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Artikel „Bonitz, Hermann“ von Ferdinand Sander in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 47 (1903), S. 99–105, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Bonitz,_Hermann&oldid=- (Version vom 2. November 2024, 16:20 Uhr UTC)
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Bonitz: Hermann B., geboren am 29. Juli 1814, † am 25. Juli 1888, bedeutender Philolog und Schulmann, Organisator des gelehrten Schulwesens in Oesterreich. Hermann B. wurde in Langensalza als Sohn des dortigen Superintendenten und Oberpfarrers Mag. Karl Friedrich B. († 1835) geboren. Der Vater, Sohn eines Schmiedes, stammte aus dem Erzgebirge. Von ihm vorbereitet, trat B. 1826 als Tertianer in Schulpforta ein. Sechs Jahre gehörte er als Schüler der berühmten Schule an, die bis 1831 noch unter dem alten Director Karl David Ilgen (1763–1834) stand und unter ihren Lehrern tüchtige Männer wie den Litterarhistoriker Koberstein, Jacob, Lange und den Religionslehrer Schmieder zählte. Ostern 1832 bezog B. nach bestandener Reifeprüfung die Universität Leipzig, wo er zunächst Theologie und Philosophie studirte. Der Theologie entsagte er bald und wandte sich nach kurzem Schwanken, indem ihn auch das Studium der Rechte anlockte, der Philologie zu, dabei der Philosophie zugleich treu bleibend, wie denn auch lebenslang sein philologisches Arbeiten vorzugsweise den beiden großen Häuptern der Philosophie im alten Hellas galt. In der Philosophie waren seine Lehrer die Herbartianer Moritz Wilhelm Drobisch (1802–96) und Gustav Hartenstein (1808–90), die ihn beide überlebten, und mit denen er lebenslang in Freundschaft verbunden blieb. Auch zu seinem Meister in der Philologie, Gottfried Hermann, und zu dessen Familie trat er in näheres Verhältniß; 1834 ward er in Hermann’s griechische Gesellschaft aufgenommen. Ostern 1835 wandte B. sich nach Berlin, wo er August Boeckh und Karl Lachmann hörte und das philologische [100] Seminar, das diese dirigirten, besuchte. Durch den im Sommer 1835 erfolgten Tod des Vaters sah B. sich gedrängt, seine akademischen Studien abzukürzen. Er übernahm Ostern 1836, mit einem – Januar desselben Jahres – erworbenen, rühmlichen Zeugnisse pro facultate docendi und dem von Leipzig verliehenen philosophischen Doctortitel versehen, eine Lehrerstelle am Blochmannschen Institut in Dresden, die er zwei Jahre lang bekleidete. Während dieses Aufenthaltes erschien sein erstes gedrucktes Werk: „Disputationes Platonicae duae“ (Dresden 1837), mit dem er sich in der gelehrten Welt glücklich einführte. Ostern 1838 kehrte er als Lehrer am Friedrich Wilhelms-Gymnasium nach Berlin zurück und wurde 1840 an das städt. Gymnasium zum Grauen Kloster versetzt, dem er weitere zwei Jahre angehörte. Er war an dieser Schule bis in die Prima mit fast allen wichtigen Fächern des gymnasialen Unterrichtes, sogar auch mit Mathematik, betraut und begründete dort seinen Ruf als hervorragend tüchtiger Lehrer wie als gründlicher und vielseitiger Gelehrter. Daneben boten diese Berliner Jahre durch Besuch des französischen Theaters, der italienischen Oper, durch Uebung im Reiten, durch vielseitigen Verkehr reiche Ausbeute für seine allgemeine und weltmännische Bildung. Inzwischen hatte B. auf einer Reise im Hartensteinschen Hause zu Leipzig dessen junge Verwandte Bertha Semmel aus Gera kennen gelernt und sich mit ihr verlobt. Der Wunsch, den eigenen Herd mit ihr zu gründen, ließ ihn Herbst 1842 den Ruf an das Marienstiftsgymnasium zu Stettin als Professor annehmen, als welcher er Januar 1843 die Braut heimführte, die ihm fortan als liebenswerthe, verständnißvolle Gattin zur Seite stand. Auch dort bewährte B. seinen Ruf als Schulmann und Gelehrter und verlebte in heiterem und anregendem Verkehre mit gleichgesinnten Freunden und Collegen, Ludwig Giesebrecht (1792–1873), Hermann Rassow (geboren 1819, später Oberschulrath in Weimar) u. A. sechs glückliche Jahre, bis ihn im Jahre 1848 der Ruf aus Wien auf ein größeres, seiner gereiften Kraft angemesseneres Feld des Wirkens rief.

