngliche Einfachheit zurückarbeiten. Zu dem war der Schluß verloren, so daß es ein Torso blieb. Nur aus den Sammlungen wird man erkennen, was beabsichtigt und welcher Eifer darauf verwendet wurde. Den II. Theil „Zur Geschichte der österreichischen Zunftrechnung“ habe ich allein herausgegeben. Wol der glänzendste Theil ist aber der dritte, das wichtige Stadtrecht von St. Pölten, an dessen fehlenden und kaum lesbaren Buchstaben sich S. verzweifelnd plagte. Endlich war der Text wie es eben nur ging, hergestellt, dann folgten Aphorismen, die später erweitert werden sollten. Doch auch das blieb ein Torso. Die Herausgabe ward in trefflicher Weise vom k. k. Staatsarchivar Dr. Karl Richter besorgt. – Eine Reihe von Aufsätzen ließ ich in Hildebrand’s Jahrbüchern für Nationalökonomie und in Johannes Müller’s Zeitschrift für Culturgeschichte (Hannover) erscheinen. Ein großer Fascikel blieb noch in meinem Besitze, Preisnotizen mit steter Angabe der Quellen, hier und da Tabellen statistischer Art u. s. w. – S. war nicht hübsch, aber von kraftvollen derben Gliedern. Da er sehr wenig sprach, als ein steter Fortarbeiter, hielt man ihn mit Unrecht für arrogant, allerdings sarkastisch konnte er der Dummheit und Gemeinheit gegenüber sein. Er war tapfer und kaltblütig; das beste aber, das er besaß, war die sich selbst hingebende und aufopfernde Großherzigkeit seines Charakters. W. Roscher vergleicht ihn in seiner Geschichte der deutschen Nationalökonomik mit dem Engländer Rogers, wol kein geringes Lob!

Ueber ihn s. Wurzbach, Biographisches Wörterbuch. – Hildebrand’s Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik. Jena 1869. – Faucher’s Vierteljahrschrift für Volkswirthschaft und Culturgeschichte. Berlin 1869. – Beilage zur k. k. Wiener Zeitung (von Dr. Gustav Ritter von Ohms).


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Anton Mayer (1838–1924), Historiker am niederösterreichischen Landesarchiv und der niederösterreichischen Landesbibliothek.