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Artikel „Littrow, Karl Ludwig von“ von Siegmund Günther in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 19 (1884), S. 2–4, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Littrow,_Carl_von&oldid=- (Version vom 5. Dezember 2024, 20:32 Uhr UTC)
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Littrow: Karl Ludwig v. L., geb. am 18. Juli 1811 zu Kasan, † am 20. Novbr. 1877 zu Venedig, der Sohn des trefflichen Joseph Johann v. L. (s. den vor. Art.), mußte im zarten Alter von fünf Jahren mit seinen Eltern aus Rußland nach Ofen übersiedeln, wo ihm bei den damaligen Schulverhältnissen nur eine sehr ungenügende Bildung zu Theil werden konnte. Als sein Vater nach Wien versetzt wurde, mußte er den Gymnasialunterricht eigentlich wieder von vorne beginnen, allein nunmehr machte er auch so rasche Fortschritte, daß er bereits mit 19 Jahren seine Wiener Universitätsstudien abzuschließen befähigt war. In diesem Alter erwarb er sich zu Krakau die Doctorwürde, und 1831 sehen wir ihn bereits als Gehülfen seines Vaters wirken, dem er so wesentliche Dienste leistete, daß man um des strebsamen Jünglings willen von der Gesetzesbestimmung absah, welcher zufolge Vater und Sohn nicht an der [3] nämlichen Anstalt wirken sollten. Nachdem letzterer vielmehr die schriftlichen Aufgaben der vorgeschriebenen Concursprüfung in nicht weniger als 5 Sprachen bearbeitet hatte, ward er zum Adjuncten des Observatoriums ernannt und erhielt damit gleichzeitig das Recht, an der Universität Vorträge zu halten. Um diese Zeit starb die um die geistige Ausbildung des Sohnes hochverdiente Mutter, doch brachte ihm bald nachher die Ehe mit Auguste v. Bischoff, der Tochter eines berühmten Wiener Arztes, reichlichen Ersatz. Ehe er freilich sich verheirathete, mußte L. erst an Bord der Korvette „Karolina“ eine Uebungsreise von zwei Monaten im adriatischen Meere mitmachen, um sich in der nautischen Astronomie auszubilden; hierbei schuf er sich seine neue Methode der Breitenbestimmung in ihren Grundzügen. Bald nach geschlossenem Ehebunde rief ihn die Pflicht abermals an das Ufer der Adria, um gemeinsam mit dem damaligen Schiffslieutenant v. Wüllerstorff-Urbair den Bau und die Einrichtung der in Venedig neu gegründeten Marinesternwarte zu überwachen. Seine junge Gattin erkrankte daselbst schwer, und kaum war sie dem Leben zurückgegeben, so verschied in Wien der Vater L., sodaß dem Sohne Karl die schwere Aufgabe erwuchs, für seine drei jungen, sämmtlich dem Militärstande angehörigen, Brüder die Fürsorge zu übernehmen. Glücklicherweise ward ihm nach zwei Jahren die väterliche Stellung übertragen, sodaß wenigstens seine äußere Lage sich von da an vollkommen befriedigend gestaltete. Seine Lebensaufgabe erblickte er nunmehr darin, die Wiener Sternwarte den Anforderungen der Neuzeit entsprechender einzurichten. Diese Aufgabe war keine leichte, vielmehr geht aus der ad hoc geschriebenen Broschüre „Die neue Wiener Sternwarte“ (1874) hervor, daß unzählige fruchtlose Versuche der schließlichen Erreichung des Endzieles vorangingen. Immerhin hatte diese Wartezeit das Gute, daß L. mehrere Studienreisen zum Zwecke der Einsicht der bekanntesten Sternwarten unternehmen konnte, deren Früchte der neuen Anstalt zu gute kamen. Dieselbe entstand jenseits der Alservorstadt auf der sogen. Türkenschanze und machte auf die Mitglieder der Astronomen-Versammlung von 1871, obwol noch unvollendet, einen imponirenden Eindruck. Die Fertigstellung des Baues erlebte dessen Urheber nicht mehr. Er kränkelte seit der Zeit, da ihm (1864) sein ältester 22jähriger Sohn Otto entrissen worden war, der zu den schönsten Hoffnungen