Auf einer Reise nach Berlin hatte Franz Exner (1802–53), der Vertreter Herbartischer Philosophie an der Universität Prag, durch Hartenstein’s Empfehlung im August 1842 B. kennen und schätzen gelernt. Als er nun im Frühjahre 1848 nach Wien berufen und dort bald mit der Bearbeitung der längst für nöthig erkannten Unterrichtsreform, zunächst unter Feuchtersleben, betraut war, erkannte er in B. mit glücklichem Scharfblicke den philologischen und schulmännischen Mitarbeiter, dessen er für die neue Gestaltung der Mittelschulen (Gymnasien) und des philologischen Universitätsstudiums bedurfte. Exner bat am 3. August 1848 den Freund brieflich, zu überlegen, ob er selbst als solcher Mitarbeiter eintreten wollte, oder wen er sonst dafür vorschlagen könnte. B. nannte Georg Curtius, Wilhelm Corssen, Johannes Horkel, erklärte sich aber auch selbst bereit, die Sache ernstlich für sich zu erwägen. Exner hielt ihn bei dieser Erklärung fest. Unterm 20. September erneuerte er, inzwischen zum wirklichen Ministerialrath ernannt, die vorläufige Anfrage amtlich. B. sagte am 30. grundsätzlich zu und stellte seinen baldigen Besuch in Wien behufs näherer Vereinbarung in Aussicht. Da brachte der Wiener Octoberaufstand die ganze Angelegenheit ins Stocken. Erst am 28. November nahm Exner die Verhandlung wieder auf. B. erklärte sich aufs neue geneigt, machte aber die endgültige Zusage von persönlichem Austausch in Wien abhängig und ertheilte sie, nachdem er die Weihnachtsferien zu einem solchen benutzt hatte, am 6. Januar 1849. Am 6. Februar erfolgte die kaiserliche Ernennung zum Professor der classischen Philologie an der Universität Wien. Dem neuen Professor wurde die Aufgabe gestellt, Vorlesungen über classische Philologie an der Universität zu halten, die Candidaten des Gymnasiallehramtes für ihre wissenschaftliche [101] und berufliche Thätigkeit anzuleiten und das Ministerium des Cultus und öffentlichen Unterrichtes bei Organisirung der Gymnasien und Universitäten durch Rath und Mitwirkung, soweit sie beansprucht würden, zu unterstützen. Zu Ostern 1849 traf B. in Wien ein. Sofort begann die eifrigste Arbeit am Entwurfe der Organisation für die Gymnasien. Sie vollzog sich durch fast tägliche Conferenzen von Exner und B., die in zweifelhaften Fällen das Arbitrium des Unterstaatssecretärs Dr. Helfert einholten. Das ganze Werk entstand durch einträchtiges Zusammenwirken der beiden Verfasser. Im ganzen kann man sagen, daß alles Normative, also besonders die Einleitung und die grundlegenden Bemerkungen, sowie einzelne Theile der Instructionen (Plan der Realschule, Naturwissenschaften, philosophische Propädeutik) von Exner, die übrigen Theile, also fast alles Instructive, von B. herrühren. Aber, wenn man bedenkt, daß über die maßgebenden Principien bereits ein Vierteljahr zuvor beide Männer sich persönlich geeinigt hatten, und daß alles Weitere als Ergebniß fortlaufenden mündlichen Austausches entstand, so verliert damit dieser Unterschied jede Ausschließlichkeit, und das Ganze erscheint als gemeinsames Ehrendenkmal beider engverbundener Männer. So fleißig hatten sie gearbeitet, daß die umfangreiche Vorlage der neue Minister Graf Leo v. Thun und Hohenstein (1811–88), als er am 28. Juli 1849 das Ministerium für Cultus und öffentlichen Unterricht (bis October 1860) übernahm, bereits fertig vorfand. Das Wesen der neuen Ordnung bestand darin, daß die beiden bisher völlig getrennt gehaltenen Anstalten Gymnasium und Lyceum in eine zusammengezogen und nach durchgehendem Plane eingerichtet wurden. Das bisherige Gymnasium war nach dem Lehrplane vom 10. Juli 1819 auf sechs Jahresclassen, vier sog. Grammatical- und zwei Humanitätsclassen, beschränkt. Jede dieser Classen hatte außer dem Katecheten (Religionslehrer) nur einen Lehrer, der sämmtlichen Unterricht ertheilte. Mit seinen Schülern stieg ein Lehrer durch alle Grammaticalclassen von I-IV, ein zweiter aus der I. in die II. Humanitätsclasse auf. Aus dem Gymnasium gingen die Schüler, welche höheren Zielen zustrebten, in den zweijährigen Lehrcurs der philosophischen Studien (Lyceum) über, der nach dem Lehrplane vom 28. September 1824 unter fast völliger Zurückstellung der classischen Sprachen eine Fülle von mathematischen, physikalischen, philosophischen und religiösen Lectionen über die Schüler ergoß, dabei aber so wichtige Gegenstände wie Natur- und Weltgeschichte wenigstens den zahlenden Schülern völlig freistellte. Die Ergebnisse dieser Anstalten, welche dazu meist in den Händen geistlicher Orden waren und eines gleichmäßig durchgebildeten Lehrerstandes wie einer wirksamen fachmännischen Staatsaufsicht entbehrten, wurden längst fast allgemein als ungenügend beklagt. Ernst v. Feuchtersleben (1806–49) stellte als Unterstaatssecretär für das Unterrichtswesen 1848 die Forderung eines achtclassigen einheitlichen Gymnasiums mit Fachlehrern wenigstens im Obergymnasium und mit Einbeziehung mindestens des ersten philosophischen Jahrganges. Auf dieser Grundlage ruht der Exner-Bonitzische Organisations- und Lehrplan, der jedoch das ganze zweijährige Lyceum im achtjährigen Gesammtgymnasium aufgehen, dieses nur in methodischer Hinsicht aus zwei Stufen, Unter- und Obergymnasium, bestehen läßt und zugleich mit einer geordneten Lehramtsprüfung das Fachlehrersystem in maßvoller Beschränkung einführt. Auf die bisherige Spielerei mit lateinischer Rhetorik und Poetik wird zu Gunsten ausgedehnter Lectüre classischer lateinischer und griechischer Schriften, desgleichen auf Metaphysik und Moral unter Beschränkung des philosophisch-propädeutischen Unterrichtes auf empirische Psychologie und formale Logik verzichtet. „Maßgebend für die Aufgabe des Gesammtgymnasiums“ war „der Begriff der höheren allgemeinen Bildung“. Das Gymnasium erhielt demgemäß Geschichte, Mathematik [102] und Naturkunde (Naturgeschichte und Physik) als obligate Lehrfächer zugewiesen, was freilich nicht ohne Einschränkung des lateinischen und griechischen Unterrichtes in den obersten Classen (je 5 Wochenstunden in Classe VIII) anging. Aufgenommen werden die Schüler in Classe I nicht vor vollendetem neuntem Lebensjahre. Der ganze Lehrgang schließt mit der Maturitätsprüfung. Die Instructionen für den Unterricht in den einzelnen Lehrfächern, welche die Verfasser ihrem Entwurfe beigaben, erschöpfen fast den ganzen Umfang der Gymnasialpädagogik und ruhen auf dem Grunde der Herbartischen Gesammtansicht von Erziehung und Unterricht.