berechtigte und nicht blos kurz zuvor in Leipzig promovirt, sondern auch bereits anderweite litterarische Leistungen aufzuweisen hatte. Als im J. 1877 sein Leiden zunahm, zog es ihn wiederum nach Venedig, wo er schon mehrfach Linderung gefunden hatte, allein diesmal versagte es den gehofften Dienst. Der totkranke Mann behielt seine volle Geisteskraft und arbeitete noch bis zuletzt an der sechsten Auflage der „Wunder des Himmels“. Seine Leiche ward in Wien beerdigt. – Karl v. L. ließ, wie sein Vater, die hohe Bedeutung des geschichtlichen Entwickelungsganges seiner Wissenschaft niemals außer Acht. Mit glücklichem Findertalente begabt, entdeckte er in Bibliotheken und Archiven eine Anzahl wichtiger Documente, so in Wien das Tagebuch, welches Pater Hell 1769 bei seiner Beobachtung des Venusdurchgangs in Wardöe geführt hatte, und welches die von jeher an der Brauchbarkeit dieser Beobachtungen gehegten Zweifel voll bestätigte, so in Mailand das Originalmanuscript des Piazzi’schen Sternkataloges und endlich neue, inhaltreiche Quellen für die nähere Kenntniß der Kometen von 1556 und 1668. Die Herausgabe der Annalen der Wiener Sternwarte setzte er, nach seines Vaters Tode, bis zum J. 1851 fort, zum Theil in Verbindung mit F. Schaub, ebenso hatte auch die Herausgabe des vortrefflichen Kalenders ununterbrochen ihren Fortgang. Mehrere Abhandlungen in der Zeitschrift von Baumgartner und v. Ettingshausen, in den Astronomischen Nachrichten und in den Wiener Sitzungsberichten erörtern die verschiedensten Fragen der Astronomie und mathematischen [4] Geographie, darunter die, ob sämmtlichen Meeren ein und dasselbe Niveau zukomme. An der mitteleuropäischen Gradmessung hat L. den lebhaftesten Antheil genommen, bis körperliche Schwäche ihm die aktive Mitwirkung unmöglich machte; er leistete Großes in der Errichtung von Feld-Observatorien und erduldete die mannigfachsten Strapazen und Gefahren, wie ihm denn einmal einer seiner Gehülfen vom Blitze erschlagen wurde. Die Geographie und Geodäsie dankten ihm auch das seiner Zeit weitaus umfassendste und genaueste „Verzeichniß geographischer Ortsbestimmungen“, welches 1844 als Nachtrag zum „Physik. Lexikon“ in Leipzig erschien. Die Sternschnuppenphänomene, zu deren Beobachtung es gerade keiner Mustersternwarte bedurfte, bildeten einen Gegenstand steter Beachtung (Comptes rendus, 1838), und um die totale Sonnenfinsterniß von 1851 zu beobachten, scheute L. die weite Reise nach Rixhöft an der Ostsee nicht, wo er denn auch wichtige Wahrnehmungen betreffs der sogen. Protuberanzen machte. Auf dem Stephansthurm in Wien brachte er einen Distanzmesser an, mit Hülfe dessen die Feuerwächter ohne weiteres den Ort eines ausgebrochenen Brandes zu bestimmen in die Lage gesetzt wurden (das Toposkop, 1837). Besonders rühmend hat der Biograph ferner der Verdienste zu gedenken, welche der erfahrene, geschäftsgewandte Mann um die inneren Angelegenheiten der Wiener Hochschule sich erwarb; seine Rectoratsreden wurden ihres tiefen Inhalts wegen hoch geschätzt, obwol viele Historiker finden werden, daß in der eleganten Rede „Ueber das Zurückbleiben der Alten in den Naturwissenschaften“ eine gar zu pessimistische Auffassung der antiken Leistungen vorwaltet. Einem ganz anderen Gebiete gehören Littrow’s Bemühungen an, auf neuer rationeller Grundlage einen Pensionsverein für die Beamten der österreichischen Staaten zu Stande zu bringen, – ein Plan, der leider durch den freiwilligen Tod des für die Sache gewonnenen Ministers v. Bruck vereitelt wurde.

Almanach der k. k. Akademie der Wissensch. zu Wien, 10. Bd. – Ausführlicher Nekrolog in der Wiss. Beilage zur Augsb. Allgem. Zeitung, vom 6. u. 7. Novbr. 1878.