Der Entwurf wurde durch kaiserliche Verordnung vom 16. September 1849 vorläufig und unterm 16. December 1854 endgültig bestätigt. Er bildet seitdem mit geringen Aenderungen die Norm des österreichischen Gymnasialwesens. In freierem Anschluß an ihn wurde auch für das Realschulwesen ein Statut am 13. August 1851 erlassen. Doch blieb Bonitz’ Verhältniß zu diesem Zweige des Mittelschulwesens immer ein mehr mittelbares, während seine ganze Wiener Wirksamkeit in unmittelbarster Beziehung zu der Reorganisation der Gymnasien aufgefaßt sein will. Ihrer Durchführung zu dienen, für sie einzutreten, war seine Hauptaufgabe. Diese hatte er in den ersten Jahren noch im engen Bunde mit Exner, seit dessen Tode (21. Juni 1853) ohne den Freund zu lösen; und er hat sie, auch in den schwereren Zeiten nach dem Concordate vom 13. August 1855, mit einer Umsicht und einer Thatkraft gelöst, die seinem Namen in der Geschichte des geistigen Lebens des großen Donaureiches unvergänglichen Ruhm sichern. Zur Hülfe bei der Durchführung der Reorganisation gründete das Ministerium mit Beginn des Jahres 1850 die „Zeitschrift für die österreichischen Gymnasien“. Bis zu seinem Abgang aus Wien, siebzehn Jahre lang, führte B. bis 1864 mit J. G. Seidl und Jos. Mozart, von da an mit Seidl und Franz Hochegger die Redaction. Er war auch selbst eifriger Mitarbeiter des Blattes, in dem besonders seine gründliche Beantwortung und theilweise Abfertigung einer Reihe von Angriffen auf die Organisation, darunter der Kritik des Jesuitengenerales Peter Joh. Beckx und der des tschechischen Abgeordneten Dr. Franz Čupr (1858–61), erschien. Zu der Zeitschrift trat 1861 der von B. angeregte Verein „Mittelschule“ als zweiter Sammelpunkt der mit ihm verbündeten Freunde der neuen Schulordnung. Nachhaltig und tief wirkte B. daneben in seinem Hauptamt als Professor der Philologie sowol durch seine akademischen Vorträge wie durch die hingebende Fürsorge, die er manchem strebsamen Schüler zuwandte. Er hat in dem bis dahin für classische Studien wenig fruchtbaren Oesterreich eine regsame philologische Schule begründet, die in ihm dankbar ihr Haupt und ihren Lebenswecker verehrt. Karl Schenkl, Theodor Gomperz, Wilh. v. Hartel, die dem Meister alsbald nach seinem Tode litterarische Denkmäler setzten, seien für viele andere genannt, die gleich ihnen empfanden und empfinden. Seit 1850, als er in K. J. Grysar (1801–56) einen tüchtigen Genossen für das Latein erhalten hatte, beschränkte B. sich auf die griechische Philologie, aus der er die Geschichte der griechischen Philosophie mit besonderer Meisterschaft behandelte. Auch für weitere Kreise machte er bisweilen die Ergebnisse seiner Wissenschaft zugänglich wie in den Vorträgen des Jahres 1860 „Ueber den Ursprung der Homerischen Gedichte“. Seit 1849 war er correspondirendes, seit 1854 wirkliches Mitglied der Wiener Akademie der Wissenschaften, selbstverständlich Mitglied der Prüfungscommission für das höhere Lehramt; seit 1863 gehörte er dem damals eingerichteten, das Ministerium berathenden Unterrichtsrath an. Während dieser reichen, vielseitigen Wirksamkeit hatte B. mit den Seinen sich auch sonst gut eingelebt an der Donau. Aus seinem Verkehrskreise werden als nähere Vertraute der Sprachforscher Miklosich, der Astronom Littrow nebst Gattin, [103] die Physiologen Brücke und Ludwig, der Dichter Hebbel genannt. In der evangelischen Gemeinde helvetischer Confession, der er sich angeschlossen hatte, bekleidete B. seit 1855 das Ehrenamt eines Presbyters und Schriftführers des Presbyteriums, der Generalsynode von 1864 gehörte er als weltlicher Deputirter an. Es scheint nicht, daß sein protestantisches Bekenntniß ihm ernste Schwierigkeiten bereitet habe. Daß er als erwählter Decan der philosophischen Facultät auf Einspruch des theologischen Doctorencollegiums vom Minister (1851) nicht bestätigt ward, sah er klüglich selbst als eine Sache rechtlicher Erörterung an, die nur zufällig seine Person berührte.

Wiederholte Rufe nach auswärts, so 1855 nach Schulpforta, 1862 nach Hamburg an die Spitze des Johanneums, 1866 an Stelle Ritschl’s nach Bonn, hatte B. abgelehnt. Als er auch im Kriegsjahre noch Oesterreich treu geblieben war, dankte man ihm mit einer großen Ovation. Doch konnte er im folgenden Sommer dem Antrage des Berliner Magistrates, die Direction des Gymnasiums zum Grauen Kloster zu übernehmen, nicht widerstehen. Mit dem Orden der Eisernen Krone III. Classe geschmückt, durch zahlreiche Beweise der Liebe und Verehrung aus weiten Kreisen erfreut, von der evangelisch-theologischen Facultät mit ihrer Doctorwürde bekleidet, verließ B. Wien und trat mit 1. October 1867 sein neues Amt an. Aeußerlich gealtert, hat er es sieben Jahre lang in frischer Kraft geführt, treu und unermüdlich, wohlwollend auch im Kleinen und Kleinlichen, das einem Schuldirector nicht erspart bleibt. Bald fand sich manchfache, ehrenvolle Gelegenheit zum Wirken auf weitere Kreise. Die Akademie der Wissenschaften wählte ihn 1868 zum Mitgliede. Wiederholt benutzte er das dadurch gegebene Recht, Vorlesungen an der Universität zu halten. Fr. Paulsen, damals sein Zuhörer, schildert diese Thätigkeit des Lehrers mit den Worten: „Die Vorlesungen über Plato und Aristoteles waren nach Inhalt und Form die vollendetsten, die ich überhaupt gehört habe. In zweistündigem, ununterbrochenem, gleichmäßig fließendem Vortrage entwickelte er, am Katheder stehend, bloß ein Blatt Papier mit ein paar Citaten und Notizen in der Hand, den Inhalt Platonischer Dialoge oder auch systematischer Darlegungen des Aristoteles mit einer Klarheit und Sicherheit, als ob der ganze Gedankenaufbau ihm anschaulich vor Augen stünde. Er blieb aber nicht bei der philologischen Darlegung stehen, sondern wußte zugleich durch philosophische Kritik, namentlich beim Aristoteles, das Interesse für die Sache selbst zu wecken und dem Suchenden Fingerzeige für den einzuschlagenden Weg zu geben“. Nach A. Boeckh’s Tode (1867) wurde ihm ferner die Direction des königlichen Seminares für gelehrte Schulen anvertraut. Endlich trat er 1869 in die Redaction der Berliner Zeitschrift für das Gymnasialwesen ein und war thätiges, vorübergehend auch leitendes Mitglied der Berliner Gymnasiallehrergesellschaft. Zu einzelnen besonderen Arbeiten zogen ihn außerdem die Minister heran; so gehörte er zu der Commission von Vertrauensmännern für das höhere Schulwesen, die der Minister Falk zu October 1873 nach Berlin berief. Das letzte Jahr des Directorates brachte die solenne Feier des dreihundertjährigen Bestehens der Anstalt, deren würdige und gewandte Leitung durch B. allgemein anerkannt ward. Schon fünf Jahre früher war ihm noch einmal durch Hermann Usener nahegelegt worden, in Bonn, diesmal als Nachfolger Otto Jahn’s, einzutreten. Er hatte abgelehnt.

Dagegen ließ er sich durch den Ruf des Ministers Falk bewegen, mit Beginn des Jahres 1875 als vortragender Rath ins Ministerium einzutreten. Er hat in diesem Amte noch dreizehn Jahre, zuletzt mit dem Range eines Geheimen Oberregierungsrathes, gewirkt. Daß er auch ihm mit voller Hingebung und mit Verwerthung seiner reichen Erfahrung, voll Wohlwollens gegen Anstalten [104] und Angestellte, die ihm anvertraut waren, segensreich gedient hat, bedarf kaum der Versicherung. Aber im ganzen war es nicht die glücklichste Zeit seiner amtlichen Laufbahn. Er selbst empfand die Ueberbürdung mit bureaukratischen Geschäften und die dadurch herbeigeführte Lähmung seiner wissenschaftlichen Thätigkeit so schwer, daß er sogar, wenn auch vergeblich, seine Entlassung aus der Akademie der Wissenschaften beantragte. Dazu kam, daß er es in jener Zeit der Gegensätze und Debatten auf dem Gebiete des höheren Schulwesens keiner Partei recht machen konnte. Was ins Leben trat von seinen organisatorischen Arbeiten, trug allzusehr den Stempel des Compromisses und der Concessionen nach verschiedenen Seiten, um auch nur die nächsten Freunde und bisherigen Anhänger zu befriedigen. Die neue Schulorthographie im Deutschen, die Uebernahme und Anerkennung der neunjährigen, lateinlosen Oberrealschulen als im wesentlichen gleichberechtigter Vollanstalten half er durchsetzen. Aber die Lehrpläne der höheren Schulen von 1882, die daneben die Realschulen I. Ordnung als Realgymnasien den Gymnasien durch Vermehrung des lateinischen Unterrichtes annäherten, wie diese durch verstärkte Betonung der mathematisch-naturkundlichen Seite, späteren Anfang des Griechischen, vermehrte Pflege des Französischen jenen, versöhnten nicht den Streit der Ansichten, sondern schürten ihn eher. Der praktische Nutzen des gemeinsamen Lehrplanes für Human- und Realgymnasien in den drei ersten Schuljahren verschwand in der öffentlichen Meinung vor der Klage über das Festhalten der alten Ansprüche bei Einführung so vieler neuer. Das Stichwort der „Ueberbürdung“ gewann neue Kraft und war durch beschwichtigende Gutachten und Erlasse nicht zu entkräften. Näher auf diese Dinge einzugehen, hieße die Geschichte des preußischen höheren Schulwesens in jenen Tagen des erbitterten Schulkrieges schreiben. Hier muß die Andeutung genügen, daß sie für den alternden B. keine Zeit der reinen Freude sein konnten. Festliche Lichtpunkte dieser Jahre bildeten für ihn die Feier seines siebzigjährigen Geburtstages (1884), zu der besonders auch aus Oesterreich glänzende und rührende Zeichen fortdauernder Anhänglichkeit und Verehrung eintrafen, und die seines Amts- und Doctorjubiläums (1886). Reichen und anregenden Genuß fand B. auch in diesen letzten Jahren noch durch seinen Verkehr mit bedeutenden Männern, unter denen Theodor Mommsen, Eduard Zeller, Adolf Kirchhoff und der ihm 1874 von Wien nachgekommene Johannes Vahlen besonders genannt werden. Im Herbste 1887 trat bei dem bis dahin so geistesklaren Greise ein Gehirnleiden hervor, das am 1. April 1888 seinen Uebertritt in den Ruhestand nöthig machte, und dem er nach qualvollem Siechthume am 25. Juli 1888 erlag.

Gleich bedeutend und erfolgreich wie in der Schulpraxis und Schulverwaltung hat B. als philologischer Schriftsteller gewirkt. Seine erste litterarische Arbeit, ungedruckt geblieben, aber von Gomperz, der eingehend über sie berichtet, nachträglicher Drucklegung für vollkommen würdig erklärt, verfaßte er bereits 1835 als Leipziger Student durch Beantwortung der von der philosophischen Facultät gestellten Preisfrage: „Utrum idea absoluti summum et unicum philosphiae principium esse possit“. Auf Grund der gekrönten Preisschrift creirte ihn im Jahre darauf die Facultät zum Doctor. Von den „Disputationes Platonicae duae“ (Programm des Vitzthum’schen Gymnasiums, Dresden 1837) war bereits die Rede. Ihnen schlossen sich später „Platonische Studien“ (zunächst in den Schriften der Wiener Akademie 1858 und 60; 3., sehr erweiterte Auflage Berlin 1886) und eine längere Reihe von einzelnen Aufsätzen in den Schriften der Berliner Akademie (1869–78) sowie der Wiener Zeitschrift für das Gynmasialwesen und dem Hermes an. Dem Aristoteles gelten Bonitz’ „Observationes criticae in Aristotelis libros metaphysicos“ (Berlin 1852), „O. cr. [105] in Aristotelis quae feruntur Magna Moralia et Ethica Eudemia“ (Berlin 1844) sowie Ausgaben von „Alexandri Aphrodisiensis commentarius in libros metaphysicos Aristotelis“ (Berlin 1847) und „Aristotelis Metaphysica“ (2 Bde., Bonn 1848. 49). Ferner schrieb er für die Wiener Akademie „Ueber die Kategorien des Aristoteles“ (1853) und „Aristotelische Studien“ (5 Hefte 1862 bis 67), sowie ebenfalls eine Anzahl einzelner Aufsätze in den Schriften der Berliner Akademie und den genannten Zeitschriften. Besonders aber ist hier zu nennen der große „Index Aristotelicus“ (Berlin 1870, Band V der großen Ausgabe des Aristoteles der Berliner Akademie). Die oben erwähnten Vorträge „Ueber den Ursprung der Homerischen Gedichte“ (Wien 1860) erschienen in 6., von R. Neubauer besorgter, Auflage noch 1885. „Beiträge zur Erklärung des Sophokles“ (2 Hefte 1856 u. 57) und „des Thucydides“ (1854) brachten die Berichte der Wiener Akademie. Fast unabsehbar ist die Reihe der Recensionen wissenschaftlicher und schulpraktischer Werke besonders in der Wiener Zeitschrift und der dort wie in anderen ähnlichen Blättern veröffentlichten Aufsätze über das höhere Unterrichtswesen. Von diesen urtheilt Fr. Paulsen: „Es giebt nicht viel gymnasial-pädagogische Fragen, welche nicht in den zahlreichen Artikeln von Bonitz eingehende Erörterung oder doch streifende Beleuchtung gefunden hätten; die Durchdringung von philosophischem Denken und reicher Erfahrung giebt diesen Artikeln einen ungewöhnlichen und bleibenden Werth“. Biographische Nachrufe widmeten B. u. a. Adolf Trendelenburg (Berliner akadem. Schriften 1872) und Joh. Friedr. Bellermann (Berliner Zeitschrift für das Gymnasialwesen, 1874).

In seiner äußeren Gestalt war B. mittelgroß und schlank, in seinem Umgange gewandt und freundlich, selbst in der Polemik mild und maßvoll, wo ihn nicht in vereinzelten Fällen der Eindruck von Unwahrhaftigkeit und Heuchelwesen, die seiner lauteren Natur vor allem zuwider waren, in Harnisch brachte. Sein ganzes Wesen offenbarte edle, durch ernste, ideale Lebensansicht verklärte Humanität. „Auf die Nachwelt aber“, sagt sein Schüler Th. Gomperz wahr und schön „wird sein Name als der eines der edelsten, eifrigsten, einsichtsvollsten und geisteshellsten Alterthumsforscher und Jugendbildner unserer Tage gelangen“.

Quellen: Eigene Mittheilungen von Bonitz in Heidemann, Geschichte des grauen Klosters in Berlin (Berlin 1874). – Schenkl, Rede bei der Trauerfeier für H. Bonitz (Wien 1888). – Bellermann, Zur Erinnerung an H. Bonitz (Berlin 1889). – v. Hartel, Bonitz und sein Wirken in Oesterreich (Linz 1889). – Paulsen, Geschichte des gelehrten Unterrichts auf den deutschen Schulen und Universitäten (2. Aufl., Bd. 11, Leipzig 1897); besonders Gomperz, H. Bonitz (in Bursian-Müller’s Biograph. Jahrbuche für Alterthumskunde, Bd. IX, 1888, Berlin 1890) und Frankfurter, Graf Leo Thun-Hohenstein, Franz Exner und Hermann Bonitz (Wien 1893). – Ein möglichst vollständiges Verzeichniß von Bonitz’ Publicationen bringt Gomperz (a. a. O.). Es füllt, einschließlich der eingehenderen Analyse (4 Seiten) der ungedruckten Preisschrift von 1885 über die Idea absoluti, fast 14 Druckseiten.